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Hölle und Philipp Hochmair als Objekt der Versuchung

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AkademietheaterAuftritt des Satans. Petra Morzé <strong>als</strong> Agentin <strong>der</strong><strong>Hölle</strong> <strong>und</strong> <strong>Philipp</strong> <strong>Hochmair</strong> <strong>als</strong> <strong>Objekt</strong> <strong>der</strong> <strong>Versuchung</strong> inFrie<strong>der</strong>ike Hellers kühner Transformation von Doktor Faustus.Wir liefern Aufschwün ge<strong>und</strong> Erleuchtungen,Erfahrungen <strong>und</strong> Entfesselungvon Freiheit,Sicherheit, Leichtigkeit, Macht- <strong>und</strong> Triumphgefühl,dass unser Mann seinen Sinnennicht traut.“ Die Firma hat weiters imAngebot eine „echte, alte, urtümliche Begeisterung“,eine „von Kritik, lähmen<strong>der</strong>Besonnenheit, töten<strong>der</strong> Verstandeskontrolleganz uneingeschränkte Begeisterung“,ja, „die heilige Verzückung“ <strong>und</strong>dazu noch eine „wahrhaft beglückende,entrückende, zweifellose <strong>und</strong> gläubigeInspiration“, die den Heimgesuchtenmit „sublimen Schauern“ überrieselt<strong>und</strong> aus ihm einen „Tränenstrom desGlücks“ brechen lässt: „Potz Fickerment!“Herr <strong>der</strong> <strong>Hölle</strong>. Um was für eine merkwürdigeFirma es sich handelt? Es ist <strong>der</strong>Herr <strong>der</strong> <strong>Hölle</strong>, <strong>der</strong> da spricht, <strong>der</strong> Teufelpersönlich, <strong>der</strong> im legendären 25. Kapitelvon Thomas Manns MeisterwerkDoktor Faustus dem Komponisten AdrianLeverkühn den Pakt anbietet, mitdem <strong>der</strong> Tonsetzer später die Musikweltrevolutionieren kann.Der Satan wird auch am 8. Novemberim Akademietheater erscheinen,wenn Frie<strong>der</strong>ike Heller mitDoktor Faustus – my love is as a feverihr kühnes Projekt präsentiert,Thomas Manns Jahrh<strong>und</strong>ertromanauf die Bühne zu übersetzen. Aberwer die Arbeiten des Shootingstars unterden jungen Regisseur(inn)en verfolgt hat,weiß schon im Voraus, dass <strong>der</strong> <strong>Hölle</strong>nfürsthier seine Aufwartung sicher nicht so machenwird, wie es erstens in Thomas MannsRoman steht <strong>und</strong> zweitens die im Umlaufbefindlichen Klischees über den Chef <strong>der</strong>ultimativen Sündenstrafanstalt es wollen.AkademieTheaterFrie<strong>der</strong>ikeHellerFrie<strong>der</strong>ike Heller nach Thomas MannDoktor Faustus – my love is as a fever| Sa., 8. 11., 19.00 UhrRegie: Frie<strong>der</strong>ike Heller Bühne: Sabine Kohlstedt Kostüme: JohannaPreissler Besetzung: Petra Morzé, Bibiana Zeller, <strong>Philipp</strong> <strong>Hochmair</strong>,Rudolf Melichar, Felix Goeser, Michael Mühlhaus, Peter Thiessen7., 9. 11., 19.00 Uhr, 13., 15., 18. 11., 20.00 UhrFrie<strong>der</strong>ike Heller hat in Wien vor allemFurore gemacht mit ihren raffinierten, intelligenten<strong>und</strong> außergewöhnlichen Handke-Interpretationenvon Untergangsblues(April 2004), Die Unvernünftigen sterbenaus (Herbst 2006) <strong>und</strong> Spuren <strong>der</strong> Verirrten(Mai 2007) – alle hier in Wien am Akademietheater.In Deutschland wie<strong>der</strong>um hat Frie<strong>der</strong>ikeHeller in den letzten Jahren vorwiegendmit ihren furchtlosen RomanbearbeitungenAufsehen erregt, an <strong>der</strong>en Hochkonjunkturim Theater die Regisseurinmaßgeblichen Anteil hat. Sie hat schonHouellebecqs Elementarteilchen auf dieBühne gepuzzelt, mit Bondage: Agent entfesseltdie Theater-Qualitäten von James-Bond-Erfin<strong>der</strong> Ian Fleming entdeckt, EliasCanettis Die Blendung adaptiert, Iwan TurgenjewsVäter <strong>und</strong> Söhne gestemmt <strong>und</strong><strong>und</strong> <strong>und</strong> …Konfliktfel<strong>der</strong>. Frie<strong>der</strong>ike Heller hatauch kein Problem damit zuzugeben, dasssie sich eigentlich lieber mit Romanen beschäftigt<strong>als</strong> mit Stücken: „In die neueDramatik fließen oft sehr starke Inszenierungsvorstellungendes Autors ein, was fürden Regisseur eine nicht so fruchtbare Reibungergibt wie mit einer Romanvorlage,die da keine Vorschriften macht.“ Außerdemkann sie mit den entsprechenden Romanendie Themen <strong>und</strong> Konfliktfel<strong>der</strong> besetzen,die ihr unter den Nägeln brennen,<strong>und</strong> das bringt zusätzlich die Herausfor<strong>der</strong>ung,dass man dann „im Gr<strong>und</strong>e ja immerDiabolischersrauschBÜHNE X|08 2


