13.07.2015 Aufrufe

Welchen Einfluss haben Sprachen auf unser Denken? - FAFNER

Welchen Einfluss haben Sprachen auf unser Denken? - FAFNER

Welchen Einfluss haben Sprachen auf unser Denken? - FAFNER

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong><strong>Denken</strong>?Prof. Dr. Bernd Ulmann3. August 20131/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Eine andere Sichtweise1. EinleitungNachdem sich nun der Philosoph der Frage gewidmet hat, welchenEinfluß mehr oder weniger natürliche <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong><strong>haben</strong>, wird in diesem zweiten Teil das Thema aus einer anderenPerspektive betrachtet.Was ist Sprache? Zwei von vielen, vielen Definitionsversuchen: 1Unter Sprache versteht man die Menge, die als”Elemente alle komplexen Systeme der Kommunikationbeinhaltet.“Das heisst was? :-)” <strong>Sprachen</strong> sind die Systeme von Einheiten und’Regeln, die den Mitgliedern von Sprachgemeinschaftenals Mittel der Verständigung dienen‘.“1 Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Sprache, Stand 09.03.20132/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Anforderungen1. EinleitungWelche Eigenschaften müssen (brauchbare) <strong>Sprachen</strong> erfüllen?Keine ”Privatsprache“ (siehe [Wittgenstein 1945]): Einesolche Sprache kann nur von dem sie definierenden Individdumverstanden werden.Wohldefiniertheit“ von Begriffen (bei natürlichen <strong>Sprachen</strong>”ist das stark eingeschränkt – was verbirgt sich beispielsweisehinter einem alltäglich verwendeten Begriff wie dem” Bewusstsein“?)” Vollständigkeit“ bzw. Mächtigkeit“: Die Sprache muss in”der Lage sein, auch neue, unvorhergesehene Sachverhalteadäquat ausdrücken zu können.Idealerweise gibt es eine ”Kultur“ einer bestimmten Sprache,d.h. Literatur, Poesie etc.3/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Sprachklassen1. EinleitungWelche Sprachklassen lassen sich unterscheiden?Natürliche <strong>Sprachen</strong>: <strong>Sprachen</strong> dieser Klasse sind das Ergebniseiner (langen) historischen Entwicklung, die nichtgesteuert bzw. zweckgerichtet verlief.Konstruierte <strong>Sprachen</strong>: Solche <strong>Sprachen</strong> wurden explizit fürbestimmte Einsatzzwecke entwickelt (z.B. ”TokiPona“).Formale <strong>Sprachen</strong>: Diese sind eine Untermenge der konstruierten<strong>Sprachen</strong> und gehen aus sogenannten formalenGrammatiken hervor – ein typisches Beispiel hierfürsind Programmiersprachen.4/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Sprachklassen1. EinleitungNatürliche <strong>Sprachen</strong> werden im Folgenden aus einer Reihe vonGründen nicht betrachtet:Der erste Teil des Vortrages beschäftigte sich schon damit.Da natürliche <strong>Sprachen</strong> nicht für bestimmte Zweckeentwickelt wurden, sondern sich in der Regel in großenPersonengruppen entwickelt <strong>haben</strong>, handelt es sich umAllzwecksprachen ohne grosse Vor- und Nachteile, die manbetrachten könnte. (Selbst die liebgewonnene Behauptung,Inuit verfügten über mehr als 60 verschiedene Begriffe fürSchnee hat sich als falsch erwiesen. . . )Konstruierte und formale <strong>Sprachen</strong> sind viel interessanter alsnatürliche. :-)5/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Sprachklassen1. EinleitungDa die Auswirkungen, welche natürliche <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> das <strong>Denken</strong>und Problemlösen besitzen, nur schwer untersucht werden können,widmen sich die folgenden Abschnitte künstlichen <strong>Sprachen</strong>, wasunter anderem folgende Vorteile mit sich bringt:Da sich Kunstsprachen oft in kurzen Zeiträumen entwickelten,können z.B. vorher-nachher-Untersuchungen durchgeführtwerden.Es können eigene Kunstsprachen entwickelt werden, um zuuntersuchen, welche Eigenschaften eine Sprache für einbestimmtes Problemfeld vorzugsweise besitzen sollte.Es gibt eine schier unüberschaubare Vielzahl von praktischeingesetzten Kunstsprachen, so dass sich gut Vergleicheanstellen lassen.6/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Beispiel. . .1. EinleitungUnd nun ein Beispiel für eine der ersten und bis heute amweitesten verbreiteten Kunstsprachen überhaupt. . .7/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


