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Der alevitische Gottesdienst in Deutschland - Alevi Kültür Merkezi ...

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<strong>Der</strong> <strong>alevitische</strong> <strong>Gottesdienst</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>LEVENT METEDAS ALEVITISCHEMANIFEST 2010Die Menschen von früher gibt es nicht mehr. Alles „Neue Generation“Denkst du, die lassen sich was sagen? Ne<strong>in</strong>!Die Welt hat sich geändert.Früher gab es noch Tugenden (die <strong>alevitische</strong>n Tugenden: edep erkân L.M.), es gab denWeg zu Gott, die Almosen im Namen Gottes, das Bittgebet im Namen Gottes.Das gibt es alles nicht mehr. Das gibt es nicht mehr…Aber wir verfolgen den Weg unserer Vorfahren;die heutigen Menschen tun dies nicht,denn wir s<strong>in</strong>d noch die Menschen von früher 1Diese Aussage kommt ausgerechnet von e<strong>in</strong>em alten Mann, der mit se<strong>in</strong>er Familie e<strong>in</strong>verarmtes und e<strong>in</strong>sames Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>alevitische</strong>n Dorf lebt. Die Familie dieses Manneswird von den Dorfbewohnern als „asıq 2 “ bezeichnet und teilweise nicht als „echten Alevî“angesehen, weil sie ihrer Herkunft nach Zigeuner s<strong>in</strong>d.1Entnommen aus: Filmdokumentation „73.Millet“ von Caner Canerik, www.pirdesur.com2 Das türkische „Âşık”


Aussagen wie: “<strong>in</strong>anç itikad kalmadı artık 3 “ s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Seltenheit unter Alevîs höheren Alters.Viele haben nicht mehr die Möglichkeiten ihren Glauben so auszuleben, wie sie es <strong>in</strong> ihrenDörfern gewohnt s<strong>in</strong>d. Darüber h<strong>in</strong>aus tut sich e<strong>in</strong>e Schlucht zwischen der ganz alten undganz neuen Generation auf. Dies merkt man am deutlichsten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>alevitische</strong>n<strong>Gottesdienst</strong>, der <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> stattf<strong>in</strong>det.E<strong>in</strong> kurzes Szenario:Es haben sich viele Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Saal versammelt. Viele sitzen auf dem Boden, e<strong>in</strong>igeauf Stühlen. Alle warten auf den Dede. Er ist derjenige, der als alle<strong>in</strong>iger die Befugnis hat,e<strong>in</strong>en <strong>alevitische</strong>n <strong>Gottesdienst</strong> zu leiten. <strong>Der</strong> Dede betritt den lauten Saal und alle stehendemütig auf. E<strong>in</strong> paar Jugendliche tippen noch <strong>in</strong> ihre Handys oder schauen sich Fotos/Videosan. In den h<strong>in</strong>teren Reihen tauschen sich zwei Frauen noch über die Hochzeit letzte Wocheaus. <strong>Der</strong> Dede setzt sich vorne auf se<strong>in</strong>e Position und sortiert noch hastig e<strong>in</strong> paar lose Blätter,die er aus se<strong>in</strong>em Aktenkoffer herausgeholt hat. Da er erst sehr spät das „Amt“ e<strong>in</strong>es<strong>alevitische</strong>n Priesters übernahm, musste er sich die Gebete teilweise aus dem Internet oderBüchern kopieren und sie sich zusammenstellen. Das Auswendiglernen klappt noch nicht soganz.Nach e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung beg<strong>in</strong>nt der eigentliche <strong>Gottesdienst</strong>. E<strong>in</strong>er der 12 Bediensteten läuftprüfend durch die Reihen Teilnehmer. E<strong>in</strong>e junge Frau, offensichtlich ohne körperlicheBee<strong>in</strong>trächtigung, sitzt auf e<strong>in</strong>em Stuhl und kichert mit ihrer Nachbar<strong>in</strong>. Offenbar haben siejemanden dort entdeckt, der sie zu belustigen sche<strong>in</strong>t. E<strong>in</strong> junges Mädchen, ke<strong>in</strong>e 18 Jahre alt,versucht sich ständig das Oberteil herunterzuziehen, damit die seitlichen Speckröllchen nichtherausquellen. <strong>Der</strong> <strong>Gottesdienst</strong> ist <strong>in</strong> dieser Zeit schon <strong>in</strong> vollem Gange, als noch e<strong>in</strong>eGruppe von 4-5 Leuten den Saal betritt und sich leise zu den Teilnehmern gesellt. Nach e<strong>in</strong>emkurzem Smalltalk mit Bekannten schaut man mal kurz nach vorne, was da so vor sich geht.Nach e<strong>in</strong>er Weile liturgischer Gesänge stehen e<strong>in</strong> paar Jugendliche auf und spulen ihreSchrittkomb<strong>in</strong>ationen ab, so wie sie es im Semah-Unterricht gelernt haben. Außer den„Tänzern“ steht niemand auf. Auch wenn sich im Inneren von e<strong>in</strong>igen etwas regt, dazuauffordert aufzustehen und sich wie e<strong>in</strong>e Galaxie zu drehen, so zögern sie.E<strong>in</strong> solcher <strong>alevitische</strong>r <strong>Gottesdienst</strong> hat zwar nie stattgefunden, ist allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>eZusammenführung verschiedener Beobachtungen aus tatsächlich stattgefundenen<strong>Gottesdienst</strong>en.In vielen Büchern über das Alevîtum wird die gottesdienstliche Zusammenkunft der Alevîsmit e<strong>in</strong>em IST beschrieben: Bei den Alevîs wird dies so gemacht, jenes so gedacht….Doch ist dies wirklich so?Unweigerlich muss man sich als Alevî die Frage stellen, was nach all dem ZAHIR, noch vomBATIN übrig geblieben ist.Doch zuvor:3 Damit me<strong>in</strong>t man nicht den Glauben an sich, sondern den traditionellen <strong>alevitische</strong>n Glauben und dessenIntensität


