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Zur pathogenetischen Bedeutung und Struktur ... - Dr. Gerhard Dahl

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wurde. Diese Erklarung hat viele Fragen aufgeworfen and neue Problemegeschafen, die auch unsere Auffassung vom psychischen Trauma-mitbeeinfluBt haben: Ist die Wolfsphobie die Auswirkung eines verzogertenTraumas, in dem das Verstandnis der Urszene nicht vordem vicrtenLebensjahr auftreten konnte? Oder zcigt rich hier die Wirkung einerretrospektiven Phantasie, wonach langst vergangene Eindrucke der frUhenKindheit erneut sexualisiert werden and dann zur SymptombildungfUhren?FREUD hat die pathogene Wirkung selbst frflhester, praverbaler Urszenen-Erlebnissenoch in seinem letzten Werk hervorgehoben. Die haufigeoder sogar regelma!ige Koitusbeobachtung im Alter der kaum erreichtenSprachNhigkeit, so schreibt er im (1939), legt denGr<strong>und</strong>stein fur die spateren neurotischen Erkrankungen.11Es sind seitdem ungezahlte Arbeiten zur Urszene publiziertworden. Vorallem handelt es sich um Krankheitsgeschichten, in denen die vielfaltigenSymptome beschrieben sind, die als Folge der Urszenen-Erlebnisseangesehcn werden.So ist der Voyeurismus bei einem Patienten von ABRAHAM (1913)Ausdruck einer Fixierung an das Urszenen-Trauma. MAHLER (1942) hateinen Fall von Pseudodebilitat aufdie Abwehr von Urszenen-Wahrnchmungenzuriickgefiihrt; GREENACRE (1973) weist auf generelle Storungendes Realitatssinnes hin and fiihrt in einer fruheren Untersuchung einenFall von sadomasochistischem Fetischismus als dirckte Folge derUrszenenwahrnehmung an. Weitere Autoren sehen in der Koitusbeobachtungdie Ursache fur Schlafstorungen (NAGERA, 1966), fur kriminellesVerhalten (ROSE, 1960), fur Schlagephantasicn (NIFnFRLAND, 1958),fir depressive (JACOBSON, 1943) and fur eine Vielzahl anderer Symptome.ESMAN (1973) hat in einem breiten Uberblick die wichtigsten dieserUntersuchungen zusammengefaBt and kommentiert. Er gelangt zu derFeststcllung, daB alle Ergebnisse mit den F<strong>und</strong>en FREUDS vollig ubereinstimmen;and zwar so auffallend ubereinstimmen, daB der Verdacht furden Autor naheliegt, «... that FRFUDS authority is a major factor in determinatingthis>> (S. 75). Diese durchaus skeptische Haltung findet sichdann auch in den SchluBfolgerungen wieder, die EsMAN aus den bishervorliegenden Untersuchungen zieht:(I ) das Urszenen-Konzept versucht alle pathologischen Erscheinungenzu erklaren - and erklart damit nichts;(2) die Behauptung alter Autoren, die Beobachtung des elterlichen Verkehrshabe per se traumatische Wirkung, ist nicht uberzeugend; mitSicherheit kann derartigen Beobachtungen keine umschriebeneSymtombildung96 98 zugesprochen werden; 97


Der Begriff der Urszene ist von FREUD eindeutig bestimmt als die reale(visuellc, akustische, kinasthetische) Koituswahrnehmung durch dasKind. Der Terminus sollte daheraufdie Realitat der Szene begrenzt bleiben.GrHere Verwirrung hat dagegen der Begriff der «Urszenen-Phantasie>>gestiftet. Man weif3 oft nicht, ob damit jene Phantasien gemeintsind, die sich mit der realen Wahrnehmung verbinden and die auch denInhalt der (Deck-) Erinnerung mitbestimmen konnen; in diesem Sinnehabe ich den Begriffbenutzt. Oder ob er die unvermeidbaren Phantasienhezeichnet, die vor allem das odipale Kind vom Sexualleben der Elternhat, and zwar ohne daB es selber Zeuge ist oder gewesen ist. Es sind diesdie


fahr, d.h. Reizuberflutung oder Konflikte sind unvermeidlich.In der Urszene erfahren nun diese drei Forderungen - die des NarziBmus,die der Triebe <strong>und</strong> die des unreifen Ichs - gemeinsam <strong>und</strong> gleichzeitigeine Versagung: Das Kind ist erstens in unmiUelbarer Nahe derbeiden Eltern, <strong>und</strong> es ist trotzdem vollig verlassen <strong>und</strong> ausgeschlossen;es erlebt zweitens eine Liebesverfuhrung, der naturgemaB die Enttauschungfolgt; es nimmt drittens fremde <strong>und</strong> daher chaotische Vorgangezwischen den beiden Eltern wahr, hat aber keine Moglichkeit zur Orientierung.Jedes Trauma entsteht aus eincr Reizuberflutung odor aus einemKonflikt, dem die Versagung zugr<strong>und</strong>eliegt'. In der Urszene aber sind esdrei Erfahrungen, die drei Bereiche der psychischen Organisation hetreffen<strong>und</strong> die immer gemeinsam and gleichzeitig gemacht werden. Sic bekommenals traumatisches Agens erst durch die Gemeinsamkeit <strong>und</strong>Gleichzeitigkeit jene einzigartige <strong>Bedeutung</strong>, wie sic FREUD der Urszenezugeschrieben hat.Es mag nun eingewendct werden, daB das kleine Kind doch taglich innachster Nahe der beiden Eltern 1st, die gemeinsam etwas tun, wovon esausgeschlossen ist, wo es vielleicht stort oder sogar gcstraft wird, wennes teilnehmen will. Aber besteht nicht ein ofl"ensichtlicher Unterschiedzwischen der Urszene <strong>und</strong>, zum Beispiel, der Erfahrung der gemeinsamenHausarbeit, der gemeinsamen Zeitungslekture, auch der zdrtlichenUmarmung der Eltern <strong>und</strong> selbst des handgreif]ichen Streits zwischenihnen? Der Unterschied liege darin, daB jeder anderen Tatigkeit, der be]-dc Eltern gemeinsam nachgehen, diese ausschlieBliche Form der Hinwendungzu dem Partner fehlt, wie sic durch den unmittelbaren <strong>und</strong>triebhaften Erregungsablauf in der genitalen Sexualitat bedingt ist.GRF.F,NACRE (1973) nennt Untersuchungen, in denen eine Ubertragungdergenitalcn Urszenen-Erregung schon auf den Saugling beobachtetwerden kann. Das Problem der Erregungsubertragung ist zwar nochnicht gelost, aber auch unabhangig davon wird das Kind in der Urszeneschon allein dadurch zur Teilnahme veranlaBt, daB es wach wird <strong>und</strong>seine Bedurfnisse anmeldet. Es lernt erst langsam im Laufe seiner Ent-I Diese beiden atiologischen Bedingungen hat FREUD in der Unterscheidung eincr traumalischenvon ciner Psychoneurose getrennt. Dabei scheint die Reizuberflutung dorttraumatisch zu sein, wo Phantasien nicht oder noch nicht moglich sind, wic etwa imSchock-Zustand oder wie bcim jungen Saugling. Dagegen ist das Konflikt-Erleben eher anthe Entwicklung der Phantasie-Tatigkeit geh<strong>und</strong>en.wicklung, die lebenserhaltenden Triebanspruche aufzuschieben and zusteuern, and je unreifer sein Ich ist, umso mchr ist es auf die Nahe anddie Befriedigung lurch die Mutter als sein « Hilfs-lch» angewiesen. So istjede Versagung immer zugleich auch eine Gefahr fur das noch unfertigeIch, das sich dagegen nicht zu schiitzen vermag. Jede Vcrsagung wird alsNicht-Beachtung erlebt, die vor allem beim hilflosen Saugling die realeGefahr der Vernichtung in sich birgt. Das Kind fuhlt rich real in seinerExistenz bedroht; WINNICOTT hat das mit Beispielen in vielen seiner Arbeitenbelegt.DiekannVerlassenheit and die damit verb<strong>und</strong>ene F,xisten_hc'drohufl102 man als tine erstc Gr<strong>und</strong>erfahrung der Urszene ansetzen. Die In-


