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Die Spieluhr (PDF-Download: 90,0 KB) - WDR 3

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Mosaik / PassagenSendedatum: 31.10.2013Titel: Ulrich Tukur „<strong>Spieluhr</strong>“Rezensentin: Christel WesterRedaktion: Eva KüllmerUlrich Tukur: <strong>Die</strong> <strong>Spieluhr</strong>. Eine Novelle.Ungekürzte Autorenlesung.Hörbuch Hamburg3 CDsBuch:Ulrich Tukur: <strong>Die</strong> <strong>Spieluhr</strong>. Eine Novelle.Ullstein Verlag, 151 Seiten, 18 Euro.Anmoderation:„Ulrich Tukur gehört zu den vielseitigsten und begabtesten deutschenSchauspielern unserer Zeit. Er hat nicht nur auf der Theaterbühne, in FernsehoderKinoproduktionen bewiesen, dass man wunderbar mit der deutschenSprache spielen kann, er überzeugt auch als virtuoser Musiker und Autor“: Sohieß es in der Begründung der Jury für den Jacob-Grimm-Preis DeutscheSprache, der Ulrich Tukur am 19. Oktober in Kassel verliehen wurde. DemAutor und Rezitator gilt nun unsere Hörbuchrezension, denn Ulrich Tukur hateine Novelle geschrieben, die gerade als Buch und in einer ungekürztenAutorenlesung als Hörbuch erschienen ist. Nicht zum ersten Mal hat sich Tukuran eine literarische Arbeit gewagt. Vor fünf Jahren hat er bereits sein Debüt alsSchriftsteller gegeben. Der Erzählungsband „<strong>Die</strong> Seerose im Speisesaal“versammelte Geschichten aus seiner Wahlheimat Venedig, wo er seit gut zwölfJahren lebt. In seiner neuen Novelle „<strong>Die</strong> <strong>Spieluhr</strong>“ knüpft an eine seinerKinorollen an. <strong>Die</strong> Geschichte entwickelt sich jedoch zu einem raffiniertenGeflecht aus Film und Historie, in dem Kunst und Realität, Fantasie undWirklichkeit ununterscheidbar ineinander verschwimmen. Christel Wester stelltUlrich Tukurs Novelle vor.© Westdeutscher Rundfunk Köln 2013<strong>Die</strong>ses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt,noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglichgemacht ) werden.1


Mosaik / PassagenSendedatum: 31.10.2013Titel: Ulrich Tukur „<strong>Spieluhr</strong>“Beitrag:Ulrich TukurIch bin Schauspieler, und um eine solche Geschichte zu erzählen, die diesonderbare Beziehung zweier durch alle Raster der Gesellschaft gefallenerMenschen zum Gegenstand hatte, war ich auf Einladung einer PariserFilmfirma vor einiger Zeit nach Frankreich gefahren und hatte in einem kleinenDorf bei Meaux Quartier bezogen.Zu Beginn von Ulrich Tukurs Novelle „<strong>Die</strong> <strong>Spieluhr</strong>“ glaubt man, derSchauspieler wolle von den Dreharbeiten eines seiner Filme berichten und eineautobiografische Geschichte erzählen. Doch bereits nach wenigen Minutenmacht der Autor einen Zeitsprung ins vergangene Jahrhundert und in eineandere Geschichte hinein.Ulrich TukurAn einem jener heiteren, friedvollen Sommertage vor dem großen Sturm, derdas alte Europa für immer hinwegfegte, spazierte ein elegant gekleideter Herrnicht weit von jener Stelle das grüne Ufer der Marne entlang.Ein Sommertag am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Der elegant gekleideteHerr heißt Wilhelm Uhde und war ein großer Kunstliebhaber und –händler, denes aus dem wilhelminischen Kaiserreich ins republikanische Paris gezogenhatte.Ulrich TukurEr, der die Männer den Frauen vorzog (in jenen Jahren nichts weniger als einVerbrechen), war entflammt für die moderne Kunst seiner Zeit, für alldiejenigen, die neue, überraschende Wege gingen, die Naiven, denen er denhübschen Namen „Maler des Heiligen Herzens“ gab.© Westdeutscher Rundfunk Köln 2013<strong>Die</strong>ses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt,noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglichgemacht ) werden.2