2. Mathematische NotationMathematische Notation8/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Die erste konstruierte Sprache2. Mathematische NotationDie vermutlich erste konstruierte Sprache ist die mathematischeNotation.Natürliche <strong>Sprachen</strong> sind notorisch schlecht, wenn es darum geht,Dinge präzise, d.h. nicht zuletzt unmissverständlich zu formulieren,wie Edsger Wybe Dijkstra schön <strong>auf</strong> den Punkt brachte: 2So-called ‘natural language’ is wonderful for the”purposes it was created for, such as to be rude in, to telljokes, to cheat or to make love in (and Theorists ofLiterary Criticism can even be content-free in it), but it ishopelessly inadequate when we have to dealunambiguously with situations of great intricacy,situations which unavoidably arise in such activities aslegislation, arbitration, mathematics or programming.“2 Siehe [Dean 1995][Vorwort].9/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


<strong>Sprachen</strong> für Mathematik2. Mathematische NotationMit die frühesten bekannten Schriftstücke behandeln erstaunlichhäufig mathematische Probleme, was zeigt, wie wichtig schon vorJahrtausenden die Möglichkeit war, mathematischeFragestellungen, wenngleich zunächst sehr praxisbezogen, zuformulieren.Ein Beispiel hierfür ist folgende Aufgabe aus einem babylonischenKeilschrifttext: 3Länge mit 3 vervielfacht”Breite mit 2 verfielfachtaddiert quadratischFläche [der] Länge addiert und so 4,56,40“In heutiger Notation sähe diese Aufgabenstellung wie folgt aus:3 Siehe [Neugebauer 1969][S. 71].(3x + 2y) 2 + x 2 = 4, 56, 4010/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


<strong>Sprachen</strong> für Mathematik2. Mathematische NotationFaszinierend ist hierbei nicht zuletzt folgende Beobachtung vonNeugebauer: 4werden in den mathematischen Texten sumerische”ÜbrigensBildungen oft in grammatisch vollständig unkorrekter Weiseverwendet, was zeigt, daß sie wirklich nur noch reine Symbole fürBegriffe waren, deren ursprüngliche Ableitung aus einer anderengesprochenen Sprache vollständig ignoriert worden ist.“Diese im Entstehen begriffene Kunstsprache bedient sich als beider in diesem Kulturkreis etablierten natürlichen Sprache, wobeidiese <strong>auf</strong> das Wesentliche reduziert wird.4 Siehe [Neugebauer 1969][S. 69].11/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Mathematische Notation2. Mathematische NotationKurze Abschweifung:Diese ”fehlerhafte“ Verwendung bestimmter Wörter sowiegrammatikalische ”Fehler“, <strong>haben</strong> sich in der in der Mathematikverwendeten Kunstsprache übrigens bis heute gehalten.Beispielsweise wundert sich kein Mathematiker über Aussagen wiedie Folgenden:oderSei G Gruppe.“”Für irgendzwei Elemente x und y gelte. . .“”Nun aber wieder zurück in die Frühzeit. . .12/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


