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Anarchistische Einflüsse auf den zapatistischen Aufstand in Chiapas ...

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Maria-Sibylla-Merian-Gymnasium TelgteSchuljahr 06/07GK Philosophie 12.2.Frau Dellmann1¡Tierra y Libertad!:<strong>Anarchistische</strong> <strong>E<strong>in</strong>flüsse</strong> <strong>auf</strong> <strong>den</strong> <strong>zapatistischen</strong> <strong>Aufstand</strong> <strong>in</strong><strong>Chiapas</strong> unter besonderer Berücksichtigung der Umsetzung derTheorie <strong>in</strong> die Praxis sowie der damit verbun<strong>den</strong>en Frage nachdem Geltungsanspruch philosophischer (anarchistischer) IdeenE<strong>in</strong>e Facharbeit von David Werdermann


Inhaltsverzeichnis21. E<strong>in</strong>leitung ............................................................................................... 32. Der Anarchismus.................................................................................... 42.1. Der kollektive Anarchismus..................................................................................42.2. Der kommunistische Anarchismus .......................................................................53. Der zapatistische <strong>Aufstand</strong>..................................................................... 73.1. Die Geschichte ......................................................................................................73.2. Die Organisationsstrukturen .................................................................................73.3. Kollektivismus ......................................................................................................84. Die Rolle anarchistischer Ideen im <strong>Aufstand</strong> ........................................ 84.1. Das Verhältnis von Theorie und Praxis ................................................................84.2. Ansichten zu Macht und Herrschaft......................................................................94.3. Das Verhältnis der Zapatistas zum Staat...............................................................94.4. Direktdemokratie als Anarchie?..........................................................................124.5. Vergleich mit klassischen anarchistischen Konzepten .......................................145. Schlussbetrachtung............................................................................... 166. Quellenverzeichnis............................................................................... 176.1. Literatur...............................................................................................................176.2. Zeitungen.............................................................................................................186.3. Internet ................................................................................................................197. Erklärung.............................................................................................. 20


1. E<strong>in</strong>leitung3Gut dreizehn Jahre ist es her, dass <strong>in</strong> <strong>Chiapas</strong>, e<strong>in</strong>em der ärmsten Bundesstaaten Mexikos,e<strong>in</strong>e Gruppe von bewaffneten Indigenen gegen die Regierung <strong>auf</strong>stand und „¡YaBasta!“ (Es Reicht!) schrie.Die Aufständigen, die sich Zapatistas nennen, versuchten dar<strong>auf</strong>h<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihren Geme<strong>in</strong><strong>den</strong>und Bezirken autonome Strukturen unabhängig vom mexikanischen Staat <strong>auf</strong>zubauen.Schnell erlangten die Zapatistas <strong>in</strong> der <strong>in</strong>ternationalen l<strong>in</strong>ken Bewegung e<strong>in</strong>en hohenBekanntheitsgrad. Ihr <strong>Aufstand</strong> wird von vielen als e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartige Alternative zu <strong>den</strong>herkömmlichen Gesellschaftsformen angesehen.So wurde auch ich durch e<strong>in</strong>e Münsteraner Solidaritätsgruppe <strong>auf</strong> das Thema <strong>auf</strong>merksamund entwickelte Interesse für das Projekt. Die Tatsache, dass die Zapatistas andersals andere revolutionäre Bewegungen nicht die Übernahme des Staates anstreben, macht<strong>den</strong> <strong>Aufstand</strong> e<strong>in</strong>zigartig und wirft natürlich die Frage <strong>auf</strong>, ob er anarchistisch bee<strong>in</strong>flusstist.Um diese Frage geht es <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Facharbeit. In dem Zusammenhang stellt sich auchdie Frage nach dem Geltungsanspruch des Anarchismus.Um dies zu klären, werde ich zunächst versuchen, e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> <strong>den</strong> Anarchismuszu geben sowie zwei „klassische“ anarchistische Konzepte vorstellen.Dann werde ich <strong>auf</strong> <strong>den</strong> <strong>zapatistischen</strong> <strong>Aufstand</strong> e<strong>in</strong>gehen und dar<strong>auf</strong>h<strong>in</strong> die bei<strong>den</strong>Konzepte und Bewegungen mite<strong>in</strong>ander vergleichen. Dabei werde ich <strong>den</strong> Schwerpunkt<strong>auf</strong> das Verhältnis der Zapatistas zum Staat sowie <strong>den</strong> Vergleich zwischen Direktdemokratieund Anarchie legen.Dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>bauend werde ich abschließend Stellung sowohl zu dem <strong>Aufstand</strong> als auch zuanarchistischen Ideen beziehen.Getreu dem <strong>zapatistischen</strong> Motto „fragend schreiten wir voran“ soll me<strong>in</strong>e Arbeit ke<strong>in</strong>esfallsals „die Wahrheit“ angesehen wer<strong>den</strong> sondern von jedem kritisch betrachtet undh<strong>in</strong>terfragt wer<strong>den</strong>.


2. Der Anarchismus4Als Anarchismus wird e<strong>in</strong>e soziale, politische und philosophische Bewegung bezeichnet,die die Anarchie anstrebt. 1 Das Wort Anarchie kommt aus dem Griechischen undbedeutet „Abwesenheit von Herrschaft“ 2 . Die Anarchie ist demnach e<strong>in</strong>e Gesellschaftsform,<strong>in</strong> der ke<strong>in</strong>e Herrschaft und ke<strong>in</strong>e Hierarchien existieren. Zentral ist hierbei dieForderung nach der Abschaffung des Staates bzw. der Regierung als zentrales Herrschafts<strong>in</strong>strument.Der Begriff geht bis <strong>in</strong> die Antike zurück und wurde im L<strong>auf</strong>e derGeschichte unterschiedlich <strong>auf</strong>gefasst, <strong>in</strong>terpretiert und gebraucht. 3Heute wird der Begriff Anarchie oft im Zusammenhang mit Chaos oder Gewalt verwendet.4 Me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach wird dabei der Fehler gemacht, dass Anarchie <strong>auf</strong> dieAbwesenheit staatlicher Kontrolle reduziert wird. AnarchistInnen lehnen jedoch alleHerrschaftsformen ab, also auch nicht-staatliche Gewalt.Als Organisationspr<strong>in</strong>zip schlagen viele AnarchistInnen die „freie Vere<strong>in</strong>barung“ vor,die <strong>in</strong> freien Assoziationen mit dem Konsensverfahren getroffen wer<strong>den</strong> soll. 5 Zudemwird teilweise für e<strong>in</strong> föderales Rätesystem plädiert. 6Da es verschie<strong>den</strong>ste Konzepte und Mischformen des Anarchismus gibt, ist es unmöglich,<strong>auf</strong> alle e<strong>in</strong>zugehen. Oft unterscheidet man zwischen <strong>den</strong> grundlegen<strong>den</strong> Richtungendes <strong>in</strong>dividualistischen, sozialen, kollektiven und kommunistischen Anarchismus. 7Im Folgen<strong>den</strong> möchte ich <strong>in</strong>sbesondere <strong>auf</strong> <strong>den</strong> kollektiven Anarchismus, der <strong>auf</strong> dieTheorien Michail Bakun<strong>in</strong>s zurückgeht, und <strong>den</strong> kommunistischen Anarchismus e<strong>in</strong>gehen,der u.a. von Petr Kropotk<strong>in</strong> oder dem Mexikaner Ricardo Flores Magón vertretenwurde.2.1. Der kollektive AnarchismusDer kollektive Anarchismus geht maßgeblich <strong>auf</strong> die Theorien des Russen Michail Bakun<strong>in</strong>zurück. Er sieht die Freiheit als „wichtigste politisch-philosophische Prämisse“ 8 .Als Freiheit def<strong>in</strong>iert Bakun<strong>in</strong> „das absolute Recht aller erwachsenen Männer und Frauen,für ihre Handlungen ke<strong>in</strong>e andere Bewilligung zu suchen, als ihres eigenen Gewissensund ihrer eigenen Vernunft [...], und folglich nur verantwortlich zu se<strong>in</strong> zunächst1 Degen, Hans Jürgen/Knoblauch Jochen, Anarchismus E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Stuttgart 2006, S. 102 Ebenda3 Ebenda4 Ebenda, S. 75 Burnicki, Ralf, Anarchie als Direktdemokratie, Moers 1998, S. 86 Neumann, Franz, Handbuch Politischer Theorien und Ideologien, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg 1977, S. 2567 Ebenda, S. 2228 Degen, Hans Jürgen/Knoblauch Jochen, Anarchismus E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Stuttgart 2006, S. 40


