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Integration darf keine Einbahnstraße sein - Die Rote Plattform

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2Ich weiß nicht, wo ich geboren,und auch nicht, wer ich bin.Ich weiß nicht, woher komm ich?Ich weiß nicht, wo will ich hin?Von einem Baum, der wer weiß wogestürzt ist, bin ich ein Zweig.Wo sind wohl meine Wurzeln?Von welchem Baum bin ich ein Reis?Volkslied aus Boyoacá, Kolumbien<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


3InhaltVorbemerkung......................................................................................................5SeiteI. Teil<strong>Integration</strong> als Gesellschaftsvision?...................................................................6Oder: Ein Erklärungsversuch über 15 Punkte (Richard Halver)Demut – Nächstenliebe – Barmherzigkeit ........................................................10Oder: Erinnerung der Tugenden (Hubert Rösler)Wir sind alle Multi-Kulti, schon lange.................................................................11Oder: Eine Umschau (Felix Röhlich)<strong>Integration</strong> – ein überbewertetes Thema?.........................................................13Oder: Ein kurzer Einwurf (Sibille Steffens-Rösler)Es geht um Verständnis füreinander..................................................................14Oder: <strong>Integration</strong> - ein wechselseitiger Prozess (Anne Küpper)Ist „ <strong>Integration</strong> “ das Thema? ..........................................................................19Oder: <strong>Die</strong> Sorge um eine vorgeschobene Debatte (Bert Guenther-Eiff)Was ich unter <strong>Integration</strong> verstehe ...................................................................21Oder: Wir alle müssen uns integrieren (Marcus Seiler)Der Islam – ein Teil Deutschlands………………….…………………..…….…….27Oder: Einige gedankliche Anregungen (Marcus Seiler)Kulturelles Deutschland – deutsche Kultur……….……….……….………….….31Oder: Eine Streitschrift in drei Thesen (Marco Maria Emunds)Beruht Deutschland auf einer jüdisch-christlichen Tradition?….…………….35Oder: Gehört der Islam zu Deutschland? (Felix Röhlich)<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


4II. TeilFragestellungen...................................................................................................37III. Teil<strong>Die</strong> Diskussion……………………………………………………...…….……….……42IV. TeilSchlussfolgerungen…………………………....................……...…….……….……50V. TeilAnhang…………………………....................………………...…...…….……….……57<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


5VorbemerkungWarum um alles in der Welt wollen wir uns mit diesem Themabeschäftigen? Wohl wissend, wie schwierig das ist, wohl wissend umden Facettenreichtum, und- wohl wissend, wie sensibel man damitumgehen muss.Gerade deswegen. Gerade, weil wir das wissen, wollen wir unsdarum kümmern. Wir alle erleben es doch fast täglich: Es wirdgeredet, meist polemisch, oft inhaltslos, es wird geschürt,aufgestachelt, selten beschwichtigt, kaum bis fast niezusammengeführt. Denn es ist ja so einfach, dieses schwierigeThema: Schwarz / Weiß. Und alles scheint gesagt.Nein! Falsch! Vieles muss noch gesagt werden. Wie z.B. folgendeshinsichtlich des Zusammenlebens mit unseren muslimischenMitbürgerinnen und Mitbürgern:“Man hat den Eindruck“, so schreibt Mazen Hassan in einem Beitragin der TAZ vom 27.09.2010, „dass beide Seiten aneinander vorbeireden. Der Forderung an die muslimischen Mitbürger, die deutscheSprache zu lernen, ihre Kinder zu fördern, <strong>keine</strong> Islamisten zuunterstützen und sich an die Gesetze zu halten, kann <strong>keine</strong>rwidersprechen.“ Und er fährt fort: “Muslimische Bürger klagen, dassman dauernd Forderungen an sie stellt, ohne ihre Sorgen undÄngste wahrzunehmen. Menschen, die hier geboren und seit Jahrzehntenleben, sehen sich mit einer Kampagne konfrontiert, die anrassistische Stereotypen des vergangenen Jahrhunderts erinnert.Muslimische Migranten werden so dargestellt, als wären sie nachDeutschland eingewandert, um Sozialleistungen zu beziehen.“ Under resümiert: „Das schürt Ängste auf beiden Seiten. <strong>Integration</strong> ist<strong>keine</strong> <strong>Einbahnstraße</strong> ...“Das ist der Punkt! <strong>Integration</strong> ist <strong>keine</strong> <strong>Einbahnstraße</strong>, <strong>darf</strong> <strong>keine</strong><strong>sein</strong>. Neben diesem Aspekt wollen wir auch die Frage beleuchten, inwie weit die jetzige <strong>Integration</strong>sdebatte von politischen Interessengesteuert ist. Wir werden auf der Grundlage desBundesparteitagsbeschlusses vom 26.09.2010 „Herkunft <strong>darf</strong> keinSchicksal <strong>sein</strong>“ im Kreis Düren die Diskussion anstoßen undversuchen darzustellen, wie es hier vor Ort mit den<strong>Integration</strong>sbemühungen steht.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


I. Teil6<strong>Integration</strong> als Gesellschaftsvision?Oder: Ein Erklärungsversuch über 15 Punkte (Richard Halver)Punkt 1Um die Frage der <strong>Integration</strong> letztendlich beantworten zu können,müssen wir meines Erachtens eine Reihe von anderen Fragen imVorfeld beantworten:Punkt 2Einen kleinen Schritt in diese Richtung können wir gehen, in dem wiruns anschauen, was das Lexikon zum Stichwort <strong>Integration</strong> sagt:In Bezug auf die Soziologie wird <strong>Integration</strong> als Prozessbewusst<strong>sein</strong>smäßigen oder erzieherischen Eingliederung vonPersonen und Gruppen in oder ihre Anpassung an allgemeinverbindliche Werte- und Handlungsmuster bezeichnet.Punkt 3<strong>Die</strong>se Antwort mag inhaltlich richtig <strong>sein</strong>, ist aber für unsere Zweckebei weitem nicht ausreichend. <strong>Die</strong> Antwort, die für uns und unsereFragestellung zu erwarten <strong>sein</strong> wird, wird tiefer gehen müssen, wirdsich an politischen und sozialen Vorgaben zu orientieren haben.Punkt 4Vielleicht kommen wir einer zufriedenstellenden Antwort näher, wennwir uns zunächst der Frage zuwenden:Wer soll integriert werden?<strong>Die</strong> Antwort, die wir im allgemeinen dann erhalten, ist:Fremde!Punkt 5Aber wer ist ein Fremder?Es gibt unzählige Versuche, diese Frage zu beantworten. Dabeikommt es darauf an, welchen Standpunkt man einnimmt.Kommt es darauf wirklich an? Nein, natürlich nicht, es kommt bei derBeantwortung dieser Frage darauf an, ob wir in der Lage sind, mitden Menschen, die wir gern als fremd bezeichnen und so –wennauch vielleicht aus Gedankenlosigkeit- stigmatisieren, solidarisch zuempfinden.Zum „Prototypen des Fremden“ wird heute der Ausländer im Inland.Das Problem der Moderne ist also nicht die Solidarität unter„Fremden“ –die existieren kann oder nicht- sondern die Solidarität mit<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


„Fremden“, denn der „Fremde“ trifft immer auf existierende„einheimische“ Gruppen, gar Gemeinschaften, sonst wäre er kein„Fremder“, die Mitglieder dieser Gruppen sind ja in ihrerSelbstdefinition einander nicht fremd. Selbst in den Fällen, in denenMenschen zu „Fremden“ erklärt werden, weil Sündenböckegebraucht werden, ist es in aller Regel eine Mehrheit, welche dieStigmatisierung vornimmt, während die Sündenböcke eineMinderheit sind, sonst würden sie sich nicht für diese Rolle eignen. 1„Der „Fremde“ ist also fremd, weil er aus einer anderen Kultur zu unskommt und nicht einer einheimischen Gruppe angehört.“<strong>Die</strong> Frage scheint also beantwortet.Oder ist der „Fremde“ gar nicht fremd, sondern gleich, weil erMensch ist? 2Und jetzt?Tahar Ben Jelloun versucht es anders zu erklären:„Jedes Menschengesicht ist ein Wunder“, schreibt er. „Es isteinzigartig. Du wirst niemals zwei genau gleiche Gesichter sehen.Was bedeutet schon Schönheit oder Hässlichkeit? Das sind relativeBegriffe. Jedes Gesicht ist ein Symbol für das Leben. Jedes Lebenverdient Achtung. Niemand hat das Recht, einen anderen Menschenzu demütigen. Jeder hat einen Anspruch auf Menschenwürde. Werandere Menschen achtet, würdigt dadurch das Leben in <strong>sein</strong>erganzen Schönheit, in <strong>sein</strong>em Zauber, <strong>sein</strong>er Verschiedenheit und in<strong>sein</strong>er Unerwartetheit. Und wer andere würdig behandelt, zeigt damitauch Achtung vor sich selbst.“ 3Und in bezug auf die Politik fährt er fort:„Gerade für die Zuwanderung und den Umgang mit „Fremden“ gilt,dass sie [Anm.: die Politiker], bevor sie gedankenlos oder mitBerechnung die Hysterien der Menschen zur Realität erklären, diesesich genau anzusehen, um künftige Realitäten zu antizipieren.Unsere selbst ernannten Realisten aber stehen, in dem sie denSchlüssel zur Bewältigung der <strong>Integration</strong> beständig in derBegrenzung der Mengen der Zuwanderung suchen, der realnotwendigen Modernisierung unserer Gesellschaft breitbeinig imWege. <strong>Die</strong>se nämlich täten gut daran, sich in die Lage zu versetzen,neue Einwanderer zu integrieren.“ 471 Reiner Zoll: Was ist Solidarität heute? (Edition Suhrkamp, Nr. 2164, S. 167)2 ebenda (S. 165)3 Tahar Ben Jelloun: Papa, was ist ein Fremder? (Rowohlt Berlin, S. 98)4 ebenda (S. 107)<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Punkt 6Was habe ich also aus dem Vorgesagten nun gelernt?„Fremde“ sind nur dann Fremde, wenn wir es zulassen, dass sie„Fremde“ sind.Punkt 7Wodurch werden sie also nun „Nicht Fremde“?<strong>Die</strong> Menschen werden es nicht erst, sie sind bereits „Nicht Fremde“,weil sie Menschen sind.Punkt 8Wenn sie also gleich sind, weil sie Menschen sind, warum dann<strong>Integration</strong>?Wir haben zu Anfang der Ausführungen gesehen, das <strong>Integration</strong>Eingliederung bedeutet.Eingliederung aber in wen oder was?Vielleicht in unsere „deutsche Leitkultur“, wie es jetzt immer häufiger,und das nicht nur über die Stammtische, schallt.Punkt 9„Deutsche Leitkultur?“Allein schon die Wortwahl, ohne auch nur darüber nachzudenken,was damit denn im Einzelnen gemeint <strong>sein</strong> könnte, weckt schlimmeErinnerungen. Soll schon wieder am Deutschen Wesen die Weltgenesen?Um Gottes Willen ! Nein!, vom letzten Genesungsversuch ist die Weltbis heute nicht wieder vollständig auf dem Damm.Wer die „deutsche Leitkultur“ also propagiert, möchte unterordnen,nichts weiter – erst gar nicht eingliedern. Bei diesen Menschen fehltder Bezug zu einer vielfältigen, aber dennoch homogenenGesellschaftsform vollständig. Er fehlt auch dann, wenn deruntaugliche Versuch unternommen wird, die „deutsche Leitkultur“ mitden Artikeln unserer Verfassung zu erklären.Welch ein Hohn und eine Missachtung der Mütter und Väter unseresGrundgesetzes. Und welch eine Weitsicht dieser Männer undFrauen: Denn der Versuch, hierbei das Grundgesetz zuvergewaltigen, kommt schon über den ersten Artikel nicht hinweg, indem es heißt: “<strong>Die</strong> Würde des Menschen ist unantastbar“.8Punkt 10Noch einmal:Wenn die Menschen also gleich sind, warum dann <strong>Integration</strong>?<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Brauchen wir am Ende vielleicht gar <strong>keine</strong> <strong>Integration</strong>, sondern etwasganz anderes?Aber was?Punkt 11Vielleicht hilft uns noch mal ein Blick ins Lexikon?Dort steht nämlich auch:<strong>Integration</strong> ist ein Vorgang, der zur Herstellung bzw.Wiederherstellung eines Ganzen führt.Interessant!Punkt 12Oder anders ausgedrückt:Jeder Mensch, der zu einem bestehenden Ganzen hinzukommt,verändert dieses Ganze ein klein wenig und trägt somit dazu bei, einneues Ganzes zu schaffen.Punkt 13Wenn diese Aussage mit <strong>Integration</strong> gemeint ist, dann ist <strong>Integration</strong>für mich erklärt.Das würde nämlich bedeuten, dass sich unsere Gesellschaft mitjedem neu dazugekommenen Menschen ein klein wenig verändert.Punkt 14Das würde wiederum bedeuten, dass sich jedes einzelne Mitglieddes schon vorhandenen Ganzen auch verändert. <strong>Die</strong>, die schon dasind, in dem sie den Neuankömmling aufnehmen und sich ihmgegenüber öffnen und der neu hinzugekommene <strong>sein</strong>e Individualität,<strong>sein</strong> Wissen und Können, <strong>sein</strong>e Persönlichkeit dem vorhandenen zurVerfügung stellt.9Schlusspunkt<strong>Integration</strong> müsste daher nicht <strong>Integration</strong>, sondern eher Inklusionheißen. Es beschreibt für mein Verständnis somit einen Vorgang, derimmer wieder neu zur Erstellung eines Ganzen führt, aber niebeendet <strong>sein</strong> wird. Es wächst fortwährend ein neues, reicheresGanzes und der Kreis beginnt sich zu schließen.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Demut – Nächstenliebe – BarmherzigkeitOder: Erinnerung der Tugenden (Hubert Rösler)10Meiner Meinung nach wird die Debatte auf hohem akademischenNiveau geführt. Es ist nicht die Sprache der Menschen, die sichtagtäglich mit der <strong>Integration</strong> im Alltagsleben au<strong>sein</strong>andersetzen müssen.Demut:Hiermit meine ich : Sich selber einmal zurück nehmen, denGesellschaftsgruppen gegenüber der ich nicht angehöre. Daskönnen reiche Menschen <strong>sein</strong> oder arme Menschen <strong>sein</strong>. Hartz IV -Empfänger, Obdachlose, also sogenannte Randgruppen.Nächstenliebe:Ich kaufe fast regelmäßig die Obdachlosenzeitung vor einemSupermarkt. Etwas tun! <strong>Die</strong> Zeitung auch lesen und zumindestdarüber nachdenken. Oder Kleidung zur Kleiderbörse bringen.Barmherzigkeit:Nicht noch auf den treten, der schon auf dem Boden liegt. Hier halteich zumindest die Bereitschaft sich zu engagieren, für denSchwachen, z.B. Analphabeten zu unterstützen (was von mir undSibille über Jahre getan wurde ) diese so aufrecht zu erhalten, dassman sich zumindest nicht abwendet, sondern hinschaut, was auchnicht immer gelingt.Wenn jeder nur ein wenig nach den Grundwerten handelt, welche inden drei Religionsgemeinschaften: Judentum , Christentum,Moslems, alle gleich sind, brauchen wir <strong>keine</strong> überdrehten,akademischen Theoriediskussionen zum Thema <strong>Integration</strong>.<strong>Die</strong>se von mir genannten Begriffe kommen in den Medien undGesprächen überhaupt nicht mehr vor. Ich bin weiß Gott keinKirchgänger der Amtskirche und das ist auch gut so, aber einethisches Grundverständnis habe ich mir doch bewahrt.Und das Wort " Ausländer" ist für mich <strong>keine</strong> Diskriminierung,sondern eine geographische Bestimmung. Wenn ich in einemanderen Land bin, bin ich dort ein Ausländer , solange bis ich mich indiesem Land integriert habe, wenn dieses mein neues Heimatland<strong>sein</strong> soll.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


11Wir sind alle Multi-Kulti, schon langeOder: Eine Umschau (Felix Röhlich)Spätestens seit Beginn der großen Reisewelle in den 60er- und 70er-Jahren, lernen immer mehr Bürger fremde Länder, ihre Menschen,ihre Sprache und ihre Essgewohnheiten kennen. Einiges wirdkritisiert, aber vieles wird auch mit nach Hause genommen.Neben Sprachfetzen, Kleidung und landestypischen Souvenirs, auchdie Lust auf fremde Speisen. Um nun zu Hause nicht von derErinnerung zu zehren, besuchen wir hier die inzwischenangesiedelten, typische Lokale. Wir gehen ins „Ristaurante“ oder„Bistro“ zum Pizzaessen, zum „Balkangrill“ um Schaschlik zu essen,in die „Bodega“ zur Paella, zum „Griechen“ um Mousaka zu essenoder zum „Türken“ um Döner oder Kebabs zu essen und schließlichgehen wir ins „Chinarestaurant“ zur Pekingente.<strong>Die</strong> Veränderungen in unserer Umwelt sind nicht mehr zu übersehen.Bei einem aufmerksamen Gang durch die Stadt oder „City“? lesenwir, das „Stadt-Center“ lädt zum „Grand-Opening“ ein mitbesonderem „Flair“. Im Bekleidungsgeschäft, z.B. „Forever 18“werden „Sale“ „Outdoorjacken“, „Stretch-Jeans“, „Shorts“ und „more“angeboten. Nebenan gibt es „Shoe`s“ und im „Stadt-Outlet“ gibt es„Discount-Ware“. Dann geht man zum „Salon for men“ zum„Haarstyling“ für ein gutes „Outfit“. So kann man dann im „Holiday-Reise-Center“ „Citytrips“ oder eine Fahrt zu „Center-Parc`s“ buchen.Im „Trendstore“ schaut man nach moderne Möbel und Pallen richtetuns ein „Casa-Ambiente“ ein. Da es auf Weihnachten zu geht, kannman im Weihnachtsangebot „X-mas-feelings“ kaufen. Für ein „Derby“oder „Fun-Event“ brauchen wir ein „Ticket“.In der Zeitung lese ich: Ausgesuchte Tierbesitzer werden per „E-Mail“ zum „Casting“ für ein „Online-Voting“ eingeladen. Im „Info-Center“ der Kreisverwaltung fragt man nach der „job-com“, dortwerden „Job`s“ vermittelt.So könnte man diese Reihe noch über viele Seiten fortsetzen, d.h.von Fremdenfeindlichkeit <strong>keine</strong> Spur, die europäische <strong>Integration</strong> istschon längst im vollen Gange.Insbesondere der nachahmungsfreudige Rheinländer saugt allesFremde begierig in sich hinein. Gibt es überhaupt noch reinesDeutsch? oder die „Deutsche Leitkultur“?Kürzlich haben wir noch „Lena“ zugejubelt, weil sie den intern.Schlagerwettbewerb für Deutschland mit einem englischen Textgewonnen hat !!Da können sich Herr Seehofer und Frau Merkel auf den Kopf stellen,Multi-Kulti lebt und freut sich bester Gesundheit in unserem Land.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