E<strong>in</strong>leitung zum <strong>alevitische</strong>n <strong>Gottesdienst</strong><strong>Der</strong> Cem, wie er jahrhunderte lang im Verborgenen praktiziert wurde, ist das Fundament derTradition und Sozialstruktur der Alevîs.Hier liefen unter Ausschluss von Konzepten wie Zwang / Gottesfurcht / Paradies / Hölle/ Teufel / das Böse / Verbote, alle Fäden zusammen;hier verschmolzen Anwärter und Priester (Talip und Mürşid), Mann und Frau, Jungund Alt, Glauben und Realität, Wirklichkeit und Wahrheit, Liebe und Leid…..Hier wurden Zerstrittene wieder zusammengeführt, hier wurde man aufgrund se<strong>in</strong>erschlechten Taten 4 (dem Geme<strong>in</strong>wohl und der familiären E<strong>in</strong>heit entgegenstehende Taten)gerügt, für kurze Zeit aus der Geme<strong>in</strong>de ausgeschlossen oder mit se<strong>in</strong>em Fehlverhalten direkt,<strong>in</strong> Gegenwart der Geme<strong>in</strong>de konfrontiert. Hier wusste man, wer man selbst war und zuwelcher Geme<strong>in</strong>schaft man gehörte.<strong>Der</strong> Cem führt Weltliches mit Geistlichem zusammen, so dass nach Klärung sozialerProbleme das Individuum die Möglichkeit hat, nach e<strong>in</strong>em bestimmten Grad an Versenkung,se<strong>in</strong> weltliches Ich abzulegen und se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit mit Kosmos/Gott/Wahrheit durch dieNachahmung e<strong>in</strong>er Galaxie zum Ausdruck zu br<strong>in</strong>gen.Wichtigste Elemente im Cem s<strong>in</strong>d:Verschmelzung / H<strong>in</strong>gabe / Trauer / Melancholie / Weltschmerz / Leid / Liebe /Sehnsucht / DemutDiese Empf<strong>in</strong>dungen und Gefühle werden durch die liturgischen Gesänge (Deyiş) und Gebete(Gülbenk / Gülbang / Gulvang) aktiviert.Versenkung <strong>in</strong> sich selbst / <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Selbst erreicht man nur durch diese Elemente.Das Spektrum der Musik breitet sich <strong>in</strong> diesem Kontext aus zwischen:Heiterkeit – MelancholieHeitere Musik wie Halaymusik benötigt der Mensch, um Stress abzubauen und se<strong>in</strong>er Freudekörperlichen Ausdruck zu verleihen. Musik, die man <strong>in</strong> Cems zu hören bekommt, soll dazudienen, die tieferen Schichten der Seele anzusprechen. Dies gel<strong>in</strong>gt nur durch Melancholie.<strong>Der</strong> Cem sollte dem Alevî die Möglichkeit bieten, ohne sich zu schämen, sich <strong>in</strong> sich selbst /<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Selbst versenken zu können, so dass der Seele (dem Can) das gegeben wird, was esauch <strong>in</strong> diesem Kontext braucht:4 Es gibt zwei grobe Klassifizierungen von schlechten Taten: 1.Düşkün hâl, 2.Müşkül hâl


• Die Ursehnsucht nach Verschmelzung• Harmonie mit sich selbst und der Umwelt• die Nähe zu Gott / die Göttlichkeit <strong>in</strong> sich selbst• die Göttlichkeit se<strong>in</strong>es Selbstes zu spürenHierbei spielt es ke<strong>in</strong>e Rolle welchen Namen die E<strong>in</strong>zelperson benutzt. Ob nun Gott,Allah, Hak, Ali, Şah, Universum, Kosmos, Wahrheit, Licht, Nirwana usw.Wichtig ist nicht, was man nach außen h<strong>in</strong> präsentiert: „ich glaube an Allah“, „ich glaube andie Wahrheit“ etc.Wichtig ist, was der e<strong>in</strong>zelne bei Versenkung <strong>in</strong> sich selbst / <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Selbst spürt!E<strong>in</strong> Mensch <strong>alevitische</strong>n Glaubens sollte nicht körperlich an e<strong>in</strong>em Cem teilnehmen und mitGedanken noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Alltag verharren, sondern sich von allem verabschieden undfür kurze Zeit sich se<strong>in</strong>er Selbst, und dadurch Gott/Hak/Allah/Wahrheit gewahrwerden.Hier beg<strong>in</strong>nt allerd<strong>in</strong>gs das große Probleme der modernen Alevîs. Das Problem derRahmenbed<strong>in</strong>gungen und die Verschiebung der Schwerpunkte vom Batın zum Zâhir.Konkret: der <strong>alevitische</strong> <strong>Gottesdienst</strong> wird immer unauthentischer, schiitischer,oberflächlicher, organisatorisch chaotischer und bedient sich dank e<strong>in</strong>iger übereifriger Dedes(die sich auf ihre Herkunft berufen und sich somit das Recht nehmen, entscheiden zu dürfen,was richtig und falsch für die Alevîs ist) immer mehr orthodoxer Methoden 5 . Auf der anderenSeite haben wir die gutmütigen Dedes, die zwar mit Leib und Seele an ihre Bestimmungglauben, und auch <strong>in</strong> Glaubensfragen sehr kompetent s<strong>in</strong>d, dies aber leider nicht an dieAnwärter, besonders an die junge Generation vermitteln können.Im Folgenden möchte ich e<strong>in</strong>ige Punkte näher ausführen:1. Regelmäßigkeit2. <strong>Der</strong> Dede3. Teilnehmerzahl4. Kleiderordnung5. Erfüllung6. Semah7. Dauer8. Sprache9. Diszipl<strong>in</strong>10. Symbolismus11. Politik12. Informationen13. Essen5 zunehmend auch sunnitische/schiitische Herangehensweisen