5ihnen selbst gegenüber, dann gegenüber der Gesellschaft, der sie angehören, aber nur<strong>in</strong>soweit, als sie ihre freie Zustimmung geben, ihr anzugehören“ 9 .Auf die Frage, <strong>in</strong>wiefern die Zustimmung e<strong>in</strong>er Gesellschaft anzugehören, „frei“ ist,werde ich <strong>in</strong> Kapitel 4.3. näher e<strong>in</strong>gehen.„Das menschliche Gewissen als Grundlage der Gerechtigkeit“ begründet Bakun<strong>in</strong> mitder „Verne<strong>in</strong>ung Gottes“ 10 . Bakun<strong>in</strong> geht davon aus, dass der Mensch e<strong>in</strong> soziales Wesenist, das nur <strong>in</strong> der Gesellschaft Freiheit erfahren könne. 11 „Für <strong>den</strong> Menschen bedeutetfrei se<strong>in</strong>, von allen ihn umgebenen Menschen als frei anerkannt, betrachtet und behandeltzu wer<strong>den</strong>. Die Freiheit ist ke<strong>in</strong>eswegs Sache der Isolierung, sondern der gegenseitigenAnerkennung, ke<strong>in</strong>e Sache der Abgeschlossenheit, sondern im Gegenteil derVere<strong>in</strong>igung“ 12 . Als „notwendigen Vorsaussetzung und Bejahung“ 13 der Anerkennung<strong>in</strong>dividueller Freiheit sieht Bakun<strong>in</strong> die Freiheit aller anderen Menschen der Gesellschaft,die „nur <strong>in</strong> der Gleichheit Aller verwirklicht wer<strong>den</strong>“ 14 könne.Auf ökonomischer Ebene werde dies erreicht, <strong>in</strong>dem das Privateigentum abgeschafftund <strong>in</strong> kollektives Eigentum überführt wird. Land und Produktionsmittel sollen <strong>in</strong> Besitzder Menschen se<strong>in</strong>, die es benutzen. Entscheidungen sollen „von unten nach oben“ 15durch landwirtschaftliche und <strong>in</strong>dustrielle Assoziationen sowie Kommunen getroffenwer<strong>den</strong>, die über e<strong>in</strong> Rätesystem kooperieren. 16Die Verteilung des Ertrages der Produktion soll „nicht nach dem Arbeitsmaß, sondernnach <strong>den</strong> Bedürfnissen jedes e<strong>in</strong>zelnen verteilt“ 17 wer<strong>den</strong>. An anderer Stelle behaupteter jedoch gegenteiliges: „Da Arbeit alle<strong>in</strong> Produkte hervorbr<strong>in</strong>gt, muß jeder arbeiten,um zu leben, oder er wird als Dieb betrachtet wer<strong>den</strong>.“ 18Das Lohnsystem soll im Gegensatz zu der Theorie des kommunistischen Anarchismusnicht <strong>auf</strong>gehoben wer<strong>den</strong>. 192.2. Der kommunistische AnarchismusDer kommunistische Anarchismus fordert, „daß das Lohnsystem <strong>auf</strong>gegeben wird unddie Verteilung der Güter nach dem Pr<strong>in</strong>zip ‚jedem nach se<strong>in</strong>en Bedürfnissen‘ erfolgt“ 209 Bakun<strong>in</strong>, Michael, zitiert nach Wittkop, J.F., Bakun<strong>in</strong>., Re<strong>in</strong>bek 1974, S.7010 Bakun<strong>in</strong>, M., Zusammenfassung der Grundideen des Revolutionären Katechismus (1866), <strong>in</strong>: Borries,A.v./Brandies, I. (Hrsg.), Anarchismus. Theorie, Kritik, Utopie. Texte und Kommentare. Frankfurt 1970, S. 107-11011 Neumann, Franz, Handbuch Politischer Theorien und Ideologien, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg 1977, S. 25212 Bakun<strong>in</strong>, M., zitiert nach Wittkop, J.F., Bakun<strong>in</strong>., Re<strong>in</strong>bek 1974, S.7013 Bakun<strong>in</strong>, M., Gott und der Staat und andere Schriften, Hrsg.: Hillmann, Susanne, Re<strong>in</strong>bek 1969, S. 25414 Bakun<strong>in</strong>, M., zitiert nach Wittkop, J.F., Bakun<strong>in</strong>., Re<strong>in</strong>bek 1974, S.7015 Bakun<strong>in</strong>, M., Staatlichkeit und Anarchie, Hrsg.: Stuke, Horst, Frankfurt 1972, S. 8716 Neumann, Franz, Handbuch Politischer Theorien und Ideologien, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg 1977, S. 25617 Bakun<strong>in</strong>, M., Staatlichkeit und Anarchie, Hrsg.: Stuke, Horst, Frankfurt 1972, S. 65218 Bakun<strong>in</strong>, M., Zusammenfassung der Grundideen des Revolutionären Katechismus (1866), <strong>in</strong>: Borries,A.v./Brandies, I. (Hrsg.), Anarchismus. Theorie, Kritik, Utopie. Texte und Kommentare. Frankfurt 1970, S. 107-11019 Neumann, Franz, Handbuch Politischer Theorien und Ideologien, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg 1977, S. 275


6Demnach soll „Alles für alle zugänglich“ 21 gemacht wer<strong>den</strong>. Der Hauptvertreter deskommunistischen Anarchismus Petr Kropotk<strong>in</strong> begründet die Funktionalität dieser Theoriemit e<strong>in</strong>em positiven Menschenbild. Durch naturwissenschaftliche und historischeUntersuchungen versuchte er, das Naturgesetz der „Gegenseitigen Hilfe <strong>in</strong> der MenschundTierwelt“ 22 zu beweisen. Damit reagierte er <strong>auf</strong> die Theorien vom „Kampf umsDase<strong>in</strong>“ von Darw<strong>in</strong> und Huxley, die Tieren e<strong>in</strong>e natürliche Konkurrenz zuschreiben. 23Diese Theorien stellte er jedoch nicht grundsätzlich <strong>in</strong> Frage. „Im großen Kampf umsDase<strong>in</strong> [...] sucht die natürliche Auslese fortwährend ausdrücklich die Wege aus, <strong>auf</strong><strong>den</strong>en sich die Konkurrenz möglichst vermei<strong>den</strong> lässt.“ 24E<strong>in</strong> weiterer Vertreter des kommunistischen Anarchismus ist der Mexikaner RicardoFlores Magón. Er wurde maßgeblich durch Schriften der europäischen Anarchisten Bakun<strong>in</strong>und Kropotk<strong>in</strong> bee<strong>in</strong>flusst und brachte anarchistische Elemente <strong>in</strong> die MexikanischeRevolution (1910 – 1920) e<strong>in</strong>. 25 Für Angel J. Cappelletti ist Magón „wohl derwichtigste Vertreter der anarchistischen Denker Late<strong>in</strong>amerikas“, u.a. „weil er e<strong>in</strong>e universalistischesoziale Philosophie geschaffen hat, die <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>em autochthonen, ursprünglichenKonzept des menschlichen Zusammenlebens basiert.“ 26Magón „bezog [...] sich [...] <strong>auf</strong> die Tradition des <strong>in</strong>digenen Kommunitarismus“ 27 . Dieslag daran, dass er, wie viele MexikanerInnen, <strong>in</strong> traditionellen Geme<strong>in</strong>schaften lebte.Auch Kropotk<strong>in</strong> sprach von solchen kommunalen Lebensgeme<strong>in</strong>schaften, die sich se<strong>in</strong>erAnsicht nach auch <strong>in</strong> Europa f<strong>in</strong><strong>den</strong> ließen. 28Die „Wurzeln allen Übels“ sieht Magón im Privateigentum an Land, das durch <strong>den</strong>Staat geschützt werde. 29 Daraus resultierte se<strong>in</strong>e Parole „Tierra y Libertad“, die vonZapata 30 während der Mexikanischen Revolution <strong>auf</strong>gegriffen wurde, und noch heutevon <strong>den</strong> Zapatistas 31 <strong>in</strong> <strong>Chiapas</strong> benutzt wird.20 Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Die Eroberung des Brotes und andere Schriften. Hrsg. Helms, H.G., München 1973, S. 9821 Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Worte e<strong>in</strong>es Rebellen, Hrsg.: Marx Schneider, Dieter, Re<strong>in</strong>bek 1972, S. 18822 „Gegenseitige Hilfe <strong>in</strong> der Mensch- und Tierwelt“ ist der Name e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er Bücher (1902, dt.: Leipzig 1904)23 Neumann, Franz, Handbuch Politischer Theorien und Ideologien, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg 1977, S. 26024 Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Gegenseitige Hilfe <strong>in</strong> der Mensch- und Tierwelt, Taschenbuchausgabe (Ullste<strong>in</strong> Buch 3225),Berl<strong>in</strong> 197625 Cappelletti, Angel J., Land und Freiheit, <strong>in</strong>: Gruppe BASTA, Ricardo Flores Magón: Tierra y Libertad, Münster2005, S. 54/5526 Cappelletti, Angel J., Land und Freiheit, <strong>in</strong>: Gruppe BASTA, Ricardo Flores Magón: Tierra y Libertad, Münster2005, S. 5327 Ebenda28 Ebenda, S. 5729 Ebenda, S. 5430 Emiliano Zapata war e<strong>in</strong>e bedeutende Leitfigur während der Mexikanischen Revolution31 Zapatistas s<strong>in</strong>d Menschen, die sich <strong>in</strong> der Tradition Emiliano Zapatas sehen.


