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Wahr' Mensch und wahrer Gott - bei der vhs Lüneburg

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Wahr’ <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>Die Zweinaturenlehre: Gehalt, Grenze, Relevanz(<strong>Lüneburg</strong>, 4. März 2013)1 Die Herkunft <strong>der</strong> Formel(n)„Wahr’ <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>Hilft uns aus allem Leide,rettet von Sünd <strong>und</strong> Tod.“Das ist aus <strong>der</strong> dritten Strophe, die im Jahr 1844 dem alten, bekannten Lied „Es ist ein Rosentsprungen“ (EG 30) angehängt wurde.Aber viele werden ebenso die Formulierung Luthers kennen:„Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger <strong>Gott</strong> vom Vater (!) in Ewigkeit geboren (!) <strong>und</strong>auch wahrhaftiger <strong>Mensch</strong> von <strong>der</strong> Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr …“ (Luthers KleinerKatechismus von 1529).Und schon über 1000 Jahre zuvor hat die frühe Christenheit formuliert:„Jesus Christus … ist wahrhaft <strong>Gott</strong> <strong>und</strong> wahrhaft <strong>Mensch</strong> …, <strong>der</strong> <strong>Gott</strong>heit nach dem Vaterwesensgleich <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>heit nach uns wesensgleich, in allem uns gleich außer <strong>der</strong> Sünde“(Chalcedonense von 451).In <strong>der</strong> Bibel <strong>und</strong> in den noch älteren Glaubensbekenntnissen kommen diese Formeln nochnicht vor, wohl aber die „Sache“. So z. B. in Joh 1,1 <strong>und</strong> 14: „Im Anfang war das Wort, <strong>und</strong>das Wort war <strong>bei</strong> <strong>Gott</strong>, <strong>und</strong> <strong>Gott</strong> war das Wort… Und das Wort ward Fleisch <strong>und</strong> wohnte unteruns …“, <strong>und</strong> noch früher in dem alten Christushymnus aus Phil 2,6: „Er, <strong>der</strong> göttlicherGestalt war, hielt es nicht für einen Raub, <strong>Gott</strong> gleich zu sein, son<strong>der</strong>n entäußerte sich selbst<strong>und</strong> nahm Knechtsgestalt an, ward den <strong>Mensch</strong>en gleich <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erscheinung nach als<strong>Mensch</strong> erkannt.“Etwa 400 Jahre hat es gedauert, bis die Christenheit von diesen ersten, frühen Aussagen zu<strong>der</strong> Bekenntnisformulierung von Chalcedon kam. Und das war eine Zeit tiefgründigen Nachdenkens,harten Ringens <strong>und</strong> teilweise erbitterter Kämpfe. Aber schließlich hat sich fast überallin <strong>der</strong> Christenheit die Erkenntnis durchgesetzt: Jesus Christus – an den wir glauben <strong>und</strong>durch den wir an <strong>Gott</strong> glauben – ist „<strong>wahrer</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>“.Aber auch in <strong>der</strong> Zeit zwischen dem 5. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gegenwart wurde nicht einfachdiese Formel weitergegeben <strong>und</strong> überliefert, son<strong>der</strong>n war immer wie<strong>der</strong> Gegenstand gründlichentheologischen Nachdenkens, aber auch heftiger Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen theologischenSchulen <strong>und</strong> ganzen Kirchen, <strong>und</strong> heute befinden wir uns in einer Situation, in <strong>der</strong>viele <strong>Mensch</strong>en (außerhalb <strong>und</strong> innerhalb <strong>der</strong> christlichen Kirchen mit dieser Formel <strong>und</strong> mitdem, was sie ausdrücken will, nicht (mehr) viel anfangen können.Ist das ein wertvolles Erbstück, an dem die Identität des christlichen Glaubens <strong>und</strong> <strong>der</strong> christlichenKirche hängt, o<strong>der</strong> ist