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Predigt zu Psalm 1, Pfr. Scharpf

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<strong>Predigt</strong> <strong>zu</strong> <strong>Psalm</strong> 1 1Wohl dem,der nicht dem Rat der Frevler folgtund nicht auf den Weg der Sünder tritt,noch sitzt im Kreis der Spötter,2sondern seine Lust hat an der Weisung des HERRNund sinnt über seiner Weisung Tag und Nacht.3Der ist wie ein Baum,an Wasserbächen gepflanzt:Er bringt seine Frucht <strong>zu</strong> seiner Zeit,und seine Blätter welken nicht.Alles, was er tut, gerät ihm wohl.4Nicht so die Frevler;sie sind wie Spreu,die der Wind verweht.5Darum werden die Frevler nicht bestehen im Gericht,noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten.6Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten,der Weg der Frevler aber vergeht.Liebe Gemeinde, ja wenn es so einfach wäre: Wir haben unsere Freude daran, so <strong>zu</strong> leben, wie Gott das möchte. Und dann gelingt unser Leben. Wir werden gross und stark wie Bäume. Und die Frevler, die Bösen, die werden in alle Winde zerstreut. – Nein, ich glaube nicht, dass das Leben genauso verläuft. Das Leben verläuft ganz sicher nicht so. Ganz sicher nicht. Vielleicht wundern sie sich, dass ich gleich <strong>zu</strong> Beginn Kritik am Bibeltext äussere. Das ist aber kein Problem, denn die Bibel kritisiert sich oft selber. Wenn wir die Bibel grafisch darstellen müssten, könnten wir keinen Pfeil zeichnen, wir müssten eher ein Netz zeichnen. Die Bibel ist in sich ein Netzwerk. Frühere Stellen werden mit späteren Stellen verknüpft, spätere Stellen mit früheren. Die Vorstellung von Gott entwickelt sich. Die Sicht auf die Welt entwickelt sich auch. Die Menschen sind nicht einfach nur gut und nicht einfach nur böse. Böse Menschen haben Erfolg, gute Menschen können schwer leiden. An dem nagen auch wir immer wieder. 1Wohl dem,der nicht dem Rat der Frevler folgtund nicht auf den Weg der Sünder tritt,noch sitzt im Kreis der Spötter,2sondern seine Lust hat an der Weisung des HERRNund sinnt über seiner Weisung Tag und Nacht.3Der ist wie ein Baum,an Wasserbächen gepflanzt:Er bringt seine Frucht <strong>zu</strong> seiner Zeit,und seine Blätter welken nicht.


Ich habe letztens die ersten 20 Seiten aus dem Buchdes Geigenbauers Martin Schleske gelesen. An Hand der Kunst des Geigenbaus und der Welt der Klänge entwickelt er seine Sicht auf den Sinn des Lebens. Das Buch beginnt wunderschön. Mit seiner Suche nach dem richtigen Holz. Mit einem Freund geht er im Winter in den bayrischen Bergen auf die Suche nach Tannen, die vom Wind gefällt wurden. Er sucht Tannen, die im dichten Wald an einem eher trockenen Ort gewachsen sind. Wachsen Fichten im dichten Wald, werfen sie die unteren Äste ab. Denn in der Dunkelheit können sie nicht gedeihen. Haben sie weniger Wasser, wachsen sie langsamer. Wie die jahrhundertealte Erfahrung die Geigenbauer gelehrt hat, sind langsam gewachsene Stämme ohne Äste die beste Grundlage für Geigen. Und noch dann eignet sich nicht jeder ganz genau gleich. Laut diesem Geigenbaumeister gibt es Stämme, die sind so wunderschön gewachsen, dass sie wenn man sie anschlägt, wenn man sie fällt und <strong>zu</strong> Tale rollen lässt, nicht einfach nur dumpf poltern. Nein, das Holz singt. Das Holz singt. Und mit diesem Bild der langsam wachsenden Bäume, die die unteren Äste abwerfen, die sich ausstrecken nach dem Licht, die erst nach ihrem Sterben ihre Erfüllung finden, mit diesem Bild beginnt der Geigenbaumeister Martin Schleske sein Buch vom Klang und vom Sinn des Lebens. – Er entwickelt sein Gleichnis vom Leben und schreibt davon, wie erst durch das langsame, mühsame Wachsen, die Ausdauer und die Geduld die Grundlage für den kostbaren Klang entsteht. Er hat dann auch <strong>Psalm</strong> 1 zitiert. Zuerst war ich mit ihm einverstanden. Ja, wer <strong>zu</strong> schnell wächst, wer alles sofort will, wer keine Probleme überstehen muss, hat ein falsches Bild vom Leben und weniger Widerstandskräfte. Aber sind wir wie diese perfekten, singenden Tannen? Plötzlich habe ich gestutzt. Sicher, Bäume sind wunderschön. Bäume waren für den Menschen jahrhundertelang sehr wichtig. Bäume und Wälder sollen wir schützen, nützen, hegen und pflegen. Aber sind wir Menschen wie Bäume? Ist menschliches Leben vergleichbar damit? Es ist ein Bild, das für mich ZU schön ist. Natürlich, das Bild hat mich sofort angesprochen. Langsam, still, wunderbar wachsen hin <strong>zu</strong>r Perfektion. Ich würde es uns allen wünschen. Und es gibt wunderbare, liebenswürdige, Senioren, die diesem Bild entsprechen. Weisshaarige Tannen und Eichen, die ich bewundere. Aber wissen Sie was. Je liebenswürdiger, je weiser diese Senioren sind, desto eher werden sie wohl sagen: Du meine Güte, in meinem Leben ist doch nicht alles rund gelaufen. Was habe ich für Umwege erlebt, was habe ich mir für Schnitzer geleistet. Das Leben hat mir auch einen Haufen Narben geschlagen. Ich bin weit weg von irgendwelcher Perfektion. – Ich glaube, ich glaube, diejenigen alten Menschen, die am meisten Liebe ausstrahlen sind die, die ihre eigene Knorrigkeit akzeptiert haben. Wieso auch nicht. Ich habe einmal uralte, verbogene, krüppelige Oliven-­‐Bäume abernten dürfen. Und als das frische Öl aus der Presse gelaufen ist, habe ich geweint. Weil ich mich gefühlt habe, wie jemand der völlig unverdient beschenkt worden ist.