73. Der zapatistische <strong>Aufstand</strong>3.1. Die GeschichteAm 1. Januar 1994 begann der <strong>Aufstand</strong> <strong>in</strong> <strong>Chiapas</strong> 32 mit e<strong>in</strong>er bewaffneten Erhebungder EZLN 33 , der Guerilla der Zapatistas.Während der ca. zwei Wochen andauern<strong>den</strong> Gefechte mit der mexikanischen Armeewur<strong>den</strong> Geme<strong>in</strong><strong>den</strong> besetzt und Rathäuser gestürmt. Der <strong>Aufstand</strong> richtete sich gegen<strong>den</strong> mexikanische Staat und dessen neoliberale Wirtschaftspolitik, sowie gegen dieAusbeutung der Indigenen durch Großgrundbesitzer. 34 Seit Mitte Januar 1994 hat dieEZLN ihre Waffen nicht mehr benutzt und führte zeitweise Verhandlungen mit der Regierung,obwohl diese die Aufständigen durch “Militärbesatzung, Paramilitärs und Spaltungsversuche“35 belastet.Die Zapatistas fordern direkte Demokratie, die Anerkennung der Autonomie ihrer Gebieteund e<strong>in</strong>e gerechte Landverteilung. 36Diese Forderungen setzten die Zapatistas <strong>in</strong> vielen Geme<strong>in</strong><strong>den</strong> <strong>in</strong> die Praxis um.3.2. Die OrganisationsstrukturenAn dem <strong>zapatistischen</strong> <strong>Aufstand</strong> beteiligen sich mehrere hundert autonome Geme<strong>in</strong><strong>den</strong>,die sich <strong>in</strong> 38 Landkreisen organisieren. Diese Landkreise s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> fünf Regionen unterteilt,<strong>in</strong> <strong>den</strong>en sich jeweils e<strong>in</strong> „Caracole“ 37 bef<strong>in</strong>det, das als „Kommunikations- undLogistikzentren“ 38 fungiert. Dort ist jeweils e<strong>in</strong>e „Junta der Guten Regierung“ 39 ansässig,die nach dem „<strong>zapatistischen</strong> Motto des [...] gehorchend Befehlen“ 40 die Regionenkoord<strong>in</strong>iert. „Die Juntas [...] wer<strong>den</strong> aus mehreren Delegiertengruppen der jeweils zugehörigenautonomen Landkreise gebildet (<strong>in</strong> der Regel zwei Personen pro Gruppe fürdrei Jahre)“ 41 .Auch die EZLN wird von der Basis regiert. Das „Klandest<strong>in</strong>e Revolutionäre IndigeneKomitee – Generalkommandantur“ (CCRI-CG) wird von „verschie<strong>den</strong>en Basen der32 <strong>Chiapas</strong> ist e<strong>in</strong>er der ärmsten Bundesstaaten im Sü<strong>den</strong> Mexikos33 EZLN ist die Abkürzung für die „Nationale Zapatistische Befreiungsarmee“34 I., Stefan K., Konzeption und Praxis der <strong>zapatistischen</strong> Bewegung, Münster 2006, Internet 1, 27.02.200735 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.18736 I., Stefan K., Konzeption und Praxis der <strong>zapatistischen</strong> Bewegung, Münster 2006, Internet1, 27.02.200737 „caracole“ bedeutet Schneckenhaus; dies soll das „basisdemokratische Selbstverständnis – das durch Zuhören [...]gekennzeichnet ist - vers<strong>in</strong>nbildlichen“ (Kerkel<strong>in</strong>g, 2006, S.245)38 Siller, N./Schmidt, E., Preguntando cam<strong>in</strong>amos – Über das Zapatistische Politikverständnis, Internet 2, 27.02.200739 „junta“ bedeutet Rat, Versammlung; die „Juntas der guten Regierung“ stehen „<strong>in</strong> Abgrenzung zur offiziellen‚schlechten Regierung‘“ (Kerkel<strong>in</strong>g 2006, S. 242)40 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.242 f.41 Ebenda, S.244 f.


8<strong>zapatistischen</strong> Bewegung gebildet und erhält von diesen auch die Mandate, die es an dieentsprechen<strong>den</strong> Aktivist<strong>in</strong>nen und Aktivisten weitergibt“ 42 .3.3. KollektivismusDa <strong>Chiapas</strong> e<strong>in</strong>e landwirtschaftlich geprägte Region ist, ist die Landfrage bei <strong>den</strong> Zapatistasvon besonderer Bedeutung. Nach dem „Revolutionären Agrargesetz der EZLNvon 1993“ wer<strong>den</strong> die Ländereien, die größer als 50 Hektar s<strong>in</strong>d 43 , „an die landlosenBauern und Landarbeiter, die es wünschen, als Kollektiveigentum verteilt, zur Gründungvon Kooperativen, Bauerngesellschaften oder Agrar- und Vieh-Produktionskollektiven. Die betreffen<strong>den</strong> Ländereien sollen kollektiv bearbeitet wer<strong>den</strong>.“44Auch andere Projekte, wie zum Beispiel „der Bau e<strong>in</strong>er Schule oder e<strong>in</strong>er Bibliothekwer<strong>den</strong> [...] kollektiv angegangen“ 45 .4. Die Rolle anarchistischer Ideen im <strong>Aufstand</strong>4.1. Das Verhältnis von Theorie und PraxisDa der Anarchismus ke<strong>in</strong>e „e<strong>in</strong>heitliche, <strong>in</strong> sich abgeschlossene Ideologie“ 46 ist, kannman bei <strong>den</strong> Zapatistas nicht von e<strong>in</strong>er konkreten Umsetzung des Anarchismus sprechen.Für Hans Jürgen Degen und Jochen Knoblauch ist Anarchismus „etwas fürSelbst<strong>den</strong>ker und Selbstentscheider, er ist offen für Weiter<strong>den</strong>ker“ 47 , die sich nicht zu<strong>den</strong> „anarchistischen Klassikern“ bekennen müssen.Das Pr<strong>in</strong>zip des Selbst<strong>den</strong>kens verfolgen auch die Zapatistas. Sie betonen „dass es ‚<strong>den</strong>’Zapatismus als Theorie gar nicht gebe, sie also nicht über e<strong>in</strong>e starre und fertige Programmatik“verfügen. Bezeichnend hierfür ist ihr Motto „fragend schreiten wir voran“.48Trotzdem lassen sich entschei<strong>den</strong>de Parallelen aber auch Widersprüche zu anarchistischenGrundpfeilern und Konzepten f<strong>in</strong><strong>den</strong>, die im Folgen<strong>den</strong> <strong>auf</strong>gezeigt wer<strong>den</strong>.42 Ebenda, S. 14443 bei schlechter Qualität des Landes ist die Grenze 100 Hektar44 Der Mexikanische Wecker, Informationsorgan der EZLN, Nr.1, Dezember 1993, <strong>in</strong> Mittelstädt, H./Schulenburg,Lutz, Der W<strong>in</strong>d der Veränderung. Hamburg 1997, S. 72-7545 Siller, N./Schmidt, E., Preguntando cam<strong>in</strong>amos – Über das Zapatistische Politikverständnis, Internet 2, 27.02.200746 Degen, Hans Jürgen/Knoblauch Jochen, Anarchismus E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Stuttgart 2006, S. 647 Ebenda48 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.261


