13.07.2015 Aufrufe

Hinter Hermann Hesses Haus - Jimdo

Hinter Hermann Hesses Haus - Jimdo

Hinter Hermann Hesses Haus - Jimdo

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Hinter</strong> <strong>Hermann</strong><strong>Hesses</strong> <strong>Haus</strong>»Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.«<strong>Hermann</strong> Hesse: »Stufen«Vor 50 Jahren starb <strong>Hermann</strong> Hesse. Ein rastlos Suchender,der so viele mit seinen Werken infiziert hat. Michaela & UdoStaleker (Text & Fotos) bereisten die Stationen seines LebensMit Hesse wandern und reisen,dem <strong>Hermann</strong> hinters <strong>Haus</strong>gucken. Von Maulbronn amRand des württembergischenKraichgau nach Montagnola imschweizerischen Tessin. Eine Reise ins Innereeiner literarischen Seele, wie sie vielschichtigerund tiefschürfender, aber oftauch widersprüchlicher und zerrissenernicht sein könnte. Hesse ist wieder angesagt,spätestens seit Altrocker Lindenbergin seiner Vita Parallelen mit der des Dichtersentdeckte: »Pazifismus, Individualität,mach dein Ding, sei eigenständig.Spreng dich raus aus dieser winzigen,miefigen kleinen Stadt, wo du herkommst[...].« Seither tingelt Udo zwischen denHesse-Gedenkstätten, promoted kräftigdie geistige Allianz der beiden Hutträger.In <strong>Hermann</strong>s Geburtsstadt Calw lobt Lindenbergregelmäßig einen Panik-Preis fürNachwuchsmusiker aus und durfte – alsGipfel der Anerkennung – für die jüngstvon der ARD verfilmte Hesse-Erzählung»Die Heimkehr« den Titelsong »The River«beisteuern – in englischer Sprache,versteht sich. Das hätte dem <strong>Hermann</strong> gewisssehr gefallen… Was reg‘ ich michauf?! Solange Dieter Bohlen nicht mitGoethe auf die Reise geht…Immerhin – der Panik-Udo hat Nasebewiesen. Alte Meister neu entdeckenheißt natürlich auch, sie auf die Themenunserer Tage zu beziehen. Und was aufSchulbänken oft wenig Freude bereitet,das bekommt mit Hesse im Tankrucksackplötzlich Leben, Licht und Farbe. Milieuschilderungen,Heimat- und Stadtbeschreibungen,Ausbruch aus dem Alltagstrott,mal raus auf zwei Rädern, um Neueszu entdecken und bei der Suche nach demeigenen Lebenssinn voranzukommen.Das ist es, was der junge <strong>Hermann</strong> hinterden geschlossenen Fensterläden seinespietistischen Elternhauses stets vermisste:den Geschmack der Straße, den Geruchfremder Menschen, den Pulsschlag deswirklichen Lebens. »Die eine Welt wardas Vaterhaus […]. Diese Welt […] hießLiebe und Strenge, Vorbild und Schule[…], gewaschene Hände, reine Kleider,gute Sitten daheim. In dieser Welt gab es[…] Pflicht und Schuld, schlechtes Gewissenund Beichte, Verzeihung und guteVorsätze«, schreibt Hesse in der Einleitungzum Roman »Demian« undschwärmt in seinen Erinnerungen anCalw: »Die andere Welt war völlig anders,roch anders, sprach anders […]. Es gab daSachen wie Schlachthaus und Gefängnis,Betrunkene und keifende Weiber, […] Erzählungenvon Einbrüchen, Totschlägen,Selbstmorden.«Das »Memmerle«, wie der junge <strong>Hermann</strong>von der Mutter genannt wird, tut daheimnicht gut. Eigensinnig, uneinsichtig,widerspenstig bringt der kleine <strong>Hermann</strong>seine Eltern fast zur Verzweiflung. Dochstatt den Jungen fliegen zu lassen, verbiegensie ihr Kind mit Heimen und Zwangserziehung,schicken ihn schließlich instheologische Seminar nach Maulbronn.Spätestens als die Enduros von den Weinhängendes Naturparks Stromberg-Heuchelbergzu der Zisterzienserabtei Maulbronnhinabschwingen und auf den<strong>Hermann</strong> Hesse auf der Nikolausbrückein Calw: »Das ist mir der liebste Platz imStädtchen« (Hesse-Zitat).Hohenhaslach – hart am Weinberg.Rast an der Nagold: »Der Fluss lehrt dasZuhören, das Lauschen mit stillem Herzen«(Fährmann Vasudeva in »Siddhartha«).16 TOURENFAHRER 8/20128/2012 TOURENFAHRER 17


H. Hesse für Minuten»Glück ist Liebe, nichts anderes. Werlieben kann, ist glücklich.«»Erziehung, das ist eine Erfindungvon irgendwelchen Schullehrern; dasist etwas, was es gar nicht gibt.«»Damit das Mögliche entstehe, mussimmer wieder das Unmögliche versuchtwerden.«»Erinnerung heißt die Kunst, einmalGenossenes nicht nur festzuhalten,sondern es immer reiner auszuformen.«»Kein Mensch kann das beim andernsehen und verstehen, was er nichtselbst erlebt hat.«»Man ist nur unruhig, solange mannoch Hoffnung hat.«»Warum soll man sich nicht mit Büchernunterhalten? Sie sind oft ebensoklug wie Menschen und oft oft ebensospaßhaft und drängen sich weniger auf.