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Umgang mit lyrischen Texten III/2

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Kleines Lexikon wichtigerFachbegriffeBildlichkeit in der Sprache und im GedichtWörter, Sätze und Texte können im Leser oderHörer Vorstellungen hervorrufen - aus derErinnerung oder in der Fantasie. Erzähler undDichter machen davon kunstvollen Gebrauch.Dafür gibt es alte und neue Formen, unter anderemdiese:Anschaulichkeit: Man kann eine Mitteilung soknapp wie möglich formulieren oder soausgestalten, dass wir uns das Mitgeteilte imEinzelnen vorstellen. Beispiel: Der Burgvogt kamund fragte nach dem Passschein. Heinrich vonKleist sagt es in seiner Novelle »MichaelKohlhaas" aber anders: Der Burgvogt, indem ersich noch eine Weste über seinen weitläufigenLeib zuknüpfte, kam und fragte, schief gegen dieWitterung gestellt, nach dem Passschein.Chiffre: Schon die Metaphern der Dichter sind ofteigenwillig; in der modernen Literatur ist der Sinndes Bildes oft "verschlüsselt", also nur schwer zuverstehen (wenn überhaupt), und dann nur auseinem größeren Zusammenhang. Trotzdem kannes sein, dass das verschlüsselte Bild unsbeeindruckt und unser Gefühl anspricht. Beispiel:Wenn es Nacht wirdHebt der Wanderer leise die schweren Lider;Sonne aus finsterer Schlucht bricht.(G. Trakl, Die Sonne - letzte Strophe)Gleichnis: Im Gleichnis wird der Vergleich bis insEinzelne ausgeführt, etwa in einer ganzenGleichnis-Erzählung (Parabel), die eineallgemeine Weisheit oder Lehre veranschaulicht.Beispiele: biblische Gleichnisse; Parabeln undTierfabeln.Metapher: Ein Ausdruck, den man als verkürztenVergleich ohne "wie" gedeutet hat. Wir nennenein hornförmiges Gebäck ein Hörnchen; derMensch hat einen Brustkorb, der Hahn einenKamm, die Blume einen Kelch, die Tür einenFlügel. Besonders alle geistigen und seelischenErlebnisse lassen sich besser im Bilde benennen:den Kopf hängen lassen, die Zähne zeigen [ ... ],frostig sein. .. Umgekehrt übertragen wir auchBilder vom menschlichen Bereich ins Unbelebte:so hat der Tisch einen Fuß, der Berg eine Nase,der Fluss ein Knie usw." (H. Pleticha).Personifizierung/Personifikation: BesondereAusprägungen der Metapher: Die Liebe stirbt. Einlachender Himmel. Dichtung: Gelassen stieg dieNacht an Land,Lehnt träumend an der Berge Wand... (Mörike,Um Mitternacht)Synästhesie: Verschmelzung verschiedenerSinneswahrnehmungen: ein kaltes Blau, eineklirrende Kälte, der beißende Geruch. Beispiel ausder Dichtung: Golden wehn die Töne nieder.... (C.Brentano)Vergleich: Die Sprachform des Vergleichs - in derRegel ein Satz <strong>mit</strong> "wie/als ob/wie wenn..." oder<strong>mit</strong> Verben wie "gleichen, ähneln, aussehenwie..."