<strong>Die</strong> seit einiger Zeit wieder aufgeflammte <strong>Integration</strong>sdebatte richtetsich vornehmlich gegen Menschen aus islamischen Ländern und istdie Folge einer beispiellosen Medienkampagne, welche in Wort undBild ausschließlich nur Negativschlagzeilen aus den islamischenLändern liefert und damit einen entscheidenden Einfluss auf dieöffentliche Meinungsbildung nimmt. Stichworte wie: Taliban, BinLaden, Selbstmordattentäter, heiliger Krieg, Sharia und Steinigung,Atombomben bauender Ahmadinedjad, Terrorgruppe Hamas, Djihadu.a., erzeugen bei den Menschen untergründige Ängste vor einerihnen fremden Kultur und führen zur Abwehrhaltung, die sich u.a.darin äußert, das sie plötzlich ihre friedlichen türkischen Nachbarnargwöhnisch beobachten.Was Not tut, ist eine objektive Berichterstattung über die gesamteislamische Welt, in der zweifellos der weitaus größte Teil friedlich,sozial und menschenfreundlich ist.12<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


<strong>Integration</strong> – ein überbewertetes Thema?Oder: Ein kurzer Einwurf (Sibille Steffens-Rösler)13Als in den 60 er Jahren eine türkische Familie in Kelz einzog gingendie Kinder in die Volksschule. Mit der Sprache war es am Anfangschwer. Der Junge spielte mit meinem Bruder und sprach schnelldeutsch. <strong>Die</strong> Mutter kaufte im Dorf ein, das war normal, ohne großesGeschrei und Gerede.Ich bin der Meinung, dass um alles zu viele Aufstand gemacht wird.Selbst wir sind von Verordnungen, Richtlinien, Gesetze,Qualifizierungen, Zertifizierung und Evaluierungen umgeben.z.B. Das Ordnungsamt regelt die Höhe der Hecke. Ruhezeiten, wennwir den Rasen mähen dürfen, usw, es hört nicht auf.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


14Es geht um Verständnis füreinanderOder: <strong>Integration</strong> - ein wechselseitiger Prozess? (Anne Küpper)Wir haben hier ein vielschichtiges Thema, zur Zeit viel diskutiert undoft zerredet. Allerdings ist das Thema es wert genauer betrachtet zuwerden.Ich hatte mir vorgenommen zuerst einmal nur ganz abstraktnachzudenken, was <strong>Integration</strong> ist, was in Lexika und Internet stehtund was <strong>Integration</strong> für mich heißt. Erst anschließend sollte dieFrage „Wo liegen Probleme und mögliche Lösungen?“ betrachtetwerden. Das scheint aber gar nicht so einfach zu <strong>sein</strong>. Teilweise sindVergleiche und Beispiele unumgänglich und spielen in die abstraktenÜberlegungen mit hinein.Nach meiner Suche im Internet habe ich folgendeDefinitionsversuche ausgesucht:Der Begriff <strong>Integration</strong> ist vom lateinischen integratio abgeleitet undbedeutet in der Soziologie die Ausbildung einer Wertgemeinsamkeitmit einem Einbezug von Gruppierungen, die zunächst oderneuerdings andere Werthaltungen vertreten, oder einer Lebens- undArbeitsgemeinschaft mit einem Einbezug von Menschen, die aus denverschiedensten Gründen von dieser ausgeschlossen (exkludiert)und teilweise in Sondergemeinschaften zusammengefasstwaren.(de.wikipedia.org)<strong>Integration</strong> ist ein wechselseitiger Prozess und bedeutet, dasfriedliche Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen in diesem Landzu ermöglichen und zu fördern. Jeder erhält <strong>sein</strong>e eigene Kultur –aber auf einer gemeinsamen Wertebasis. Grundlage einer solchenWertebasis ist die Verfassung. (www.kreis-unna.de)Beide Definitionen sind wie ich finde gar nicht schlecht. Jeweils istdie Rede davon trotz vorhandener Unterschiede ein Ganzes zubilden, ohne dass eine der vorher getrennten Gruppen ihreAndersartigkeit völlig aufgeben muss.Fraglich ist aber, ob der Durchschnittsbürger auf der Straße einesolche Antwort geben würde, wenn jemand ihn fragte was <strong>Integration</strong>ist.Nachdem man in Talkshows so manche Bürgerbefragung gesehenhat, könnte ich mir vorstellen, dass der ein oder andere Mitbürgerantworten würde: „<strong>Integration</strong>, das bedeutet, dass die zuintegrierenden Personen sich der Gesellschaft anpassen.“Ich hoffe und glaube auch, dass die meisten Mitbürger es sich nichtganz so leicht machen würden.Meiner Meinung nach geht es bei <strong>Integration</strong> nicht darum einige<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


andere der großen Menge gleich zu machen. Es geht darum diesewenigen in die große Masse einzugliedern, ohne dass ihreEigenheiten und das was sie anders macht aufgeben müssen. Eingewisser Grundstock an Gemeinsamkeiten gehört sicher dazu ummiteinander klar zu kommen, um sich gegenseitig einschätzen undverstehen zu können, aber es wäre meiner Ansicht nach grundfalscheine gänzliche Anpassung einzufordern. Anpassung scheint hierauch das falsche Wort zu <strong>sein</strong>. Wenn, dann müsste von einem Stückweit Anpassung die Rede <strong>sein</strong>. Sieht man aber <strong>Integration</strong> alsBildung eines Ganzen auf einer mehr oder weniger großenGrundlage von Gemeinsamkeiten, müsste man vielleicht eher voneiner Art Verschmelzung verschiedener Gruppen sprechen.Das bedeutet dann aber auch, dass <strong>Integration</strong> von zwei Seitenvorangetrieben werden muss. Es ist nicht nur die eine Seitevorhanden, die sich teilweise an die große Menge heranarbeitenmuss, zum Beispiel in so wichtigen Punkten wie Sprache. Es gibtauch die andere Seite, die normalerweise in der Überzahl ist und dieauch Toleranz und Verständnis für Minderheiten aufbringen sollte.<strong>Die</strong>ses Maß an Verständnis ist oftmals nicht vorhanden und damitsind wir auch schon bei den Kernproblemen, die im Zusammenhangmit <strong>Integration</strong> vorliegen, angekommen.15Probleme gibt es leider eine ganze Menge. In der kompletten Breitewerde ich sicher nicht alle ansprechen können, da dieser Beitragauch noch gelesen werde soll.Trotzdem kann man einiges einfach nicht übergehen. So wird zumBeispiel erhöhte Gewaltbereitschaft von Migranten, vor allem beiJugendlichen immer wieder als Paradebeispiel für misslungene<strong>Integration</strong> angeführt.Gewalt ist aber immer nur die Spitze des Eisbergs und weshalb sievermehrt auftritt, muss die Frage lauten. In vielen Fällen ist Gewaltdas letzte Mittel, angewandt wenn <strong>keine</strong> Perspektive mehr gesehenwird. Wenn man also von der Spitze des Eisbergs runterschaut,liegen oft schon in jungen Jahren gescheiterte Existenzen vor, diewegen sprachlicher Mängel, schlechter Schulbildung und derschieren Unmöglichkeit dann einen Ausbildungsplatz zu finden,glauben, nichts mehr verlieren zu können.Oft spielt für diese „gescheiterten Existenzen“ Armut eine großeRolle, auch wenn Armut kein eigentliches Migrantenproblem ist. VieleFamilien mit Kindern, insbesondere Alleinerziehende sind betroffen.Und auch diese Gruppen haben es schwer in unserer Gesellschaftintegriert zu <strong>sein</strong>. Kindergartenbeiträge und Freizeitaktivitäten sindteuer, nicht selten unerschwinglich.<strong>Integration</strong> ist ein allumfassender Begriff. Es geht nicht nur um<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Migranten, sondern um Minderheiten. Und es geht um Verständnisfüreinander und um Bewegung von beiden Seiten der„Kontrahenten“.Das nötige Verständnis ist aber oftmals nicht vorhanden.Man schaue nur nach Frankreich, wo Sinti und Roma geradezu ausdem Land geworfen werden. Ja natürlich gab es Demonstrationen,aber Interviews auf den Straßen machen schnell klar, dass viele mitdieser Vorgehensweise völlig einverstanden sind. So bessert einStaatspräsident <strong>sein</strong>e Umfragewerte auf…Zu den Minderheiten zählen auch behinderte Menschen, die viel zuhäufig benachteiligt sind. Es hat leider nicht jeder Verständnis dafür,dass behinderte Kinder auf „normale Schulen“ gehen sollen oderwollen. Und es hat auch nicht jeder Verständnis dafür, dass einteurer Rathausausbau in Angriff genommen wird um -unter anderemdieBarrierefreiheit für Behinderte zu ermöglichen. Spätestens, wennes um Geld geht, hört Verständnis auf.Eine weitere Minderheit können aber auch Deutsche <strong>sein</strong>. Seitneuestem wird hier das Wort Deutschenfeindlichkeit geprägt. Woeine „Gettoisierung“ von Migranten stattgefunden hat, sind nunplötzlich Deutsche in Stadtteilen und Schulen deutlich in derUnterzahl und bekommen die Ablehnung und Gewalt zu spüren, dieMigranten sonst häufig entgegenschlägt.Ein weiteres Kernproblem im Zusammenhang mit <strong>Integration</strong> ist dieSprache. Viele Migranten sind mit der deutschen Sprache nicht(genug) vertraut. Das betrifft nicht nur Gruppe der gerade neuZugewanderten, sondern auch Personen, die seit Jahren inDeutschland leben, oftmals die zweite Generation (also Kinder die inDeutschland geboren wurden) und Frauen. Gerade beitürkischstämmigen Einwanderern sind Frauen meist zuständig fürHaushalt und Kindererziehung und haben daher nicht vieleMöglichkeiten deutsch zu sprechen, selbst wenn sie vielleicht einenSprachkurs besucht haben. Spricht das Elternteil, das die meiste Zeitzu Hause und für die Kinder da ist, kein Deutsch, werden die Kinderes zu Hause ebenfalls nicht tun.Hier geht schon mal eine Möglichkeit die Sprache zu lernen, nämlichgemeinsam in der Familie, verloren. Sprache ist aber nötig um diealltäglichsten Dinge zu regeln. Ein gegenseitiges Verstehen istunmöglich, wenn man nicht miteinander kommunizieren kann.Sprache ist also das A und O für <strong>Integration</strong>.<strong>Die</strong>se Erkenntnis <strong>darf</strong> nun aber nicht in solch unsinnigenVorschlägen gipfeln, Kindern mit Migrationshintergrund denGebrauch ihrer Muttersprache zu verbieten, weder auf dem Schulhofnoch zu Hause. Der Wunsch die Muttersprache beizubehalten istnicht nur nachvollziehbar, sondern auch sinnvoll. Statt Verboteauszusprechen müssen vernünftige Angebote gemacht werden.16<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Es gibt gerade für Kinder viel bessere Möglichkeiten Deutsch zulernen, als den Gebrauch der Muttersprache auf eine solche Weiseeinschränken zu wollen.Allein ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr würde hier wahreWunder wirken.Dazu gehört dann allerdings auch die Bemerkung, dass dies inBezug auf eine Sprachverbesserung nur funktioniert, wenn eineGettoisierung (ein weiteres wichtiges Problem) ausgeschlossenwerden kann.Gibt es in Schulklassen oder Kindergartengruppen überwiegendKinder mit Migrationshintergrund, die möglicherweise auch aus demgleichen Land stammen und die gleiche Muttersprache sprechen,wird es schwer fallen ihnen beizubringen weshalb sie Deutsch redensollten, wo eine Unterhaltung in der eigenen Muttersprache dochmöglich und viel einfacher ist. Wenn Kinder in ihrem täglichenUmfeld z.B. im Kindergarten Deutsch lernen, weil sie nur so mit ihrenFreunden kommunizieren können, wird es nicht schaden, dass imElternhaus die Muttersprache vorherrscht.Das Gettoisierungsproblem wirkt sich aber auch noch in ganz andereRichtungen aus. <strong>Die</strong> Gettoisierung bewirkt ein Abschotten. Das kannjetzt natürlich auch wieder aus zwei Richtungen gesehen werden.<strong>Die</strong> einen werden sagen „Seht ihr, die wollen sich ja gar nichtintegrieren.“ und die andere Seite wird fragen „Wie oder Wieso dennintegrieren, wenn ihr uns doch gar nicht wollt, in euren Stadtvierteln,Schulen und Firmen.“.<strong>Die</strong> Gettoisierung ist einer der größten Feinde der <strong>Integration</strong>, denndurch die Abschottung -egal von welcher Seite sie nun verursachtwurde- gibt es nur wenig Berührungspunkte zwischen Deutschenund Migranten. Das führt dazu, dass das Wissen über den jeweilsanderen gering ist. Unwissenheit aber erzeugt Angst und wird sichoft in fehlendem Verständnis füreinander niederschlagen.<strong>Die</strong> Gettoisierung aufzuheben, oder auch nur ihr entgegenzuwirkendürfte schwierig <strong>sein</strong>. Zu vieles ist über Jahre hinweg falschangepackt worden und da städteplanerische Maßnahmen sich -wennauf diese Problematik überhaupt- oft erst nach Jahren auswirken,sollte die Lösung möglicherweise in Freizeitaktivitäten gesuchtwerden. Kooperationen und Partnerschaften zwischen 2 Vereinenz.B. Sportvereinen, von denen der eine überwiegend Deutsche undder andere überwiegend Migranten als Mitglieder hat, wäre meinerMeinung nach ein guter Ansatz. Gerade bei Freizeitaktivitäten kommtman miteinander ins Gespräch und wenn finanzielle Vorteile für deneigenen Verein winken gäbe es sicher viele Interessenten.In Talkshows und Diskussionsrunden wird oft das Thema Religionund Freiheit als Problem diskutiert. Verschiedene Religionen an sichmüssen dabei noch nicht unbedingt etwas Trennendes bedeuten.17<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Auffällig ist, dass viele Migranten -insbesondere Muslime- dieAusübung ihrer Religion ernster nehmen als die meisten Christen.Immer wieder aufgeworfen wird hierbei die „Kopftuchdebatte“, die ichfür viel zu kurz gegriffen halte. Selbst wenn man das Kopftuch alsSymbol für die Unterdrückung der Frau ansehen will, sollte manrespektieren, wenn eine Frau sich aus freien Stücken dazuentscheidet das Kopftuch tragen zu wollen. Und bei derartigenVorwürfen sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass dasChristentum nun auch nicht gerade aktiv dazu beigetragen hat dieEmanzipation voranzutreiben. Auch beim Thema Religion beruht vielvon dem fehlenden Verständnis und den Vorurteilen aufUnwissenheit. Man braucht gar nicht lange zu suchen um im WissenDefizite aufzudecken. Viele Christen könnten doch nicht einmal denUnterschied zwischen Katholiken und Protestanten erklären.Ein Unterrichtsfach Religionen und Ethik, das für alle Schülerverpflichtend ist, sollte an Schulen unterrichtet werden. Es wäre dochwünschenswert mehr über andere Religionen zu wissen.Letztlich bleibt mir persönlich zu diesem Thema zu sagen, dass dieArt, wie die Debatte um <strong>Integration</strong> nun zustande kam, mehr alsärgerlich ist.<strong>Die</strong> angesprochenen Probleme sind bekannt; seit Jahren schon. Undja, da muss sich jede Partei, die in den letzten Jahren an derRegierung, war auch mal selbst Vorwürfe machen, dass sie nichtgenug getan hat um an der Problematik zu arbeiten.Da können wir ja mal richtig auf die Politiker schimpfen, nicht wahr?Nein! So einfach ist es eben nicht. Natürlich sind in der Politik Fehlergemacht worden, aber hätte nicht auch jeder Einzelne irgendwo<strong>sein</strong>en Beitrag leisten können? Manche Dinge sind so einfach, dassman gar nicht wirklich etwas TUN muss.<strong>Die</strong> eigene Einstellung überprüfen heißt die Devise. Wer war nichtselbst schon mal genervt, wenn Migranten sich laut im Laden in ihrerSprache unterhalten. Vielleicht sollten wir dann mal darübernachdenken, ob es nicht das Normalste der Welt ist, dassZuwanderer sich darüber freuen in der Muttersprache miteinanderreden zu können wenn sie ihre „Landsleute“ treffen.Hätten wir frühzeitig gehandelt, hätte ein Herr Sarrazin mit <strong>sein</strong>enunsäglichen Äußerungen niemals einen solchen Aufruhr veranstaltenkönnen.Wir predigen unsere Werte und sind selbst in unserem Denken soengstirnig, dass wir vergessen, dass wir einen Wert wie Toleranzverletzen, wenn wir nichts außer unseren eigenen Standpunktenzulassen.Mit offenen Augen und wohlwollend an eine Sache heranzugehenhat noch nie geschadet. Vielleicht wäre das ja ein Schritt in dierichtige Richtung, ein Schritt den jeder mitgehen kann.18<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