«»Alles Wissen und alle Vermehrungunseres Wissens endet nicht mit einemSchlusspunkt. Ein Plus an Wissen bedeutetein Plus an Fragestellungen, undjede von ihnen wird immer wieder vonneuen Fragestellungen abgelöst.«Klosterplatz rollen, werden die Fesselnseiner Kindheitstage spür- und greifbar.Um <strong>Hermann</strong>s Willen zu brechen, sperrtman ihn hinter immer dickere Mauern,und so bleibt dem intelligenten und begabtenKnaben nur die Flucht nach innen– in eine Welt der Fantasie und Poesie.Dann sitzt der empfindsame Sonderlingim Kreuzgang des Klosters oder an seinemLieblingsort, dem Haurker See, notiertGedanken und Reime in einem Büchleinund träumt: »Dort wartete Livius, Xenophonund der göttliche Homer auf mich,dort war mein Pult und Bett […]«. Nochviele Jahre später wirkt das Trauma Maulbronnin Hesse nach, und er dichtet frus -triert nach einem Besuch des Klosters:»Hier ward mein erster Jugendtraum zunichte./Anschlecht verheilter Wunde littich lang.« (Im Kreuzgang, 1914) Nachausgiebiger Lesepause im Klostercafézerreißt das Bollern der GS die Stille innerhalbder Mauern, und wie erlöstschwingen die Bikes über die Ausläuferdes Nordschwarzwaldes hinab nachCalw, wo Hesse geboren wurde und amUfer der Nagold seinen ersten Jugendträumennachhing.Rechter Hand am Wegesrand tauchendie Ruinen des Klosters Hirsau auf, undkurz darauf stapfen Enduro-Stiefel überKopfsteinpflaster ins Mittelalter. Die Geschichtedes ehemaligen Benediktinerklostersgeht bis ins 11. Jahrhundert zurück,und erst nach einem verheerendenBrand im Jahre 1692 endet der religiöseEinfluss des Klosters auf das gesellschaftlicheLeben jener Zeit. Geblieben sindTürme, Ruinen und Mauerreste sowie diegut erhaltene, vom Brandteufel verschonteMarienkapelle. Die Familie Hesse liebtdiesen Ort, und auch das »Memmerle«findet Gefallen am »fröhlichen Wiesenweg«von Calw nach Hirsau und an derEntrücktheit und Stille innerhalb derKlostermauern. In seiner frühen Erzählung»Berthold« schreibt er: »Die Berge flohenauf beiden Seiten zurück […] und bald tatsich eine gar schöne, sonnige Talebene auf[…]. Inmitten lag breit und satt in wohligemFrieden ein Kloster samt Meierei undMühle, und wer müde auf der Talstraßevorüberwanderte […], dem mochte derfriedsame Ort eine köstliche und gesegneteZuflucht erscheinen.« Der Zauber diesesOrtes wirkt auch heute noch, und wirverlassen das verschlafene Hirsau entspanntund erholt über die schwungvollenBögen der hübschen Nagoldbrücke. AmHorizont sind schwarze Wolken aufgezogen– dabei haben wir den heiligen Petrusdoch so lieb um Beistand gebeten…»Wir gratulieren den Bürgern vonCalw zu ihrem architektonischen Juwelmitten im Herzen der Stadt. Manche Stadtväterscheinen Drogen zu nehmen…«Kaum habe ich mein derbes Statement zudem mehrstöckigen Parkhaus am Nagolduferhalblaut vor mich hin gesprochen,bringt sich am Nebentisch ein älterer Herrein und ist redlich bemüht, uns zu demReizwort »Bürgernähe in der Hesse-Stadt« einige interessante Geschichten zuerzählen. Komisch, das kennen wir dochirgendwoher… Ansonsten hat Calw vielzu bieten, und ein Stadtbummel durch diefachwerkgeschmückte Altstadt ist wie einRendezvous mit dem berühmten Sohn derStadt. »Das ist mir der liebste Platz imStädtchen, der Domplatz von Florenz istmir nichts dagegen«, schreibt Hesse überdie alte Nikolausbrücke, über die einst dergesamte Verkehr in den Stadtkern führte.Heute kann man auf der Brücke dem<strong>Hermann</strong> mit Hut in aller Ruhe die Handschütteln. Lebensgroß hat der KünstlerKurt Tassotti den Ehrenbürger der Stadt inBronze gegossen und an seinem liebstenOrt platziert. Und da steht er nun »ZwischenVerweilen und Aufbruch«, und esbleibt dem Leser des Jugendromans »UntermRad« überlassen, in der Rolle derautobiografisch angelegten HauptfigurHans Giebenrath durch Calw zu streifenPass Ibergeregg im SchwyzerVoralpenland – und hinter denBergen wartet die Sonne…Kreuzgang Kloster Maulbronn –»Und alles ist so schön und stillgeblieben« (aus: Kreuzgang, 1914).»Die andere Welt war völliganders, roch anders, sprachanders« (Demian, 1919)und das Spannungsfeld zwischen FremdundSelbstbestimmung zu erleben. Kommtman an, oder reist man ab? Darf man sichentfalten, oder wird man klein gehalten?Findet man den Weg zu sich selbst, oderirrt man ziellos von Ort zu Ort? »Langsamschlenderte Hans Giebenrath über denMarktplatz, am alten Rathaus vorüber,durch die Marktgasse […] zur alten Brü -cke. […] Nun fiel ihm wieder ein, wievielehalbe und ganze Tage er hier verbracht,wie oft er hier geschwommen und getauchtund gerudert und geangelt hatte.