94.2. Ansichten zu Macht und HerrschaftNikola Siller und Edo Schmidt sehen die zapatistische „‚Anti-Macht’ als Ausdruck derNegation jeglicher Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse“ 49 .Dabei beziehen sie sich <strong>auf</strong> John Holloway, der „Anti-Macht“ nicht als „Gegenmacht“,sondern als „die Auflösung <strong>in</strong>strumenteller Macht, die Emanzipation kreativer Macht“bezeichnet. Unter „<strong>in</strong>strumenteller Macht“ versteht er „Macht über andere“, die er vonder „Macht zu Handeln“, dem „Sich-ermächtigen“, unterscheidet. Erstere geht se<strong>in</strong>erMe<strong>in</strong>ung nach vom Staat aus, während letztere dem Handeln der Zapatistas entspricht. 50Beide Formen der Macht entsprechen jedoch der Def<strong>in</strong>ition von Max Weber, <strong>in</strong> derMacht „als Chance, <strong>den</strong> eigenen Willen auch gegen <strong>den</strong> Widerstand der Betroffenendurchzusetzen“ 51 verstan<strong>den</strong> wird. Die Ausübung von Macht wird oft als Herrschaftdef<strong>in</strong>iert. 52 Wenn man also <strong>den</strong> eigenen Willen gegen <strong>den</strong> Widerstand der Betroffenendurchsetzt, herrscht man.Dass die Zapatistas ihren Willen gegen <strong>den</strong> Widerstand der Regierung durchsetzen,steht außer Frage. Sie herrschen demnach über die Regierung, was zeigt, dass es <strong>in</strong> <strong>Chiapas</strong>ke<strong>in</strong>e vollständige Anarchie gibt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der <strong>Aufstand</strong>anarchistisch ist, da Anarchie nur das angestrebte Ziel ist, e<strong>in</strong>e Utopie, die nicht „vonheute <strong>auf</strong> morgen“ umgesetzt wer<strong>den</strong> kann. 53 Die Frage, ob diese Vorstellung, dassnichts gegen <strong>den</strong> Widerstand anderer durchgesetzt wird, realisierbar ist, werde ich <strong>in</strong>Kapitel 4.4. und 5. behandeln.Den <strong>Aufstand</strong> der Zapatistas sehe ich trotz Machtanwendung als legitim an, weil es e<strong>in</strong>eReaktion <strong>auf</strong> die Macht bzw. die Herrschaft der Regierung ist. Diese Machtstellung istdie Ursache für das gewaltsame „Sich-ermächtigen“ der Zapatistas.4.3. Das Verhältnis der Zapatistas zum Staat„Es ist nicht notwendig, die Welt zu erobern, es reicht, sie neu zu schaffen. Heute.Durch uns.“ 54 „Die Compañeros haben klar und deutlich gesagt, daß die ZapatistischeArmee nicht die Macht anstrebt. [...]Wir wollen <strong>in</strong> Frie<strong>den</strong> leben, mit Demokratie, Freiheitund Gerechtigkeit. Wir wollen ke<strong>in</strong> Amt, ke<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>devorsitz, ke<strong>in</strong>en Gouver-49 Siller, N./Schmidt, E., Preguntando cam<strong>in</strong>amos – Über das Zapatistische Politikverständnis, Internet 2, 27.02.200750 Holloway, John, Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen, Münster 2002, S. 30-5851 Weber, Max, zitiert <strong>in</strong>: Wienold, Hanns (Hg.), Lexikon zur Soziologie, Opla<strong>den</strong> 1978, S. 46952 Müller, Max/Halder, Alois (Hg.), Kle<strong>in</strong>es Philosophisches Wörterbuch, Breisgau 1973, S. 12053 Reichert, William O., zitiert <strong>in</strong>: Degen, Hans Jürgen, „Tu was du willst“. Anarchismus. Grundlagentexte zur Theorieund Praxis, Berl<strong>in</strong> 1987, S. 24254 Subcomandante Marcos, 1996, zitiert <strong>in</strong>: Land und Freiheit, Nr. 25 vom 24. Juni 1996: S. 3-4


10neurssitz, ke<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>isterposten, ke<strong>in</strong>e Botschaft und auch nicht die Führung der Republik“55Diese bei<strong>den</strong> Zitate von Subcomandante Marcos 56 zeigen, dass die EZLN nach ihremSelbstverständnis nicht <strong>den</strong> Staat erobern will. Dies ist e<strong>in</strong>es der Hauptmerkmale desAnarchismus und unterscheidet ihn grundlegend von anderen Theorien, wie z.B. demMarxismus.Trotzdem setzt die EZLN auch teilweise <strong>auf</strong> „staatsorientierten Reformismus“ 57 , dersich z.B. <strong>in</strong> Forderungen nach e<strong>in</strong>er Übergangsregierung oder e<strong>in</strong>er neuen Verfassungäußert. 58 Dies sieht Patricio Nolasco als Indiz dafür, dass die EZLN nicht je<strong>den</strong> Staat„als solchen“ ablehnt, sondern lediglich <strong>den</strong> Staat „<strong>in</strong> der Form, wie er aktuell <strong>in</strong> Mexikobesteht“. 59 Tatsächlich f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> offiziellen Erklärungen der EZLN ke<strong>in</strong>e Aussage,die je<strong>den</strong> Staat grundsätzlich ablehnt. 60Dadurch, dass die Zapatistas reformistische Forderungen an <strong>den</strong> Staat stellen, kann manme<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach jedoch nicht schließen, dass sie Staaten befürworten. John Hollowaybezeichnet die Reformvorschläge sogar als „anti-staatliche Initiativen“ 61 .Um die Frage zu klären, ob die Zapatistas wirklich antistaatlich s<strong>in</strong>d, sollte untersuchtwer<strong>den</strong>, ob <strong>in</strong> <strong>den</strong> autonomen <strong>zapatistischen</strong> Gebieten staatsähnliche Strukturen vorhan<strong>den</strong>s<strong>in</strong>d.Die „Räte der guten Regierung“ sche<strong>in</strong>en zunächst e<strong>in</strong> radikaler Widerspruch zu anarchistischenIdeen darzustellen, da aus anarchistischer Sicht jede Regierung abzulehnenist. Oskar Lub<strong>in</strong> me<strong>in</strong>t <strong>in</strong> dem Zusammenhang, dass es sich um e<strong>in</strong>e unglückliche Bezeichnunghandele, weil die Antistaatlichkeit der Zapatistas „die Rede von e<strong>in</strong>er ‚gutenRegierung’ eigentlich ausschließen müsste“. 62Luz Kerkel<strong>in</strong>g bezeichnet das „Regieren“ der Zapatistas als „e<strong>in</strong>e Umsetzung der Wünscheder Bevölkerung, also e<strong>in</strong> ‚gehorchendes‘ Organisieren“ 63 . Dabei bezieht er sich<strong>auf</strong> John Holloway, der me<strong>in</strong>t, dass „die Trennung zwischen Gesellschaft und Staat ü-55 Subcomandante Marcos, Im Interview mit Marta Durán de Huerta Pat<strong>in</strong>o, zitiert <strong>in</strong>: Durán de Huerta Pat<strong>in</strong>o, Marta,Yo Marcos. Gespräche über die zapatistische Bewegung, Hamburg 200156 Subcomandante Insurgente Marcos ist Sprecher der EZLN57 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.18158 EZLN, Documentos y Comunicados. 1. Band, Mexiko-Stadt 1994, S. 73/27359 Nolasco, Patricio, <strong>in</strong>: Brand, U./Ceceña, A.E. (Hg.), Reflexion e<strong>in</strong>er Rebellion. „<strong>Chiapas</strong>“ und e<strong>in</strong> anderes Politikverständnis,Münster 2000, S. 22360 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.261 f.61 Holloway, John, Der <strong>Aufstand</strong> der Würde, <strong>in</strong>: Brand, U./Ceceña, A.E. (Hg.), Reflexion e<strong>in</strong>er Rebellion. „<strong>Chiapas</strong>“und e<strong>in</strong> anderes Politikverständnis, Münster 2000, S. 12562 Lub<strong>in</strong>, Oskar, Schwarz-Rot <strong>in</strong> <strong>Chiapas</strong>, <strong>in</strong>: graswurzel revolution, Nr. 285, Münster 2004, S. 1263 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.263 f.