1. RegelmäßigkeitRegelmäßige <strong>Gottesdienst</strong>e erfüllen e<strong>in</strong>en wichtigen Zweck für die jeweiligeGlaubensgeme<strong>in</strong>de. Um bestimmte Strukturen zu festigen, ist e<strong>in</strong>e regelmäßige Präsenzunerlässlich. Alle 2 Monate e<strong>in</strong> Cem zu veranstalten, was auch meistens mit e<strong>in</strong>er Opfergabeund e<strong>in</strong>em bestimmten Anlass zu tun hat, lässt das Gefühl aufkommen, es müsse immer e<strong>in</strong>enbesonderen Anlass oder e<strong>in</strong>en Sponsor (jemand der e<strong>in</strong> Opfer zu geben hat) geben, damit man<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Cem zusammenkommen kann.<strong>Der</strong> Moslem kann 5-mal am Tag e<strong>in</strong>e Moschee betreten, und sich betend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke derBetfläche niederlassen. Darüber h<strong>in</strong>aus versammelt man sich jeden Freitag zum geme<strong>in</strong>samenGebet, was das Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl stärkt und die Religion/den Glauben im Alltagverankert. Durch die viel zu niedrige Frequenz der Cems ist die Präsenz des Alevîtums nichtgegeben. E<strong>in</strong>e Lösung wäre die diszipl<strong>in</strong>ierte Durchführung von wöchentlichen Cems, dieeher <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Rahmen ablaufen, als es die „Jahrescems“ s<strong>in</strong>d. So hat der Dede e<strong>in</strong>enbesseren Überblick über se<strong>in</strong>e Anwärter und jeder die Möglichkeit sich auf das Wesentlichekonzentrieren zu können. Wenigstens e<strong>in</strong>en Tag der Woche sollte man sich für den<strong>Gottesdienst</strong> frei halten, wenn man sich als glaubender Alevî 6 versteht.2. <strong>Der</strong> Dede<strong>Der</strong> Dede ist Wegweiser / Betreuer des Suchenden. Dies setzt e<strong>in</strong>e Suche voraus. Wer sich aufe<strong>in</strong>en Weg begibt, benötigt e<strong>in</strong>en Wegweiser, e<strong>in</strong>en Begleiter, der das Wissen, die Weisheit,die Kraft und Geduld besitzt, den Menschen auf dem spirituellen Pfad Licht zu spenden.Dieser Weg kann nach <strong>alevitische</strong>r Auffassung 7 auf 1001 verschiedenen Arten 8 begangenwerden.Es führen viele Wege zur Wahrheit bzw. zu Gott.So gibt es <strong>in</strong> verschiedenen Religionen und Kulturen diese Wegweiser, die ihr Leben imNamen ihres Glaubens leben und e<strong>in</strong>e hohe Verantwortung tragen. Diese Personen nennt manPriester, Schamane, Mediz<strong>in</strong>mann, Pir, Sheikh, Dede, Baba, Morshed/Mürşid,Rehber/Rayber/Rayver usw.E<strong>in</strong> Wegweiser MUSS wissender, weiser, geduldiger, selbstbewusster und vorbildlicherals se<strong>in</strong>e Anwärter se<strong>in</strong>!Auch wenn die Alevî-Tradition die Anforderungen an e<strong>in</strong>en Dede sehr hoch stellt (aber auchan den Talip!), so s<strong>in</strong>d es <strong>in</strong> unserer Zeit sehr wenige, die diese Kriterien auch wirklicherfüllen können. Im modernen Europa, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er durch Internet vernetzten und <strong>in</strong>formatisiertenWelt ist es für den Dede nicht e<strong>in</strong>fach, den Anwärtern den Weg zu zeigen. Denn auch wennder Anwärter sich e<strong>in</strong>em Dede verpflichten (ikrâr vermek, yola girmek, pire bağlanmak)sollte, was heutzutage sehr selten 9 stattf<strong>in</strong>det, muss der moderne Dede wiederum viel mehrwissen als se<strong>in</strong>e Vorfahren und auf dem neusten Stand se<strong>in</strong>. Dies erfordert e<strong>in</strong>enunaufhörlichen Lernprozess, der sehr viel Zeit <strong>in</strong> Anspruch nimmt. Da die <strong>alevitische</strong>nOrganisationen nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d ihre Geistlichen zu f<strong>in</strong>anzieren, so muss man sich6 Das schließt die atheistischen Alevîs nicht aus. Denn meistens lehnen diese bestimmte Formen und Konzeptevon Glauben zwar ab, leben aber <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em spirituellen Vakuum. Auch Atheisten haben durchaus e<strong>in</strong>enGlauben. Im äußersten Fall glauben Atheisten an den Atheismus. Ich empfehle daher auch den atheistischenAlevîs nicht fern zu bleiben. Sondern sich auf den Cem e<strong>in</strong>zulassen. Auch ihr habt e<strong>in</strong>e Seele!7 Gilt auch für die meisten Sufi-Strömungen8 Yol 1 sürek 10019 Wenn man sich die Masse von Alevîs <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> anschaut, so ist die Menge an jenen, die wirklich denWeg gehen möchten und sich e<strong>in</strong>em Pir verpflichten verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>g


