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Das Tierzucht-Monopoly - Globe Spotting

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<strong>Das</strong> <strong>Tierzucht</strong>-<strong>Monopoly</strong><br />

Die globalisierte „Livestock Genetics“-Industrie verstärkt<br />

die Probleme der Tierproduktion<br />

von Susanne Gura<br />

Die <strong>Tierzucht</strong>industrie hat sich innerhalb weniger Jahre grundlegend verändert, nicht nur durch<br />

die Erschließung neuer Märkte in Entwicklungs- und Transformationsländern, sondern vor allem<br />

durch zahlreiche Firmenaufkäufe und durch die Entwicklungen der Biotechnologien.Von dieser Industrie<br />

– bestehend aus nur noch wenigen Unternehmen – hängt die weltweite Tierproduktion<br />

weitgehend ab. Ein Drittel der Weltproduktion des Schweinefleisches, die Hälfte der Eier, zwei Drittel<br />

der Milchproduktion und drei Viertel des Geflügelfleisches stammt von wenigen industriellen<br />

Rassen bzw. Linien. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die wirtschaftliche Machtkonzentration<br />

auf dem Gebiet der <strong>Tierzucht</strong>, über die Strategien der Firmen, ihre Monopolstellung<br />

zu erhalten, aber auch über die gravierenden Folgen dieser Entwicklung. Neben dem dramatischen<br />

Verlust der genetischen Vielfalt landwirtschaftlicher Nutztiere sind dies der Anstieg an Gesundheitsrisiken,<br />

die Entwicklung gentechnisch veränderter Tiere und eine zunehmende Externalisierung<br />

der Kosten: Der Steuerzahler erhält zwar weiterhin billig Fleisch, wird jedoch immer mehr für die<br />

steigenden Kosten von biotechnologischer Forschung, Tierseuchenbekämpfung und wohl bald auch<br />

für die Erhaltung der Nutztierrassenvielfalt zur Kasse gebeten – während die Profite der „Livestock<br />