das ein Ballast aus <strong>der</strong> Antike <strong>und</strong> dem Mittelalter, von dem wiruns möglichst heute trennen sollten?2 Bedenken <strong>und</strong> Einwände gegen die ZweinaturenlehreIch gebrauche jetzt den gängigen Ausdruck „Zweinaturenlehre“ als zusammenfassende Bezeichnungfür die Überzeugung von <strong>der</strong> wahren <strong>Gott</strong>heit <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong>heit Jesu Christi, obwohlsich später zeigen wird, dass dieser Ausdruck nicht beson<strong>der</strong>s gut geeignet, ja eher eine irreführendeBezeichnung für die gemeinte „Sache“ ist. Aber unter diesem Begriff ist das Themain früheren Jahrh<strong>und</strong>erten behandelt worden <strong>und</strong> vielen bis heute bekannt.1


Welche Einwände <strong>und</strong> Bedenken wurden <strong>und</strong> werden insbeson<strong>der</strong>e heute gegen diese Überzeugungerhoben?a) Wer nicht an <strong>Gott</strong> glaubt, kann (natürlich) mit <strong>der</strong> Aussage, Jesus Christus sei <strong>wahrer</strong><strong>Gott</strong> (gewesen), nichts anfangen;b) für viele <strong>Mensch</strong>en sagt die Aussage: „Jesus Christus <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>“ entschieden zuviel. Sie können <strong>der</strong> Aussage, dass Jesus ein großer Prophet, ein bedeuten<strong>der</strong> Religionsstifter,ein beeindruckend guter <strong>Mensch</strong> war, zustimmen, aber mehr nicht;c) viele verbinden die Formel: „Jesus Christus <strong>wahrer</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>“ untrennbarmit einer biologisch verstandenen Lehre von <strong>der</strong> Jungfrauengeburt <strong>und</strong> <strong>Gott</strong>essohnschaftJesu <strong>und</strong> lehnen sie deshalb ab;d) auf viele <strong>Mensch</strong>en wirkt die Formel: „<strong>wahrer</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>“ wie ein Wi<strong>der</strong>spruch,den sie nicht akzeptieren können, weil eine Person nicht zugleich (ewiger)<strong>Gott</strong> <strong>und</strong> (zeitlicher) <strong>Mensch</strong> sein kann;e) manche <strong>Mensch</strong>en können sich einen wahren <strong>Mensch</strong>en, <strong>der</strong> zugleich <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>sein soll, nur als eine Art Halbgott vorstellen, <strong>der</strong> eher in <strong>der</strong> antiken Mythologie alsim christlichen Glauben seinen Platz hat.f) Viele überzeugte Christenmenschen können die Aussage, Jesus sei „<strong>wahrer</strong> <strong>Mensch</strong>“(gewesen), nur mit dem Zusatz akzeptieren: „aber er war nicht bloß(er) <strong>Mensch</strong>, son<strong>der</strong>nzugleich <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>(essohn).Dieser letzte Einwand (f) richtet sich also nicht gegen die Zweinaturenlehre, son<strong>der</strong>n bestätigt<strong>und</strong> verteidigt sie gegen ihre Ersetzung durch eine „entgöttlichte“ Lehre <strong>und</strong> Vorstellung vonJesus. Die drei zuerst genannten Einwände (a-c) sind dagegen echte Wi<strong>der</strong>sprüche gegen dieZweinaturenlehre, <strong>und</strong> sie richten sich letztlich alle gegen die wahre <strong>Gott</strong>heit Jesu. 1 Der vierte<strong>und</strong> <strong>der</strong> fünfte Einwand (d u. e) zielt hingegen auf die Unvereinbarkeit <strong>der</strong> Zweinaturenlehre(mit <strong>der</strong> Logik o<strong>der</strong> dem christlichen Glauben).Die christliche Kirche hat (im Unterschied zu einzelnen theologischen Entwürfen) trotz vielerDifferenzen <strong>und</strong> Auffassungsunterschiede im Blick auf die Lehre von <strong>der</strong> Person Jesu Christo(Christologie) insgesamt über die Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg an <strong>der</strong> Aussage: „Jesus Christus istwahr(haftig)er <strong>Gott</strong> <strong>und</strong> wahr(haftig)er <strong>Mensch</strong>“ festgehalten <strong>und</strong> dies im Bekenntnis zur„<strong>Mensch</strong>werdung <strong>Gott</strong>es in Jesus Christus“ o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> „Selbstoffenbarung <strong>Gott</strong>es in JesusChristus“ als zentralen Glaubens- <strong>und</strong> Bekenntnisinhalt des Christentums festgehalten.Ich kann nun aus Zeitgründen nicht auf alle diese Einwände im einzelnen eingehen, son<strong>der</strong>nmöchte so vorgehen, dass ich zunächst (vom Neuen Testament <strong>und</strong> von den Glaubensbekenntnissenher frage, was mit dieser Aussage gemeint ist (Gehalt), was an dieser Aussageproblematisch ist (Grenze) <strong>und</strong> worin ihre aktuelle <strong>und</strong> bleibende Βedeutung besteht (Relevanz).3 Gehalt <strong>der</strong> ZweinaturenlehreDie christliche Kirche trägt ihren (unverwechselbaren) Namen von Jesus als dem Christus her,d. h. als dem Gesalbten, <strong>und</strong> das heißt: als dem Messias. Das geht aus zahllosen Bekenntnisformelndes Neuen Testaments hervor, aber auch aus erzählenden Texten, unter denen de Berichtvon <strong>der</strong> Verkündigung Jesu <strong>und</strong> das sog. Petrusbekenntnis von Cäsarea Philippi anWichtigkeit herausragen. Zwar kommt in dem Bericht von <strong>der</strong> Verkündigung Jesu <strong>der</strong> Titel„Christus“ (o<strong>der</strong> ein an<strong>der</strong>er Titel) nicht vor, aber um das Christusbekenntnis <strong>der</strong> Jünger an-1 In <strong>der</strong> frühen Geschichte <strong>der</strong> Christenheit gab es jedoch auch Ansätze, die faktisch darauf hinaus liefen, diewahre <strong>Mensch</strong>heit Jesu zu bestreiten <strong>und</strong> nur seine wahre <strong>Gott</strong>heit zu lehren.2


gemessen verstehen zu können, ist <strong>der</strong> Rückblick auf den Beginn <strong>der</strong> öffentlichen Verkündigung<strong>und</strong> Wirksamkeit Jesu unerlässlich.a Die Botschaft JesuJesus ist mit <strong>der</strong> Botschaft von <strong>der</strong> jetzt anbrechenden <strong>Gott</strong>esherrschaft öffentlich aufgetreten.2 Dieses Geschehen wird im Alten Testament verheißen (Dan 2,44; 7,13-27) <strong>und</strong> in denJahrh<strong>und</strong>erten nach dem babylonischen Exil (587-522 v. Chr.) mit wachsen<strong>der</strong> Sehnsucht inIsrael erhofft <strong>und</strong> erwartet. Zwar ist <strong>Gott</strong> „im Himmel“ König <strong>und</strong> übt von da aus seine Herrschaftauch über die Heiden aus (1 Chr 29,11; Ps 22,29 <strong>und</strong> 103,19), aber es steht noch aus,dass seine Herrschaft auch auf Erden erlebbar wird, indem er seinem Volk die Macht über diean<strong>der</strong>en Königreiche <strong>und</strong> Völker „unter dem Himmel“ überträgt (Dan 7,27). Auf diese <strong>Gott</strong>esherrschaftwartet Israel sehnsüchtig.Und dann tritt Jesus auf mit <strong>der</strong> Botschaft: „Die Zeit ist erfüllt, <strong>und</strong> die <strong>Gott</strong>esherrschaft isther<strong>bei</strong>gekommen. Kehrt um <strong>und</strong> glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15, eigene Übersetzung).Was ist damit gemeint? So fragen viele <strong>Mensch</strong>en, <strong>und</strong> das war mir auch selbst als Theologiestudentlange Zeit ganz unklar.Die Verkündigung Jesu von <strong>der</strong> jetzt nahe kommenden <strong>Gott</strong>esherrschaft kann nur vor demHintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> alttestamentlichen Verheißung <strong>der</strong> <strong>Gott</strong>esherrschaft verstanden