Glaubensathmosphäre ist nicht mehr gegeben. E<strong>in</strong>e Massenzusammenkunft mag auf denersten Blick bee<strong>in</strong>druckend ersche<strong>in</strong>en, aber e<strong>in</strong>e Masse bildet noch lange ke<strong>in</strong>eGeme<strong>in</strong>schaft. Das ändern auch nicht Tragödien wie Kerbelâ / Sivas / Çorum / Maraş, derenGedenken gebetsmühlenartig - ohne Zukunftsperspektiven aufzuzeigen - wiederholt werden.Feststellungen:1. sobald der Cem besiegelt wurde, muss die Tür geschlossen werden. Wer zu spätkommt darf der Konzentration der anderen Willen nicht mehr here<strong>in</strong>gelassen werden.Hier muss der an der Tür stehende Bedienstete konsequent se<strong>in</strong>.2. Leute, die den Ablauf des Cems permanent stören und sich nicht angemessenverhalten, müssen verwarnt und ggf. vom Cem entfernt werden. Leider ist man <strong>in</strong> derH<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Schonhaltung 12 übergegangen, wo man sehr viel toleriert undh<strong>in</strong>nimmt. So werden Störenfriede nicht aus der Geme<strong>in</strong>de und aus dem Cem entfernt.Man will ja tolerant und offen für alles se<strong>in</strong>. Doch es sollte ke<strong>in</strong>e Toleranz und ke<strong>in</strong>Verständnis für Personen geben, die sich als Alevî bezeichnen, aber schon mit ihrerbloßen Präsenz stören 13 .3. Regelmäßige Cems sollten <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Rahmen stattf<strong>in</strong>den. Lieber 20 Teilnehmer, diemit Herz und Seele dabei s<strong>in</strong>d, als 50 Teilnehmer, von denen die Hälfte nur körperlichanwesend ist.4. KleiderordnungIm Cem geht es primär um Konzentration - Konzentration um des Menschen Willen unddadurch auch um Gottes Willen. So muss im Cem alles, was die Konzentration desBetenden stört, beseitigt werden. <strong>Der</strong> Cem ist ke<strong>in</strong>e Plattform für Sehen und Gesehen werdenoder gar e<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>gle Börse für manche Jugendliche, die noch nicht gelernt haben ihre Gefühlerichtig zu verstehen und e<strong>in</strong>zusetzen. Die Kleiderordnung ist wichtiger Kritikpunkt, weil esimmer wieder Personen gibt, die negativ auffallen. Undurchsichtige Strumpfhosen mitgesäßlangen Strickpullovern mögen momentan stark <strong>in</strong> Mode se<strong>in</strong>, gehören jedoch nicht <strong>in</strong>das Gesamtbild e<strong>in</strong>es <strong>alevitische</strong>n <strong>Gottesdienst</strong>es, <strong>in</strong> dem man sich öfters kniend nach vornebeugt. Zum Cem sauber und gepflegt zu ersche<strong>in</strong>en bedeutet nicht gestylt und aufreizend zuersche<strong>in</strong>en. Penetranter Parfümgeruch s<strong>in</strong>d genauso fehl am Platz wie hautenge Jeanshosen,wo die Phantasie des Mannes sich nur noch das Blau der Hose wegdenken muss. Hier wendenviele wiederum e<strong>in</strong>, dass sich e<strong>in</strong> wahrer frommer Mensch nicht von solchen D<strong>in</strong>genbee<strong>in</strong>drucken lässt und durch Ignorieren solcher Reize se<strong>in</strong> Ego im Zaum hält. <strong>Der</strong> Cem istaber ke<strong>in</strong>e Gelegenheit, um se<strong>in</strong>e Triebseele auf die Probe zu stellen. Dies sollte man imAlltag machen. <strong>Der</strong> Cem sollte hierfür die nötigen geistigen Kräfte aktivieren. Es gibt zwarfür e<strong>in</strong>en Cem ke<strong>in</strong>e bestimmte Kleiderordnung, da die Alevîs naturgemäß von moralischethischen Selbstverständlichkeiten ausgehen, wodurch sich bestimmte Vorschriften erübrigen.Leider sche<strong>in</strong>en wohl manche junge Alevîs ihre Eitelkeit nicht im Griff halten zu können, wase<strong>in</strong>ige Kandidaten von der Teilnahme e<strong>in</strong>es <strong>alevitische</strong>n <strong>Gottesdienst</strong>es disqualifizieren sollte.Jenseits von metrosexuellen Styloboys, Pitbull-Lederjacken-Typen und WKW/FacebookFotomodels haben wir e<strong>in</strong>e bedeutende Anzahl an frommen und spirituell offenen Mädchen,12 „aman <strong>in</strong>sanları soğutmayalım / kaçırtmayalım“13 So hört man immer wieder: „bunlar derneğe girdikten sonra çok tartışmalar yaşandı, birlik bozuldu, gençlerküstü, faaliyetler azaldı, dernek battı“ usw. Hier gilt es die anatolische Weisheit zu beherzigen: Bir kötünün birköye zarârı var.


