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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss I - Gatter, Stephan

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<strong>Parlamentarischer</strong> <strong>Untersuchungsausschuss</strong> I"Foltermord in der Jugend-JVA Siegburg"VOTUM der SPD-Fraktionzum(Teil-) Abschlussberichtzu den Untersuchungsgegenständen II, 1 - 4 des EinsetzungsbeschlussesGliederungI. PräambelII. Teil I: Ergebnis der UntersuchungsarbeitKapitel I:Feststellungen zur Situation des Jugendstrafvollzuges in NRW beiAmtsübernahme der Betroffenen Müller-Piepenkötter (CDU)01. Schaffung neuer Haftplätze02. Projekt AGIP03. Personalsituation04. Ausbau der Behandlungsmaßnahmen05. Konzeption für den Jugendvollzug06. Zustand des NRW Jugendstrafvollzuges07. Situation in der JVA Siegburg08. Politik gegen Gewalt unter Gefangenen09. Auftrag für ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept10. Amtsübergabe - GesprächKapitel II:Feststellungen zu Mängeln und Missständen im Jugendbereich der JVASiegburg zur Tatzeit im November 2006Zusammenfassende Bewertung des Verhaltens der BetroffenenFeststellungen aus der Untersuchung01. Anstieg der Überbelegung02. Abgelehnte Entlastung03. Verpasste Chance zur Umwandlung in eine reine Jugendanstalt04. Ungeeignete JVA-Leitung05. Fehlendes Klima der GewaltvermeidungKapitel III.:Feststellungen zu Fehlern in der Reaktion der Justizministerin nach derTat1


Zusammenfassende Bewertung des Verhaltens der BetroffenenFeststellungen aus der Untersuchung01. Fehler in der Informationa) gegenüber der Öffentlichkeitb) gegenüber dem Rechtsausschuss02. Zu später Besuch der JVA Siegburg03. Unangemessene Behandlung der Eltern des Opfers nicht-öffentlich04. Unangemessene Behandlung der JVA-Belegschaft05. Nicht gehaltene Zusage - Kein Personal für SiegburgKapitel IV:Feststellung zur Verhinderbarkeit des FoltermordesA. Die unfassbar schreckliche Tat01. Vorgeschichte und Rahmen der Taten02. Das Tatgeschehena) Schläge mit Seifeb) Salz-Chili-Gebräu und erstes Erbrechenc) WC-Schüssel und zweites Erbrechend) Erster erzwungener Oralverkehre) Analvergewaltigung mit dem Handfegerf) Weiterer erzwungener Oralverkehr an I.g) Schläge nach "Ampel"h) Der Tötungsentschlussi) Schläge nach Fensterrufenj) Die Tötung des Hermann H.03. Das Geschehen nach der TatB. Konkrete Fehler in der JVA Siegburg01. Versagen der Täter-Opfer-Erkennung02. Fatale Fortsetzung der Viererbelegung03. Vergeblicher Hilferuf über die "Ampel"04. Fehlende VitalkontrolleC. Das Kardinalproblemund das entscheidende Versagen der Betroffenen01. Mörderische Enge, tödliche gruppendynamische Prozesse1.1 Menschenunwürdige Haftraumenge1.2 Feststellungen aus dem LG-Urteil1.3 "Binsenweisheit" unter Vollzugspraktikern02. Ignorierte Warnungen (vom Dienstanritt bis zur Auftragserteilungsog. Gewaltstudie des Kriminologischen Dienstes)2.1 Erste Gewalterfahrung und Warnungen2.2 Warnungen der Fachabteilungen2.3 Vorfall Ichtershausen und "Böhm-Kommission" in Thüringen20012.4 Hessische Studie "Gewalt im Gefängnis'" 20022.5 Arbeitsgruppe Jugendanstalt Hameln 20032.6 Erfahrungen aus anderen Bundesländern2


ZusammenfassungFeststellungen zur Situation des Jugendstrafvollzuges in NRW beiAmtsübernahme der Betroffenen Müller-Piepenkötter (CDU)Die Betroffene hat nach ihrem Amtsantritt den ihr von der Vorgängerregierung übergebenenZustand des (Jugend-) Strafvollzuges in Nordrhein-Westfalen gelobt.Von ihrem Vorgänger war ein Gesamtkonzept zur Neuordnung in Auftrag gegebenund die Betroffene in einem persönlichen Gespräch auf noch bestehende Problemeausdrücklich hingewiesen worden.Feststellungen zu Mängeln und Missständen im Jugendbereich der JVASiegburg zur Tatzeit im November 2006Die Überbelegung im Jugendbereich und im Gesamtbereich der JVA Siegburg warzur Tatzeit im November 2006 auf einen Höchststand gewachsen und erhöhte damitdie Gefahr von Gewaltakten unter Jugendgefangenen.Eine mögliche Entlastungsmaßnahme, deren Wirksamkeit zur Tatzeit heute nichtmehr beurteilt werden kann, wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen nachintransparenter Intervention im und aus dem Ministerinbüro nicht durchgeführt.Dadurch wurden erste Schritte einer sinnvollen Umwidmung zu einer reinen Jugendanstaltverhindert.Fehler der Anstaltsleitung wurden nicht abgestellt.Diese Mängel und Missstände im Jugendbereich der JVA Siegburg fallen in den (organisatorischen)Verantwortungsbereich der Betroffenen.Feststellungen zu Fehlern in der Reaktion der Justizministerin nach derTatNach der Tat gab es Falschinformationen gegenüber Öffentlichkeit und Parlament.Der notwendige Besuch in Siegburg wurde aus rechtlicher Ängstlichkeit verzögert.Die Eltern des Folter-Opfers wurden unangemessen behandelt.Die Belegschaft der JVA Siegburg wurde nicht angemessen behandelt und Zusagenihr gegenüber nicht eingehalten.Diese Fehler fallen in den (organisatorischen) Verantwortungsbereich der Betroffenen.4


Feststellung zur Verhinderbarkeit des FoltermordesDie ganze Unfassbarkeit der Tat, die unerträgliche Hoffnungslosigkeit des Opfers,seine nicht enden wollenden Leiden, die in dem völligen Zusammenbruch seines Lebenswillensund in einer qualvollen, sich hinziehenden Ermordung endeten, ergebensich aus dem Urteil des Landgerichts Bonn gegen die drei Mitgefangenen.Hermann H. hätte nicht qualvoll sterben müssen, wenn• bei der Auswahl der Zellengemeinschaft die sogenannte Verträglichkeitsprüfungbzw. eine Täter-Opfertyp-Erkennung funktioniert hätte und nicht zwei aggressive,bereits durch Gewalttaten und vollzugliche Disziplinarstrafen aufgefalleneJugendgefangene mit dem passiv-zurückhaltenden Opfer zusammengelegtworden wären.• noch vor dem Tatwochenende die Viererbelegung durch Rückverlegung derbeiden aggressiven Jugendgefangenen in ihre renovierte Zelle aufgehobenworden wäre.• bei seinem "Hilferuf" über die Lichtruf-/Gegensprechanlage die Pflicht zur Behandlungals "Notruf" und damit zum Aufsuchen einer mehrfach belegten Zellebestanden hätten und dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit, insbesondereauf das Befinden des Opfers gerichtet worden wäre.• es die Anweisung gegeben hätte, beim Aufsuchen einer mehrfach belegtenZelle eine sog. "Vitalkontrolle" (Ansprache und körperliche Inaugenscheinnahme)aller Insassen durchzuführen. Dies galt insbesondere nach Beschwerdenüber Lärm, die auf eine körperliche Auseinandersetzung hinweisenkönnten.Offenbar fehlte den Anstaltsbediensteten insoweit die erforderliche Ausbildung oderfachliche Anleitung. Die Organisations-Verantwortlichkeit dafür trug zum Tatzeitpunktdie Betroffene.Die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung des schrecklichen Foltermordeswäre das frühzeitige Verbot der Dreier- und Vierer-Belegung im Jugendbereichund die Beschränkung von Mehrfachbelegung auf maximal zwei Jugendgefangenepro Haftraum gewesen.Es gab für eine solche Maßnahme für die Betroffene im Jahr 2006 bereits vorder Tat erheblichen, später sogar zwingenden Anlass.Eine solche Anordnung wäre der Betroffenen auch trotz bestehender Engpässeim Haftraumbestand und im Personalbereich möglich gewesen, wie allein dieTatsache beweist, dass sie unmittelbar nach dem Foltermord entsprechendhandelte.5


Mörderische Enge, tödliche gruppendynamische ProzesseDie menschenunwürdige Enge des Haftraumes, die Belegung mit vier Jugendlichenund die lange, unkontrollierte Einschlusszeit ohne Beschäftigung haben gruppendynamischeProzesse freigesetzt, die zu der schrecklichen Tat geführt haben.Ignorierte Warnungen I(vom Dienstantritt bis zur Auftragserteilung der sog.Gewaltstudie des Kriminologischen Dienstes)Das drängende Problem der Gewalt gerade unter Jugendgefangenen war der Betroffenenseit ihrem Dienstantritt Mitte 2005 durch eine Vielzahl von Hinweisen, Warnungenund Gewalttaten hinreichend bekannt.Der Betroffenen hätten zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Amtszeit von ihrer FachabteilungIV-Strafvollzug im Justizministerium oder ihrem Justizvollzugsamt Erkenntnisseund Schlussfolgerungen aus früheren Vorfällen oder anderen Bundesländern,insbesondere bei einer systematischen Abfrage und Auswertung, vorliegen können,die sie zu einem sofortigen Handeln, insbesondere zu einem Verbot von Dreier- undVierer-Belegungen im Jugendvollzug hätten bewegen müssen.Auftrag an den Kriminologischen DienstDer Auftrag durch die Betroffene erfolgte verzögert und thematisch beschränkt.Festzuhalten ist, dass es angesichts der schon bis dahin bekannten Gefahren durchMehrfachbelegungen in Notgemeinschaften unzureichend, ja fahrlässig war, sich aufdie Beauftragung einer wissenschaftlich orientierten und Zeit kostenden Studie zubeschränken.Es ist auch nicht zu erkennen, dass sich die Betroffene für Fortgang der Untersuchung,Zwischenerkenntnisse oder Probleme interessierte oder sich darüber regelmäßigauf dem Laufenden halten ließ.Ignorierte Warnungen II(vom Zeitpunkt der Projektierung der Studie bis zum Foltermord)Bis zum Sommer 2006 verdichteten sich Arbeitshypothesen ("Gefahrenzone" Viererbelegung),Gewaltvorfälle, daraus abgeleitete Erfahrungen und Einschätzungen vonVollzugspraktikern und gewonnene Erkenntnisse aus der Arbeit am Gutachten desKriminologischen Dienstes über die Gefährlichkeit von Mehrfachbelegungen, insbesondereVierer-Belegungen über längere Zeit im Jugendbereich.Die Betroffene hätte daraufhin als Sofortmaßnahme die Belegung von Hafträumenim Jugendbereich mit maximal zwei Jugendgefangenen anordnen müssen.Die Betroffene hat diese Entwicklung entweder grobfahrlässig ignoriert, weil sie - ausUnerfahrenheit oder Uneinsichtigkeit - erst die Ergebnisse der von ihr favorisierten6


Studie abwarten wollte oder die notwendigen Informationen haben sie aufgrund einesOrganisationsversagens nicht (rechtzeitig) erreicht.Dieses Zögern bzw. diese Untätigkeit haben Hermann H. das Leben gekostet.Die Betroffene muss endlich die Verantwortung übernehmenDieser Bericht nach vierzehnmonatiger Verhandlungstätigkeit in 25 Sitzungen undeiner Beweisaufnahme mit 32 Zeuginnen und Zeugen sowie fast 500 Akten beweist:Für die Fehler, Missstände und Mängel, die Hermann H. im Jugendgefängnis Siegburgam 11.11.2006 nach fast 12 Stunden qualvoller Misshandlungen und Folter dasLeben gekostet haben, trägt Roswitha Müller-Piepenkötter als zuständige Justizministerindes Landes NRW in erster Linie die persönliche, insbesondere aber die vollepolitische Verantwortung.Dies ist nur durch ihren Rücktritt als Justizministerin oder durch ihre Abberufung vonSeiten des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers möglich.7


Präambel:"Der Staat kann seine Bürger im täglichen Leben nicht nachhaltig vor Verbrechenschützen. Das ist eine ebenso einfache wie universelle Wahrheit, die zu allen Zeitenund in allen Gesellschaften gilt…Aber wenn der Staat einem Bürger seine Freiheit nimmt, wenn er ihn einsperrt, ihnjeder eigenen Entscheidungsmöglichkeit über seinen Aufenthaltsort beraubt, ihnzwingt, mit anderen Menschen in einer Zelle zusammenzuleben, zu essen, was ihmvorgesetzt wird - dann übernimmt der Staat die Pflicht, das Leben und die körperlicheUnversehrtheit dieses Bürgers zu garantieren. Da mag es immer noch unwägbareGefahren geben (einstürzende Decken, Salmonellen im Kartoffelsalat), aber gegendie Risiken, die sich aus dem Entzug der Freiheit und der zwangsweisen Wohngemeinschaftergeben, muss der Staat seine Gefangenen absichern."(Hans Holzhaider, Süddeutsche Zeitung am 05.10.2007)Teil I: Ergebnis der UntersuchungsarbeitKapitel I :Feststellungen zur Situation des Jugendstrafvollzuges in NRW bei Amtsübernahmeder Betroffenen Müller-Piepenkötter (CDU)Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU), die Betroffene der vorliegenden Untersuchung,übernahm im Juli 2005 das Amt der Justizministerin von ihrem Vorgänger WolfgangGerhards (SPD).01. Schaffung neuer HaftplätzeDie damalige Landesregierung schaffte in den Jahren 2000 bis 2005 durch Baumaßnahmen737 neue Haftplätze. Damit wurde- die Haftplatzkapazität um netto fast 146 Plätze erhöht,- der Haftraumbestand wesentlich modernisiert,- die Einzelhafträume deutlich vermehrt. (Akte A 10, S. 171)02. Projekt AGIPMit dem Projekt "AGIP" wurde ein geeignetes Instrument entwickelt, um vorhandenePersonalkapazitäten zwischen den Justizvollzugsanstalten gerecht und sinnvoll zuverteilen, wobei den Jugendanstalten ein Bonus im Personalbereich zugestandenwurde (E 1 = APr 14/307, S. 29, Rechtsausschuss 16.11.2006).03. PersonalsituationAufgrund einer dramatischen Haushaltslage mussten in allen Bereichen der LandesverwaltungStelleneinsparungen durchgesetzt werden. Die durch die zwischenzeitlicheVerlängerung der Wochenarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte entstandenenStundenmehrkontingente sind allerdings weitgehend im AVD verblieben, wurden alsonicht für Personalabbau verwandt. Im allgemeinen Vollzugsdienst und im Werkdienstsind, um der Belastungssituation in den Vollzugsanstalten Rechnung zu tragen, 132kw-Vermerke statt rechnerisch 340 ausgebracht worden. (DS 13/6265, S. 73, Antwortauf Große Anfrage CDU = E 1). Die Verlängerung der Wochenarbeitszeit wurde zudemzum Abbau von Überstunden genutzt (Rechtsausschuss 16.02.2005, APr.13/1460, S. 1 ff. = E 1)8