[…] Das war doch das Schönste in all denlangen Schuljahren gewesen.«Die Stadt Calw weiß um die Bedeutungdes Hesse-Erbes. Die Ankündigung einerSonderausstellung mit den Tessiner Aquarellendes Dichters hat uns angelockt, undSusanne Völker, Leiterin des <strong>Hermann</strong>-Hesse-Museums am Marktplatz unweitvom Geburtshaus des Dichters, ist zunächstetwas erstaunt, als wir um Fotoerlaubnisfür ein Motorradmagazin bitten.Hesse und heiße Hobel – wie geht das zusammen?Doch die junge Frau zeigt sichin bester Tradition des Dichters aufgeschlossenund entgegenkommend. DasMuseum rühmt sich, die größte Dauerausstellungüber den Literaturnobelpreisträgerzu beherbergen, und dokumentiert anschaulichseine oftmals zerrissenen undflüchtigen Lebensstationen: Die Missionstätigkeitder religiös motivierten El-<strong>Hermann</strong> HesseAm 2. Juli 1877 wird <strong>Hermann</strong> Hessein Calw geboren. Sein Vater Johannesist ein pietistischer Missionspredigerund seine Mutter Marie die ältesteTochter eines Missionars. Hesse besuchtdie Lateinschule und absolviertdas Württembergische Landesexamen.Der »schwierige Sohn« verlässt frühdas Elternhaus und wird als Stipendiatin der Klosterschule Maulbronn aufgenommen.Von dort flieht er 1892 mit demfesten Entschluss, »entweder Dichteroder gar nichts« zu werden. Nach einemNervenzusammenbruch und einemSelbstmordversuch liefern die hilflosenEltern den Fünfzehnjährigen ineine »Anstalt für Schwachsinnige undEpileptische« ein. Das verzeiht <strong>Hermann</strong>Hesse seinen Eltern nie, und er sagtsich von ihnen los. Nach Aufenthaltenin verschiedenen Heilanstalten absolvierter eine Lehre als Turmuhrenmechanikerund beginnt eine zweite Lehreals Buchhändler. 1904 ermöglicht ihmder Erfolg seines ersten Romans, dieFotografin Maria Bernoulli zu heiratenund sich als Schriftsteller am Bodenseeein <strong>Haus</strong> zu bauen. Nach einer Indienreisemit dem Maler Hans Sturzeneggerzieht er mit seiner Frau und dendrei Söhnen nach Bern.1919 trennt sich der Dichter von seinerFamilie und lebt fortan im Tessin.Nach der Scheidung von seiner erstenFrau heiratet er 1924 Ruth Wenger. VierJahre später lässt er sich erneut scheidenund vermählt sich 1931 mit derKunsthistorikerin Ninon Dolbin.In der Hitler-Zeit gewährt Hesse AndersdenkendenUnterstützung. SeineWerke gelten daraufhin in Deutschlandals unerwünscht. 1946 erhält er denNobelpreis für Literatur, wird ein Jahrspäter Ehrendoktor der UniversitätBern und bekommt 1955 den Friedenspreisdes Deutschen Buchhandels.Am 9. August 1962 stirbt <strong>Hermann</strong>Hesse in Montagnola an einem Gehirnschlag.18 TOURENFAHRER 8/20128/2012 TOURENFAHRER 19


Museen<strong>Hermann</strong>-Hesse-Museum; Marktplatz30; 75365 Calw; Museumsleitungund Kontakt: Susanne Völker, Tel.07051/7522 oder /939710. Größte Hesse-Ausstellung und sehr lohnend. Nochbis zum 19. August bietet das Museumdie Sonderausstellung »Licht und Farbe.<strong>Hermann</strong> Hesse als Maler« mit denschönsten Aquarellen des Dichters.Rund um den Todestag <strong>Hermann</strong> <strong>Hesses</strong>am 9. August werden zahlreicheVeranstaltungen angeboten. Ein Programmheftist im Museum erhältlich.Eintritt: 5 Euro.<strong>Hermann</strong>-Hesse-Höri-Museum;78343 Gaienhofen am Bodensee; Tel.07735/81837. Gaienhofen hat seinemberühmten Bürger im Höri-Museumeine eigene Abteilung gewidmet. WichtigsteAusstellungsstücke sind Erstausgaben,Schriftstücke, seine ersteSchreibmaschine und zwei seiner vielenLesebrillen. Das erste Wohnhaus<strong>Hesses</strong> gleich nebenan ist heute Teildes Museums. Eintritt: 5 Euro.<strong>Hermann</strong>-Hesse-<strong>Haus</strong>; 78343 Gaienhofenam Bodensee; www.hermannhesse-haus.de.Das <strong>Haus</strong> ist vermietet,kann jedoch nach Voranmeldung besichtigtwerden. Führung für Gruppenab zehn Personen. Preis 7 Euro pro Person;zugunsten des Fördervereins»<strong>Hermann</strong>-Hesse-<strong>Haus</strong> und Garten«.Museo <strong>Hermann</strong> Hesse; TorreCamuzzi; CH-6926 Montagnola;www.hessemontagnola.ch; Tel. +41 91993 37 70; schönes Museum mit persönlichemAmbiente; viele Exponate aus<strong>Hesses</strong> Leben, u. a. sein Arbeitsplatzmit Schreibmaschine, eine Sammlungvon Erstausgaben und Publikationen;Sonderausstellungen <strong>Hesses</strong> Reisennach Indien und in Norditalien; im Untergeschosswird der Dokumentationsfilm:»<strong>Hermann</strong> Hesse – ein langerSommer« gezeigt. Eintritt: 8,50 CHF.Montagnola – beim<strong>Hermann</strong> vorm <strong>Haus</strong> (re. o.).In die Tasten gegriffen –<strong>Hesses</strong> Schreibmaschineim Museum in Calw.Kloster Hirsau – Türme,Tore und Ruinen.Morgenstimmung amVierwald stättersee – einHauch des Südens.»Wie schön ist es, Grenzenzu überschreiten«(Dank ans Tessin, 1954)tern. Ein Überblick des literarischen Gesamtwerksmit über 50 Romanen, 600 Gedichtenund 35.000 Briefen. Die Kindheitund Jugend des Autors in Calw mit Lateinschuleund Mechanikerlehre bei derTurmuhrenfabrik Perrot. <strong>Hesses</strong> Aufenthaltals Seminarist im Kloster Maulbronn,das er mit der festen Absicht verlässt, fortanals Dichter »sein Ding« zu machen.Seine schmerzhaften Erfahrungen in denHeilanstalten von Stetten und Bad Bollund die kurzen Aufenthalte in Tübingenund Basel, die in den ersten Romanerfolg»Peter Camenzind« münden. Die sehrwichtigen Jahre als freier Schriftstellerund Familienvater in Gaienhofen am Bodensee.Seine Arbeit in der Berner Kriegsgefangenenfürsorgewährend des ErstenWeltkrieges und <strong>Hesses</strong> Stellungnahmenzum Krieg, die zu einem Publikations -verbot in Deutschland führen. Der Toddes Vaters 1916, der ihn in eine tiefe psychischeKrise stürzt. Und schließlich dieletzten 43 Jahre seines 85-jährigen Lebensin dem Tessiner Dorf Montagnola, woHesse die Liebe zur Aquarellmalerei entdeckt,zu den Blumen und Pflanzen inseinem Garten, wo »Klingsors letzterSommer«, der »Steppenwolf«, »Narzißund Goldmund«, »Siddharta« und das»Glasperlenspiel« entstehen. Nach Jahrendes Zweifelns und Herumirrens kommtdas »Memmerle« zur Ruhe und tut endlichgut: »Hier (im Tessin) war das Leben möglicher.[…] Die Tessiner Landschaft hatmich stets wie eine vorbestimmte Heimatoder doch wie ein ersehntes Asyl angezogenund empfangen. […] Wie schön ist es,Grenzen zu überschreiten.« (aus: Dankans Tessin, 1954)Das ist das Stichwort. Unsere Reiserouteführt über weite Wiesen und Felderan den Rand des Naturparks Schönbuch.Tübingens einbahnstraßenumzingelte Innenstadtist der Traum aller Motorradfahrer,und so muss der alte Friedrich Hölderlinunten an der Eberhardsbrücke miteinem müden Winken zufrieden sein. Beruflichbetrachtet ist Tübingen die letzteStation <strong>Hesses</strong> vor dem Schritt in dieschriftstellerische Selbstständigkeit. Inder Heckenhauer‘schen Buchhandlungam Holzmarkt absolviert <strong>Hermann</strong> eineBuchhändlerlehre, arbeitet anschließendzwei Jahre lang in einem Basler Antiquariatund heiratet nach dem Tod der Mutterseine erste Frau Maria Bernoulli, mit derer drei Kinder hat.Die Karte im Tankrucksack zeigt denUnteren Bodensee, und zwei Stunden späterist Gaienhofen erreicht. Zwischengasbeim Schalten gilt hier bereits als Ruhestörung,und wenn jemand vom lautenSeeufer zwischen Überlingen und Lindaudie Nase voll hat, so sei ihm der »Höri«empfohlen. Schweizerischer geht es inDeutschland nimmer; hier reifen Käse undErdbeeren, Gemüse und Obst auf der InselReichenau und betuchte Touristen in dennoblen Landgasthöfen am Seeufer. In<strong>Hesses</strong> Untersee-Betrachtungen ist nachzulesen:»Ich finde heute noch wie vorJahren unsern Untersee schöner als irgendeinen anderen Teil des Bodensees, und besondersunser badisches Ufer, der Höri,wo kilometerweit fast ohne jede künstlicheUnterbrechung das stille, flache Uferunzerstört wie in Urzeiten mit Schilf undGebüsch […] sich erstreckt.« Grenzerfahrungenfür Geist und Seele, damals wieheute – ansatzweise zumindest…»Liebe Besucher, wie Sie sehen, fehltdieser Tür die Klinke, damit Sie nicht einfachin den Garten treten.« SeltsameBegrüßung! Wir stehen vor dem von<strong>Hermann</strong> Hesse 1907 gebauten <strong>Haus</strong>»Am Erlenloh«, welches heute zwar privatvermietet ist, doch von Hesse-FansReisebegleiter H. Hesse»Wanderung«, Insel-Verlag; 3./1995,ISBN 978-3458340546, Preis 10,00 Euro»Farbe ist Leben«, Insel-Verlag;8./1997, ISBN 978-3458335108, Preis10,00 Euro»Tessin: Betrachtungen, Gedichteund Aquarelle des Autors «, Insel-Verlag;8./1993, ISBN 978-3458331940,Preis 15,00 Euro»Das erzählerische Werk: SämtlicheJugendschriften, Romane, Erzählungen,Märchen und Gedichte«,Suhrkamp-Verlag; 1./2012, ISBN 978-3518062128, Preis 128,00 Euro (enthältu. a. die Romane: »Unterm Rad«,»Steppenwolf«, »Narziß und Goldmund«,»Peter Camenzind«,»Siddhartha«, »Das Glasperlenspiel«und seine bekannten Erzählungen wiez. B. »Klingsors letzter Sommer«.DVD » <strong>Hermann</strong> Hesse – Ein langerSommer« (52 Minuten), im MuseumMontagnola erhältlich, Preis 38 CHFDVD »Die Heimkehr«, 2012, Preis9,10 Euro (Amazon)20 TOURENFAHRER 8/20128/2012 TOURENFAHRER 21


