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Mit leisen Tönen - Andre Matthias - Music for Film and more

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tonDEUTSCHER KOMPONIERT FILMMUSIK FÜR KIRGISISCHE PRODUKTIONDEUTSCHER KOMPONIERT FILMMUSIK FÜR KIRGISISCHE PRODUKTION<strong>Mit</strong> <strong>leisen</strong> <strong>Tönen</strong>AN DIE SPITZEText & Fotos: Timo L<strong>and</strong>siedelDolmetscher: Pavel GlazunovWenn es international wird, holen sie ihn. Dem Hamburger Komponisten <strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong>gelang mit dem <strong>Film</strong> „Die Reise des chinesischen Trommlers“ 2006 der Sprung auf internationalesParkett. Gerade lief "The Light Thief", sein neues Projekt, auf den <strong>Film</strong>festspielenin Cannes. zoom durfte ihm beim Komponieren der Musik des kirgisischen Dramas zuhören.Leidenschaft Musik: <strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong>beim Komponieren des Soundtrackszu „The Light Thief“Sanft klingt der Gesang der alten Frau durch die karge Küche. DieGeräusche des Herdes treten in den Hintergrund, das Geschnatterder Kinder verblasst. Szenen des Alltags in einem kirgisischen Dorf.Dazwischen immer wieder eine leise melancholische Melodie. Fastunmerklich verwebt sich die kirgisische Volksweise der Frau mitder <strong>Film</strong>musik, wird kurz eins mit ihr, trennt sich dann wieder.<strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong> nimmt die Kopfhörer ab. Er nickt zufrieden. Es hatfunktioniert. Jetzt muss nur Regisseur Aktan Arym Kubat das Stückabsegnen.Das gestaltet sich schwieriger als üblich. Denn Komponist undRegisseur können nicht auf eine gemeinsame Sprache zurückgreifen.<strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong> spricht fließend Englisch und hat internationaleErfahrung. <strong>Mit</strong> „Die Reise des chinesischen Trommlers“machte er erstmals weltweit auf sich aufmerksam. Bei der deutschchinesischenKoproduktion, international als „The Drummer“ bekannt,konnte sich der Komponist mit Regisseur Kenneth Bi aufEnglisch austauschen. Die Kommunikation mit dem KirgisenKubat ist etwas komplizierter, denn der spricht nur Russisch. „Dasläuft letztlich über Dritte“, erzählt <strong>Matthias</strong>. „Ich schicke E-Mailsauf Englisch an die Schwiegertochter des Regisseurs nach Bishkek,der Hauptstadt Kirgisistans. Sie kann sehr gut Englisch, übersetztdas und schickt es an ihn weiter.“Trotz Sprachbarriere arbeiteten die beiden Künstler eng zusammenLicht schenken„The Light Thief“ ist der dritte Spielfilm von Regisseur Aktan ArymKubat. Der <strong>Film</strong>emacher wurde 1957 in Koumtouou in Kirgisistangeboren, studierte an der Kunsthochschule und arbeitete dann alsBühnenbildner in einem <strong>Film</strong>studio. Erst 1990 wechselte er ins Regiefach.In „The Light Thief“, in dem Kubat auch die Hauptrollespielt, geht es um einen Elektriker, der die gute Seele eines kleinenkirgisischen Dorfs ist. Doch seine Gutgläubigkeit wird von einemPolitiker ausgenutzt, was unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuert.„Die Hauptidee war, eine Figur zu kreieren, die Lichtschenkt“, sagt der Regisseur und Autor. Ursprünglich wollte er den<strong>Film</strong> sogar ohne Drehbuch machen. Dafür gab es jedoch keine Fördergelder.Fast neun Jahre kämpfte Kubat um die Finanzierung derIdee. Erst im Sommer 2009 konnte er drehen. Seine vorherigen<strong>Film</strong>e waren stark autobiografisch geprägt. Das ist diesmal <strong>and</strong>ers.