halte dieser Existcnzbedrohung andern sich zwar im Laufc der pragcnitalenEntwicklung; ich werde darauf noch eingehen. Aber das Faktum derGefahr bleibt bestehen; sie kommt mit der Verfuhrung aus der AuBenwelt andhat den Charakter einer Realgefahr, die vor allem die Seite der nari/3tischenEntwicklung betrifft.Das Kind macht aber zugleich eine weitere bedrohtiche Erfahrung.FREUD hat sic als `sexuelle Miterregung' beschrieben: Die Triebwunsche,durch Verfuhrung geweckt and vielleicht durch die Erregungsiibertragungnoch potenziert, sucht this Kind nun in aller Selbstverstandlichkeitzu befiriedigen. Die Natur dieser WUnsche ist dabei vollig abhangigvon seiner libidinosen Organisation, and wie die Existenzgefahrdung mitzunehmender Reife des Ichs andere Formen annimmt, so bedeuten auchdie Liebeswunsche auf den verschiedenen Entwicklungsstufen ganz Unterschiedliches.Darauf wird noch eingegangen; vermutlich aber sindthese Tatsachen nicht genugend beachtet worden, wenn manche Autoreneine spezifische <strong>Bedeutung</strong> der Urszene als Trauma von vornhereinausschlieBen. Denn unabhangig vom In halt der Triebbedurfnisse bleibtauch hier das Faktum ihrer Versagung bestehen.Die Versagung der Triebbediir/nisse nach vorangegangener Verfuhrungmochte ich als eine zweite Gr<strong>und</strong>erfahrung der Urszene bezeichnen.Sie stellt eine 7'rieb Gefahr dar, so daB das Kind jetzt sowohl cinerpsychischen als auch ciner materiellen Hilfiosigkeit ausgesctzt ist. Eskann sich dagegen nur zu schUtzen trachten, indem es aggressiv-sadistischversucht, die Gefahren zu beseitigen. Die Abwehrmoglichkeitensind in jedem Alter der pragenitalen Entwicklung zwar verschieden; aberdennoch sind sic jedesmal nicht nur vollig wirkungslos, sondern sic vergroBernnur die Triebgefahr durch Mobilisierung des Sadismus, and verstarkenauf3erdem durch projektive Vorgange die auBere Gefahr der Existenzbedrohung.Es sind dann weitere Schutz- and AbwehrmaBnahmenerfordertich, die die Gefahr aber nicht beseitigen konnen, so daB dieoverheerende Wirkung der Urszener> (FREUD) schlieBlich das Ergebnisist: Das Kind hat nur noch die Moglichkeit, vor Erschopfung einzuschlafen.Das ganze Geschehen findct schliel3lich zugleich noch in einer Atmospherevon Fremdheit and Unvertrautheit start, wic sie durch die ungewohnlichePosition der beidcn Urszenen-Eltern, durch ihre Bewegungenand Gerausche gegeben ist. Fremdheit ist zuerst immer angstigend, anddie Angst wiederum erschwert es, die Realitat kennenzulernen. JedesKind steht am Anfang einer zunachst vollig fremden Welt gegenfher,vor der es sich angstigt. Erst allmahlich macht es sich mit den Gegenstandenand Vorgangen seiner engeren Umgebung vertraut, and wird dabeidurch die Zusprache der Eltern unterstutzt, die all das benennen and sofur das Kind buchstablich be-greifbar machen, auch wenn es den Wortsinnnoch nicht versteht. Immer wieder sind es die ruhig erklarende Zuspracheand die Gegenwart der Eltern, die dem Kind dabei helfen, sichin den immer wieder ncuen Angst-Situationen zu orientieren. In derSituation der Urszene 1st eine solche Orientierung nicht moglich; sie ist-auch aus Gr<strong>und</strong>en der Tabuisierung - nicht erklarbar and so fur das


