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Abiturrede von Leiter Florian Fock - Hermann Lietz-Schule Spiekeroog

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euch sehr lange bei uns und haben hier ihre zweite Heimat gefunden. Und habensich dabei zum Profisegler, Tüftler oder Musiker entwickelt. Dabei denEinzelnen und die Internatsgemeinschaft ausgleichend im Blick zu behalten hatmich in meiner Rolle nicht nur als Schulleiter sondern als <strong>Leiter</strong> einer großenLern-, Wohn- und Lebensgemeinschaft, so möchte ich die <strong>Lietz</strong> mal nennen, somanches Mal an die Grenzen gebracht, und allmählich habe ich eine Ahnung<strong>von</strong> den Herausforderungen an einen <strong>Leiter</strong> die dieser Betrieb so mit sich bringt.Und so ist es dazu gekommen, dass ihr leider nicht vollständig hier als Jahrgangdiesen Moment erleben könnt. Trotzdem hat Justus es geschafft am Ende einenwürdigen Abschiedsgruß zu hinterlassen und ich möchte auch ihm <strong>von</strong> hier ausalles Gute wünschen.Alljährlich haben wir Altbürgerjahrgänge zu Besuch, die gemeinsam auf<strong>Spiekeroog</strong> ihr 30, 40 oder 45 jähriges Abijubiläum feiern. Und immer malwieder ist jemand dabei, der im Konflikt <strong>von</strong> der <strong>Schule</strong> gegangen ist, und dasGroßwerden hier als sehr spannungsgeladen in Erinnerung behalten hat. DiePrägung durch das Miteinander aber bleibt, mit der gemeinsamen Arbeit <strong>von</strong>jung und alt, aber auch mit den vielen Heimlichkeiten, lebhaft in Erinnerung. Ichmöchte mal aus einer Klassenarbeit <strong>von</strong> 1946 zitieren:“Am Anfang des Sommers mussten die drei obersten Klassen nach Wiesmoorfahren, um für uns Torf zu stechen. Dank ihrer fleißigen Arbeit schafften sieetwa 100 Tonnen, die uns mittels zwei Torfschiffen Anfang September hierhergebracht wurden. Die elfte Klasse lud die Schiffe aus und brachte den Torf mitder Lorenbahn bis auf den Wirtschaftshof, <strong>von</strong> wo aus er in den Keller kam. …Da uns im Winter bei Dunkelheit oft der Strom abgeschaltet wird, brauchen wiralle Petroleumlampen. Deshalb bauen sich viele Schüler schon die möglichstenund unmöglichsten Dauerbrenner und Tranfunzeln. Welche <strong>von</strong> diesenApparaten erlaubt sind, darf man natürlich nicht fragen.“Die Arbeiten <strong>von</strong> heute sind andere, das gemeinschaftsstiftende Prinzip aber istgleich geblieben, bis hin zu gewissen Heimlichkeiten, <strong>von</strong> denen im Nachhineinmit Begeisterung erzählt wird. Welches Wagnis hinter der Schulidee in denAnfangsjahren steckte wird deutlich, wenn man den Ausführungen unseresInselältesten und Nachbarn Heye Deepen lauscht, der vor drei Tagenhundertdrei geworden ist.Hörstück, siehe auchhttp://www.lietz-nordsee-internat.de/de/aktuelles/audio.htmlViele unserer Schüler sind im Laufe der Jahre bei unserem Nachbarn gewesenund haben dort zu festlichen Anlässen musiziert oder sich mit ihm über die <strong>Lietz</strong>unterhalten, an der er selber mal als Lehrer gearbeitet hat. Beispielsweise2