11berwun<strong>den</strong> und der Staat tatsächlich abgeschafft wäre“, wenn man dieses Pr<strong>in</strong>zip vollständige<strong>in</strong>geführt habe. 64Tatsächlich haben die Räte der guten Regierung meist organisatorische Aufgaben. Diesebestehen z.B. aus dem Vermitteln bei Konflikten, der Begleitung bei Besuchen sowieder Förderung von Projekten. Es ist aber auch von der „Überwachung der E<strong>in</strong>haltungvon Gesetzen, die nach geme<strong>in</strong>samer Absprache mit <strong>den</strong> Geme<strong>in</strong><strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> rebellischenLandkreisen gelten“, die Rede. 65Diese Aufgabe ist typisch für Staaten, allerd<strong>in</strong>gs ist bei <strong>den</strong> Zapatistas mit „Überwachung“me<strong>in</strong>es Erachtens nicht unbed<strong>in</strong>gt die gewaltsame Umsetzung der Gesetze geme<strong>in</strong>t.Dazu fehlt <strong>den</strong> Räten der guten Regierung die Exekutive. Es gibt ke<strong>in</strong>e Polizeioder Armee, die für die E<strong>in</strong>haltung der Gesetze sorgt.So hat sich die EZLN, die dafür <strong>in</strong> Betracht käme, größtenteils aus <strong>den</strong> zivilen <strong>zapatistischen</strong>Strukturen zurückgezogen. 66Bei e<strong>in</strong>em Bruch von Gesetzen können die Räte der guten Regierung also gar nicht mitautoritären Mitteln tätig wer<strong>den</strong>. Subcomandante Marcos bezeichnet sie deshalb als„Institutionen des Dialogs, nicht der Bestrafung“ und bekräftigt dies: „Wenn jemandmöchte, dass irgendetwas bestraft wird, gehen sie zu e<strong>in</strong>em offiziellen Gericht, aberwenn jemand e<strong>in</strong>e Lösung durch Dialog und Abkommen will, wen<strong>den</strong> sie sich an dieRäte der Guten Regierung.“ 67Diese versuchen dann mit <strong>den</strong> Betroffenen e<strong>in</strong>e Lösung zu f<strong>in</strong><strong>den</strong>, die laut SubcomandanteMarcos auch mit Zwang durchgesetzt wer<strong>den</strong> kann: „Wenn e<strong>in</strong>e Person e<strong>in</strong>er anderenetwas stiehlt, regelt die Geme<strong>in</strong>de die Angelegenheit, <strong>in</strong>dem sie diese Person dazuzw<strong>in</strong>gt, zu arbeiten, um das Diebesgut wieder zu ersetzen.“ 68Er berichtet jedoch auch von Fällen, <strong>in</strong> <strong>den</strong>en Straffällige durch Inhaftierung bestraftwur<strong>den</strong>, die der Abschreckung dienen sollte. 69Viele AnarchistInnen sehen <strong>in</strong> solchen Strafmaßnahmen e<strong>in</strong> Herrschaftsmittel, das abzulehnenist. So schreibt Alexander Berkmann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Das ABC des Anarchismus“:„Die Anarchie würde <strong>den</strong> ‚Krim<strong>in</strong>ellen’ zuallererst verpflegen und ihm Arbeitverschaffen, anstatt ihn zuerst zu beobachten, zu verhaften, vor Gericht zu br<strong>in</strong>genund e<strong>in</strong>zusperren“. Desweiteren ist Berkmann der Ansicht, dass es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anarchisti-64 Holloway, John, Der <strong>Aufstand</strong> der Würde, <strong>in</strong>: Brand, U./Ceceña, A.E. (Hg.), Reflexion e<strong>in</strong>er Rebellion. „<strong>Chiapas</strong>“und e<strong>in</strong> anderes Politikverständnis, Münster 2000, S. 12565 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.243 f.66 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.14667 Subcomandante Insurgente Marcos, E<strong>in</strong> gelesenes Video, Teil 4, 2003, Internet 3, 27.02.200768 Subcomandante Insurgente Marcos, zitiert <strong>in</strong>: Rovira, Guiomar, Zapata est vivant: I’<strong>in</strong>surrection des <strong>in</strong>digènes du<strong>Chiapas</strong> racontée par eux-mêmes, Paris 1995, S. 25069 Subcomandante Insurgente Marcos, E<strong>in</strong> gelesenes Video, Teil 5, 2003, Internet 4, 27.02.2007


12schen Gesellschaft weniger Gründe für Verbrechen gäbe, und diese nur <strong>auf</strong> dem e<strong>in</strong>igeZeit fortbestehen<strong>den</strong> „Geist von Zwang und Gewalt“ beruhen. 70E<strong>in</strong> weiteres von Subcomandante Marcos genanntes Beispiel für <strong>den</strong> Umgang mit Straftäternist der Ausschluss aus der Geme<strong>in</strong>de. Hier f<strong>in</strong><strong>den</strong> sich Parallelen zu Bakun<strong>in</strong>, derme<strong>in</strong>te, dass das Individuum Verantwortung gegenüber der Geme<strong>in</strong>schaft trage, der esnach freier Zustimmung angehören wolle. 71Die Zustimmung e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft anzugehören, kann man me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nachjedoch nicht als „frei“ bezeichnen, da sie durch natürliche Zwänge herbeigeführt wurde.Wie Bakun<strong>in</strong> richtig feststellte, ist der Mensch e<strong>in</strong> soziales Wesen. Der Mensch ist sowohl<strong>auf</strong> soziale Kontakte als auch <strong>auf</strong> gesellschaftliche Arbeitsteilung angewiesen.Demnach ist der Ausschluss aus e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft me<strong>in</strong>es Erachtens auch e<strong>in</strong>Zwangsmittel.Nach anarchistischen Konzepten, die nur „Herrschaft von Menschen über Menschen“ 72ablehnt und natürliche Zwänge nach dieser Def<strong>in</strong>ition nicht berücksichtigt, wäre derAusschluss aus der Geme<strong>in</strong>de ke<strong>in</strong> Herrschaftsmittel und somit legitim.Dies bestätigt Ralf Burnicki, der sagt, dass Individuen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft lebenwollen, bereit se<strong>in</strong> wer<strong>den</strong>, deren Belange zu berücksichtigen. 73 Die logische Konsequenzwäre, dass Menschen, die diese Belange nicht berücksichtigen, auch nicht <strong>in</strong> derGeme<strong>in</strong>schaft leben dürfen.Das Beispiel der Inhaftierung zeigt me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach, dass es e<strong>in</strong>ige Züge staatlicherMacht <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>zapatistischen</strong> Strukturen gibt, die anarchistischen Positionen widersprechen.Zudem besteht auch bei <strong>den</strong> organisatorischen Aufgaben der Räte der guten Regierungdie Gefahr, dass sich e<strong>in</strong>e Machtstellung entwickelt.Dem versuchen die Zapatistas mit verschie<strong>den</strong>en basisdemokratischen Mitteln entgegenzuwirken.4.4. Direktdemokratie als Anarchie?Die Zapatistas bekennen sich nicht zum Anarchismus, aber sie fordern Demokratie.Für manche ist Demokratie und Anarchismus e<strong>in</strong> Widerspruch, für andere bed<strong>in</strong>gen siee<strong>in</strong>ander. 7470 Berkmann, Alexander, ABC des Anarchismus, Berl<strong>in</strong> 1929, S. 16-18, 96-10071 siehe Kapitel 2.1.72 Degen, Hans Jürgen/Knoblauch Jochen, Anarchismus E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Stuttgart 2006, S. 1073 Burnicki, Ralf, Anarchie als Direktdemokratie, Moers 1998, S. 8474 siehe Burnicki, 1998 und Internet 6