04. Ausbau der BehandlungsmaßnahmenIn den Jahren 1998 bis 2004 konnten in sozialtherapeutischen Einrichtungen desLandes 208 Plätze eingerichtet und das hierfür erforderliche Personal bereitgestelltwerden (DS 13/6265, S. 4, Antwort auf Große Anfrage CDU = E 1).Zudem hatte die Landesregierung folgende Maßnahmen ergriffen (Antwort der Landesregierungauf die kleine Anfrage DS 13/4049 vom 24.06.2003 = E 1 (1/2)):- Einrichtung einer sozialtherapeutischen Abteilung inSiegburg mit 31 Haftplätzen für Jugendliche mit schwerstenStraftaten (Gewalt-, Sexual- und Tötungsdelikten)- Wohngruppen in Heinsberg und Herford (jeweils eine mit 10bzw. 35 Plätzen)- Anti-Aggressions-Training in JVA Iserlohn eingeführt(Gruppenangebot für bis zu 12 Jugendliche)- Offener Vollzug in JVA Hövelhof mit Anti-Agressivitäts-Training- Differenziertes schulisches Förderangebot sowie beruflicheAusbildungsmöglichkeiten- Vermeidung von Rückfallrisiken durch ergänzende Hilfen zur beruflichenReintegration durch arbeitsmarktorientierte Entlassungsvorbereitung; dazu warenan den fünf Standorten Förderkreise initiiert worden.05. Konzeption für den JugendvollzugIm Jahr 2004 entwickelte eine Arbeitsgruppe eine "Konzeption für den Jugendvollzugdes Landes Nordrhein-Westfalen". Dabei waren auf Wunsch des amtierenden Justizministersauch "Angaben zum Antigewalttraining" eingearbeitet (D 192 = A 153 a,b).06. Zustand des NRW JugendstrafvollzugesDie Situation beschrieb der damalige Justiz-Staatssekretär Schubmann-Wagner alsZeuge vor dem PUA am 25.01.2008 (APr. 14/594, Seite 157) zutreffend wie folgt:"Ich kann nur sagen, dass die Zustandsbeschreibung des nordrheinwestfälischenJugendstrafvollzugs, wie sie Herr Leitender Ministerialrat Grönervor dem Bundesverfassungsgericht am 01.06.2006 vorgetragen hat, und das,was Frau Ministerin Müller-Piepenkötter in ihrer Presseerklärung vom07.07.2006 beschrieben hat, zutreffend sind. Dort steht nämlich:Die Praxis des Jugendstrafvollzuges in NRW wird schon heute den Vorgabendes Bundesverfassungsgerichts gerecht und ist in der bestehenden'Konzeption für den Jugendvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen'festgelegt. Sie ist in hohem Maße differenziert, auf Resozialisierung desEinzelnen ausgerichtet und deutlich erzieherisch gestaltet. In allen Jugendstrafvollzugsanstaltendes Landes werden die jugendlichen und heranwachsendenGefangenen individuell angehalten, ihren Tagesablaufim Rahmen ihrer Möglichkeiten eigenverantwortlich aktiv mit zu gestaltenund sich gleichzeitig mit der eigenen Tat und ihren Folgen auseinanderzusetzen.Und als die Strafvollzugschefs der Bundesländer in Düsseldorf waren, hatFrau Ministerin Müller-Piepenkötter am 04.05. (2006; Anm. d. Verf.) erklärt:9


Behandlung und Resozialisierung von Strafgefangenen haben in unseremLand ein anerkannt hohes Niveau. Daran wird sich nichts ändern.“Noch Ende 2006 zitiert die Welt am Sonntag (A 125, S. 116):"Piepenkötter konnte es sich daher in den letzten Tagen leisten, die Vorgängerregierungzu loben: Auch unter Rot-Grün sei ja Gutes für die Haftanstaltenauf den Weg gebracht worden, räumte sie ein.""Tatsächlich ist der Beschäftigungsgrad der Häftlinge in NRW mit 56 Prozentaller Inhaftierten und 76 Prozent der jugendlichen Verurteilten bundesweit ü-berdurchschnittlich.Das heißt: In NRW werden Häftlinge öfter als anderswo alphabetisiert, zumHauptschulabschluss oder zu einer Berufsausbildung geführt. Und fast flächendeckendwird in NRW Antiaggressionstraining, Psychotherapie oderSuchtberatung durchgeführt."07. Situation in der JVA SiegburgIn diesem Teil des Untersuchungszeitraums waren in der JVA Siegburg sowohl derJugendbereich (Januar 2003 - Februar 2005) als auch der Gesamtbereich (Januar2003 - Juni 2004) unterbelegt (D 249). Als die Überbelegung zunahm, wurde die JVASiegburg durch Belegungsausgleich zum 01.07.2005 entlastet (D 228, S. 491, 502,505).Die JVA Siegburg lag in der Gewaltstatistik "Übergriffe Gefangene gegen Gefangene"hinter verschiedenen anderen Justizvollzugsanstalten (Drucksache 13/6637A.auf Kl. Anfrage 23.02.2003 = E 1).08. Politik gegen Gewalt unter GefangenenDie Politik gegen Gewalt unter Gefangenen des damaligen Justizministers beschriebder Abteilungsleiter Strafvollzug Mainzer als Zeuge vor dem PUA am 25.01.2008(APr. 14/594, S. 18) wie folgt:"Ja, wir haben konsequent reagiert: Strafanzeige, Disziplinarverfahren, strafrechtlicheVerurteilung. Sollte in dem Einzelfall Anlass gegeben gewesen sein,etwas Generalisierendes zu tun, irgendwo einen Riegel oder dergleichen vorzuschieben,haben wir das auch getan.Dementsprechend lautete damals – das war am 22.02.2005 – die Antwort derLandesregierung auf diese Anfrage des Abgeordneten Biesenbach: Ein Anlass– sinngemäß –, etwas Generalisierendes zu tun, besteht nicht. Denn dasInstrumentarium, welches wir haben, reicht aus, um sowohl die jeweiligen Einzelfälleaufzuarbeiten als auch im Sinne einer Gewaltprävention dadurch zuwirken, dass wir abschrecken, dass wir ja geradezu demonstrieren und zelebrieren,dass wir die Politik der null Toleranz fahren. Noch mal: Strafanzeige,Disziplinarverfahren, strafrechtliche Verurteilung und natürlich Aufarbeitungder Umfeldgeschehnisse vor Ort."Die amtierende Justizministerin hat in ihrer Aussage vor dem PUA als Zeugin am10.03.2008 (APr 14/129, S. 7) dieses Vorgehen ihres Vorgängers positiv bewertet:"Sie werden von meinen Fachbeamten im Zuge Ihrer Untersuchung auch detaillierterals oben geschildert gehört haben, auf welche Weise gewaltsamenÜbergriffen begegnet worden ist und welche Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügungstehen. Ich habe den Eindruck, dass auch in der Vergangenheit hierverantwortungsvoll gearbeitet wurde."10


09. Auftrag für ein zukunftsfähiges GesamtkonzeptUm in der Landesregierung die notwendigen finanziellen, baulichen, personellen undsächlichen Ressourcen für einen zukunftsfähigen (Jugend-) Strafvollzug durchsetzenzu können, gab der damalige Justizminister die Erarbeitung eines Grundlagenkonzeptesin Auftrag (Zeugenaussage Gerhards vom 18.02.2008 APr 14/606, S. 8, 27,35):"Da gab es zunächst die Erarbeitung eines Anstaltskonzeptes, um zu sehen,welche Anstalten wir haben, wie viele wir für welche Art von Strafgefangenenbrauchen, an welchem Ort und im Rahmen welcher Konzepte wir die Strafgefangenenunterbringen müssen und welche Stellenbesetzung daraus resultiert…Das war ein nicht abgeschlossener Prozess in der Entstehung, der dasZiel hatte, den Bedarf an Anstaltsplätzen für bestimmte Gefangene und dendaran ausgerichteten Sach- und Personalbedarf nach einheitlich vorgegebenenStrukturen zu ermitteln. Das war bei meinem Amtsende nicht abgeschlossen,sondern mitten in Arbeit."…"Herr Klein hat den Auftrag gehabt, über alle Anstalten hinweg die damaligeund die künftige Struktur, die Art des Vollzuges - wer wo sitzen, wie er erzogenoder ob er behandlerischen Maßnahmen unterzogen werden soll - zu definierenund den darauf bezogenen jeweiligen Personalbedarf zu ermitteln."…"Wir brauchen jetzt eine Bedarfsanalyse darüber, welche Anstalten und inwelcher Zahl wir welche Art von Haftplätzen brauchen, welches Personal dazugehört und wie wir das Ganze finanzieren und umsetzen sowie Überstundenabbauen können. Schon das zu erarbeiten hat weit über ein Jahr gedauert. Ichhoffe, dass das später fortgeführt worden ist; ich weiß es nicht."Es konnte nicht festgestellt werden, ob und in welcher Weise diese Vorarbeiten vonseiner Nachfolgerin zu Ende gebracht oder genutzt wurden.10. Amtsübergabe - GesprächAm 06.07.2005 fand ein ca. einstündiges Gespräch zwischen dem scheidenden JustizministerGerhards und seiner Nachfolgerin im Landtag statt. Über den Inhalt hatder Staatsminister a. D. am 18.02.2008 vor dem PUA ausgesagt (APr 14/606, S. 11):"Wir haben uns im Foyer des Landtages getroffen. Ich habe ihr erklärt, dasssie, wie ich fand, ein in allen Bereichen, abgesehen vom Strafvollzug, gut geordnetesHaus übernimmt - es war das beste Ministerium, das ich je geführthabe -, dass aber der Strafvollzug ein riesengroßes Problem ist…Es gab massive strukturelle Probleme, die ich ihr geschildert habe.Ich habe ihr aber auch gesagt, sie müsse Herrn Mainzer unter allen Umständenden Rücken stärken, selbst wenn er Fehler mache und sich unbeliebt mache,denn er werde eine gewisse Zeit brauchen. Er sei die letzte Chance, diesie habe, um eine Struktur in den Strafvollzug zu bringen. Das müsse aberdringend sein, weil vieles im Argen liege und das ein Pulverfass sei. - Das Gesprächhaben wir, wie gesagt, im Juli 2005 im Foyer des Landtages geführt,um deutlich zu machen, dass im Strafvollzug die Hauptaufgabe liegt…Deshalb war ich schon etwas überrascht, als die Ministerin später den Eindruckerweckt hat, sie hätte einen Laden übernommen, über den sie sich kei-11


ne Sorgen machen müsse, oder dass alles in Ordnung sei und sie alles getanhabe.Das heißt nicht - ich sage das noch einmal -, dass es eine persönliche Verantwortungdafür geben könnte, dass in Siegburg das geschehen ist, was geschehenist. Als so weitreichend würde ich das nicht sehen. Die Verantwortungeines Ministers liegt woanders. Aber wenn eine Ministerin weiß, dass esMissstände gibt, sollte sie sich nach Amtsantritt relativ schnell darum kümmern,diese abzubauen."Kapitel II:Feststellungen zu Mängeln und Missständen im Jugendbereich der JVA Siegburgzur Tatzeit im November 2006Zusammenfassende Bewertung des Verhaltens der Betroffenen:Die Überbelegung im Jugendbereich und im Gesamtbereich der JVA Siegburg warzur Tatzeit im November 2006 auf einen Höchststand gewachsen und erhöhte damitdie Gefahr von Gewaltakten unter Jugendgefangenen. Eine mögliche Entlastungsmaßnahme,deren Wirksamkeit zur Tatzeit heute nicht mehr beurteilt werden kann,wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen nach intransparenter Intervention im undaus dem Ministerinbüro nicht durchgeführt.Dadurch wurden erste Schritte einer sinnvollen Umwidmung zu einer reinen Jugendanstaltverhindert.Fehler der Anstaltsleitung wurden nicht abgestellt.Diese Mängel und Missstände im Jugendbereich der JVA Siegburg fallen in den (organisatorischen)Verantwortungsbereich der Betroffenen.Feststellungen aus der Untersuchung:01. Anstieg der ÜberbelegungVon 1952 bis 1972 gab es in der JVA Siegburg eine "Mischbelegung" von Jugendlichenund Erwachsenen. Von 1972 bis 1993 wurde reiner Jugendvollzug durchgeführt.Seit dem 01.04.1993 sind, allerdings getrennt, wieder Jugendliche und Erwachsenein der JVA (A 120, S. 23).Das "Haus 2", in dem auch die Tatzelle lag, war ausschließlich mit Jugendgefangenenbelegt (ca. 222 Haftplätze). Das "Haus 1" war, in getrennten Abteilungen, mitJugend- und Erwachsenen-Gefangenen belegt.Eine "Über-/Unter-Belegung" kann nur durch den Vergleich der festgelegten "tatsächlichenBelegungsfähigkeit" (Anzahl der vorhandenen Haftplätze) mit der "tatsächlichenBelegung" (Anzahl der vorhandenen Jugendgefangenen) festgestellt werden.Die nach der Tat von der Betroffenen eingesetzte "Kommission: Gewaltprävention imStrafvollzug - Nordrhein-Westfalen" (Werthebach-Kommission) stellte in ihrem "1.Teilbericht - Ergebnis der Überprüfung der fünf Jugendanstalten" vom 01.02.2007 (A123) in einer Tabelle fest (S. 57): Im Jahresdurchschnitt war der Jugendvollzug in12


Siegburg mit ca. 108%, zum 31.10.2006 mit ca. 117% und zum 30.11.2006 mit ca.116% überbelegt.In der Amtszeit der Betroffenen stieg die Überbelegung des Jugendbereichs in derJVA Siegburg bis zum Zeitpunkt kurz vor der schrecklichen Tat um 13 Prozentpunkte,von 106,6% Ende Juni 2005 auf 119,4% Ende Oktober 2006 (D 249).Die höchste Gesamt-Überbelegung (Jugend plus Erwachsene) im Untersuchungszeitraumhatte die JVA Siegburg unter Verantwortung der Betroffenen. Im Januar undOktober 2006 betrug die Gesamt-Überbelegung 112,9%, 733 Gefangene bei einerBelegungsfähigkeit von 649 Haftplätzen.Dabei hatten der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes (PLJVA) und der AbteilungsleiterIV - Strafvollzug im Justizministerium in einer "Unterrichtung für die Hausspitze"vom 18.01.2006 (A 50, S. 226 ff.) die Betroffene u.a. auf die Auswirkungenvon Überbelegung auf die Gewalt unter Gefangenen hingewiesen:"Eine Überbelegung führt tendenziell zu einer Zunahme von Übergriffen."02. Abgelehnte EntlastungMit Verfügung vom 30.01.2006 (D 228, S. 583) machte die zuständige Mitarbeiterindes Landesjustizvollzugsamtes (LJVA) die Feststellung:"Die JVA Siegburg hingegen ist konstant überbelegt. Am 26.01.2006 befandensich bei einer Belegungsfähigkeit von 361 Haftplätzen im Erwachsenenbereich422 Gefangene, im Jugendbereich bei einer Belegungsfähigkeit von 258 befandensich 267 jugendliche Gefangene."Daran schloss sie einen Entlastungsvorschlag an:"Die JVA Wuppertal ist im Jugendbereich dauerhaft unterbelegt. Bei einer Belegungsfähigkeitvon 117 Haftplätzen befanden sich am 03.01.2006 75 jugendlicheGefangene in der JVA Wuppertal.""Zahlenmäßig würde sich Folgendes anbieten:Die JVA Wuppertal gibt die kompletten Zuständigkeiten … an die JVA Siegburg(ca. 75 Gefangene).Die JVA Siegburg gibt dafür die Zuständigkeit … an die JVA Wuppertal (insgesamtca. 111 Gefangene)."Der Entlastungsvorschlag zielte darauf ab, die Zuständigkeit der JVA Wuppertal fürjugendliche Untersuchungsgefangene auf die JVA Siegburg zu übertragen, die dafürim Ausgleich erwachsene Strafgefangene an die JVA Wuppertal abgeben sollte.Sie begründete ihn wie folgt (D 203, S. 255):"Unabhängig von einer guten Möglichkeit Haftplatzkapazitäten gleichmäßigerauszulasten, entspräche diese Regelung auch der Idee einer zentralen Unterbringungvon jugendlichen Gefangenen in besonders geeigneten Einrichtungen(vergleichbar Konzeption JVA Heinsberg).Die jugendlichen Untersuchungsgefangenen könnten bereits frühzeitig inschulische und berufliche Maßnahmen einbezogen werden. Behandlungsmaßnahmenwie "Soziales Training" und „Anti-Agressionstraining" könnteneher genutzt und teilweise nach Verurteilung weitergeführt werden. Bereits erhobeneZahlen legen dar, dass in Jugendanstalten, in denen Untersuchungshaftund Strafhaft gemeinsam vollstreckt werden, eine weit größere Zahl jungerUntersuchungsgefangener in13