Kurvenkratzen am MonteBré – Blick auf Lago, Luganound Monte San Salvatore.Camping Brunnen am Vierwaldstättersee– der Tag fängt gut an.CampingplätzeRegenbogen-Camp Bad Liebenzell,Pforzheimer Str. 34, 75378 Bad Liebenzell,badliebenzell@regenbogencamp.de,Tel. 07052/934060Neckarcamping Tübingen, Rappenberghalde61, 72070 Tübingen, Tel.07071/43145, mail@tuebingen-info.de,www.neckarcamping.deCampingplatz Horn, Strandweg 3-18, 78343 Gaienhofen, campingdorf.horn@t-online.de, Tel. 07735/685Camping Hopfreben, CH-6440 Brunnen,Schweiz, www.camping-brunnen.ch,Tel. 041/8201873Camping Darna, Via Osteno, 50,22018 Porlezza, Italien, campingdarna@hotmail.it, www.campingdarna.com,Tel. 0039/0344/61597offensichtlich regelmäßig als Wallfahrt -stätte heimgesucht wird. Nach höflicherBitte dürfen wir auf den Auslöser drückenund sogar noch einen Blick in den Gartenwerfen. Hesse und die Natur – da entstehteine Freundschaft, die ihn bis zu seinemLebensende begleiten und inspirierenwird. »Land war überall billig zu kaufen,ich glaube, der Quadratmeter kostete etwazwei oder drei Groschen. So haben wir unsin unserem vierten Bodenseejahr einGrundstück gekauft und ein hübsches<strong>Haus</strong> darauf gebaut. […] Beinahe wichtigerals das <strong>Haus</strong> wurde mir der Garten. Eineneigenen Garten hatte ich noch nie gehabtund […] es ergab sich von selbst, dassich ihn selber anlegen, bepflanzen undpflegen musste.« Die äußerliche Veränderungzeigt Wirkung in die Tiefe. <strong>Hermann</strong>verändert sich ebenfalls, kommt zum ers -ten Mal in seinem Leben zur Ruhe, richtetsich als Familienvater häuslich ein, wirdsesshaft. Die Idylle währt bis zum Jahre1912, dann gewinnt die innere Unruhe inseiner Vagabundenseele wieder die Oberhand.Hesse beginnt erneut zu reisen, verlässtimmer häufiger Heim und Familie,flieht gar nach Indien, um sich ein Stückweit näher zu kommen. »Aber seit dieWälder wieder rot und der See im Herbststurmblitzt und laubgrün und meerblauwird, seit die Ofenbehaglichkeit anfingund ich meine Ruder vom Strand geholt[…], befällt mich öfters Zorn über diesbequeme Hinleben.« (aus: Im Philisterland,1917) Nach acht Gaienhofener Jahrengibt die Familie ihren Wohnsitz amBodensee auf und zieht nach Bern. DerSteppenwolf in Hesse ist wieder erwacht!Wir lassen ihn ziehen, statten dem Höri-Museum und dem ersten Wohnhaus <strong>Hesses</strong>in Gaienhofen einen Besuch ab undgenießen noch eine Regennacht auf demfamilienfreundlichen Zeltplatz bei Horn.Ist es wirklich Zufall, dass wir dem Gekrähelinks und rechts vom Zelt schonam nächsten Morgen entfliehen wollen?Rastlosigkeit scheint nur eine der Parallelenzwischen <strong>Hermann</strong> Hesse und heutigenTourenfahrern zu sein…Bei Stein am Rhein machen wir überdie Grenze und müssen auf den folgendenLandstraßenkilometern den 5. und 6.Gang stilllegen. Gaaanz langsam klappenwir in der Innenstadt den Seitenständerraus, um die geballte Rentner-Radl-Versammlung ja nicht zu verunsichern.Nein, eine GS hat keine Pedale. Doch, wirdürfen genau hier parken… Die prächtigenFassadenmalereien am Rathaus undan den Bürgerhäusern der Unterstadt sindtrotz des einsetzenden Nieselregens eineAugenweide und faszinieren uns einegute Stunde lang. Dann springen zweiSteppenwölfe auf die Sitzbank, und wirkommen endlich mal wieder zum zweitwichtigstenAnlass dieser Reise: Motorradfahren, durch fremde Landschaftenfahren, ein zeitlich befristetes Vagabundenleben(er)fahren. Mehr geht nicht,lieber <strong>Hermann</strong>, die Zeiten haben sich geändert,und aussteigen will heute jederZweite. Schüchterne Sonnenflecken undeine schöne Schweiz auf dem Weg nachFrauenfeld. Verkehrsgeschrammel umWinterthur herum und dann wieder pureErholung bis hinab nach Rapperswil imKanton St. Gallen, wo bunte Rosen blühenund die Türme eines mächtigen Schlossesdie Altstadt dominieren. Ein Seedammteilt den Zürcher See und trägt die Endurossicher hinüber in den Kanton Schwyz.Auf einem schmalen Asphaltband surfendie GS zu der viel besuchten BenediktinerabteiEinsiedeln hinüber, und erneutmüssen die Bikes den Auspuff halten. Tja,da kann die dicke Bayerin nur staunen:Wenn Gottesfürsten klotzen, dann sehenbarocke Klöster aus wie Herrenschlösser,und alle Franziskaner dieser Welt bekommenden Mund nicht mehr zu. Aber wasreg’ ich mich auf?! Die Paläste der Bankenunserer Tage sind keineswegs bescheidener;nur hat der Gott, dem man huldigt, einenanderen Namen…Die enge Passstraße über Oberibergund