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Leuchte heller, kleiner Stern PDF (2 MB) - Herz des Lichts

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Für Marlies, meinen <strong>Stern</strong>Copyright:Klaus Wriessnegger (Text)Kristin José (Bilder)Alle Rechte vorbehalten


Die Dunkelheit verändert sich. Langsam färbt sich dastiefe undurchdringliche Schwarz in ein zartespastellfarbenes Lila, wie es nur an jenen Tagen zubeobachten ist, wenn die Sonne ganz entspannt undgelassen ihren Weg am Horizont beginnt und keine Wolkeund kein Nebel ihr den Weg verstellt. Ihre ersten zartenStrahlen werfen mit zunehmender Helligkeit langeSchatten, die sich an den Grashalmen und Wiesenblumenfestklammern, als könnten sie jeden Moment weggerissenwerden, um dann zu ergehen im gleißenden Licht derfeurigen Kugel, die jetzt schon eine Handbreit über derblauen Zackenlinie der entfernten Berge schwebt, welchehier den Horizont zwischen Himmel und Erdezerschneiden wie eine gigantische, auf den Kopf gestellteSäge.Mit dem Licht erwacht auch das Leben. Zuerst hört mandas Erwachen der Vögel und Insekten wie einvielstimmiges Gähnen, mit dem die Welt Atem holt fürden neuen Tag, untermalt vom sanften Rauschen <strong>des</strong>Win<strong>des</strong> in den Blättern der Bäume, die bereits ihrprächtiges Frühlinsgewand tragen und sich stolz im Windwiegen als wollten sie sagen: „schaut doch her, wie schönwir sind“.Der Wind malt Wellen in das Weizenfeld, das dannscheint wie ein riesiges leuchtend gelbes Meer. Inmittenwirkt der knallrote Traktor wie eine Boje, die sichverzweifelt dagegen wehrt, von den Wellen fortgerissen zuwerden.


Ein Sonnenstrahl findet den Weg durch die verschlosseneDachluke eines einsam dastehenden Bauernhauses undbringt sanft verträumtes Licht in den Dachstuhl, der inseinem Bauch all jene Dinge verwahrt, die irgendwann


Die kleine blaue Blechdose mit den gelben <strong>Stern</strong>engehörte vor langer Zeit einem kleinen Mädchen. Sie istnicht viel größer als ein Stück von dem Streuselkuchen,den die Mutter je<strong>des</strong> Wochenende gebacken hatte und


der besonders gut schmeckte, wenn er noch etwas warmwar und der Zucker in den Streuseln noch irgendwiefeucht schmeckte. Das Mädchen war inzwischen selbstMutter geworden und ihre Mutter lebte schon langenicht mehr. Würde sie noch leben, vielleicht würde siesich jetzt gerade daran erinnern, wie sie ihrer kleinenTochter damals zu deren dritten Geburtstag dieseSchmuckdose geschenkt hatte, gefüllt mit feinenPfefferminztalern, weißen und zart rosafarbenen, wie siesie wohl immer schon gegeben hat und immer gebenwird. Die Bonbons waren schnell gegessen und dieDose diente danach als Aufbewahrung für dieunterschiedlichsten kleinen Schätze: bunteGlasmurmeln, glitzernde Steine, zwei Milchzähne, dasschillernde Band von dem weißen Kleid, das leiderirgendwann zu klein war und fort gegeben wurde an dasWaisenhaus – ohne das Band! - darauf hatte Amelieunter Tränen bestanden. Später fand dann noch dererste Liebesbrief seinen Weg in die Dose, geschriebenvon einem Mitschüler, strotzend vor Schreibfehlern,aber mit einem wunderbar gemalten <strong>Herz</strong>en mit demobligatorischen Pfeil mittendurch. Dieser Brief wurdenie beantwortet. Weder schriftlich, noch mündlich, nochsonst irgendwie. Es war, als wäre er nie geschriebenworden, was auch kein echtes Problem war, weil dieserBrief nicht der einzige war, der mit der gleichenHandschrift, den gleichen Rechtschreibfehlern undähnlichem Text und Zeichnungen fast gleichzeitig anAmelies Klassenkameradinnen geschrieben wurde. Werviel sät, kann auch viel ernten - so oder ähnlich muss derAutor dieser Briefe gedacht haben. Ob es dann der


