160 LIBOR VESELtjeni chci tobe chvälu ddtii na fest tuto modlitvu peti:[denn ich will dich loben/ und dieses Gebet singen:]In „schroffem" Gegensatz zu diesen erwähnten Vorgängen steht der „Marienieich".Frauenlob schildert bahnbrecherisch die Ereignisse um Jesu Geburt ausMarias Perspektive - zwar auf der Folie des Hohenliedes, immerhin jedoch sehreffektvoll und neuartig - auch wenn er selbstverständlich in der Strophe die Erzählformnicht völlig loswerden kann. (Vgl. 68 ff.)min alter vriedel kuste mich,daz si geseit.ich sach in an, do wart er junc, des vröute sichdiu massenie da ze himel alle.er jach, min brüstel waeren süezer dan der win:Entscheidend für den kompakten Eindruck sind geheimnisvolle Sinnbilderund Beiworte, mit denen Maria angebetet wurde. Sie haben mit der Rhetorik undStilistik zu tun. Auf der Ebene dieser beiden Literaturwissenschaftszweigen findetman sowohl gewisse Ähnlichkeiten, als auch Unterschiede, die den Liederneine eigenartige Originalität verleihen. Man kann in diesem Falle nur schätzen,doch ohne eine befriedigende Antwort, ob Frauenlob mit seiner Reimkunst dasalttschechische Milieu beeinflussen konnte 29 .Vornehmlich die Deskriptio als rhetorische Figur wird zum gemeinsamen Zugaller Lieder. Im Lied „Zdräva krälevno slavnosti" taucht sie in der zweitenStrophe auf - unter anderem in der Schilderung der Empfängnis (Vgl. 22 - 26).Im Lied „Stalatse jest väc divnd" wird dieses rhetorische Mittel mehrmals verwendet,wobei am häufigsten in der Beschreibung „des merkwürdigen Ereignisses"(Vgl. lff.) und schließlich im „Zdräva bozie matko" in der Auslegung vonJohannes Prophezeiung (Vgl. 67 - 70).Wohl am interessantesten wäre, die Deskriptio der Empfängnis näher zu betrachten,weil dieses Thema als ein zentrales Ereignis in allen vier Liedern aufgegriffenwird, doch jedes Mal auf eine andere Weise. Die alttschechischen Liederbewahren mehr oder weniger die traditionelle Richtung, während FrauenlobOb Frauenlob den böhmischen Raum, vornehmlich die alttschechischen Autoren, mit seineraußergewöhnlichen Redekunst beeinflussen konnte, ist nur kaum zu belegen. Doch es wurdenbis jetzt noch nicht ganz die alttschechischen Lieder „Otep myrhy" (Myrrhenbund) und„Sedmero radostf Panny Marie" (Sieben Freuden von Jungfrau Maria) durchforscht, in denenÄhnlichkeiten in der Symbolik und Topik mit Frauenlobs „Marienieich" sichtbar werden.Vgl Stanovskä S.179f. Die Geister scheiden sich auch in der Meinung von Frauenlobsnicht bestätigter Anwesenheit am Prager Hof, bzw. vom „Marienieich" als Auftragswerk fürden böhmischen König Wenzel II. Vgl. Behr, H-J.: Literatur als Machtlegitimation. Studienzur Funktion der deutschsprachigen Dichtung am böhmischen Königshof im 13. Jh., München1989. (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur Bd. 9); Bertau,K.: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, Teil II., München 1992; März, Ch.:Frauenlobs Marienieich. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Monodie. Erlangen 1987.
<strong>ZUR</strong> <strong>RHETORISCHEN</strong> <strong>ARBEITSTECHNIK</strong> <strong>IN</strong> <strong>DER</strong> MARIENDICHTUNG 161die Tradition wieder überragt. Das Lied „Zdräva krälevno slavnosti" greift aufdas Bild von dem längst bekannten Sonnenstrahl zurück. 30Cherubin i Serafin.Pfämocny Benjamincne lote zvolil jest,Te okrSlek sluneönyobklicil jest s milosti,Sila, telo i bozstvie,vySla svatä Trojicez cisteho zivötka.[Cherubin sowie Seraphin./ Der allmächtige Benjamin/ erkor tugendhaftes Lageraus./Der Sonnenstrahl/ umgab dich mit Gnade,/... /Stärke, Leib und Gottheit/die heiligeTrinität ging/aus dem reinen Leib hervor./]Das Bild des Sonnenstrahls, das in manchen Liedern allgemein Gottes Allmachtsymbolisiert, wird hier, was interessant ist, speziell als Umschreibung dergöttlichen Empfängnis verwendet. Der Autor lenkt also absichtlich die Sinngebungdieses Bildes in seine gewünschte Richtung. Viel einfacher und traditionellergehen die Autoren im Lied „Stalaf se jest vec divnä" und „Zdräva boziematko " vor, indem sie nur in der Anlehnung an die Bibel und deren Bilder verharren.Das zuletzt genannte Lied bemerkt in der Auslegung der Empfängnisdarüber hinaus sog. Zweiheit Jesu, unterstrichen mit der verhüllten dreifachenZeitebene - Jesus wird gleichzeitig Vater und Sohn von Maria, das Bild von der„heiligen Rose" deutet noch auf sein Leiden unter dem Kreuz hin 31 .Sobe te vyvolilavSe nebeskä sila,ze byv otec, ijest synz tebe, svatä rüze.Im deutschsprachigen Raum wurde dieses Bild das erstemal im „Amsteiner Mariengebet"aus der Hälfte des 12 Jhs. verwendet, „daz sunnen liet schinet durg mittlen daz glas" DasBild hat keine Anlehnung an die Bibel und wird daher als „nicht biblisches Bild" bezeichnet.Vgl. Schäfer S. 24ff. Der Marienieich umfasst dieses Bild auch, jedoch in ein wenig abgeänderterForm und Deutung.„Das Spiegelgefäß" bezeichnet hier Jesus.In der deutschen Mariendichtung erscheint dieses Bild bereits in Frau Avas Lied ca. vor1127 in viel raffinierterer Struktur, jedoch mit derselben Anlehnung an den biblischen Stoff.(Vgl. lff.)do got hie in erdegebom wollte werden,do hiez er iz vor sagenYsaiam den wissagenUnd ander propheten,daz er is willen hete,daz in ein magit gebare