Kind auch nicht begreifbar.Die bleibende Fremdheit dieser Vorgange, - wic soil man sic erklaren?- die Unrnglichkeit diner Orientierung and die dadurch bedingtc zusatzlicheAngst ist eine dritte Gr<strong>und</strong>erfahrung des Urszenen-Kindes. Siebetrifft besonders auch das Ich and die Entwicklung des Realitcitssinne.c.Dariiber hat GREENACRE eine eigene Untersuchung verofentlicht, sichcbt hervor, daft die Realitatsprufung umso schwieriger ist, als dieUrszenc oft im dunklen oder abgedunkelten Zimmer crlebt wird, woauf3ere Eindrucke von Traumwahrnchmungen nicht sicher getrenntwerden konnen. Hier bleibt dann vie] Raum fur Phantasiebildungen, diein Sagen, Mythen oder Marchen ihren Ausdruck linden.Phantasien sind AuBcrungen von Triebkonflikten, die aus Versagungenherruhren. Auf solchen Triebversagungen, die zur Bewaltigung derRealitat unumganglich sind, beruht letztlich unsere Kultur; sic sindauch das Prinzip unserer Erziehungs-Anstrengungen. Nur, die so oft gestellteFrage nach der ni tzlichen oder der traumatischen Versagungh5ngt davon ab, ob sic entweder, wie bei der Urszene, zugleich mit massiverVerfUhrung sozusagen ein extremes Wechsclbad darstellt, oder obdas Kind trotz Versagung in der Lage 1st, die sadistisch-aggressivenTriebimpulse zu ertragen, ohne das versagende and damit bedrohlicheObjekt total oder partiell vernichten zu rn ssen.Z,umindest die beiden erstgenannten Gr<strong>und</strong>erfahrungen enthaltennun hereits jede fir sich allein die Bedingung einer traumatischen Versagung.Sic ist in der Existenzbedrohung eine reale Gefahr fur den kindlichenNarziBmus. In der Reaktion aufdiese Gefahr einerseits, in der sexuellenMiterregung and der Reaktion auf die Liebesenttauschung andererseitsist das Kind einer Triehgefahr ausgesetzt, die sich als Mischungvon Sadismus, Aggression and libidinoser Erregung auf3ert. Dieserinneren Gefahr, die sich mit der 5ul3eren verbindet, steht das Kindabsolut hilflos gegenuber, nicht zuletzt auch deshalb, well ihm die Moglichkeitzur Realitatsprufung genommen ist.104Es beantwortet sich dam it die Frage, warum FREUD der Urszene einebesondere <strong>Bedeutung</strong> fur die Neurosenentstehung zusprach: Die gleichzeitigetraumatische Versagung der narziBtischen, der Trieb- and derIch-Anspruche miindet in einen Ambivalenzkonflikt, der unlosbar istand so zu einer groBen Gefahr wird. Aus diesen inneren Griinden kanndas kleine Kind tatsachlich nicht umhin, die Urszene sadistisch aufzufassen.Daran andert auch das ganzlich unaggressive Verhalten der Elternnichts - obwohl sich die Frage stellt, ob die Eltern wirklich sofre<strong>und</strong>lich sind, wenn sic ihr Kind vor solchen Gefahren nicht schutzen.Die beschriebenen Gefahren entstehen nun unabhangig von der libidinosenOrganisation and lchentwicklung des Kindes. In den einzelnenEntwicklungsstufen haben sic aber ein unterschiedliches AusmaB andauch verschiedene Inhalte_IV


Ich hake, wie im psychoanalytischen Schrifttum ublich, bisher nur von< < der Urszene» gesprochen, also nicht unterschieden, ob es sich dabei umeine - kurz gesagt - orale, angle oder phallische Urszene handelt. Einebegriflliche Trennung crschcint mir aber schon allcin deswegen notwendig,well die Urszene in der oralen Entwicklung andere Konflikte auslost,die anders zu bewaltigen versucht werden, als die anale oder diephallische Urszene. So konnen sich aus den jeweils untcrschiedlichentraumatischen Kontlikten vielfaltige pathologische Erscheinungen ergeben,and es ist in der Tat verwirrend. sic alle auf« die Urszene» zuruckfuhrenzu wollen. Ganz ahnlich ist es uhrigens mit der heutc so oft benutztenFormel von narziBtischen Storung; sie erklart nicht sehrviel, wenn nicht angegeben werden kann, auf welcher Entwicklungsstufedie Verletzung des NarziBmus stattfand. Mancher Zweifel an den traumatischenand pathogcnen Folgen der Urszene mag auch aufdas Fehleneiner phasenspezifischen Differenzierung zuriickgchcn.Die Frage der phasenspezifischen Wirkung einer Traumas wirft allerdingsneue Probleme auf. Sind praodipale oder gar prl;iverbale Urszenen-Phantasien, denen man in Analysen begegnet, regressive Entstetlungcnspaterer Wahrnehmungen oder sind es verzerrte Erinnerungen an dieWahrnehmung der fruhen Szenen selbst? Ist die Urszene, wie z.B. MYERS(1979) vermutet, als rein phallisch-odipales Phanomen bloB der Projektionsschirm,aufdem sich auch ganz andere Konflikte aus friiheren Entwicklungsstufendarstellen? Kann weiter bereits eine einzige Urszene,wie Beim >, pathogen sein, oder ist dieses einmalige Traumadas, was KRIS als dem gegenubergestellthat, beruht es also auf einer langen Kette von anderen oder ahnlichentraumatischen Vorerfahrungen? Oder wirkt schlieBlich bei derErinnerung dieses einmaligen Traumas vielleicht der >, den Anna FREUD (1951) beschrieben hat?105Vielleicht kommt man einer Losung des Problems derphasenspezrfr.schen Urszene etwas naher, wenn man versucht, unterdem Gesichtspunkt der narzil3tischen and der Triebentwicklung diejewcils unterschiedlichen Inhalte des moglichen traumatischen Konfliktsanschaulich zu machen. Dazu sollten auch die verschicdenenAuf3erungsformen des Narzif3mus and lessen Storungen in den einzelnenOrganisationsstufen der Libido berucksichtigt werden.Der Narzif3mus, nach FREUD die olibidinose Besetzung des Ichs»(Seibst), ist in seiner Auspragung auch geb<strong>und</strong>en an die libidinase Organisation,and seine Formen andern sich mit der psychosexuellen Entwicklung.Diese Uberlegung ist bereits in der Definition von FREUD enthalten;sie wird aber bei Erorterungen des NarziBmus and des narzif3tischenTraumas zumeist vernachlassigt, so daB tatsachlich vorhandeneand klinisch nachweisbare Unterschicde zwischen einer oral-narzif3tischen,einer anal- oder phallisch-narzifitischen Storung verwischt werden.Auf die verschicdenartigen Aul3erungen des NarziBmus werde ich imZusammenhang mit dem Urszenen-Trauma noch eingehen. Dagegensoil der Aspekt des Ichs and der strukturellen Storungen weitgehend ausgeklammertbleiben, zumal dies von GRLENACRE schon ausfiihrlich behandeftworden ist.