gelegt. Dieser reformpädagogisch Ansatz ist seit einigen Jahren in derKultusministerkonferenz der Länder und damit auch in der offiziellenAbiturprüfungsordnung Niedersachsens angekommen und ich freue michdarüber dass diese tolle Möglichkeit <strong>von</strong> euch genutzt wurde.<strong>Spiekeroog</strong> als Lebensraum: Seit den Gründungsjahren gehört die Segelei zuden <strong>Lietz</strong>er Schwerpunkten. Die <strong>Schule</strong> hat vielen <strong>von</strong> Euch das Segeln nahegebracht, sei es während der High Seas High School oder beim Segeln imWattenmeer. Laura hat sogar für eine ihrer sportpraktischen Prüfungen dasSegeln ausgewählt, und Flo hat uns schließlich sogar bei der Segelausbildunggeholfen!Das Auf und Ab, das ihr hier im Internatsalltag selber persönlich und bei eurenFreunden in engster Nachbarschaft erlebt habt, spiegelt sich dieses Jahr inunserer Segelei wieder. Unser Plattbodenschiff Tuitje, nach äußerstenAnstrengungen in den Werftzeiten auf Vordermann gebracht und als eines derersten Segelschiffe im Frühjahr im <strong>Spiekeroog</strong>er Hafen angekommen, kannaufgrund unerwarteter Schäden zunächst nicht in Betrieb gehen. Bei derPfingstregatta segelt die Besatzung unseren Jollenkreuzer Ayesha an den erstenPlatz, die Albatros-Mannschaft landet bei ablaufendem Wasser im Schlick.Dafür erhält Ayesha während der Segelwoche der 8. Klasse eine ordentlicheDelle und bekommt sommerlichen Sonderurlaub, oder sagen wir besserZwangsurlaub, im Bootsschuppen.Dazu passt ein Zitat aus dem Buch: „ Nimm zuerst ein kleines Boot“ <strong>von</strong>Richard Bode:„Der Mensch lebt in der Annahme, immer alles beherrschen zu müssen – undalles zu beherrschen. Wir glauben, die Welt gehöre uns, sei unser Eigentum,unterstehe unserer Kontrolle. Der Segler weiß jedoch nur zu gut, dass dies einIrrtum ist! Er sitzt an seiner Ruderpinne, wartet, beobachtet und reagiert. Erändert den Kurs, trimmt seine Segel – er segelt. Ein Boot zu meistern bedeutet,das Leben zu meistern.“Liebe Abiturienten, euer Abitur habt ihr in der Tasche. Große persönlicheLeistungen haben euch bis hierhin geführt, und ohne eure Eltern wäre das nichtmöglich gewesen. Nun aber beginnen noch größere Herausforderungen. Wasauch immer jeder einzelne <strong>von</strong> euch vorhat, es wird immer wieder Rückschlägegeben. So wie sich Björn und Mika mit ihren Teams als Segler bei uns nichtunterkriegen lassen, wenn sie nach einem langen Bootsbauerwinter unerwarteteSchäden beseitigen müssen, hat man oft das Gefühl, immer wieder <strong>von</strong> vorneanfangen zu müssen, und ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei denbeiden bedanken für ihren unermüdlichen Einsatz.4