<strong>Sprachen</strong> für Mathematik2. Mathematische NotationOffensichtlich war es sehr mühsam, auch nur halbwegs komplexeProblemstellungen dergestalt zu beschreiben.Dies dürfte mithin ein Grund dafür gewesen sein, dass dieMathematik erst in den vergangenen wenigen Jahrhunderten zueinem wahren Höhenflug angesetzt hat, als nämlich eine zu großenTeilen standardisierte und anerkannte Notation vorhanden war, die<strong>auf</strong> die Beschreibung mathematischer Sachverhalte zugeschnittenentwickelt wurde.Mit verbesserter Notation konnten zunehmend komplexereProbleme beschrieben und auch gelöst werden, was wiederumErweiterungen der mathematischen Notation zur Folge hatte etc.13/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Das Gleichheitszeichen2. Mathematische NotationEinen wesentlichen Beitrag dazu leistete Robert Recorde 5 ,dem das Gleichheitszeichen zu verdanken ist: 6Die heute ungewohnten cossischen Zeichen bezeichnen hier dienullte, erste und zweite Potenz, so dass sich in heutigerSchreibweise Folgendes ergibt:34x 2 − 12x = 40x + 480 − 9x 25 Ca. 1510–15586 Siehe [Reich 2010][S. 79].14/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Mathematische Notation2. Mathematische NotationAus diesen Anfängen entwickelte sich eine der ersten und auchkomplexesten Kunstsprachen, die heute als mathematischeNotation in Gebrauch ist.Bereits einfache Operatoren wie ∑ ,ddt , ∫ etc. erweiterten nichtnur den Sprachumfang der mathematischen Notation, sondernermöglichten erst die Formulierung und letztlich auch Lösungzunehmend komplexerer Problemstellungen, ohne welche die unsheute umgebende Technik schlicht undenkbar wäre!15/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Mathematische Notation2. Mathematische NotationFaszinierend ist nicht zuletzt die Möglichkeit, mit Hilfemathematischer Notation und Umformungen, die jene ermöglicht,Aussagen über die dahinter liegende Mathematik zu erhalten.Das berühmteste Beispiel hierfür ist sicherlich der GödelscheUnvollständigkeitssatz. Zu dessen Beweis müssen Aussagen übermögliche mathematische Schlussfolgerungen mit den Mitteln ebenjener Mathematik (Logik) getroffen werden, was in entscheidenderWeise erst durch die Notation selbst möglich ist.Zum Abschluss dieses Abschnittes noch ein etwas komplexeresBeispiel (nicht abschrecken lassen! :-) ):16/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Heaviside und p2. Mathematische NotationOliver Heaviside führte den p-Operator ein, um Ableitungen zunotieren, d.h. er definierte (das Folgende ist stellenweise sehrvereinfacht)p = d dt .Wenn p einer Ableitung entspricht, was ist dann 1 p ?Offensichtlich ist dies die Umkehrfunktion von p, da p 1 pentspricht einer Integration!1p= 1, d.h.Was passiert, wenn man mit p einfach ”rechnet“?17/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


√ p2. Mathematische NotationDa 1 peiner Integration entspricht, gilt (etwas vereinfacht, ohneNetz und doppelten Boden)∫ ∫1p n = . . . 1 dt = tnn!Und jetzt wird es <strong>auf</strong> den ersten Blick etwas esoterisch: Was istbeispielsweise eine ”halbe Integration“, d.h. was ist eigentlich1p 1 2= 1 √ p?Mit der Gamma-Funktion Γ, die als Erweiterung der Fakultät <strong>auf</strong>positive reelle Zahlen <strong>auf</strong>gefasst werden kann, ergibt sich für einehalbe Integration“ Folgendes:”√1 t=Γ(1 + 1 2 )p 1 218/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


√ p2. Mathematische NotationAuf die Idee, eine ”halbe Integration“ zu betrachten, wäre manohne den Notationstrick mit p wohl nicht gekommen.Das Verblüffendste daran ist, dass dieser Operator eine wichtigeRolle in den Untersuchungen Heavisides zum Elektromagnetismusspielen sollte! 7. . . und das alles nur durch Notation, d.h. in diesem Fall Sprache!:-)7 Siehe [Focke 1962][S. 635 ff.].19/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