Lassen sich nun, um zu der zweiten Frage zuruckzukehren, unter demGesichtspunkt der Triebentwicklung and des Narzil3mus phasenspezifischeKonflikte fur die Urszene finden, oder reiht sic rich, wie BLUM(1 979) mcint, im Sinne einer unspezifischen Reizuberflutung in ohnehinvorhandene Konflikte ein, ohne selbst and allein schon traumatisch zusein?Um die Antwort vorweg zu nehmen: Es scheint weniger cine Alternativeals ein Sowohl-als-Auch zu sein. Denn die Bedrohung durch dieUrszene 1st, wie es beschrieben wurde, hochst spezifisch; and sie hat zudemnoch cinmal eine jeweils unterschiedliche <strong>Bedeutung</strong> in den einzelnenEntwicklungsphasen, deren typische Konflikte sie dann zu traumatischenverstarkt.In den ersten Lebenswochen scheint das Kind durch eine angeborencReizschranke vor solchen Konflikten geschutzt zu sein (FURSr, 1978), sodaB die Urszene iiberhaupt nur dann wahrnehmbar 1st, wenn die Reizeentweder starker sind als die Schwelle, odcr wenn der AuBenreiz gleichzeitigmit der Wahrnchmung eines inneren Bedurfnisses auftritt. DieHohe der angeborenen Schranke ist also von Situation zu Situation nochsehr unterschiedlich, well sic auch abhangt von dem inneren Befindendes Kindes.Man hat das seelische Befinden des Sauglings mit der oralen TriasSchlafen, Essen, Gefressenwerden beschrieben. Dem primaren Bedtirfnisnach Spann ungslosigkeit and Ruhe - erst spatertritt das Lustprinzipauf den Plan - steht die unlustvolle Triebspannung gegenuber, die nachdem Tragheitsprinzip direkte motorische Abfuhr sucht. Aber wie die Affekteand wie die Wahrnehmung ist auch die Motorik noch vollig ungerichtetand <strong>und</strong>ifferenziert. Beim jungen Saugling sind solche Reaktionenaul3erdem noch so unauffallig, daB sie im allgemeinen, sofern sieuberhaupt wahrnehmbar sind, unbeachtet bleiben. Vielleicht liegt esauch daran, daB fur die ersten Lebenswochen die Moglichkeit einer traumatischenErfahrung ausgeschlossen wird. Wir wissen nichts daruber,solange die Unlust des Kindes im Schreien and Strampeln nicht deutlicherwahrgenommcn werden kann.GREENACRE (1973) hat bei Sauglingen direkt beobachtet, daB sich Unlustin primitiv-aggressiven Wutschreien auBert, die bis zur Zyanose flihrenkonnen. Dieses Beispiel zeigt, wie eng Unlust- and spater Angst-Erlebenan aggressive Triebregungen geb<strong>und</strong>en ist. Tatsachlich kommt jaauch den aggressiven Trieben hei Uberlebensanstrengungen eine grof3ere<strong>Bedeutung</strong> zu als den libidinosen, die auf Nahc and Fortpflanzung bedachtsind. Nur sind beim kleinen Kind die aggressiven Bemuhungen,eine Gefahr zu beseitigen, absolut vergeblich, wodurch sie einen vorwicgendautoaggressiven Charakter bekommen.Es ist noch zu wenig daruber bekannt, in welchem Ausma13 spatereKorpersymptome auf wiederholte fruhe Erfahrungen dieser Art zuruckgehen.Es ist aber denkbar (vgl. GREENACRE, a.a.O.), daB solche SymptomeErinnerungen an eine Zeit sind, in der sich die Affekte nur durch dieKorpersprache mitteilen konnten.Es ist eine offene Frage, ob solche reinen Affektzustande auch phantasiert106 werden konnen, ob also Phantasien ohne Vorstellungsinhalteaus der AuBenwahrnehmung uberhaupt moglich sind2.


Ubereinstimmungbesteht aber darin, daB etwa zu Beginn des zweiten Lehenshalbjahres diePhantasietatigkeit entwickelt ist, so daB die chaotischen Eindrucke deroralen Urszene auch einen Wahrnehmungsinhalt haben and so zu Konfl ikten ftihren.Das Sexualziel der oralen Triebe ist die Einverleibung. Entsprechendist auch die Wahrnehmung wie dann die Phantasic ausschlieBlich oralbzw. oral-sadistisch determiniert. So mag die Urszene, wie es MelanieKLEIN beschrieben hat, als lustvolles Aussaugen oder als Beif3en erlebtwerden, als eine orale Verfuhrung jedenfalls, die in den traumatischenKonflikt m<strong>und</strong>et. Die


