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Nachhaltig, Naturnah, Nackt - Hinterland Magazin

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<strong>Nachhaltig</strong>, <strong>Naturnah</strong>, <strong>Nackt</strong>Ökotourismus kann so sexy sein…


eisenTourismus grün gewaschenTill Schmidt sprach mit dem Geographen Ludwig Ellenberg über Ökotourismus und ein Beispiel seinerlokalen Ausprägungen in Costa Rica.Ökotourismus scheint mir ein rechtdiffuser Begriff zu sein, vor allem imalltäglichen Sprachgebrauch. Wasverstehen Sie als Wissenschaftlerdarunter?Der Begriff ist in der Tat sehrschwammig – schon immergewesen und noch mehr geworden.Denn „Öko“ gilt inzwischenals modern und die Bezeichnungwird häufig unbedachtverwendet, um Formen desTourismus zu adeln. TheEcotourism Society, die in denUSA recht führend ist, definiertÖkotourismus hauptsächlich alseine Form des Tourismus, derauf Natur oder naturnaheLandschaften ausgerichtet ist,und dessen Einnahmen demSchutz der Natur oder demManagement von Schutzgebietenzu Gute kommen. In meinerDefinition kommt ein weiteresKriterium hinzu: Für die an denReisezielen lebenden Menschenmüssen durch den Tourismusauch wirtschaftliche Alternativenentstehen; Alternativen, dieihnen den Naturschutz sozusagenschmackhaft machen.Ökotourismus ist für mich einLeitbild, das heute allenfallspunktuell erreicht wird. Dennmeist ist der sogenannte Ökotourismusein Etikettenschwindel. Inder Regel profitiert die lokaleBevölkerung nicht davon undnur wenig des eingenommenenGeldes wird für den Naturschutzverwendet. In Kuba etwa stehtder Begriff Ecoturismo lediglichfür Reisen in naturnahe Landschaftenwie Mangrovensümpfeim Süden, die Sierra de Escambrayim Inneren oder denParque Nacional Alexander vonHumboldt im Osten.Romantisiert die Ökotourismusindustriediese Form des Reisens?Ja. Es geht in den Versprechender Anbieter um Entschleunigung,um ein besonders „natürliches“Ambiente und auch umdas Geraderücken der Psyche,die im urbanen oder schnellenLeben mehrere Monate gelittenhat, also um Wellness für dieSeele – mit Blick auf Grün.Darüber hinaus setzt dieÖkotourismusindustrie in ihrerWerbung auf die ethischeDimension ihrer Produkte. DasNaturschützerische, das Bewahren,das Fortlaufenlassennatürlicher Prozesse, dasStaunen über die Natur spielendabei eine wichtige Rolle.Außerdem wird die hoheQualität der Angebote betont.Reisen in den Regenwald oder inentlegene Naturschutzgebietesind aufwendig; sie lassen sichdadurch teuer verkaufen.Oft gewinnt man den Eindruck, dieReiseziele des Ökotourismus liegenvor allem in den Ländern desglobalen Südens. Stimmt das?Der Ökotourismus ist mit demFerntourismus aus denIndustrie ländern in tropischeWüsten, Sumpfländer, Regenwälderoder Gebirge entstanden, mitzögerlichen Vorstufen kurz nachdem Zweiten Weltkrieg, beschleunigtseit den 1980er Jahren.Wenn Sie mit Bahn und Fahrradvon meinem Wohnort Berlinaus in die Uckermark fahren,dort alte Bauernhäuser aufsuchenund nach FischreihernAusschau halten, dabei bescheidenschlafen und lokale Produkteessen, kann das durchausÖkotourismus sein. Nur wird diesselten mit diesem Etikett versehen.Ökotourismus wird häufigmit Reisen zu tropischen Exotikaassoziiert. Dabei geht es auchum den Reiz, dem „Fremden“ zubegegnen. Auch bei ökotouristischenAngeboten verstellen sichdie Bewohnerinnen undBewohner auf stereotype Weise.In Sambia zum Beispiel habe ichbeobachtet, wie sich Einheimischetraditionelle Kleidunganziehen und ihre Fernseherzudecken, wenn Busladungenrotwangiger Touristen undTouristinnen mit dicken Kamerasin ihre Hütten geführtwerden. Beim Ökotourismusspielt die Inszenierung vonLudwig Ellenbergist Professor imRuhestand amGeographischenInstitut derHumboldt-Universitätzu Berlin. Seinefachlichen SchwerpunktesindLandschaftsökologie,Naturschutz,Ansätze nachhaltigerLandnutzungund naturorientierterTourismus.Foto: Kasi Geisel47