„Ich habe eher versucht, meine Gefühle in die Figur zu bringen.Das wollte ich nicht unbedingt so machen, aber dadurch ist es meinpolitischster <strong>Film</strong> geworden“, schmunzelt der Kirgise.Der deutsche Produzent Thanassis Karathanos holte <strong>Andre</strong><strong>Matthias</strong> Ende 2009 zu „The Light Thief“ ins Boot. Die beiden hattenschon bei „The Drummer“ zusammengearbeitet. Kubat wolltesich nach einigen Hörproben früherer Projekte unbedingt mit <strong>Matthias</strong>treffen. So machte man ein erstes Zusamenkommen in Berlinaus. Am Abend vor dem Termin bekam <strong>Matthias</strong> den <strong>Film</strong> und sahihn übermüdet noch in der Nacht auf einem Laptop. Am nächstenMorgen hatte er Bedenken. „Ich konnte mir gar nicht vorstellen,was ich an dem <strong>Film</strong> machen könnte, da ich den Eindruck hatte,dass er eine wirklich traditionelle, echt kirgisische Musik brauchte“,erzählt der Komponist.„Das kann ich nicht bringen, ich bin ja keinKirgise!“ Glücklicherweise brachte das Gespräch mit dem RegisseurKlarheit. Der wollte explizit keine traditionelle Musik, sondern<strong>Matthias</strong>’ ganz eigene musikalische Interpretation, die ihm schon inden Hörbeispielen aus dem „chinesischen Trommler“ gefallenhatte.„Er wollte die Stimmung des L<strong>and</strong>es einfangen, aber gefiltertdurch die Wahrnehmung eines <strong>Film</strong>komponisten“, sagt <strong>Matthias</strong>.„Da wusste ich: Das kann ich, das mach ich gerne!“Dann ging alles sehr schnell. Das erste Treffen war am 24. November.Schon zwei Tage später hatte <strong>Matthias</strong> ein paar Demostückegeschrieben. Demos sind üblich, damit Regisseur und Produzenterkennen können, ob der Komponist das Gewünschteumsetzen kann. Am gleichen Tag hatte <strong>Matthias</strong> das „Okay“, er wardabei. Wiederum <strong>and</strong>erthalb Wochen später hatte er bereits für diewichtigsten Szenen Musik geschrieben. Dann ging es in den mühsamenAustausch über die Musik der einzelnen Stücke. Die <strong>Film</strong>version,die der Komponist erhalten hatte, enthielt den fertigenSchnitt, unter den bereits ein so genannter Temptrack gelegt war.Das ist fremde Musik, die bei der Montage in den <strong>Film</strong> gemischtwird, um einen Eindruck zu haben, wie sich die Sequenz mit Musikanhört. Im Idealfall entsprechen Instrumentierung und Stimmungdes Temptracks grob der Vorstellung von dem, was der Regisseurspäter vom Komponisten hören möchte. Die als Demos geschriebenenStücke von <strong>Matthias</strong> dienen bei der weiteren Entwicklungals Referenzrahmen für den Stil des Komponisten.52 zoom 04|1004|10 zoom 53


tonDEUTSCHER KOMPONIERT FILMMUSIK FÜR KIRGISISCHE PRODUKTIONDEUTSCHER KOMPONIERT FILMMUSIK FÜR KIRGISISCHE PRODUKTIONKlavier, <strong>Film</strong> und RuheAus beidem entsteht dann etwas Neues. <strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong> erklärt, wiedas abläuft: „Ich vertone zuerst die Szenen, die bereits im Schnittmit temporärer Musik versehen waren. Ich orientiere mich dabei <strong>and</strong>er Stimmung und teilweise etwas an der Instrumentierung derTempmusik.