3. Mechanische NotationMechanische Notation20/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Mechanische Notation3. Mechanische NotationSo leistungsfähig die sich entwickelnde mathematische Notationwar, versagte sie doch beispielsweise bei der Beschreibungmechanischer Konstruktionen – eine Anforderung desViktorianischen Zeitalters mit seiner umfassenden Mechanisierung– entsprechend wurde eine neue Kunstsprache benötigt: 8Soon after I had commenced the Difference Engine,”my attention was strongly directed to the imperfection ofall known modes of explaining and demonstrating theconstrcution of machinery. It soon became apparent thatmy progress would be seriously impeded unless I coulddevise more rapid means of understanding and recallingthe interpretation of my own drawings. “Ein neues Problem erforderte eine neue Sprache. . .8 Siehe [Babbage 1864][S. 142].21/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Mechanische Notation3. Mechanische Notation(Quelle: http://ed-thelen.org/bab/bab-t-timing.jpg, Stand 09.03.2013)22/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Mechanische Notation3. Mechanische NotationObwohl Charles Babbages Ideen von anderen Autoren<strong>auf</strong>gegriffen wurden (siehe [Willis 1870][S. 285 ff.]), blieben sieletztlich ohne größeren <strong>Einfluss</strong> – Babbage war seiner Zeitvermutlich zu weit voraus.Eine andere Entwicklung von Babbage blieb leider ebenfallsvergleichsweise folgenlos: Die Analytical Engine, die mit Fug undRecht als der erste Computer der Welt bezeichnet werden darf(1837 erstmalig beschrieben).Wie jeder Computer musste auch diese Maschine, wenngleich sienur <strong>auf</strong> dem Papier existiert, programmiert werden müssen, waszur Entwicklung der wohl ersten ”Maschinensprache“ führte, dieuns nun kurz beschäftigen wird, weil dies das erste Mal in derGeschichte war, dass eine Sprache nicht für die Kommunikationzwischen Menschen, sondern für die Kommunikation zwischenMensch und Maschine eingesetzt wurde!23/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Die Analytical Engine3. Mechanische Notation(Bild von Bruno Barral, mit freundlicher Genehmigung.)24/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Die Analytical Engine3. Mechanische NotationProgrammiert wurde die AnalyticalMachine mit Lochkarten: Die kleinenKarten im Vordergrund sind ”OperationalCards“, d.h. sie spezifiziereneinzelne Instruktionen, während dielängeren Karten ”Variable Cards“ darstellenund die Adressen von Operandenenthalten. Bemerkenswert ist,dass eine Karte <strong>auf</strong> mehreren Operandengruppenarbeiten kann (eine Vorwegnahmeder Vektorrechneridee sowieder Harvard-Architektur).(Bildquelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0d/PunchedCardsAnalyticalEngine.jpg, Stand 24.07.2011.)25/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


4. Frühe ComputerFrühe Computer26/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Frühe Computer4. Frühe ComputerBabbage nahm mit seiner Analytical Machine die meisten Ideenvorweg, <strong>auf</strong> denen <strong>unser</strong>e heutigen Computer beruhen, und nichtshatte je einen größeren <strong>Einfluss</strong> <strong>auf</strong> Kunstsprachen als dieEntwicklung von Computern!Die ersten kommerziell verfügbaren Computer wurden noch sehrdirekt programmiert – die ”Sprache“, um mit der Maschine zukommunizieren, bestand letztlich darin, die Struktur der Maschinedurch Verdrahtung zu ändern! (Zugegebenermaßen ein etwasgroßzügig gefasster Sprachbegriff, aber es gibt ja auch graphische<strong>Sprachen</strong>. . . )Auf diese Weise kann man eine Maschine steuern, aber keineProbleme und Problemlösungen in einer allgemeingültigen Artbeschreiben, und schon gar nicht in einer Art, die einen tieferenEinblick in das jeweilige Problem erlaubt!27/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Programmieren mit Kabeln4. Frühe Computer(Mit freundlicher Genehmigung der D. H. Ramsey Library, Special Collections & University Archives.)28/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Ein Patchboard4. Frühe Computer29/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


IBM 6504. Frühe ComputerMit steigender Leistungsfähigkeit von Computern kam (erneut) dieIdee <strong>auf</strong>, dass man für ihre Programmierung Kunstsprachenschaffen könnte, um den Fokus zumindest ein klein wenig von derMaschine zum zu lösenden Problem zu verlagern.Eine der einflussreichen Maschinen in diese Zusammenhang ist dieIBM 650, die im folgenden Bild gezeigt wird.Das dar<strong>auf</strong> folgende Bild zeigt ein Programm, ein sogenanntesMaschinen- bzw. Assemblerprogramm zur Berechnung einerQuadratwurzel, noch weit entfernt von einer Kunstsprache, da fastausschließlich diktiert durch die Struktur der zugrunde liegendenMaschine selbst.30/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