Behandlungsmaßnahmen eingebunden sind, als in einer reinen Untersuchungshaftanstalt.Da sich die Gefangenen teilweise bereits in der Untersuchungshaft in der auchspäter zuständigen Strafanstalt befänden, wäre eine langfristige Vollzugsplanungbesser zu realisieren."Nach einer Besprechung zwischen LJVA und Justizministerium notierte die Mitarbeiterin,die den Vorschlag zur Entlastung der JVA Siegburg gemacht hatte, handschriftlichin ihre Akte (D 203, S. 257):"Der Vorschlag wurde besprochen, jedoch nicht weiter verfolgt, da lt. Hr. Löhmernach einem Anruf durch einen Mitarbeiter der JVA W`tal im Ministerinbürodieser Vorschlag abgelehnt wurde"Als Zeugin hat sie vor dem PUA am 17.12.2007 (APr 14/573, S. 6) ausgesagt, HerrLöhmer, der als Referatsleiter 4 Logistik in der Abteilung Justizvollzug im Justizministeriumdie Besprechung leitete, habe die von ihr niedergelegte Äußerung vor der Besprechungtelefonisch und auch während der Sitzung ihr gegenüber gemacht. IhrKollege Unland hat dem PUA (APr 14/573, S. 159) bestätigt, von der Zeugin überdas Telefonat informiert worden zu sein. Der Zeuge Löhmer hat vor dem PUA amselben Tag (APr 14/573, S. 63 ff.) den Vorfall insgesamt bestritten.Bedauerlicherweise hat die Regierungsmehrheit im PUA eine weitere Aufklärung,insbesondere durch eine Gegenüberstellung der Zeugen, verhindert.Der Zeugin ist zu glauben. Ihr handschriftlicher Vermerk ist eindeutig und lässt eslebensnah erscheinen, dass sie eine für sie überraschende und brisante Informationniedergeschrieben und einem Kollegen davon spontan berichtet hat. Sie machte einenglaubwürdigen Eindruck und blieb auch bei intensiver Befragung widerspruchsfreiin ihren Angaben. Dagegen hat der Zeuge Löhmer ein erkennbares Interesse amBestreiten dieser Information. Ihr Bekanntwerden hat nicht nur für eine erhebliche,kritische Reaktion der Presse gesorgt, sondern auch die Betroffene als Dienstvorgesetztein einem laufenden PUA-Verfahren in Schwierigkeiten gebracht. Dafür müssteder Zeuge sich bei Eingestehen der Äußerung rechtfertigen.Für die Richtigkeit spricht zudem die Aussage des damaligen LJVA-DezernentenHaucke als Zeuge vor dem PUA am 26.11.2007 (APr 14/546, S. 184 f.), wonach überden Entlastungsvorschlag in der dafür angesetzten Besprechung nicht diskutiertwurde:"Was ich aber sagen kann, ist, dass es keine tiefere innere Diskussion überdiesen Punkt gegeben hat. Man hätte sich ja thematisch darüber auseinandersetzenkönnen, ob man das will oder nicht will. Da bin ich mir relativ sicher,dass eine thematische Auseinandersetzung dazu in der Tiefe mit einem Austauschvon Argumenten nicht stattgefunden hat. Sonst hätte ich das behaltenund hätte dann auch Argumente gehabt, die ich eingebracht hätte. Aber dazuist es nicht gekommen."Da aber eine Intervention im und aus dem direkten Umfeld der Betroffenen vorlagund der zuständige Referatsleiter bereits vor der Sitzung den Vorschlag "für erledigterklärt" hatte, war es nur folgerichtig, dass er in der Besprechung keine Rolle mehrspielte.14


Überzeugend bestätigt wird die Richtigkeit der handschriftlichen Notiz schließlichdurch die Aussage des damaligen Abteilungsleiters im LJVA und Vorgesetzten derZeugin, den Zeugen Thewalt, der in seiner Vernehmung vor dem PUA am 26.11.2007 (APr 14/546, S. 84, 106, 103) die Motivation der JVA Wuppertal für eine Interventionim Justizministerium lieferte und ausführte, von einem entsprechenden Telefonatgehört zu haben:"Die JVA Wuppertal wollte ihre Jugendlichen gerne behalten.""Die JVA Wuppertal – das weiß ich definitiv – hatte Kenntnis von den Überlegungen.Die waren auch besorgt. Die wollten es nicht.""Und die JVA Wuppertal hatte ein Interesse daran, die jungen U-Gefangenenzu halten. Und wenn ich es richtig verstanden habe, hat irgendein Mensch ausder JVA Wuppertal oder aus dem unmittelbaren Umkreis der JVA Wuppertalim Ministerbüro – ich weiß jetzt nicht bei wem – eher besorgt nach dem Motto– ich sage es mal mit meinen eigenen Worten –: „Ist es richtig, dass dort Überlegungenin Gang sind?“, angerufen."03. Verpasste Chance zur Umwandlung in eine reine JugendanstaltBereits 1977 wurde von der Vollzugskommission des Landtages bei einem Besuchdie gemischte Unterbringung von Erwachsenen und Jugendgefangenen in der JVASiegburg als "nicht glücklich" bezeichnet (D 228, S. 228).Auch die Werthebach-Kommission hat die gemeinsame Unterbringung kritisiert (A17, A 123, S. 57 des 1. Teilberichtes).Die zuvor beschriebene Ablehnung des Entlastungsvorschlages nach Interventionvon interessierter Seite im direkten Umfeld der Betroffenen ("Ministerinbüro") führtezu einer Verlängerung dieses kritisierten Zustandes. Der Siegburg-Dezernent imLJVA (D 203, S. 213, 214) konstatierte:"Ein Vorschlag des Landesjustizvollzugsamtes NRW aus Januar 2006, in dieJustizvollzugsanstalt Siegburg junge Untersuchungsgefangene aus anderenAnstalten gegen Abgabe der erwachsenen Strafgefangenen aufzunehmenund sie so langfristig zu einer reinen Jugendanstalt umzuwidmen, konnte nichtumgesetzt werden. Das Justizministerium lehnte einen (ersten) Tausch zwischenden Justizvollzugsanstalten Siegburg und Wuppertal ab."Das Vorgehen des LJVA wurde durch einen Vermerk von Mitarbeiterinnen in derVollzugsabteilung des Justizministeriums vom 11.12.2006 4412-IV.31, einemKatalog der verbesserungswürdigen Bedingungen in Jugendanstalten (A 125, S.112) gestützt:"Junge Gefangene nur noch in Anstalten des Jugendvollzuges d.h. keine jungenU-Gefangenen mehr in Wuppertal, Kleve, Düsseldorf und Köln;Siegburg hat mehr erwachsene als junge Gefangene, es soll aber nur eineZuständigkeit geben…Reine Jugendeinrichtungen erlauben durchgängigeres pädagogisches Arbeiten."04. Ungeeignete JVA - LeitungDie zum Zeitpunkt der Tat amtierende Leitung des Jugendbereichs der JVA Siegburgwar ungeeignet.Die Werthebach-Kommission hat in ihrem 1. Teilbericht (S. 59 f.; A 17, A 123) Vorwürfegegen die zur Tatzeit amtierende Anstaltsleitung wie "Vernachlässigung der15


Inhaftierten", "resignative Vollzugspolitik" erhoben und "das konzeptionelle Defizitgegenüber den anderen vier Jugendstrafanstalten" gerügt. Es konnte sich "einbetreuungsarmer Verwahrvollzug entwickeln, der für die meisten Jugendstrafgefangenenan Wochenenden und für bis zu 40% der jungen Inhaftierten wegen ihrer Beschäftigungslosigkeitoder fehlenden Ausbildungsstelle auch an Werktagen zum 23-Stunden-Tag im verschlossenen Haftraum führt." Das Fazit:"Die Kommission hat jedoch den Eindruck gewonnen, dass Grundtendenz derVollzugspolitik der Siegburger Anstaltsleitung war, sich nicht über das unbedingtgebotene Maß hinaus um Gefangene zu kümmern."Diese Feststellungen werden durch das Fehlen einer Gefangenenmitverantwortungbestätigt.Der für die Anstalt zuständige Dezernent im LJVA rügte in seinem Vermerk (A 83, S.84, 86) über die "Besichtigung der JVA Siegburg am 25.10.2006", dass der damaligeJVA-Leiter zugleich die Abteilungsleitung für den sensiblen Jugendbereich übernommenhatte und vermerkte vorwurfsvoll:"Schließlich hat die Anstalt von sich aus weitere Stundeneinsparungen amFreitag und an den Wochenenden im Dienstplan vorgenommen."05. Fehlendes Klima der GewaltvermeidungDurch eine vom PLJVA entworfene und vom Abteilungsleiter Justizvollzug im Justizministeriumergänzte "Unterrichtung der Hausspitze" vom 18.01.2006 (A 50, S. 228)wurde der Betroffenen Folgendes mitgeteilt:"Das nicht nur im Jugendvollzug, sondern allgemein anzustrebende sozialeKlima im Umgang soll möglichst dazu führen, dass erfolgte Übergriffe vorwiegenddem Betreuer aus dem allgemeinen Vollzugsdienst oder dem im Regelfallfest zugeordneten Abteilungsbeamten mitgeteilt werden… Dies dient aucheiner schnellen Reaktion auf etwaige Vorkommnisse."Der PUA hat sich in einem Einzelfall mit dem Schicksal des Jugendgefangenen KenJ. während seiner Zeit im Jugendbereich Siegburg befasst.Mit Antrag vom 24.08.2005 (A 195, S. 47) erbat er ein Gespräch mit dem Sozialdienstund begründete dies handschriftlich:"… weil ich es hier keine Sekunde länger mehr aushalte, so fertig bin ich mitmeinen Nerven. Die sagen zu mir hier Wörter, und schlagen mich, Namen darfich nicht sagen…"Mit Antrag vom 25.11.2005 (A 195, S. 106) erbat er erneut ein Gespräch und führteaus:"…, weil halte es hier nicht mehr aus habe nur Probleme hier! bitte!"Es folgen zwei handschriftliche Vermerke von zwei verschiedenen JVA-Bediensteten,der letztere trägt das Datum vom 02.12.2005.1. Vermerk: "Herr J. spricht von Unterdrückung, insbes. durch zwei andereGef. auf der VE 4. Er hat bisher keine Mittel gefunden sich zu wehren. … SeinLeidensdruck ist aber sehr groß und ich kann nicht beurteilen wie gefährdet erwirklich ist."16


2. Vermerk: "… 2. Eine Bedrohung durch Mitgefangene wird seitens des Abteilungsdienstes(Herr Jo.) nicht bestätigt. Es wurde deshalb zugesagt, H. J. unterdiesem Aspekt besonders im Auge zu behalten."Es folgt ein weiterer Antrag vom 02.12.2005 (A 197, S. 107) für ein Gespräch mit derfast schon flehentlichen handschriftlichen Begründung:"Halte es keine Sekunde länger aus hier, bin schon sehr fertig mit meinen nerven.Habe nur Probleme hier und bekomme immer Schläge u. so!"Ein Rechtsanwalt fasste die Erlebnisse in Siegburg so zusammen (A 197, S. 79 ff.):Sein "eher schmächtiger" Mandant sei "im Rahmen des sog. Umschlusses von Mitgefangenengeschlagen und drangsaliert worden. Diese Vorfälle hätten sich gehäuftund solche Ausmaße angenommen, dass der Angeklagte sich alsbald nicht mehrgetraut habe, sich am sog. Umschluss zu beteiligen. Häufig sei man auch beim sog."Einkauf" vornehmlich von Russlanddeutschen "abgezogen" worden, d.h. eingekaufteSachen mussten bspw. unter Androhung von Schlägen hergegeben werden." J.habe "die damalige Haftzeit als außerordentlich bedrückend und krisenhaft empfunden"und es schließlich "nicht mehr ausgehalten, insbesondere auch und gerade wegender Repressalien durch Mitgefangene."Der PUA hat J. als Zeugen am 09.01.2008 vernommen und seine Schilderung alsglaubhaft und bedrückend empfunden.Obwohl der Jugendgefangene Ken J. durch mehrere Anträge und Gespräche binnendreieinhalb Monaten von Gewalt und Unterdrückung durch Mitgefangene sehr glaubhaftberichtet, wird ihm von Seiten der Bediensteten in der Jugend-JVA kein Schutzzuteil.Kapitel III:Feststellungen zu Fehlern in der Reaktion der Justizministerin nach der TatZusammenfassende Bewertung des Verhaltens der Betroffenen:Nach der Tat gab es persönliche Fehler der Betroffenen ebenso wie in ihrem (organisatorischen)Verantwortungsbereich.Feststellungen aus der Untersuchung:01. Fehler in der Informationa.) gegenüber der ÖffentlichkeitIn einer Presse-Information des Justizministeriums vom 23.11.2006 (A 2) wird dieChronologie des 13.11.2006 wie folgt dargestellt:"Morgens Obduktion des Leichnams des Opfers11:54 Uhr Die JVA Siegburg gibt eine Pressemitteilung heraus, wonach der Todesfallals Suizid bezeichnet wird14:00 Uhr Der stellvertretende Anstaltsleiter wird über Obduktionsergebnisse hinsichtlicheiner stattgefundenen Misshandlung bei dem Opfer informiert -er informiert den Anstaltsleiter17