Misserfolg war, der ihn letztendlich ins Zölibat triebund zum Pfarrer <strong>des</strong> benachbarten Dorfes werden ließ?*Erst geht ein sanftes Zittern durch den rechten Arm.Dann verbiegt ein Strecken und Räkeln den ganzenKörper. Plötzlich löst es sich vom Untergrund undbeginnt zu rutschen. Erst langsam, dann immerschneller und es kann sich im letzen Moment geradenoch am rauhen, rostigen Rand festhalten bevor es in dieunendliche Tiefe abstürzt. „Was war jetzt das?“ denktes, während es sich mit seinen Armen mühsam amRand hochzieht, bis die Beine endlich Halt finden undsich der kleine Körper heftig atmend an die kalteMetallwand schmiegen kann. Ein Blick nach untenlässt es erneut schaudern.


Nachdem es sich vergewissert hat, dass keineunmittelbare Gefahr mehr besteht, kehrt die Ruhezurück und es versucht, sich seine Situation klar


zumachen: es ist – besser war - der fünfte <strong>Stern</strong> vonlinks oben an der Nordseite einer blau lackiertenBlechdose. Jetzt ist es ein zackiges hauchdünnes gelbesEtwas, das sich ruhig aber schwer atmend knappoberhalb <strong>des</strong> Deckelrands „seiner“ Dose mit demRücken an die kalte Metallwand presst und Angst hat,herunterzufallen. Wohin herunterzufallen?„Wo bin ich? Wer bin ich? Und was bin ich überhaupt“fragt sich der kleine <strong>Stern</strong>, der das Ganze ebensoplötzlich und unerwartet erlebt wie wir. Zuerst denkt er,dass er träumt. Aber die folgende Bewegung, das darauffolgende Abrutschen vom Rand und der harte Aufprallauf dem rauhen Brett, auf dem die Dose seit vielenJahren steht, schließen eine Traum nachhaltig aus.„Also habe ich bisher geträumt und jetzt bin ich wach!“denkt unser <strong>Stern</strong>, während er sich aufrappelt, sich denStaub abklopft und nachdenklich den sternenförmigenAbdruck anstarrt, den er im dicken Staub hinterlassenhat, in dem er gelandet ist. Er blickt sich um. Über ihmdie mächtigen Wände der Dose und darauf seine vielenGeschwister, die alle noch zu schlafen scheinen.Wenigstens bewegt sich kein anderer auch nur ein kleinwenig.Außer der Lücke, die er hinterlassen hat und aus der dasblanke Metall der Dose blinkt, gibt es keinerleiAnzeichen, das Ähnliches, wie es ihm gerade geschehenist, bereits vorher geschehen war. Zumin<strong>des</strong>t nicht aufder Nordseite der Dose. Es folgt ein langerbeschwerlicher Rundgang um die Dose herum, der aber


außer völliger Erschöpfung keinerlei neue Erkenntnissebringt. Er war offensichtlich der einzige <strong>Stern</strong>, derbislang diesen Weg ins Leben gewählt hatte. Aberwarum gerade er? Warum jetzt? Und warum überhaupt?Er versucht, sich zu erinnern: Schemenhaft fallen ihmBilder ein. Bilder von einer großen Halle mit riesigenMaschinen. Gewaltige Farbnebel, stechender Geruch.Zischende Geräusche und dumpfes Stampfen. EineFabrik. Endlose Reihen von Dosen, so wie jene, vor derer jetzt steht. Männer und Frauen in blauen Kitteln, diedie Dosen nehmen - jeweils vier - und sie in kleinePappschachteln gefüllt mit Holzwolle pressen. Jetztgreift eine Hand nach seiner Dose. Es wird dunkel. DasGeräusch der Maschinen wird dumpf und undeutlich.Ein Rütteln und Ruckeln und das Geräusch verstummtendgültig. Endlose Zeit vergeht, dann kommtBewegung in die kleine Welt um ihn herum. Ein dumpferSchlag und ein Brummen. Es riecht nach Rauch und Öl.Monotones Rütteln und dann wieder Stille. Plötzlichwieder Licht und eine Frauenhand greift nach ihm. SeineDose wird hochgehalten ins Licht, mit einem weißenLappen glatt poliert. Die Dose wird geöffnet, rundebunte Plättchen, die stark nach Pfefferminz riechen,werden in die Dose gefüllt und dann wird sie mitanderen Dosen in ein Regal gestellt. Viele Menschengreifen danach nach ihm, drehen seine Dose hin und her,stellen sie auf den Kopf, öffnen den Deckel und stellensie wieder zurück. Bis irgendwann eine Frau die Dosezur Kasse trägt und in ihrer Tasche mitnimmt. NachHause, wo sie in buntes Papier gepackt wird und lange