- ist geeignet eine Aussage zuveranschaulichen oder zu verdeutlichen; z. B. inRedewendungen der Alltagssprache: Sie kämpftwie ein Löwe. Mir war, als hätte ich stundenlanggewartet. In der Dichtung ver<strong>mit</strong>telt einüberraschender Vergleich oft einen besonderenEindruck, z. B.: Nacht ist wie ein stilles Meer...Wünsche wie die Wolken sind... J. v. Eichendorff,Nachtblume) Tage wie Vögel und locker wiejunges Haar... (C. Busta, April) Der Vergleichsetzt ein Tertium Comparationis (das Dritte desVergleichs) voraus, das heißt, dass "Bildspender"und "Bildempfänger" ein gemeinsames Merkmalhaben; z. B.: Wünsche und Wolken bewegen sichschwerelos im unbegrenzten Raum ... Oft wird dieGemeinsamkeit nur angedeutet oder im Gedichtentfaltet.Sprachklang in der DichtungWas wir hören, wenn gesprochen wird, sind derKlang der Sprachlaute und die Stimmführung,ferner der Rhythmus. Wichtige Kunst<strong>mit</strong>tel desSprachklangs sind:KlängeKlangfülle, Klangschönheit (z. T. auchklangsymbolisch):Klingt im Wind ein Wiegenlied,Sonne warm herniederzieht,Seine Ähren senkt das Korn,Rote Beere schwillt am Dorn ...(Th. Storm, Juli)2


Klangsymbolik: Der Sprachklang scheint <strong>mit</strong>dem Gesagten zusammenzupassen:Zitternd flattern GlockenklängeMarschtakt hallt <strong>mit</strong> Wacherufen.Fremde lauschen auf den Stufen.Hoch im Blau sind Orgelklänge...(G. Trakl, Die schöne Stadt)Lautmalerei: Besonders ausgeprägteKlangsymbolik; der Sprachklang ahmt dasDargestellte nach (vgl. Alltagssprache: Ticktack,holterdiepolter, rumpeln . ..):Und es wallet und siedet und brauset und zischt,Wie wenn Wasser <strong>mit</strong> Feuer sich mengt...(F. Schiller, Der Taucher)ReimeWörter bzw. Teile von Wörtern klingen einandergleich. Wichtige Reimarten:Endreime: Gleichklang der Wörter am Versende,vom letzten betonten Vokal an; einsilbig(männlich, stumpf): Lied - zieht; zweisilbig(weiblich, klingend): Mauer - Trauer. ReineReime: Raub - Laub, fliegen siegen; unreineReime: bräunt - scheint; genießen büßen.Binnen- oder Innenreim: Wörter reimeninnerhalb des Verses.Waise: einzelner ungereimter Vers.Assonanz: Die Endwörter klingen nur ähnlich,manchmal nur im VokalAm Abend schweigt die KlageDes Kuckucks im Wald.Tiefer neigt sich das Korn,Der rote Mohn.(G. Trakl, Sommer)ReimordnungenEndreime können im Gedicht oder in einerStrophe verschieden angeordnet sein und dadurchdie Verse unterschiedlich aufeinander beziehen.Wir verdeutlichen das in einem Schema, indemwir reimende Wörter durch gleiche Buchstabenersetzen:Paarreim, Reimpaare:Mann der Arbeit, aufgewacht!Und erkenne deine Macht!Alle Räder stehen still,Wenn dein starker Arm es will. "(G. Herwegh: Bundeslied)aabbKreuzreim, gekreuzter Reim:Das Fräulein stand am MeereUnd seufzte lang und bang,Es rührte sie so sehreDer Sonnenuntergang.(H. Heine, aus: Seraphine)Umschließender (umarmender) Reim:Ein' Gäms auf dem Stein,Ein' Vogel im Flug,Ein Mädel, das klug,Kein Bursch holt die ein.U. v. Eichendorff: Übermut)StrophenDie Gliederung in Strophen zeigt sich zuerst beimLesen. Beim gesungenen Lied wiederholt sich inder Regel <strong>mit</strong> jeder Strophe die Melodie.Traditionell pflegten die Dichter streng geregelteStrophenformen; dabei haben die Strophen einesGedichts gleiche Zellenlängen, gleiche Versmaßeund gleiche Reimordnungen, sie bilden oftSinneinheiten. Gedichte in freien Rhythmensind - vor allem in der Moderne - meist nur inSinnabschnitte gegliedert.Metrum und RhythmusWie in der Musik gibt es in Versen oft einen Takt,den man schlagen kann: das Metrum oderVersmaß. Der