19Ist „ <strong>Integration</strong> “ das Thema?Oder: Sorge um eine vorgeschobene Debatte (Bert Guenther-Eiff)Zur Definition:In ganz einfacher Formulierung ausgedrückt, handelt es sich bei demBegriff „<strong>Integration</strong>“ um einen Prozess, in dem neue Elemente in einSystem so aufgenommen werden, dass diese sich danach von denschon bestehenden Elementen nicht mehr unterscheiden lassen.Das wird auch dem Wortsinn von lat. integer = vollständig,unangetastet, unversehrt gerecht.So versteht man in der allgemeinen Soziologie unter <strong>Integration</strong>einen sozialen Prozess, in dem ein Mensch oder eine Gruppe vonMenschen in eine gegebene Sozialstruktur aufgenommen wird. Ausder Sicht der Aufgenommenen ist <strong>Integration</strong> damit eine Form dessoziokulturellen Wandels.Grundsätzlich interessiert mich das Thema <strong>Integration</strong> nur sekundär.Da aber die aktuelle Debatte um <strong>Integration</strong> in Deutschland eineneue Wichtigkeit bekommen hat, möchte ich folgende Gedankendarlegen:Im Mai 2011 werden in Deutschland und Österreich dieArbeitsmärkte für Bürger der mitteleuropäischen EU-Länder geöffnet.Ersten Schätzungen zufolge dürften dann ungefähr 500.000 Polenihre Koffer packen und sich auf Arbeitssuche nach Deutschlandbegeben. In dieser Hinsicht mutet Thilo Sarrazins Buch an wie eineganz neue „bestellte“ <strong>Integration</strong>sdebatte. Auch die Studie derFriedrich-Ebert-Stiftung („Ausländer- und Islamfeindlichkeit nimmtstark zu“) stellt in gewisser Weise einen voraussagenden Zustand fürDeutschland nach 2011 dar. In die gleiche Richtung weisen dieErgebnisse der neuen Allensbach-Umfrage: „Mehr als die Hälfte allerBundesbürger sieht in den muslimischen Migranten eine Belastungfür Deutschland“. Es ist zu vermuten, dass die neuenArbeitssuchenden aus den östlichen EU-Ländern eher von diesenMedienberichten abgeschreckt werden sollen und eben nicht ihreKoffer packen.Kurz, die <strong>Integration</strong>sdebatte wird zwiespältig geführt. Einerseitslässt sie humanistische Töne erklingen, die allerdings demSteuerzahler viel Geld kosten. Andererseits stößt diese Debatte diezuwandernden Menschen vor den Kopf und ängstigt sie. Auch diedeutsche Bevölkerung wird eingeschüchtert, verängstigt und dadurchzu ausländerfeindlichen Einstellungen gebracht.Mit der gegenwärtigen Form der <strong>Integration</strong>sdebatte in den Medienund in den Köpfen der Menschen werden von den politischen undwirtschaftlichen Verantwortlichen aus meiner Sicht eine Reiheanderer viel wichtiger Probleme unseres Landes verdeckt. Hier nureinige Beispiele:<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


• <strong>Die</strong> Volksrepublik China ist inzwischen zum größtenAutomobilhersteller der Welt aufgestiegen (alles im Internet zu findenoder im Handelsblatt vom 16.09.2010 zu lesen). Mit <strong>sein</strong>emVerbündeten Daimler will China nun den europäischen Markt mitHybridfahrzeugen erobern. Das bedeutet für den deutschenArbeitsmarkt Rückgang der Umsätze sowie Reduzierung vonArbeitsplätzen.• Da die Geschäftsverbindungen zwischen China undausländischen Unternehmen immer auf einer Joint Venture-Basisgründen, also der chinesische Teilhaber in der Regel mindestens58% der Firmenanteile hält, haben die Chinesen die Mehrheit unddie Macht bei Entscheidungen. <strong>Die</strong> z.Z. großen deutschen Gewinneaus dem Exportgeschäft in der Automobil- undMaschinenbaubranche in Asien müssen demzufolge nicht auf Dauer<strong>sein</strong>.• In China sind in den vergangenen Jahren über 500 Collegesentstanden. <strong>Die</strong> gegenwärtige Zahl der Hochschulabsolventen von 3Millionen pro Jahr wird schnell weiterwachsen. <strong>Die</strong> Qualität derIngenieure, Techniker und Facharbeiter ist schon heute sehr gut.Qualifizierte Fachkräfte aus China werden demzufolgewahrscheinlich auf dem deutschen Arbeitsmarkt erscheinen undzusätzlich eine große Konkurrenz für deutsche Arbeitnehmerdarstellen.• <strong>Die</strong> deutsche Staatsverschuldung lag im Jahre 2000 bei1.231.1 Billionen Euro. Heute liegt sie aufgrund der Finanzkrisebereits bei 1.844.941 Billionen Euro, was den zwischen 1980 und2000 geborenen Bürgern große Sorgen bereiten sollte. Sie sinddiejenigen, die die Verschuldungskosten tragen müssen.20Betrachte ich die von mir angeführten Problemkreise in Verbindungmit den gegenwärtig geführten Inhalten der <strong>Integration</strong>sdebatte,stoße ich auf die Frage der Meinungsmache in Deutschland. DasFernsehen, die Zeitungen, geschickt gehandhabt, sind das besteInstrument zur geistigen Korruption der Bürger. <strong>Die</strong> politischen undwirtschaftlichen Eliten unseres Landes kennen die „segensreichen“Möglichkeiten der Medien. Sie sind ja die Eigentümer dieserenormen „Propagandamaschinen“. Propaganda beinhaltet einenabsichtlichen und mit System betriebenen Versuch, Sichtweisen zuformen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zu steuern. Dasschließt auch die Formung der <strong>Integration</strong>sdebatte ein.Aus diesem Grund sollte unsere <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong> die von miransatzweise angeschnittenen Probleme weiter verfolgen, um eindifferenziertes Bild von der <strong>Integration</strong>sproblematik zu entwickeln.<strong>Die</strong> <strong>Integration</strong>sdebatte <strong>darf</strong> nicht stehen bleiben bei Einrichtung vonDeutschkursen oder Baugenehmigungen von Moscheen.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Was ich unter <strong>Integration</strong> versteheOder: Wir alle müssen uns integrieren (Marcus Seiler)21Bevor ich mich mit der Frage beschäftige, wie es sich mit der<strong>Integration</strong> von Migrantinnen und Migranten verhalten könnte, will ichzunächst einige Überlegungen zu dem Begriff an sich anstellen. Dasist schon deswegen wichtig, weil das Wort in aller Munde ist, ich abernicht den Eindruck habe, dass alle damit dasselbe meinen. Bezüglichder Menschen, die von auswärts zu uns kamen oder als derenNachfahren bei uns leben, kann da von der Pflicht, Deutsch zulernen bis zur Totalassimilation (jodelnde Türken, die Leberkäs’essen… eine Horrorvision!) anscheinend alles mit gemeint <strong>sein</strong>, jenachdem, wer das Wort in den Mund nimmt.Für mich ist „<strong>Integration</strong>“, kurz und einfach gesagt, der Einbau vonBestehendem in ein anderes Bestehendes, aus dem sich dann einneues Ganzes ergibt.Wohlgemerkt: Ein neues Ganzes.<strong>Die</strong>ses Neue kann, je nachdem, wie der Prozess gelingt, einenFortschritt zu den vorherigen Einzeldingen darstellen oder auchnicht.<strong>Die</strong> Meister der <strong>Integration</strong> haben das schon immer gewusst: <strong>Die</strong>Religionen. Führende Religionen haben gerade auch deswegensoviel Akzeptanz gefunden, weil sie in der Lage waren, anderesBestehendes in sich aufzunehmen. Ich meine damit nicht nur denIslam (der ja einer der Hauptgründe ist, weswegen wir über dasThema reden, weil es zwar viele Migrantinnen und Migranten ausdiversen Ländern gibt, aber besonders immer die Türken als stärksteGruppe in den Blick genommen werden). Wir brauchen nur auf dasChristentum zu schauen, das neben dem griechisch-antiken Denkendie eine große Säule der europäischen Geistesgeschichte ausmacht(ja, die griechisch-antike Tradition dürfen wir <strong>keine</strong>sfalls vergessen,wenn wir vom „christlichen“ Europa sprechen, denn sie ist letztlichdurch ihr Hinterfragen der Welt verantwortlich für so schöne Dingewie die Wissenschaften). Das Christentum war früher immer einMeister der <strong>Integration</strong>. Dadurch wurde es für viele Menschenakzeptabel, und sie konnten sich selbst darin wiederfinden (ichmeine hier nicht zwanghafte Missionierung, die es natürlich auchgab). Tolle Bräuche wie Weihnachten unter dem Tannenbaum oderdie Ostereier mit dem Osterhasen sind allen bekannte Ergebnissedieser integrativen Kraft. Schön geschmückte Weihnachtsbäumesind aus den Kirchen nicht wegzudenken, sie schaffen einefeierliche, die Seelen der Menschen bergende Atmosphäre; umOstereier nach der Osternachtsfeier oder demOstersonntagsgottesdienst in katholischen Kirchen reißen sichKinder wie Erwachsene gleichermaßen. Jesus undWeihnachtsbaum? Jesus und Osterei? Eigentlich Fehlanzeige! Aberdurch die <strong>Integration</strong> solcher und anderer Bräuche gewann dasChristentum bei den Menschen. Doch es veränderte sich auch,Neues entstand!<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Oder nehmen wir ein konstruiertes Beispiel: Eine Ausstellung roterBilder. Zwischendrin sind aber noch Freiräume. Leider gibt es nichtgenug rote Bilder, um alle Wände zu bestücken. Im Lager stehenaber noch einige grüne Bilder herum. <strong>Die</strong> könnte man doch in die<strong>Rote</strong>-Bilder-Ausstellung geschickt integrieren! Vielleicht profitiert die<strong>Rote</strong>-Bilder-Ausstellung ja davon, wenn einige Lücken geschlossenwerden, weil sie sonst nicht so vollständig wirkt. Sie ist dann zwar<strong>keine</strong> reine <strong>Rote</strong>-Bilder-Ausstellung mehr, aber vielleicht passt es jatrotzdem.Ein Schelm, wer jetzt denkt, ich hätte damit eine Anspielung aufpolitische Farben gemacht! Naja, dem Schelm würde dann sicherlichauch die Bemerkung entgleiten, schwarze und gelbe Bilderzusammen ergeben eine völlig unpassende Ausstellung! Aber, wiegesagt, das beträfe nur den Schelm…Ich schließe daraus jedenfalls, dass <strong>Integration</strong> ein Einbauen ist, da<strong>sein</strong> neues Ergebnis hervorbringt. Das halte ich auch für meinenAnsatz fest, wenn ich über <strong>Integration</strong> rede.Und erfolgreiche <strong>Integration</strong> wäre es dann, wenn etwas Neuesentsteht, das gut funktioniert.Wenn <strong>Integration</strong> also etwas Bestehendes in etwas Bestehende<strong>sein</strong>baut, dann gibt es aber auch die beiden bestehenden Dinge. Mankönnte auch sagen, dass das Ganze, welches noch nicht integriertist, damit fragmentiert ist (nämlich in zwei Teile). Fragmentiert: dashört man auch sehr oft, besonders, wenn eine moderne Gesellschaftbeschrieben wird. In der Tat ist unsere Gesellschaft fragmentiert:Es gibt „Deutsche“ und „Migrantinnen und Migranten.“Es gibt aber auch:„Christen“, „Andersgläubige“ und „Nichtgläubige“„Höher Gebildete“ und „wenig Gebildete“„Chancenreiche“ und „chancenlose“„Mächtige und Machtlose“„Sozial Starke und sozial Schwache“„Reiche und Arme“„Teilhabende und Isolierte“„Aggressive und Versöhnliche“„Linke“ und „Rechte“Und natürlich dazwischen immer: „<strong>Die</strong> Mitte“ (was auch immer dasist)Angesichts einer Vielzahl von Fragmentierungen stellen sichnatürlich Fragen:- Was verbindet eine Gesellschaft noch miteinander angesichtssolcher Gegensätze?- Funktioniert eine Gesellschaft angesichts solcher Gegensätzeüberhaupt noch?- Wie viel Fragmentierung verträgt eine Gesellschaft, um sienoch als funktionsfähig zu begreifen?Schnell sind wir hier wieder bei Fragen nach sozialer Gerechtigkeit,Chancengleichheit usw. Fragen, die „<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>“ stets22<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


gestellt hat. Meine weitergehende Frage wäre nun: Greifen wir nichtzu kurz, wenn wir das Problem der „<strong>Integration</strong>“ nur auf Migrantinnenund Migranten beziehen? Gilt es nicht, den Zustand derGesamtgesellschaft zu erörtern, und muss nicht dieGesamtgesellschaft „integriert“ werden, wobei Migrantinnen undMigranten davon nur ein Teilaspekt sind?Wir haben in unseren Diskussionen schon oft herausgearbeitet, dasses bei sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit gefährlicheMissstände gibt. Dass die Demokratie als Grundlage, die einefreiheitliche Gesellschaft zusammenhält, durch Lobbyisten undradikale Interessenvertreter, neoliberale Sozialdarwinisten undandere gefährdet ist.Es sollte klar <strong>sein</strong>, dass „<strong>Integration</strong>“ damit ein weit umfangreicheresFeld abdeckt als nur die Menschen, die aus der Türkei zu unskamen. Im Sinne des oben Genannten, nämlich der großenFragmentierung unserer Gesellschaft (die bis zu einem gewissenMaß sicherlich auch notwendige Folge der Freiheit ist), <strong>darf</strong> manauch einmal den Begriff „deutsche Leitkultur“ unter die Lupe nehmen.<strong>Die</strong>ser Begriff wird ebenfalls häufig verwendet. BundespräsidentWulff machte die viele verstörende Aussage, der Islam gehöre zuDeutschland. Gerade Konservative merkten natürlich, dass dies mitihrer Forderung, für die <strong>Integration</strong> von Migrantinnen und Migrantenmüsse die deutsche Leitkultur ausschlaggebend <strong>sein</strong>, nicht wirklichzusammenpasst. Jetzt nehme ich mal an, dass Wulff nicht nur einenfür sich Aufsehen erregenden Spruch landen wollte, sondern sichernsthaft etwas dabei gedacht hat. <strong>Die</strong> gleichzeitige, völlig richtigeAussage in der Türkei, zur Türkei gehöre auch das Christentum,deutet jedenfalls darauf hin.„<strong>Die</strong> deutsche Leitkultur“ wird also vielmals beschworen. Erlaubt <strong>sein</strong>muss die Frage: Was ist das überhaupt? Angesichts der vielenGegensätze in unserer Gesellschaft. Ist es Heino-Hören, Volksmusik,Knödelessen, Haxen, Sauerkraut, Goethelesen, Bach undBeethoven, Rundfleischsuppe, Vergangenheitsbewältigung,Vergangenheitsverdrängung, soziale Gerechtigkeit, sozialeUngerechtigkeit, Miteinander, Gegeneinander, offene Diskussion,Lobbyisteneinfluss, Frauen ohne Schleier, Liebesheirat, Familie,eheloses Miteinanderleben, Lohnunterschiede zwischen Männernund Frauen, Lohnunterschiede zwischen Ost und West,Kunstausstellung, Null-Bock, Karl May, Old Shatterhand undWinnetou, Wahre Liebe, Traumschiff, Lindenstraße,Entwicklungsfähigkeit, Beharren auf dem Status Quo, Christentum,Religion, Säkularisierung, Kant, Hegel, zweimal Marx, Meissner,Käßmann, Einstein oder Planck??? All das gehört irgendwie zuDeutschland, und jetzt mache man mal eine „Leitkultur“ daraus.Entweder es ist all dies, dann stellt sich die Frage, ob man da hineinüberhaupt noch etwas einbauen muss.Oder sind es nur bestimmte Punkte aus diesem Programm, dietypisch für die „Leitkultur“ sind oder <strong>sein</strong> sollen? Dann müsste sich23<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


die Gesellschaft aber tatsächlich wieder fragen, wie gut sieinsgesamt integriert ist. Wo sie selbst gegen ihre „Leitkultur“ verstößt.Es reicht also nicht, das Thema auf Migrantinnen und Migranten unddabei besonders auf das Fragment „Türken“ oder „Moslems“ zukonzentrieren.Da bisher noch niemand überzeugend definiert hat, was denn eineLeitkultur ist, sollte man erst einmal den ersten Schritt tun. Bevorman einem Bestehenden sagt, es solle sich in ein Bestehendesintegrieren, muss man ihm zuerst sagen, was das denn ist, in das essich da integrieren soll.Ansonsten ist es reiner Populismus, der nicht der Sache dient,sondern nur der eigenen Aufmerksamkeit. Es wird damit aber sichernicht zu einem positiven Ziel führen. Wenn aber der „Erfolg“ vonreinem Populismus ein Teil der „deutschen Leitkultur“ wäre, dannhätte diese „Kultur“ in der Tat ein massives Problem und müsste erstmal bei sich selbst aufräumen. Ich habe leider den Verdacht, dassdas so ist. Das zeigt die Diskussion um Sarrazin, den viele in denHimmel heben. Er hat davor gewarnt, dass der Islam Deutschlanderobere und die Sozialleistungen verschlingenden Türken überhaupt.Und er hat ein Buch geschrieben. Ich habe es nicht gelesen. Mussich auch nicht. Sarrazin hat auch etwas von einem „Juden-Gen“gefaselt. Das war natürlich Unsinn. Das Gen-Material der Menschenhat höchste Übereinstimmung mit dem von Schweinen. Haben wiralso alle „Schweine“-Gene? Sind wir also alle eher Schweine? Nein,im Ernst, das Gefasel vom Juden-Gen ist nicht nur falsch, es ist auchgefährlich nahe an Rasse-Gedanken der Nationalsozialisten, die„den Juden“ ja von Natur aus als schlecht, gefährlich undzerstörerisch darstellten und andere Völker zu Untermenschendegradierten.Sarrazins Äußerungen entstammen also einem Denken, dass Nähezum Faschismus sucht. Deswegen gehört der Mann nicht in denBücherschrank, sondern in die Reihe der Staatsgefährder. Wenn dasauch der hoch gelobte Historiker Hans-Ulrich Wehler anders sieht(internationale Anerkennung schützt nicht vor Irrtum), Sarrazin ist einkleingeistiger Egomane, der weder auf Probleme aufmerksamgemacht noch zu ihrer Lösung beigetragen hat, sondern <strong>sein</strong>einziger Beitrag zum Problem war: Hey, Leute, ich heiße Thilo undbin um jeden Preis ein toller Hecht! Schön für ihn, für Deutschlandnicht.Doch zurück zum Thema: Wenn also jemand sich in etwas hineinintegrieren soll, muss er natürlich schon wissen, was das ist. In wasfür eine Gesellschaft sollen sich Migrantinnen und Migranten alsohinein entwickeln?In eine Gesellschaft, die offen, tolerant und friedfertig ist, in der jederdie gleiche Würde des Anderen anerkennt, die sich um soziale undjedwede andere Form von Gerechtigkeit sowie Chancengleichheit24<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


