Ine hân bî mînen zîten, ine wolde lüge jehen,so wol erbowen bürge mêre nie gesehenin deheinem ein lande, <strong>als</strong> ir hie vor uns stat.er mach wol wesen rîche, der sie hie gebowen hat.’“ (C 392)Bedenkt man, daß mittelhochdeutsch „burc“ nicht nur Burg, sondern auch Stadt bedeutet, kannman die Fassungslosigkeit des „rîchen“ Königs Gunther verstehen. Siegfried bestätigt ihm, waseigentlich klar sein sollte: „‚ez ist Prünhilde liute und lant / und Îsenstein diu veste’“ (384). DerDichter hat uns in ein Fabelland geführt, das mit dem wirklichen <strong>Island</strong> nur den Namen gemeinhat.Hier konnte Brunhild <strong>als</strong> Königin aus eigenem Recht herrschen. Sie führte nicht etwa dieRegentschaft für ihren abwesenden Ehemann oder ihren minderjährigen Sohn. Auch war sie nichtdie minderjährige Erbin einer Krone, die sie formal bis zur Eheschließung trug. In der Tat gab esregierende Königinnen, aber erst <strong>im</strong> späteren Mittelalter. Zu denken ist dabei in erster Linie anMargarete I. <strong>von</strong> Dänemark (1387–1412). Erwähnt seien aber auch Johanna I. (1343–1381) undII. (1414–1435) aus dem Hause Anjou, die Königinnen <strong>von</strong> Neapel waren. Diese wie alleweiteren regierenden Königinnen standen in verwandtschaftlichen und schwägerschaftlichenBeziehungen. Brunhild <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> hatte aber keinen deutlichen familiären Hintergrund.Als sie mit Gunther nach Worms aufbrach, fragte sie: „‚wem lâz’ ich mîniu lant?’“ undantwortete selbst: „‚diu sol ê hie bestiften mîn unt iuwer hant.’“ Ihr Königreich wurde <strong>als</strong>oeinem Landvogt übergeben, der <strong>als</strong> naher Verwandter und <strong>als</strong> „ir muoter bruoder“ bezeichnetwurde. Ein Name wurde ihm nicht gegeben (522 f.). Mehr erfahren wir nicht über ihn und andereVerwandte Brunhilds. Sie konnte über ihr Königreich verfügen und es Gunther übertragen, ohneirgendwelche Ansprüche <strong>von</strong> Angehörigen berücksichtigen zu müssen. Damit war ihre Stellungeinzigartig.Das gilt aber auch für ihre Persönlichkeit. Brunhild wurde nicht durch einen männlichenVerwandten verheiratet wie es üblich war. Sie entschied selbst über ihren künftigen Ehemannund stellte auch die Bedingungen, die er erfüllen mußte. Dabei ging es nicht umgesellschaftliches Ansehen, Reichtum und die Absicherung ihres Lebens, sondern um dieForderung, ihr an körperlichen Kräften und an Gewandtheit überlegen zu sein. Das war unerhört.Das <strong>Nibelungenlied</strong> entstand in der Zeit der Blüte des Minnesangs. In diesem höfischen „Spiel“wurde die Frau zu einem Ideal emporgehoben, dem der Ritter seinen Dienst weihte, ohnewirklich auf Erhörung hoffen zu können. Brunhild war nicht „tugenthaft“, reich an feiner Sitte,liebenswürdig. Ihre Bedingungen waren hart:„Den stein den warf si verre, dar nâch si wîten spranc.swer ir minne gerte, der muose âne wancdriu spil an gewinnen der frouwen wol geborn.gebrast <strong>im</strong> an dem einen, er hete daz houbet sîn verlorn.“ (327)Es war Vermessenheit <strong>von</strong> König Gunther, sich auf diesen Wettstreit einzulassen. BrunhildsErwartungen waren so hoch, damit nur einer sie erfülle, Siegfried. Das wird aber <strong>im</strong><strong>Nibelungenlied</strong> nicht mehr deutlich. Siegfried war es denn auch, der für Gunther diesen Kampfbestand. Beide hatten <strong>von</strong> vornherein die Absicht, die Königin zu betrügen. Siegfried führteGunther nicht nur zum Wohnsitz Brunhilds, sondern er nahm auch seine Tarnkappe mit (336).Dreifach war die Täuschung, der sich Siegfried Brunhild gegenüber schuldig machte: Er gab sich
<strong>als</strong> Lehnsmann Gunters aus (420), er überwand unerkannt die Königin und das gelang ihm nur,weil die Tarnkappe ihm die Kraft <strong>von</strong> zwölf Männern zusätzlich verlieh (337). Die Schilderungender siebten Âventiure zeigen diesen ungleichen Kampf. Das Gefühl, dem „f<strong>als</strong>chen“ Manngegenüber zu stehen, gaben Brunhild zusätzliche Kraft, so daß auch der „richtige“ ihr nur mitunlauteren Mitteln nicht unterlag. So rettete König Gunther seinen Kopf und erlangte ihreEinwilligung zur Ehe mit ihm.Dieses unehrenhafte Handeln tat Gunther und Siegfried keinen Abbruch an ihrem Ansehen. Eswurde nicht entdeckt. Das war nur möglich, weil es auf „<strong>Island</strong>“ geschah, einem <strong>Ort</strong>, <strong>von</strong> demman wußte, daß es ihn gab und der zur Christenheit gehörte, der aber so fern, weitab <strong>im</strong> nebligenNorden lag, daß man sich dort das Unglaublichste <strong>als</strong> möglich vorstellen konnte. Als Gunther inWorms, in höfischer Umgebung, Siegfried wieder um Hilfe anging, weil Brunhild sich ihmverweigerte, wurde das bekannt und führte zur Katastrophe. Die Vorgänge auf <strong>Island</strong> spieltendabei keine Rolle. Sie waren dort geschehen, wo die sittlichen Normen der ritterlichenGesellschaft nicht <strong>als</strong> geltend angesehen wurden.Erstveröffentlichung dieses Artikels in „<strong>Island</strong>“ (2/2008), der Zeitschrift der Deutsch-Isländischen Gesellschaft e.V., Köln und der Gesellschaft der Freunde <strong>Island</strong>s e.V.,Hamburg.http://www.islandgesellschaft.deAbgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.