fotos: s. 20-21: johannes Ifkovits (2), assistenz: elia, make-up & styling: evelyn rillé, outfit: boss, 1010, bognergasse, schuhmanufaktur ludwig reiter; s. 22-23: georg soulek (2), karl forster, ap photonische Lesung des Romans, wobei es keinefixen Rollenzuteilungen gibt – mit einerAusnahme: Bibiana Zeller verkörpert ThomasMann. Aber sonst tritt stets eine ganzeSpielergruppe an, etwa anfangs <strong>als</strong> ErzählerSerenus Zeitblom, <strong>und</strong> präsentiert denBeginn <strong>der</strong> Geschichte aufgefächert in vierStimmen. Dieses Ensemble spielt nun dieverschiedenen Stadien des Romans durch.Auch Adrian Leverkühn <strong>und</strong> seine Suchenach <strong>der</strong> neuen Kunst wird in verschiedeneSpieler aufgesplittert, wobei <strong>der</strong> entsprechendeLeverkühn auch <strong>als</strong> Spiel im Spielgleich den laufenden Theaterabend umkrempelnwill, weil es zu öde <strong>und</strong> zu sprödeist, nur so eine brave Lektüre von DoktorFaustus abzuliefern. Das hat den Versuchzur Folge, eine großartige szenische Transformationzu starten.“Entgrenzung. Was dann passiert, deutet<strong>der</strong> Untertitel des Abends an: My Love isas a fever, die Anfangszeile von Shakespeares147. Sonett, das Leverkühn lautThomas Mann im Roman vertont. „Wirhaben uns“, erklärt die Regisseurin weiter,„für diese Titelerweiterung entschieden,<strong>als</strong> während <strong>der</strong> Entwicklungsarbeit klarwurde, dass wir den dramaturgischen Bogenvon einer szenischen Lesung über eineArt Infektion, über einen Entgrenzungsmomentbis zu einer Performance des Faschistoidenspannen wollen.“ So wie sichAdrian Leverkühn absichtlich bei <strong>der</strong> ProstituiertenEsmeralda die Syphilis holt, ummit den exzessiven Zuständen, in die ihndie Krankheit versetzt, über eine entfesselteSchaffenskraft zu verfügen, infiziertsich auch die Spielergruppe, <strong>und</strong> das ist<strong>der</strong> Beginn des Pakts mit dem Teufel, wodie Vernunft abdankt <strong>und</strong> die Entgrenzungzum Rauschhaften beginnt: „Das ist <strong>der</strong>Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt des Abends. Danachist kein Halten mehr.“Eine ganz beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ungstellt dieser Abend für die Schauspieler dar,denn sie haben im Gegensatz zu einem traditionellenStück keine klar umrissenen Figuren,in die sie schlüpfen können, son<strong>der</strong>nimmer nur Facetten von Figuren, die ihnendie ganz Bandbreite ihres Könnens abfor<strong>der</strong>n.<strong>Philipp</strong> <strong>Hochmair</strong>, <strong>der</strong> bei allen Handke-TriumphenFrie<strong>der</strong>ike Hellers <strong>als</strong> Protagonistdabei war <strong>und</strong> den Geist <strong>der</strong> Regisseurinsowie ihren Mut schätzt, <strong>und</strong> dass siedie Schauspieler <strong>als</strong> gleichberechtigte Kraftin die Gestaltung miteinbezieht, Phi lipp<strong>Hochmair</strong> nun schil<strong>der</strong>t seine Mission andiesem Abend so: „Ich spiele die Irritationdes braven Zeitblomschen Erzählprinzips,das Chaotische, den Lebenshunger Leverkühns<strong>und</strong> die lebendige Seite des Teufels.“Alles Rollen, die auf <strong>der</strong> Schauspielschulenicht gelehrt werden. Aber wie verkörpertman die lebendige Seite des Teufels?„Das“, erklärt <strong>der</strong> Schauspieler, „sindalles Hilfsbegriffe, die den intuitiven Suchprozesseines Ensembles beschreiben. Hiergibt es keine Rollen im klassischen Sinn,son<strong>der</strong>n wir haben es mit einem kaum zubändigenden Materialmeer zu tun, in demman nach Lücken sucht, in die man mitseiner Spielfreude <strong>und</strong> Energie einsteigenkann. Man muss sich <strong>und</strong> dem Zuschauereher Platz schaffen, um von <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong>Gedanken <strong>und</strong> Formulierungen nicht erdrücktzu werden. Die Schwierigkeit dabeiist, den Mut <strong>und</strong> den Humor zu behalten,dieser gigantischen Romankonstruktionetwas Eigenes entgegenzuhalten.