aller bemüht und jedem <strong>sein</strong>e Freiheit lässt, solange er die desanderen respektiert. Eine Gesellschaft, die sich für die Schwacheneinsetzt. Eine Gesellschaft, in der die Menge des materiellenBesitzes nicht der Maßstab des Erfolgs ist. Man kann sicherlichsagen, dass eine solche Gesellschaft auf christlichen Vorstellungenberuht. Ich <strong>darf</strong> aber vermuten, dass auch ein Moslem sich mit einersolchen Gesellschaft identifizieren kann.Natürlich ist die Gesellschaft nicht so ideal, wie ich sie mir vorstelle,und vielfach nicht nur deswegen nicht, weil der Weg dahin nichteinfach ist, sondern weil einige ihn auch gar nicht beschreiten.Natürlich gibt es auch Entwicklungen, die mich im islamischenKulturkreis stören: Scharia, Handabhacken, Steinigen, Zwangsehe,Ehrenmord, um nur einiges zu nennen, das in der deutschenGesellschaft <strong>keine</strong>n Platz hat. Das müssen nicht nur wir mit „demIslam“ diskutieren, sondern das muss auch innerhalb der islamischenGesellschaften Thema werden. Vieles davon kennen wir übrigensaus der eigenen Vergangenheit auch: mittelalterlichesLandesherrenrecht nach Gutdünken, Augen-Ausstechen undGliedmaßenabschlagen, Hexenverbrennung, peinliche Befragungder Inquisition, Folter aller Art, arrangierte Ehen ausfamilienstrategischen Überlegungen, völlige Undurchlässigkeitsozialer Schichten.Ich will aber auch <strong>keine</strong> Gesellschaft, die Talente verschleudert, weildie Eltern für die Ausbildung kein Geld haben, in der schwacheGruppen ins Abseits gedrängt werden, um sie dann stigmatisieren zukönnen, und in der Geld das Maß der Freiheit bestimmt. Ich will auch<strong>keine</strong> Gesellschaft, die in Städten schon längst nicht nur Migranten-Getthos kennt, sondern auch Sozialgetthos (Arme leben nur da undda und kommen da nie mehr raus, und Reiche bleiben nur untersich).Daraus folgt: Wir alle müssen uns integrieren!P.s.: Noch ein kleiner Nachsatz:Im ehemaligen Jugoslawien herrschte ein Krieg, in demMachtinteressen aufgrund von Ethnien und Religionen verfolgtwurden (die Ethnien waren mit Religionszugehörigkeit engverbandelt). Der Konflikt tobt, siehe Bosnien-Herzegowina, bis heutenoch, und eine weitgehend korrupte Machtelite sichert ihre Machtdadurch, dass sie viele Menschen immer noch gegeneinanderaufhetzt (so genannten „Christen“ stehen da „Moslems“ in nichtsnach).Aber es gibt auch kleine, positive Dinge. Düren hat eine Partnerstadtin Bosnien namens Gradacac. Sie wird zwar hauptsächlich vonBosniaken bewohnt. Aber man bemüht sich, eine „offene Stadt“ zu<strong>sein</strong>. <strong>Die</strong> Gemeinde hat auch die Sanierung der im Kriegbeschädigten katholischen und der orthodoxen Kirche unterstützt.Und wenn die jeweiligen religiösen Feste sind, gratuliert dieGemeinde per Banner zum christlichen Weihnachten und Ostern (jenachdem, katholisch, orthodox) und zum Bajram etwa nach dem25<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Ramadan. Ohne dass man gleich Moslem werden muss, wannhaben wir unseren moslemischen Nachbarn zuletzt zum Bajramgratuliert? Wäre ja nicht schlecht, wäre eine sympathische Seite der„deutschen Leitkultur“…26<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Der Islam – ein Teil Deutschlands?Oder: Einige gedankliche Anregungen (Marcus Seiler)<strong>Die</strong> Äußerung des Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam seiTeil Deutschlands, hat eine Diskussion darüber entfacht, wie dieRolle des Islam in Deutschland zu werten ist. Dem Präsidentenwurde entgegen gehalten, dass Deutschland auf einer jüdischchristlichenTradition fußt. Das ist sicherlich richtig und gilt nicht nurfür Deutschland. Zumindest ist es zu einem großen Teil richtig, dennin diesem Zusammenhang <strong>darf</strong> auch nicht das antike Erbevergessen werden, das hauptsächlich ein heidnisches war. Ich meinedie Rechtstradition, die heute noch auf dem römischen Rechtaufbaut, aber auch philosophisch-analysierendes Denken und dieWissenschaften. Der Philosoph Aristoteles hat hier hervorragendeBedeutung; <strong>sein</strong>e Schriften wurden dem Mittelalter übrigens durchdie moslemische Geisteswelt tradiert, die somit „mithalf“, freiesDenken in Europa wieder heimisch zu machen. Man mag darausersehen, wie unsere Welten – trotz aller Unterschiede – dochmiteinander verwoben sind.Als ich die Berufung auf jüdisch-christliche Traditionen hörte, drängtesich mir erst einmal der Gedanke auf, wie sich das wohl in denOhren eines Juden anhören muss. Da berufen sich jetzt Menschenauch auf einen jüdischen Teil ihrer Tradition, deren Väter undGroßväter noch alles daran setzten, das Jüdische auszurotten undgänzlich aus Europa zu tilgen. Und in den Jahrhunderten davor:Waren die Juden nicht in ganz Europa gut für Vertreibungen undPogrome, unterstellte man ihnen nicht, Brunnen zu vergiften, Hostienzu schänden und Kinder zu opfern? Und jetzt fußen wir auf einmalauf den Traditionen dieser Brunnenvergifter, Hostienschänder undKindermörder?Ich führe das nicht als Gegenargument an, denn dass wir aufjüdisch-christlichen Traditionen fußen, werde ich sicher nichtbestreiten. <strong>Die</strong>se Überlegungen brachten mich nur zu der Frage: Aufwelchen jüdisch-christlichen Traditionen fußen wir? Wascharakterisiert unser Erbe?Wenn sich bei uns Menschen jetzt wieder auf die jüdisch-christlichenTraditionen besinnen, tun sie dies natürlich in erster Linie, um dieUnterschiede zum Islam aufzuzeigen, und dabei vor allen Dingen mitden Elementen des Islam, die uns (zu recht) als vorsintflutlich, dunkelund bedrohlich erscheinen. Dabei geht es auch um Fragen derFreiheit und eines freiheitlichen Rechtssystems. Das Wort „Scharia“spielt hier eine entscheidende Rolle. Das ist ein Rechtssystem, dasauf Regeln islamischer Glaubenstradition beruht und Strafen wieAuspeitschen, Handabhacken oder Steinigung vorsieht.Das sind Elemente einer Auffassung einer Rechtsordnung, die nichtder unseren entspricht. Das ist auch gut so, doch inwieweit ist solchein Denken, dass dies gut so ist, Ausfluss jüdisch-christlicher<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>27


Traditionen? Im alten Testament wird ebenfalls auf das Brutalstebestraft. Gotteslästerei, mangelnder Respekt vor den Eltern,Ehebruch und noch einige andere Dinge sollten durch Tod (gerneSteinigung) geahndet werden, so sah es das Rechtsverständnis vor.Müssten wir als Anhänger jüdisch-christlicher Tradition dann nichtgrößtes Verständnis für die Scharia aufbringen?Das tun wir natürlich nicht. Bei uns wird niemand mehr gesteinigt.Nicht, dass es schon immer so war. Dem Mittelalter war <strong>keine</strong>Bestrafung hart genug, je mehr Schmerzen, desto besser. Auch dasMittelalter fußte auf jüdisch-christlichen Traditionen. Vielleicht nochdeutlicher sichtbar als heute. Kirche und Staat waren kaumvoneinander zu trennen. Erzbischöfe waren auch Landesfürsten, undPapst und Kaiser stritten mit diplomatischen und militärischen Mittelndarum, wer höher stand als der andere und folglich mehr Rechtehatte. Hätte man nach heutigen Vorstellungen die Mächtigen jenerZeit als Barbaren beschimpft, die mitnichten christlich handelten, sowürden sie dies <strong>keine</strong>sfalls verstanden haben. Im Gegenteil: Sieempfanden sich sogar sehr wohl als Sachwalter Gottes. <strong>Die</strong> Härteder Strafen war nicht nur Ausdruck eines von Zwängen und strengerOrdnung diktierten Gesellschaftssystems, das sich in mancherleiPerversionen einen geradezu göttlich legitimierten Ausbruchverschaffte. Nein, man war sogar der Ansicht, dass die Schärfe derStrafe zur Läuterung der vom rechten Weg abgeirrten Seelen vorGott beitrug. Je perverser die Bestrafung, desto reiner wurde dieSeele.Wenn das also als Ausfluss jüdisch-christlichen (zumindestchristlichen) Denkens verstanden wurde, wir dies heute aberablehnen, aber auch von jüdisch-christlichen Traditionen sprechen,so wiederhole ich meine Frage von vorhin: Auf welchen jüdischchristlichenTraditionen fußen wir denn dann? Jedenfalls scheint esda unterschiedliche Auffassungen oder unterschiedlicheTraditionsansätze zu geben. Geklärt werden muss es aber trotzdem,denn wenn ich nicht weiß, was ich mit „jüdisch-christlichenTraditionen“ meine, bleibt es ein inhaltsleeres Geschwätz.Am besten sucht man als Christ die Antwort in der Bibel. Dazu gehörtauch das Neue Testament, das die Juden nicht haben (obwohlnatürlich auch in Israel heute niemand mehr gesteinigt wird).Bei Johannes (Joh 8,1-11) gibt es eine interessante Geschichte. EineEhebrecherin wird zu Jesus gebracht mit der Frage, wie mit ihr zuverfahren sei. <strong>Die</strong> Schriftgelehrten und Pharisäer berufen sichdarauf, dass sie nach den Geboten des Moses getötet werdenmüsse. <strong>Die</strong>s wäre innerhalb des Judentums tatsächlichRechtstradition. So nachzulesen im Buch Levitikus (Lev 20,10) oderDeuteronomium (Dtn 22,22), wobei beide Stellen jedoch den Todbeider Beteiligter fordern. Aber davon abgesehen, nur die Frau wirdherbei gebracht, und sie hätte den Tod verdient.Jesus jedoch lässt sich auf diese Rechtsdiskussion, die die Pharisäer28<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


mit ihm entfachen wollen, erst gar nicht ein. Er nimmt den einzelnenMenschen in Blick. Wer ohne Sünde sei, werfe als Erster einen Steinauf die Frau. Er lenkt die Gedanken weg vom Recht auf denMenschen. <strong>Die</strong>s ist ein gänzlich anderer Aspekt, aber er ist Ausdruckdes Königreichs, das nicht von dieser Welt ist. Jeder Einzelne istdamit nach <strong>sein</strong>er persönlichen Schuld gefragt. Und <strong>darf</strong> einSchuldiger einen Schuldigen richten? Jesus setzt etwas anderesdagegen. Natürlich hätte er sagen können: Klar, unser Recht will esso. Also steinigt die Frau! <strong>Die</strong> Pharisäer hätten ihrerseits einemsolchen Urteil freudig zugestimmt. Jesus wäre dann einer von ihnengewesen. Ein klares Nein von Jesus wäre jedoch ein offener Verstoßgegen das althergebrachte Recht gewesen, und das hätte ihnangreifbar gemacht.Doch Jesus geht es nicht um das Recht. Ihm geht es um etwasWichtigeres: Ihm geht es um Vergebung. Nachdem dieSchriftgelehrten und Pharisäer beschämt verschwunden sind, vergibtJesus, der Messias, der Sohn Gottes, der Frau. Das ist die Macht,die von Gott, nicht vom Recht ausgeht. Das ist die Tradition, in dieuns dieses Beispiel stellen will: zu vergeben. Einander zu vergeben.Friedlichen Herzens zu <strong>sein</strong>, den Nächsten zu lieben. Und es istauch folgerichtig für einen liebenden Gott: „Darum lernt, was esheißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen,um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten:“Wenn es also heißt, dass Deutschland auf einer jüdisch-christlichenTradition wurzelt, dann soll es diese <strong>sein</strong>, die den Menschen in denBlick nimmt, ihn auch in <strong>sein</strong>en Fehlern ernst nimmt und ihn – nachMöglichkeit – rehabilitiert. <strong>Die</strong>ser Aspekt ist in unser Rechtsdenkeneingeflossen. Strafe <strong>darf</strong> nicht den Zweck der puren Rache haben,sondern sie soll nach Möglichkeit dazu dienen, einen Menschenwieder zum Teil der Gesellschaft zu machen (es gibt natürlich auchFälle, wo das nicht gelingt). Es geht nicht darum, Menschen fürimmer zu verwerfen, sondern sie wiederzugewinnen. So, wie es auchdie Geschichte vom verlorenen Sohn darstellt. Das ist dasVerständnis von Christentum und christlicher Tradition, das uns alsIdeal für unsere Gesellschaft dienen sollte.Das Scharia-Recht, wie dargelegt, erinnert stark an Rechtspraktiken,wie sie im Mittelalter Europas Gang und Gäbe waren. Wenn wir aberdavon sprechen, dass „der Islam“ Teil von Deutschland sei, oderdiesem heftig widersprechen, sollten wir ihm gegenüber auch dieFairness besitzen zu sagen, dass auch das Christentum durchausunterschiedliche oder gar widersprüchliche Traditionenhervorgebracht hat und hervorbringt (ich denke z. B. an dieTodesstrafendiskussion in den USA). Und das es folglich im Islamauch so <strong>sein</strong> kann und wird.In Deutschland leben in der Tat einige Millionen Angehörige dermoslemischen Glaubensgemeinschaft, und das inzwischen schonüber mehrere Generationen. So zu tun, als wären sie jetzt nicht Teilvon Deutschland, ist blind. Damit ist der Islam, wiewohl wir bisher29<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


nicht auf <strong>sein</strong>en Traditionen fußen, natürlich Realität in unseremLande. Anstatt dies zu bestreiten, sollten wir uns lieber mit „demIslam“ beschäftigen und lernen, welche unterschiedlichenTraditionslinien er besitzt (auch er besteht nicht nur ausAuspeitschen, Handabhacken und Scharia). Ich bin sicher, dass esauch im Islam eine Grundlinie gibt, die sich zur Würde eines jedenMenschen als Geschöpf Gottes bekennt mit den darausresultierenden Konsequenzen. Ich bin ebenso überzeugt, dass esAufgabe aller Menschen, nämlich der Christen, der Moslems, derAngehörigen anderer Religionsgemeinschaften und auch derAtheisten, ist, unter dem Respekt der Würde eines jeden Einzelnenan der Gesellschaft unseres Landes mit zu formen. Darüber solltenwir ins Gespräch kommen. Dann wird auch der Islam Teil unseresLandes, ohne dass dies bedeutet, dass wir uns von unseren Wurzelnund Traditionen verabschieden.30<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Kulturelles Deutschland – deutsche KulturOder: Eine Streitschrift in 3 Thesen (Marco Maria Emunds)I. Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland,Theodor Heuss, beschrieb die europäische Kultur einmal so: sie istein Fluss, der sich aus drei Quellen speist und diese wiederumentspringen auf drei Bergen - der Akropolis, dem Kapitol und demGolgota.1) <strong>Die</strong> Akropolis ist das Synonym für die antike griechischePhilosophie. Hier begannen erstmals Menschen dieGeschlossenheit des Kosmos in Frage zu stellen. Sie lebten ineiner Welt, in der die Götter das Schicksal eines jedenEinzelnen und der gesamten Umwelt ausnahmslos zubestimmen schienen. Zugleich waren ihre Götter durchsetztvon menschlichen Attributen und Schwächen; man bedenkewie Zeus unzählige Male Listen anwandte, um einer Frau wieEuropa habhaft zu werden. <strong>Die</strong>se fehlbaren Götter, mit allihren allzu menschlichen Begierden und Makeln, reichten denersten Skeptikern nicht länger als Begründung für ihr Da<strong>sein</strong>und die sie umgebende Welt aus. Innerhalb der AthenerSäulenhallen und Marktplätze suchten griechische Denkernach anderen Einsichten in Ursache und Zweck des Seins –dabei nahmen sie sich Prometheus als mythologischesVorbild.<strong>Die</strong> Vorsokratiker verbanden dann naturwissenschaftlicheErkenntnisse mit Philosophie. Platon wurde zum Vorreiter desanfänglichen Empirismus, während Aristoteles bis ins hoheMittelalter hinein ein auf Vernunft und Systematik fußendesDenken begründete. <strong>Die</strong>se Quelle, die vor allem im Zuge vonRenaissance und Humanismus wieder freigelegt wurde, aberauch im angeblich so „düsteren“ Mittelalter nie wirklichversiegt war, bildet die erste Säule unserer modernenwestlichen Kultur: das Vertrauen in die menschliche Vernunftin uns selbst und innerhalb des Kosmos. Eine Idee wie siesich auf schon im Johannesprolog findet, in dem es heißt: „AmAnfang war der Logos“ (Joh.1,1) – was mit Wort und zugleichauch mit Vernunft übersetzt werden kann.2) Das Kapitol, einer der sieben Hügel der ewigen Stadt - hierwar seit alters her sowohl ein kultisches als auch politischesZentrum Roms. Hier befanden sich die drei zentralenHeiligtümer und wichtige politische Gebäude. Während dieGriechen als die Philosophen und Denker der Antike gelten,steht Rom vor allem für politisches Machtstreben undPragmatismus. Um dieses Imperium regieren und verwaltenzu können, war man vor allem auf eine feste Grundlageangewiesen: das römische Rechtssystem. Nachdem es sichüber die Jahrhunderte herausgebildet und bewährt hatte,31<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