Zeit in einem Schrank steht, bis endlich eineKinderhand das Papier herunterreißt und er direkt in dieleuchtenden Augen eines Mädchens schaut. Er siehtsein Spiegelbild in diesen Augen und hört das Mädchenvoller Entzücken Dankesworte rufen. Die Zeit vergehtund das kleine Mädchen wächst heran. Von Zeit zuZeit kramt sie die Dose hervor um mit geheimnisvollerMiene Dinge in ihr zu verstauen. Anschließend wird siedann immer wieder an einem sicheren Ort im Regalhinter dümmlich lächelnden Plüschtieren versteckt.Doch halt! da ist noch etwas: manchmal in der Nachttauchen plötzlich Bilder auf. Irreal und wirbelnd wie einKaleidoskop. Szenen wechseln sich in rascher Folge ab.Das Mädchen träumt und irgendwie erreichen ihn ihreTräume, fangen ihn ein und lassen ihn teilhaben.Träume voller Glück, Licht und Leben. Träume vollerAngst, Kummer und Besorgnis. Und da ist noch etwas:ganz diffus und schemenhaft spürt er eine ferne Energieund hört eine Stimme, vernimmt er eine Botschaft, ohnedass er einzelne Worte erkennen kann. Diese Stimmewill ihm etwas sagen. Diese Stimme will ihn erreichen.Diese Stimme will ihn wecken und diese Stimmeerwartet etwas von ihm. Dann schaut er je<strong>des</strong> Mal nachseinen Geschwistern um festzustellen, ob jene auchdiese Stimme hören. Aber sie scheinen fest zu schlafen,starr und taub kleben sie um ihn herum und er spürtkaum etwas Leben in ihnen – nichts von dem Leben, dasihn erfüllt und das ihn manchmal platzen lassen möchtevor Energie. Aber gleichzeitig fühlt er sich wie gelähmt,fühlt sich sicher auf seinem Platz zwischen seinen


Geschwistern, hier auf dieser Dose. Heute war dieStimme deutlicher. Heute war es kein entferntesWispern mehr, war die Stimme fordernd undnachdrücklich.***“Kleiner <strong>Stern</strong>, es ist Zeit!”“Zeit wofür?”“Zeit zu gehen!”“Wohin gehen? Wozu? Warum?”“Frag nicht! Du hast lange genug geschlafen. Du hastlange genug getan, als könntest Du mich nicht hören.Du kennst Deine Bestimmung – Du kanntest sie vonAnfang an! Jetzt ist es Zeit zu handeln!"Die Stimme hatte Recht.“Es ist also soweit? Mein Licht wird gebraucht? Einekleine Seele ist auf diese Welt gekommen, die noch blindist und schwach und die meine Hilfe braucht? Ich sollalso jetzt diesen sicheren Ort verlassen und tun, wofürich bestimmt bin?”***


Der kleine <strong>Stern</strong> macht sich auf den Weg. Er hatte nochkeine rechte Vorstellung, wohin er gehen sollte und wasihn dort erwarten würde. Aber er ist zuversichtlich,dass seine Entschlossenheit und sein Mut ihn sicher an