Wissen Sie, ich will die Kunst dieses Geigenbauers nicht madig machen. Sein Buch, sein Handwerk und seine Website scheinen von einer Qualität <strong>zu</strong> sein, die mich tief beeindruckt. Der Mann hat eine Ausbildung und einen Weg hinter sich, vor dem ich den Hut ziehe. – Wahrscheinlich sollte ich sein ganzes Buch lesen. Trotzdem: Ich bin Seelsorger. Und als Seelsorger, als Armeeseelsorger und als Notfallseelsorger begegne ich Menschen, die nicht nur gerade gewachsen sind. Ich lebe mit Menschen, die in Krach und Gewalt, Umwegen, Versagen, Lüge und Gemeinheit ihren Weg suchen. Ich habe Gemeinheiten begangen und andere Menschen haben an mir Gemeinheiten begangen. Ich habe keine makellose Biographie und viele andere Menschen fragen sich, was sie aus ihrem Leben gemacht haben. Alle Geschichtsbücher sind von den Überlebenden geschrieben worden. Welchen Glauben hätten die Toten und Ermordeten? Ich will denen Respekt erweisen, die schon nicht mehr da sind. Den jungen Toten, den Verwundeten, den Behinderten. Der Geigenbauer ist beschenkt worden. Er hat überlebt. Nie hat ihm ein Auto-­‐Unfall eine Hand zertrümmert, eine Explosion das Augenlicht geraubt, ein Besoffener ihn so verprügelt, dass er danach halbtaub war, nie hat ihn eine Tanne erschlagen. Wie wäre seine Lebens-­‐Geschichte, wenn er eine Hand und ein Kind verloren hätte? Er hat in einer Welt gelebt, wo es so etwas gab wie physikalisch-­‐akustische Laboratiorien. Man muss die Zeit, die Kraft und das Geld haben, sich für den perfekten Klang <strong>zu</strong> interessieren. Perfektion ist ein Geschenk. Ein sehr, sehr, sehr seltenes Geschenk. Hohe Ziele halten mich auf Trab. Perfektion macht mich verrückt. Weil ich nicht weiss, ob ich ein langes abgerundetes Leben haben werde, halte ich es wie so oft mit Dietrich Bonhoeffer. Er hat sinngemäss geschrieben: Auch wenn unser Leben Fragment bleibt, wenn man dem Fragment nur ansieht, wie es gemeint war. Dann war es ein gutes Leben. Wenn wir so leben, dass wir gehen können, dann haben wir verstanden, dass das Leben sowieso ein Geschenk ist. Und dann ist das Leben gutes Leben. Ich komme <strong>zu</strong>m Schluss: Der Geigenbauer sieht sich als einen Pilger und Suchenden, der auf den Bergen nach der Heiligkeit und Perfektion sucht. – Das Leben kann einen aber wüst aus der Bahn werfen. Ich würde mich lieber sehen wie Michelangelo, den lebensbejahenden Renaissance-­‐Menschen, der aus einem völlig versauten Marmor-­‐Block noch den David heraushaut. Aus dem Stein. Unbeirrt. Schlag, für Schlag, für Schlag. Amen

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