IBM 6504. Frühe Computer(Abbildung: Lawrence Livermore Laboratory, mit freundlicher Genehmigung.)31/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Quadratwurzelberechnung4. Frühe ComputerQuadratwurzelberechnung in Assembler 9 :9 Siehe [IBM 1955][S. 88].32/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Maschinenprogramme4. Frühe ComputerMaschinen <strong>auf</strong> dieser Ebene zu programmieren hat Vorteile (in derRegel sehr hohe Effizienz der Programme), aber vor allem auchNachteile:Die Programmierung selbst ist extrem zeit<strong>auf</strong>wändig.Die Programmierung erfordert ein hohes Detailwissen über dieinnere Struktur (Architektur) der Maschine und ihreEigenarten.Solche Programme beinhalten häufig vergleichsweise vieleFehler, was der Tatsache geschuldet ist, dass bei derProgrammierung die große Lücke zwischen dem eigentlichenProblem und der Maschine (semantic gap) überwundenwerden muss.33/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Maschinenprogramme4. Frühe ComputerDiese sehr einfachen und frühen Kunstsprachen sind etwasvollkommen Neues: Sie geben (implizit) eine Richtung derKommunikation vor: Vom Menschen zur Maschine, aber nicht vonMensch zu Mensch, was erklärt, warum sie das <strong>Denken</strong> an sichnicht wirklich beflügeln.Wenn man Maschinen so programmiert, formuliert man einProblemlösungsverfahren zunächst in der Regel in anderer Form,einer Sprache, die mehr dem Problem und dessen Lösungangemessen ist (beispielsweise in mathematischer Notation), umdanach den Schritt zur Maschinensprache zu gehen.Entsprechend schnell entstand der Wunsch nach <strong>Sprachen</strong>, dieproblemnäher und damit zunächst maschinenferner sind, um denImpedanzmismatch zwischen dem Problemlösungsprozess undseiner Implementation zu verringern.34/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


IT4. Frühe ComputerEin früher , wenngleich bei weitem nicht der erste Ansatz, einesolche Kunstsprache zu schaffen, war IT, kurz für InternalTranslator.Diese frühe Kunstsprache (in der Informatik auch als Hochsprachebezeichnet, um sie von Maschinen- und Assemblersprachen zuunterscheiden) wurde in den späten 1950er Jahren entwickelt. 10Das folgende IT-Programm berechnet ein Integral mit Hilfe derSimpson-Regel:10 Siehe [Perlis et al. 1958].35/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


IT4. Frühe ComputerSimpsonregel1 SIMPS ONS RULE2 C1 C2 RANGE AB3 C3 ERROR4 I1 R EAD F LINK5 4K I 3K 0K 1K 10 0 K F6 G5 F GET END 27 Y1 Z Q22 E K Y 5 X 1S2XI3Q F FUNCTION 98 G I2 F RETURN9 TI3 T Y4 T C 3 T Y2 F 410 H F STOP11 Y6 Z 0J F CLEAREND 512 Y2 Z LC2 MC1RD 2J F SET H13 8K I 4K 1K1K 2K F END ITER14 Y5 Z C I4 F SET P 315 I2 Z 8 F SET LINK16 G I1 F TO FNCTN17 Y6 ZY 6 S Y1 X Y 2 F COMP END 818 Y4 ZY6 F INIT INT19 Y3 Z 0J F 120 Y7 Z C2 M Y2D 2J F21 6 K Y5K C1SY 2K 2J XY2K Y7K F INNERSUM22 I2 Z 6 F SET LINK 1123 GI1 F TO FNCTN 724 Y3 Z Y3 S Y1 F NEXT DEL 625 Y7 Z Y6 S Y2 X 4J X Y3 F NEW INT26 G10 IF C3 W ALY7 M Y4 R F CHCK END27 Y4 Z Y7 F28 Y6 Z J25 X Y4 S Y6 F NEXT G29 Y2 Z Y2D 2J F NEXT H30 G 1 F TO SET P31 Y4 ZY 4 D 3J F INTEGRAL 1032 G4 FF TO MASTERSimpsonregel36/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


IT4. Frühe ComputerSimpsonregel1 SIMPSONS RULE2 C1 C2 RANGE AB3 C3 ERROR4 I1 READ F LINK5 4, I3, 0, 1, 100, F6 2: GOTO 5 F GET END7 9: Y1