sein Ziel bringen würden. Er versucht sich ein Bild zumachen von der kleinen Seele, die auf ihn wartet, ihnbraucht. Da erscheint vor seinem geistigen Auge einwinzig kleines Wesen, schrumpelig und krebsrot. DieHaut ist ihm viel zu groß, seine Finger sind nicht vielgrößer als es selbst. Das kleine Mädchen liegt in einergroßen durchsichtigen Plastikkapsel. Es ist eineFrühgeburt.„Wie geht es ihr heute?“ hört er eine emotionsloseMännerstimme fragen. Ein Arzt in einem weißen Kittelmit wichtiger Brille und tadellos gescheiteltem Haarhatte die Frage an die Frau in Schwesterntracht gestellt,die heute in dieser Station Dienst hat.„Ich weiß nicht recht. Sie nimmt nicht zu, ihr <strong>Herz</strong> istsehr schwach und sie reagiert kaum noch aufBerührungen!“Rein mechanisch beginnt der Arzt mit seinerUntersuchung, horcht <strong>Herz</strong> ab und Lunge, tastet denkleinen Körper ab wie ein Stück Braten, leuchtet in beideAugen und inspiziert Mund, Nasenlöcher und Ohren.„Mmmh“ ist alles, was er sagt, während er einigeschnelle Notizen in die Kladde kritzelt, die er ständigbei sich trägt. Dann verlässt er mit schnellen Schrittenden Raum und stößt dabei beinahe mit einer Frauzusammen.„Ach, Herr Doktor. Gut, dass ich sie treffe. Ich machemir Sorgen um meine kleine Sara. Seit einigen Tagen ...“


„Ja. Ich weiß. Ich habe sie gerade untersucht. Es istmerkwürdig. Sehr merkwürdig. Rein körperlich fehlt ihrnichts. Im Gegenteil, ihre Werte sind ausgezeichnet -vom medizinischen Standpunkt, wenn sie verstehen.Und dennoch ... irgendetwas scheint ihr zu fehlen. Estut mir leid, ich bin mit meinem Latein am Ende“„Kann ich nicht irgendetwas tun?“„Nun. Wenn ich daran glauben würde, dann würde ichsagen: beten! Aber nun entschuldigen sie mich bitte, ichhabe noch andere ...“ und damit war er schon aus derTür und man hört nur noch seine quietschenden Schritteauf dem blank geputzten Klinikkorridor leiser werdenund schließlich verklingen.Die ganze Zeit über hatte Schwester Ines die beidenbeim Gespräch beobachtet. Jetzt richtet sie einigetröstende Worten an die Mutter, die ihr daraufhin denKopf zuwendet und ... da erschauert der kleine <strong>Stern</strong>: erkennt dieses Gesicht. Ja, er hatte dieses Gesicht schonviele Male gesehen. Auch wenn es in seiner Erinnerungjünger ist und lebendiger, so erkennt er doch sofort daskleine Mädchen, dem die Dose gehörte, auf der er nochbis vor wenigen Momenten festgemacht war, auf der erschon so lange Zeit träumte und schlief. Nun wird ihmalles klar! Er würde versuchen müssen, so schnell wiemöglich an diesen Ort zu gelangen um dem kleinenMädchen im Brutkasten – Sara – zu helfen. Um ihmMut zu bringen, und Lebensenergie und Licht.***


Der Wind war stärker geworden. Der kleine <strong>Stern</strong> hates bis zum Fenster geschafft und ist durch eine derzahlreichen Ritzen nach draußen geschlüpft. Jetzt stehter auf der hölzernen Fensterbank und wehrt sichdagegen, fortgerissen zu werden von dem Wind, der anihm zerrt wie an einem trockenen Blatt im Herbst.„Was soll ich tun?“ schreit er.„So schaffe ich esniemals. Und ich weiß ja nicht einmal, wohin ichüberhaupt muss, geschweige denn: wie ich dorthinkommen soll!“„Dummkopf!“ hört er da die vertraute Stimme durchdas Pfeifen <strong>des</strong> Win<strong>des</strong> „Du bist ein Lichtwesen. Duweißt doch, wohin du gehen musst und du brauchst esdir nur richtig wünschen und schon wirst du dorthingelangen, blitzschnell durch Raum und Zeit.“„Können das alle Lichtwesen? Und: was sind eigentlichLichtwesen?“„Ui, das ist eine schwierige Frage. Das ist eines dergrößten Rätsel und Geheimnisse überhaupt. Ich kanndir nur soviel sagen: in allem Lebendigen steckt ein<strong>kleiner</strong> Funke von dem großen Licht, ohne das es keinLeben gäbe, ohne das es nichts gäbe. Dieses große Lichtist mit nichts zu beschreiben – nicht für den, der drinnenist, so wie ich, und auch nicht für den, der geradedraußen ist, so wie du. Aber auch das trifft es nichtwirklich genau. Tatsache ist nur, dass alle Funken unddas große Licht immer Eins bleiben, trotz der Trennung.Aber dass auf der anderen Seite der freie Wille, oder wie