ei denen ich e<strong>in</strong>e Tendenz zum Kopftuch tragen beobachte. Die Kopfbedeckung ist <strong>in</strong> vielenKulturen und Religionen verankert. Man sagt den Alevîs zwar nach, sie würden dieKopftücher ablehnen, jedoch f<strong>in</strong>det man kaum e<strong>in</strong> Dorf, wo die Frauen ke<strong>in</strong>e bestimmteKopfbedeckung tragen. Selbst Männer trugen ihre eigenen Kopfbedeckungen. Sich dasHaupthaar zu verdecken ist auch e<strong>in</strong> Zeichen von Schamgefühl. Nicht umsonst kann man beise<strong>in</strong>en Großmüttern beobachten, dass sie sich beim Lachen die Hand vor den Mund halten. Soist im Cem die Kopfbedeckung e<strong>in</strong> Zeichen von Demut und Scham 14 und sollte nicht mit demKopftuch-Kult mancher Sunniten gleichgesetzt werden. E<strong>in</strong> vom normalen Alltagvollkommen abweichendes Kleidungsstück zu tragen, hilft zudem auch, sich leichter vomAlltag auszukl<strong>in</strong>ken. Das Phänomen kennt man bei Verkleidung oder besonderen Anlässen,wenn man vom Alltag abweichende Kleidung trägt. Die Selbstwahrnehmung ändert sich fürkurze Zeit. So hilft das Kopftuch auch manchen, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen Geisteszustand zuversetzen. Für männliche Teilnehmer würde ich der Bequemlichkeit halber, e<strong>in</strong> Şalvarempfehlen. Langes Sitzen auf dem Boden ist mit e<strong>in</strong>er Jeans nicht unbed<strong>in</strong>gt angenehm.Feststellungen:1. Zu e<strong>in</strong>em Cem sollte man all das meiden, was unbequem ist und durch die besondereSitzposition nervend, oder sogar schmerzhaft werden kann. Das lenkt ab undverh<strong>in</strong>dert die Konzentration.2. Mode, Schmuck und sexuelle Reize haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Cem nichts zu suchen.3. E<strong>in</strong>fache bzw. traditionelle Kleidung helfen, sich auf das Wesentliche zu fokussieren.4. es darf ke<strong>in</strong> Kopftuchzwang vorherrschen, wo den weiblichen Teilnehmern dasKopftuch als Muss aufgedrängt wird. Wer freiwillig e<strong>in</strong>e Kopfbedeckung tragenmöchte, sollte aber auch nicht kritisch beäugt werden.5. ErfüllungWenn man e<strong>in</strong> Cem verlässt, so sollte man wenigstens mit e<strong>in</strong>em dieser Gefühle undEmpf<strong>in</strong>dungen nach Hause gehen:1. Zufriedenheit2. Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl3. Geborgenheit4. Seelenfrieden5. aufgefrischtes Identitätsgefühl6. Trost7. Erleichterung (bei gelösten Problemen, Versöhnungen)8. Nachdenklichkeit9. Aufgeklärtheit<strong>Der</strong> Mensch muss sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Cem mit all se<strong>in</strong>en geistigen Dimensionen der Wahrheith<strong>in</strong>geben bzw. der Wahrheit begegnen.14 Hier ist nicht von sexueller Scham die Rede


Diese geistigen Dimensionen des Menschen s<strong>in</strong>d:- geistige Welt / spirituelle Sphäre- Realität / Wirklichkeit / das Weltliche<strong>Der</strong> Dede und die Bediensteten müssen gewährleisten, dass die Teilnehmer e<strong>in</strong>e Erfüllungdurch den Cem bekommen. Das bedeutet allerd<strong>in</strong>gs nicht, dass die Teilnehmer sichzurücklehnen und den Dede „mal machen lassen“.Die Anforderungen an e<strong>in</strong>en Alevî, der aufrichtig den spirituellen Pfad des Alevîtums betritt,s<strong>in</strong>d hoch. Es ist zwar nicht e<strong>in</strong>fach die spirituelle Lehre und die Metaphysik des Alevîtumszu verstehen, doch wird dies nicht verlangt.Hier gilt der Grundsatz: Jeder nach se<strong>in</strong>en Bedürfnissen und geistigen Voraussetzungen.Das bedeutet konkret: Jeder Teilnehmer sollte sich konzentrieren und h<strong>in</strong>geben. WelcheErfüllung man bekommt, ist <strong>in</strong>dividuell verschieden.6. SemahDie Ästhetik des Semah ist im Grunde nur e<strong>in</strong> Nebenprodukt, der durch synchroneBewegungen der Pervanes 15 entsteht. Hier spielen Kleidung, Konzentration,Schrittkomb<strong>in</strong>ationen, Geschw<strong>in</strong>digkeit e<strong>in</strong>e besondere Rolle. Sie s<strong>in</strong>d jedoch nicht S<strong>in</strong>n undZweck e<strong>in</strong>es Semah. In unserer heutigen Zeit gibt es immer mehr Semah-Vorstellungen, diemit imposanten Bühnenkonzepten, bunten Kleidern und präzise ausgeführten Choreographienbeklatscht werden.<strong>Der</strong> Semah ist ke<strong>in</strong>e Folklore und auch ke<strong>in</strong>e Tanz-Choreographie!Um e<strong>in</strong> Pervane zu werden, benötigt man ke<strong>in</strong>e Choreographie oder Schrittkomb<strong>in</strong>ation. Wer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Cem e<strong>in</strong>e bestimmte Bewusstse<strong>in</strong>sstufe erreicht hat, steht e<strong>in</strong>fach auf undbeg<strong>in</strong>nt sich zu drehen. Dies geschieht eher <strong>in</strong>tuitiv. Natürlich gibt es regional abhängigeSemah Formen, mit ihren jeweiligen Schrittkomb<strong>in</strong>ationen. Doch sollte e<strong>in</strong> Cem <strong>in</strong><strong>Deutschland</strong> es jedem Teilnehmer erlauben, wenn er den Drang hat aufzustehen, sich <strong>in</strong>Trance drehen zu können. Häufig wird dies durch e<strong>in</strong> festes Semah-Team beh<strong>in</strong>dert. DiesesSemah-Team trägt e<strong>in</strong>e bestimmte Kleidung und wartet auf das Zeichen, um aufzustehen. E<strong>in</strong>anderer Teilnehmer würde <strong>in</strong> diesem starren Konzept, den Ablauf stören.Feststellungen:1. jeder muss die Möglichkeit haben, e<strong>in</strong> Pervane werden zu können2. der Semah ist ke<strong>in</strong>e Folklore!3. der Semah fördert die tiefere Versenkung / den Trancezustand4. e<strong>in</strong> Pervane sollte nicht belächelt werden. Wer sich über jemanden lustig macht, derspontan aufsteht und sich nach Gefühl dreht, muss verwarnt oder ggf. vom Cementfernt werden!15 So nennt man jemanden, der Semah „tanzt“. Besser auf türkisch: „Semah gitmek“