FORTRANSIT4. Frühe ComputerSchon etwas abstrakter, d.h. problemnäher, war FORTRAN, 1954unter Leitung von John Backus entwickelt, hier eineMatrixmultiplikation in FORTRANSIT, einem FORTRAN-Dialekt:Matrixmultiplikation1 C RECTANGULAR MATRIX2 C MULTIPLICATION3 DIMENSION A(4,5), B(5,3)4 READ 1,A,B5 READ 1,N,M,L6 DO 4 J=1,N7 DO 4 I=1,M8 SUM=0.09 DO 3 K=1,L10 3 SUM = SUM+A(I,K) * B(K,J)11 4 PUNCH 1, SUM, I,J12 ENDMatrixmultiplikation38/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Frühe Programmiersprachen4. Frühe ComputerSolche frühen Programmiersprachen waren für ihre Zeit extremfortschrittlich, als Kunstsprachen aber weitgehend <strong>auf</strong> dem Standder mathematischen Notation, wie sie bereits vor weit überhundert Jahren genutzt wurde.In einem Punkt gingen diese <strong>Sprachen</strong> jedoch weit über dietraditionelle mathematische Notation hinaus:Es konnten bedingte Operationen spezifiziert werden, was unteranderem sogenannte Schleifen ermöglicht!Aus solchen bedingten Operationen erwächst die gesamteLeistungsfähigkeit von Computern und auch das Hauptproblemihrer Programmierung, was im L<strong>auf</strong>e der Jahrzehnte durch dieSchaffung einer Vielzahl von Kunstsprachen für die verschiedenstenAnwendungsfälle gelöst werden sollte.39/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


5. BeispieleBeispiele40/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Beispiele5. BeispieleWie ist nun konkret der <strong>Einfluss</strong>, den solche <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> das<strong>Denken</strong> besitzen? Zwei einfache Beispiele sollen dies ein wenigverdeutlichen:Es soll eine Liste von Primzahlen zwischen 2 und 100 erzeugt undausgegeben werden.Dieses Beispielproblem wird im Folgenden <strong>auf</strong> zweierlei Weise –mit zwei verschiedenen Kunstsprachen, einmal der Sprache ”C“und einmal der Sprache ”Lang5“ – gelöst.41/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Lösung in C5. BeispielePrimzahlliste1 #include 23 int is_prime(int value)4 {5 int divisor;67 if (!(value % 2))8 return value == 2;910 for (divisor = 3; divisor * divisor < value; divisor += 2)11 if (!(value % divisor))12 return 0;1314 return 1;15 }1617 int main()18 {19 int i;2021 for (i = 2; i < 101; i++)22 if (is_prime(i))23 printf("%d ", i);2425 printf("\n");26 return 0;27 }Primzahlliste42/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Lösung in Lang55. Beispiele1Primzahlliste2 99 iota 2 + dup dup dup ’* outer swap in not select .3Primzahlliste43/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Ken Iverson5. BeispieleKurze Abschweifung:Lang5 beruht übrigens im Wesentlichen <strong>auf</strong> den Ideen KenIversons, der ab 1957 die Kunstsprache APL entwickelte.Eigentlich wollte Iverson eine neue mathematische Notationentwickeln, und tatsächlich wurde seine Sprache zunächst zurBeschreibung der Maschinenstruktur von IBMs /360 Architektureingesetzt. Letztlich entstanden hieraus die ProgrammiersprachenAPL, J und andere.Iverson fasste einen Großteil seiner Überlegungen in einembahnbrechenden Paper mit dem Titelzusammen.Notation as a Tool of Thought44/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