16:45 Uhr StA informiert die Anstaltsleiterin vom Dienst, nunmehr werde in einemTötungsverfahren ermittelt. Kriminalpolizei/Mordkommission treffen inder Anstalt ein und führen bis 22:00 Uhr Vernehmungen durch. Die dreiMitgefangenen des Opfers werden nunmehr als Beschuldigte vernommen17:15 Uhr Telefonische Unterrichtung des Anstaltsleiters über das Eintreffen derKriminalpolizei/Mordkommission in der Anstalt."Die Anstaltsleitung bemühte sich nicht einmal mehr darum, ihre objektiv fehlerhaftePressemeldung "Suizid" zurückzuziehen oder zu korrigieren. So erscheinen amnächsten Tag falsche Meldungen in den Medien.In einer Presseerklärung ließ die Betroffene am 16.11.2006 (A 2) fälschlicherweiseverbreiten, sie habe bei ihrem Besuch in der JVA Siegburg "ein Gespräch mit Vertreternder Gefangenenmitverantwortung" geführt. Die Beweisaufnahme des PUA ergab,dass zu diesem Zeitpunkt eine solche Vertretung nicht bestand.b) gegenüber dem RechtsausschussIn seiner Vernehmung vor dem PUA am 25.01.2008 (APr 14/594, S. 11f.) musste derAbteilungsleiter Justizvollzug im Justizministerium einräumen, den Rechtsausschussim November 2006 dahingehend falsch informiert zu haben, dass es sich bei der Tatzellenicht um eine Viererzelle, sondern um eine Dreierzelle, die mit einer Notgemeinschaftvon vier Jugendgefangenen belegt war, handelte.Bei der Beweisaufnahme des PUA wurde zudem festgestellt, dass der Zeuge Mainzerdem Rechtsausschuss am 16.11.2006 (APr 14/307, S.41 = E 1) die Daten zweierGewalttaten im Jugendbereich der JVA Siegburg falsch mitgeteilt (A 57 = D 156 undA 74 = D 161) und von zwei Gewalttaten nichts berichtet (D 159 Tat vom 12.11.2005;A 72 = D 160 Tat vom 19.12.2005) hatte. In einem Fall (12.11.2005) lag dem ein Organisationsversagenzugrunde, weil das LJVA dem Justizministerium nicht berichtete.Dabei hatte der Abteilungsleiter IV im Rechtsausschuss am 16.11.2006 (APr. 14/307,S. 41) noch recht vollmundig die Gründlichkeit und Vollständigkeit seiner Datenlagebetont:"Ich möchte Ihnen dadurch antworten, dass ich Ihnen kurz das Ergebnis dessenvortrage, was die Abfrage in der Strafvollzugsabteilung meines Hauses -nicht nur aus dem Gedächtnis, sondern auch aus unserer Registratur - ergebenhat. Denn wenn es Vorkommnisse gibt, die einiges an Gewicht haben,werden sie natürlich zum Gegenstand von Berichten. Und diese werden beiuns dann Gegenstand von Aktenvorgängen. Deswegen kann man nachschauen."Fazit:Parlament und Öffentlichkeit wurden falsch informiert. Dies ist der Betroffenen alsFehlverhalten anzulasten.02. Zu später Besuch der JVA SiegburgDie schreckliche Tat wurde am 11.11.2006 begangen. Am 14.11. erfuhr die Betroffenevon dem Tötungsvorwurf und erst am 16.11.2006 besuchte sie die JVA Siegburg,um mit den Menschen dort zu sprechen.18


Offenbar war dieses beklagenswerte Zögern mit einer Geste des Mitgefühls durcheinen Ratschlag ihres Abteilungsleiters Justizvollzug bedingt, der die Auffassung vertrat,ein sofortiger Besuch könne die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen störenund "Friktionen prozessualer Art" (APr 14/594, S. 9) verursachen.Diese Begründung erscheint vorgeschoben und entspricht nicht dem üblichen Handelnder Landesregierung, insbesondere ihres Ministerpräsidenten. Dieser eilte nachdem grausamen Amoklauf an den Tatort von Emsdetten (zusammen mit der Schulministerin),an den Brandort der Sankt-Peter-Kirche (Aachener Zeitung vom21.06.2007) und zum Unfallort der RWE-Kraftwerksbaustelle in Grevenbroich-Neurath (BILD vom 26.10.2007).Eine weitere Aufklärung dieses widersprüchlichen Verhaltens durch Vernehmung desChefs der Staatskanzlei vor dem PUA als Zeugen wurde rechtswidrig von der Ausschussmehrheitverhindert.Fazit:Der notwendige, sofortige Besuch am Tatort als Zeichen menschlichen Mitgefühlswurde aus juristischer Ängstlichkeit zu spät durchgeführt.Dies ist der Betroffenen als Fehlverhalten anzulasten.03. Unangemessene Behandlung der Eltern des Opfers- nicht-öffentlich -Da die entsprechenden Feststellungen als "vertraulich" einzustufen sind, werden siehier nicht wiedergegeben, aber als Anlage der Plenar-Drucksache angefügt.Fazit:- öffentlich -Die Eltern des Opfers wurden von der Betroffenen nur zögerlich und eher pflichtgemäß- bürokratisch behandelt. Dies ist angesichts der Schrecklichkeit des Foltermordesund der Tatsache, dass der Tod einen Menschen in staatlicher Obhut betraf,nicht angemessen gewesen und der Betroffenen als Fehlverhalten anzulasten.04. Unangemessene Behandlung der JVA-BelegschaftMit Schreiben vom 16.03.2007 (A 134, S. 9 f.), also vier Monate nach der schrecklichenTat, an die Betroffene erhebt der Personalrat bei der JVA Siegburg gravierendeVorwürfe:"Wie ein roter Faden zieht sich der desolate Informationsfluss seit dem12.11.2006. Seit Ihrem Gespräch mit Mitgliedern des örtlichen Personalratesam 16.11.2006 in der hiesigen Anstalt sehen wir uns genötigt, alle aktuellenInformationen aus der regionalen und auch überregionalen Presse zu entnehmen.…Die vorhandenen Mittel reichen nicht aus, um derzeit die von Ihnen gewünschtenVeränderungen auch nur annähernd umsetzen zu können. Hier ist es bisherbei einer bloßen Absichtserklärung geblieben, deren Inhalte man letztendlichauch nur aus der Presse entnehmen konnte.19


An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass gerade Sie als langjährige Vorsitzendedes Hauptrichterrates und Richterbundes über die Sensibilität im Umgangmit Ihren Bediensteten verfügen müssten.…Zusammenfassend stellt der Personalrat fest, dass die zurzeit gebotene InformationspolitikIhres Hauses in jeder nur erdenklichen Weise unbefriedigendund insbesondere fahrlässig ist.Wir bitten Sie um eine eingehende Stellungnahme und möchten Sie an dieserStelle zur Personalversammlung am 23.04.2007 um 12.30 Uhr in die hiesigeAnstalt einladen."Auf einem Zettel mit dem Aufdruck "Katharina Jestaedt, Leiterin des Ministerbüros"ist mit Namensparaphe und Datum 16.03.2007 (A 134, S. 15.) handschriftlich vermerkt:"Herr AL IV schlägt vor, dass er in Ihrer Vertretung an der Personalversammlungam 23.04. teilnimmt …"Erkennbar ist ein andersartiger handschriftlicher Zusatz "ja", aller Wahrscheinlichkeitnach von der Betroffenen.Dem Personalrat wurde mit Datum vom 21.03.2007 vom Abteilungsleiter Justizvollzugmitgeteilt:"Frau Ministerin bedauert sehr, dass sie aus terminlichen Gründen an einerpersönlichen Teilnahme an der Personalversammlung am 23.04.2007 gehindertist und hat mich gebeten, diesen Termin für sie wahrzunehmen."Abgesehen davon, dass dies erkennbar unwahr war, da eine Teilnahme nicht terminlichunmöglich sondern von der Betroffenen nicht gewünscht war, wird wieder deutlich,wie sehr sie ihr Verhalten von dem Leiter der Fachabteilung bestimmen ließ.Aus der Presse wurde bekannt, dass der Personalrat Siegburg im Jahr 2008 ausProtest gegen die fortbestehenden Zustände in der JVA geschlossenen zurücktgetretenist.Fazit:Die Betroffene ignorierte die Bitte der verunsicherten Belegschaft der JVA Siegburg,persönlich zu einer Versammlung zu kommen, um Rede und Antwort zu stehen.Dies ist ihr als Fehlverhalten anzulasten.05. Nicht gehaltene Zusagen - Kein Personal für SiegburgAm 01.02.2007 gab das Justizministerium eine Presseerklärung (A 2; A 123, S. 185)zur Entgegennahme der Empfehlungen der Werthebach-Kommission heraus mit demwörtlichen Zitat der Betroffenen:"Die Wirksamkeit der von mir angeordneten Sofortmaßnahmen - mehr Personalund mehr Hafträume - für eine bessere Betreuung der Gefangenen wirdbestätigt."Dies war zu diesem Zeitpunkt unwahr.In dem vorgenannten Schreiben beklagte der Personalrat der JVA Siegburg dagegen:20


"Die vielseitig in der Presse angekündigten Verbesserungen sind bis zum heutigenTag in keinster Weise nachhaltig spürbar und haben ausschließlich zueiner Mehrbelastung der Bediensteten bei gleicher Personalstärke, abergleichwohl auch höherer Überbelegung geführt."Dies wird bestätigt durch einen Vermerk der Koordinatorin für den Sozialdienst in derJVA Siegburg, wahrscheinlich vom 08.03.2007 (A 124, S. 18), mit der Überschrift"Anmerkungen zum 1. Teilbericht der "Kommission: Gewaltprävention im Strafvollzug-NRW":"Seit dem tragischen Vorfall hat es hier keine Personalverbesserungen gegeben."Diese Aussagen decken sich mit dem Inhalt eines Berichtes des PLJVA an das Justizministeriumvom 07.03.2007 (A 123, S. 117):"Der Leiter der JVA Siegburg berichtet, dass personelleVerbesserungen seit dem 16.11.2006 nicht zu verzeichnen sind."Aus der Presse wurde bekannt, dass der Personalrat Siegburg im Jahr 2008 ausProtest gegen die fortbestehenden Zustände in der JVA geschlossenen zurücktgetretenist.Fazit:Das Versprechen, schnell Personalverstärkung im Jugendvollzug, insbesondere derJVA Siegburg, umzusetzen, wurde nicht eingehalten.Dies ist der Betroffenen als Fehlverhalten anzulasten.Kapitel IV:Feststellungen zur Verhinderbarkeit des FoltermordesA. Die unfassbar schreckliche TatDer Foltermord vom 11.11.2006 im Jugendbereich der JVA Siegburg ist Ausgangspunktder Beweisaufnahme und Bewertungen des PUA. Aufgabe eines <strong>Untersuchungsausschuss</strong>esist es aber nicht, das Tatgeschehen aufzuklären, strafrechtlichzu untersuchen und zu bewerten. Das ist ausschließlich Aufgabe der Organe derJustiz wie Staatsanwaltschaft und ordentliche Gerichtsbarkeit. Das verfassungsrechtlichePrinzip der Gewaltenteilung gebietet, die Beurteilung individueller Schuld derangeklagten Jugendgefangenen oder der Bediensteten der Anstalt oder in vorgesetztenBehörden des Strafvollzugs bis ins Justizministerium ausschließlich der Justiz zuüberlassen.Die ganze Unfassbarkeit der Tat, die unerträgliche Hoffnungslosigkeit des Opfers,seine nicht enden wollenden Leiden, die in dem völligen Zusammenbruch seines Lebenswillensund in einer qualvollen, sich hinziehenden Ermordung endeten, ergebensich aus dem Urteil des Landgerichts Bonn gegen die drei Mitgefangenen. Die dortgetroffenen Feststellungen werden nachfolgend wörtlich wiedergegeben:" 1. Vorgeschichte und Rahmen der Taten21


Wie bereits erwähnt, waren im November 2006 die drei Angeklagten Häftlinge imJugendstrafvollzug der JVA Siegburg. Hier verbüßte seit dem 10.10.2006 auch deram 07.03.1986 geborene Hermann H., das spätere Tatopfer, eine sechsmonatigeJugendstrafe wegen bewaffneten Diebstahls.Im für den Jugendstrafvollzug vorgesehenen Hafthaus II, Vollzugseinheit 4, waren H.und der Angeklagte A. seit dem 26.10.2006 Zellengenossen in der Zelle 104, die sichim ersten Obergeschoss befindet und als sogenannte Gemeinschaftszelle über vierBetten verfügte. Zunächst saß in der Zelle auch ein weiterer Mitgefangener ein, deraber aufgrund seiner Verlegung in eine andere Haftanstalt die Zellengemeinschaftam 06.11.2006 verließ. Die Angeklagten I. und K., die sich bereits seit etwa sechsJahren aus Bottrop kannten, belegten seit dem 15.09.2006 zusammen die Zelle 102in derselben Haftabteilung. Aufgrund der Renovierung ihrer Zelle wurden sie amNachmittag des 06.11.2006 in die Zelle 104 verlegt. Auch nach Abschluss der Renovierungsarbeitenwurde die Vierergemeinschaft aus den drei Angeklagten und HermannH. in Zelle 104 aufrecht erhalten. Alle vier Insassen erklärten sich hiermit gegenüberden für die Zusammenlegung verantwortlichen Abteilungsbeamten Jo. undAu. ausdrücklich einverstanden. A. und auch H. waren froh, zwei deutsch sprechendeZellengenossen zugeteilt bekommen zu haben.Die Zelle 104 hat einen rechteckigen Grundriss von etwa 4,70 m Breite und 3,70 mTiefe. An der Wand gegenüber der Eingangstür befinden sich zwei mit engmaschigemGitter und kippbarem Oberlicht versehene Doppelflügelfenster. Von der Zelleneingangstürgesehen links liegt ein abgetrennter, durch eine Tür zugänglicher, ebenfallsrechteckiger Toilettenraum von etwa 1,60 m Breite und 1,15 m Tiefe. In diesembefinden sich ein WC und ein Waschbecken. Neben dem Toilettenraum an der Zellenwandist ein weiteres Waschbecken angebracht.Zur Tatzeit stand an beiden Seitenwänden der Zelle jeweils ein Doppelstockbett. Indem vom Eingang gesehen an der linken Wand befindlichen Bett schlief unten derAngeklagte A. und oben der Geschädigte H. Dieses Bett füllte den Raum zwischenFensterwand und Trennwand zum Toilettenraum, wobei die beiden Insassen ihreKopfseiten jeweils zur Toilettenraumwand hin gelegt hatten. Neben dem Kopfendedes Bettes stand an der Toilettenraumwand noch ein Spind. Dies hatte zur Folge,dass aus der Position der Zelleneingangstür ohne Betreten des Zelleninnenraumsdieses Doppelstockbett nur teilweise, nämlich nur hinsichtlich der zur Fensterwandgelegenen Fußseite eingesehen werden konnte.Das Doppelstockbett auf der rechten Seite belegten die Angeklagten I. und K.. ImZellenraum standen zwei weitere Schränke und Spinde an den Wänden sowie zweiTische und vier Stühle in der Zellenmitte.Aus Sicht der Zelleninsassen links neben der Zelleneingangstür ist in einer Höhe vonetwa 1,50 m eine Schaltfläche angebracht. Sie besteht aus einer etwa 23 cm breitenund 18 cm hohen Metallplatte, in deren linkem Teil ein Lautsprecher mit Mikrofoneingelassen ist. Unter diesem befindet sich eine Sensortaste mit daneben liegenderroter Kontrollleuchte. Über diese Sensortaste wird die Deckenbeleuchtung geschaltet.Auf der rechten Seite der Metallplatte im Abstand von etwa 10 cm von Lichtschalterund Kontrollleuchte liegen auf selber Höhe eine weitere Sensortaste und eine dazugehörige rote Kontrollleuchte. Hierbei handelt es sich um den Rufsensor, im Ge-22