Ibergeregg beendet würdig diesenschönen Tourentag. Mit dem letztenBüchsenlicht brummeln die BMWs durch»Ich mag diese Fahrt wohl mehrals hundertmal gemacht haben undkann sie immer noch genießen«(Rückkehr aufs Land, 1927)Brunnen und finden den Weg hinaus zumCampingplatz Hopfreben, direkt an derNahtstelle zwischen dem Vierwaldstätterseeund dem Urner See. Wir haben diebaumbestandene Campingwiese fast füruns allein, genießen die milde Abendstimmungam Seeufer und den Blick auf dieschneebedeckten Dreitausender, die sichhinter dem Urner See am Horizont auftürmen.René und Anita Mettler haben dieKüche bestens im Griff, und so kriechenwir nach zünftigem Leberkäs‘ und leckeremBierchen todmüde in unsere Schlafsäcke.In der Nacht zuckt Michaela mit derrechten Hand. Sicherlich fährt sie imTraum schon mal die Kehren zum geradegeöffneten St. Gotthard-Pass empor…Es gibt Tage, da küsst dich der Himmel.Und um sechs Uhr morgens hat man denSee noch für sich. Aus fahlem Licht wachsenallmählich Farben, und immer schärferwerden die Konturen der Berge, dieden Urner See beschützend betten undumarmen. Zwei Stunden später ändert sichdie Stimmung gründlich. Schon am frühenVormittag summt die Axenstraße, undder alte Wilhelm Tell hat nicht übel Lust,in suizidaler Absicht von seiner Platte amUfer des Urner Sees zu springen. Bike anBike, 4-Wheel an 4-Wheel, Cabrio an Cabrio.Alle wollen heute über den Pass undnicht durch den Tunnel. Es gibt Erfahrun-Stationen der TourDie Hesse-Tour berührt einige derschönsten Landschaften Süddeutschlands,der Schweiz und Norditaliensund ist vornehmlich im Frühjahr einHochgenuss. Bereits die Anreise zurersten Station Maulbronn führt kurvenreichdurch die Weindörfer des württembergischenNaturparks Stromberg-Heuchelberg. Die mäandernde Nagoldnimmt ab Pforzheim den Rhythmus derReise auf und führt bis in die <strong>Hermann</strong>-Hesse-Geburtstadt Calw. Quer durchdas Hecken- und Schlehengäu geht esnun nach Tübingen. Ab Mössingen genießtman den rauen Charme derSchwäbischen Alb und rollt mit der Ankunftin Sigmaringen durch das malerischeFelsenparadies des Donautals.Ab Stockach verwöhnt den Reisendendie Milde des Bodensees. Am »Bodanrück«und auf der »Höri« am Unterseereifen Frühjahrskirschen und Erdbeerensowie vielerlei Obst und Gemüse(Insel Reichenau).Mit Stein am Rhein führt die Tourquer durch eine Schweizer Puppenstube.Bei Rapperswil tourt man erneut amWasser, denn die Route überquert denZürcher See und entführt anschließendin die Bergwelt der Schwyzer Voralpen.Eine Vorfreude auf den Süden bietenVierwaldstätter- und Urner See mit demwunderschön gelegenen Ort Brunnen.Hochalpin wird es mit der Auffahrtzum 2318 m hohen Gotthard-Pass. Feier-und Wochenendtage sollte manmeiden auf der kurvenreichen Bergroute.Bei der Abfahrt ins Valle Leventinableibt man stur auf der Landstraße,die den Fluss Ticino, Namensgeber desTessin, begleitet. Der Lohn sind nochweitgehend intakte Leventina-Dorfperlenwie Airolo, Quinto, Giornico undBiasca. Ab Bellinzona führt der Wegdirekt ins mediterran anmutende Paradiesder oberitalienischen Seen. Mit<strong>Hermann</strong> Hesse lernt man den LuganerSee und den nördlichen Teil des LagoMaggiore um Ascona herum kennen.22 TOURENFAHRER 8/20128/2012 TOURENFAHRER 23


gen, die brauch‘ ich nicht unbedingt, undeine Massenausfahrt zum Gotthard an einemFeiertag gehört dazu. Zwischen denKurven und Kehren herrschen die Verkehrsdichtevom Münchner Stachus unddie Soundkulisse der Nürburgring-Nordschleife.Oben auf der Passhöhe wirdposiert und poussiert, dann geht’s wiederhinab von steiler Höh‘, und die Hatz amBerg beginnt von Neuem. Bei diesem Zeitvertreibmüssen wir uns um kommendeStre ckensperrungen garantiert keine Sorgenmachen. Tagesausflügler und Möchtegern-Rennfahrermachen die Alpen zurSpielwiese, und da pfeifen selbst die neugierigenMurmeltiere schon lange nichtmehr Beifall. Die Betreiber der Großglocknerstraßemachen’s vor: Künftigwird verstärkt Eintritt in den »NationalparkAlpen« gezahlt werden müssen, unddas Ticket berechtigt dann für eine (!)Durchfahrt, aber nicht für das Bergrennenmit dem Club. Selber schuld, möchte manmeinen, doch unter dem Helm habenschließlich nicht nur die Haare Platz…Das Drumherum ist wunderschön: Esliegt noch kräftig Schnee in den Bergen,und zusammen mit einem stahlblauenHimmel leuchten die Gipfel fast monochrom.Die alte Passstraße ist wegenSchneeverwehungen noch immer gesperrt,aber auch das neue Asphaltbandführt zum Ausblickspunkt auf der Pass -höhe und lässt die Augen übergehen. Weitschweift der Blick über die weiße Weltder Alpi Lepontine, und in der Nase spürtman schon einen leichten Hauch des Südens.