32wurde es nach dem Untergang Westroms zum Taktgeber derneuen starken Instanz in West- und Mitteleuropa, derKatholischen Kirche. Musste es sich dabei auch noch längereZeit in Konkurrenz zu anderen Rechtstraditionen, vor allemgermanischen Ursprungs, behaupten, so wurde es schließlichzum Fundament großer Teile unseres heutigenRechtsverständnisses.3) Golgota ist der sogenannte „Ort der Schädel“, jener Hügel vorden Toren des altertümlichen Jerusalems, auf dem Jesus vonNazareth ans Kreuz geschlagen wurde. Hier sieht TheodorHeuss im Christentum die dritte Wurzel der europäischenKultur begründet. Aus diesem Karfreitagsmoment wurde diereligiöse Bewegung geboren, die Europa bis zur Aufklärungfast vollkommen prägte und in einem säkularen Gewand bisheute noch als Orientierungsrahmen maßgeblich füreuropäisches Denken bedeutsam ist: so wurde die Idee derMenschenrechte im 16. Jahrhundert in den Werken derSpanischen Spätscholastik vorgezeichnet. <strong>Die</strong> Idee desMenschen als einmaliges Individuum ist ebenso Erbgut derBibel, wie auch die Entwicklung der Trennung von Staat undKirche. Scheint es auch oft so, als wäre dies gegen dieInstitution Kirche erkämpft worden, so sind die mentalenKeimlinge von Humanismus und Aufklärung ohne christlichesErbgut nicht denkbar. Ich würde sogar soweit gehen undsagen, dass die Aufklärung ein weitergedachtes Christentumist, allerdings ohne Christus.Dass dies nun oftmals als christlich-jüdische Traditionbezeichnet wird, liegt an den jüdischen Wurzeln, aus der dasChristentum hervorging. Ohne Altes bzw. Erstes Testament istJesus Christus und das Neue/Zweite Testament schlichtwegweder vorstell- noch verstehbar. Ebenso wie der Islam, hatauch das Judentum immer wieder Einfluss auf Europagenommen, aber den Einfluss christlichen Denkens in dereuropäischen Kulturgeschichte hat weder das Judentum, nochder Islam in einer dem Christentum vergleichbaren Tiefeentfalten können.II. <strong>Die</strong>s sind also die drei groben Quellen, aus denen wir heute nochkulturell in Europa schöpfen…wenn wir denn noch schöpfen. Andieser Stelle möchte ich eine weitere, zweite These einführen: derEmpirismus und Materialismus und der aus ihnen hervorgegangeneKapitalismus bildeten eine Trias, welche sich gegenseitig bedingt,hervorbrachte und unsere heutige Kultur im Wesentlichen dominiert.Als Galileo Galilei als einer der ersten Menschen überhaupt zuBeginn des 17. Jahrhunderts mit Hilfe eines Fernrohres dieHimmelskörper näher betrachtete, da erkannte er, dass der Mond in<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Wahrheit sehr viel anders aussah, als ihn der Mensch mit bloßemAugen bisher gesehen hatte. In diesem Moment wurde derMenschheit bewusst, dass menschliche Sinneswahrnehmungenallein nicht ausreichen würden, die Welt in ihrer Ganzheit zuerfassen. Alles musste noch genauer und umfassender untersuchtwerden. Das auf Vernunft fußende und an Systemen orientierteDenken der mittelalterlichen Scholastik wich dem Empirismus. Eswar die Geburt der modernen Naturwissenschaft, die allerdings miteinem Makel behaftet war: die Ablehnung jeglicher Tradition undMeta-Physik machte sie, ebenso wie zuvor die Scholastik mit ihrerAusrichtung auf ein theozentrisches, ein auf die göttliche Ordnunghin geordnetes Weltbild, anfällig für absolutistische Strömungen.<strong>Die</strong>ses neue Denken nach dem Modell von „try and error“, das nurdas als Wahrheit gelten ließ, was auch mit Hilfe von Versuchennachweisbar war, fiel mit einer zweiten Strömung zusammen, dieebenfalls am Beginn der Neuzeit an Bedeutung gewann. <strong>Die</strong>wissenschaftliche Fokussierung auf die Natur, die Materie, fand ihrenGegenpart in der normativen Wertung des Materiellen.Der Empirismus als einzige Legitimation von Wahrheitsansprüchenund der Materialismus als neues Lebensziel wurden spätestens imZuge der industriellen Revolution die entscheidenden Taktgeber derwestlichen Welt und ihrer Kultur. Ihr Erbe war und ist nicht zuletzt derKapitalismus. Recht hat, wer Gewinn macht und wer Gewinn hat,macht Recht. <strong>Die</strong> Dominanz eines solchen Denkens gilt auch fürunsere heutige Kultur. Kunst, Glaube und soziales Miteinander sinddabei oftmals Randerscheinungen. Ob sie sich rechnen, ist diezentrale Frage. Westliche Kultur im tieferen Sinne sind nicht längerdie Theater, Bibliotheken oder Pinakotheken, sondern die Banken,Aktionärsvollversammlungen und Arbeitsämter. Sie geben den DenkundLebenstakt zu Beginn des 21. Jahrhunderts an. <strong>Die</strong> drei Quellen,von denen wir am Beginn sprachen, kulminieren in dieserpostmodernen Trias. Philosophischer Skeptizismus, römischesRechtsempfinden und christliche Moralvorstellungen dienenhöchstens als schmuckes Beiwerk für die feierlichenSonntagsansprachen. Wenn wir also heute darüber nachdenken,was unsere Kultur überhaupt ausmacht, so müssen wir eingestehen:es ist im eigentlichen Kern nicht gerade viel übrig geblieben nach5000 Jahren europäischer Kulturgeschichte.33III. In meiner dritten These möchte ich mich mit der Eigenheitdeutschen Kulturverständnisses auf Grund <strong>sein</strong>er historischenGewachsenheit au<strong>sein</strong>andersetzen:Ein bloßer Bezug auf den politischen Wert des Grundgesetzes alskulturelles Fundament widerspricht dem historischenKulturverständnis innerhalb Deutschlands, wie es unter-schwelligimmer noch in den emotionalen Bahnen der Deutschen fortwirkt.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Mit der Ausnahme von 1989 erlebten die Deutschen in ihrerGeschichte niemals eine erfolgreiche Revolution. Es gibt sogarStimmen die behaupten, dieses Volk eigne sich nicht für eine solche.<strong>Die</strong>s wird zwar in der Regel als Vorwurf geäußert, doch schaut manauf die zumeist brutalen Begleitumstände von Revolutionen, soerscheint die Alternative, ein Volk von Reformern zu <strong>sein</strong>, nicht reinnegativer Natur.Ganz anders zum Beispiel das französische Volk: dessenhistorischer Brennpunkt ist die Revolution von 1789. Seit dem bildendie politischen Ideen von liberté, égalité, fraternité die Grundlage desfranzösischen Selbstverständnisses. Ein jeder, der sich zu diesenIdealen bekannte, wurde Teil der Gemeinschaft. <strong>Die</strong>se Identität warpolitisch motiviert und bildet bis heute den Kern für das, was dieFranzosen trotz aller geografischen und sprachlichen Unterschiedeeint.In der deutschen Geschichte gibt es allerdings <strong>keine</strong> solchepolitische Idee, auf welche die Deutschen in dem Maße historischfokussiert sind, wie ihre westlichen Nachbarn. Demokratisch-liberaleBestrebungen scheiterten nach dem 1848er Aufbruch zu großenTeilen als politische Treibkräfte und die deutsche Einheit wurde demVolk durch Bismarck, also von oben kommend, übergestülpt. Auchdie Bundesrepublik, samt ihrer Verfassung, war das Ergebnis einesverlorenen Krieges und konnte erst mit Hilfe der Besatzungsmächteverwirklicht werden. So annähernd ideal konzipiert sich dasGrundgesetz im weiteren Verlauf auch erwies, eine emotionale unddamit sinnstiftende Identität vermochte es auf diesem Wege nichtauszubilden. Was „Deutsch“ war, die kulturelle Gretchenfrage, wurdeim 19. Jahrhundert, anders als in Frankreich, nicht über diepolitischen Ideale einer Revolution, oder wie in Großbritannien, durcheine einheitliche royale Leitfigur und geografische Sonderstellunggeprägt, sondern durch eine gemeinsame Kultur der Sprache. Derdeutsche Flickenteppich aus Königreichen, Fürstentümern,Bistümern und Freien Reichs- und Hansestädten, wie er in der MitteEuropas bestand, fand lange Zeit <strong>keine</strong> gemeinsame Identität. Mitdem Aufkommen des Nationalgedankens stellte sich diese Fragejedoch immer dringender und so wurde die deutsche Sprache, mitihren verschiedenen Mundarten und Dialekten, das erste einendeBand. Und Sprache schlägt sich vor allem in Literatur, Musik undDichtung nieder. Emotional wirkte dieses Empfinden lange auf dieDeutschen ein und so mag es heute auf diesem Hintergrundverständlich erscheinen, dass ein bloßer Verweis auf dasGrundgesetz dem emotionalen Empfinden der Deutschen nichtgenügt. Bei der Suche nach der sogenannten deutschen Leit-Kultursollte man diese historische Entwicklung und ihr verborgenes Erbestets mit berücksichtigen.34<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Beruht Deutschland auf einer jüdisch-christlichenTradition?Oder: Gehört der Islam zu Deutschland? (Felix Röhlich)Ich habe noch gelernt, dass unser Land, unsereGesellschaftsordnung auf die christlich abendländische Kultur undTradition beruht und ferner auf die griechische Philosophie und demrömischen Rechtssystem. Sie hat eine lange Entwicklungsgeschichtedie viele Brüche aufweist bis in die jüngste Geschichte. Dazu gehörtauch der von Christen geistig vorbereitete und praktisch durchgeführteHolocaust an das jüdische Volk, vom Papst und den Kirchenmit wenigen Ausnahmen toleriert. Nun die christlich abendländischeTradition mit dem Wort „jüdisch“ zu ergänzen, halte ich schlicht füreine bösartige Fälschung um die christliche Barbarei zu verschleiern.Hätte man die jüdisch humanistische Kultur von Anfang an zurtraditionellen Verpflichtung gemacht, wäre dem christlichenAbendland viel Elend erspart geblieben. Der Hinweis auf das NeueTestament, um einen humanen Traditionsansatz zu finden, ist richtig,aber seit der Aufzeichnung des Neuen Testamentes durch dieApostel, hat es fast 2000 Jahre gebraucht bis wir zu einer humanenRechtsprechung und einem humanen Strafvollzug gekommen sind.Ein schwieriger Reformprozess der über viele Jahrhunderte dasDenken der Menschen langsam verändert hat.<strong>Die</strong>sen Prozess muss man auch dem Islam zubilligen. Z.Zt. leben rd.3 Mio. Muslime unter uns, damit ist der Islam nach Protestanten undKatholiken, die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland.Davon besuchen nach einer vorsichtigen Schätzung nur etwa 20%regelmäßig eine Moschee. Bei näherem Hinsehen ist festzustellen,dass der Islam nicht nur in Deutschland, ein ernsthaftes Image-Problem hat, man findet dort <strong>keine</strong> Antwort auf dieHerausforderungen der modernen Welt und das moderne Leben.Globalisierung und sekundenschnelle Informationen per Internetmachen auch dem Islam zu schaffen. <strong>Die</strong>s trifft im Wesentlichen aufdie Sunniten zu, die mit 90% den größten Teil im Islam stellen. <strong>Die</strong>restlichen 10% werden von den Schiiten gestellt, die hauptsächlich inden Ländern Iran, Irak, Afghanistan und Pakistan wohnen und dieauch den größten Teil der islamischen Fundamentalisten stellen. IhrZiel ist die Einheit von Staat und Religion auf der Basis des Koran,auch als Jurisdiktion. <strong>Die</strong> internen Au<strong>sein</strong>andersetzungen im Islamkann man mit den Religions-kriegen im16. und 17.Jh. in Deutschlandvergleichen.Den Islam jedoch nur auf Religion und Koran zu reduzieren ist genauso falsch wie das Christentum nur auf Kirche und Bibeleinzugrenzen. In früheren Zeiten erfreute sich die islamische Welt,auch als Morgenland bezeichnet, eines hohen Ansehens in unseremLand. Schon Karl der Große pflegte einen Gesandtenaustausch mitdem Kalifenhof in Bagdad und <strong>sein</strong> Biograph Einhard berichtet vomhohen Stand der Kultur und der Wissenschaften am Hofe Harun al-35<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Raschid. Viele Bestandteile des arabischen Bildungsgutes und derWissenschaft haben Eingang in unser Alltagsleben gefunden.Künstler, Architekten, Maler, Musiker und Schriftsteller haben sich im18./19.Jh. unter dem Oberbegriff „Orientalismus“ mit dem Orient unddem Islam au<strong>sein</strong>andergesetzt und arabische und islamische Motiverezipiert. Am bekanntesten wohl Lessing mit „Nathan der Weise“ undGoethe mit dem „West-Östlichen Diwan“, viele Architekten warenvom orientalischen Baustil inspiriert wie das Beispiel NeuSchwanstein und Linderhof zeigt. Auch die orientalischeGenussfreudigkeit hat ihre Spuren hinterlassen, ohne Zucker, Kaffee,Marzipan, Muskat, Pfeffer, Zimt und Orangen ist unsere Ernährungnicht mehr denkbar. Es gibt viele Beispiele über den islamischenBeitrag zu den Fundamenten der abendländischen Bildung, worausfolgert, dass der Islam zu Deutschland gehört, nicht nur weil zur Zeit2 Mio. Muslime hier wohnen.Eine stärkere Besinnung auf Gemeinsamkeiten könnte dieverkrampfte Diskussion wieder entspannen. Christen und Muslimeteilen die Überzeugung von der Gleichheit und Würde allerMenschen. Beide Religionen vereint die Verpflichtung an der Seiteder Armen und Bedrückten zu stehen, gegen die Ausbeuter. Fürbeide gilt Frieden als erstrebenswert, wenn auch dieVoraussetzungen unterschiedlich sind. Schließlich ist auch hierToleranz notwendig, nur weil für mich die eigene Religion diesubjektiv beste ist, muss sie es nicht objektiv für die ganzeMenschheit <strong>sein</strong>.36<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


37II. TeilFragestellungen<strong>Die</strong> in der <strong>Rote</strong>n <strong>Plattform</strong> intern geführte Diskussion zum Thema<strong>Integration</strong> hat schon nach kurzer Zeit verdeutlicht, wie schwierigdieses Thema ist. Insbesondere dann, wenn man, wie es derAnspruch der <strong>Rote</strong>n <strong>Plattform</strong> ist, den Diskurs nicht oberflächlich,sondern tiefergehend führen will. <strong>Die</strong>se Art der Herangehensweisewird Ergebnisse zu Tage fördern, die sicherlich zuGegenargumentationen und zu Widerspruch Anlass geben werden.Weiterhin wird es aber auch hoffentlich dazu führen, dass sich beivielen Menschen, die mit dem Thema in Berührung kommen, sei eszufällig auf der Straße, in der Kneipe, in Gesprächen mit Nachbarnund Freunden, oder absichtlich, in dem sie sich aktiv an derDiskussion beteiligen, die Frage stellen wird: Muss ich persönlichmeine Sichtweise ändern? Darf man die Frage nach einemgesellschaftlichen Zusammenleben so oberflächlich wie bisherbeantworten oder wirkt diese, auch meine Oberflächlichkeit gar inunserer Gesellschaft zerstörerisch?Ich sprach eben von tiefer gehender Diskussion. Wenn man diesenAnspruch, so wie wir dies tun, aus unserer politischen Herkunft undHeimat ableitet, muss man <strong>sein</strong>e thematischen und argumentativenGrundlagen feststellen, indem man sich als erstes fragt:1.Wo liegen die Aufgaben innerhalb der <strong>Integration</strong>sdebattea) bei der <strong>Rote</strong>n <strong>Plattform</strong>b) bei der Partei undc) bei den Fraktionen?<strong>Die</strong>se Fragestellung birgt noch <strong>keine</strong> inhaltlichen, sondern reintechnische Grundlagen in sich. Wenn man sich aber dann über dieAufgabenverteilung Klarheit verschafft hat, wird man erst den Schrittzu inhaltlichen Überlegungen gehen können. Wir werden uns fragenmüssen, was2.heißt denn eigentlich <strong>Integration</strong>? Meinen wir Anpassung anetwas Bestehendes oder meinen wir Zusammenführen vonunabhängig existierenden Verschiedenheiten und so dieHerstellung eines neuen Ganzen?<strong>Die</strong> sich hieraus ergebende Antwort wird grundlegenden Charakterfür die ganze zukünftige Diskussion haben. Sie ist elementar wichtigund wird in unserer Fragestellung Nr. 3 präzisiert, indem wirbeantworten müssen, ob wir<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


3.innerhalb unserer <strong>Integration</strong>sdebatte nur unsere Wertepredigen und in unserem Denken so engstirnig sind, dass wirnur unseren eigenen Standpunkt zulassen?Man muss sich darüber im Klaren <strong>sein</strong>, dass ein Bewusstwerden deseigenen Wertefundaments nur ein erster Schritt <strong>sein</strong> kann, eineweitergehende, ergebnisoffene Diskussion führen zu können. Ausdiesem Grund stellen wir uns kritisch die Frage:4.Sind wir bereit, die gesellschaftlichen Veränderungen, wie siedurch das Miteinander verschiedener Kulturen längstentstanden sind, als Herausforderung mit all ihren Problemenund Chancen anzunehmen.Wenn wir dies verneinen würden, würde das wiederum bedeuten,dass sich die <strong>Integration</strong>sdebatte nur innerhalb der Grenzen derEingliederung in ein bestehendes System bewegen dürfe. Stoßen wirhier schon auf unüberwindliche Hürden?Da wir uns jedoch darüber bewusst sind, das man im Vorfeld einerDebatte <strong>keine</strong> Schienen legen <strong>darf</strong>, auf der sich die Diskussionbewegen muss, wird das freie Spiel der Argumente Früchte tragen.Das ist eine der grundlegenden Fundamente der <strong>Rote</strong>n <strong>Plattform</strong>.Insoweit muss dann auch erlaubt <strong>sein</strong> zu fragen:5.Kann die <strong>Integration</strong>sdebatte dazu führen, in dieserGesellschaft das friedliche Zusammenleben auf der Grundlageeiner gemeinsamen Wertebasis zu ermöglichen und zufördern?und in diesem Kontext anschließend die Frage Nummer6.Ist <strong>Integration</strong> auch eine Frage nach sozialen Unterschiedeninnerhalb unserer Gesellschaft?Um ein Um- und Weiterdenken innerhalb der Gesellschaftvoranzubringen, ist zunächst nach den Ursachen zu forschen, die zuraugenblicklichen Situation in der <strong>Integration</strong>sdebatte geführt haben.Dabei kommen wir auch nicht umhin, eine ehrliche Antwort auffolgende Fragestellung zu geben:7.Liegt eine der Ursachen der augenblicklichen<strong>Integration</strong>sproblematik in den 60er Jahren bei der Industrie,die mit dem Ruf nach Arbeitskräften aus Europa dieWanderungsbemühungen aus den „armen“ in die soangepriesenen „reichen“ Länder erst befeuerte?38<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