“ Er arbeitet mit dem Sequenzer Cubase und dem Gigastudiound greift bei der Instrumentierung auf diverse Sample-Bibliotheken, wie die Vienna Symphonic Library zurück. Die wichtigstenDinge, die <strong>Matthias</strong> dann braucht, sind sein Klavier, den<strong>Film</strong> und vor allem Ruhe. Er mag esnicht, wenn ihm jem<strong>and</strong> über dieSchulter guckt. Eine Vorgabe vomRegisseur benötigte er nicht, hier gabes auch wenig konkrete Wünschevon Kubat. „Aber ich brauche Zugangzum <strong>Film</strong>, muss die Emotionder Szene fühlen können“, sagt derKomponist. Für die eingesetzten Instrumenteorientierte sich <strong>Matthias</strong>an der Tempmusik und griff aufseine eigene Palette an Samples zurück,wenn er etwas Neues suchte.Der Komponist wählte zuerst dasErst mit 14 nahm <strong>Matthias</strong> erste Klavierstunden.LINKS• Internetseite von <strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong>:www.<strong>and</strong>rematthias.com• Produktionsfirma von Thanassis KarathanosPallas-<strong>Film</strong>: www.pallasfilm.com• Internetseite von Flötist S<strong>and</strong>ro Friedrich:www.powerflute.chpassende Instrument für die Szene aus und improvisierte dannüber das laufende Bild. „Sobald ich das Gefühl hatte, das stimmtjetzt, brachte ich es in eine Form, die auf das Bild passt“, erklärt er.Danach kamen nach und nach die <strong>and</strong>eren Instrumente dazu.„Während dieses Prozesses wird es dann meins.“ Es gab jedoch Momente,in denen <strong>Matthias</strong> stark von den Vorgaben abwich. So komponierteer ein Stück gezielt für die Szene, in der die Frau eine kirgisischeVolksweise singt. Für die Sequenz wollte Kubat ursprünglichkeine Musik haben. „Das ist meine absolute Lieblingsszene“,gesteht <strong>Matthias</strong>. „Ich bin sehr stolz darauf, was da die Musik fürden <strong>Film</strong> bewirken kann und hoffe, dass das so im <strong>Film</strong> sein wird.“Bei der Auswahl der Instrumente hat sich der Komponist bewusstgegen traditionelle kirgisische Klangkörper entschieden. Essollte nicht wie eine Imitation wirken. Hauptinstrument ist dieOud, ein gezupftes Saiteninstrument, das vom Musiker RomanBunka gespielt wird. Hinzu kommen dreiunterschiedliche Flötenarten: ein armenischesDuduk, eine indonesische Sulingund eine Ney, die mit dem türkisch-iranischenRaum assoziiert wird. Besondersdas Duduk ist aus vielen <strong>Film</strong>musiken dervergangenen Jahre bekannt. „Es wird oftin einer Spielweise eingesetzt, die mittlerweilezu einem Klischee geworden ist“,bemängelt der Komponist. Deshalb ist erbesonders glücklich, dass es dem FlötenspielerS<strong>and</strong>ro Friedrich bei der Aufnahmegelang, die üblichen Klischeeschnörkelzu vermeiden. Zu den Flöten kommennoch eine Gitarre, Geige und Bratsche, sowie einige Perkussionsinstrumentehinzu. Die <strong>Film</strong>musik erinnert durch die Wahl der Instrumenteund der Tonarten an mongolische Melodien.„Es ist jetzteine ruhige, melancholische Musik geworden, die die Klänge derRegion spiegelt und versucht, sie auf emotionale Weise einzufangen,ohne sie zu imitieren.“Kein „Wall-to-wall“Besonders viel Zeit floss bei der Komposition in das Finden desHauptthemas. Für <strong>Matthias</strong> ist vor allem wichtig, dass diesesThema variabel ist und sich an viele Situationen anpassen lässt,ohne dass es ständig als Wiederholung auffällt. Von der in Hollywoodsehr gebräuchlichen „Wall-to-wall“-Musik, die vom Anfangbis zum Ende des <strong>Film</strong>s fast jede Szene bespielt, hält er nichts: „Ichmag es, wenn ein <strong>Film</strong> wenig Musik hat, und die Musik für eineAussage steht.