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Weitere Gedichte von Marie Luise Kaschnitz

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AbschiedAbschied vollzog sich innen, immer innen.Das Preisgegebene starb und ward nicht stündlichVerrat <strong>von</strong> uns geübt, da wir die TreueVersäumten und das schweigende Bekenntnis.Sehr viel verlangen hiess es <strong>von</strong> den Dingen,Dass sie bestehen sollten allen FeuersUnd Wassers Not und waren preisgegebenSeit langer Zeit, und preisgegeben war auchIm Herzen das Gefühl, das heiligere.Denn immer lockten Wünsche, freier, leichterIm Sturme hinzufahren, und die LiebeWar voll <strong>von</strong> Fluchtgedanken alle Zeit.Jetzt aber ist das alles neu gewordenund schrecklich wahr der Traum vom leichten Fluge,Zerschlagen ist das liebe lang vertraute ObdachZur Nacht, ein Übergang. Wir haften nirgends.Und ob wir gerne weilten bei den HüttenIm Feuerschein und gerne uns beschwertenMit Last der Liebe und dem kleinen Tagwerk,Es ist uns auferlegt ein flüchtig SchweifenUnd Abschied ungewollt und LiebesferneUnd Sehnsucht und ein letztes NichtbegreifenIm Angesicht des Todes und der Sterne.<strong>Marie</strong> <strong>Luise</strong> <strong>Kaschnitz</strong>: Die <strong>Gedichte</strong>. Frankfurt am Main 1985. ZHB-Signatur B.e 810


BewegungUnstet nie so wie jetztEin RäderrollenVorbeiFlugerhaschte GerücheErlöschende FensterNie so wie jetzt entrinnendDem Raubvogel Todund der feuchtenLiane VerwesungNieSchritthaltend so wie jetztMit dem Abfall der HügelrückenMit dem Wirbeln der UferNieNachfahrend so wie jetztHerrlich heimatlosDie grossen Schwünge der SchöpfungUnd aufheulen lassend hierBei der blitzgespaltnen KastanieOder dort bei dem NebelwasserDas metallene Horn.


Wo bin ichIch bleibe wo ich binIn diesem Gehäuse das wehtutDas ich aufbrechen könnteund könnte mich ausfliessen lassenund versickern lassen mein BlutRinnsal zu RinnsalMein Fleisch den Füchsen.Aber ich bleibeVerdorreUnter der StechsonneVerfaule im Regen.StockfleckigAufrecht noch immerBeim KoppelrickBeim wilden KirschbaumBehalt ich im Auge den WegAuf dem du fortgingstAuf dem du zurückkommstKeines Tages.<strong>Marie</strong> <strong>Luise</strong> <strong>Kaschnitz</strong>: Die <strong>Gedichte</strong>. S.399


Am Ende unter KastanienEine Tür die zufälltIn einer Wohnung in der ich allein bin.Eine Ankerkette die sich abspultIn einem traurigen Hafen.Rollschuhe <strong>von</strong> Kindern auf einer gepflasterten StrasseAm Ende unter Kastanien.Ein Traktor in der Nebelzeit OktoberSprengnung im Steinbruch und Widerroll <strong>von</strong> den BergenDie Axt im BaumFerner dein Schlüssel im Türschloss gedrehtNicht mit dir gestorbenDein Schritt auf dem VorplatzNicht mit dir gestorbenDie Axt mit dem Baum nicht gestorbenDie Axt.<strong>Marie</strong> <strong>Luise</strong> <strong>Kaschnitz</strong>: Die <strong>Gedichte</strong>/S.401


Stein im SchuhSchmerzt er wiederDer Stein im Schuh?Ich führe ihn lange mit.Es nützt nichtsDie Strümpfe zu wechselnOder das FussbadIn wildfremden Meeren.Moos, Mooswaldweg, Moos –Brunnen und ich an der HandGenommen <strong>von</strong> mir selbstDem GeisterkindDie Tannenschneise hinaufZum Quellstrahl und grauen TrogSteinSteinFall mir vom Herzen.<strong>Marie</strong> <strong>Luise</strong> <strong>Kaschnitz</strong>: Die <strong>Gedichte</strong>. S.439


GleichzeitigÜber den Hof werden Särge getragenAuf dem Hof radeln KinderÄste riesige brechen aus den Lindenstürzen hinab in den HofEin toter Soldat liegt auf dem Hof unterm SchneeBrautpaare werden am Brunnen fotografiertTrümmerschutt fällt auf den HofEin Schimmelkopf zeigt sich im FensterAus der Waschküche quellen SchwadenNackte Sohlen stampfen den WeinMotorenlärm Geknatter <strong>von</strong> TraktorenAlles gleichzeitigUnter dem kupfernen LaubBlühen Tulpen NarzissenUnd die Kinder auf ihren RädernDurchfahren die Toten leichthin.<strong>Marie</strong> <strong>Luise</strong> <strong>Kaschnitz</strong>: Die <strong>Gedichte</strong>. S.463

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