<strong>Die</strong>se und weitere Einsichten lassen vermuten, dass <strong>Integration</strong>wesentlich mehr ist, als derzeit erörtert wird. Es müssen also auchFragestellungen wie:39und8.Wie verhält es sich eigentlich mit der christlich humanistischenSichtweise?9.Welche Rolle spielen die Medien bei der Meinungsbildung, vorallem in Bezug auf unser Bild vom Islam?10.in wie weit in einer auf Debatte angewiesenen Demokratieeine gemeinsame Sprache unabweisbar ist und welcheAuswirkungen die Tatsache hat, das Sprache einem stetemWandel durch verschiedenste Einflüsse unterworfen ist.untersucht werden.Innerhalb einer weitergehenden Diskussion muss es auch erlaubt<strong>sein</strong> Argumente vorzubringen, die man vielleicht nicht so gerne hört.<strong>Die</strong>se Argumente und Ansichten gehören aber dazu, das Thema<strong>Integration</strong> in <strong>sein</strong>er ganzen Breite zu beleuchten. Nur so können wirzu einem Ergebnis gelangen, das der Wichtigkeit der Fragestellunggerecht wird.Ein Aspekt ist die Entstehung von Gettos.Hierzu drängt sich eine Vielzahl von Fragen auf. Wir stellen zweidieser Fragen in absichtlich provozierender Form. Daraus wirddeutlich, wie existenziell wichtig deren Beantwortung für einenkonstruktiven Diskussionsverlauf <strong>sein</strong> wird.11.Ist das Entstehen von Gettos einer der größten Feinde der<strong>Integration</strong>?12.Führt die Entstehung von Gettos dazu, dass nun plötzlichDeutsche in den Stadtteilen und Schulen zur oftmalsangefeindeten Minderheit werden?An der Beantwortung der vorgenannten Fragestellungen wird sicherweisen, wie es um den <strong>Integration</strong>swillen aller Beteiligten bestelltist.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Um eine <strong>Integration</strong>sdebatte konstruktiv führen zu können, müssenfolgende Grundvoraussetzungen gegeben <strong>sein</strong>.13.- genügend Freiheiten in der Debatte, um voneinander zulernen und so für beide Seiten positive Erinnerungs- undErfahrungsräume zu schaffen4014.- gegenseitiges tolerieren unserer unterschiedlichen religiösenBedürfnisse auf der Grundlage der Werte „Demut -Nächstenliebe - Barmherzigkeit“Es be<strong>darf</strong> <strong>keine</strong>r prophetischen Gabe zu erkennen, dass sich indieser Frage nach den religiösen Bedürfnissen ein Großteil derDebatte widerspiegeln wird. Aber die Frage nach der Religion istnicht die einzige, sondern auch die Frage15.ob es notwendig <strong>sein</strong> wird, viel mehr Begegnungen derKulturen zuzulassen und ggfls. Begegnungen zu fördern.Dann wird es sich auch erweisen müssen,16.ob diese Begegnungen bewusst verhindert werden und wennja, von wem und zu welchem Zweck?Am Ende aller Fragen und Überlegungen stehen wir nun an einemPunkt, der immer ungern angesprochen wird, aber irgendwann alleszu überlagern droht. <strong>Die</strong> Frage des Geldes. Denn konkrete<strong>Integration</strong>smaßnahmen werden Geld kosten.17.Wer außer dem Steuerzahler muss noch zur Bezahlungherangezogen werden?Erinnern wir uns an Frage 7.18.Wer ist derjenige, der verdient, verdient hat?19.Endet die <strong>Integration</strong>sdebatte in einer Finanzdebatte?Neben der finanziellen be<strong>darf</strong> es zugleich auch immer einerpolitischen Machbarkeit und dies erfordert die In-die-Pflicht-Nahmeder Eliten.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


20.Beinhaltet eigentlich die augenblickliche <strong>Integration</strong>sdebatteden Versuch der politischen und wirtschaftlichen „Eliten“unseres Landes, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zumanipulieren und Verhalten zu steuern? Ist der Eindruckrichtig, dass sich unsere sog. Eliten aus der Verantwortungstehlen wollen?41Zwanzig Fragen, deren einzelne Antworten wiederum unzähligeFragen in sich bergen. <strong>Die</strong>s ist die Natur einer Diskussion, wenn sienicht nur oberflächlich, sondern tiefgründig geführt werden will.<strong>Die</strong> Mitglieder der <strong>Rote</strong>n <strong>Plattform</strong> jedenfalls sind bereit, dieseDiskussion in unsere Gesellschaft zu tragen und den Diskurs mitallen, die sich beteiligen möchten, zu führen.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


42III. Teil<strong>Die</strong> DiskussionAnfang April 2011 wurden von der <strong>Rote</strong>n <strong>Plattform</strong> 2Diskussionsrunden zum vorgegebenen Thema durchgeführt. InDüren fand die Veranstaltung im„Komm-Zentrum“ mit der Podiumsbesetzung• Liesel Koschorreck,1. Stellv. Landrätin und integrationspolitischeSprecherin der Kreistagsfraktion• Pfarrerin Susanne Rössler,Sprecherin im Bündnis gegen Rechtsextremismus undGewalt im Kreis Düren• Saffet Akkas,Mitglied im <strong>Integration</strong>sausschuss der Stadt Düren undSprecher im Bündnis gegen Rechtsextremismus undGewalt im Kreis Dürenund in Aldenhoven in der„Altenresidenz Gut Köttenich“ mit der Podiumsbesetzung• Pfarrer Charles Cervigne,Bündnis gegen Rechtsextremismus und Gewalt in derGemeinde Aldenhoven• Udo Wassenhoven,Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Rat derGemeinde Aldenhoven• Yüksel Özdal,Mitglied im Gemeinderat Aldenhovenstatt. Besucht wurden die Veranstaltungen von jeweils ca. 30 bis 35interessierten Bürgerinnen und Bürgern.Im folgenden Text haben wir versucht, den Ablauf und dieDiskussionsrichtung anhand der mitgeschriebenen Argumentationenso darzulegen, damit sich die Leserinnen und Leser einenGesamteindruck verschaffen können. Zu diesem Zweck wurden dieDiskussionsbeiträge thematisch zusammengefasst und innerhalb dereinzelnen Zusammenstellungen gegliedert.Im Einzelnen kann man so drei verschiedene Themen benennen,wobei das Thema Verantwortungen nochmals in drei Unterthemenaufgeteilt werden konnte.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


43<strong>Die</strong> Themenfelder stellen sich somit wie folgt dar:a) <strong>Integration</strong> ist <strong>keine</strong> <strong>Einbahnstraße</strong>b) Verankerung im Umfeldc) Verantwortungenca) Schulische Verantwortungcb) Religiöse Verantwortungcc) Öffentliche/politische Verantwortunga) <strong>Integration</strong> ist <strong>keine</strong> <strong>Einbahnstraße</strong>Aussagen wie „Migranten haben es schwer in Deutschland“ oder „eswird viel geredet, aber tatsächlich passiert nichts“ bis hin zu „wollenMigranten überhaupt integriert werden“ und „ die Debatte findet beiJugendlichen nicht statt“ zeigten schon ganz zu Beginn dieKontroverse und die Vielschichtigkeit in den Argumentationen zumThema <strong>Integration</strong>. (Anmerkung zum Verständnis: Wobei die letzteAussage in dem Fall positiv gemeint war, da es im Bekanntenkreisdes Diskutanten freundschaftlichen Kontakt, aber <strong>keine</strong> Problemezwischen Migranten und Einheimischen gibt.) Daneben gab es aberauch Diskussionsbeiträge, die bereits in einer frühen Phase derGespräche dazu geeignet waren, Standpunkte durch den Hinweisauf Fehler beider Seiten zusammenzuführen. So zum Beispiel:„Deutschland hat falsche Vorstellungen von der Türkei“ und „auchMigranten wissen nichts über Deutschland“, wobei die Feststellung,dass „<strong>Integration</strong> der kleinste gemeinsame Nenner sei“ durchaus alsBasis für den weiteren Diskussionsverlauf angesehen wurde.Darauf aufbauend half der Beitrag eines Teilnehmers, der daraufhinwies, dass „<strong>Integration</strong> kein Migrantenproblem, sondern vielmehrein Problem sozialer Strukturen sei“. <strong>Die</strong>se Ansicht wurde dadurchunterstützt, dass durchaus erkannt wurde, dass viele Migrantinnenund Migranten sozusagen zwischen allen Stühlen säßen. Denn viele„fühlten sich weder der muttersprachlichen Kultur, noch derdeutschen Sprache und Kultur wirklich zugehörig.“ <strong>Die</strong> Folge daraussei eine „Zugehörigkeit zu gar nichts“, wie es einDiskussionsteilnehmer ausdrückte.Grundsätzlich wurde aber zugestanden, dass der „Wunsch aller zwarimmer Teilhabe“, jedoch „zu wenig Engagement von beiden Seiten“zu erkennen sei. In diesem Zusammenhang verglich einDiskussionsbeitrag die Bemühungen zur <strong>Integration</strong> mit „einer ArtKreislauf, der mit jedem Menschen neu begänne“. Dazu gehörteauch die Feststellung, dass „<strong>Integration</strong> viel umfassender als dasMigrationsproblem“ sei, denn „Stichworte wie: Behinderte,gesellschaftliche Probleme, Verteilungsproblem, nicht nur eine,sondern jede Menge Parallelgesellschaften wären Teil des Problemsund die verschärften sich immer noch mehr.“ <strong>Die</strong>se„Parallelgesellschaften“ oder „Gettobildungen“, wie es auch genannt<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


44wurde, wären in höchstem Maße hinderlich, vielleicht sogargefährlich im Bemühen, den Kreislauf der <strong>Integration</strong> in Bewegungzu halten. Und dabei machten „nicht nur Kinder“, wie ein andererDiskussionsbeitrag lautete, „sondern alle Betroffenen <strong>keine</strong>milieuübergreifenden Erfahrungen mehr.“ Eine Beendigung dieserTendenz wäre in höchstem Maße geboten, auch wenn sichangeblich die „Motivation von Migranten als sehr schwierig (z. B.Projekt Gesundheitsmediation)“ erweisen könnte.Aber wie würde ein Lösungsansatz aussehen? Hierüber machtensich die Teilnehmer viele Gedanken. Erkannt wurde, dass „wir mehrmiteinander ins Gespräch kommen müssten“ und diese Gesprächesollten durchaus auf einer „positiv emotionalen“ Ebene stattfinden,denn zur Zeit würde die „Diskussion ohne Herz geführt“.Dazu beitragen, die Diskussion in diese gewünschte Richtung zubringen, könnten Vorschläge wie „es ist doch schön, dass wirverschiedene Kulturen haben, wieso kann man das nicht alsBereicherung sehen?“ und „wir sollten Migranten nicht fragen wo sieherkommen, sondern wo sie hin wollen“. In diesem Zusammenhangwurde ein anderer Faktor ebenfalls als wichtig erachtet: „dieZeitschiene“ und damit einhergehend die Antwort auf die Frage: “Wostehen wir eigentlich innerhalb der Diskussion?“Neben dem Vorgenannten wurden jedoch auch weiterproblemlösende Ansichten vertreten. Dabei wurde zum Beispieldarauf hingewiesen, dass die „Zielgruppe Migranten eineheterogene Gruppe sei, d.h. man könne nicht alle in einen Topfwerfen“. Es handelte sich immer um Menschen - jeder für sicheinzigartig. Das zu erkennen und zu verinnerlichen würde die„Einstellung zu den Mitmenschen ändern und positiven Einfluss aufden weiteren <strong>Integration</strong>sprozess ausüben.“ In wie weit sich dasArgument, dass die „ältere Generation sich besser integriert habe,obwohl sie ihre Identität behalten hätte“ als „Jugendliche, die sich vielstärker mit Glauben und Heimatstaat identifizieren“ aufrecht erhaltenlassen kann, bleibt abzuwarten, denn die Zuordnung in bestimmteSchubladen erscheint hier offensichtlich. (Anmerkung zumVerständnis: <strong>Die</strong>se Aussage fiel im Zusammenhang mit derChancenlosigkeit junger Migranten, die zum großen Teil inDeutschland geboren wurden. <strong>Die</strong>se Gruppe werde heute viel stärkerals früher im System -angesprochen war hier vor allem dasSchulsystem- separiert und wolle daher oftmals auch nicht mehrdazugehören.) Richtig ist aber, dass „Verhaltensmuster vonMenschen in ähnlichen Situationen auch ähnlich sind und eineFragmentierung zur Abgrenzung führt, woraus dann wiederGegenreaktionen folgten“Was aber in <strong>keine</strong>m Fall passieren <strong>darf</strong>, dass „<strong>Integration</strong> mitAssimilation verwechselt wird“. Denn in den Fällen, wo dasgeschieht, ist auch das Empfinden vieler Migrantinnen und Migrantennachvollziehbar, die sagen, „<strong>Integration</strong> wird doch nur alsKampfbegriff verwendet“. (Anmerkung zum Verständnis: Hier war vor<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


45allem auch der Vorwurf an die Politik mit enthalten, mit „<strong>Integration</strong>“werde heute oft nur noch eine Erwartungshaltung ausgedrückt. Sonach dem Motto: „So jetzt integriert euch endlich mal.“ Wenn dasaber nur von einer Seite kommen muss, wären wir ja wieder beiAssimilation.) Um dieser Gefahr entgegen wirken zu können, sindEinsichten wie “ <strong>Integration</strong> ist Wechselbeziehung“ und „Mitmachenist das Entscheidende“ von grundlegender Bedeutung.Wir müssen, und das war unbestritten, „um <strong>Integration</strong> umzusetzen,die Menschen besser kennen lernen. Zusammenkünfte müssten auchund vor allem dann stattfinden wenn nichts Besonderes passiert undnicht nur, wenn die Debatte gerade wieder hoch kocht“. Dabei werdenwir erleben, dass wir von „einem Prozess sprechen können, bei demsich auch die Einheimischen verändern“ werden. (Anmerkung zumVerständnis: Und das ist die logische Konsequenz von <strong>Integration</strong>,wenn man nämlich davon ausgeht, dass zwei Seiten dazugehören,die sich aufeinander zubewegen.)b) Verankerung im UmfeldEinen kleineren Teil der Diskussion beschäftigte die Fragestellung,wie denn bereits zum jetzigen Zeitpunkt Bemühungen zur <strong>Integration</strong>in der Gesellschaft wirken bzw. angenommen werden. Dabei wurdevon Erfahrungen von Diskussionsteilnehmer/Innen berichtet, diebesagen, dass es bereits heute „Organisationen gäbe, die gutarbeiteten, aber vielleicht nicht genug in der Öffentlichkeit ständen (z.B. kümmere sich ein <strong>Integration</strong>skreis um Sprachkurse,Vermittlung/Qualifizierung von schwer vermittelbaren Jugendlichenwird gefördert, die Sprachförderung in Kitas wird vorgenommen,Sportvereine dienten als Stätte praktischer <strong>Integration</strong> uvm.).Insgesamt könne man sagen, dass das Rad nicht neu erfundenwerden müsse.“ Dabei wurde hervorgehoben, dass „es nicht darumginge, wie man die vielfältigen Bemühungen nenne, sondern dasüberhaupt gehandelt würde“.Natürlich wurden auch die bestehen Probleme benannt. So ist esbeispielsweise schwierig, trotz guter Vorsätze „Kontinuität in denBemühungen aufrecht zu erhalten“ oder wie man erst mal denKontakt zueinander fände. Ein Teilnehmer drückte es wie folgt aus:„aber das große Problem ist, wie kommt man an die ran, die nichtorganisiert sind (von beiden Seiten)“. Ein weiterer Einwurf lautete:Gerade Mädchen im Teenageralter verschwinden oft völlig von derBildfläche.“ In wie weit diese letzte Aussage allgemeine Bedeutunghat, konnte in der Diskussion nicht abschließend geklärt werden.Wenn sich jedoch dieser Einwurf als richtig erweisen sollte, ist ihmnachzugehen. Insgesamt aber war man sich einig, dass sich„<strong>Integration</strong> im Alltag bewähren muss, allein nur mit Festen sei esnicht getan.“<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


c) Verantwortungen46ca) Schulische VerantwortungVerschiedene Diskussionsteilnehmer sahen in der Lösung derBildungsfrage den Schlüssel, das <strong>Integration</strong>sproblem in den Griff zubekommen. „Alles dreht sich doch um einen Punkt: Bildung“, und„Sprache und Schulbildung führen sowieso zur <strong>Integration</strong>“. Ist eswirklich so einfach? Sicherlich hat man durch eine gute Sprach- undSchulbildung bessere <strong>Integration</strong>schancen als ohne, sicherlich„müssen wir uns darum kümmern, dass die Kinder Deutsch lernen“,sicherlich ist auch „muttersprachlicher Unterricht wichtig“. Ist er das?Hier gingen die Ansichten au<strong>sein</strong>ander. Verschiedene Meinungenbesagten, dass „muttersprachlicher Unterricht in einer Zeit sinnvollwar, als man noch dachte, die Einwanderer würden wieder in ihreHeimatländer zurückkehren“, aber heute? <strong>Die</strong> Menschen sindgeblieben, bis zur mittlerweile 3. Generation. So fragte man sichdann auch, ob denn „muttersprachlicher Unterricht für Kinder in der3. Generation überhaupt noch nötig sei? Eigentlich sollte es doch so<strong>sein</strong>, dass die Kinder der 3. Generation doch so gut Deutsch könnensollten, um am sozialen Leben teil zu haben.“ Eine Verantwortungder Schulen für die Erteilung von muttersprachlichem Unterricht,wenn man die „Ursprungssprache“ überhaupt noch so nennen kann,wurden von Teilen des Plenums nicht mehr gesehen, dennMuttersprache sollte in dieser Generation die deutsche Sprache <strong>sein</strong>.Andere waren durchaus der Meinung, dass der muttersprachlicheUnterricht unbedingt erhalten werden muss, um eineZweisprachigkeit und damit einen Vorteil für Migranten zu erhalten.Das dürfe natürlich nicht dahin führen, dass der gesamte Unterrichtin der „Muttersprache“ stattfindet weil die Kinder, die hier leben keinDeutsch mehr könnten. (Anmerkung zum Verständnis: Sprachewurde auch durchaus nicht nur als Migrationsproblem beschrieben,sondern als gesellschaftliches. Stichwort „bildungsferne Schichten“.)Insgesamt müssen wir jedoch aufpassen, dass wir die Sprachbildungzwar als ein sehr wichtiges, aber nicht als dasAlleinstellungsmerkmal ansehen. Auch wenn einDiskussionsteilnehmer einen weiteren Gesichtspunkt aufgriff, indemer anmerkte, dass das Problem viel weiter zurück gehe alsaugenblicklich diskutiert (Stichwort: Nazi-Deutschland /Judenschule)Es seien dringend Vorträge an Schulen nötig, wie sie beispielsweiseim Zeitzeugenprogramm angeboten würden.Um die schulische Verantwortung umfassender zu beschreiben, sahman neben der Sprach- oder der Bildungsproblematik imherkömmlichen Sinne zur schulischen Verantwortung zählend auchdie Lösung des finanziellen Problems. Gemeint war hier diezunehmende finanzielle Abhängigkeit der Schulen innerhalb unseresSchul-und Bildungssystems. <strong>Die</strong> Kosten-Nutzen-Frage beherrscheheute in vielen Fällen die Diskussion. Daneben führt der immerstärker werdende Konkurrenzdruck zwischen den Schulen dazu, dass<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