13Dies liegt an unterschiedlichen Auffassungen der bei<strong>den</strong> Begriffe. Wir haben bereitsgesehen, dass Anarchismus e<strong>in</strong> breit gefächerter, viel umfassender, flexibler Begriff ist.Ähnlich verhält es sich bei dem Begriff Demokratie. Er kommt auch aus dem Griechischenund wird oft mit „Volksherrschaft“ übersetzt.Da <strong>in</strong> diesem Begriff das Wort „Herrschaft“ vorkommt, sche<strong>in</strong>t es zunächst so, als wärenDemokratie und Anarchismus unvere<strong>in</strong>bar.Die Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass das Volk herrscht. Dies wird meistensso <strong>in</strong>terpretiert, dass Entscheidungen durch die Mehrheit getroffen wer<strong>den</strong> und für allegelten.Die Mehrheit herrscht somit über die M<strong>in</strong>derheit. Dies wäre mit dem Anarchismus nichtvere<strong>in</strong>bar. Deshalb schlagen AnarchistInnen vor, dass Entscheidungen im Konsensverfahrengetroffen wer<strong>den</strong>. Das bedeutet, dass jeder e<strong>in</strong> Veto e<strong>in</strong>legen kann. 75E<strong>in</strong>e häufig geäußerte Kritik an diesem Verfahren ist, dass Individuen unterschiedlicheBedürfnisse haben, die mit e<strong>in</strong>er Entscheidung nicht alle befriedigt wer<strong>den</strong> können. 76Nun stellt sich zunächst die Frage, ob die Individuen egoistisch s<strong>in</strong>d oder an das Wohlder Allgeme<strong>in</strong>heit <strong>den</strong>ken. AnarchistInnen haben oft e<strong>in</strong> positives Menschenbild, dasbesagt, dass die Menschen an das Allgeme<strong>in</strong>wohl <strong>den</strong>ken. 77 Auf die Frage nach demMenschenbild werde ich <strong>in</strong> Kapitel 5 noch näher e<strong>in</strong>gehen.Außerdem stellt sich die Frage, ob sich Entscheidungen „zwecksrational“ zum Wohleder Allgeme<strong>in</strong>heit treffen lassen. Das würde bedeuten, dass es e<strong>in</strong>e „richtige“ Entscheidung,„die Wahrheit“ gäbe. Diese Vorstellung wird jedoch stark angezweifelt. Aberauch wenn man annimmt, dass es diese „Wahrheit“ gibt, ist es me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach beivielen Entscheidungen fraglich, ob alle Beteiligten von dieser überzeugt wer<strong>den</strong> können.78Wenn also ke<strong>in</strong> Konsens zustande käme, würde „ke<strong>in</strong>e Entscheidung“ getroffen wer<strong>den</strong>.„Ke<strong>in</strong>e Entscheidung“ ist jedoch auch e<strong>in</strong>e Entscheidung. Es würde entschie<strong>den</strong>, dasssich nichts ändert. Diese Entscheidung würde allerd<strong>in</strong>gs auch gegen <strong>den</strong> Willen der Beteiligtengetroffen. Demnach ist es zw<strong>in</strong>gend notwendig, dass es Mehrheitsbeschlüssegibt, wenn ke<strong>in</strong> Konsens zustande kommt. 79Diese s<strong>in</strong>d zwar nicht immer herrschaftsfrei, liefern jedoch die größtmögliche Freiheit.75 Burnicki, Ralf, Anarchie als Direktdemokratie, Moers 1998, S. 14f.76 jungdemokratInnen-junge l<strong>in</strong>ke, Landesverband Sachsen-Anhalt, Was ist Radikaldemokratie?, 2003, Internet 5,27.02.200777 siehe Kapitel 2.2.78 vgl.: jungdemokratInnen-junge l<strong>in</strong>ke, Landesverband Sachsen-Anhalt, Was ist Radikaldemokratie?, 2003, Internet5, 27.02.200779 vgl.: Wilke, Mart<strong>in</strong>, Demokratie statt Anarchie – Über die Unmöglichkeit, Herrschaft abzuschaffen, Internet 6,27.02.2007


14Dies haben die Zapatistas erkannt. Viele Entscheidungen wer<strong>den</strong> <strong>auf</strong> lokaler Ebene <strong>in</strong>Versammlungen diskutiert und getroffen. Oft - aber nicht immer - kommt es dabei zue<strong>in</strong>em Konsens. 80E<strong>in</strong> weiteres Problem der Demokratie ist, dass aus organisatorischen Grün<strong>den</strong> nicht alleEntscheidungen <strong>in</strong> Vollversammlungen getroffen wer<strong>den</strong> können.In <strong>den</strong> meisten Industriestaaten hat sich deshalb die „repräsentative Demokratie“ durchgesetzt,<strong>in</strong> der das Volk VertreterInnen wählt, die für e<strong>in</strong>e bestimmte Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmtenRahmen Entscheidungen treffen dürfen.Für viele AnarchistInnen stellt die Repräsentation e<strong>in</strong> Machtverhältnis dar, das abzulehnenist. 81 Alternativ schlagen sie oft e<strong>in</strong> föderatives Rätesystem vor. 82Die Zapatistas haben e<strong>in</strong> solches System konstruiert. Von <strong>den</strong> Versammlungen wer<strong>den</strong>Be<strong>auf</strong>tragte gewählt, die bestimmte Aufgaben bekommen. Sie s<strong>in</strong>d nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gemMaße befugt, <strong>in</strong> <strong>den</strong> Räten selbst Entscheidungen zu treffen. Bezeichnend hierfür ist dasbereits erwähnte Pr<strong>in</strong>zip des „gehorchend Befehlens“, das mit e<strong>in</strong>em imperativen Mandatzu vergleichen ist. Wenn e<strong>in</strong> Be<strong>auf</strong>tragter nicht mehr die Wünsche der Basis umsetzt,so kann er jederzeit ersetzt wer<strong>den</strong>. 83Weitere Maßnahmen, wie z.B. die Rotation, sollen Korruption und Machtpositionenentgegenwirken. 84Auch e<strong>in</strong> Rätesystem, wie es die Zapatistas haben, stellt me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gemMaße e<strong>in</strong>e repräsentative Demokratie dar. Die Mechanismen der Zapatistas versuchen,die Repräsentation und die Machtentwicklung möglichst zu verh<strong>in</strong>dern, allerd<strong>in</strong>gsist sie nie völlig ausgeschlossen.4.5. Vergleich mit klassischen anarchistischen KonzeptenAuf <strong>den</strong> ersten Blick sche<strong>in</strong>en die Zapatistas nichts mit klassischen anarchistischenKonzepten geme<strong>in</strong>sam zu haben. Die EZLN hat sich nie als anarchistisch bezeichnetund hat ihren Ursprung eher im Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus. 85Auf der anderen Seite ist e<strong>in</strong> Landkreis nach dem mexikanischen Anarchisten RicardoFlores Magón, und e<strong>in</strong>er nach der von ihm stammen<strong>den</strong> Parole „Tierra y Libertad“ benannt.8680 Holloway, John, Der <strong>Aufstand</strong> der Würde, <strong>in</strong>: Brand, U./Ceceña, A.E. (Hg.), Reflexion e<strong>in</strong>er Rebellion. „<strong>Chiapas</strong>“und e<strong>in</strong> anderes Politikverständnis, Münster 2000, S. 11581 Burnicki, Ralf, Anarchie als Direktdemokratie, Moers 1998, S. 1682 siehe Kapitel 2.83 I., Stefan K., Konzeption und Praxis der <strong>zapatistischen</strong> Bewegung, Münster 2006, Internet 1, 27.02.200784 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.24585 Holloway, John, Der <strong>Aufstand</strong> der Würde, <strong>in</strong>: Brand, U./Ceceña, A.E. (Hg.), Reflexion e<strong>in</strong>er Rebellion. „<strong>Chiapas</strong>“und e<strong>in</strong> anderes Politikverständnis, Münster 2000, S. 11186 siehe Kapitel 2.2.