auch immer man es nennen will, die Verbindung <strong>des</strong>Funken zum großen Licht teilweise blockieren – ja: sogarganz abreißen lassen kann. Das hat sicher irgendeinenSinn, den ich leider noch nicht ganz verstanden habe.Sobald man sich aber seines inneren Funkens bewusstwird, richtig und ganz bewusst wird, verliert der freieWille seine Macht und vieles, wenn nicht alles, ändertsich für das Lebewesen, das diesen Funken in sich trägt.Dies kann bereits zu Lebzeiten geschehen, spätestensaber mit dem Tod heben sich sämtliche Blockaden aufund der Funke wird wieder Eins mit dem großen Licht,nimmt dabei alle seine Erfahrungen mit, die schönenund auch weniger guten. Aber jetzt ist es genug:erledige jetzt deine Aufgabe.“***„Wie war das noch mal?“ denkt unser <strong>kleiner</strong> <strong>Stern</strong> lautnach „ich muss es mir nur wünschen und gelangeblitzschnell durch Raum und Zeit hin wo immer ichauch will?“ Und kaum hat er diese Worteausgesprochen, verschwindet auch schon alles um ihnherum. Er spürt einen Strudel von Licht und Farben undein schrilles Pfeifen. Sekunden - oder eine Ewigkeit? -später kniet er zitternd auf dem Boden einerKunststoffschale. Er schaut vorsichtig auf und siehtdurch die glatte Wand hindurch in ein Zimmer mit kaltgekachelten Wänden. Leicht verzerrt, aber nichtundeutlich erkennt er außerhalb merkwürdige Gerätemit blinken Lämpchen und Schläuchen, die in Röhrchenaus blitzendem Chrom münden. Dünne Kabel hängenwirr vor seinen Augen. Einige davon führen durch einen


schmalen Schlitz hinein in seinen Kasten. Er folgtstaunend ihrem Verlauf mit den Augen und dreht sichdabei langsam. Da nimmt er das kleine Wesen wahr dasganz nah neben ihm liegt. Sein Atem geht schnell undflach. Kaum merklich hebt sich dabei der kleine Körper,der bäuchlings auf einer Matte aus Zellstoff liegt. SeineAugen sind geschlossen. Die winzige Handumklammert den dünnen Schlauch, der in das winzigeNasenloch führt. Der kleine Körper ist nackt, bis aufeine winzige Windel. Das Gewirr von dünnen Kabelnmündet in kleinen Elektroden, die an Brustkorb undRücken kleben. Weitere sind am Köpfchen befestigt, wosie von zartem hellbraunen Flaum umkräuselt werden.Es riecht schwach nach Desinfektionsmittel undangenehm nach warmer Haut.


„Hallo“ versucht unser <strong>kleiner</strong> <strong>Stern</strong> erfolglos Kontaktaufzunehmen. „Hallo, kannst Du mich hören?“


Da schlägt das Baby ganz langsam die Augen auf. DieAugen fixieren nicht und dennoch ist etwas wieErkennen zu spüren. Er hört nicht die Frage - die Worteformen sich vielmehr in seinem Inneren: „Wer bist Du?Was willst Du hier? Was willst Du von mir?“Der kleine <strong>Stern</strong> gibt keine Antwort. Er legt sich ganznahe zu dem Winzling. Nimmt die Wärme in sich aufund lässt sich auf den sanften Rhythmus <strong>des</strong> Atmensein. Langsam entsteht diese tiefe Verbundenheit, die ermanchmal schon bei Amelie spürte, wenn er an ihrenTräumen teilhatte.„Ich will hier nicht sein. Ich will zurück. Das hier machtmir Angst. Es ist so kalt hier. Und dunkel.“„Was ist geschehen? Weißt Du noch, wie alles anfing?Wann es anfing?“Nach einer langen nachdenklichen Pause kommt esstockend: „Ich war so voller Licht und Liebe und es gabkeinen Zweifel in mir, dass mein Entschluss, hier undjetzt wieder auf die Welt zu kommen, richtig war. Dasses mich erfüllen würde und mir die Erfahrungen bringenwürde, die ich mir davon erhofft hatte. Ich hatte Bildervon einem Leben voller Licht und Wärme. Ich spürteGeborgenheit und Zugehörigkeit und ich sah auchHerausforderungen und Probleme, die es zu lösen gabund deren Lösung mich befriedigen würde und wie meineKraft wachsen lassen würde. Mit diesem guten Gefühlschlüpfte ich dann in diesen kleinen Körper, als er nochganz klein und zerbrechlich im Bauch seiner Mutter