Text aber fügt sich dieser Regelnicht immer; wenn er natürlich gesprochen wird,hören wir eine Bewegung der Sprache im Wechselzwischen Regel und Freiheiten - das nennen wirden sprachlichen Rhythmus.Metren, VersmaßeIm Deutschen beruhen die Metren auf den in derSprache festgelegten Wortakzenten: Géister (x‘ x),Gespénst (x x‘), héilige (x‘xx), begeistert (xx‘x)usw. Danach richten sich die "Versfüße" oder"Takte"; sie sind metrische Einheiten <strong>mit</strong> einerbetonten Silbe (Hebung) und meistens ein oderzwei unbetonten Silben (Senkungen) undwiederholen sich mehrmals innerhalb eines Verses(im Druckbild: Verszeile):xx‘(Gespénst) = unbetont + betont: jambisch(griech. Jambus)Es schlúg mein Hérz, geschwínd zu Pférde... (J. W. Goethe, Willkommen undAbschied)abababbax‘x(Géister) = betont + unbetont: trochäisch(griech. Trochäus)3


Füllest wieder Busch und Tál/Still <strong>mit</strong>Nébelglánz ... (J. W Goethe, An den Mond)x‘xx (héilige) = betont + unbetont+ unbetont:daktylisch (griech. Daktylus)Wóllt ihr die Freíheit, so seíd keineKnéchte!(G. Herwegh, Zum Beginn)xxx‘ (Paradíes) = unbetont + unbetont + betont:(griech. Anapäst), in der dt. Dichtungrelativ seltene TaktartEin bekannter daktylischer Vers stammt aus derAntike: der Hexameter. Zusammen <strong>mit</strong> einemPentameter ergibt er die zweizeilige Strophe desDistichons. Hexameter: 6 Daktylen; 2 Senkungendürfen zu einer zusammengezogen werden, nurnicht im vorletzten Takt. Pentameter: 6 Daktylen,im 3. Takt eine Pause statt zwei Senkungen:Im Hexámeter stéigt des Springquells flüssigeSäule,Im Pentámeter drauf fällt sie melódisch heráb.(Fr. Schiller, Das Distichon)Rhythmische FreiheitenSinnbetonung: In zusammenhängender Redewerden die Wortakzente oft durch abweichendesinngemäße oder beabsichtigte Betonungengeschwächt bzw. verstärkt:Ich habe es nicht so gemeint. Ich habe es nicht sogemeint. Ich habe es nicht so gemeint ...Ebenso wird in Gedichten nicht jede Hebungwirklich betont; der Vers klingt "locker". Willman das Metrum beschreiben, gibt es mancheSpielräume:Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,xx’xx’xx xx x‘xIch nahm es so im Wandern <strong>mit</strong>xx‘ xx xx‘ xx x(Th. Storm, Ein grünes Blatt)Enjambement und Zäsur: Ein Vers ist nichtimmer eine geschlossene rhythmische Figur.Manchmal wird er aufgelockert oder gedehnt: ImEnjambement ergeben Satzbau und Sinn, dassman über die Versgrenze hinweg spricht (ohnePause oder Zäsur am Ende der Zelle). Ebensokann innerhalb eines Verses durch Satzbau undSinn eine (kurze) Zäsur oder (längere) Pauseentstehen:Der Morgen kam; es scheuchten seine Trittexx’xx‘⏐ xx’xx’xx‘xDen leisen Schlaf der mich gelind umfing ...xx’xx‘⏐ xx’xx’xx‘...(Goethe, Zueignung)Freie Rhythmen sind Verse, die keinem festenMetrum unterworfen sind, aber trotzdemrhythmisch wirken; so schreiben vor allem vielemoderne Dichter:Ich spreche im Slang aller Tage dererNoch nicht Abend istIn der verachteten und verbissenen derSprache die jedermann entspricht(G. Kunert, Meine Sprache)aus: Deutschstunden 10, Sprachbuch, Cornelsen 1998 14

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