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Gigantismus in Krähwinkel (Frank Hilberg) - MusikTexte

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<strong>Gigantismus</strong> <strong>in</strong> Krähw<strong>in</strong>kelvon <strong>Frank</strong> <strong>Hilberg</strong>Die Neue Musik wird immer possierlicher. Und: DieNeue Musik spielt immer gigantischer auf. Das ist ke<strong>in</strong>Widerspruch, das s<strong>in</strong>d nur zwei Seiten e<strong>in</strong>er Medaille die„Personenkult“ heißt. E<strong>in</strong> Beispiel aus der jüngsten Vergangenheitbelegt das aufs Erstaunlichste: Der Wolfgang-Rihm-Kult <strong>in</strong> Karlsruhe.Gigantisch waren im vergangenen Jahr die Wolfgang-Rihm-Festspiele (der tatsächliche Titel war: „21. EuropäischeKulturtage“ 1 ), die drei Wochen lang die Stadt überschwemmtenund jeden, ja wirklich jeden W<strong>in</strong>kel desÖrtchens fluteten – Ausstellungen, Filme, Konzerte sowieso,Symposion, Workshops, Gesprächsrunden, alsoe<strong>in</strong>fach alles, bis h<strong>in</strong> zur Straßenmusik. Da war derDamm bereits gebrochen, denn bis dah<strong>in</strong> hatten die EuropäischenKulturtage Epochen, Nationenoder Metropolen thematisiert. WieWolfgang Rihm da als Thema h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>passt?Nun, er ist nicht nur Stadt, Land,Fluss oder Kont<strong>in</strong>ent, sondern e<strong>in</strong> ganzer„eigener Kosmos“, wie Nike Wagnerbef<strong>in</strong>det, die sich nicht nur gerade alsLaudator<strong>in</strong> landauf, landab e<strong>in</strong>en Namenmacht, sondern als Festivalleiter<strong>in</strong>gleich e<strong>in</strong>mal von Krähw<strong>in</strong>kel nachKrähw<strong>in</strong>kel grüßt und Karlsruhe als„das Weimar unserer Tage“ bezeichnet.Und Rihm ist natürlich e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>karnationGoethes, darunter geht’s e<strong>in</strong>fachnicht.Das Motto des Festivals hieß: „Musik baut Europa.Wolfgang Rihm.“ Tja … Nun hat man der Musik ja mancherleizugetraut, aber dass sie baut? Ganze Kont<strong>in</strong>entebaut? Aber es geht ja nicht um irgendwelche Musik, sondernum die von Wolfgang Rihm.„Das wird Karlsruhe <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ,Rihmianum‘ verwandeln“,sagte Rihm-Freund und Leiter der Karlsruher Hochschulefür Gestaltung, Peter Sloterdijk. Mit Worten lässt sich jae<strong>in</strong>e Menge Unheil stiften („mit Namen spielt man nicht“),Rihmania, Rihmoulade, Rihmorama und so weiter – sowurde das Übermaß später denn ja auch benannt –, aberRihmianum, das kl<strong>in</strong>gt denn doch e<strong>in</strong> wenig zahnlos gemümmeltund gefällt bei weitem nicht so gut wie die vonSloterdijk überlieferte Sentenz: Wenn es Wolfgang Rihmnicht gäbe – das Karlsruher Kulturamt hätte ihn erf<strong>in</strong>denmüssen. (Worauf die Augen des Komponisten geleuchtetund er gesagt haben soll: jaa, den Rihmunculus – aberdas ist wieder e<strong>in</strong>e andere Geschichte.)Die Karlsruher hätten Rihm bestimmt erfunden, sies<strong>in</strong>d noch zu ganz anderen Leistungen <strong>in</strong> der Lage. ZumBeispiel zu dem possierlichen „Schild“bürgerstreich, dennBild: Mart<strong>in</strong>a Seebersie zierten e<strong>in</strong> vierzig Quadratmeter großes Stadtschildan der Südtangente mit dem S<strong>in</strong>nspruch „Kl<strong>in</strong>gt genial,kommt von hier. Karlsruhe gratuliert Wolfgang Rihmzum 60.“ (Gewöhnlich steht auf dem Schild: „viel vor.viel dah<strong>in</strong>ter“ – da haben wir auch schon herzhaft lachenmüssen, denn viel „dazwischen“ sche<strong>in</strong>t nicht zu se<strong>in</strong>.)Spätestens damit war die Stoßrichtung klar: Was Telemanne<strong>in</strong>st für Hamburg war, soll nun Rihm für Karlsruhewerden.Man hätte den Personenverherrlichungswahn samtEntgleisung kommen sehen können. 2008 zum Beispiel,als Rihm <strong>in</strong> überlebensgroßer Ganzkörperphotographie(neben Peter Sloterdijk, Peter Weibel und Hans Belt<strong>in</strong>g)die Besucher des ZKM erschreckte.Oder 2011, mit der Gründung des„Karlsruher Rihm Center“ (www.rihmcenter.com)unter dem Dach der „StaatlichenHochschule für Gestaltung“, betriebenvon Achim Heidenreich, daszum Zwecke hat, „der aktiven Förderungdes Werks des Karlsruher KomponistenWolfgang Rihm sowie der Förderungzeitgenössischer Musik <strong>in</strong> der RegionOberrhe<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>“ zu dienen.Dort gibt es recht possierliche D<strong>in</strong>ge zulesen, etwa: „Wolfgang Rihm ist derStadt Karlsruhe <strong>in</strong> all den Jahren immertreu geblieben, hat ihr nie den Rückengekehrt. Karlsruhe ist gewissermaßense<strong>in</strong> Nucleus. Hier lernte er, hier lehrt und komponiertWolfgang Rihm von Anfang an und bildet se<strong>in</strong>erseitsdann prom<strong>in</strong>ente werdende Komponisten aus.“ Amen.Vielleicht könnte man noch mal an S<strong>in</strong>n und Grammatikfeilen, aber so ist es halt, das Internet. Zum Internet gehörtauch der allfällige Button „Gefällt mir“, der am Endedes Jahres ’13 noch immer den Status hat: „Sei der Erstedem dies gefällt.“ Ja, wer hat da den Mut, der Erste zuse<strong>in</strong>?Das alles war vor und um 2012, und alle dachten, gut,Karlsruhe hat nicht viel, und da stürzt man sich eben aufden e<strong>in</strong>zigen Sohn der Stadt, dessen Ruhm über ihre eigenenengen Grenzen strahlt, und so öffneten sie halt dieSchleusen und es war ja auch se<strong>in</strong> Sechzigster und danachwird es gut se<strong>in</strong> mit Rihm-Rihm-Rihm.Damit war es aber noch nicht gut, es kam noch vielgrandioser – und viel … possierlicher.Im April des Jahres 2013 nämlich lud man zu den zweitenWolfgang-Rihm-Festspielen e<strong>in</strong>, die diesmal „ZeitGenuss– Karlsruher Festival für Musik unserer Zeit“ hießen,ja, <strong>in</strong> Krähw<strong>in</strong>kel versteht man sich immer noch auf<strong>MusikTexte</strong> 139 Seite 3