Genetics“-Industrie stetig steigen.<br />

Weltweit steuern wenige große Zuchtfirmen den Markt.<br />

Nur vier Konzerne beliefern die Welt mit Zuchtmaterial<br />

für Legehennen, Mastküken, Truthähne und anderem<br />

Geflügel.Beim Schweinefleisch,dem weltweit meistkonsumierten<br />

Fleisch, wird bereits ein Drittel industriell<br />

produziert, wobei die Zuchtlinien sich immer mehr in<br />

der Hand von wenigen Firmen konzentrieren. Auch bei<br />

der Rinder-Genetik hat sich der Konzentrationsprozess<br />

erheblich beschleunigt.<br />

Viele der <strong>Tierzucht</strong>konzerne sind über Tochterfirmen<br />

in mehr als nur einer der Branchen tätig und entstanden<br />

in dieser Form erst während der letzten fünf bis<br />

sechs Jahre (Abb. 1).<br />

Die wichtigsten <strong>Tierzucht</strong>konzerne …<br />

Geflügel<br />

Die weltweite Geflügelzucht haben fast ausschließlich<br />

europäische Konzerne in der Hand.Die Nummer Eins ist<br />

die deutsche Erich Wesjohann-Gruppe. Sie liefert die<br />

Großelterntiere für rund 70 Prozent aller Legehennen,<br />

225<br />

Tierschutz und Tierhaltung<br />

die weiße Eier legen, und ist ebenfalls Marktführer für<br />

Masthähnchen- und Truthahn-Genetik. Im Brauneier-<br />

Bereich kommen circa 65 Prozent aller Legehennen-<br />

Großelterntiere vom holländischen Familienkonzern<br />

Hendrix Genetics, der zudem 2007 die ebenfalls holländische<br />

Firma Euribrid vom Futtermittelkonzern Nutreco<br />

übernommen hat. Euribrid liefert vor allem die Genetik<br />

für Masthähnchen und Puten und ist gleichzeitig der<br />

zweitgrößte Player in der Schweinezucht (1). Drittgrößter<br />

unter den Geflügel-Genetikern ist der französische<br />

Familienkonzern Groupe Grimaud. Über das Tochterunternehmen<br />

Hubbard besitzt die Groupe Grimaud die<br />

exklusiven Rechte an den Genom-Daten der US-Genfirma<br />

MetaMorphix. Der weltgrößte Hühner- und Fleischvermarkter<br />

Tyson,USA,ist mit seinem Tochterunternehmen<br />

Cobb Vantress ebenfalls global in der Hühnerzucht aktiv.<br />

Schweine<br />

Auch in der industriellen Schweinezucht führen die Europäer.<br />

Größter Schweine-Genetiker ist PIC (Pig Improvement<br />

Company),die seit 2005 zusammen mit dem größten<br />

Rinderzuchtkonzern ABS Global den weltgrößten


Der kritische Agrarbericht 2008<br />

Tiergenetik-Konzern Genus plc bildet.Als Nummer Zwei<br />

hinter PIC liegt Hypor, Tochter der niederländischen<br />

Hendrix Genetics, gefolgt von der niederländischen<br />

Topigs, die unter anderem die Schweine-Zuchtlinien für<br />

die Parmaschinken-Produktion liefern. In der Runde<br />

der Schweine-Gen-Monopolisten ist seit einigen Jahren<br />

der US-Agrarmulti Monsanto aktiv, der sich als Quereinsteiger<br />

aus der Saatzucht-Genetik in die Schweinezuchtbranche<br />

eingekauft hat und exklusive Lizenzen auf<br />

große Teile des Schweinegenoms bei der Gen-Firma<br />

Meta-Morphix besitzt. Im September 2007 hat Monsanto<br />

seine Schweinezucht an die US-Firma Newsham verkauft,<br />

führt jedoch seine Forschung weiter.<br />

Rinderzucht<br />

Der britische Konzern Genus plc (über seine Tochter<br />

ABS Global) führt auch die Rinderzucht. Die zweitgrößte<br />

Firma, Alta Genetics, gehört zum holländischen Konzern<br />

Koepon Holding und ist bereits Kooperationsverträge<br />

mit Monsanto eingegangen; Monsanto sichert sich<br />

damit den Zugriff auf wichtige Zuchtergebnisdaten.<br />

Monsanto besitzt ebenfalls eine der neuen Technologien<br />

zur Sortierung von Rindersperma, mit der das Verhältnis<br />

von Kälbern mit einem bevorzugten Geschlecht vor<br />

Abb. 1: Weltweite Monopolbildungen in der <strong>Tierzucht</strong><br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