fängnisjargon die so genannte „Ampel". Nach Betätigung des Rufsensors leuchtet dierote Kontrollleuchte.Zugleich wird ein Alarm in Form eines akustischen Signals in der im Erdgeschossbefindlichen Zentrale des Hafthauses II ausgelöst. Nach Annahme des Rufs in derZentrale besteht die Möglichkeit, über Lautsprecher und Mikrofon mit dem Zelleninsassenzu sprechen.In den ersten Tagen der neuen Zellengemeinschaft gab es keine Probleme im Zusammenleben.Es bildete sich aber bald eine Rollenverteilung heraus, in der H. derAußenseiter war. Im Gegensatz zu den eher extrovertierten I. und K. war er still undzurückhaltend und redete nicht viel. Häufig lag er depressiv verstimmt auf seinemBett und nahm - jedenfalls aus Sicht der Angeklagten - kaum am Zellenleben, wieetwa dem gemeinsamen Kartenspiel, teil. Hierin unterschied er sich von dem AngeklagtenA., der sich den Angeklagten I. und K. zuwandte.Anfangs zog die beschriebene Außenseiterrolle des H. nur einzelne Hänseleien nachsich. Der Geschädigte wurde etwa wegen seiner Schuppenflechtenerkrankung als„Schuppi" und wegen des Bezugs von Hartz-IV-Leistungen als „Hartzi" bezeichnet.Auch machte man sich darüber lustig, dass er einmal erzählt hatte, Punker zu seinund Oettinger Bier - aus Sicht der Angeklagten ein minderwertiges Billigbier- zu trinken.Deshalb nannten die Angeklagten ihn auch „Oettinger". An diesen Hänseleien,die vorrangig von den Angeklagten I. und K. ausgingen, beteiligte sich auch der AngeklagteA..Auch übernahm H. nach entsprechender Aufforderung der Angeklagten Aufgabenwie Spülen, die eigentlich andere hätten ausführen müssen, ohne hiergegen Widerspruchzu erheben.Insgesamt betrachteten die Angeklagten - so ihre Einlassungen in der Hauptverhandlung- Hermann H. als „Opfertyp", womit sie die Vorstellung verbanden, dass er Angriffennicht wehrhaft gegenüber treten werde. Ob es vor dem Tattag bereits zu körperlichenMisshandlungen des Geschädigten kam, vermochte die Kammer nicht sicherfestzustellen. Jedenfalls äußerte der Geschädigte zu keinem Zeitpunkt Entsprechendesgegenüber Bediensteten der JVA. Zu der Sozialarbeiterin Sch. sagte HermannH., dass er sich in der neuen Zellengemeinschaft wohl fühle.Allerdings ereignete sich am 10.11.2006, dem Vortag des eigentlichen Tatgeschehens,ein Vorfall, bei dem sich zunächst der Angeklagte K. - in Anspielung an dieVerkleidung von Mitgliedern des Ku-Klux-Klans - eine Plastiktüte über den Kopf zog.Hieran anschließend forderte der Angeklagte I. den Geschädigten auf, sich ebenfallsdie Tüte über den Kopf zu stülpen. Dem kam der Geschädigte nach.2. Das TatgeschehenAm Tattag, dem 11.11.2006, einem Samstag, spielten die Angeklagten vormittags inder Zelle „Fingerkloppen". Hierbei handelte es sich um ein Kartenspiel, bei dem derGewinner dem Verlierer mit den Karten auf die Finger hauen darf. Entgegen seinersonstigen Gewohnheit beteiligte sich hieran auch Hermann H.. Kurz vor der Mittagszeitschlug der Angeklagte A. dem Geschädigten besonders heftig auf die Finger. Zueinem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt am Vormittag brachte der Zeuge Kl., derden Tagesdienst auf der Vollzugseinheit 4 bis etwa 15:30 Uhr versah, auf Wunsch23


der Zelleninsassen einen Kugelschreiber in die Zelle. Ihm fielen keine Besonderheitenauf.a) Schläge mit SeifeWie üblich wurde in der Zeit zwischen 11:30 und 12:00 Uhr in den Zellen das Mittagessenausgegeben, an diesem Tag durch die Zeugen Mi. und Gr. Diesen beidenHäftlingen fielen ebenfalls keine Besonderheiten im Verhalten der Zelleninsassenauf. Zunächst nahmen alle vier am Tisch ihr Mittagessen ein. Am Umschluss, der andiesem Tag zwischen etwa 11:00 und 15:00 Uhr stattfand, nahmen weder die Angeklagtennoch der Geschädigte teil. Hierbei handelte es sich um die Möglichkeit, nachentsprechender Bitte die eigene Zelle zu verlassen und - sofern der Abteilungsbeamtedem zustimmte - sich innerhalb der eigenen Abteilung zum Besuch auf eine andereZellen zu begeben, die der Abteilungsbeamte dann wiederum verschloss. Auchvon der Gelegenheit, an der von etwa 13:00 bis 14:00 Uhr währenden Freistundeteilzunehmen, machte keiner der Zelleninsassen Gebrauch. Stattdessen blieben allein der verschlossenen Zelle und legten sich nach dem Mittagessen zum Ausruhenauf ihre Betten.Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt nach 12:00 Uhr kam der Angeklagte I.auf die Idee, Hermann H. zu misshandeln, wie er es aus dem amerikanischen Kriegsfilm„Full Metal Jacket" kannte. Zu diesem Zweck wickelte er ein Stück Seife in einHandtuch, so dass ein peitschenartiges Schlaginstrument entstand, an dessenSchlagende die harte Seife eingewickelt war. Er trat sodann ohne Vorwarnung oderErklärung an das Bett des H. heran und schlug mit diesem Werkzeug auf das Opferein. Dies nahmen die beiden Mitangeklagten zum Anlass, ebenfalls ein solchesSchlagwerkzeug zu fertigen. Anschließend schlugen alle drei Angeklagten abwechselndauf Hermann H. ein, wobei vornehmlich auf dessen Beine, die mit einer Jogginghosebekleidet waren, geschlagen wurde. Das Opfer stöhnte vor Schmerzen auf,wehrte sich aber nicht. Die Schläge waren so heftig, dass die umwickelten Seifenstücketeilweise zerbrachen.Die Schläge führten bereits zu schmerzhaften Verletzungen. Bei der späteren Obduktiondes Opfers wurden an den Unterschenkeln Einblutungen in das Unterhautgewebeund an den Oberschenkeln Einblutungen bis in die tieferen Muskelschichtenfestgestellt.Dieser erste Übergriff bildete den Auslöser für die nun folgenden, sich über den gesamtenTag erstreckenden Misshandlungen des Geschädigten, wobei diese kein vonvorneherein geplantes kontinuierliches Geschehen bildeten, sondern jeweils durchPausen unterbrochen wurden, bevor es zu neuen Tatentschlüssen kam. Hierbei wirktenalle drei Angeklagten zusammen, entwickelten jeweils eigene Ideen und stacheltensich gegenseitig auf. In Phasen, in denen einer von ihnen vorschlug aufzuhören,forderten jeweils die beiden anderen ihn zum Weitermachen auf.b) Salz-Chili-Gebräu und erstes ErbrechenAls nächstes kam der Angeklagte K. auf die Idee, den Geschädigten zum Erbrechenzu bringen und äußerte diesen Gedanken. Die beiden Mitangeklagten nahmen dieIdee bereitwillig auf. In einer etwa 500 ml fassenden Trinkkanne mischte K. gemeinsammit dem Angeklagten A. ein Gebräu aus Wasser, Salz und Chilipulver und forderteden Geschädigten auf, dies zu trinken. Das Opfer gehorchte aus Angst vor weiterenSchlägen und trank die gesamte Menge aus. Da er zur Enttäuschung der An-24


geklagten jedoch noch nicht zum Erbrechen kam, forderte K. ihn auf, seinen Mund zuöffnen. Als der Geschädigte dem nachkam, drückte K. eine ganze Tube Zahnpasta inseinen Mund, die H. herunter schluckte. Der Geschädigte verspürte nun einen starkenBrechreiz und rannte in den Toilettenraum, wo er sich über der WC-Schüsselheftig erbrach. Der Angeklagte I. beschloss nun, die Misshandlung weiter zu intensivieren.Er holte einen Löffel und einen Teller, hielt ihn unter das Gesicht des Opfers,fing darin das Erbrochene auf und befahl ihm, dieses zu essen. Der Geschädigte aßdaraufhin drei oder vier Löffel des Erbrochenen. Der Rest wurde im WC entsorgt. DieAngeklagten ließen nun zunächst von ihrem Opfer ab.c) WC-Schüssel und zweites ErbrechenKurze Zeit später, als sich das Opfer noch im Toilettenraum aufhielt, kam es aufgrundeiner neuen Idee zu erneuten Misshandlungen. Die drei Angeklagten begabensich zu dem Geschädigten in den Toilettenraum. Der Angeklagte K. spuckte auf denRand der WC-Schüssel und befahl Hermann H., die Spucke aufzulecken. Da dieserdie Stelle im hinteren Bereich mit seiner Zunge nicht erreichen konnte, spuckte derAngeklagte I. auf den vorderen Rand. Der Geschädigte leckte weisungsgemäß dieSpucke ab. Nun drückte K. - möglicherweise gemeinsam mit I. - den Kopf des Opfersin die WC-Schüssel. Der Angeklagte A. betätigte die Spülung, die sich über den Kopfdes Opfers ergoss. Der Angeklagte K. ergriff nun den Napf, in dem sich die Toilettenbürstebefand und urinierte in diesen. A. und I. spuckten zusätzlich hinein. AufBefehl der Angeklagten trank der Geschädigte vom Inhalt des Napfs, worauf er sichsofort wieder heftig erbrach. Unter der Erklärung, dass ihm nicht erlaubt worden seizu brechen, schlugen alle drei Angeklagten mit Fäusten auf ihr Opfer ein und tratenes. Hermann H. stöhnte wiederum vor Schmerzen. Diese Schläge und Tritte fandenzunächst im Toilettenraum statt, verlagerten sich aber dann in den Zellenraum. Hiernachtrat zunächst wieder eine vorübergehende Ruhephase ein.Gegen 15:15 Uhr, kurz vor seinem Dienstschluss, öffnete der Abteilungsbeamte Kl.kurz die Tür des Haftraumes, um sich von den Gefangenen zu verabschieden. Zudieser Zeit erfolgte der endgültige Einschluss aller Gefangenen in ihre Zellen vor demWochenende und die Abteilungsbeamten verließen die Abteilungen, so dass nurnoch die im Erdgeschoss liegende Zentrale besetzt war.Als sich der Beamte Kl. verabschiedete, saßen die drei Angeklagten am Tisch undHermann H. lag im Bett. Der Zeuge Kl. blieb dabei nur in der Zellentür stehen, konntevon diesem Standpunkt also, wie bereits beschrieben, die Kopfseite des Bettes vonHermann H. nicht einsehen. Auf seine Frage nach H. meldete sich dieser und erklärteohne weiteren Zusatz, dass er im Bett liege. Dies war ihm von den Angeklagtenzuvor eingeschärft worden, verbunden mit der Drohung, ihn „kaputt zu machen", fallser etwas von den bis dahin erlittenen Misshandlungen erzähle. Der Zeuge Kl., derkeinen Verdacht schöpfte, entfernte sich sodann und verschloss die Zelle. Ab diesemZeitpunkt waren die Insassen wie auch die übrigen Häftlinge bis zum nächsten Morgensich selbst überlassen.d) Erster erzwungener OralverkehrDie drei Angeklagten saßen in der Folge am Tisch, während Hermann H. weisungsgemäßdie Zelle säuberte. U.a. sollte er die auf dem Boden verteilten Stücke der zerbrochenenSeife mit einem Handfeger auffegen. Angesichts des zu diesem Zweckauf dem Boden kriechenden Geschädigten forderte K. ihn auf, seine Füße zu massieren.Der Geschädigte kroch unter den Tisch und kam dem nach, weil er befürchte-25


te, anderenfalls misshandelt zu werden. Die Einschüchterung durch die zuvor erlittenenSchläge und Misshandlungen wirkte in seinen Gedanken fort, was allen Angeklagtenebenfalls klar vor Augen stand. Der Gehorsam des Geschädigten brachteden Angeklagten K. nun auf die Idee, Hermann H. auch sexuell zu demütigen. Erverlangte von H., dass er den Penis des Angeklagten über der Kleidung rieb, was ersodann auch tat. Die Position des Geschädigten nahm der Angeklagte K. nun zumAnlass, ihn aufzufordern, ihm „einen zu blasen". Die beiden Mitangeklagten kommentiertendies zustimmend.Allen Angeklagten war bewusst, dass der Geschädigte ihnen in der jetzigen Situationnach Verabschiedung des Abteilungsbeamten schutzlos ausgeliefert war. Vor diesemHintergrund und weil der Geschädigte bisher alle Misshandlungen widerstandslosertragen hatte, fühlten sie für die weiteren Handlungen freie Hand und wollten dieseSituation ausnutzen. Angesichts seines bisherigen Verhaltens gingen sie auch zutreffenddavon aus, dass der Geschädigte nicht durch Schreie auf sich aufmerksam machenwerde.Der Angeklagte K. entblößte sein Glied und hielt es dem Geschädigten vor, gab seinVorhaben aber auf, bevor H. es in den Mund nehmen konnte. Stattdessen griff derAngeklagte I. mit Billigung der beiden Mitangeklagten diese Idee auf. Er entblößteseinen Penis und hielt ihn dem vor ihm knienden Geschädigten vor dessen Gesicht.Weisungsgemäß nahm H, den Penis in den Mund und führte für etwa eine bis zweiMinuten den Oralverkehr aus. Ohne zum Samenerguss gekommen zu sein, beendeteI. diesen und stieß den Geschädigten mit dem Fuß weg. Anschließend nahm derGeschädigte auf Aufforderung des Angeklagten A. auch dessen Penis kurz in denMund. A. zog seinen Penis aber bereits nach wenigen Sekunden zurück. Allen Angeklagtenging es nicht um die Erlangung sexueller Befriedigung. Sie bezweckteneine Demütigung des Opfers.e) Analvergewaltigung mit dem HandfegerAls das Opfer nach dem Oralverkehr an I. und A. die Zelle weiter putzte, erklärte derAngeklagte K., der das Opfer noch tiefer erniedrigen wollte: „Wer bläst, dem kannman auch in den Arsch ficken." Jedenfalls der Angeklagte I. griff diese Idee auf undriss daraufhin ein Stück von einer Plastiktüte ab, hielt sich dieses über den Penis undverteilte Shampoo darauf. Der völlig verängstigte Geschädigte bückte sich bereits. Erwagte wiederum angesichts seines Ausgeliefertseins und der fortwirkenden Angstvor Schlägen nicht, zu widersprechen oder Widerstand zu leisten, was die Angeklagtenerkannten und ausnutzten. Den Analverkehr führte I. mit dem Opfer dann dochnicht durch.Stattdessen ergriff K. den bis dahin durch das Opfer zum Säubern der Zelle benutztenHandfeger. Dieser hatte einen etwa 13,5 cm langen, in der Mitte im Durchmesseretwa 2 cm starken und am Ende spitz zulaufenden Holzgriff. Dieser war nicht glatt,sondern rissig und wies bereits einige Absplitterungen auf. An seinem Ende befandsich außerdem ein Loch zum Aufhängen.K. bestrich den Handfegergriff mit Shampoo. Anschließend zog er dem weiterhin gebücktenOpfer Hose und Unterhose herunter und führte den Griff des Handfegerssodann in den After des Opfers ein. Danach bewegte er den Handfeger mehrmalsvor und zurück und drehte ihn hierbei auch. Der Geschädigte stöhnte vor Schmerzenlaut auf und bat darum, damit aufzuhören, was der Angeklagte aber nicht tat.26