hungen. Dafur linden sich in der psychoanalytischen Literatur viele Beispiele.Ich mochte aber auf eine nicht einmal so seltene Form der Konfl iktlosung in Objektbezichungen hinweisen, die sich bei fruhen Urszenen-Traumatisierungengelegentlich beobachten l513t. Es sind dies zumeistMenschen mit ausgepragten oral-narzi3tischen Storungen; sic habengegenuber dem Liebesobjekt and in der Obcrtragung den Anspruch!i einer totalen Beachtung, der in seiner Ausschlief3lichkeit an den symbiotischcnZustand des Sauglings erinnert. als absolut Einzige wollen sicnicht nur geliebt, umsorgt and bew<strong>und</strong>ert werden, sondern sie erwartengeradezu vom Liebesobjekt, daf3 es ohne sic nicht lebensfahig ist. Wo dieseErwartung enttauscht wird, entsteht sofort ein Gefuhl von Leere andVerlassenheit; zugleich aber entwickeln sich intensive HaBgefuhle, diezu einer abrupten Trennung vom Objekt in der Phantasie oder in derRealitat fiihren. Fur das Unbewul3te in der oralen Phase ist die Trennunggleichbedeutend mit der Vernichtung des Objekts. Ihr folgt dannin der Regel die phantasierte oder reale sehnsuchtsvolle Suche nach einemneuen Objekt, das das gestorte narzil3tische Glcichgewicht wiederherstellen soil.In der literarischen Figur des Don Juan findet man dafur ein Beispiel, andvielleicht liegt der Reiz solcher Personlichkeiten gcrade darin, daB sic demLiebesobjekt zu versprechen scheinen, rich ausschlieBlich and fur ewig alleinihm zuzuwenden. Das ist ja auch tatsachlich das fruhe oral-narziBtischeAnliegen.Fin Pendant dazu ist die Vorstellung von der unersattlichen and gefahrlichverfiihrerischen Frau, die als `Vamp' ihre Opfer aussaugt and -wie im H. MANNS vernichtet. Die gehcimnisvolle Anziehung,die vom Vamp ausgeht, scheint dahei noch der Nachklang einerfruh erlebten Verfuhrung durch die Mutter zu sein. Gerade durch dieVerfuhrung and durch die infantil-sexuellc Erregung erhalt die Urszeneauch einen lustvollen Charakter, was in den spateren Entwicklungsstufennosh deutlicher wird, wenn die Konflikte z.B. in perversen Objektbeziehungenwiederholt werden.Fine Fixicrung durch orale Urszenen-Traumen behindert naturgemaBdie Entwicklung in den folgenden Phasen. Es wird dann schwicrig.in Analysen das typische Bild cincr analen Urszene zu rekonstruieren,weil das Material aus den Abkommlingen aller Partialtriebe gebildet ist.Die typische anale Urszenenphantasie ist daher eher die Ausnahme. FinVersuch, sic dennoch zu beschreiben, hat deshalb aber nicht nur theoretischenWert; denn ihre Kenntnis kann bei den analytischen Rekonstruktionenhilfreich sein.ABRAHAM hat die sehr wichtige Unterscheidung einer frUhen and einerspaten analen Entwicklung gemacht, and die uberwiegend destruktivenTendenzen der fruhen Phase betont. In dieser Phase mug man davonausgehen, daB das Kind aufdie genannten Gr<strong>und</strong>erfahrungen in derUrszene mit analer Zerstorung des bedrohenden Objekts antwortet. DieNahe zu der oral-sadistischen Phase ist noch so eng, daB die Folgen derfruh-analen Urszene - namlich drohender Objektverlust and Vernichtungsangst,denen der vorangegangenen Entwicklungsstufe ganz ahnlichrind. Wahrscheinlich liegt der Unterschied nur darin, daB dieDestruk- 108tion nicht den totalen Vernichtungscharakter hat; die Abkommlinge fril-


her anal-sadistischer Phantasien haben daher oft den lnhalt von Ausscheidungenand von Explosionen, von Vergiftungen odcr von Vergasungen;das Objekt wird damit zwar partiell vernichtet and zerstort, abernicht - wie Beim oralen Sadismus - zu Nichts gemaeht'.In der spateren analen Entwicklung herrschen die konservativen Tendenzenauch des Sadismus vor; das Objekt der Libido wird wic Bcsitz behandelt and dasTriebziel besteht vornehmlich darin, Ober das Objekt zu verfugen and denBesitzstand zu halten.3 DaB these beiden Formen des Sadismus nicht nur im Verborgenen des menschlichenUnbewul3ten wirken, hat die grauenvolle Realitat des Nationalsozialismus gelehrt,Bei kleinen Kindern I5i3t sich gelegentlich eine Phase von Ratlosigkeit andAngst heobachten, wenn die Mutter den Raum auch nur kurz verl58t odersich anderen Dingen als dem Kind zuwendet, das mit ihr spielen will. Esscheint, daB these Reaktion, der bald ein ungehaltenes and argerlichesSchreien folgt, eine Auf3erung der analen Triebversagung ist, eine Versagungdes Wunsches, jetzt, sofort and vollstandig uber das Liebesobjekt verfugen zukonnen; die Kinder dieses Alters hangen dann buchstablich am Rockzipfelihrer Mutter.Nur wenig spater haben solche Versagungen den sogenannten Trotzzur Folge, womit die Herrschaf t uber das Objekt erzwungen werden soil.Der Trotz ist zweifellos eine AuBerung des analen Sadismus in seinerkonservativen Tendenz. Es sind die Versuche des Kindes, durch Werfen,Schlagen, Treten, Stol3en oder Quetschen Herrschaft Ober den Besitz zuerlangen. Solche Versuche haben im Trotz auch autoaggressiven Charakter,and sie geben zugleich auch Auskunft uber die Qualitat dieser sadistischenImpulse: Das Objekt wird dabei nicht mehr zerstort, sonderneben durch Schlagen, Treten usw. zu beherrschen versucht; in soichenand ahnlichen Impulsen auBert sich der spatere anale Sadismus.Analer Besitzwunsch and sadistischer Herrschaftsanspruch verbinden sichmiteinander in der Perversion, wo das Liebesohjekt gefesselt and geschlagenwird. Die Konflikte der analen Urszene werden hier noch einmal wiederholtand lustvoll sadomasochistisch agiert4.Die Wahrnehmungen des Kindes im elterlichen Schlafzimmer verstarkenalso auch hier die phasenspezifischen Konflikte, die dann denInhalt des Urszenen-Traumas bilden. Fur das Selbst geht es dabei nichtmehr - wie in der oralen Phase - um die reine Existenzerhaltung, sondernum die Macht. Konnte man den oralen NarziBmus mit dem existentiellenGegensatz von Sein and Nicht-Sein, mit dem Prinzip des AllesOder Nichts bcschreiben, so scheint der anale Narzi/mus durch denGegensatz von Macht and Ohnmacht bestimmt zu sein. Der NarziBmusist die libidinose Besetzung des Selbst, and in den Macht- and Ohnmachtsgefuhlendruckt sich die anale Besetzung des Selbst aus. [inc Storungdieser Machtposition ist damit immer ein Angriff auch auf dasSelbst des Kindes mit der realen Gefahr, ohnmachtig ausgeliefert zu seinand iiberwaltigt zu werden.Solche Traumatisierungen durch die Urszene verstarken durch dieVerftihrung nicht nur die analen Besitzwiinsche, sondern durch die Versagungzugleich auch die sadistischen Impulse, die 10 ihrerseits wiederzu 9 einer inneren