226<br />

der Besamung von den natürlichen 50 auf 85 Prozent gesteigert<br />

werden kann.<br />

… festigen ihre Monopolstellung<br />

Schon vor sechzig Jahren übertrug Henry Wallace, ehemaliger<br />

Vize-Präsident der USA und Gründer des Saatgut-Multis<br />

Pioneer Hi-bred, das Prinzip der Hybridzüchtung<br />

vom Mais auf das Huhn. Leistungsmerkmale<br />

werden verstärkt, wenn zwei verschiedene Zuchtlinien<br />

gekreuzt werden.Die erhöhte Leistung geht allerdings in<br />

der nächsten Generation wieder verloren.Dafür werden<br />

Zuchtlinien mit männlichen Merkmalen (z. B. rasches<br />

Muskelfleischwachstum) und Zuchtlinien mit weiblichen<br />

Merkmalen (z. B. hohe Fruchtbarkeit) entwickelt.<br />

So wird sichergestellt, dass die Vermehrer und Mäster<br />

jede Generation neu kaufen müssen.<br />

Vor allem in der Geflügelzucht kommen solche „biologischen<br />

Blockaden“ zur Anwendung.Auch in der Schweinezucht<br />

ist die Hybridtechnologie verbreitet und trägt zur<br />

raschen Konzentration bei. Es ist zu erwarten, dass ähnlich<br />

wie bei Legehennen (zwei globale Anbieter), Masthähnchen<br />

(vier Anbieter) und Puten (drei Anbieter) in


einigen Jahren nur noch wenige Hybrid-Schweinezüchter<br />

den Zuchtschweinemarkt beliefern werden.<br />

Diese Monopolstellung wird durch weitere Maßnahmen<br />

gefestigt wie etwa Exklusiv-Verträge der Züchter<br />

mit den Vermehrern.Der börsennotierte Marktführer in<br />

der Schweinezucht Genus plc wirbt Aktionäre damit,dass<br />

70 Prozent des Geschäftes in den USA und in Europa auf<br />

Lizenzen beruht, und 90 Prozent ist Vertragsproduktion<br />

– eine gewaltige Risikominderung für Genus plc,<br />

dessen Gewinn vor Steuern kürzlich um 22 Prozent angestiegen<br />

war (2). Die Geschäftszahlen von Familienkonzernen<br />

wie Erich Wesjohann-Gruppe, Groupe Grimaud,<br />

Hendrix Genetics und Koepon Holding werden in<br />

der Regel nicht veröffentlicht. Dem Wettbewerbsrecht<br />

der EU unterliegt die Landwirtschaft nicht – eine Regelung<br />

aus den 1960er Jahren, die bislang der Privatisierung<br />

und Globalisierung nicht angepasst wurde.<br />

Kenntnisse und Kontrolle über die Genom-Daten der<br />

Nutztiere sind Schlüsselstrategien der Genetik-Konzerne.<br />

Diese Daten werden nur mit exklusiven Lizenzverträgen<br />

weitergegeben. Die US-Firma Meta-Morphix kaufte 2002<br />

von der Genom-Firma Celera den Bereich der Genom-<br />

Analyse am Tier. Celera wurde vom US-amerikanischen<br />

Forscher Craig Venter gegründet, um mit weitgehend automatisierten<br />

Sequenziermaschinen das menschliche<br />

Erbgut zu analysieren; die Firma sequenzierte aber auch<br />

Tier-Genome. Meta-Morphix erhielt die Genom-Daten<br />

von Rindern, Schweinen und Hühnern. Diese Daten lizensierte<br />

die US-Firma exklusiv an internationale Agrar-<br />

Konzerne: an Monsanto das Schweine-Genom,an Cargill<br />

das Rinder-Genom und an Groupe Grimaud das Hühner-<br />

Genom beziehungsweise an Willmar das Puten-Genom.<br />

Diese Firmen melden nun Patente auf die Gene an, auf<br />

Zuchtmethoden und – allen voran Monsanto – sogar auf<br />

Tiere und Zuchtherden.<br />