6. Ideale <strong>Sprachen</strong>Programmiersprachen alsideale <strong>Sprachen</strong>45/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Programmiersprachen6. Ideale <strong>Sprachen</strong>Offenbar sind Programmiersprachen ideale Kunstsprachen, wenn esdarum geht, die Verflechtung zwischen <strong>Denken</strong> und Notationexperimentell zu untersuchen.In dieser Hinsicht sind Programmiersprachen vielleicht die einzigidealen <strong>Sprachen</strong> im Sinne der analytischen Philsophie. DieseRichtung erkannte natürliche <strong>Sprachen</strong> als zu ungenau (sieheDijkstras Einschätzung ganz zu Beginn), um damit Philosophiebetreiben zu können und schlug entsprechend entweder dieEntwicklung einer solchen idealen Sprache oder eine Verbesserungeiner natürlichen Sprache vor.Das wirft zunächst die interessante Frage <strong>auf</strong>, wieviele Menschenmindestens eine Programmiersprache beherrschen (in diesem Fallin Deutschland):46/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Sprachkenntnisse6. Ideale <strong>Sprachen</strong>(Quelle: http://www.heise.de/developer/meldung/Bitkom-Jeder-dritte-Deutsche-verfuegt-ueber-Kenntnisse-in-einer-Programmiersprache-1716836.html,Stand 10.03.2013)47/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Wieviele <strong>Sprachen</strong> gibt es?6. Ideale <strong>Sprachen</strong>Die nächste interessante Frage ist die nach der Anzahl (zumindestgrob) von Programmiersprachen, die in den letzten (wenigen)Jahrenzehnten entwickelt wurden.Laut HOPL 11 waren es 2011. . .11 Siehe http://hopl.murdoch.edu.au.48/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Der Turmbau zu Babel6. Ideale <strong>Sprachen</strong>8512 Programmiersprachen!(Abbildung aus http://rzv037.rz.tu-bs.de/gis/gis/drucken/ft9.htm, Stand 06.10.2011.)49/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Wildwuchs?6. Ideale <strong>Sprachen</strong>8512 Kunstsprachen – alle mit dem Ziel, Probleme in einer Formzu beschreiben, die nicht nur für Maschinen (nach geeigneterÜbersetzung) ”verständlich“, sondern auch für Menschen sowohlmöglichst einfach schreib- und lesbar ist. . .Interessanterweise lassen sich diese <strong>Sprachen</strong> in einige wenigeKlassen einordnen (Warum sind dies so wenige? Gibt es prinzipiellnicht mehr Klassen? Gibt es vielleicht noch völlig ungedachteWeltmodelle?)von Neumann bzw. imperative <strong>Sprachen</strong>Objektorientierte <strong>Sprachen</strong>Funktionale <strong>Sprachen</strong>Logikbasierte <strong>Sprachen</strong>Datenflusssprachen50/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Die perfekte Sprache?6. Ideale <strong>Sprachen</strong>Gibt es eigentlich eine perfekte Kunstsprache? Zumindest indiesem doch recht engen Bereich der Programmierung? Ist soetwas überhaupt wünschenswert? Gibt es wenigstens eine echteAllzwecksprache?Ansätze hierzu gab es immer wieder:IBM scheiterte mit PL/1, der Programming Language 1.ADA blieb weitgehend ohne Nachfolger.Java versucht, eine Allzwecksprache zu sein und wird leider inder Industrie häufig als solche wahrgenommen, was letztlichnur zu einer gedanklichen Einschränkung der Programmiererund damit zu schlechter Code-Qualität, schlechtenLösungsansätzen etc. führt.51/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


<strong>Sprachen</strong>. . .6. Ideale <strong>Sprachen</strong>Wünschenswert wäre, wenn <strong>Sprachen</strong> (sowohl natürliche <strong>Sprachen</strong>als auch Kunstsprachen) im Sinne Iversons als ”Tool[s] ofThought“ begriffen würden. Frei nach der Erkenntnis, dass jedesProblem wie ein Nagel aussieht, wenn nur ein Hammer zurVerfügung steht, müsste auch der mentale Werkzeugkasten mehrals eine Sprache umfassen.Wie wichtig die Wahl der richtigen Sprache zur Beschreibung undLösung Verblüffend ist übrigens, dass kaum Diskussionenemotionaler und mitunter verbissener als über dieses Themageführt werden.Wenn höhere Programmiersprachen nicht mehr nur für dieKommunikation zwischen Menschen und Maschinen, sondern auchfür die zwischen Menschen genutzt werden, was ist dann eigentlichmit Dingen wie Poesie?52/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


ProgrammiersprachenpoesieFortran:6. Ideale <strong>Sprachen</strong>program life, David Mar, 18 Mar 1991program lifeimplicit nonereal peoplereal problemscomplex relationshipsvolatile peoplecommon problemscharacter friendshiplogical nothingexternal influencesopen (1,file=friendship,status=’new’)2 format (a,’letter’)write (1,2) ’her’c what happensif (nothing) write (1,2) ’her again’continueif (nothing) thenclose (1,status=’delete’)elseopen (2,file=’reply’,status=’old’,readonly)read (2,2) friendshipclose (2,status=’keep’)close (1,status=’save’)end ifend(Siehe [Hopkins 2002].)53/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Perl Poetry6. Ideale <strong>Sprachen</strong># Black Perl, adapted for Perl 5 by Jonadab.# Adapted from Black Perl, as seen in the Camel,# 2nd ed., p 553BEFOREHAND: close door, each window & exit; wait until time;open spell book; study; read (spell, $scan, select); tell us;write it, print the hex while each watches,reverse length, write again;kill spiders, pop them, chop, split, kill them.unlink arms, shift, wait and listen (listening, wait).sort the flock (then, warn "the goats", kill "the sheep");kill them, dump qualms, shift moralities,values aside, each one;die sheep; die (to, reverse the => systemyou accept (reject, respect));next step,kill next sacrifice, each sacrifice,wait, redo ritual until "all the spirits are pleased";do it ("as they say").do it(*everyone***must***participate***in***forbidden**s*e*x*).return last victim; package body;exit crypt (time, times & "half a time") & close it.select (quickly) and warn next victim;AFTERWARDS: tell nobody.wait, wait until time;wait until next year, next decade;sleep, sleep, die yourself,die @last. . . es wurde sogar eine ”Poetry Optimization“ in Perl eingeführt,um Perl Poetry zu vereinfachen. . .54/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