“ In dem 84 Minuten langen <strong>Film</strong> werden am Endeknapp 24 Minuten Musik sein.War ein Stück komponiert, folgte ein weiterer ungewöhnlicherSchritt. Statt nur die Musik zu verschicken, fertigte <strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong>für den kirgisischen Regisseur kleine <strong>Film</strong>sequenzen an, in die erdie Musik bereits einmischte. Aktan Arym Kubat konnte zur Zeitder Komposition technisch die Musik nicht selbst am <strong>Film</strong> ausprobieren.Daher brauchte er die fertige Szene. Das war zwar mehrArbeit für den musikalischen Hamburger, hatte aber auch den Vorteil,dass es keine Probleme mit dem vom Komponisten vorgesehenenTiming gab.„Und ich konnte schon meine Wunschmischungerstellen.“ Dann schickte er die kurze <strong>Film</strong>datei mit seinen An-merkungen zu Koproduzentin Altynai Koichumanova, der Schwiegertochterdes Regisseurs. Die fertigte eine Übersetzung an undschickte alles an Kubat weiter. Anfangs gewöhnungsbedürftig,haben sich beide Seiten schnell mit der Arbeitsweise arrangiert. DieÄnderungswünsche waren für den Komponisten nachvollziehbarund ließen in seinen Augen die Musik wachsen.„<strong>Andre</strong> ist ein wahrerFund“, sagt Regisseur Kubat über seinen Komponisten.Flöten aus der SchweizAm Ende des Kompositionswegs steht immer die Liveaufnahmeder Musik. Im Januar f<strong>and</strong>en die Aufnahmen in Weimar statt. DieFlöten waren bereits vorab vom Schweizer Flötisten S<strong>and</strong>ro Friedrichin dessen Studio eingespielt worden. Komponist <strong>Matthias</strong> ließdie Instrumente einzeln und nicht im Ensemble einspielen. Dassparte Übungs- und Aufnahmezeit und dadurch hatte er in der späterenAbmischung mehr Flexibilität. In der fertigen <strong>Film</strong>tonspurwurden dann Samples und Livemusik zusammengemischt. Das hatden Vorteil, in der Mischung der Musik die genaue Balance zwischender Vision des Komponisten und der Interpretation der Musikerfinden zu können.Dann lag eine letzte Aufgabe vor ihm. Er überwachte die finaleAbmischung des <strong>Film</strong>s, als Geräusche, Dialog und Musik auf derTonspur zusammengeführt wurden. Dort nahm er auch den letztenSchliff an der Szene vor, in der er die kirgisische Volksweise mitseiner <strong>Film</strong>musik verwob. Diese wurde in der Zwischenzeit von RegisseurAktan Arym Kubat abgesegnet. Der Hamburger freut sichdarüber, bleibt aber skeptisch: „Ich glaube es erst, wenn ich es aufder Leinw<strong>and</strong> sehe.“ANDRE MATTHIASHarmonisches Team: <strong>Andre</strong><strong>Matthias</strong> und Regisseur AktanArym Kubat<strong>Andre</strong> <strong>Matthias</strong> ist Jahrgang 1974 und begannschon früh, sich für <strong>Film</strong>musik zu interessieren.Erst als Jugendlicher nahm er seine ersten Klavierstunden,komponierte bald darauf eigene Stücke.Nach dem Abitur studierte er an der UniversitätHamburg Musikwissenschaften mit SchwerpunktKomposition.Nach einigen Theaterproduktionen fing er 1999an, für unabhängig produzierte Kurz- und Langfilme<strong>Film</strong>musik zu schreiben. Seine Werke liefenim Fernsehen und auf Festivals, einige erschienenauch auf DVD – wie die Kurzfilmtrilogie „Nächtein Wilhelmsburg“ und „Die Reise des chinesischenTrommlers“. Letzterer war seine erste internationaleKinoproduktion, zu der auch eine Soundtrack-CD erhältlich ist. Für diese Musik erhielt <strong>Matthias</strong>2008 eine Nominierung für die „Beste Original<strong>Film</strong>musik“ bei den Hongkong <strong>Film</strong> Awards.54 zoom 04|1004|10 zoom 55

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