Gefahr werden. Die schon genannten Abwehrprozesse alsFolge dieser Gr<strong>und</strong>erfahrungen wiederholen sich and die letztlich unl8s-4 Es ist hisher nur die Rede von der Bedrohung durch die Urszene. Das Beispiel zeigt aher,daft sic auch lustvoll erfahren wind. Als bedeutsam fur die Pathogenese erweist sich auchdie Urszenen-Schuld, wobei das Kind rich als Urheberdes sadistischen Geschehens erlebt.baron Konflikte hinterlassen dann ein allgemeines Gefuhl von tieferOhnmacht, nichts hewirken zu konnen, von Hal3 and Erbitterung.Unter giinstigen Umstanden ist es in Analysen gelegentlich moglich,Urszenen-Phantasien zu horen, die eine entstellte Form der direkten Erinnerungan das Wahrgenommene zu sein scheinen. In solchen Schilderungenfindet sich dann immer wieder, daf3 die Eltern nachts ein Handgemengegehabt, daB sie sick geschlagen, in den Bauch geboxt oder getretenhatten. Wie der Erwachsene, der sich an eine Realitat zu erinnernglaubt, so ist auch das Kind vom Wahrheitsgehalt vollig uberzeugt; eskenntja noch keine andere als die anal-sadistische Wahrheit. Wenn dasbei Erlebnis-Berichten in der Analyse ubersehen wird, kann leicht derTrugschluf3 entstehen, daf3 das scheinhar sadomasochistische Verhaltender Eltern fur these Auffassung des Koitus verantwortlich sci.Das ist aber in der Rcgel <strong>und</strong>jedenfalls bei den moisten Patienten, dieder Analytiker sieht, zumindest in dieser offenen and krassen Formnicht der Fall. Der scheinbar wahrgenommene Sadismus erweist sichvielmehr als die Projektion der eigenen Innenwahrnehmung des Kindesauf die Urszenen-Eltern, die dadurch umso bedrohlicher crlebt werden.Damit schliel3t sich auch hier der Teufelskreis aus Triebbedurfnis,Angst, Haf3 and Schuld. Das gleichzeitig bedrohte narziBtische Gleichgewichtl5f3t sich jetzt nur noch durch eine strukturverandernde Abwehrwiederherstellen, wic wir sie von der Zwangsneurose kennen. Das Strebennach Geld, Stellung oder Titel ist dabei der Versuch, den analen Besitzstandand die gestorte anale Machtposition wiederzuerlangen.In der letzten Stufe der infantil-sexuellen Entwicklung, in der phallischenPhase, findet der Odipus-Komplex semen Hohepunkt and seinenAbschlul3. JONES (1933) hat eine, fruhe von einer spateren phallischenPhase unterschieden, wobei die bewuf3te Wahrnehmung des anatomischenGeschlechtsunterschieds den Eintritt in die spatere Phase kennzeichnet.Die bewuBtc Wahrnehmung ist erst dann moglich, wenn dieLibido das Genitale als erogene Leitzone besetzt hat, and wenn zugleichdie exhibitionistischen and voyeuristischen Bedurfnisse der fruherenphallischen Phase hinzutreten. Penisstolz des kleinen Jungen, Penisneidand -Wunsch beim kleinen Madchen sind die Folgen, and im Eindringenbzw. im Aufnehmen des Penis hat die phallische Sexualitat ihr Ziel.Das Triebobjekt sind die Eltern, die inzestuos begehrt werden.Im analytischen Schrifttum herrscht Einmutigkeit darfber, data derOdipus-Komplex einen katastrophalen Ausgang nimmt, wenn seinesturmischen Leidenschaften durch die Verfiihrungen and Enttauschungender Urszene nur noch weiter angefacht werden. Welches sind dietraumatischen Erfahrungen der phallischen Urszene?110Das Erlebnis des Verlassenseins and des Ausgeschlossenseins


trotzni chster Nahe des Liebesobjekts ist auch hier die erste Gr<strong>und</strong>erfahrung.Sie betriffi zunachst das Selbst des Kindes, das auf dieser Entwicklungsstufephallisch besetzt ist. Der phallische Stolz erleidet dadurch eineempfindliche Verletzung.Es spricht sehr vieles dafir, daB sick dieser Stolz nicht nur auf den Penisbezieht, sondern daB der gesamte Korper mit dem Penis identifiziertist and ihn reprasentiert.Wenn in der Analyse die phallische Urszene inder Ubertragung wiederholt wird, entwickelt sich in der Regel ein Gefuhlvon korperlicher Unterlegenheit, das rich beim Mann mit der Vorstellungverbindet, einen zu kleinen Penis zu haben; die Frau erleht sich dabei,and zwar zumeist im Vergleich mit der phantasierten Mutter/Fraudes Analytikers, als unattraktiv and unscheinbar. Solche Beobachtungenlegen die Vermutung nahe, daB der phallische Narzi/3rnus rich vorwiegendin dem Vorstellungs-Gegensatz von Oherlegenheit bzw. Unterlegenheitdes Korpers, seiner auBeren Erscheinung and seiner Funktionzeigt. Es ist die Macht der korperlichen Anzichung, and nicht - wie imanalen - die Macht der Ideen, Gedanken and Worte. Eine Reihe von Industriezweigenlebt davon, solche phallisch-narziBtischen WUnsche zuerfullen, wobei ihr der Exhibitionismus and der Voyeurismus als willkommenesVehikel dienen.Der phallische Stolz auf den Korper and seine Funktionen ist eineganz normale Erscheinung beim Madchen and beim Jungen im OdipusAlter;warden sie sonst den Kampfmit den Rivalen aufnehmen konnen? Es ist einGefuhl von Gr6l3e and Starke heim kleinen Jungen, ein Gefuhl vonSchonheit and Anziehungskraft beim kleinen Madchen, welche nun durchdie Urszene verletzt werden and das Erlehen von Kleinheit, von Schwacheand Unscheinbarkeit zurucklassen.Hinzukommt die zweite Gr<strong>und</strong>erfahrung. die Verfuhrung zum odipalenInzest and die Enttauschung der phallischen Liebeswunschc. Aufbeides, auf die narziBtische wie aufdie libidinose Versagung reagiert dasKind mit verstarkt aggressiv-phallischem Rivalisicren urn den geliebtenElternteil, wobei der Penis jetzt zur sadistischen Waile wird, mit der dasObjekt gewaltsam erobert werden soil. Wieder sind es die sadistischenImpulse, die Rache and die Eifersucht infolge der Versagungen, die nun- projektiv abgewehrt - die Kastrationsangst beim Jungen, die Angst vordem eindringenden Penis beim Madchen so sehr aktualisieren, daB derOdipus-Komplex traumatisch wird and nicht mehr bewaltigt werden,nicht mehr «untergehen» kann. Oftmals wird das narziBtische Gleichgewichtdurch eine Regression auf die fruhere phallische Phase wiederhergestelit,wo die Vagina von beiden Geschlechtern verleugnet werdenand zugleich die verlorene Oberlegenheit wiedergewonnen werdenkann; sie stellt rich dann nicht selten als Eitelkeit and Uberheblichkeitzur Schau.Uberhaupt scheint sich der NarziBmus der phallischen Phase besonderslarmend darzubieten. Der orale and der anale NarziBmus sind stiller,weniger aufdringlich. So ist auch die phallisch-narziBtische Storungals Symptom z.B. der Homosexualitat kaum zu iibersehen. Vielmehr bestehtdie Neigung, sic mit der narziBtischen Storung schlechthin gleichli11 zusetzen, wobei man die narziBtischen Storungen friiherer Entwick-_j j 2___