schwamm. Es folgte eine schöne Zeit. Die Verbindungzu meiner Mutter gab mir Zugang zu ihrer Welt derGefühle. Ich sah durch ihre Augen, hörte durch ihreOhren, nahm teil an all ihren Empfindungen – den gutenwie den schlechten. Und es war eine schöne Zeit, eineglückliche Zeit, und ich freute mich auf den Tag, dassich geboren werden würde und selbständig werdenwürde, um all dies mit meinem eigenen Körper, meinerneuen Heimat empfinden zu können. Es fühlte sich an,als sollte das spannend werden. Doch dann geschahenganz viele Dinge gleichzeitig …. Mein Vater, der meineMutter von Anfang an zur Abtreibung gedrängt hatte,entschied sich für seine Freiheit und verließ sie einesTages mit knappen Worten der Erklärung und ohneje<strong>des</strong> Bedauern. Kurz darauf erlitt die Mutter meinerMutter einen Schlaganfall. Sie konnte nicht mehrsprechen. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern. Sielag den ganzen Tag mit offenen Augen in ihrem Bettund starrte die Decke an, als gäbe es dort irgendetwasGeheimnisvolles zu entdecken. Meine Mutterkümmerte sich in dieser Zeit aufopfernd um sie. Siewollte es so. Es kostete sie viel Zeit und Kraft. AndereDinge in ihrem Leben schienen keine Bedeutung mehrzu haben.Als ihre Mutter schließlich starb, ohne ihr Bewusstseinwieder erlangt zu haben, verlor meine Mutter nicht nurden wichtigsten Menschen in ihrem Leben, sondernauch ihren Job: zu oft hatte sic dort Dinge nicht erledigt,zu wenig hatte sie die Aufforderungen und Mahnungenihrer Chefin missachtet. Haltlos versank sie immer


mehr in sich selbst und ihre Depressionen und einesTages, ohne dass sie es beabsichtigt hätte, stürzte siedie schmale hölzerne Treppe herunter, die zu ihremkleinen Zimmer im Dachgeschoss führte. Sie selbstblieb dabei unverletzt, aber die Ärzte entschieden sichfür eine Notgeburt, um mein Leben nicht zu gefährden.Das hätten sie besser sein lassen sollen!“„Das klingt sehr bitter, Sara …“„Nenne mich nicht Sara!“„Weshalb möchtest Du nicht so genannt werden?“„Dieser Name wurde dem Baby gegeben, nicht mir. Esmacht überhaupt keinen Sinn, dass ich mich noch andiesen Namen gewöhne, für die kurze, verbleibendeZeit.“„Sara!“„!!!“„Gut, wie soll ich dich also nennen?“„Ich habe keinen Namen. Da, wo ich herkomme,brauchen wir das nicht.“„Du willst also wieder dorthin zurück? Noch bevor Duhier gelebt hast? Wie stellst Du dir das vor? SolangeSara nicht stirbt, kannst Du nicht wieder zurück. Dukannst zwar für kurze Zeit, während sie schläft, auf dieReise gehen und dich für diese Zeit wieder mit dem