Auch der Angeklagte I. trat nun an die Stelle von K. und bewegte den weiterhin imAfter steckenden Handfegergriff mehrfach vor und zurück und drehte ihn ebenfalls.Auch musste der Geschädigte mit dem noch im After steckenden Handfeger in derZelle umher laufen. Nach wenigen Schritten fiel dieser jedoch zu Boden.Danach sollte Hermann H. den Stiel des Handfegers säubern. Zunächst musste erden Stiel ablecken, was soweit ging, dass er seine Zunge in die Öffnung zum Aufhängendes Handfegers stecken musste. Danach musste er den Handfeger imWaschbecken weiter reinigen. Der Angeklagte A. war an diesen Handlungen nichtaktiv beteiligt, weil er sich ekelte und das gegenüber den Mitangeklagten auch äußerte.Die Penetration mit dem Handfeger war mindestens 6 cm tief und führte beidem Opfer zu massiven und stark blutenden Verletzungen. Dies erkannten die beidenAngeklagten und nahmen es billigend in Kauf.Wie bei der späteren Obduktion festgestellt wurde, kam es zu einer daumendurchgängigenErweiterung der Afteröffnung. Festgestellt wurde ferner eine quergestellteUnterblutung der Schleimhaut des Enddarmes unmittelbar oberhalb des inneren A-nalringes mit in Längsrichtung gestelltem Schleimhauteinriss, etwa 3,5 cm oberhalbdes inneren Analringes und begleitender Unterblutung. Ferner wurden bei einer mikroskopischenUntersuchung des Gewebes darin Holzsplitter gefunden.f) Weiterer erzwungener Oralverkehr an I.Im Laufe des Tages kam es zu einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt zumindestens einem weiteren Oralverkehr des Geschädigten an dem Angeklagten I. ,der ebenfalls zwischen einer und zwei Minuten dauerte und gleichfalls nicht zumSamenerguss führte. Auch in diesem Fall forderte I. den Geschädigten hierzu auf,der wiederum aus Angst vor Misshandlungen und weil er keine Möglichkeit sah, sichdem Einfluss des Angeklagten zu entziehen, gehorchte.Im Anschluss an die Penetration mit dem Handfeger oder zu einem späteren Zeitpunktstellten die Angeklagten durch entsprechenden Geruch fest, dass ihr Opfereingekotet hatte. Auf Aufforderung des Angeklagten K. wechselte Hermann H. seineUnterhose und spülte die mit Kot und Blut behaftete Unterhose in der Toilette weg.Im weiteren Verlauf war Hermann H. weiteren Schlägen ausgesetzt. In einer Situationmusste er sich auf Befehl des Angeklagten I. mit erhobenen Händen gegen dieWand abstützen. Sodann schlug I. ihm mit der Faust so heftig in sein Gesicht, dasser zu Boden stürzte. Anschließend musste er sich wieder in derselben Position aufstellenund alle drei Angeklagten schlugen ihn abwechselnd jeweils etwa dreimal mitder Faust in das Gesicht, wobei das Opfer jedes Mal zu Boden ging und sich danachwieder hinstellen musste.g) Schläge nach „Ampel"Während Hermann H. weiter die Zelle putzen musste, saßen die drei Angeklagtenauf einem Bett und spielten Karten. Es gelang dem Geschädigten zu einem nicht genaufeststellbaren Zeitpunkt, „auf Ampel zu gehen", also die bereits oben beschriebeneLichtrufanlage zu betätigen. Da hierbei auch in der Zelle neben dem Rufsensoreine Lampe leuchtete, fiel dies dem Angeklagten A. auf, bevor sich ein Beamter ausder Zentrale über die Gegensprechanlage meldete.27


Die Angeklagten hinderten Hermann H. gemeinsam daran, sich bemerkbar zu machen.A. und I. zogen den Geschädigten von der Tür weg und hielten ihm den Mundzu. Der Geschädigte sträubte sich und trat mit den Füßen um sich, wobei er aucheine Schranktür traf und einen erheblichen Lärm verursachte.Nach kurzer Zeit meldete sich ein heute nicht mehr identifizierbarer Beamter aus derZentrale über die Sprechanlage. Der Angeklagte K. nahm den Ruf entgegen und erklärte,er habe sich „verdrückt", also aus Versehen den Rufknopf betätigt. Tatsächlichhabe er den Lichtschalter bedienen wollen. Mit dieser Erklärung gab sich der Beamtezufrieden und verfolgte die Sache nicht weiter.Alle Angeklagten beschlossen nun, Hermann H. für seinen Versuch, sich ihnen zuentziehen, zu bestrafen. Sie stellten ihn mit dem Rücken an sein Bett, fesselten seinevom Körper weggestreckten Arme in einer Art „Kreuzigungsposition" mit Gürteln andas Bettgestell, wobei sie die Handgelenke zuvor mit Handtüchern umwickelt hatten.Zusätzlich knebelten sie ihn, indem sie ein zusammengerolltes Geschirrtuch in seinenMund steckten. Dann schlugen sie abwechselnd mit Fäusten auf das so fixierteOpfer ein, wobei sie dieses wiederholt in der Magengegend trafen. Der AngeklagteA. stellte sich vor den Geschädigten, holte mit dem Fuß aus und versetzte ihm einenheftigen Fußtritt in die Magengegend. Die Angeklagten vermieden bewusst, den Geschädigtenin sein Gesicht zu schlagen, damit später keine entsprechenden Verletzungenzu sehen sein sollten.Nachdem sie sich auf diese Weise abreagiert hatten, banden sie den Geschädigtenwieder los. Hermann H. versicherte, dass er nicht mehr „auf Ampel" gehen werde. Ernahm mehrere Schmerztabletten ein, die er zuvor von K. erhalten hatte. In der Folge- es war inzwischen etwa 18:00 Uhr - trat eine vorübergehende Ruhephase ein.Hermann H. sowie auch die Angeklagten A. und I. legten sich jeweils auf ihr Bett. K.schaute sich im Fernsehen die "Sportschau" an.h) Der TötungsentschlussBereits zu einem früheren, nicht genau rekonstruierbaren Zeitpunkt am Tattag hatteder Angeklagte K. erstmalig die Idee geäußert, den Geschädigten Hermann H. „wegzuhängen",ihn also durch Erhängen zu töten. Inwieweit dies bei den ersten Äußerungenernst gemeint war, konnte nicht verlässlich festgestellt werden. Der Gedankewurde jedenfalls im Verlauf des Tages immer wieder aufgegriffen und von den beidenMitangeklagten gut geheißen.Bei den weiteren Gesprächen über dieses Vorhaben wurde verabredet, die Tötungals Selbstmord zu tarnen. Den Angeklagten schwebte vor, nach dem vorgetäuschtenSelbstmord einen Haftschaden in Form eines Schocks bzw. einer psychischenTraumatisierung zu simulieren, um auf diese Weise eine vorzeitige Haftentlassung zuerreichen. Bei der Willensbildung war dies für alle Angeklagten bestimmend. Bei denAngeklagten A. und I. stand in absehbarer Zeit keine Haftentlassung bevor. Obwohlder Angeklagte K. in der darauffolgenden Woche eine Anhörung über eine vorzeitigeBewährungsaussetzung seiner Haftstrafe gehabt hätte, ließ auch er sich von diesemMotiv leiten.An einem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt am späteren Nachmittag - wahrscheinlichnach der Sportschau - setzten sich die Angeklagten zusammen, diskutiertennochmals die Konsequenzen einer Tötung des Hermann H. und erstellten hierüber28


eine Liste, wobei K. diese schrieb. Auf der Liste notierte K., was für und was gegendas „Weghängen", also eine Tötung von Hermann H. sprechen würde. Alle Angeklagtenleisteten hierzu Beiträge und diskutierten diese. Auf einer Seite der Liste notierteer die Nachteile des „Weghängens". Hier wurde u.a. vermerkt, dass man beivier Leuten mehr Einkauf beziehungsweise ein Jahrespaket mehr hätte. Außerdem,dass man keine so lange Strafe bekommen würde: „fünf Jahre wegen Körperverletzung,zehn Jahre wegen Mord". Auf der anderen Seite der Liste standen die vorteiligenKonsequenzen, nämlich u.a. „Blitzentlassung" und „Tote können nichts mehrerzählen". Damit war gemeint, dass der Geschädigte die vorherigen Misshandlungennicht mehr anzeigen könne. Mit einer „Blitzentlassung" verbanden die Angeklagtenweiterhin die Vorstellung, sie könnten als Zeugen eines Selbstmordes auf „psychischkaputt" machen und auf diese Weise eine vorzeitige Haftentlassung erreichen.Einer der Angeklagten - vermutlich der Angeklagte K. - begründete das Erfordernisdes Weghängens auch damit, dass das alles zu viel gewesen sei, was man getanhabe. A. und I. untermauerten dies mit dem Hinweis, dass man inzwischen sehenkönne, dass H. geschlagen worden war. Tatsächlich war sein Gesicht zu diesemZeitpunkt aufgrund der erhaltenen Schläge bereits geschwollen. Alle Angeklagtenschlossen sich dieser Überlegung an und äußerten die Befürchtung, in den „Bunker"zu kommen, wenn H. rede.Ergebnis dieser „Für-und-Wider-Liste" war, dass aus Sicht der Angeklagten mehrArgumente für eine Tötung von Hermann H. sprachen. Dann stimmten alle Angeklagtendurch Handzeichen dafür, den Geschädigten „wegzuhängen".I. äußerte, wenn man den Hermann H. wirklich weghängen wolle, müsse man ihnjetzt aber in Ruhe lassen, damit er nicht noch mehr sichtbare Verletzungen davontrage. Diese Gespräche verfolgte der Geschädigte von seinem Bett aus. Der AngeklagteK. sagte zu ihm, dass er sich nach seinem Tod um dessen Freundin, Vaterund gegebenenfalls auch Mutter kümmern werde. Hierauf reagierte der Geschädigtenicht, da er viel zu eingeschüchtert war. Zu einem späteren Zeitpunkt verbrannte derAngeklagte K. die Liste und spülte die Asche in der Toilette weg.Zu einem in den Ablauf der Misshandlungen nicht sicher einzuordnenden Zeitpunktzwangen die Angeklagten ihr Opfer, mehrere Abschiedsbriefe zu schreiben. Dabeigab der Angeklagte K. den Inhalt sinngemäß vor, nämlich dass Hermann H. schreibensolle, er habe „keinen Bock mehr". Da ihnen der Inhalt der Briefe letztlich nichtgefiel, beziehungsweise sie befürchteten, dass diese Briefe unzutreffende Tatsachenenthielten, verbrannten sie diese und entsorgten die Asche über die Toilette.Nachdem sie endgültig beschlossen hatten, ihr Opfer zu töten, suchten die Angeklagtennach einer Möglichkeit, eventuell feststellbare Verletzungen ihrer bisherigenMisshandlungen in der Folgezeit „erklären" zu können.i) Schläge nach FensterrufenNach 20:00 Uhr - zu diesem Zeitpunkt erwarteten die Zeugen Ba. und Ma., die dieZelle genau unter der Tatzelle bewohnten, einen um 20:15 Uhr beginnenden Spielfilmim Fernsehen - stand der Angeklagte K. am geöffneten Fenster der Zelle undunterhielt sich dort mit Insassen benachbarter Zellen. A. und I. forderten den Geschädigtenauf, aus dem Fenster heraus ausländische Mitgefangene zu beschimpfen.Hiermit verbanden die Angeklagten die zutreffende Erwartung, dass wütende29


Reaktionen der Beleidigten hervorgerufen und sie von diesen aufgefordert würden,den Geschädigten hierfür zu „bestrafen". Sie gaben Hermann H. den Wortlaut derBeschimpfungen, u.a. Aussprüche wie „Dein Vater fickt Esel." oder „Hurensohn" vor.Dieser Aufforderung kam Hermann H. nach. Erwartungsgemäß wurden nun die Angeklagtenals Zellengenossen des Rufers aufgefordert, diesen für seine Beleidigungendurch Schläge zu bestrafen.Alle drei Angeklagten versetzten Hermann H. dann mehrere Faustschläge in seinGesicht, wobei sie ihre Fäuste mit Handtüchern umwickelten. Hiermit verfolgten sieim Hinblick auf den Tötungsplan die Absicht, bei dem Opfer außer den bereits vorhandenenkeine weiteren, später sichtbaren Verletzungen zu hinterlassen. Auch tratensie ihn und teilten anschließend den Vollzug der „Bestrafung" den anderen Gefangenenmit.Die Misshandlungen, in deren Rahmen das Opfer auch gegen Tische und Stühle geschleudertwurde, verursachten erhebliche polternde Geräusche, die auch in derdarunter liegenden Zelle deutlich zu vernehmen waren. Gegen 21:00 Uhr betätigtendie Gefangenen Ba. und Ma., die über den anhaltenden Lärm zunehmend verärgertwaren, die „Ampel" und beschwerten sich über die Gegensprechanlage über Lärmaus der Tatzelle. Ob sie dabei gegenüber dem diesen Ruf entgegen nehmendenJustizvollzugsbeamten Me-We. nur von starken Geräuschen durch das Verrückenvon Möbeln oder auch von einer möglichen Schlägerei in der über ihnen liegendenZelle sprachen, vermochte die Kammer nicht aufzuklären.Jedenfalls begab sich der Zeuge Me-We. in Begleitung des Zeugen vA. wenige Minutennach dem Ruf zu der Zelle 104. Beide blieben zunächst vor der Tür stehen undhorchten an dieser, wobei sie keine Auffälligkeiten bemerkten. Zu diesem Zeitpunktwaren die Misshandlungen vorübergehend eingestellt.Als beide Beamte die Zelle betraten, lag das Opfer im Bett. Die Angeklagten hattenihm zuvor eingeschärft, sich still zu verhalten, was Hermann H. weisungsgemäß tat.Die Zeugen Me-We. und vA. nahmen nur wahr, dass H. im Bett lag, sie anblickte undsich kurz bewegte. Auf Nachfrage erklärte einer der Angeklagten den Lärm damit,dass man in der Zelle aufgeräumt und dabei Tische und Stühle verrückt habe. Da dieBeamten dies glaubten, ermahnten sie die Insassen zur Ruhe und verließen sodannwieder die Zelle.j) Die Tötung des Hermann H.In der Folge begannen die Angeklagten, ihren Tötungsplan in die Tat umzusetzen.Sie erwägten zunächst, das Opfer am Fensterkreuz aufzuhängen. Hiervon nahmensie aber Abstand, da sie befürchteten, dies könne auf den Hofkameras zu sehensein. Bestimmend war weiterhin der Gedanke, die Tötung wie einen Selbstmord aussehenzu lassen. Daher beschlossen sie, das Strangulationswerkzeug über die Türder Nasszelle zu legen. Diese öffnete vom Toilettenraum nach außen, also zur Zellehin. Das Türblatt hatte eine Höhe von 197 cm und eine Breite von 4 cm.Die Aufforderung, den Entschluss nun in die Tat umzusetzen, erfolgte durch den AngeklagtenK.. Die nun folgenden Erhängungsversuche wurden dadurch eingeleitet,dass die Angeklagten A. und I. dem Opfer im einzelnen nicht mehr nachvollziehbarePassagen aus einer Bibel vorlasen.30