47diese bereits mit „niedrigem Ausländeranteil werben und so dieSituation nochmals verschärften“.cb) Religiöse VerantwortungAuch, wenn die Diskussion erst entsprechend angestoßen werdenmusste, erscheint es als sinnvoll, diesem Verantwortungsbereichebenfalls ein gesondertes Kapitel zu widmen. Insbesondere auchdeswegen, da man davon ausgehen kann, dass die religiösenVerantwortungsträger eventuell eine nicht zu verachtendeVermittlerrolle spielen könnten.<strong>Die</strong>se Erwartung gründet sich unter anderem in Aussagen wie: „wo<strong>Integration</strong> nicht funktioniert, halten die Leute sich an Religion undNationalität fest“. Will heißen, dass die Menschen sich in die-eventuell auch scheinbare- Geborgenheit der Religionen flüchten,wenn man von Ausgrenzung und Ablehnung betroffen ist und nicht ingesellschaftlicher Geborgenheit lebt. Durchaus erkannt hatte manaber auch, dass man „sich nicht in Religionsfragen einmischen sollte.Fragen zu stellen sei zwar erlaubt; jedoch direkte Einmischung nicht,außer es gäbe klare Gesetzesverstöße“. Unter anderem war manzudem der Meinung, dass die „Einmischung in religiöse Fragenheute, morgen zur Einmischung in die Kultur führe.“Einen Grund zur kritischen Nachfrage sah man aber trotz allerZurückhaltung: nämlich „ bei dem klassischen Problem der Rolle derFrau im Islam.“ Und hier war man ganz klar der Meinung, dass „auchund gerade in diesem Bereich Fortschritte möglich <strong>sein</strong> sollten“.Denn die Beantwortung der Frage der Gleichberechtigung zwischenMann und Frau definierte man als eine der „zentralen Aufgaben“,wenn man von religiöser Verantwortung in der <strong>Integration</strong>sdebattespricht.cc) Öffentliche/politische VerantwortungIn den letzten Jahren war es für den interessierten Beobachtergeradezu augenfällig, dass sich der Ton innerhalb der<strong>Integration</strong>sdebatte veränderte. Allein schon die Bezeichnung„Einwanderungsbegrenzungsgesetz“ zeigt dies überdeutlich. Es fälltschwer den Eindruck zu vermeiden, dass die zu uns kommendenFrauen und Männer mit einer Art „Schadstoff“ verglichen werden, derunsere Gesellschaft schädigt und daher zu begrenzen ist. Und wennman weiterhin etwas überspitzt die Situation beschreibt, könnte mansagen, dass diese Angst vor Schädigung schon so tief in uns ist, dassman kurzerhand über die Schließung von Grenzen –auch innerhalbder EU- nachdenkt. Grenzen, die eigentlich überwunden zu <strong>sein</strong>schienen.<strong>Die</strong> „Diskussion innerhalb der Politik sei oberflächlich“, von Panikgeprägt und somit nicht rational. Es wird völlig außer Acht gelassen,<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


48dass „nicht Migrantinnen und Migranten, sondern die Ursachen fürnicht gelingende <strong>Integration</strong> bekämpft werden müssen“. DerVorwurf, dass die „Politik Probleme jahrzehntelang verschlafen habe“sei nicht von der Hand zu weisen und wenn es mal aufgegriffenwurde, dann „war die Diskussion oberflächlich“ und wurde noch„wahlkampftaktisch missbraucht“. <strong>Die</strong>s war einer der wichtigstenPunkte zu diesem Themenfeld; nämlich Wahlkampf zu machen mitParolen gegen Ausländer. Wie muss sich ein Mensch fühlen, dersolchem ausgesetzt ist?„<strong>Die</strong> Debatte müsse sachlicher werden, politische Parolen helfennicht weiter“. Worthülsen wie „deutsche Leitkultur“ seien leereGebilde und wenig hilfreich, wenn nicht sogar schädlich. Im Übrigengälte dies auch für die überschnelle und gedankenlose„Gleichstellung von <strong>Integration</strong> und Religion“. <strong>Die</strong>s waren nur einigebeispielhafte Forderungen.Wenn von <strong>Integration</strong> gesprochen wird, sprechen wir in erster Linieüber eine soziale Frage. Der „soziale Status sei entscheidend, sozialbesser gestellte Migrantinnen und Migranten integrierten sich leichterals soziale schwache. Es sei mehr und mehr zu beobachten, dassdas auch „gerade für Jugendliche zuträfe“, so jedenfalls dieBeobachtung eines Diskussionsteilnehmers.Aber woran liegt das? <strong>Die</strong> Teilnehmerinnen und Teilnehmer derDiskussionsrunden konnten diesbezüglich auch kein Patentrezepterarbeiten. <strong>Die</strong> einen sagten, dass die „Gesellschaft sich immer mehrdeintegriere (in allen Aspekten) und dieser Prozess dann auch nochpolitisch missbraucht würde und die anderen sahen das Versäumnisdarin, dass „<strong>Integration</strong>sdebatten immer mit Forderungen“einhergehen, wobei wir wieder beim Thema „Kampfbegriff“ angelangtwären.Wichtig erscheint zunächst, das allgemein vorhandene Misstrauenbeiderseitig abzubauen. Denn eine „tiefergehende Diskussionbekommt man nur in vertrautem Rahmen“. Kommen die Politik unddie öffentlichen Institutionen ihrer Verantwortung hier nach? Sind siein der Lage, notwendige Rahmenbedingungen zu schaffen?Während der Diskussion wurde der Eindruck immer deutlicher, dassvieles im Argen liegt. Zwar gestand man zu, dass die Gesellschaft alsGesamtheit die Aufgabe hat, <strong>Integration</strong> zu fördern und im bestenFalle zu vollenden, jedoch das Fundament, auf dem diese großeAufgabe bewältigt werden könne, fehlt.Es gibt aber auch positive Ansätze. So wurde während derDiskussion bekannt, dass „die Erarbeitung neuer gesetzlicherBestimmungen im Land NW, die z.B. Migrantenvertreter/Innen inJugendhilfeausschüssen zulassen oder das Bestreben, imBildungsbereich mehr Chancengleichheit zu ermöglichen ebenso<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


49erste erfreuliche Ansätze seien wie das Vorhaben, Änderungen fürMigrantinnen im Gesundheitswesen zu erarbeiten“.<strong>Die</strong>se neuen Wege werden aber nicht nur im Land NW, sondern auchin unserem kommunalen Bereich zu gehen versucht. Doch ist dieserWeg steinig und eine Einigung erscheint noch weit entfernt. So wurdez.B. vorgeschlagen, dass es „sinnvoll wäre, eine Stelle in denRathäusern zur Beratung in Wohnraumfragen und anderenProblemfällen“ einzurichten. Hierüber war man sich zwar ebensoeinig wie über die Notwendigkeit von <strong>Integration</strong>skonzepten. Dochwas kommt nach der Einsicht der Notwendigkeit? Wer gibt was vor?„Muss jede Gemeinde ein <strong>Integration</strong>skonzept haben“ oder „reicht esaus, wenn ein kreisweites <strong>Integration</strong>skonzept erarbeitet wird und dasdann verbindlich für alle Gemeinden im Kreis Düren gilt?“ Egal, wieman sich einig wird. Hauptsache wird <strong>sein</strong>, dass man sich einig wird.Auf ein verbindliches und aussagekräftiges <strong>Integration</strong>skonzeptaufbauend sollte es möglich werden, <strong>Integration</strong>sprozesse ab derGeburt zu begleiten. Erste Erfahrungen hierzu gibt es, sie zeigenjedoch, dass vielerorts die Besuche noch starken Kontrollcharakterhätten und nicht in jedem Fall die Menschen erreicht würden, dieerreicht werden sollten. (Anmerkung zum Verständnis: Das istnatürlich auch ein Thema, das nicht allein Migranten betrifft. <strong>Die</strong> Ideeging wahrscheinlich auf das Dormagen-Modell zurück, wo es vorallem um Prävention durch Begleitung von Geburt an geht. DasModell sollte vor allem in sozialschwachen Familien weiterhelfen.)Zusammenfassend ist zuzugestehen, dass einiges angegangen wird,aber auch vieles noch fehlt oder in die falsche Richtung zu gehenscheint. <strong>Die</strong>ses aufzuarbeiten, zu verändern und zu begleitenbeinhaltet die dringende Verantwortung der öffentlichen Institutionenund der politischen Parteien.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


50IV. TeilSchlussfolgerungenPräambel<strong>Die</strong> SPD war in ihrer langen Geschichte immer offen für alleMenschen, gleich welchen Migrationshintergrund sie haben, gleichwelche Hautfarbe und Religion sie haben, ihre traditionelle<strong>Integration</strong>spolitik war auch immer mit dem Thema SozialeGerechtigkeit verbunden, daran wollen wir auch in Zukunft festhalten.„<strong>Integration</strong> <strong>darf</strong> <strong>keine</strong> <strong>Einbahnstraße</strong> <strong>sein</strong>“.Der Arbeitskreis „<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>“ hat sich daher in denvergangenen Monaten intensiv mit dem Thema <strong>Integration</strong> befasst.<strong>Integration</strong> in dem Sinne, wie Menschen, die aus vielen Ländern zuuns nach Deutschland kommen, um hier zu leben und zu arbeiten,aufgenommen und in das Arbeits- und Gesellschaftslebeneingegliedert werden.Obwohl Deutschland auf Grund der demographischen Entwicklungein Einwanderungsland und, schon um den Bevölkerungsstatus zuhalten, auf Zuwachs von draußen angewiesen ist, gibt es immerwieder Probleme mit und Abwehrhaltungen gegen Migranten.Vielfach wird die Meinung vertreten, wer hier leben möchte soll sichanpassen, nach der Methode „Vogel friss oder stirb“, dabei wirdübersehen, dass <strong>Integration</strong> ein wechselseitiger Prozess ist.Angeregt von den zahlreichen Berichten in den Medien über<strong>Integration</strong>sprobleme sind wir der Frage nachgegangen, was<strong>Integration</strong> bedeutet und was zu tun ist. Hierbei wurde deutlich, wievielfältig dieses Thema ist. Es betrifft alle Lebens- und Politikbereicheund stellt somit eine Querschnittsaufgabe dar.Als ein zentraler Lösungsansatz in der <strong>Integration</strong>sdebatte wirdimmer wieder das Bildungssystem genannt. Ganz besonders indiesem Bereich fällt auf, dass die <strong>Integration</strong>sdiskussion tatsächlichviel weiter reicht als teilweise angenommen wird.Zum einen sind in der <strong>Integration</strong>sfrage im Bildungssektor längstnicht nur Migrantinnen und Migranten betroffen. Der<strong>Integration</strong>sbe<strong>darf</strong> reicht hier viel weiter, von finanziellBenachteiligten, die im deutschen Bildungssystem nachweislich nichtdie gleichen Chancen haben wie finanziell besser Gestellte, bis zuMenschen mit Behinderung, die durch ein inklusives Bildungssystemihren gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft finden sollen.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


<strong>Die</strong>ser Antrag konzentriert sich auf <strong>Integration</strong> zwischen Menschenmit Migrationshintergrund und Menschen deutscher Abstammung, daeine umfassende Behandlung aller Facetten nicht mehr übersichtlichwäre und damit mehr schaden als nutzen könnte.Bewusst ist die Rede von <strong>Integration</strong> zwischen Menschen, dennnach allen Überlegungen stellt sich <strong>Integration</strong> als einwechselseitiger Prozess dar und bei allen Problemen, die dieserProzess mit sich bringt, bleibt das Wichtigste die Gemeinsamkeit„Mensch“ zu <strong>sein</strong>.Ein großes Problem von Schülerinnen und Schülern ist das Fehlenmilieuübergreifender Erfahrungen. <strong>Die</strong>s ist dort der Fall, wobesonders viele Migrantinnen und Migranten in einem Stadtviertelwohnen und zur gleichen Schule gehen. Sehr deutlich zeigt sichdiese Entwicklung im dreigliedrigen Schulsystem. Migrantinnen undMigranten besuchen, vor allem in Städten und Großstädten, zu weithöheren Prozentsätzen die Hauptschulen als deutsche Kinder.Folglich ist an Gymnasien ist ein deutlich niedrigerer Prozentsatz vonMigrantinnen und Migranten vertreten. Ein Kontakt zwischen Kindernmit Migrationshintergrund und Kindern deutscher Abstammung wirddamit oftmals erschwert. Wo aber kein Kontakt stattfindet, ist auch<strong>keine</strong> Kommunikation vorhanden und Verständnis untereinanderentsteht nur, wenn man miteinander kommunizieren kann. <strong>Die</strong>Trennung, die teilweise erst durch das Schulsystem entsteht, hatnicht nur Auswirkungen auf dieser Ebene. Vielmehr werden bereitsim Schüleralter Parallelgesellschaften gebildet, die Verständnisfüreinander gar nicht aufbauen können. Heterogene Schülergruppenwären daher für die <strong>Integration</strong>sfrage ein klarer Fortschritt.Teilweise werben Schulen mit einem niedrigen „Ausländeranteil“.<strong>Die</strong>se Art der Werbung ist nicht zu akzeptieren und behindert eineerfolgreiche <strong>Integration</strong>sarbeit. Dass das Fehlen bestimmter Gruppenan einer Schule als Vorteil dargestellt wird, ist nicht nur kurzsichtig,sondern steht auch dem Bildungsauftrag der Schulen entgegen. Zielsollte es <strong>sein</strong>, möglichst viele Kinder möglichst gut auszubilden. Das„Aussortieren“ von Migrantinnen und Migranten zur Schaffung derIllusion einer Elite widerspricht dem Bildungsauftrag in erheblichemMaß.<strong>Die</strong> SPD steht für ein Bildungssystem, in dem jeder die gleichenChancen haben soll. Dazu gehört, dass bereits im Kindergarten bzw.in Kindertagesstätten, also auf der ersten Stufe desBildungssystems, diese Chancengleichheit hergestellt werden muss,damit in der Schule nicht weiterhin Nachteile irgendeiner Art –insbesondereSprachprobleme– ein erfolgreiches Lernen behindern. Umdies zu gewährleisten ist es notwendig, dass alle Kinder die ersteStufe des Bildungssystems auch besuchen.Als ebenfalls problematisch hat sich die Anerkennung von Schul-,Ausbildungs- und Studienabschlüssen herausgestellt. SelbstPersonen mit jahrelanger Berufserfahrung im Herkunftsland haben in51<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Deutschland oftmals Probleme mit der Anerkennung ihrer BildungsundBerufsabschlüsse, obwohl qualifizierte Einwanderer vielfachdringend gesucht werden, um dem Fachkräftemangelentgegenwirken zu können. Eine leichte und unbürokratischeAnerkennung der im Ausland erworbenen Abschlüsse wird alsdringend erforderlich empfunden. Nötigenfalls muss eine zeitnaheMöglichkeit zur Nachqualifikation in Deutschland angeboten werden.Neben der Bildungsproblematik spielt eine entscheidende Rolle dieSprache, denn Sprache ist nicht allein nur Kommunikation. Sie istTeil der Kultur und verbindet Menschen untereinander, sie ermöglichtein gegenseitiges Verstehen. Ein funktionierender Staat ohnegemeinsame Sprache ist undenkbar. Selbst in mehrsprachigenLändern ist meist eine Amtssprache festgelegt, auf die al<strong>sein</strong>heitliche Sprache zur Organisation zurückgegriffen wird.Wer nicht die Sprache des Landes spricht in dem er lebt, ist in vielenPunkten des gesellschaftlichen Lebens automatisch ausgeschlossen.Nicht nur Amtsgeschäfte werden zum Problem, sondernbeispielsweise auch Arztbesuche, Einkäufe und Theaterbesuche.Wenn zwei Menschen nicht die gleiche Sprache sprechen, wird <strong>keine</strong>normale Unterhaltung stattfinden und Missverständnisse sindvorprogrammiert.Eines der Kernprobleme in der <strong>Integration</strong>sfrage ist, dass vieleMigrantinnen und Migranten nicht oder nur schlecht deutschsprechen. Teilweise tritt dieses Problem selbst noch bei Kindern inder zweiten Generation auf, mit der Folge, dass sie sich auch imVerhalten stark von ihren deutschen Altersgenossen abgrenzen. Sieidentifizieren sich wieder viel stärker mit der Kultur und Sprache ihresHerkunftslandes, obwohl sie dieses teilweise nur aus dem Urlaubkennen.<strong>Die</strong>se jungen Menschen sehen in Deutschland <strong>keine</strong> Zukunft für sich,fühlen sich ausgegrenzt und insbesondere im Bildungssektor„aussortiert“. Verhaltensmuster von Menschen in ähnlichenSituationen sind auch ähnlich: Fragmentierungen solcher Art führenzur Abgrenzung, die sich dann als eine verstärkte Identifikation mitdem Abstammungsland zeigt. <strong>Die</strong>s ruft oft eine Gegenreaktiondeutscher Bürger hervor, die nicht nachvollziehen können, wie einederartige Abschottung, insbesondere auch in sprachlicher Hinsicht,zustande kommen kann.Der Wunsch, die Muttersprache beibehalten zu wollen, ist ebensonachvollziehbar wie die Forderung, die deutsche Sprache zuerlernen. Als unsinnig muss es daher angesehen werden, denGebrauch der Muttersprache von Migrantinnen und Migranten durchVerbote einschränken zu wollen. Vielmehr müssen vernünftigeSprachförderangebote gemacht werden, um zu verhindern, dassganze Familien und Gruppen durch die Unkenntnis der deutschenSprache vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind.52<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Neben Sprachangeboten für Erwachsene sind insbesondere dieAngebote für die frühkindliche Bildung verstärkt zu fördern undbereits in den Kindertagesstätten anzusiedeln.In religiöser Hinsicht sind die meisten Konfliktpunkte ungerechterWeise im Zusammenhang mit der islamischen Religion zu sehen.<strong>Die</strong> Gläubigkeit und Religiosität der Muslime ist vielen Deutschenfremd. Dabei <strong>darf</strong> auf <strong>keine</strong>n Fall vergessen werden, dass es in Art. 4des Grundgesetzes heißt: „(1) <strong>Die</strong> Freiheit des Glaubens, desGewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichenBekenntnisses sind unverletzlich. (2) <strong>Die</strong> ungestörteReligionsausübung wird gewährleistet.“Natürlich sind Diskussionen und Nachfragen erlaubt. Hier bestehtsogar eine große Chance zum Austausch zwischen den Religionen.Viele Gläubige, egal ob Christen, Muslime oder Andersgläubige,freuen sich über die Möglichkeit ihre Religion zu diskutieren undstehen dem offener gegenüber als oft angenommen wird.<strong>Die</strong> Trennung von Staat und Kirche gebietet Achtung vor der Religiondes Anderen und verbietet zugleich eine Einmischung in dasreligiöse Leben des Anderen. Deshalb bleibt eine Einmischung inreligiöse Fragen, abgesehen von klaren Gesetzesverstößen,verwehrt. Denn wer sich heute in die Religion von Migrantinnen undMigranten einmischt, wird vielleicht morgen deren Kultur anpassenwollen.<strong>Die</strong> Wortwahl in der dringend zu versachlichenden Debatte spielteine entscheidende Rolle für beide Seiten, Für den interessiertenBeobachter war geradezu augenfällig, dass sich der Ton innerhalbder <strong>Integration</strong>sdebatte veränderte. Es fällt schwer den Eindruck zuvermeiden, dass die zu uns kommenden Frauen und Männer miteiner Art „Schadstoff“ verglichen werden, der unsere Gesellschaftschädigt und daher zu begrenzen ist. Und wenn man die Situationweiterhin etwas überspitzt beschreibt, könnte man sagen, dass dieseAngst vor Schädigung schon so tief in uns ist, dass man kurzerhandüber die Schließung von Grenzen -auch innerhalb der EUnachdachte.Grenzen, die eigentlich überwunden zu <strong>sein</strong> schienen.<strong>Die</strong> Politik hat leider selbst viel dazu beigetragen, dass sich dieserTon in der Debatte etabliert hat. Wahlkampfparolen gegenMigrantinnen und Migranten und allgemeine Migrantenschelteerfreuen sich leider immer mehr Zustimmung in der Gesellschaft. Sievergisst über diese Wahlkampftaktik, dass nicht Migrantinnen undMigranten an sich, sondern die Ursachen für nicht gelingende<strong>Integration</strong> zu bekämpfen sind, wenn man tatsächlich etwasverändern will.Dass Migrantinnen und Migranten sich bei derartigen „Hetzjagden“nicht nur deutlich abgrenzen, sondern teilweise auch regelrecht53<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