Die Sequenzierung eines Genoms und die Suche<br />

nach Marker-Genen steht ebenfalls verstärkt im Interesse<br />

der Konzerne. 2004 wurde das Hühner-Genom<br />

sequenziert und Firmen wie Aviagen (seit 2005 bei Erich<br />

Wesjohann) suchen nun systematisch nach wirtschaftlich<br />

besonders interessanten Genen.2005 folgte das Rinder-Genom.<br />

Nun findet ein Wettlauf um die Fertigstellung<br />

der Sequenzierung des Schweine-Genoms statt.Sowohl<br />

die US-Regierung als auch die Europäische Union<br />

wenden dafür erhebliche Forschungsmittel auf, die zu<br />

großen Teilen den Gen-Firmen zugute kommen.<br />

Nicht nur das deutsche FUGATO-Programm des Bundesministeriums<br />

für Bildung und Forschung (BMBF) fördert<br />

die Nutztier-Gentechnikforschung (www.fugatoforschung.de),<br />

einschließlich der Kostenübernahme für<br />

private Patentanträge. Biotechnologische Forschung bei<br />

Nutztieren ist auch ein wichtiger Schwerpunkt des Siebten<br />

Forschungs-Rahmenprogrammes der Europäischen<br />

Union (2007–2013), so dass die Branche mit jährlicher<br />

227<br />

Verlust an genetischer Vielfalt –<br />

kein Problem für den Staat?<br />

Tierschutz und Tierhaltung<br />

Ein Drittel der Weltproduktion des Schweinefleisches, die<br />

Hälfte der Eier, zwei Drittel der Milchproduktion und drei<br />

Viertel des Geflügelfleisches stammt von wenigen industriellen<br />

Rassen bzw. Linien.<br />

Die genetische Vielfalt innerhalb der industriell genutzten<br />

Schweine- und Rinderrassen ist alarmierend niedrig und<br />

entspricht rechnerisch („effektive Populationsgröße“) einer<br />

Population von weit weniger als 100 Tieren. Unterhalb dieser<br />

kritischen Grenze gilt eine Rasse als gefährdet. Bei Geflügel<br />

ist die effektive Populationsgröße nicht bekannt, denn<br />

die genetischen Reserven der Hühnergenetikfirmen sind<br />

wegen der schon lange genutzten Hybridtechnologie nicht<br />

öffentlich zugänglich. Auch für Gene gelten die rechtlichen<br />

Regelungen in Bezug auf das Betriebsgeheimnis.<br />

Durch das Klonen droht jetzt eine erhebliche Verschärfung<br />

der Probleme: Die US-amerikanische Aufsichtsbehörde<br />

für Nahrungsmittel und Medikamente (Food and Drug Administration<br />

– FDA) hat im Januar 2007 Klontiere als Nahrungsmittel<br />

mit dem Argument zugelassen, dass sie sich<br />

nicht von herkömmlichen Tieren unterscheiden. 130.000<br />

Protestschreiben bis April 2007 unterstreichen die Unangemessenheit<br />

dieser Entscheidung. Die EU hat ihrerseits angekündigt,<br />

Klontiere nach der Novel-Food-Verordnung zulassen<br />

zu wollen. Vor allem in der Rinder- und Schweinezucht<br />

sollen Vatertiere geklont werden. Damit wird die biologische<br />

Vielfalt innerhalb der Rassen weiter abnehmen. Mit den<br />

Hochleistungstieren werden praktisch auch die damit verbundenen<br />

Probleme geklont und vervielfacht.<br />

Angesichts dieser dramatischen Entwicklungen ist die<br />

Novellierung des <strong>Tierzucht</strong>rechts in Deutschland besonders<br />

kritisch zu beurteilen. Denn der Staat zieht sich immer mehr<br />

aus seiner Verantwortung zurück. <strong>Das</strong> neue <strong>Tierzucht</strong>gesetz<br />