Zum Einsatz kamen zunächst vier verschiedene Kabel. Hermann H. war durch diezuvor erlittenen stundenlangen Misshandlungen derart verängstigt, dass er in derFolge alle Handlungen willenlos geschehen ließ und den Aufforderungen der AngeklagtenFolge leistete. Kurz vor Beginn der Erhängungsversuche hatte der AngeklagteK. ihn gefragt, ob er nun tatsächlich weggehängt werden wolle. Darauf antworteteder Geschädigte: „Wenn ihr mich dann in Ruhe lasst." Zu diesem Zeitpunkt war seinWille, sich eventuell noch zu wehren, völlig gebrochen. Dieser Zustand war allen Angeklagtenbewusst und wurde für die nun folgenden Handlungen ausgenutzt.Zunächst nahm K. das Antennenkabel eines nicht genutzten Fernsehers. Da wederer noch der Angeklagte A. in der Lage waren, einen „Henkersknoten" zu knüpfen, fieldiese Aufgabe I. zu. Neben der frei laufenden Schlinge wurde das Kabel zudem mitKnoten versehen. Diese sollten verhindern, dass das Kabel zwischen Türblatt undTürrahmen durchrutschte.Ob sich das Opfer die Schlinge selber um den Hals legte oder ob dies einer der Angeklagtentat, ließ sich - wie auch bei allen nachfolgenden Erhängungsvorgängen -nicht abschließend klären.Die Angeklagten A. und K. begaben sich mit ihrem 179 cm großen Opfer in den Toilettenraum,wo dieses sich auf einen Bücherstapel stellen musste. Dies war auchdadurch motiviert, dass jedenfalls der Angeklagte K. „einen Toten sehen wollte", alsobeim Sterben eines Menschen zusehen wollte. Einer dieser beiden Angeklagten legtedas Kabel über den Türrahmen. Der Angeklagte I. befand sich zu diesem Zeitpunktauf der anderen Seite der Tür im Zellenraum und schloss die Tür. Auf Aufforderungdes Angeklagten K. trat das Opfer den Bücherstapel selber weg.Bei den ersten Versuchen waren die Knoten zu weit hinten angebracht worden, sodass Hermann H. nach dem Wegstoßen der Bücher auf dem Boden stand, ohnedass es zu einer Strangulation kam. Als der Knoten ausreichend nach vorne gelegtworden war und Hermann H. die Bücher wegstieß, riss das Kabel.Bei den folgenden weiteren Erhängungsversuchen musste sich das Opfer entwederauf einen Bücherstapel, auf einen Kanister mit Putzmittel, der hierdurch verbeulte,oder auf einen umgedrehten Putzeimer stellen.Als nächstes Strangulationswerkzeug wurde auf Idee des Angeklagten A. das Stromkabeleines Tauchsieders benutzt. Nachdem es durch einen der Angeklagten vomTauchsieder abgeschnitten worden war, fertigte der Angeklagte I. erneut die Schlingeund die Knoten. Diesmal musste sich das Opfer im Zellenbereich vor die Tür derNasszelle auf die selbstgefertigte Erhöhung stellen. Der Angeklagte K. führte dasStrangulationswerkzeug über das Türblatt und schloss die Tür. Alle Angeklagten befandensich ebenfalls im Zellenraum. Wieder musste das Opfer die Erhöhung aufAufforderung der Angeklagten selber wegtreten. Auch dieses Kabel riss.Als nächstes schnitt A. das Stromkabel des nicht benutzten Fernsehers ab, und I.fertigte hieraus wieder ein Strangulationswerkzeug. Wiederum musste sich HermannH. vor der Nasszellentür auf eine selbstgefertigte Erhöhung stellen und K. legte dasKabel über das Türblatt. Auch dieser Versuch scheiterte, da das Kabel riss, nachdemdas Opfer die Erhöhung selber weggetreten hatte.31


Auch wurde als Strangulationswerkzeug ein Kabel des Kassettenrekorders von I.benutzt. Der Ablauf war der gleiche, wie bei den bereits geschilderten Versuchen.Auch dieses Kabel riss.Nunmehr rissen die Angeklagten A. und I. vier Streifen von einem Bettlaken aus demBett des H. Hieraus wurde durch I. ein mehrfach verknoteter Strick gefertigt und wiezuvor mit einer frei laufenden Schlinge versehen. Das Opfer musste sich diese selbstum den Hals legen. Der Angeklagte A. stellte sicher, dass die Schlinge eng genuganlag, indem er sich auf den Tisch stellte und an dem Strick die Schlinge fest zuzog.Anschließend stellte sich H. weisungsgemäß auf den Putzeimer vor die Tür derNasszelle zur Zelle hin. K. legte das Strangulationswerkzeug über das Türblatt, währendA. und I. das auf dem Eimer stehende Opfer gegen die Tür nach hinten schoben undauf diese Weise die Tür zudrückten, bis sie ins Schloss fiel. Ein Knoten des über demTürblatt eingeklemmten Stricks befand sich auf diese Weise im Inneren des Toilettenraumsund fixierte den Strick, der nun nicht heraus rutschen konnte. Wiedermusste das Opfer den Eimer selber wegstoßen. Diesmal riss das Strangulationswerkzeugerstmals nicht. Hermann H. hing in der Luft und berührte allenfalls mit denZehenspitzen den Fußboden. Er röchelte, krampfte und verdrehte die Augen.Der Angeklagte K. öffnete die Tür und das benommene Opfer sank zu Boden undwurde bewusstlos. Der Angeklagte K. lockerte die Schlinge, drückte ihm auf denBrustkorb und versetzte ihm leichte Ohrfeigen, so dass das Opfer wieder zur Besinnungkam. Allerdings war Hermann H, durch den Sauerstoffentzug weiterhinbenommen und torkelte. Die Angeklagten befragten ihr Opfer nach dessen Nahtoderfahrungen.Dieser gab an, seine Familie gesehen zu haben. Anschließend ließen dieAngeklagten ihn eine Zigarette rauchen, die der Angeklagte A. gedreht hatte.Die Angeklagten beschlossen, den Tötungsplan nunmehr bis zum Ende zu bringen.Ihnen wurde klar, dass sie die Situation anders arrangieren mussten, um sie nacheinem Selbstmord aussehen zu lassen. Deshalb sollte das Opfer nun im Toilettenraumaufgehängt werden. Zu diesem Zeitpunkt hing die nur leicht gelockerte Schlingeweiterhin um den Hals des Opfers. Einer der Angeklagten zog die Schlinge wiederfester zu und der Angeklagte A. brachte zusätzlich unmittelbar hinter dem frei laufendenKnoten der Schlinge einen weiteren normalen Knoten an. Der auf diese Weisezugezogene und fixierte Schlingenknoten befand sich nicht mittig im Nackenbereich,sondern seitlich verschoben an der rechten Halsseite des Opfers.Einer der Angeklagten führte den Geschädigten, der weiterhin benommen und völligwillenlos war, an dem Strick in den Toilettenraum. Die Angeklagten A. und I. schobenden Putzeimer in Position und das benommene und schwankende Opfer stellte sichauf diesen. Der Angeklagte K. legte das Strangulationswerkzeug über das Türblatt,so dass zumindest einer der am Strick angebrachten Knoten auf der Seite des Zellenraumswar, und schloss die Tür. Während dessen hielten die Angeklagten A. undI. den Strick auf Spannung, um ihn zu fixieren und ein Durchrutschen zu verhindern.Alle drei Angeklagten befanden sich nunmehr im Zellenraum und ergriffen gemeinsamdas Ende des Stricks, das sie weiterhin festhielten. Das Strangulationswerkzeugwurde zusätzlich durch einen der zuvor gefertigten Knoten am Türrahmen fixiert.32


Sodann forderten die Angeklagten ihr Opfer auf, den Eimer wegzustoßen, was HermannH. auch tat. Nach dem Wegtreten des Eimers ließen die Angeklagten denStrick los. Das Opfer hing an dem Strangulationswerkzeug und berührte allenfalls mitden Fußspitzen den Boden. Durch das Abschnüren des Halses wurden die Blutgefäßeabgequetscht, wobei wegen des versetzt an der Halsseite liegenden Knotens zunächstnoch Blut durch die innen liegenden Arterien in den Kopf fließen konnte.Nach etwa 10 bis 40 Sekunden verlor das Opfer das Bewusstsein. Weitere etwa 90Sekunden später - es war mittlerweile zwischen 23:00 und 24:00 Uhr - trat der Toddurch Erdrosseln ein.Während des gesamten Tatgeschehens war bei den Angeklagten A. und I. die Einsichts-und/oder Steuerungsfähigkeit weder aufgehoben noch erheblich vermindertim Sinne der §§ 20, 21 StGB. Nicht auszuschließen war eine erhebliche Verminderungder Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB in der Person des Angeklagten K.bei den durch Schläge begangenen Körperverletzungen - oben a), c), g) und i). Hinsichtlichaller übrigen Handlungen war auch seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeituneingeschränkt.3. Das Geschehen nach der Tat:Die Angeklagten setzten sich derweil zunächst an den Tisch. Nach etwa 10 Minutenüberzeugten sie sich davon, dass Hermann H. tot war. Während A. und I. das Strangulationswerkzeugfesthielten, um zu verhindern, dass der Geschädigte herunter fiel,öffnete K. die Tür, fasste an die Brust des Opfers und stellte fest und meldete denübrigen, dass Hermann H. keinen Herzschlag mehr hatte. Die Tür wurde wieder geschlossen,so dass das Opfer weiter daran hing. Nachdem sie sich auf diese Weisevom Tod ihres Opfers überzeugt hatten, besprachen die Angeklagten das weitereVorgehen, das erforderlich war, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Sie sprachenab, dass der Angeklagte A. am nächsten Morgen die Rufanlage betätigen sollte undauch, was sie am nächsten Tag sagen wollten.Wie zuvor besprochen, warteten sie nun bis zum nächsten Morgen. Der AngeklagteA. öffnete die Toilettenraumtür, so dass die Leiche herunter fiel, und betätigte kurznach 6:00 Uhr die Rufanlage. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich kurz nach Beginnihrer Frühschicht die Justizvollzugsbeamten Jä. und Schw. in der Zentrale im Erdgeschossdes Hafthauses, wo der Alarm auflief.Als sich der Zeuge Jä. meldete, schrien die Angeklagten wild durcheinander und tratenund hämmerten gegen die Tür. Sie äußerten sinngemäß, dass sie aus der Zelleraus wollten, da dort „einer hänge". Der Zeuge Jä. entsandte daraufhin den ZeugenSchw. sowie die Vollzugsbeamtin Ba., die soeben von ihrem morgendlichen Kontrollrundgangzurückgekehrt war, zu der Zelle. Weiterhin wies er den VollzugsbeamtenCo. über Funk an, ebenfalls sofort dorthin zu laufen. Die Zeugen Schw., Ba. und Co.trafen etwa eine Minute später vor der Zellentür ein, gegen die die Angeklagten weiterhinhämmerten und schrien. Nach Aufschluss stürzten alle drei aus der Zelle heraus.Der Beamte Schw. betrat als erster die Zelle. Zu diesem Zeitpunkt lehnte dasOpfer noch am linken Türrahmen der geöffneten Toilettentür. Als der Zeuge den Totenam Arm fasste, fiel dieser in den Zellenbereich, wo er teilweise auf einem vor derToilettentür stehenden Stuhl zu liegen kam. Der Zeuge bemerkte, dass die Leichenstarrebereits eingetreten war und sah deshalb davon ab, den Toten weiter anzufassenoder zu bewegen.33


Die Angeklagten, die zunächst in einer Ecke gesessen und einen aufgebrachten undverstörten Eindruck gemacht hatten, wurden zunächst für kurze Zeit gemeinsam ineinem Freizeitraum und anschließend in der Zelle des Zeugen Fa. eingeschlossen.Hier verblieb der Angeklagte A. für eine Nacht. Die Angeklagten K. und I. wurdenhingegen in die Zellen der Zeugen Mi. bzw. Gr. verlegt.Der über Handy alarmierte Anstaltsarzt Dr. Mö. traf kurze Zeit nach Entdeckung desToten am Tatort ein. Auch er stellte die Leichenstarre fest, nahm jedoch keine Untersuchungenund Veränderungen an der Leiche vor, da er - wie in Todesfällen üblich -das Erscheinen des Erkennungsdienstes und der Rechtsmedizin abwarten wollte.Gegenüber dem Gefangenen Fa., in dessen Zelle sie zunächst verlegt wurden, gabendie Angeklagten an, Hermann H. habe sich „ weggehangen". Pascal I. bat denZeugen, ein trauriges Lied auf der Gitarre zu spielen. I. schilderte später gegenüberdem Gefangenen Gr. zunächst die verabredete Version. Als der Zeuge Zweifel anmeldete,sagte I. zu diesem: „Wenn Du wüsstest, was wir mit dem gemacht haben."K. wurde in die Zelle des Gefangenen Mi. verlegt, dem er lediglich erzählte, sie hättenHermann H. am Morgen gefunden. Am nächsten Tag hörte der Zeuge Mi., wie I.zu K. sagte: „Bleib einfach dabei, die können uns sowieso nichts." In Verfolgung ihresPlans gaben die Angeklagten in ihren zeugenschaftlichen Vernehmungen durch diePolizeibeamten Pr. und He. am Vormittag des 12.11.2006 übereinstimmend an,Hermann H. habe sich von ihnen unbemerkt in der Nacht selbst erhängt. Sie hättendas Opfer am Vortag schlagen müssen, da dieses über das Fenster andere Gefangenebeleidigt habe. Hätten sie dies nicht getan, wären sie selbst Opfer von Übergriffender beleidigten Gefangenen geworden. Auch gaben sie übereinstimmend an,Hermann H. habe bereits in den Tagen vor der Tat geäußert, sich „weghängen" zuwollen, was sie allerdings nicht ernst genommen hätten. Die Vernehmungen von I.und A. mussten abgebrochen werden, da diese vorgaben, psychisch zu weiterenAngaben nicht in der Lage zu sein. I. bat zudem um psychologische Hilfe.Bei der Leichenschau am 12.11.2006 und späteren Obduktion am Vormittag des13.11.2006 wurden außer den bereits genannten zahlreiche weitere Verletzungen andem Tatopfer festgestellt.Neben den Zeichen der Strangulation handelte es sich um eine Einblutung am rechtenAuge und als Zahnabdruckkonturen zu wertende Einblutungen in der Schleimhautdes Mundvorhofs der Oberlippe. Am linken Unterarm fand sich an abwehrtypischerStelle eine Einblutung. Außerdem konnten Einblutungen in das Unterhautfettgewebebeziehungsweise die Muskulatur im Bereich beider Unterarme, des rechtenOberarms,beider Unter- und Oberschenkel sowie im Gesäßbereich festgestellt werden.Konfrontiert mit diesen bisherigen Ermittlungsergebnissen legte der Angeklagte K.bereits in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung am Abend des 13.11.2006 einweitgehendes Geständnis ab, in dem er insbesondere auch die Tötung des HermannH. einräumte. Dieses untermauerte er durch zahlreiche Detailangaben in den weiterenVernehmungen.Auch der Angeklagte A. räumte - konfrontiert mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen- noch am Abend des 13.11.2006 seine Tatbeteiligung an den Misshandlun-34