lungsphasen leicht iihersieht. Vermutlich bekommt der phallische NarziBmusseinen aufdringenden Charakter daher, daB er sich mit dem Exhibitionismusverbindcn kann. Dem Triebgegensatz des Exhibitionismus/Voyeurismuskommt die odipale Urszenc sehr entgegen. lhr habensich der sogenannte Aulklarungs-Film and natfirlich die gesamte pornographischeProduktion angenommen. Der Zuschauer wird hier nocheinmal in die Rolle des beobachtenden Kindes zurUckversetzt, das nunaber nicht passiv, sondern - oft auch mit Hilfe der Onanie - aktiv an derUrszene teilhat and sic jetzt lustvoll wiederholt; die Onanie-Phantasienhaben dabei gleichermal3en bei beiden Geschlechtern sehr haufig den Inhalt,daB ein bew<strong>und</strong>erter and gewaltsamer Penis lustvoll eindringt.VNun ist die Urszene wohl in den seltensten. Fallen allein auf die phallischePhase beschrankt. Die Regel ist eher, daB sie sich von der Geburtbis in die Latenz and oftmals auch ]anger durch die gesamte Kindheitzieht. So wird von vornherein jeder Entwicklungsschritt durch die voraufgegangenentraumatischen Konflikte beeinfluBt, deren Inhalte allerdingsin jeder Phase verschieden sind. Man muB aber von wenigstensdrei Gr<strong>und</strong>erfahrungen ausgehen, die phasenunabhangig traumatischeFolgen haben. Sic betreffen gemeinsam and gleichzeitig die narziBtische,die Trieb- and die Ichentwicklung_ So kann die Existenzhedrohung aufder narziBtischen Seite des Selbst-Erlebens von dem Gefihl der Unterlegenheitfiber das tiefe Ohnmachtsgefuhl bis hin zur stets gegenwartigenVernichtungsangst reichen; auf der Triebseite kann die Ambivalentnicht i berw<strong>und</strong>en werden, and der Mensch sucht fiber den Sadismus derAngst vor dem Objekt durch phallische Gewalt, durch anales Schiagenand Qualen, durch partielle oder totale Vernichtung in Phantasie oderRealitat zu entgehen.All dies wird in dem Kernkomplex der Neurosen reproduziert, and ermuf auf Gr<strong>und</strong> der traumatischen Vorgeschichte einen vollig anderenVerlauf nehmen, als er es normalerweisc tut. Mit der Urszene wird dasodipale <strong>Dr</strong>ama zu einer Tragi die, deren Ausgang umso folgenreicher ist,je frfiher die Versagungen der Urszene eingesetzt haben. Die beiden wesentlichenodipalen Konflikte, die Kastrationsangst and der Penisneid,erhalten durch solche traumatischen Vorerfahrungen ihre besondereScharfe.Im Odipus-Komplex auBern sich nicht allein die phallischen Triebwiinsche;er 1st nicht so harmlos, wie er gelegentlich dargcstellt wird,denn er 1st, wie FREUD schreibt, der Reprasentant der gesamten infantilenSexualitat, also auch der friihesten traumatischen Konflikte and Fixierungen,welche den normalen Untergang des Komplexes verhindern.Wo er aber nicht bewaltigt werden kann, ist die neurotische Erkrankungdie Folge.Fast regelmaBig kann man in Analysen beobachten, daB Patientenzwar die gesamte friihe Kindheit im Elternschlafzimmer verbrachten, daBdennoch aber scheinbar keine einzige Erinnerung an