werden. Aberdas heißt nicht, dass auch die von Jesus verkündigte Erfüllung mit <strong>der</strong> alttestamentlichen Verheißunginhaltlich deckungsgleich wäre. Vielmehr muss man genau darauf achten, was Jesusvon dieser kommenden <strong>Gott</strong>esherrschaft sagt <strong>und</strong> worin er ihr Kommen erblickt.Da<strong>bei</strong> fällt auf, dass die Übertragung <strong>der</strong> Macht über die an<strong>der</strong>en Königreiche an das VolkIsrael, die in <strong>der</strong> alttestamentlichen Verheißung einen zentralen Platz einnahm, in <strong>der</strong> VerkündigungJesu gar keine Rolle spielt. Er kündigt nicht die Vertreibung <strong>der</strong> römischen Besatzungsmachtan o<strong>der</strong> gar die Übernahme <strong>der</strong> politischen Weltherrschaft durch Israel, son<strong>der</strong>ner beschreibt das Kommen <strong>der</strong> <strong>Gott</strong>esherrschaft mit Gleichnissen <strong>und</strong> Sprüchen, die zur Umkehrzu <strong>Gott</strong> aufrufen <strong>und</strong> in die Lebensgemeinschaft mit <strong>Gott</strong> einladen. Die Herrschaft <strong>Gott</strong>esverschafft sich nicht durch Gewalt Geltung, son<strong>der</strong>n durch die Heilung von Kranken,durch die Speisung von Hungrigen, durch die Gemeinschaft mit Ausgestoßenen <strong>und</strong> durch dieVerkündigung des Evangeliums für die an Leib <strong>und</strong> Seele Armen (Mt 11,1-6; Lk 7,18-23;19,1-10). Die <strong>Gott</strong>esherrschaft kommt also so, dass das Leben <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>en durch die Begegnungmit Jesus Christus wie<strong>der</strong> in Verbindung mit <strong>Gott</strong> gebracht <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Herrschaftdes Bösen befreit wird – <strong>und</strong> das gilt für uns <strong>Mensch</strong>en als einzelne <strong>und</strong> in Gemeinschaft.Dass Jesus die <strong>Mensch</strong>en zur Umkehr aufruft, zeigt, dass er sie nicht für ohnmächtige <strong>und</strong>willenlose Opfer des Bösen hält, son<strong>der</strong>n dass er ihnen die Abkehr vom Bösen <strong>und</strong> die Hinwendungzu <strong>Gott</strong> zumutet. Aber wie kann <strong>und</strong> soll diese Umkehr möglich werden? We<strong>der</strong> so,dass Jesus den <strong>Mensch</strong>en lediglich den Weg zeigt, den sie dann selbst zu gehen haben, nochso, dass er diesen Weg an ihrer Stelle geht. Wohl aber kann man sagen, dass Jesus durch seineBegegnung mit den <strong>Mensch</strong>en <strong>und</strong> durch seine Verkündigung in ihnen das Vertrauen auf <strong>Gott</strong>weckt, durch das sie zu <strong>Gott</strong> umkehren <strong>und</strong> gerettet werden können. Und das heißt: <strong>Gott</strong>kommt durch Jesus Christus zu den <strong>Mensch</strong>en <strong>und</strong> ruft sie in seine Gemeinschaft, indem ersie zum Glauben befähigt <strong>und</strong> bewegt.2 Das Wort „<strong>Gott</strong>esherrschaft“ ist, verglichen mit dem bekannteren Ausdruck „Reich <strong>Gott</strong>es“, die bessere deutscheÜbersetzung des griechischen Ausdrucks „basileia tou theou“. Denn „Reich“ lässt einerseits an ein geographischesGebilde (Herrschaftsgebiet) denken, an<strong>der</strong>erseits an eine <strong>Mensch</strong>enmenge (Bevölkerung eines Landes),aber <strong>bei</strong>des führt eher auf Abwege. Der griechische Begriff „basileia tou theou“ (hebräisch: „malkut Jahwe“)bezeichnet we<strong>der</strong> ein Gebiet noch eine <strong>Mensch</strong>enmenge, son<strong>der</strong>n ein Geschehen, das sich vollzieht: die königlicheHerrschaft <strong>Gott</strong>es.3