in Deutschland hat die <strong>Tierzucht</strong> privatisiert, dem Staat<br />

bleibt nur noch die Rolle des Überwachens („Monitoring“)<br />

der genetischen Vielfalt. Bezeichnenderweise ist jedoch Geflügel<br />

vom <strong>Tierzucht</strong>gesetz nicht erfasst und Monitoring in<br />

der <strong>Tierzucht</strong>industrie bislang nicht vorgesehen.<br />

Unterstützung in Höhe von mehreren Dutzend Millionen<br />

Euro rechnen kann.<br />

Die Folgen der Züchtungsmonopole:<br />

Weniger Artenvielfalt …<br />

Laut Angaben der Welternährungsorganisation FAO verliert<br />

die Welt im Durchschnitt jeden Monat eine von nur<br />

noch 7.616 in der Datenbank DAD-IS erfassten Nutztierrassen<br />

und die genetische Vielfalt innerhalb der Rassen


Der kritische Agrarbericht 2008<br />

und Linien nimmt ab. (Bezeichnenderweise werden in<br />

dieser Datenbank die Züchter der dort aufgeführten<br />

Rassen nicht genannt.) Rund 20 Prozent der erfassten<br />

Rassen gelten als vom Aussterben bedroht, rund neun<br />

Prozent der in der FAO-Datenbank registrierten Rassen<br />

starben allein innerhalb der vergangenen sechs Jahre<br />

aus. Für 36 Prozent der erfassten Rassen fehlen Bestandszahlen<br />

(Abb. 2).Die Ausbreitung der industriellen<br />

Produktion vom Norden in den Süden definiert die FAO<br />

als Hauptursache für diese Entwicklung. Lokale, angepasste<br />

Rassen werden selten weitergezüchtet, stattdessen<br />

werden industrielle Zuchtlinien aus Industrieländern<br />

importiert und oft auch durch Entwicklungshilfe<br />

bzw. günstige Kredite national oder international subventioniert.Ohne<br />

solche Subventionen hätten sich möglicherweise<br />

lokale Produktionssysteme mit angepassten<br />

Rassen besser weiterentwickelt. Man glaubte jedoch,<br />

dass der über viele Jahre erzielte Zuchtfortschritt des<br />

Nordens nicht einzuholen und das industrielle Produktionssystem<br />

trotz der damit verbundenen Probleme<br />

auch für den Süden notwendig sei. Der Süden brauche<br />

tierische Nahrungsmittel, und kleinbäuerliche Tierhalter<br />

würden modernere Einkommensquellen und Lebensweisen<br />

bevorzugen.<br />

Sicherlich stimmt dies – aber nur zum Teil. Viele<br />

Kleinbauern wollen ihre Produktionssysteme weiterentwickeln,haben<br />

aber dazu keine Möglichkeiten.Ihre Rassen<br />

werden züchterisch nicht weiterentwickelt. Künstliche<br />

Befruchtung wird meist nur für Hochleistungstiere<br />

angeboten.Kredite gibt es selten,und kaum ein nationales<br />

Forschungsinstitut befasst sich mit den von Kleinbauern<br />

genutzten Rassen und Produktionssystemen.Im<br />

Gegenteil, man schreibt den Kleinbauern und Hirtenvölkern<br />

Rückständigkeit, mangelnde Hygiene und die<br />

Abb. 2: Einteilung der Rassen weltweit nach<br />

Gefährdungskategorien<br />

36%<br />

Quelle: FAO 2007<br />

35 %<br />

20 %<br />

9%<br />

228<br />

Übernutzung von Weiden zu. Sie seien nicht „produktiv“<br />

– selbst wenn sie in vielen Ländern einen erheblichen<br />

Teil des Bruttosozialproduktes erwirtschaften (siehe<br />

Kasten unten).<br />

… und höhere Gesundheitsrisiken<br />

Die engen Zuchtziele und die genetische Gleichförmigkeit,<br />

kombiniert mit den extremen Haltungsbedingungen,<br />

werden oft als Ursache für die rasche Verbreitung<br />

von Krankheitserregern gesehen.Immer strengere „Biosecurity“-Kontrollen<br />

aller in die Geflügel- und Schweinebetriebe<br />

eingehenden Produktionsfaktoren sind ein<br />

Weg, die Seuchengefahr zu verringern – aber die Verbreitung<br />

von Krankheitserregern über Luft,Wasser und<br />

Exkremente, die diese Hochsicherheitstrakte täglich in<br />

großen Mengen verlassen, wird selten betrachtet.<br />

Die vorbeugenden Keulungen gesunder Tiere haben<br />

Kritik von vielen Seiten hervorgerufen, denn manche<br />

Krankheiten können auch durch Impfungen bekämpft<br />

werden. Die in der Diskussion befindliche neue Tiergesundheitsstrategie<br />

der EU steht unter dem Druck von<br />

Mästern, Hobbyzüchtern, Tierschützern, Steuerzahlern<br />

und Verbrauchern, vermehrt Impfungen einzusetzen<br />

und zuzulassen. Die Kommission hat bisher die Standards<br />

der internationalen Tiergesundheitsorganisation<br />

OIE (Office International des Epizooties) nicht infrage<br />

gestellt. Diese Standards schreiben für den Export lebender<br />

Tiere vor,dass das exportierende Land – oder die<br />

Region – ohne Impfung krankheitsfrei sein muss. Alle<br />

damit verbundenen Maßnahmen können daher als Exportförderung<br />

betrachtet werden, von der nicht nur der<br />

Schlachttierexport,sondern auch die <strong>Tierzucht</strong>industrie<br />

mit ihrem globalisierten Zuchttierhandel profitiert.<br />

Die Finanzierung von Tiergesundheitsmaßnahmen<br />

ist national unterschiedlich geregelt, und aus Wettbewerbsgründen<br />

wird sie wohl EU-weit harmonisiert werden.<br />

Aber muss die öffentliche Hand noch mehr der<br />

rasant steigenden Kosten für die Seuchenbekämpfung<br />

(v. a. für Keulungen) übernehmen, nur damit Produkte<br />

aus der Massenproduktion billig bleiben?<br />

Lösungsansätze<br />

Im September 2007 befasste sich eine FAO-Konferenz<br />

mit dem Verlust der biologischen Vielfalt der Nutztierrassen.<br />

Die industrielle Tierproduktion wurde im FAO-<br />

Weltzustandsbericht (3) über die tiergenetischen Ressourcen<br />

zwar als Hauptursache des Rassenverlustes<br />

identifiziert, stand aber nicht als Thema der Konferenz<br />

zur Debatte, und auch der beschlossene Globale Aktionsplan<br />

geht nicht darauf ein.