Aber, wir mussen uns von der Vorstellung Ibsen, in der Urszenen-Phantasie die Beschreibung eines genital-sexuellen Aktes zu erwarten.Denn solange wir direktc Erinnerungen an den oder direkte Phantasienzum Geschlechtsverkehr der Eltern als solchem erwarten, bewegen wiruns aufder phallisch-odipalen Ebene, wo solche Wahrnehmungen nocham ehesten moglich sind. In der praodipalen Zeit kann der Koitus alssolcher nicht wahrgenommen, and also auch nicht erinnert werden.Das, was das Kind gesehen oder gehort hat, kann nur so mitgeteilt werden,wie es wahrgenommen worden ist. Und was der Analytiker davonschliel3lich erfahrt, sind zumeist Abkommlinge der unbewul3ten Phantasien,die orale, anale oder phallische Inhalte haben oder die eine Mischungaus diesen darstellen. Diese Abkommlinge konnen Deck-Erinnerungensein wie die wiederholte nachtliche Angst, ein Mann im Nachbarhausschrcie, weil seine Frau ihm in das Glied beiBt; es konnen uberdauerndePhantasie-Vorstellungen sein: Fin kleines Kind furchtct sichvor dem Nachttisch, in dessen Schublade ein wildes, reiBendes Tierhaust, das das Kind bedroht and es zugleich mit unheimlicher Gewaltanzieht - bis der Vater es mit einem Kuchenmesser totet; es konnenSymptome oder Traume sein: Ein Kind ist schuld an cinem furchtbarenBrand; beide Eltern suchen in hochster Erregung zu loschen, bis sie erschopftumfallen; es kann ein Agieren sein, das Verhalten in der Ubertragungsneuroseand vieles andere mehr, worin rich die entstellte and sek<strong>und</strong>armehr odor weniger bearbeitete Erinnerung einer Koituswahrnehmungausdruckt. Wenn sich derartige Erinnerungen in der Analysezeigen, so tragen sie immer sadomasochistische Ziige. Auf der infantilenEbene kann der Koitus nicht als ein Liehesakt erlebt werden, gleichgultig,wie sich die Eltern oder die sozio-kulturelle Umgebung dabei verhalten -es sei denn, unsere Autfassung von der infantilen Sexualitat muBte revidiertwerden.Die Rolle der Eltern in der U rszene bedurfte fraglos noch einer eigenenUntersuchung. Es soil nicht vergessen werden, daB die wenigsten Kinderder Welt das Privileg eines eigenen Zimmers haben; die meisten mussenaus sozialen Griinden das Schlafzimmer der Eltern teilen and Sind so oftZeugen des Geschlechtsverkehrs. Ob dabei in dem einen oder anderenFall die sozialen Verhaltnisse auch als Vorwand dienen, mag offenbleiben;die Tatsache der zumeist sehr beengten Moglichkeiten bleibt bestehen.Umso mehr aber muB es verw<strong>und</strong>ern, daB die Kinder auch dort imElternzimmer schlafen, wo die soziale Realitat eine andere Losung durchauszulieBe, wo vielleicht ein Kinderzimmer sogar vorhanden ist. Warumgeschieht das, was sind die Bedurfnisse der Eltern?Die Antworten sind nurVermutungen, die sick aus wenigen Analysen vonUrszenen-Eltern anbieten. Ich reihe sie daher als Fragen aneinander, ohne siewelter zu erortern.Sind die Eltern fri her selbst der Urszene ausgesetzt gewesen, and wiederholensie nun in der Idcntifikation mit ihrem Kind das ehemals traumatischErlebte aktiv and lustvoll? Werden exhibitionistische Wunscheder Eltern auf these Weise agiert? Spielt die sadistische Einstellung gegenuberdem Kind eine Rolle? Wird das Kind als Objckt benutzt, das vor114LJL


den sexuellen Zugriflen des Partners schiitzen soil? 1st die Gcgenwart desKindes schlief3lich sogar Bedingung fur eine phallisch-narziBtischeBefriedigung?Welche Griinde das immer haben mag, hangt wohi eng von denSchicksalen der Eltern ab, was im Obrigen firjedes andere Trauma, das sic demKind zuftigen, auch gilt. Aber die Gegenwart des Kindes scheint tatsachiich invielen Fallen einem Bediirfnis der Eltern zu entsprechen. Von hier aus erhaltdie Moglichkeit der Erregungsi bertragung auf das Kind noch zusatzlichesGewicht.Im Geschlechtsleben spiegeln sich die gr<strong>und</strong>legenden Leidenschaftendes Menschen and auch alle seine ungelosten Konfliktc aus der Kindheitwider. Wohl auch deswegen hat die Urszene eine besonderc Stellung unterden traumatischen Erfahrungen. Fur das Kind sogenannter primitiverKulturen mag die Teilnahme daran zunachst vielleicht ohne auffallendepathologische Folgen, also vorallem auch ohne zunachst sichtbaresadomasochistische Verhaltensweisen bleiben. Aber vernachlassigensolche ethnologischen Beobachtungen dabci nicht die Tatsache der oftgrausam-sadistischen rituellen Brauche, wie sic sich z.B. bei der Subinzision,bei der pharaonischcn Beschneidung oder bei gewissen Deflorationspraktikenzeigen? Lind konnte nicht gerade auch das Fehlen einersozio-kulturellen Entwicklung unsercs Verstandnisscs - unter gewi B vielemanderen mehr - auch einc Folge dieses Traumas der Urszene sein?Wenn der Mensch des westlichen Kulturkreises Kleider tragt and fur seinesexuellen and exkretorischen Bediirfnisse die intime Abgeschlossenheitsucht, so zeigen sich darin nicht nur die Auswuchse von Priiderie.denn oft genug hat FREUD selbst betont, daB der Bestand unsercr Kulturden Eltern wie den Kindern abfordert, auf ihre inzestuosen Wunsche zuverzichten. Nur so konnen der Odipus-Komplex and die damit verb<strong>und</strong>enenSchicksale der infantilen Sexualitat i berw<strong>und</strong>en werden.Litc raturABRAHAM, K. (1913); Psychische Nachwirkungen der Beobachlung des eiterlichen Geschlechtsverkehrsbei einem neunjahrigen Jungen. In: Psychoanalytischc Studien zurCharakterbildung. Frankfurt, 1969.- (1924): Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Gr<strong>und</strong> der Psychoanalyseseelischer Storungen. A.a.O., 1969.ARLOw, J. (1974): Pyromania and the Primal Scene. Psych.Quart., XLVII, S. 24-51.BLUM, H.P. (1979): On the Concept and theConsequences of the Primal Scene. Psych.Quart., XLVII, S. 27-47.DAHL., G. (1974): Hermann Broch: Der Toddes Vergil. Eine psychoanalytische Studie. In:CREMERIUS, J.: Psychoanalytische TextInterpretation. Hamburg. 1974.ESMAN, A.H. (1973): The Primal Scene: AReview and a Reconsideration. The Psych. 1 1 5


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