7. DauerTeilnehmer beklagen sich häufig über die Dauer des Cem. E<strong>in</strong> Cem, der sich über 3-4Stunden h<strong>in</strong>zieht ist ke<strong>in</strong>e Seltenheit. Dies liegt zum größten Teil an der Willkür des Dedes.Ab e<strong>in</strong>er bestimmten Dauer lässt die Konzentration nach und die Knie schmerzen. Dies solltenicht S<strong>in</strong>n und Zweck der Sache se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Cem muss kompakt und gut durchplant se<strong>in</strong>. DasProblem der Dauer geht auch e<strong>in</strong>her mit dem Problem der Regelmäßigkeit. Die Menschenhaben nicht die Möglichkeit sich an den Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Cem zu gewöhnen.Feststellungen:1. Die Cems ziehen sich zu sehr <strong>in</strong> die Länge. Dadurch verschiebt sich die Konzentrationauf die schmerzenden Stellen wie Knie, Gesäß und Rücken.2. <strong>Der</strong> Dede muss e<strong>in</strong>en festen zeitlichen Rahmen verfolgen, damit se<strong>in</strong>e Talips sichauch dem <strong>Gottesdienst</strong> h<strong>in</strong>geben können.3. da man die Schuhe ausziehen muss, frieren die Füße. Dies führt nach e<strong>in</strong>iger Zeit zuverstärktem Harndrang.4. physiologische Faktoren wie Harndrang, Hunger, Konzentration, Schmerzen durch zulanges und unbequemes Sitzen müssen berücksichtigt werden5. die Gebete s<strong>in</strong>d meistens zu lang und wiederholen sich oft. Diese müssen auch demVerständnis halber abgekürzt bzw. komprimiert werden8. SpracheZur Bewahrung der Orig<strong>in</strong>alität und Erhaltung bestimmter Identitätsmerkmale, ist dieÜbersetzung der Gebete und Gesänge <strong>in</strong>s Deutsche nicht empfehlenswert. <strong>Der</strong> Cem sollte <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er Orig<strong>in</strong>alität erhalten bleiben. Da es bei den Alevîs starke regionale Abweichungen gibt,die sich auch <strong>in</strong> der Sprache zeigen, so muss der Cem <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> jede Region Anatoliensberücksichtigen und sich dementsprechend anpassen.Das anatolische Alevîtum ist e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Kulturgut von Kurden , Turkmenen undder <strong>in</strong>digenen Bevölkerung Kle<strong>in</strong>asiens 16 !In Europa bzw. <strong>Deutschland</strong> gibt es nicht wie <strong>in</strong> früherer Zeit re<strong>in</strong> türkisch- oder kurdisch<strong>alevitische</strong> <strong>Gottesdienst</strong>e. Beide Versionen s<strong>in</strong>d für junge Alevîs, die <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>aufgewachsen s<strong>in</strong>d mit großen Verständnisproblemen verbunden. Das viel zu schnelleaufsagen der Gebete und die dort enthaltenen Fremdwörter s<strong>in</strong>d für die jungen Alevîs e<strong>in</strong>eQual. Wer e<strong>in</strong> Wort nicht versteht, der versteht den ganzen Satz nicht richtig.16 Südalevîs (arabische Alevîs / Nosairî) werden hier nicht berücksichtigt