<strong>Hinter</strong> den Gipfeln warten der LagoMaggiore, der Luganer See, der Lago diComo und – <strong>Hermann</strong> Hesse. In seinerProsaskizze »Rückkehr aufs Land« notierter: »Es war hübsch, wieder durch denGotthard zu fahren – ich mag diese Fahrt»Die Überbevölkerung der Erdehat mir seit langem nicht mehr soübel entgegengeschrien wie hier«(H. Hesse, 1928)wohl mehr als hundertmal gemacht habenund kann sie immer noch genießen. Eswar sehr hübsch, es in Göschenen nocheinmal tüchtig schneien zu sehen, in Airolovom Schnee Abschied zu nehmen,in Faido die ersten Wiesenblumen, vorGiornico die ersten blühenden Aprikosenbäumeund Birnbäume zu erblicken.«Wir haben verstanden, legen den letztenGang ein, lassen es rollen und gleiten inden Tessiner Frühling.Der Ticino ist ein guter Weggefährteund lotst uns auf der Nebenstrecke überBiasca nach Bellinzona. Erst kurz nachdemdie Türme und Mauern des mächtigenCastello Grande im Rückspiegel kleinerwerden, setzen wir den Blinker undverlassen den munter purzelnden Fluss. Erhat ein »Appuntamento« mit seiner FreundinMaggiore, wir dagegen wollen amNachmittag noch über den Monte Cénerikurven und sind mit Freund <strong>Hermann</strong> fürden folgenden Tag in Montagnola aufden Collina d’Oro, den goldenen Sonnenhügelnsüdlich von Lugano, verabredet.Die »heimliche Hauptstadt« des Tessin istvor einigen Jahren wieder aus ihrem Dornröschenschlaferwacht und lädt mit Palmen,bunter Seepromenade und südlichemFlair die Betuchteren unter uns zum»dolce far niente« ein, zum süßen Nichtstun.Völlig überarbeitete Sonnenbrillen-Casanovas flanieren in Ferraris und Ma-BiografischeHighlights der TourCalw: <strong>Hesses</strong> Geburts- und Schulstadtist Schauplatz in vielen seinerWerke, wie »Unterm Rad« oder »UnterbrocheneSchulstunde«.Maulbronn: Das ZisterzienserklosterMaulbronn gehört zum UNESCO-Weltkulturerbeund war einst Sitz des theologischenSeminars, in welches <strong>Hesses</strong>Eltern ihren Sohn schickten.Hirsau: Die Ruinen des BenediktinerklostersHirsau waren oft Ziel fürAusflüge der Familie Hesse.Tübingen: Als Lehrling in der Heckenhauer’schenBuchhandlung am Holzmarkterlernte Hesse den Beruf desBibliothekars. Erste Gedichte werdenin Tübingen veröffentlicht.Gaienhofen: <strong>Hesses</strong> erste feste undlangjährige Bleibe. Hier baut er ein<strong>Haus</strong> und gründet eine Familie. »Diesseits«,»Nachbarn« und der Roman»Gertrud« erscheinen.Bern: Hesse arbeitet beim Hilfsdienstfür die Kriegsgefangenenfürsorgeund wird nach pazifistischenArtikeln als „vaterlandsloser Geselle“diffamiert. Der Roman „Roßhalde“ erscheint.Sankt Gotthard: Die meisten Italienreisendes Dichters führen über denGotthard-Pass ins Valle Leventino.Lugano: Ziel zahlreicher Ausfügedes Dichters. Beliebtes Motiv etlicherAquarelle des Malers <strong>Hermann</strong> Hesse.Ascona: Der Monte Verità war mehrfachZiel <strong>Hermann</strong> <strong>Hesses</strong>. Hier erprobtenAussteiger aus aller Welt alternative,naturverbundene Lebensformen.1907 unterzog sich Hesse aufdem Monte einer Alkoholentgiftung.Montagnola: <strong>Hesses</strong> dritte Heimat.Ein Mäzen sponsort den Bau seineszweiten <strong>Haus</strong>es. Es entstehen seinewichtigsten Werke »Klingsors letzterSommer«, »Siddhartha«, »Steppenwolf«,»Narziß und Goldmund« und»Das Glasperlenspiel«.seratis am Seeufer entlang oder demons -trieren in den gut besetzten Cafés, dass eszu einer geregelten Tagesbeschäftigungdurchaus Alternativen gibt. Das hat Tradition,stöhnt <strong>Hermann</strong> Hesse doch bereits1928: »Die Ankunft in Lugano war allerdingsnicht entzückend. Die Überbevölkerungder Erde hat mir seit langem nichtmehr so übel entgegengeschrien wie hier,wo […] sich die Fremden zusammenscharenwie die Heuschrecken.« Auf der italienischenSeite des Luganer Sees geht esbeschaulicher und bezahlbarer zu, und wirfinden einen romantisch am Seeufer gelegenenCampingplatz bei Porlezza.Offensichtlich haben wir unsere Spaghettinicht aufgegessen, jedenfalls ziehenüber Nacht ausgedehnte Wolkenbänderübers Tessin und entladen zwei Tage langihre Fracht. <strong>Hermann</strong> hat Verständnis, verspricht,in Montagnola zu warten, undtelegrafiert mitfühlend zurück: »Es willanfangen zu regnen, überm See hängt grauund ängstlich die schlaffe Luft. […] O wieschäbig und hämisch die Wolken an denBergen hängen! Wie falsch und blechernspiegelt das fade Licht im See! Wie dummund trostlos ist alles, was mir in den Sinnkommt!