7. AusblickAusblick55/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Ausblick7. AusblickWas lässt sich zusammenfassend sagen?Programmiersprachen sind idealen <strong>Sprachen</strong> im Sinne deranalytischen Philosophie zumindest nahe, wenn sie nicht garwelche sind.Entsprechend weit entwickelte Hochsprachen dienen nichtmehr nur der Kommunikation Mensch/Maschine, sondernzunehmend der Mensch/Mensch-Kommunikation.Insofern sind sie ein großer Schritt in Richtung desLeibnizschen ”Calculus Ratiocinator“.56/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Ausblick7. AusblickWie allein das simple Primzahllistenbeispiel zeigt, ist der<strong>Einfluss</strong>, den bereits recht einfache Kunstsprachen <strong>auf</strong> das<strong>Denken</strong> an sich <strong>haben</strong>, immens.Die Striktheit von Programmiersprachen ist eher ein Vor- alsein Nachteil (selbst Poesie bleibt möglich :-) ).Multilingualität – auch bei Programmiersprachen – istessenziell zur Erweiterung des eigenen Horizontes; wer nureine Sprache (Sprachklasse) beherrscht, beherrscht eigentlichkeine. . .57/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Danke7. AusblickVielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!Der Autor kann unterulmann@vaxman.deerreicht werden.58/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


8. BibliographieBibliographie59/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Bibliographie8. Bibliographie[Babbage 1864] Charles Babbage, Passages from the Life of aPhilosopher, Longman, Green, Longman, Roberts, & Green, 1864[Dean 1996] C. N. Dean, M. G. Hinchey (Eds.), Teaching andLearning Formal Methods, Academic Press, 1996[Focke 1962] Joachim Focke, ”Distributionen undHeaviside-Kalkül“, in Wissenschaftliche Zeitschrift derKarl-Marx-Universität Leipzig, 11. Jahrgang, 1962, S. 627–629[Hopkins 2002] Sharon Hopkins, “Camels and Needles:Computer Poetry Meets the Perl Programming Language”, in ThePerl Review, issue 0.1, April 2002,http://www.theperlreview.com/articles/poetry.html,retrieved 25.07.201[IBM 1955] IBM, ”650 – magnetic drum data-processing machine,manual of operation“, International Business MachinesCorporation, 1955, Form 22-6060-160/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013


Bibliographie8. Bibliographie[Neugebauer 1969] O. Neugebauer, Vorlesungen überGeschichte der antiken mathematischen Wissenschaften, ErsterBand, Vorgriechische Mathematik, Zweite, unveränderte Auflage,Springer-Verlag, 1969[Perlis et al. 1958] A. J. Perlis, J. W. Smith, H. R. VanZoeren,INTERNAL TRANSLATOR (IT) A COMPILER FOR THE 650“,”Computation Center Carnegie Institute of Technology, 1958[Reich 2010] Ulrich Reich, ”Wer hat das Gleichheitszeichenerfunden?“, in Forschung aktuell 2010, Hochschule KarlsruheTechnik und Wirtschaft, S. 79–80[Willis 1870] Robert Willis, Principles of Mechanism, Longmans,Green, and Co., 1870[Wittgenstein 1945] Ludwig Wittgenstein, PhilosophischeUntersuchungen, http://www.geocities.jp/mickindex/wittgenstein/witt pu gm.html, retrieved 24.07.201361/61 <strong>Welchen</strong> <strong>Einfluss</strong> <strong>haben</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>auf</strong> <strong>unser</strong> <strong>Denken</strong>? – Prof. Dr. Bernd Ulmann 3. August 2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!