15Daran kann man bereits sehen, dass der <strong>Aufstand</strong> durchaus von anarchistischen Theorienbee<strong>in</strong>flusst ist.Dies äußert sich u.a. <strong>in</strong> <strong>den</strong> bereits festgestellten Pr<strong>in</strong>zipien wie z.B. dem „Theorie-Praxis-Verhältnis“, der „Anti-Macht“, der „Antistaatlichkeit“ sowie dem Bestreben e<strong>in</strong>Rätesystem und Konsensentscheidungen herbeizuführen. 87Auch <strong>auf</strong> der theoretischen Ebene f<strong>in</strong><strong>den</strong> sich Parallelen, aber auch Gegensätze zu Konzeptenwie <strong>den</strong>en von Bakun<strong>in</strong> oder Kropotk<strong>in</strong>.Die Theorie Bakun<strong>in</strong>s baut zu e<strong>in</strong>em großen Teil <strong>auf</strong> der Verne<strong>in</strong>ung Gottes <strong>auf</strong>. 88Diese ist bei vielen Zapatistas nicht gegeben. So s<strong>in</strong>d viele Zapatistas katholisch undAnhänger der Befreiungstheologie, die sich auch politisch für die Rechte der <strong>in</strong>digenenBevölkerung e<strong>in</strong>setzt, was jedoch für Bakun<strong>in</strong>s Theorie unbedeutend ist. 89„Die Gottesidee“, so Bakun<strong>in</strong>, „enthält die Abdankung der menschlichen Vernunft“. 90Obwohl viele Zapatistas religiös s<strong>in</strong>d, beziehen sich die Zapatistas auch <strong>auf</strong> die Vernunft:„Die Macht und die Lügen wer<strong>den</strong> niemals stärker als die Vernunft se<strong>in</strong>“ 91 .Daraus folgt, dass die Zapatistas, wie Bakun<strong>in</strong> es vorsieht, Entscheidungen <strong>auf</strong> der Vernunftbasierend treffen wollen. Diese Vernunft wäre jedoch nach Bakun<strong>in</strong> durch <strong>den</strong>Glauben an Gott e<strong>in</strong>geschränkt.Es f<strong>in</strong><strong>den</strong> sich auch Aussagen der Zapatistas, die Ähnlichkeiten zu Ideen von Kropotk<strong>in</strong><strong>auf</strong>weisen. So spricht Subcomandante Marcos von dem „Sich-Organisieren“. Er habe„z.B. nach dem Erdbeben 1985 gesehen, daß sie sich organisieren können: Die Menschenhaben sich weit über die Spontaneität, Wohltätigkeit oder simple Solidarität h<strong>in</strong>ausorganisiert und haben <strong>den</strong> Notstandsplan der Regierung übertroffen“ 92 .Ähnliche Beispiele benutzt Kropotk<strong>in</strong>, um se<strong>in</strong> positives Menschenbild und die Funktionalitätdes Organisationspr<strong>in</strong>zip der „freien Vere<strong>in</strong>barung“ zu belegen: „Die Gesellschaftenvom ‚Roten Kreuz‘ haben sich frei organisiert, überall, <strong>in</strong> jedem Lande, anTausen<strong>den</strong> von Orten, und als der Krieg von 1970-71 ausbrach, machten sich die Freiwilligenan ihr Werk.“ 93E<strong>in</strong> entschei<strong>den</strong>der Unterschied zwischen dem kollektiven und dem kommunistischenAnarchismus liegt <strong>in</strong> der Art, wie gewirtschaftet wird. Nach Bakun<strong>in</strong> soll das Lohnsys-87 siehe Kapitel 4.1.-4.4.88 siehe Kapitel 2.1.89 Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006, S.6090 Bakun<strong>in</strong>, M., Gott und der Staat und andere Schriften, Hrsg. Hillmann, Susanne, Re<strong>in</strong>bek 1969, S. 12091 Marcos, Subcomandante Insurgente, zitiert <strong>in</strong>: Rovira, Guiomar, Zapata est vivant: I’<strong>in</strong>surrection des <strong>in</strong>digènes du<strong>Chiapas</strong> racontée par eux-mêmes, Paris 1995, S. 31092 Marcos, Subcomandante Insurgente, zitiert <strong>in</strong>: Rovira, Guiomar, Zapata est vivant: I’<strong>in</strong>surrection des <strong>in</strong>digènes du<strong>Chiapas</strong> racontée par eux-mêmes, Paris 1995, S. 24593 Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Die freie Vere<strong>in</strong>barung. E<strong>in</strong> anarchistisches Organisationspr<strong>in</strong>zip, Osnabrück


16tem bestehen bleiben während Kropotk<strong>in</strong> fordert, dass Produkte für alle frei zugänglichgemacht wer<strong>den</strong>. 94Ihr geme<strong>in</strong>samer Gedanke, dass das Privateigentum <strong>auf</strong>gelöst und kollektiv gewirtschaftetwer<strong>den</strong> sollte, wird von <strong>den</strong> Zapatistas umgesetzt. Die „zapatistische Losung Paratodos todo (Alles für alle)“ zeugt davon, dass die Erträge der Produktion „allen aus derGeme<strong>in</strong>schaft zugute kommen“. 955. SchlussbetrachtungDer Vergleich des <strong>zapatistischen</strong> <strong>Aufstand</strong>es mit Konzepten des Anarchismus hat gezeigt,dass die Aufständigen bewusst oder unbewusst e<strong>in</strong>ige anarchistische Ideen umsetzen.So s<strong>in</strong>d ihre Organisationsstrukturen weitgehend antistaatlich und ihr Kollektivgedankeist <strong>den</strong> Ideen Bakun<strong>in</strong>s, Kropotk<strong>in</strong>s und Magón ähnlich.Am Beispiel der Direktdemokratie wurde jedoch auch deutlich, dass es <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>zapatistischen</strong>Geme<strong>in</strong><strong>den</strong> ke<strong>in</strong>e vollkommende Abwesenheit von Herrschaft gibt, und dass dieseauch nicht möglich se<strong>in</strong> wird.Das liegt me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach nicht an dem Menschen, der wie e<strong>in</strong>ige Kritiker desAnarchismus behaupten, von Natur aus egoistisch sei. In diesem Punkt gebe ich PetrKropotk<strong>in</strong> Recht. Beispiele, wie das der Zapatistas, zeigen, dass Solidarität zwischenMenschen möglich ist, und dass diese somit nicht von Natur aus egoistisch <strong>den</strong>ken. Ichwürde aber nicht wie Kropotk<strong>in</strong> sagen, dass der Mensch von Natur aus solidarisch ist.Dies kann teilweise stimmen, allerd<strong>in</strong>gs hat sich der Mensch me<strong>in</strong>es Erachtens weitgehendvon Inst<strong>in</strong>kten gelöst und se<strong>in</strong> heutiges Verhalten ist zu e<strong>in</strong>em großen Teil sozialisiert.Diese Sozialisation kann me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach so gestaltet wer<strong>den</strong>, dass Konkurrenz,Gewalt und Herrschaft möglichst vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> und der Mensch sich so zu e<strong>in</strong>emsolidarischen Wesen entwickelt.Dem Argument, dass e<strong>in</strong>e Konsensentscheidung aber nicht immer möglich ist, da Menschennicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, alle Entscheidungen rational zu entschei<strong>den</strong>, stimme ichzu.Somit sehe ich <strong>in</strong> der Demokratie, die Mehrheitsbeschlüsse anwendet, e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zip, dasdie größtmögliche Freiheit aller ermöglicht.94 siehe Kapitel 2.1. und 2.2.95 Siller, N./Schmidt, E., Preguntando cam<strong>in</strong>amos – Über das Zapatistische Politikverständnis, Internet 2, 27.02.2007