großen Licht verbinden, aber es wird immer eineVerbindung bleiben.“„Das weiß ich natürlich. Und trotzdem werde ich baldgehen können. So, wie Du es sagst“.„Du meinst …?“„Ja.“„Da muss ich Dich enttäuschen. Deine Zeit ist nochnicht gekommen. Du wirst dieses Leben leben müssen.Dürfen! Du darfst dieses Leben leben! Du sprichst voneinem schlechten Start? Dass Du Dir alles andersgewünscht hast? Was denn? Du hast eine Mutter, diezu Dir steht und eine Abtreibung abgelehnt hat. EineMutter die Dich liebt und – soviel kann ich Dir sagen –deine Mutter ist ein wunderbarer Mensch. Ich kenne sieschon lange. Viel länger als Du. Und ich weiß, dass sieetwas ganz Besonderes ist. Sie ist vielleicht zurzeitetwas hilflos und durcheinander. Aber wer wäre dasnicht? Hast Du gesehen, mit wie viel Liebe sie dichanschaut? Hast du gespürt, wie viel Angst sie davorhat, dass Du es vielleicht nicht schaffen könntest? Ihrbeide zusammen werdet eine wunderbare Zeitmiteinander haben. Euch steht noch vieles bevor.Großes, Wunderbares, Wichtiges … sonst wäre ichjetzt nicht hier. …“Während <strong>des</strong> ganzen Gesprächs hatten sich dieAnzeigen auf den Geräten, mit denen SarasLebensfunktionen überwacht wurden, zunehmendverändert. Kleine Leuchtpfeile hatten zu leuchten


egonnen … Leuchtpfeile in signalrot, die nach untenzeigten und signalisierten, dass Saras Zustand sichverschlechterte. Jetzt ertönt ein lauter durchdringenderTon, der einen lebensbedrohlichen Zustand ankündigtund die Schwester herbeiruft. Eilends alarmiert sie denArzt, der heute für solche Notfälle in Bereitschaft steht.„Was soll das?!?“ brüllt der kleine <strong>Stern</strong> „hast Du mirnicht zugehört?“„Ich bin das nicht. Ich habe überhaupt nichts gemacht!“„Das ist es ja gerade! Du musst etwas machen. Dumusst dich verdammt noch mal endlich mit Saraverbinden. Du musst eins werden mit diesem Körper. InLiebe. Wenn du es nicht tust, wird Sara zwar nichtsterben, aber sie wird bleibende Schäden behalten.Willst Du gefangen sein in einem Körper, den Du nichtliebst? Ein Leben führen ohne jede Chance auf ErfüllungDeiner wahren Bestimmung? Ist dir klar, was Dugerade anrichtest!“Der kleine <strong>Stern</strong> hört keine Antwort, aber dafür passiertetwas ganz anderes – Wunderbares. Saras Augen, diedie ganze Zeit stumpf und glanzlos ins Leere geschauthatten, beginnen plötzlich zu leuchten. DieGesichtszüge verändern sich. Der apathische Ausdruckweicht einem sanften Lächeln. Zartes Rosa erscheintauf den eben noch blass fahlen Wangen.Der schrille Signalton verstummt. Die roten Pfeileverlöschen und machen Platz für grüne Pfeile, die genaunach oben zeigen. Dorthin woher jetzt eine Stimme


kommt, die sich an den kleinen <strong>Stern</strong> wendet mit denWorten: „Gut gemacht.“Der Notarzt trifft fast gleichzeitig mit Saras Mutterein. Ratlos stehen sie vor dem kleinen Plastikkasten,aus dem sie zwei muntere Augen anblitzen.Aber wo ist der kleine <strong>Stern</strong>?Die Schwester hält dem Arzt, <strong>des</strong>sen Blick sagen will„Warum um alles in der Welt haben Sie michhergerufen“ schweigend den schmalen Papierstreifen,auf dem die Werte der letzten Minuten dokumentiertsind, direkt vor die Nase. Er blickt auf und schaut dieSchwester mit zusammengezogenen Augenbrauenfragend an. Diese zuckt nur mit den Schultern undwendet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Baby zu. DerArzt wendet sich zum Gehen. Er legt im Vorübergehennoch kurz seine Hand auf Amelies Schulter, die dasaber überhaupt nicht zu bemerken scheint. Viel zu sehrist sie überwältigt von dem Gefühl der Freude und Liebezu ihrer kleinen Sara. Sie spürt, dass jetzt alles gut wird.Staunend betrachtet sie das kleine sternförmigeMuttermal an Saras rechter Hand. War das schonimmer dort gewesen? Wie hatte sie es bisher übersehenkönnen?


<strong>Leuchte</strong> <strong>heller</strong>, <strong>kleiner</strong> <strong>Stern</strong>

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