« (aus: Wanderung, 1920) Dochder Morgen des dritten Seetages kommteiner Götterdämmerung gleich. Wir lassendas Zelt am Ufer stehen, laden Tagesgepäckund betrachten auf dem »Monte laSighignola« <strong>Hesses</strong> Paradies von oben:das Häusermeer von Lugano, den steilen<strong>Haus</strong>berg Monte Bré gleich daneben, diebewaldeten Hänge der Halbinsel Ceresio,den Seedamm zwischen Bissone undMelide, die tief ins Land greifenden Armedes Sees und wundersam abrundend dieschneebedeckten Kuppen des TessinerHochgebirges am Horizont. Ein »Lug‘ insLand«, der uns dermaßen fesselt, dass wiram folgenden Tag erneut die Morgensonnenutzen, um diesmal vom Monte Bré ausder Welt entrückt zu sein. »Gottes Atemhin und wider,/Himmel oben, Himmel unten,/Lichtsingt tausendfache Lieder,/Gottwird Welt im farbig Bunten.« (aus: Wanderung,1920) Immer häufiger greift Hessein Montagnola zum Pinsel, erlebt dieSommer in euphorischer Stimmung, kanngar nicht genug bekommen von einemLeben ohne bürgerliche Zwänge. In derErzählung »Klingsors letzter Sommer«(1919) lässt <strong>Hermann</strong> sein Alter Egoschwärmen, er habe seine Lebenskerze»an beiden Enden brennen gehabt, miteinem bald jubelnden, bald schluchzendenGefühl von rasender Verschwendung,Sant' Abbondio – <strong>Hermann</strong>s letzte Ruhe.Auf dem Friedhof gegenüber befindetsich <strong>Hesses</strong> Grab.<strong>Hinter</strong> dem Gotthard beginnt der Süden(links unten).Reiseführer & Literatur»Oberitalienische Seen«, VerlagMairdumont, Ostfildern: 1./2008, ISBN978-3829705097, Preis 9,95 Euro»Dumont Bildatlas Tessin«, Mairdumont,Ostfildern; 1./2010, ISBN 978-3770192519, Preis 8,50 Euro»Merian Tessin«, Travel House MediaGmbH 2009, ISBN 978-3834209078,Preis 7,95 EuroAlois Prinz und Doro Göbel: »Und jedemAnfang wohnt ein Zauber inne«,Beltz & Gelberg; 1./2009, ISBN 978-3407741141, Preis 8,95 EuroRegina Bucher: »Mit <strong>Hermann</strong>Hesse durchs Tessin«, Insel-Verlag;1./2010, ISBN 978-3458353096, Preis12,00 EuroVolker Michels: »Mit <strong>Hermann</strong> Hessedurch Italien«, Insel-Verlag; 6./1988,ISBN 978-3458328209, Preis 10 Euro24 TOURENFAHRER 8/20128/2012 TOURENFAHRER 25


StraßenkartenMotorrad-Atlas Alpenländer,Hallwag, 1 : 300.000, ISBN978-3-8283-0649-3; 38,50 Euro(in Zusammenarbeit mit demTOURENFAHRER, wasserfes -te und beschreibbare Kartenausschnitteim Tankrucksackformat)»Meine Ferienkarte Tessin«,Hallwag, 1 : 120.000, ISBN3828304672 (mit Sehenswürdigkeiten,Reise-Infos, Indexund Panoramakarte)von Verbrennen, mit einer verzweifeltenGier, den Becherganz zu leeren, und mit einertiefen, verheimlichten Angstvor dem Ende.« Die suchendeSeele soll Hesse begleiten bis inden Tod…Am späten Nachmittag klopfenwir an die Pforte des Hesse-Museums in Montagnola. Wirhaben dem Dichter auf demFriedhof von Sant‘ Abbondiodie Reverenz erwiesen undstehen nun in seinem Arbeits-Am Lago di Lugano –ein See wie gemalt.Gute 600 km sind es von Maulbronnbis ins Tessin. 300 kmmuss man für Abstecher zu LuganerSee und Ascona rechnen.zimmer in der Casa Camuzzivor der alten Schreibmaschine,auf der jene Erzählungen undRomane geschrieben wurden,welche die Gefühle und Gedankenganzer Generationen suchenderMenschen widerspiegeln.<strong>Hermann</strong> <strong>Hesses</strong> Reiseendet in Montagnola, wo er dasLicht und die Farben seineswahren Lebens entdeckt, sichmit der »Casa rossa« ein dauerhaftesZuhause baut, mit NinonDolbin eine beharrliche und leidensbereiteLebensgefährtinfindet, in seinem pazifistischenWiderstand den Kriegstreiberndes Dritten Reiches die Stirnbietet und geächteten Schriftstellerneine neue Heimat zumLeben und Arbeiten gibt. Wirverbeugen uns tief vor demkleinen Mann mit dem Hut,dessen Todestag sich heueram 9. August zum 50. Malejährt. Das Schlusswort hatThomas Mann, der über seinenFreund einst sagte: »Ich habeihn früh als den mir Nächstenund Liebsten erwählt.« --50 kmKarlsruhePforzheimBad LiebenzellCalwHerrenbergGaienhofenSteinam RheinWinterthurZürichEinsiedelnMaulbronnSigmaringenBeuronFridingenNeuhausenob EckStockachRadolfzellBodenseeFrauenfeldPfäffikonWetzikonRapperswilLuzernSchwyzBrunnenAltdorfErstfeldAmstegSt. Gotthard-Pass2108 mAiroloPratoGiornicoBiascaAsconaBellinzonaLagoPorlezzaMaggioreMontagnolaComerLugano SeeStuttgartTübingenTrochtelfingenSCHWEIZSchwäbisch HallMainhardtBesigheimITALIENReubachDEUTSCHLANDÖSTERREICH26 TOURENFAHRER 8/2012

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!