Wort-Kul<strong>in</strong>arik. Rihm steht nicht mehr im Titel, aber aufdem Programm (neben Werken se<strong>in</strong>er Schüler und Freundeund den Klassikern, die mit ihm auf Augenhöhe s<strong>in</strong>d),und se<strong>in</strong> Geist schwebt über allem: „,Ich will bewegenund bewegt se<strong>in</strong>‘: Wolfgang Rihms Statement ist Leitgedanke“,führt Achim Heidenreich, der künstlerische Leitere<strong>in</strong>. Ne<strong>in</strong>, dieses Festival ist nicht so glanzvoll wie dasletztjährige, aber der Ort, wo es stattf<strong>in</strong>det, ist es umsomehr: das „Wolfgang-Rihm-Forum“. Erbaut und im Aprile<strong>in</strong>geweiht als Konzertsaal der Hochschule für Musik.E<strong>in</strong> Forum zu Lebzeiten, wer außer Wagner hatte das gehabt?Das ist wirklich grandios.Aber jetzt wird’s possierlich: denn wer tritt uns im sogenanntenFugen-Foyer aus der Wand entgegen? DerKomponist. Überlebensgroß, halbplastisch mit ausgestreckterHand – als Eisenguss-Skulptur von Crist<strong>in</strong>e Ehman.In hilflosem Realismus, die Gesichtszüge entgleist,die Hand <strong>in</strong> Pathosgeste verkrümmt, auf e<strong>in</strong>en Metallh<strong>in</strong>tergrundmit Rihm-Noten (Computersatz, nicht Faksimile)geschweißt ist es nichts anderes als: Kitsch, gutgeme<strong>in</strong>t und schlecht gemacht. Und br<strong>in</strong>gt damit dasganze Gewese des Personenkults auf den Punkt.Wen soll man da mehr bedauern? Die Hochschule,weil sie <strong>in</strong> ihrem spitzwegischem Drang nicht an sichhalten konnte, ihrem Überhöhungsbedürfnis Ausdruckverleihen wollte und Verniedlichung bekam? Den Komponisten,der es nicht über sich brachte, dieser SchnapsideeE<strong>in</strong>halt zu gebieten und womöglich Opfer endemischerEitelkeit wurde? Die „Künstler<strong>in</strong>“? Ach, warumknau sern: „Jeder hat gewonnen, und Alle sollen Preisehaben“ – sagt der Dodo zu Alice im Wunderland. Undwir haben goldene Zitronen genug, um alle damit zu beehren:Die Hochschule für ihre E<strong>in</strong>falt, den Komponistenfür se<strong>in</strong>e Eitelkeit und alle anderen, die sich um dieVerplüschung verdient gemacht haben, hier aber ausPlatzgründen nicht genannt werden können. (Doch, e<strong>in</strong>eZitrone vergeben wir noch öffentlich, soviel Platz mussse<strong>in</strong>: Sie geht an Susanne Asche, die bei fast allen Rihm-Verherrlichungsprojekten federführend tätig war.)E<strong>in</strong> Detail war übrigens falsch. E<strong>in</strong> Schalk hatte derSkulptur e<strong>in</strong>e Rose zwischen die barmenden F<strong>in</strong>ger gesteckt.Wie aber jeder weiß, gehört da e<strong>in</strong>e Zigarre h<strong>in</strong>.Ach, der Possierlichkeiten wird ke<strong>in</strong> Ende se<strong>in</strong>. DerÜbertreibungen aber auch nicht. Denn Rihm lebt – unddas soll er auch noch lang – <strong>in</strong> neun Jahren ist Siebzigster,und danach geht’s sogar <strong>in</strong> Fünfjahresschritten weiter.Und am Ende se<strong>in</strong>er Tage wird er auf den Turmbergsteigen und auf die bl<strong>in</strong>kende Stadt am glitzerndenRhe<strong>in</strong> h<strong>in</strong>unterblicken. Und diese Stadt wird dann heißen:„Rihmsruhe“. Und dann, ja dann, wird alles gutse<strong>in</strong>.1 Wir berichteten, siehe Ra<strong>in</strong>er Nonnenmann: „König Midasarchipelagus“, <strong>in</strong>: <strong>MusikTexte</strong> 133, 2012, 82–83.Seite 4 <strong>MusikTexte</strong> 139

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