Genbanken und Globale Aktionspläne …<br />

In Interlaken wurden die konkretesten Beschlüsse über<br />

Erhaltungsmaßnahmen in Genbanken („ex situ“) gefasst.<br />

Man möchte sie als eilige Notmaßnahme ausbauen.<br />

Bislang gibt es Genbanken vor allem im Norden, jedoch<br />

keine internationalen Einrichtungen wie beim<br />

Saatgut. <strong>Das</strong> war offenbar auch nicht das angestrebte<br />

Ziel. Man möchte Geld für die Weiterentwicklung der in<br />

vielen Punkten noch nicht effizienten Kryotechnologien<br />

und für die Identifizierung interessanter Rassen.<br />

Für den Zugang zu tiergenetischen Ressourcen gelten<br />

die Regelungen der Konvention über Biologische<br />

Vielfalt,z. B.nationale Souveränität über die genetischen<br />

Ressourcen und das traditionelle Wissen, das sich bei<br />

Inkrafttreten der Konvention im Land befand.Ein internationaler<br />

Vertrag, der wie beim Saatgut ein multilaterales<br />

System schafft und damit den Zugang erleichtert,<br />

ist nicht vorgesehen. Dennoch gilt die Vielfalt, die bei<br />

Nutztieren in den Trockenregionen des Südens am größten<br />

ist, als interessant für die Lösung der <strong>Tierzucht</strong>probleme<br />

des Nordens, denn im Süden gibt es Resistenzen<br />

gegen Krankheitserreger, die im Zuge des Klimawandels<br />

schon jetzt den Norden erreichen (aktuelles Beispiel:<br />

Blauzungenkrankheit).<br />

Der Globale Aktionsplan bezieht auch die Erhaltung<br />

im landwirtschaftlichen Ökosystem („in situ“) nach<br />

dem impliziten Vorbild der privaten Erhaltungs-Initiativen<br />

und Züchtervereinigungen in Europa ein. Auch<br />

die extensive Tierproduktion und kleinbäuerlichen Gemeinschaften<br />

im Süden werden im Globalen Aktionsplan<br />

gewürdigt, aber dies ist ebenfalls von wenig<br />

konkreten Aktionsvorschlägen begleitet. Genauso ist<br />

„nachhaltige Nutzung“ Bestandteil des Plans, die vorgeschlagenen<br />

Maßnahmen bleiben jedoch relativ unkonkret.Angesichts<br />

einer globalisierten Industrie wäre<br />

es für die internationale Staatengemeinschaft zwingend<br />

notwendig, sich auf internationaler, globaler Ebene<br />

mit der Industrie auseinanderzusetzen – hier hat Interlaken<br />

versagt.<br />

… oder bäuerlich-regionale Zuchtarbeit?<br />

Ein paralleles Forum von kleinbäuerlichen und nomadischen<br />

Tierhaltern und anderen zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen diskutierte jedoch die Gefahren,die von<br />

der stark konzentrierten Tierindustrie ausgehen.Sie sehen<br />

eine Bedrohung der Ernährungssicherheit und der<br />

Ernährungssouveränität, nicht nur im Süden, sondern<br />

auch im Norden. In der Erklärung von Wilderswil (4)<br />

gaben sie ihre Einschätzung des Globalen Aktionsplanes<br />

als schwache Krücke für ein schwerkrankes Produktionssystem<br />

zu Protokoll. Sie kündigten an, dass sie<br />

ihre Rassen und die damit verbundene Lebens- und<br />

Produktionsweise weiterentwickeln wollen und forderten<br />

die dazu notwendigen Rechte ein. Patente auf Tiere<br />

229<br />

Tierschutz und Tierhaltung<br />

Revolution der Tierproduktion –<br />

eine verpasste Chance für die Armutsbekämpfung<br />

<strong>Das</strong> Verständnis von Produktivität kann sehr unterschiedlich<br />