eisen„traditionellem“ Wirtschaftenund „authentischem“ Dorflebeneine große Rolle – in afrikanischenLändern etwa mit demStampfen von Maiskörnern,Musik mit „archaisch“ wirkendenInstrumenten und kleinenTänzen. Da werden für kurzeZeit Rollenspiele gemacht. Es gibtsogar Fälle, wo Begräbnisritualeaufgeführt werden, obwohl keinePerson im Sarg liegt. DieVeränderungen, die der Tourismusbringt, sind auch durchFormen des Ökotourismus nichtautomatisch aufgehoben.Welche Beispiele gibt es, die IhremIdeal von Ökotourismus zumindestein bisschen nahekommen?Ich nenne Ihnen eines aus CostaRica, da ich mich dort gutauskenne. Zwar überwiegenauch dort die schlechten Beispiele,aber es gibt auch gute. Einsolches ist die weltgrößte Schmetterlingshalle„Mariposario“unweit des La Paz-Wasserfalls.Dort hat man verschiedeneSchmetterlingsarten zusammengetragenund mit einem Netzumgeben, um sie vor Vögeln zuschützen. Die Besucherinnenund Besucher sehen mindestens43 Schmetterlingsarten, die sie inverschiedenen Entwicklungsstadien– im Kokon, als Puppe oderbeim Ausschlüpfen – betrachtenkönnen. Die Schmetterlingewerden durch Zuckerwasserangelockt, so können sie gutfotografiert werden. Danachgehen die Besucherinnen undBesucher auf Holzstegen in denWald, über Treppen und Leiternbis in die Kronendächer,balancieren über kleine Hängebrücken,bestaunen den WasserfallLa Paz, essen etwas undübernachten anschließend innetten cabañas. Es ist also einZeitvertreib auf hohem Niveaufür die Touristen und Touristinnen,es wird etwas Schönesgeboten. Die lokale Bevölkerungist als Guide, Koch oder Köchin,im Zimmerservice oder imKunsthandwerk beschäftigt. Undso ist in einem Gebiet, in demzuvor fast nichts war außerLandwirtschaft und Waldzerstörung,durch diese Schmetterlingshalleeine Wertschöpfungentstanden, die touristischsouverän ausgenutzt wird, undmit anderen Schmetterlingsgärtenin Lateinamerika gutkonkurrieren kann.Stehen die Angestellten mit denBesucherinnen und Besuchern aufAugenhöhe?Nein, die vergleichsweise reichenTouristen und Touristinnenhaben das Sagen. Von den 117Angestellten des costaricanischenUnternehmers wohnen aberimmerhin achtzig in der Nähe,in einem Umkreis von wenigenKilometern, sie müssen nichtabwandern. Recht souverän undselbstbewusst sind die englischsprachigenGuides, da kannman von Augenhöhe mit denTouristen und Touristinnensprechen. Die anderen sindDienstpersonal, so wie imTourismus ohnehin die meisten;schlecht bezahlte Leute in ödenServicejobs. Insgesamt fällt esleichter, schlechte Beispiele fürÖkotourismus aufzuzählen.Beispiele wie die Schmetterlingshallesollten nicht hochgelobtwerden, aber man kann sie dochals eine ganz gute Sache akzeptieren.

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