Die Erfahrungen, die ihr hier auf <strong>Lietz</strong> in der Segelei oder den vielen anderenArbeitsgruppen gesammelt habt werden euch hoffentlich dabei helfen, Krisen zumeistern. Und fangt mit einem kleinen Boot an, bis ihr es sicher fahren könntund die Bedeutung der euch treibenden Kräfte sicher einschätzen könnt. „In derWelt des Windes ist es“, so schreibt Richard Bode, „weniger wichtig, mitkörperlicher Gewalt die Kontrolle über das Boot zu behalten, als der Macht desWindes nachgeben zu können“.Ihr habt im Laufe vieler Konflikte im Internatsalltag gelernt, dass Nachgebenviele Facetten hat und nicht gleichbedeutend damit ist zu verlieren. In derSeglersprache <strong>von</strong> Bode hört sich das wie folgt an:„Man muss dem Boot seine Freiheit lassen, es auf den Wind klettern lassen, bisdas Vorsegel ganz leicht flattert. Und dann muss man es ein kleines bisschenvom Wind wegsteuern, bis die Brise das Vorsegel <strong>von</strong> neuem füllt. Nimmt derWind wieder zu, muss man ihn erklettern, den Wind erklettern, eins mit demWind sein. Eins mit dem Wind sein bedeutet, auf der Welt zu Hause zu sein.Frei zu sein <strong>von</strong> moralischen Urteilen. Ein Segler, der es ablehnt, sich nach demWind zu richten, bestimmt seinen Kurs anhand einer Marke an Land, einesWasser-, Leucht- oder Kirchturms. Er hält stur an dieser Marke fest, etwa so,wie ein König an seiner Krone oder ein Eiferer an seiner Überzeugung. Er istimmun gegen Strömungen, die seinen eigenen Kopf umwirbeln. Er segelt nichtmit dem Wind, er segelt seine Dogmen, die ihm seine Fähigkeiten rauben:zu sehen, zu denken und zu fühlen, auf sein Dilemma zu reagieren.Ein solcher Segler ist ein Verschwender, er verbraucht mehr Wind als nötig, umdorthin zu gelangen wo er hin will – folglich ist er im Rennen gegen den Windzwangsläufig der letzte, der die Ziellinie überquert. Doch das ist noch mildegesprochen. Denn unter all den Rudergängern die ich kenne ist ein solcherSegler derjenige, der am wenigsten Freude empfindet, weil für ihn das Lichtausgegangen ist. Letztendlich hat er für seinen Törn nichts vorzuweisen als seinePrinzipien, und das ist seine Tragödie.“Versuchen muss jeder jetzt mehr denn je, daran zu denken, dem Wind (als denMöglichkeiten) zu lauschen, dann wird der Wind einem auch sagen, was zu tunist. Nimm zuerst ein kleines Boot, das du zu meistern verstehst. Je größer dasBoot, desto besser muss das Team an Bord kooperieren. Und auch wenn manmal im Schlick landet, kommt irgendwann die Flut und die Reise geht weiter.Jetzt führt euch die Reise erstmal in alle Himmelsrichtungen, um die Welt zuerobern. Ihr seid nun an einem wichtigen Übergang in eurem Leben. Dazuschreibt Axel Schlote: „Wer nicht weiß und nicht wissen will, woher er kommtund wohin er will, der braucht keine Übergänge, um sich zu orientieren. Der5


fährt los und kommt an und fährt weiter und kommt nirgends an und ist auch niewirklich auf dem Weg dorthin.“Ich wünsche euch dass ihr während eurer Zeit bei uns die Bedeutung eurerHerkunft erkannt habt und wisst wo ihr herkommt und wo ihr hinwollt. BeiIhnen, liebe Eltern, möchte ich mich sehr herzlich bedanken für das Vertrauendas Sie uns geschenkt haben, Sie haben uns ihre Kinder anvertraut, zum Teilüber viele Jahre.Ein weiterer Dank geht an das Team aller Kollegen, die mit unermüdlichemEinsatz und in diesem Jahr besonders vielen Extralerneinheiten euchAbiturienten unterstützt haben. Und Dank unseres Haus- und Handwerksteamswurde bis zum letzten Moment an allen Ecken gleichzeitig renoviert, repariert,geschmückt und gereinigt. Das Küchenteam ist ebenfalls seit Tagen imDauereinsatz.Ein besonderes Dankeschön möchte ich für die musikalische Begleitung durchdas <strong>Lietz</strong>er Ensemble unter der Leitung <strong>von</strong> Nikolai Klotzbücher sowieerstmalig auch durch den Chor der Inselschule unter Leitung <strong>von</strong> ChristinaOhmes aussprechen, den wir am Ende der Veranstaltung hören werden.Und schließlich gilt wie immer bei <strong>Lietz</strong>er Feiern: alle Mitarbeiter und Schülerpacken gemeinsam an. Ich freue mich darauf, mit Ihnen und Euch heute diesesFest zu feiern, zu Eurem Abitur!Danke für Ihre und Eure Aufmerksamkeit!6

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