Mosaik / PassagenSendedatum: 31.10.2013Titel: Ulrich Tukur „<strong>Spieluhr</strong>“Wilhelm Uhde ist eine historische Gestalt, die Ulrich Tukur im Jahr 2008 in demKinofilm „Séraphine“ verkörperte. Der Film erzählt die Geschichte einereinfachen, tiefgläubigen Frau, die sich als Medium der Heiligen Jungfrau begriffund mit selbst angerührten Farben faszinierende Bilder schuf. <strong>Die</strong>se naiveMalerin hat heute, dank Wilhelm Uhde, einen festen Platz in derKunstgeschichte. <strong>Die</strong> Lebenswege der beiden jedoch verliefen tragisch. <strong>Die</strong>Geschichte von Wilhelm und Séraphine skizziert Tukur in seiner Novelle wie ineinem Zeitraffer. Er stellt vor allem eins in den Mittelpunkt: das Faszinosum derKunst.Ulrich TukurDas kleine Bild zeigte, was es nicht zeigte. Und genau das schien ihm dasWesen jedes wahren Kunstwerks, dass sich nicht alles, der Tiefe entbehrend,an der Oberfläche zusammendrängte, dass die innere Welt, die diesenAusdruck hervorgebracht hatte, im Unsichtbaren vorhanden blieb, ja ihrenweitaus größten Teil ausmachte.<strong>Die</strong>se Passage kann man als Ulrich Tukurs poetisches Credo auffassen, wennman den weiteren Fortgang seiner Novelle verfolgt. Denn er beschwört daringeradezu jenes Unsichtbare, das dem Kunstwerk innewohnt. Bei ihm besitzendie Bilder ein vitales Eigenleben, das eine regelrecht unheimliche sogartigeWirkung ausübt. <strong>Die</strong> Betrachter werden von ihnen aufgesogen und in eineZeitmaschine katapultiert.Ulrich Tukur<strong>Die</strong> Schatten im hinteren Teil des Saales waren undurchdringlich, dasGemälde, die Möbel und die Spiegel verschwunden. Mir schien, als habe derSaal keine Wände mehr und dehne sich ins Unendliche. Dort hinten, nur einpaar Meter entfernt, begann ein schwarzer Raum, der alles verschluckenwürde, was ihm zu nahe kam. Plötzlich leuchtete das Bild auf. Eine Sekundenur. Wie eine Sternschnuppe. Sofort erlosch es wieder. <strong>Die</strong> <strong>Spieluhr</strong> auf der© Westdeutscher Rundfunk Köln 2013<strong>Die</strong>ses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt,noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglichgemacht ) werden.3


Mosaik / PassagenSendedatum: 31.10.2013Titel: Ulrich Tukur „<strong>Spieluhr</strong>“Kommode stotterte. Ich lief ein paar Schritte in den Saal hinein und hatte aufeinmal das Gefühl, dass sich der Boden unter meinen Füßen auflöste. Es warnicht zu fassen, ich schwebte!Nicht nur saugen die Bilder ihre Betrachter in sich hinein, die Gemälde spuckenihr Personal auch aus und lassen es verführerisch musizieren. <strong>Die</strong>ausgestopften Tiere im Jagdzimmer werden plötzlich lebendig. Und die kleineTänzerin auf der <strong>Spieluhr</strong>, die der Novelle ihren Titel gab, lässt nicht nur demIch-Erzähler den Atem stocken.Ulrich Tukur<strong>Die</strong> kleine Tänzerin drehte sich auf ihrer Scheibe, und als ich sie im Lichte desKaminfeuers näher betrachtete, sah ich plötzlich zu meinem Schrecken, dasssie ein lebendiges Wesen war, eine winzig kleine Frau, nicht aus Porzellan,sondern aus Fleisch und Blut.Ulrich Tukurs Novelle „<strong>Die</strong> <strong>Spieluhr</strong>“ steht in der Tradition der Schauerromantik,E. T. A. Hoffmann oder Ludwig Tieck könnten ihm die Feder geführt haben.Doch Tukur schreibt nicht epigonal. Mit einem ausgeprägten Gespür fürSpannung erzählt er eine dramaturgisch raffinierte Geschichte, die aufgebaut istwie eine russische Matroschka-Puppe: In jeder Geschichte steckt eine neueGeschichte, aber alle sind mit einander verknüpft. <strong>Die</strong> Rahmenhandlung bildendie Dreharbeiten zu dem Film „Séraphine“ über die naive Malerin und ihrenEntdecker Wilhelm Uhde. Bei der Suche nach einem geeigneten Drehort gerätder Regieassistent in ein verwunschenes Schloss, wo er einer geheimnisvollenFrau auf einem Gemälde verfällt.© Westdeutscher Rundfunk Köln 2013<strong>Die</strong>ses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt,noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglichgemacht ) werden.4


Mosaik / PassagenSendedatum: 31.10.2013Titel: Ulrich Tukur „<strong>Spieluhr</strong>“Ulrich TukurSie war von einer solchen Schönheit, dass sie fast den Rahmen sprengte undich schon in dieser ersten Sekunde, als ich sie sah, meinen Verstand verlor.Ulrich Tukur jagt seinen Zuhörern und auch seinen Lesern nach allen Regelnder Kunst die Gänsehautschauer über den Rücken. Er ist nicht nur alsRezitator, sondern auch als Autor ein Virtuose. Seine Sprache ist ebensoartistisch ausgefeilt wie die Dramaturgie seiner Erzählung. <strong>Die</strong> Geschichte, dieer erzählt, enthält jedoch sehr viel mehr als ein Schauermärchen. <strong>Die</strong>s ist eineGeschichte über die psychedelische Wirkung, die Kunst haben kann. Es istauch eine Geschichte über Wahnsinn und Depression. Und es ist nicht zuletzteine Geschichte über die Einfühlungsgabe des Schauspielers, die ihn immerwieder aufs Neue in unbekannte und emotional aufreibende Welten führt.© Westdeutscher Rundfunk Köln 2013<strong>Die</strong>ses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt,noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglichgemacht ) werden.5

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