Und von diesem Glauben gilt dann <strong>der</strong> Satz Jesu: „Dein Glaube hat dir geholfen“ 3 . Das istwe<strong>der</strong> Ausdruck falscher Bescheidenheit Jesu noch Verweis auf die Selbstheilungskräfte des<strong>Mensch</strong>en, son<strong>der</strong>n es weist darauf hin, wie die heilsamen <strong>und</strong> heilenden Kräfte Jesu Christiwirksam werden: Sie werden es dadurch, dass sie in <strong>Mensch</strong>en den Glauben, das heißt dasVertrauen wecken, das selbst Heil ist <strong>und</strong> Heilung bewirken kann.b) Jesus als Bringer <strong>der</strong> <strong>Gott</strong>esherrschaftDurch die Nennung <strong>der</strong> Heilungen <strong>und</strong> Dämonenaustreibungen (Exorzismen) wurde bereitsandeutungsweise sichtbar, dass Jesus die kommende <strong>Gott</strong>esherrschaft nicht nur verkündigt,son<strong>der</strong>n dass er sie selbst bringt.Das wird u. a. an folgenden neutestamentlichen Aussagen (direkt o<strong>der</strong> indirekt) erkennbar:- Jesus deutet seine Austreibung böser Geister als Zeichen dafür, dass die <strong>Gott</strong>esherrschaftbereits gekommen ist 4 .- Er bezeichnet in <strong>der</strong> „Antrittspredigt“ in Nazareth, <strong>und</strong> auf die Anfrage <strong>der</strong> Jünger des Täufers,die alttestamentliche Verheißung des von <strong>Gott</strong> gesandten Heilsbringers als erfüllt (Lk4,21; Mt 11,1-6).- Er setzt dem, was (durch Mose) dem Volk Israel als Weisung <strong>Gott</strong>es „gesagt“ ist, sein vollmächtiges„ich aber sage euch“ entgegen, mit dem er das Alte nicht aufhebt, aber von <strong>Gott</strong>esLiebeswillen her entscheidend vertieft (Mt 5,21-48).- Er vergibt <strong>Mensch</strong>en ihre Sünden (Mk 2,1-12; Lk 7,36-50 <strong>und</strong> Joh 8,1-11) <strong>und</strong> setzt sichdamit dem Vorwurf aus, ein <strong>Gott</strong>eslästerer zu sein.In all diesen Handlungen <strong>und</strong> Aussagen Jesu (<strong>und</strong> in an<strong>der</strong>en mehr) wird nicht nur erkennbar,dass die Nähe <strong>Gott</strong>es im Wirken <strong>und</strong> Reden Jesu bereits gegenwärtig erfahrbar ist, son<strong>der</strong>n eswird auch erkennbar, dass Jesus aus dem Bewusstsein einer Verb<strong>und</strong>enheit mit <strong>Gott</strong> heraushandelt, die man nur als Einheit bezeichnen kann. Da<strong>bei</strong> fällt zusätzlich auf, dass Jesus nie –wie die Propheten des Alten Testaments dies tun – die sogenannte Botenformel verwendet:„So spricht <strong>der</strong> Herr“. Er hat offenbar von <strong>Gott</strong> nicht nur Worte <strong>und</strong> Weisungen empfangen,son<strong>der</strong>n er steht zu <strong>Gott</strong> in einer inneren Verbindung, wie sie in folgendem Zitat zum Ausdruckkommt:„Alles ist mir übergeben von meinem Vater, <strong>und</strong> niemand kennt den Sohn als nur <strong>der</strong>Vater; <strong>und</strong> niemand kennt den Vater als nur <strong>der</strong> Sohn <strong>und</strong> wem es <strong>der</strong> Sohn offenbarenwill“ (so Mt 11,27 <strong>und</strong> dann durchgehend im Johannesevangelium).c) Das Bekenntnis zu Jesus als dem ChristusDeshalb sagt die Einordnung Jesu durch seine Zeitgenossen als einer <strong>der</strong> (großen) Propheten(Mk 6,14 f. parr. <strong>und</strong> 8,28 parr.) zwar nichts Falsches, aber sie sagt zu wenig; denn sie hatEntscheidendes an Jesu Botschaft <strong>und</strong> Person noch nicht im Blick, das erst durch seine Bezeichnungals „Christus“/“Messias“, als „Sohn <strong>Gott</strong>es“, als „Herr“ <strong>und</strong> „Mittler zwischen <strong>Gott</strong><strong>und</strong> den <strong>Mensch</strong>en“ 5 zum Ausdruck kommt.Da<strong>bei</strong> gilt insbeson<strong>der</strong>e vom Messias-/Christustitel dasselbe wie von <strong>der</strong> „Reich-<strong>Gott</strong>es-Botschaft“: mit <strong>der</strong> Aufnahme das alttestamentlichen Begriffe wird nicht automatisch <strong>der</strong>eninhaltliche Füllung übernommen. Jesus verän<strong>der</strong>t <strong>bei</strong>des aus seiner inneren <strong>Gott</strong>esbeziehungheraus.3 Mt 9,22; Mk 10,52; Lk 8,48; 17,19; 18,42; parr. Mt 8,13; 15,28 <strong>und</strong> Lk 7,50.4 Mt 12,20: „Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist <strong>Gott</strong>es austreibe, so ist ja die <strong>Gott</strong>esherrschaft zueuch gekommen“; par. Lk 11,205 Mk 1,1; 8,29; 1 Tim 2,5; Phil 2,11; Hebr 8,6 <strong>und</strong> an vielen an<strong>der</strong>en Stellen mehr.4


Das Entscheidende daran ist die Erkenntnis: In Jesus Christus begegnen <strong>Mensch</strong>en <strong>Gott</strong> <strong>und</strong>bekommen es mit <strong>Gott</strong> zu tun. 6 Damit stellt sich aber für die frühe Christenheit die Frage:Was muss über das Verhältnis Jesu zu <strong>Gott</strong> (<strong>und</strong> umgekehrt) gesagt werden, wenn dieseÜberzeugung tragfähig sein soll. Und da<strong>bei</strong> kommt die älteste Christenheit im Anschluss anAussagen von Paulus (Phil 2,6 f.) , aus dem Johannesevangelium (Joh 1,1-14) <strong>und</strong> dem Hebräerbrief(Hebr 1,1-3), dass in Jesus Christus <strong>Gott</strong>es ewiges Wesen (sein „Logos“) zu unseremHeil <strong>Mensch</strong> geworden ist. Der Gehalt <strong>der</strong> Zweinaturenlehre lässt sich in dem Satz zusammenfassen:In Jesus Christus begegnet uns das Wesen <strong>Gott</strong>es in menschlicher Gestalt. Aberwie kann <strong>und</strong> soll man sich das Verhältnis von <strong>Gott</strong>sein <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong>sein in <strong>der</strong> einen PersonJesu Christi denken <strong>und</strong> vorstellen?Der frühen Christenheit kam es im Anschluss an die biblischen Aussagen darauf an, auszusagen,a) dass in Christus <strong>Gott</strong>es wirkliche <strong>Mensch</strong>werdung stattgef<strong>und</strong>en hatb) dass er kein zweiter <strong>Gott</strong> neben <strong>Gott</strong> dem Vater war;c) dass er wirklicher <strong>Mensch</strong> (wie wir) war <strong>und</strong>d) dass er eine in sich einheitliche Person war.4 Grenzen <strong>der</strong> ZweinaturenlehreVon den Begriffen 7 , die <strong>der</strong> Alten Kirche hierfür zur Verfügung standen, haben sich vor allemdrei durchgesesetzt: „Person“, „Substanz“ <strong>und</strong> „Natur“. Aber im Lauf <strong>der</strong> Jahrh<strong>und</strong>ertezeigte sich immer mehr, dass diese Begriffe (sowohl im Blick auf die Trinitätslehre als auchim Blick auf die Christologie) viele Probleme mit sich brachten <strong>und</strong> deshalb nicht optimalgeeignet waren. „Person“ erinnerte zu sehr an ein einzelnes „Individuum“, „Substanz“ andingliche Materie <strong>und</strong> „Natur“ passte zwar auf die <strong>Mensch</strong>heit, aber nicht gut auf <strong>Gott</strong>heitJesu. Das hat vor allem F. Schleiermacher in seiner Glaubenslehre (2. Aufl. § 96, Abs. 1) gezeigt.8Die Kernfrage, was unter göttlicher „Natur“ o<strong>der</strong> göttlichem „Wesen“ Jesu Christi zu verstehenist, zeigt sich, wenn wir fragen, welche Eigenschaften <strong>Gott</strong>es auf ihn anzuwenden sind.Das Neue Testament schil<strong>der</strong>t Jesus Christus nicht als eine allmächtige, allwissende, allgegenwärtige<strong>und</strong> ewige, also unsterbliche Person, son<strong>der</strong>n spricht von <strong>der</strong> Begrenztheit seinerMacht (Mk 6,5: „Und er konnte dort nicht eine einzige Tat tun…“), seines Wissens (Mt24,36: „Von dem Tag aber <strong>und</strong> von <strong>der</strong> St<strong>und</strong>e weiß niemand, ,,, auch <strong>der</strong> Sohn nicht, son<strong>der</strong>nallein <strong>der</strong> Vater“), seiner Gegenwart (Joh 11,14 f.: „Lazarus ist gestorben; <strong>und</strong> ich binfroh um euretwillen, dass ich nicht dagewesen bin“) <strong>und</strong> schon gar nicht seiner Lebensdauer(sein Tod am Kreuiz war kein Scheintod).Was aber meint das Neue Testament dann, wenn es Jesus Christus als „<strong>Gott</strong>“ (Joh 20,28), als„Herrn“ (Phil 2,11; 1 Kor 12,3 <strong>und</strong> oft), als „<strong>Gott</strong>es Sohn“ (Mk 15,39; Röm 1,3 f. <strong>und</strong> oft) alsdas menschgewordene Wort <strong>und</strong> Wesen <strong>Gott</strong>es (Joh 1,14; Hebr 1,3) bezeichnet? Es meintdamit den, <strong>der</strong> <strong>Gott</strong>es Wesen verkörpert, das im NT als „Liebe“ (1 Joh 4,8 <strong>und</strong> 16) o<strong>der</strong> als„Gnade <strong>und</strong> Wahrheit“ (Joh 1,17 f.) bezeichnet wird.6 Das ist auf den Punkt gebracht in dem Wort: „Wer mich sieht, <strong>der</strong> sieht den Vater“ (Joh 14,9).7 In <strong>der</strong> griechischen <strong>und</strong> lateinischen Sprache standen <strong>der</strong> Alten Kirche vier Begriffe zur Verfügung, mittels<strong>der</strong>en das ausgesagt werden konnte: „Wesen“ („ούσία“/„essentia“), „Seinsweise“ („ύπόστασις“/„substantia“),„Person“ („πρόσωπον“/„persona“) <strong>und</strong> „Natur“ (“φύσις“/„natura“).8 „Beson<strong>der</strong>s wenig … eignet sich zu einem … gemeinschaftlichen Gebrauch das Wort Natur, auch wenn manlateinische <strong>und</strong> griechische Etymologie ganz <strong>bei</strong>seite stellt, <strong>und</strong> lediglich <strong>bei</strong> unserer Gebrauchsweise desselbenstehen bleibt“ (Redeker-Ausgabe, Bd. 2, S. 52).5


Solange man davon ausgeht, dass „<strong>Gott</strong>sein“ <strong>und</strong> „<strong>Mensch</strong>sein“ zwei Naturen mit gegensätzlichenEigenschaften (unbegrenzt – begrenzt, ewig – zeitlich etc.) sind, ist das „wahr <strong>Mensch</strong><strong>und</strong> <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>“ in einer Person nicht denkbar; denn dann muss man entwe<strong>der</strong> bestreiten,dass Jesus in vollem Sinn an <strong>bei</strong>den Naturen Anteil hat, o<strong>der</strong> man muss bestreiten, dass ereine Person ist.5 Die Bedeutung <strong>der</strong> Selbstoffenbarung <strong>Gott</strong>es in Jesus Christus für unseren GlaubenNimmt man jedoch die <strong>Mensch</strong>werdung Jesu Christi in dem Verständnis ernst, wie es sichvon <strong>der</strong> Bibel her in <strong>der</strong> Alten Kirche durchgesetzt hat, <strong>und</strong> lässt man sich nicht durch dieRede von <strong>der</strong> „göttlichen Natur“ dazu verleiten, Jesus von Nazareth die göttlichen Eigenschaften<strong>Gott</strong>es <strong>der</strong> Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit <strong>und</strong> Ewigkeit zuzuschreiben 9 ,dann löst sich dieses Problem weitgehend auf. Denn zwischen dem Wesen <strong>Gott</strong>es, das Liebe,Gnade <strong>und</strong> Wahrheit ist, <strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen Natur mit ihren irdischen, begrenzten Eigenschaftenbesteht keinerlei Wi<strong>der</strong>spruch. We<strong>der</strong> wird das liebende Wesen <strong>Gott</strong>es dadurch inFrage gestellt, dass es sich in einem <strong>Mensch</strong>en aus Fleisch <strong>und</strong> Blut verkörpert, noch wird das<strong>Mensch</strong>sein eines <strong>Mensch</strong>en dadurch in Frage gestellt, dass er vollständig <strong>und</strong> ausnahmslosvon <strong>Gott</strong>es Liebe bestimmt wird.Im Gegenteil! Das Erfülltsein eines <strong>Mensch</strong>en durch <strong>Gott</strong>es Liebe, Gnade <strong>und</strong> Wahrheitmacht ihn nicht weniger menschlich, son<strong>der</strong>n bringt seine menschliche Bestimmung zur <strong>Gott</strong>ebenbildlichkeitvollkommen zur Erfüllung. Deshalb kann das Neue Testament wie<strong>der</strong>holtsagen, dass Jesus Christus uneingeschränkt das ist, wozu wir <strong>Mensch</strong>en alle von Anbeginn <strong>der</strong>Schöpfung an geschaffen sind: <strong>Gott</strong>es Ebenbild (Gen 1,27; 9,6; 2 Kor 4,4; Kol 1,15: Hebr1,3). Aber Jesus Christus ist das nicht für sich allein, son<strong>der</strong>n, indem er durch seinen Geist inuns lebt <strong>und</strong> wir in ihm als dem „Erstgeborenen“ leben, erlangen auch wir durch ihn unsereBestimmung zur <strong>Gott</strong>ebenbildlichkeit (Röm 8,29; Gal 1,20).Damit erschließt sich durch die Person Jesu Christi ein neuer Zugang zu dem Verhältnis von<strong>Gott</strong>sein <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong>sein. Zwischen <strong>bei</strong>dem besteht kein Konkurrenzverhältnis. Was demeinen gegeben wird, muss dem an<strong>der</strong>en nicht genommen werden. Zwischen <strong>bei</strong>den bestehtvielmehr ein wechselseitiges Durchdringungsverhältnis. Sie haben aneinan<strong>der</strong> Anteil. <strong>Gott</strong>will nicht ohne den <strong>Mensch</strong>en sein, <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> muss nicht ohne <strong>Gott</strong> sein.Dass diese Verb<strong>und</strong>enheit von <strong>Gott</strong> <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong> in <strong>der</strong> Person Jesu Christi Wirklichkeit wurde,ist das Geheimnis <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>werdung <strong>Gott</strong>es in Jesus Christus <strong>und</strong> damit das Mysterium<strong>der</strong> <strong>Gott</strong>essohnschaft Jesu Christi. Das „wahr <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>wahrer</strong> <strong>Gott</strong>“ ist kein denkerischerWi<strong>der</strong>spruch, aber es ist ein atemberaubendes W<strong>und</strong>er.Daran zu glauben, erfor<strong>der</strong>t kein Opfer des Verstandes, aber „erleuchtete Augen des Herzens“(Eph 1,18); denn „man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“(A. de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz). Das ist nicht gegen die Vernunft, aber es isthöher als alle Vernunft, weil es sich nicht erdenken o<strong>der</strong> gedanklich konstruieren lässt. Wohlaber kann man dessen so innewerden, dass man es glauben <strong>und</strong> nach-denkend verstehen kann.Erst durch die Bezugnahme auf Jesus Christus wird <strong>der</strong> christliche Glaube an <strong>Gott</strong> zu einembestimmten Glauben <strong>und</strong> zu einem bestimmten Reden von <strong>Gott</strong>, das sich von allgemeiner,unbestimmter Religiosität unterscheidet. Erst durch Jesus Christus bekommt <strong>der</strong> <strong>Gott</strong>, an denwir als Christen glauben, d. h. auf den wir uns im Leben <strong>und</strong> im Sterben verlassen (dürfen),eine menschliche Gestalt <strong>und</strong> ein menschliches Gesicht.Prof. Dr. Wilfried Härle, Heidelberg/Ostfil<strong>der</strong>n9 Die daraus resultierende Problematik erreichte ihre Spitze im Streit zwischen <strong>der</strong> Tübinger <strong>und</strong> <strong>der</strong> Giessenertheologischen Fakultät, ob Jesus während seines Erdenlebens sich <strong>der</strong> (absoluten) göttlichen Eigenschaften tatsächlichentäußert, also auf sie verzichtet hatte (so die Giessener), o<strong>der</strong> ob sie auf verborgene Weise besaß <strong>und</strong>nur auf ihren (öffentlichen) Gebrauch verzichtete (so die Tübinger).6

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