edroht fühlen, ist nicht verwunderlich. <strong>Die</strong> Decke der Zivilisationerscheint sehr dünn.Viele Migrantinnen und Migranten beklagen, dass <strong>Integration</strong> häufignur noch als Kampfbegriff empfunden wird, da lediglich dieAnpassung von ihrer Seite erwartet werde, was dann in Wahrheiteher einer Assimilation gleichkäme.Solchen Empfindungen muss entgegengewirkt werden, wenn<strong>Integration</strong> erfolgreich stattfinden soll.Vielfach sind Lösungsansätze in <strong>Integration</strong>skonzepten bereitsenthalten, jedoch sind dies <strong>keine</strong> koordinierten Ansätze, dieeinheitlich gute Lösungen bieten. Viele Konzepte zur <strong>Integration</strong>laufen nebeneinander her. Gemeinsame Regelungen und Standardsgibt es bisher nicht. Eine Evaluation, bei der gute Lösungenherausfiltert und schlecht funktionierende verworfen werden, istdaher absolut erforderlich. Zudem müsste daran anschließend eineKoordination der <strong>Integration</strong>skonzepte erfolgen.Ein weiteres Problem sämtlicher Bemühungen um <strong>Integration</strong> ist dieFinanzierung. Gute Konzepte und Förderprogramme werden eineMenge Geld kosten. Ziel der Politik muss es <strong>sein</strong>, nicht allein eigenefinanzielle Mittel beizusteuern, sondern auch diejenigen in die Pflichtzu nehmen, die von Einwanderung, insbesondere in Zeiten vonArbeiter- und Fachkräftemangel profitieren oder profitiert haben.Zudem sollte man, dem politischen Mittel der Prävention folgend,besser früh investieren, um späteren deutlich höherenReparaturkosten entgegenwirken zu können. <strong>Die</strong> <strong>Integration</strong>sdebatte<strong>darf</strong> letztendlich nicht in einer Finanzdebatte enden.54Als Konsequenz aus der vorstehenden Analyse stellen wirfolgenden Antrag an den UB-Parteitag.1.<strong>Die</strong> Bundesregierung wird aufgefordert in Kooperation mit denLandesregierungen die Sprachförderung für Migrantinnen undMigranten in verstärktem Maße zu organisieren und zu fördern.Dabei sind zum einen Deutsch-Lehrgänge in Schrift und Spracheanzubieten, die für Erwachsene geeignet sind, zum anderen istbereits in der Kindertagesstätte / im Kindergarten dieSprachkompetenz junger Migranten festzustellen und nötigenfallsdurch Kindersprachkurse so zu verbessern, dass die schulischeLaufbahn ohne Sprachbarrieren begonnen werden kann.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


2.<strong>Die</strong> SPD fordert die Landesregierung(en) auf, ein allgemeines,beitragsfreies und verpflichtendes Kindergartenjahr einzuführen,dass allen Kindern vor der Schullaufbahn das Erlernen einervergleichbaren sprachlichen, geistigen und sozialen Kompetenzermöglichen soll.<strong>Die</strong> Landesregierung(en) werden beauftragt Schulen zu fördern, diedas Lernen in heterogenen Gruppen vorantreiben und demAnspruch auf Inklusion gerecht werden. <strong>Die</strong> Einrichtung vonGanztagsschulen wird von der SPD ausdrücklich befürwortet.<strong>Die</strong> Bundesregierung wird beauftragt sicher zu stellen, dassausländische Bildungs- und Berufsabschlüsse von Migrantinnen undMigranten unbürokratisch anerkannt werden. Sollte eine sofortigeAnerkennung auf Grund minderer Qualifikation nicht möglich <strong>sein</strong>, istautomatisch eine Zusatzqualifikation mit der anschließendenMöglichkeit zum Leistungsnachweis anzubieten, dessen erfolgreicherAbschluss direkte Anerkennung zur Folge hat.553.Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMT) wirdaufgefordert verschiedenste <strong>Integration</strong>skonzepte auf ihreWirksamkeit hin zu prüfen und aus den erfolgreichsten Maßnahmengemeinsame Standards abzuleiten. <strong>Die</strong>se gemeinsamen Standardsvon <strong>Integration</strong>skonzepten sollen unbeschadet weiterreichenderEngagements in allen Ländern, Städten und Gemeinden als gültigeRichtlinie vereinbart werden.4.<strong>Die</strong> Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sindsich aufgrund ihres humanistischen Grundverständnisses ihrerVerantwortung bewusst und verpflichten sich, die <strong>Integration</strong> durchihr Handeln und Verhalten bestmöglich zu unterstützen. Dazu gehörtinsbesondere eine aggressive, provozierende Wortwahl in derDebatte zu unterlassen und sich klar von „Anti-Migranten-Parolen“ zudistanzieren.5.<strong>Die</strong> Bundesregierung wird aufgefordert den Finanzrahmen für diegenannten Maßnahmen sicher zu stellen. Dabei ist nicht nur Geldaus der Staatskasse in einen Finanzierungsplan einzubeziehen.Auch Firmen, Organisationen und Unternehmen, die vonEinwanderung profitieren und profitiert haben, sind an denanfallenden Kosten zu beteiligen. Derzeit erfolgreich laufendeProjekte zur <strong>Integration</strong>, die durch eine staatliche Finanzierungermöglicht werden, sind in <strong>keine</strong>m Fall aufzugeben.<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


6.<strong>Integration</strong> stellt eine vielschichtige Querschnittsaufgabe dar, dieüber einen langen Zeitraum bearbeitet werden muss. Aus diesemGrund erscheint es notwendig, dass die verschiedenen<strong>Integration</strong>sbemühungen regelmäßig evaluiert werden. Deshalb wirdder Bundesvorstand der SPD aufgefordert, durch einen vomBundesparteitag zu wählenden <strong>Integration</strong>sbeauftragten jährlich demBundesparteitag einen <strong>Integration</strong>sbericht zur Diskussion,gegebenenfalls zur Genehmigung oder Entscheidung vorzulegen.Nach Ablauf von zehn Jahren verlängert sich derInformationszeitraum um jeweils weitere fünf Jahre, es sei denn, derBundesparteitag trifft eine andere Entscheidung. Der Bericht sollAuskunft über den aktuellen Stand der <strong>Integration</strong>sbemühungen imBund, in den Ländern und, soweit möglich, in den Kommunen geben.56<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


57V. TeilAnhangDiskussionsrunde <strong>Integration</strong> ArbeitspapierDüren 08.04.11Vortrag Liesel Koschorreck- muttersprachlicher Unterricht wichtig- in Vereinen und Verbänden gab es immer schon <strong>Integration</strong>sbemühungen, nurPolitik hinkt hinterher- Probleme in der Arbeit zwischen Kreis und Stadt (kein neues Konzept fürStadt nötig)- Lösungsansätze Land NRW / Gesetz zum Ende des Jahres:Migrantenvertreter in JugendhilfeausschüssenBildung mit ChancengleichheitÄnderungen im öffentlichen GesundheitsdienstVortrag Susanne Rössler- früher wurden Leistungskurse in allen Sprachen angeboten (auch wenn es nur2 Teilnehmer gab)- Sozialberatung durch Kirche seit den 90ern- Wunsch aller ist immer Teilhabe- Problem des Schulsystems ist Geldabhängigkeit- in den letzten Jahren hat sich der Ton verändert„Einwanderungsbegrenzungsgesetz“- Decke der Zivilisation ist dünn- es ist <strong>keine</strong> Lösung Europas Grenzen zu schließen- Nicht Migration, sondern die Ursachen müssen bekämpft werdenVortrag Saffet Akkas- <strong>Integration</strong> ist ein Prozess bei dem sich auch die Einheimischen verändern- viele Vorteile sind in Deutschland nicht genutzt worden (Mehrsprachigkeit)- <strong>Integration</strong>skonzepte Kreis-Stadt getrennt (Wozu?)- <strong>Integration</strong> wird mit Religionszugehörigkeit gleichgestelltDiskussionsrunde:- Deutschland hat falsche Vorstellung von der Türkei- auch Migranten wissen nichts über Deutschland- Parallelgesellschaften- weder türkische Sprache und Kultur, noch deutsche Sprache und Kultur(Folge: Zugehörigkeit zu gar nichts?)- Diskussion in Politik ist oberflächlich (Scheinprojekte)- muttersprachlicher Unterricht für Kinder in 3. Generation nötig? (Gedanke warhier, dass die Kinder in der 3. Generation doch Deutsch können sollten)- muttersprachlicher Unterricht war in einer Zeit sinnvoll, als man noch dachtedie Einwanderer würde wieder in ihre Länder zurückkehren- wir müssen uns darum kümmern, dass die Kinder Deutsch lernen<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


58- <strong>Integration</strong> ist viel umfassender als das Migrationsproblem (Stichworte:Behinderte, gesellschaftliche Probleme, Verteilungs-Problem, nicht nur eine,sondern jede Menge Parallelgesellschaften) und diese Probleme verschärfensich immer noch mehr- Migrantenschelte wird als Wahlkampftaktik missbraucht- wir müssen mehr miteinander ins Gespräch kommen- Kinder machen <strong>keine</strong> milieuübergreifenden Erfahrungen mehr- wo <strong>Integration</strong> nicht funktioniert, halten die Leute sich an Religion undNationalität fest- wir sollten Migranten nicht fragen wo sie herkommen, sondern wo sie hinwollen- alles dreht sich doch um einen Punkt: Bildung!!!- Motivation von Migranten sehr schwierig (Projekt Gesundheitsmediation)- Problem geht viel weiter zurück (Nazi-Deutschland) das zeigt Missachtung imSprachgebrauch (Beispiel: Judenschule) >Vorträge an Schulen sind nötig(Zeitzeugenprogramm)- Diskussion wird ohne Herz geführt- <strong>Integration</strong> <strong>darf</strong> nicht Assimilation <strong>sein</strong> > teilweise wird das aber von Migrantenso empfunden (<strong>Integration</strong> als Kampfbegriff)- es wird viel geredet, aber tatsächlich passiert nichts- Politik hat Problem jahrzehntelang verschlafen- das Umsetzen muss von der Gesellschaft kommen, Politik kann nur dieRahmen setzen- wollen Migranten überhaupt integriert werden?- es ist doch schön dass wir verschiedene Kulturen haben, wieso kann man dasnicht als Bereicherung sehen?- <strong>Integration</strong> ist der kleinste gemeinsame Nenner- jede Gemeinde müsste ein <strong>Integration</strong>skonzept haben- bei Kindern anfangen (Kita/Schule)- Schulen werben mit niedrigem Ausländeranteil und verschärfen so dieProblematik- Zielgruppe Migranten ist heterogene Gruppe > man kann nicht alle in einenTopf werfenAldenhoven 13.04.11Vortrag Yüksel Özdal- gehöre zur ersten Auswanderergeneration- man verwurzelt sich hier, daraus folgt die Einbürgerung- <strong>Integration</strong> funktioniert über die KinderVortrag Charles Cervigne- 1978 eingebürgert- wie stehe ich zum „Anders<strong>sein</strong>“ von Menschen (<strong>Integration</strong> istEinstellungssache)- Kreislauf <strong>Integration</strong> beginnt immer neu, mit jedem Menschen- teilweise polit. Störfeuer in Debatte- die Zeitschiene ist wichtig: wo stehen wir > das bestimmt die Diskussion- Kommen und Gehen Struktur „<strong>Die</strong> müssen kommen“ ist Problem<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


Vortrag Udo Wassenhoven- „mitmachen ist das Entscheidende“- Migranten haben es schwer in Deutschland- <strong>Integration</strong> ist Wechselbeziehung59Diskussionsrunde:- Sprache und Schulbildung führen sowieso zur <strong>Integration</strong> (Anm.: Ist das so?Auch heute noch?)- Debatte findet bei Jugendlichen nicht statt- ältere Generation hat sich besser integriert, obwohl sie ihre Identität behaltenhat; Jugendlich identifizieren sich viel stärker mit Glauben und Heimatstaat- zu wenig Engagement von beiden Seiten- es gibt kein Konzept gegen Gettobildung- Sozialraumanalyse in Aldenhoven hat ergeben dass Gemeinde gutdurchmischt ist (<strong>keine</strong> Gettos)- sozialer Status ist entscheidend; bei schlechtem Status wird Distanzaufgebaut, auch bei deutschen Jugendlichen- <strong>Integration</strong> ist soziale Frage und das Problem hat sich eher verschärft- Gesellschaft desintegriert sich immer mehr (in allen Aspekten); dieser Prozesswird dann auch noch politisch missbraucht- <strong>Integration</strong> ist kein Migrantenproblem; vielmehr Problem soziale Strukturen- Verhaltensmuster von Menschen in ähnlichen Situationen sind auch ähnlich:Fragmentierung führt zur Abgrenzung, daraus folgt dann wiederGegenreaktion- Debatte muss sachlicher werden, bitte <strong>keine</strong> politischen Parolen- leere Parolen wie „deutsche Leitkultur“ sowieso nicht definierbar- Definitionen sind nebensächlich; Handeln ist gefragt (Beispiel einesTeilnehmers: Straßenfeste mit kultureller Begegnung; war großer Erfolg, aberist nur 2 Jahre in Folge durchgeführt worden)- um <strong>Integration</strong> umzusetzen müssen wir die Menschen besser kennen- Zusammenkünfte müssen auch und vor allem stattfinden wenn nichtsBesonderes passiert (nicht nur wenn Debatte gerade wieder hochkocht)- Bildung ist der erste, Arbeit der zweite Schritt- besonders Jüngere sondern sich ab; liegt an nicht vorhandenerChancengleichheit- das Rad muss nicht neu erfunden werden (Sportvereine als Stätte praktischer<strong>Integration</strong>)- es gibt Organisationen die gut arbeiten , aber vielleicht nicht genug in derÖffentlichkeit stehen (<strong>Integration</strong>skreis kümmert sich um Sprachkurse,Vermittlung/Qualifizierung von schwer vermittelbaren Jugendlichen,Sprachförderung in Kitas)- aber das große Problem ist, wie kommt man an die ran, die nicht organisiertsind (beide Seiten)- gerade Mädchen im Teenageralter verschwinden oft völlig von der Bildfläche- <strong>Integration</strong> muss sich im Alltag bewähren, allein mit Festen ist es nicht getan- klassisches Problem Frauenfrage im Islam (Gleichberechtigung muss gehen)- Fortschritte sollten auch in Religionen möglich <strong>sein</strong>- sich in Religionen einmischen sollte man nicht in dem Maß (Fragen erlaubt;Einmischung nicht, außer es gibt klare Gesetzesverstöße)- Einmischung in Religion heut führt zur Einmischung in Kultur morgen<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>


60- Veränderungsprozesse funktionieren nicht über Nacht (ist für Jüngereeinfacher)- <strong>Integration</strong> <strong>darf</strong> nicht allein auf Forderungen aufgebaut werden (Anm.:ansonsten sind wir wieder bei <strong>Integration</strong> als Kampfbegriff)- sinnvoll wäre Stelle im Rathaus, zur Beratung in Wohnraumfragen undanderen Problemfällen- <strong>Integration</strong>sprozesse ab Geburt begleiten; wird im Kreis Düren versucht,allerdings haben die Besuche starken Kontrollcharakter- die Leute die zu solchen Veranstaltungen gehen sind nicht die Problemfälle- die Einstellung zu den Mitmenschen macht aus wie der <strong>Integration</strong>sprozessabläuft- man kann alle Fragen stellen, aber tiefgehende Diskussionen bekommt mannur in vertrautem Rahmen; bei solchen Gelegenheiten war Politik oft nicht da<strong>Die</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Plattform</strong>

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