17Dieses Pr<strong>in</strong>zip versuchen die Zapatistas <strong>auf</strong> radikale Weise umzusetzen. Sie übertragenes <strong>auf</strong> viele Lebensbereiche, wie z.B. <strong>auf</strong> die Wirtschaft, und halten die Repräsentation,die immer die Gefahr e<strong>in</strong>er großen Machtstellung be<strong>in</strong>haltet, <strong>in</strong> Grenzen.Dieser e<strong>in</strong>zigartige Versuch der Zapatistas stellt für mich e<strong>in</strong>e ernstzunehmende Alternativezu <strong>den</strong> Gesellschaftsformen der „modernen“ Staaten dar; er muss aber auch stetskritisch betrachtet wer<strong>den</strong>.So stellen sich für mich z.B. die Fragen, ob nicht schon e<strong>in</strong>e enorme Informations- undKommunikationshierarchie zwischen führen<strong>den</strong> Personen, wie z.B. SubcomandanteMarcos, und der Basis bestehen, und ob die militärische Gewalt der EZLN e<strong>in</strong>e Lösungder Probleme <strong>in</strong> Mexiko darstellt.6. Quellenverzeichnis6.1. LiteraturBakun<strong>in</strong>, Michael, Zusammenfassung der Grundideen des Revolutionären Katechismus(1866), <strong>in</strong>: Borries, A.v./Brandies, I. (Hrsg.), Anarchismus. Theorie, Kritik, Utopie.Texte und Kommentare. Frankfurt 1970, S. 107-110Bakun<strong>in</strong>, Michael, Gott und der Staat und andere Schriften, Hrsg. Hillmann, Susanne,Re<strong>in</strong>bek 1969Bakun<strong>in</strong>, Michael, Staatlichkeit und Anarchie, Hrsg.: Stuke, Horst, Frankfurt 1972Berkmann, Alexander, ABC des Anarchismus, Berl<strong>in</strong> 1929Burnicki, Ralf, Anarchie als Direktdemokratie, Moers 1998Degen, Hans Jürgen/Knoblauch Jochen, Anarchismus E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Stuttgart 2006Degen, Hans Jürgen, „Tu was du willst“. Anarchismus. Grundlagentexte zur Theorieund Praxis, Berl<strong>in</strong> 1987


18Durán de Huerta Pat<strong>in</strong>o, Marta, Yo Marcos. Gespräche über die zapatistische Bewegung,Hamburg 2001EZLN, Documentos y Comunicados. 1. Band, Mexiko-Stadt 1994Gruppe BASTA, Ricardo Flores Magón: Tierra y Libertad, Münster 2005Holloway, John, Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen, Münster 2002Holloway, John, Der <strong>Aufstand</strong> der Würde, <strong>in</strong>: Brand, U./Ceceña, A.E. (Hg.), Reflexione<strong>in</strong>er Rebellion. „<strong>Chiapas</strong>“ und e<strong>in</strong> anderes PolitikVerständnis, Münster 2000Kerkel<strong>in</strong>g, Luz, ¡La Lucha Sigue! - Der Kampf geht weiter, Münster 2006Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Die Eroberung des Brotes und andere Schriften. Hrsg. Helms, H.G.,München 1973Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Worte e<strong>in</strong>es Rebellen, Hrsg.: Marx Schneider, Dieter, Re<strong>in</strong>bek 1972Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Gegenseitige Hilfe <strong>in</strong> der Mensch- und Tierwelt, Taschenbuchausgabe(Ullste<strong>in</strong> Buch 3225), Berl<strong>in</strong> 1976Kropotk<strong>in</strong>, Petr, Die freie Vere<strong>in</strong>barung. E<strong>in</strong> anarchistisches Organisationspr<strong>in</strong>zip, OsnabrückMittelstädt, H./Schulenburg, Lutz, Der W<strong>in</strong>d der Veränderung. Hamburg 1997,Müller, Max/Halder, Alois (Hrsg.), Kle<strong>in</strong>es Philosophisches Wörterbuch, Breisgau 1973Neumann, Franz, Handbuch Politischer Theorien und Ideologien, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg1977Nolasco, Patricio, Staat, Macht, Zivilgesellschaft und Demokratie, <strong>in</strong>: Brand,U./Ceceña, A.E. (Hrsg.), Reflexion e<strong>in</strong>er Rebellion. „<strong>Chiapas</strong>“und e<strong>in</strong> anderes Politikverständnis, Münster 2000Rovira, Guiomar, Zapata est vivant: I’<strong>in</strong>surrection des <strong>in</strong>digènes du <strong>Chiapas</strong> racontéepar eux-mêmes, Paris 1995Wienold, Hanns (Hrsg.), Lexikon zur Soziologie, Opla<strong>den</strong> 1978Wittkop, J.F., Bakun<strong>in</strong>., Re<strong>in</strong>bek 19746.2. Zeitungengraswurzel revolution, Nr. 285, Münster 2004Land und Freiheit, Nr. 25, Juni 1996


6.3. Internet191. I., Stefan K., Konzeption und Praxis der <strong>zapatistischen</strong> Bewegung, Münster 2006,http://projekte.free.de/bankrott/basta/Konzeption_und_Praxis_der_<strong>zapatistischen</strong>_Bewegung.pdf , 27.02.2007,2. Siller, N./Schmidt, E., Preguntando cam<strong>in</strong>amos – Über das Zapatistische Politikverständnis,2006, http://projekte.free.de/bankrott/basta/2006-07-07_Preguntando_Cam<strong>in</strong>amos.rtf , 27.02.20073. Subcomandante Insurgente Marcos, E<strong>in</strong> gelesenes Video, Teil 4, 2003,http://chiapas.at/ezln/video_4.htm , 27.02.20074. Subcomandante Insurgente Marcos, E<strong>in</strong> gelesenes Video, Teil 5, 2003,http://chiapas.at/ezln/video_5.htm , 27.02.20075. jungdemokratInnen-junge l<strong>in</strong>ke, Landesverband Sachsen-Anhalt, Was ist Radikaldemokratie?,2003, http://www.jdjl-lsa.de/filez/radikaldemokratiebroschuere.pdf,27.02.20076. Wilke, Mart<strong>in</strong>, Demokratie statt Anarchie – Über die Unmöglichkeit, Herrschaftabzuschaffen, http://www.mart<strong>in</strong>wilke.de/anarchie.htm , 27.02.2007Die Quellen aus dem Internet bef<strong>in</strong><strong>den</strong> sich <strong>auf</strong> dieser CD:


7. Erklärung20Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst, dass ich ke<strong>in</strong>e anderenQuellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt und die Stellen der Arbeit, die anderenQuellen dem Wortlaut oder S<strong>in</strong>n entnommen s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> jedem e<strong>in</strong>zelnen Fall unterAngabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht habe.

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