sein. Nutztierwissenschaftler betrachten die Produktivität<br />

des einzelnen Tieres.Allein Milchmenge und Fettgehalt zählen,<br />

Umweltkosten werden externalisiert. In 40 Jahren Züchtung<br />

ist die Anzahl der Eier pro Huhn um 30 Prozent und die<br />

Anzahl der Eier pro Tonne Kraftfutter um 80 Prozent gestiegen.<br />

Die Futterverwertung verbesserte sich um 43 Prozent.<br />

Ein Industrie-Huhn legt an die 300 Eier pro Jahr.<br />

Kleinbauern, (einige) Ökonomen und Ökologen rechnen<br />

anders: Der Kapitalertrag der kleinbäuerlichen Hühnerzucht<br />

in Vietnam wird mit 700 Prozent errechnet, auch wenn ein<br />

Huhn jährlich nur 70 Eier legt und davon die Hälfte von der<br />

Familie konsumiert wird. Kraftfutter wird nicht gekauft und<br />

auch nicht aus Brasilien herantransportiert. Urwälder werden<br />

dafür nicht gerodet. Es gibt vor Ort genug zu picken, die<br />

Hühner machen wenig Arbeit, kaum Kosten und vermehren<br />

sich von selbst, auch wenn die Hälfte der Küken aus verschiedenen<br />

Gründen eingeht. Fleisch und Eier lassen sich<br />

gut verkaufen. In Thailand erwirtschaften acht Millionen<br />

Bauernfamilien mit ihren lokalen Hühnerrassen fünf Prozent<br />

des Bruttosozialproduktes. Im südlichen Afrika produzieren<br />

die kleinbäuerlichen Tierhalter bis zu 38 Prozent des Bruttosozialproduktes.<br />

Laut FAO sind 70 Prozent der Armen der Welt Tierhalter.<br />

Die Revolution der Tierproduktion, die 1999 vom Internationalen<br />

Forschungsinstitut für Ernährungspolitik (IFPRI) eingeläutet<br />

worden war, hatte zwar die wachsende Weltbevölkerung<br />

im Fokus, jedoch als Konsumenten, nicht als Tierhalter<br />

und Tierzüchter. Nicht nur für die Umwelt, auch für die<br />

Armutsbekämpfung war die industrielle Revolution der Tierproduktion<br />

eine verpasste Chance.<br />

und tierische Gene lehnten sie ab. An der FAO-Konferenz<br />

im nahen Interlaken durften sie nur als Beobachter<br />

teilnehmen.<br />

Die Industrie selbst hat zwar begonnen, über die<br />

genetische Verengung nachzudenken. Die bisher diskutierten<br />

Ansätze zur Verbesserung der Situation werden<br />

aber in erster Linie in der Biotechnologie gesucht.<br />

Schon Dennis Meadows hat in dem 1972 erschienenen<br />

Bericht des Club of Rome über „Die Grenzen des<br />

Wachstums“ gewarnt, dass derjenige, der nur einen<br />

Hammer als Werkzeug habe, auch nur Nägel als Lösung<br />

wahrnehmen würde. So auch in unserem Fall:<br />

Mit noch mehr öffentlichen Mitteln und Regelungen<br />

die <strong>Tierzucht</strong>-Biotechnologie zu unterstützen ist keine<br />

Lösung, sondern führt nur noch tiefer in die gleichen<br />

Probleme.