Feststellungen:1. Kurdisch 17 sollte der kurdisch <strong>alevitische</strong>n Teilnehmer wegen unbed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> den Cem<strong>in</strong>tegriert werden. Es wäre s<strong>in</strong>nvoll e<strong>in</strong> wichtiges Bittgebet <strong>in</strong> beiden Sprachenaufzusagen. Da es allerd<strong>in</strong>gs zwei kurdische Sprachen unter den kurdischen Alevîsgibt, dürfte dies etwas problematisch werden. Aber dennoch machbar.2. der <strong>alevitische</strong> <strong>Gottesdienst</strong> ist ke<strong>in</strong> Türkischkurs oder Bildungssem<strong>in</strong>ar. Es muss imVorfeld e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es ABC der wichtigsten türkischen Begriffe erstellt werden. Diessollte allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er lexikalischen Wortdef<strong>in</strong>ition stattf<strong>in</strong>den. Vielmehrsollte erklärt werden, welche Stellung/Bedeutung das jeweilige Wort h<strong>in</strong>sichtlich des<strong>alevitische</strong>n Glaubens hat.9. Diszipl<strong>in</strong>Auch die <strong>alevitische</strong> Toleranz sollte ihre Grenzen haben. E<strong>in</strong> Cem darf nicht zu chaotischenImprovisationsveranstaltungen ausarten wie manche <strong>alevitische</strong> Veranstaltungen es seitJahren s<strong>in</strong>d. Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Cem muss e<strong>in</strong>e professionelle E<strong>in</strong>stellung und Organisationvorherrschen. Sonst geht die Konzentration verloren. Die Konzentration des E<strong>in</strong>zelnen führtzur Konzentration des Cemaat. In erster L<strong>in</strong>ie müssen der Dede und die Bediensteten fürRuhe und Ordnung sorgen. Ferner müssen sie e<strong>in</strong>en effektiven Ablauf gewährleisten. Dasbe<strong>in</strong>haltet auch konsequentes Durchgreifen während des Cems.10. SymbolismusAlevîs haben e<strong>in</strong>en unerklärlichen Drang, Bildnisse von bestimmten Heiligen bzw. Personenaufzuhängen. Sei es e<strong>in</strong>e Informationsveranstaltung oder e<strong>in</strong> <strong>Gottesdienst</strong>. So fehlen niemalsdie überdimensionierten Bilder 18 . Das Aufhängen der Bildnisse von Ali, Hace 19 Bektaş,Hasan, Hüsey<strong>in</strong>, Pir Sultan s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>sichtlich der jahrhunderte langen Tradition des Cem, jungePhänomene. Erst mit dem Auftreten technischer Möglichkeiten und dem Zugang zubestimmten Mitteln, konnte man Plakate / Bilder / Banner <strong>in</strong> großer Anzahl herstellen.17 unter Kurdisch def<strong>in</strong>iere ich alle <strong>in</strong>doiranischen Sprachen, die von Alevîs <strong>in</strong> Anatolien gesprochen werden18 Das Aufhängen e<strong>in</strong>es Izzett<strong>in</strong> Doğan Bildnisses neben den gleich großen Ali und Hace Bektaş Bildern istallerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Phänomen, was es umfangreich zu erforschen gilt.19 Fälschlicherweise wird der Begriff „Hacı“ verwendet. Es versteht sich von selbst, dass jemand dem derAusspruch „was du suchst f<strong>in</strong>dest du <strong>in</strong> dir selbst, nicht <strong>in</strong> Mekka oder beim Pilgern“ gehören soll, ke<strong>in</strong>Mekkapilgerer se<strong>in</strong> kann. Hace bedeutet: Lehrer, Meister


Feststellung:• Bildnisse können zwar helfen, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en bestimmten geistigen Zustand zu begeben,doch sollte man dies nicht zur Hilfe nehmen. Wer e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>nigen und starken Glaubenbesitzt, benötigt ke<strong>in</strong>e unrealistischen Abbildungen10. PolitikDie Politik ist unter den Alevîs e<strong>in</strong> sehr heikles Thema. Obwohl die politische Orientierungvon Grund auf dieselbe ist, so beharren die meisten auf ihren differenzierten aberunkohärenten politischen Me<strong>in</strong>ungen und dies führt zum Ause<strong>in</strong>anderdriften der Alevîs. Nichtohne Grund kann man <strong>in</strong> den letzten Jahren e<strong>in</strong>e starke Tendenz zum Nationalismus /Republikanismus / Volkschauv<strong>in</strong>ismus beobachten. Da die Alevîs genau wie die meistenorientalischen Völker es nicht gelernt haben, aus bestimmten Sachverhalten ihre Emotionenherauszuhalten, ist das Thema Politik wie das der Religion sehr explosiv. Zudem gibt es e<strong>in</strong>Fehlverhalten, wo die politische Me<strong>in</strong>ung bzw. Ideologie e<strong>in</strong>er Person als Maßstab se<strong>in</strong>esCharakters genommen wird. So entstehen <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>en viele Streitereien, worunter auchdie <strong>Gottesdienst</strong>e leiden. Konkret sehen wir dies <strong>in</strong> den <strong>in</strong>offiziellen Vere<strong>in</strong>s-Spaltungen:kurdisch-<strong>alevitische</strong>r Vere<strong>in</strong> – türkisch <strong>alevitische</strong>r Vere<strong>in</strong>. Auch wenn der Vere<strong>in</strong> politischeFarbe bekennt, oder e<strong>in</strong>e Mehrheit mit e<strong>in</strong>er bestimmten politischen Orientierung dom<strong>in</strong>iert,sollte der <strong>Gottesdienst</strong> jene Versammlung se<strong>in</strong>, wo Politik / Ideologie / Volk / Nationaufhören zu existieren.Nur Mensch zu se<strong>in</strong> ist nicht e<strong>in</strong>fach!