“Spannende Abenteuerreise. Es kann indiesem Suchprozess auch zu Orientierungsverlustenkommen. Petra Morzé istes in einem frühen Probenstadium einmalpassiert, dass sie sich plötzlich „total verloren“fühlte, weil sie „nicht mehr wusste,wer bin ich jetzt eigentlich?“ Die Schauspielkünstlerin,die nach Tag <strong>der</strong> Gnade<strong>und</strong> Spuren <strong>der</strong> Verirrten zum dritten Malmit dem Shootingstar zusammenarbeitet,hat die Freiheit zu schätzen gelernt, dieFrie<strong>der</strong>ike Heller den Schauspielern aufden Proben lässt. Eine Freiheit, die diesmaleiner atemberaubenden Abenteuerreisegleicht. Denn die Einsatzrichtlinienvon Petra Morzé besagen, dass sie die „extremeSpanne zwischen dem seriösen, lauterenHumanisten Zeitblom <strong>und</strong> Leverkühn,beziehungsweise dem Teufel darstellt<strong>und</strong> damit die Zerrissenheit zwischenden beiden Polen verkörpert“.Wie spielt man das? „Man darf sich dasnicht so vorstellen, dass wir traditionelle,sich entwickelnde Charaktere spielen, son<strong>der</strong>ndas sind Momentaufnahmen von verschiedenenFiguren. Und so wie ThomasMann im Roman die Technik <strong>der</strong> Montagepraktiziert hat, ergeben diese Momentaufnahmenzusammen gesehen ein Panorama<strong>der</strong> Zerrissenheit.“In den Exzess. Das Rollenspektrum andiesem Abend sieht für Petra Morzé weitersvor, dass sie es laut Frie<strong>der</strong>ike Heller abdem Moment, in dem <strong>der</strong> Abend in den Exzess,in den Rausch übergeht, am krassestentreibt. Wie schwierig ist es, diese Entgrenzungauch innerlich zuzulassen? „Das Problemwälzt man im Prinzip bei je<strong>der</strong> Rolle,aber diese Arbeit, die alles Gewohnte weithinter sich lässt, stellt in dieser Hinsicht ungeahnteHerausfor<strong>der</strong>ungen, auch an die eigeneszenische Phantasie.“ BLothar LohsDer RomanDoktor Faustus: Ein Leitfadendurch Thomas Manns RomanDer Roman präsentiert die fiktive Biografiedes deutschen Komponisten Adrian Leverkühn,die von seinem Fre<strong>und</strong>, dem bravenHumanisten Serenus Zeitblom, erzählt wird.Die Geschichte handelt auf zwei Zeitebenen:<strong>der</strong> Zeitbloms, <strong>der</strong> seine Erinnerungenan das Leben Leverkühns zwischen 1943<strong>und</strong> 1945 aufzeichnet <strong>und</strong> in seinen Berichtimmer wie<strong>der</strong> Kommentare einfließenlässt, wie das faschistische Deutschlandseinem Untergang entgegentreibt. Auf <strong>der</strong>zweiten Zeitebene verschreibt sich Leverkühnim präfaschistischen Deutschlanddem Teufel. Der raffinierte Kunstgriff machtden Roman zur politischen Allegorie: Derfaustische Künstler mit seinem irrationalenSchaffensrausch wird zum Sinnbild Nazi-Deutschlands.Adrian Leverkühns Leben beginnt 1885 <strong>als</strong>Bauernkind. Auf dem problemlos absolviertenGymnasium wird er vom Lehrer Kretzschmarmit <strong>der</strong> Leidenschaft für die Musikangesteckt. Dennoch studiert er zunächstTheologie, um in Leipzig dann doch aufMusik umzusatteln. Hier hat er erstm<strong>als</strong>Kontakt mit dem Satan, <strong>der</strong> ihn verkleidet<strong>als</strong> Fremdenführer in ein Bordell führt, woer Esmeralda, die syphilitische Hure kennenlernt.Zuerst flieht er in Panik, später, <strong>als</strong>er nicht weiß, wie er sich <strong>als</strong> revolutionärerKomponist aus dem Beton <strong>der</strong> Traditionraussprengen soll, infiziert er sich bewusstbei ihr, um mit Hilfe <strong>der</strong> zerebralen Exzessedieser Krankheit seine Kreativität grenzenloszu machen. Es ist eine Art Vorvertragmit dem Teufel, ein Pakt, <strong>der</strong> bekräftigt wird,<strong>als</strong> ihm <strong>der</strong> Herr <strong>der</strong> <strong>Hölle</strong> dann echt erscheint<strong>und</strong> ihm die wahre Inspiration verspricht:für 24 Jahre, wobei er Liebesverbothat. So beginnt Leverkühn düstere avantgardistischeWerke zu schreiben mitten ineiner Gesellschaft, die bravourös verkennt,auf welches Verhängnis sie zusteuert.BÜHNE 11|08 23

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