Der kritische Agrarbericht 2008<br />

Politische Forderungen<br />

Vor dem Hintergrund der geschilderten globalen Entwicklungen<br />

im Bereich der <strong>Tierzucht</strong> ergeben sich folgende<br />

Forderungen an die Politik:<br />

Der Marktbeherrschung durch wenige Firmen im<br />

sensiblen Bereich der Tierzüchtung darf nicht länger<br />

tatenlos zugesehen werden.Wenn die Landwirtschaft<br />

von Privatisierung und Globalisierung nicht ausgenommen<br />

ist, dann müssen Wettbewerbsregelungen<br />

auch für die landwirtschaftliche Industrie gelten.<br />

Patente auf Nutztiere und ihre Gene werden zur<br />

Marktbeherrschung beitragen.Auch aus diesem Grund<br />

sollten sie nicht zugelassen werden.Derzeit diskutiert<br />

das Europäische Patentamt genau das Gegenteil,nämlich<br />

die Zulässigkeit von Patenten auch auf nicht-gentechnisch<br />

veränderte Tiere und Pflanzen.<br />

Die Vertrags-Produktion muss besser überwacht werden<br />

und langfristige Auswirkungen auf die Umwelt<br />

und auf die Wahlfreiheit der Produzenten und Verbraucher<br />

müssen geprüft werden. Derzeit gibt es lediglich<br />

eine Registrierung der Verträge, und zwar nur<br />

in den USA.<br />

Die Externalisierung von Kosten sollte verstärkt –<br />

auch international – diskutiert werden. Hierzu sind<br />

Daten erforderlich und sollten bereitgestellt werden.<br />

Auch für die Erhaltung der Rassenvielfalt sollte die Industrie<br />

besteuert werden.<br />

Impfungen sollten Vorrang vor Keulungen haben. Bei<br />

der Tierseuchenbekämpfung darf nicht das Export-<br />

Interesse im Vordergrund stehen,denn dies führt aufgrund<br />

der OIE-Standards zu Keulungen.<br />

Vor allem in Entwicklungsländern darf nicht einseitig<br />

die industrielle Tierproduktion durch Regelungen<br />

und Subventionen gefördert werden. Umweltrisiken<br />

und soziale Risiken müssen erfasst werden, vor allem<br />

wenn man sich Exporterlöse verspricht (5).<br />

230<br />

Anmerkungen<br />

(1) www.meatnews.com/index.cfm?fuseaction=article&artNum=<br />

11098 (abgerufen am 8. November 2006). Die europäische Züchtervereinigung<br />

EFFAB berichtete in einem Schreiben an die Autorin,<br />

dass die dänische DANBRED zum zweitgrößten Schweinezüchter<br />

aufgerückt ist.<br />

(2) http://phx.corporate-ir.net/phoenix.zhtml?c=130998&p=irolnewsArticle_print&ID=973123&highlight<br />

(abgerufen am 18. März<br />

2007).<br />

(3) FAO: Der Weltzustandsbericht über Tiergenetische Ressourcen für<br />

Ernährung und Landwirtschaft (2007). Zusammenfassung der wichtigsten<br />

Ergebnisse als Download unter: www.fao.org/ ag/againfo/programmes/en/genetics/documents/Interlaken/SOWbrochure_ge.pdf.<br />

(4) Wilderswil Declaration on Livestock Diversity vom 6. September<br />

2007 (Download unter: www.ukabc.org/wilderswil.pdf).<br />

(5) Der Artikel fußt auf einer Studie, die die Autorin 2007 für Greenpeace<br />

und die Liga für Hirtenvölker und nachhaltige Viehwirtschaft<br />

erstellt hat: <strong>Das</strong> <strong>Tierzucht</strong>-<strong>Monopoly</strong>: Konzentration und Aneignungsstrategien<br />

einer aufsteigenden Macht in der globalen Ernährungswirtschaft<br />

(Download unter: www.greenpeace.de/fileadmin/<br />

gpd/user_upload/themen/patente_auf_leben/greenpeace_tierzucht_monopoly.pdf.).<br />

Autorin<br />

Dr. Susanne Gura<br />

hat eine Untersuchung über die Konzentration<br />

in der „Livestock Genetics“ Industrie<br />

im Auftrag von Greenpeace Deutschland<br />

für die Liga für Hirtenvölker und Nachhaltige<br />

Viehwirtschaft verfasst. Sie ist freiberufliche<br />

Beraterin im Bereich internationale<br />

Agrarpolitik und koordiniert die AG Biologische<br />

Vielfalt im Forum Umwelt und<br />

Entwicklung.<br />

Burghofstr. 116<br />

53229 Bonn<br />

E-Mail: gura@dinse.net

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