Feststellungen:1. <strong>Der</strong> Cem ist ke<strong>in</strong>e Veranstaltung, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> Staat oder e<strong>in</strong> bestimmtes Volk geehrtwerden sollte.2. Wer den Cem betritt ist nur noch e<strong>in</strong> Mensch bzw. e<strong>in</strong> Can. Diesem Konzept folgendist e<strong>in</strong> Cem jener Ort, wo Elemente wie Ethnie, Sprache, Politik, Staat, Flagge, Volkund Nation nichtig werden.3. E<strong>in</strong>e türkische Fahne oder e<strong>in</strong> Abbild von Kemal Atatürk tragen weder zur Qualitäte<strong>in</strong>es Cem bei, noch spielen sie e<strong>in</strong>e besondere Rolle h<strong>in</strong>sichtlich des <strong>Gottesdienst</strong>es.Im Gegenteil, vielmehr wirken diese Elemente auf unpolitische, aber gläubige Alevîseher irritierend.4. <strong>Der</strong> Cem sollte mit all se<strong>in</strong>en Elementen den Menschen <strong>alevitische</strong>n Glaubensansprechen, so dass ke<strong>in</strong> Vere<strong>in</strong> und ke<strong>in</strong> Dede sich das Recht nehmen sollte, andersDenkende auszuklammern.5. Atatürk/Doğan/Öcalan Abbildungen und Flaggen jeglicher Art, haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<strong>alevitische</strong>n <strong>Gottesdienst</strong> nichts zu suchen 20 . Sie tragen weder zur Qualität des Cemsbei, noch helfen sie dem E<strong>in</strong>zelnen sich se<strong>in</strong>er selbst bzw. Gott gewahr zu werden.10. InformationenE<strong>in</strong> Cem ist e<strong>in</strong> <strong>Gottesdienst</strong> und ke<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>ar. Viele Dedes me<strong>in</strong>en im Vorfeld e<strong>in</strong>es Cemse<strong>in</strong>e kurze Def<strong>in</strong>ition des Alevîtums machen zu müssen. Häufig s<strong>in</strong>d dies aber endloseAne<strong>in</strong>anderreihungen von theologischen Begriffen/Legenden/Viertelwahrheiten/Standpauken,mit denen die Jugendlichen nichts anfangen können. Wer über das Alevîtum gar nichts weiß,der sollte entweder nicht zu e<strong>in</strong>em Cem gehen, oder sich im Vorfeld e<strong>in</strong>ige Informationenholen.Anders verhält es sich allerd<strong>in</strong>gs bei e<strong>in</strong>igen wenigen Alevîs, die jenseits der Def<strong>in</strong>itionen undverschiedenen Me<strong>in</strong>ungen, den Kern bzw. die Grundidee des Glaubens ver<strong>in</strong>nerlicht habenund das Pr<strong>in</strong>zip des Cems ver<strong>in</strong>nerlichen können. Die Mehrheit der Alevîs, besonders die<strong>alevitische</strong> Jugend hat diese Erkenntnisstufe noch nicht erreicht und sich auch generell nichtmit Spiritualität ause<strong>in</strong>andergesetzt. So kommt es, dass der Dede mit aller Überzeugung,20 Man stelle sich e<strong>in</strong> Cem vor, wo kommunistisch e<strong>in</strong>gestellte Alevîs Bildnisse von Ernesto Guevera, Mao oderMarx neben Ali aufhängen.


jedoch ohne Zusammenhang und Ziel, e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition des Alevîtums macht, welche von denJugendlichen nicht verstanden wird. Im Gegenteil, die neue Generation von Alevîsentfremden sich zunehmend vom Alevîtum. Mit abstrakten Aussagen wie: Wir folgen demWeg des Ehlibeyt, wir folgen den 12 Imamen, wir lieben Ali, wir s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der von Kerbela,Haci Bektas ist unser Pir, wir s<strong>in</strong>d der Kern des Islam… können jungen Alevîs nichtsanfangen.Feststellungen:1. jeder Vere<strong>in</strong> sollte se<strong>in</strong>e Mitglieder gründlich aufklären, bevor er generell Cemsveranstaltet2. jeder Dede sollte genug Deutsch können, um im Vorfeld den jungen Alevîs dieGrundpr<strong>in</strong>zipien des Cem erläutern zu können3. Auf Wunsch kann dann man nach Vollendung e<strong>in</strong>es Cem e<strong>in</strong>e Gesprächsrunde starten.Wer nicht <strong>in</strong>teressiert ist, kann den Saal verlassen. Im Vorfeld kann e<strong>in</strong> Themavere<strong>in</strong>bart werden, oder man gestaltet es spontan.13. EssenEs muss nicht immer e<strong>in</strong> Schaf geschlachtet werden, oder e<strong>in</strong>e handvoll Leute für alle etwaszubereiten. Vielmehr sollten alle, die zu e<strong>in</strong>em Cem gehen sich auch die Mühe machen, etwaszuzubereiten. Wer etwas selbst zubereitet, steckt se<strong>in</strong>e eigenen Fähigkeiten, Gefühle undLebensenergie <strong>in</strong> das Essen. Daher würde ich niemandem Empfehlen zu e<strong>in</strong>em Cem mit<strong>in</strong>dustriell Hergestelltem Essen wie Kekse, Chips, Süßigkeiten zu gehen. Jeder sollte mitLiebe etwas zubereiten und es mit allen teilen.Abschluss„Die <strong>Alevi</strong>ten s<strong>in</strong>d stets nur auf der Suche nach dem Göttlichen, um als MenschenVollkommenheit zu erlangen. Sie suchen die Spuren Gottes im Handeln der Menschen,vor allem im Diesseits“ 21An diesem Punkt sollte sich jeder Alevî folgende Frage stellen:Deckt sich hier die Theorie auch wirklich mit der Praxis?21 Ausschnitt aus dem Artikel von Mely Kiyak: <strong>Der</strong> Mensch als heiliges Buch. Quelle:http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=56323066&aref=image036/2008/03/24/ROSPC200800200500051.PDF&thumb=false


Abschließend e<strong>in</strong>e Auswertung von 100 Befragten zu folgender Frage:Nimmst du regelmäßig an Cem-Zeremonien teil?3934918OFTMAL TEILGENOMMENAB UND ZUNOCH NIEWie man am Diagramm erkennt, besuchen nur 9% regelmäßig e<strong>in</strong>en Cem und 18% habennoch nie teilgenommen. Man sollte sich für die Zukunft folgende Gedanken machen:Was ist mit den restlichen 81%? Was h<strong>in</strong>dert die Menschen daran, regelmäßig e<strong>in</strong>en<strong>Gottesdienst</strong> zu besuchen? Wie kann man die 9% verdoppeln oder gar verdreifachen?Diese und mehrere <strong>in</strong>teressante Ergebnisse me<strong>in</strong>es Fragebogens werden zusammen mit denwichtigsten Themen rund um Alevîs und Alevîtum bald <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Buch „Das <strong>Alevi</strong>tischeManifest“ zu lesen se<strong>in</strong>.

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