gen ein, schrieb die Verantwortung für das Tötungsgeschehen aber zunächst denMitangeklagten zu. In späteren Vernehmungen räumte auch er hierzu seine eigeneBeteiligung ein.Der Angeklagte I. dagegen beharrte auch in seiner Beschuldigtenvernehmung amAbend des 13.11.2006 zunächst darauf, in seiner Zeugenvernehmung die Wahrheitgesagt zu haben. Im weiteren Verlauf dieser Vernehmung äußerte er gegenüber demanwesenden Staatsanwalt Fassbender, dass er „auspacken" werde, wenn er dafür inden offenen Vollzug komme. Er selber sei an der Tat nicht beteiligt gewesen. Nachdemseine Forderung abgelehnt wurde, sagte er dennoch aus. Dabei schrieb ersämtliche Misshandlungen fast ausschließlich den Angeklagten A. und K. zu. Erselbst habe im Bett gelegen und sich die Decke über den Kopf gezogen. Erst in weiterenVernehmungen räumte auch der Angeklagte I. teilweise eigene Tatbeiträge ein,schrieb die Hauptverantwortung aber dem Angeklagten A. zu. Bis zuletzt bestritt erinsbesondere seine Mitwirkung an der Penetration mit dem Handfeger und äußerte,sich an der Erstellung der Für-und-Wider-Liste nicht aktiv beteiligt, sondern „abstoßendgeguckt" zu haben. Ferner gab er wahrheitswidrig an, er habe vor den TatenKokain konsumiert.Am 12.08.2007 - also während der vor der Kammer laufenden Hauptverhandlung -hörte der Justizvollzugsbeamte Fr., dass der zu diesem Zeitpunkt in der JVA Wuppertalinhaftierte Angeklagte I. sich am geöffneten Fenster seiner Zelle mit Insassenbenachbarter Zellen unterhielt. Dabei äußerte er bezüglich der Person des Tatopfers,dieser sei „das typische Opfer gewesen, wie man das aus dem Knast so kennt." „Denbrauchtest du nur angucken und schon hat der gemacht, was du wolltest. (...) Dannhaben wir dem gesagt: Du hängst dich besser auf!" Weiter erklärte der Angeklagte:„Wenn der eine da, der 17-jährige, nicht geplappert hätte, könnten die uns gar nichts.Der konnte die Fresse nicht halten, der Wichser. Und den kenn ich sogar noch vondraußen." Diese Äußerung bezog sich auf den Mitangeklagten K."Zwar ist das Urteil zum Zeitpunkt dieser (Teil-) Berichtserstellung noch nicht rechtskräftig,da die Angeklagten im Wesentlichen den ihnen vorgeworfenen Ablauf gestandenhaben, bieten die gerichtlichen Feststellungen gleichwohl eine geeigneteTatsachengrundlage für die Untersuchungen des PUA.B. Konkrete Fehler in der JVA Siegburg01. Versagen der Täter-Opfer-ErkennungDurch eine vom PLJVA entworfene und vom Abteilungsleiter Justizvollzug im Justizministeriumergänzte "Unterrichtung der Hausspitze" vom 18.01.2006 (A 50, S. 226)wurde der Betroffenen mitgeteilt, es gebe in den Anstalten ein System funktionierenderOpfer- und Tätererkennung. Die Betroffene hinterfragte dies nicht näher und verließsich auf die Richtigkeit dieser Behauptung.In Wirklichkeit fehlte es an festgelegten Kriterien und praxisnahen Regelungen indiesem Bereich. In der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Bonn heißt eshierzu unter B. I. 2., der damalige Leiter der JVA Siegburg habe über die Zusammenlegungvon Zellen ausgeführt, die zuständigen Beamten hätten ein entsprechendes"Fingerspitzengefühl" entwickelt.35


Der zu dem späteren Opfer in die Zelle verlegte Angeklagte K. wurde zuletzt vor derTat durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 14.10.2005 wegen Raubes in drei Fällensowie wegen schweren Raubes unter Einbeziehung einer früheren Verurteilungzu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. SeinÜberfallopfer - so das Gericht - hätte Verletzungen, die ihm der Angeklagte beigebrachthatte, "vermutlich nicht überlebt", wäre es nicht noch rechtzeitig gefundenworden. Das Gericht bescheinigte dem Angeklagten K. daher eine "ungezügelte Gewaltbereitschaft".Der Angeklagte I. war mehrfach wegen Gewaltanwendung und Körperverletzungvorbestraft.Beide Angeklagten mussten im Jugendvollzug mehrfach wegen gewalttätiger Auseinandersetzungmit Mitgefangenen mit Disziplinarstrafen belegt werden.In dem oben zitierten Urteil ist unter "1. Vorgeschichte und Rahmen der Taten" undam Ende der zitierten Feststellungen eindrucksvoll und überzeugend geschildert,dass die beiden Angeklagten K. und I., die sich zudem seit längerer Zeit kannten, dievon den Bediensteten geformte Zellengemeinschaft sofort dominierten und HermannH. als Opfertyp identifizierten und systematisch in diese Rolle hineindrückten. Alssich der Angeklagte A. dann noch ihnen zuwandte, war das Schicksal von HermannH. besiegelt.Wenn die Bediensteten auch in der Folgezeit davon nichts bemerkten, kann dies nurauf Mängel in der Ausbildung und fachlichen Eignung zurückgeführt werden.Erst nach der schrecklichen Tat erließ die Betroffene zur Prüfung der Gemeinschaftsfähigkeitund der Zusammenlegung eine Anordnung, insbesondere zur Dokumentationspflicht.Ihr wurde ein Informationsblatt angeschlossen, in dem 26 Prüfungskriterienniedergelegt sind.Fazit:Hermann H. hätte nicht sterben müssen, wenn bei der Auswahl der Zellengemeinschaftdie sogenannte Verträglichkeitsprüfung bzw. eine Täter-Opfertyp-Erkennungfunktioniert hätte und nicht zwei aggressive, bereits durch Gewalttaten und vollzuglicheDisziplinarstrafen aufgefallene Jugendgefangene mit dem passivzurückhaltendenOpfertyp Hermann H. zusammengelegt worden wären.Offenbar fehlte den Anstaltsbediensteten insoweit die erforderliche Ausbildung oderfachliche Anleitung. Die Organisations-Verantwortlichkeit dafür trug zum Tatzeitpunktdie Betroffene.02. Fatale Fortsetzung der ViererbelegungDas Landgericht Bonn hat festgestellt:"Im für den Jugendstrafvollzug vorgesehenen Hafthaus II, Vollzugseinheit 4,waren H. und der Angeklagte A. seit dem 26.10.2006 Zellengenossen in derZelle 104, die sich im ersten Obergeschoss befindet und als sogenannte Gemeinschaftszelleüber vier Betten verfügte. Zunächst saß in der Zelle auch einweiterer Mitgefangener ein, der aber aufgrund seiner Verlegung in eine andereHaftanstalt die Zellengemeinschaft am 06.11.2006 verließ. Die Angeklagten I.und K. , die sich bereits seit etwa sechs Jahren aus Bottrop kannten, belegten36


seit dem 15.09.2006 zusammen die Zelle 102 in derselben Haftabteilung. Aufgrundder Renovierung ihrer Zelle wurden sie am Nachmittag des 06.11.2006in die Zelle 104 verlegt. Auch nach Abschluss der Renovierungsarbeiten wurdedie Vierergemeinschaft aus den drei Angeklagten und Hermann H. in Zelle104 aufrecht erhalten."Aus dem "Verlegungsbuch" der JVA Siegburg (C 6) ergaben sich folgende, anonymisierteEintragungen:"Die. 07.11.2006Tatzelle 104: Verlegung Gef. X nach WuppertalVerlegung K und I von Zelle 102 zum Opfer (wg.Renovierung)Mi., 08.11.2006 Verlegung Gef. G von Zelle 126 in die Zelle 102Fr., 10.11.2006 Verlegung Gef. G von Zelle 102 in die Zelle 135Verlegung Gef. Sch. von Zelle 119 in die Zelle 102"Daraus wird erkennbar, dass die renovierte Zelle bis zum Tattag nur mit einem Gefangenenbelegt war, während in der als Dreier-Haftraum vorgesehenen Tatzelle unnötigerweiseeine Überbelegung mit vier Jugendgefangenen stattfand. Angesichtsder Täter-Opfer-Konstellation hätte ihre Zellengemeinschaft nach Beendigung derRenovierungsarbeiten sogar gegen den erklärten Willen der vier Jugendgefangenenaufgehoben werden müssen.Fazit:Hermann H. hätte nicht sterben müssen, wenn noch vor dem Tatwochenende dieViererbelegung durch Rückverlegung der beiden aggressiven Jugendgefangenen inihre renovierte Zelle aufgehoben worden wäre.Offenbar fehlte den Anstaltsbediensteten insoweit die erforderliche Ausbildung oderfachliche Anleitung. Die Organisations-Verantwortlichkeit dafür trug zum Tatzeitpunktdie Betroffene.03. Vergeblicher Hilferuf über die "Ampel"Durch eine vom PLJVA entworfene und vom Abteilungsleiter Justizvollzug im Justizministeriumergänzte "Unterrichtung der Hausspitze" vom 18.01.2006 (A 50, S. 226)wurde der Betroffenen mitgeteilt:"Bei Vorkommnissen auf Hafträumen können Gefangene in den Anstalten ü-ber Gegensprechanlagen oder Lichtrufanlagen Hilfe herbeirufen …"Die Betroffene hinterfragte dies nicht näher und verließ sich auf die Richtigkeit dieserBehauptung.Das Landgericht Bonn hat festgestellt:"Es gelang dem Geschädigten zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt,„auf Ampel zu gehen", also die bereits oben beschriebene Lichtrufanlage zubetätigen. Da hierbei auch in der Zelle neben dem Rufsensor eine Lampeleuchtete, fiel dies dem Angeklagten A. auf, bevor sich ein Beamter aus derZentrale über die Gegensprechanlage meldete.Die Angeklagten hinderten Hermann H. gemeinsam daran, sich bemerkbar zumachen. A. und I. zogen den Geschädigten von der Tür weg und hielten ihmden Mund zu. Der Geschädigte sträubte sich und trat mit den Füßen um sich,wobei er auch eine Schranktür traf und einen erheblichen Lärm verursachte.Nach kurzer Zeit meldete sich ein heute nicht mehr identifizierbarer Beamteraus der Zentrale über die Sprechanlage. Der Angeklagte K. nahm den Ruf37


entgegen und erklärte, er habe sich „verdrückt", also aus Versehen den Rufknopfbetätigt. Tatsächlich habe er den Lichtschalter bedienen wollen. Mit dieserErklärung gab sich der Beamte zufrieden und verfolgte die Sache nichtweiter."Die Werthebach-Kommission hat in ihrem 1. Teilbericht (Seite 63; A 17, A, 123) beiRufen aus mehrfachbelegten Hafträumen für notwendig erachtet:"Folgt einem Notruf eines Gefangenen eine Mitteilung - und sei es sinngemäß,es liege kein Notfall vor - ist trotzdem vor Ort zu gehen und zu agieren, als seidiese Mitteilung nicht erfolgt."Mit Erlass vom 16.02.2007 machte das Justizministerium aufgrund der vorgenanntenEmpfehlung der Werthebach-Kommission "für die Bearbeitung der Meldungen überdie Haftraumkommunikationsanlage" bei Meldungen, "die nicht eindeutig als Notrufzu erkennen sind" auf Folgendes aufmerksam, was durch Hausverfügung in der JVASiegburg am 27.02.2007 verbreitet wurde (C 8, S. 85):"Ich bitte in diesen Fällen um erhöhte Aufmerksamkeit, insbesondere wenn einderartiger Ruf aus einem Haftraum kommt, in dem sich mehrere Gefangeneaufhalten. Im Zweifel sollen solche Meldungen vorsorglich als Notruf eingestuftwerden."Fazit:Hermann H. hätte nicht sterben müssen, wenn bei seinem "Hilferuf" über die Lichtruf-/Gegensprechanlage diese Regelungen schon bestanden hätten und dadurch eineerhöhte Aufmerksamkeit, insbesondere auf das Befinden des Opfers gerichtet wordenwäre.Die Organisations-Verantwortlichkeit dafür trug zum Tatzeitpunkt die Betroffene.04. Fehlende VitalkontrolleDas Landgericht Bonn hat festgestellt:"Die Misshandlungen, in deren Rahmen das Opfer auch gegen Tische undStühle geschleudert wurde, verursachten erhebliche polternde Geräusche, dieauch in der darunter liegenden Zelle deutlich zu vernehmen waren. Gegen21:00 Uhr betätigten die Gefangenen Ba. und Ma., die über den anhaltendenLärm zunehmend verärgert waren, die „Ampel" und beschwerten sich über dieGegensprechanlage über Lärm aus der Tatzelle. Ob sie dabei gegenüber demdiesen Ruf entgegen nehmenden Justizvollzugsbeamten Me-We. nur vonstarken Geräuschen durch das Verrücken von Möbeln oder auch von einermöglichen Schlägerei in der über ihnen liegenden Zelle sprachen, vermochtedie Kammer nicht aufzuklären.Jedenfalls begab sich der Zeuge Me-We. in Begleitung des Zeugen vA. wenigeMinuten nach dem Ruf zu der Zelle 104. Beide blieben zunächst vor derTür stehen und horchten an dieser, wobei sie keine Auffälligkeiten bemerkten.Zu diesem Zeitpunkt waren die Misshandlungen vorübergehend eingestellt.Als beide Beamte die Zelle betraten, lag das Opfer im Bett. Die Angeklagtenhatten ihm zuvor eingeschärft, sich still zu verhalten, was Hermann H. weisungsgemäßtat. Die Zeugen Me-We. und vA. nahmen nur wahr, dass H. imBett lag, sie anblickte und sich kurz bewegte. Auf Nachfrage erklärte einer derAngeklagten den Lärm damit, dass man in der Zelle aufgeräumt und dabei Ti-38


sche und Stühle verrückt habe. Da die Beamten dies glaubten, ermahnten siedie Insassen zur Ruhe und verließen sodann wieder die Zelle."Damit war die letzte Chance für Hermann H., die Folter zu überleben, vertan.Der stellvertretende NRW-Vorsitzende des BSBD (Bund der Strafvollzugsbedienstetenin Deutschland), Friedhelm Sanker, hat dieses Verhalten am 16.11.2006 (SPIE-GEL online) mit den zutreffenden Worten kommentiert:"Man hätte eine sogenannte Vital-Kontrolle vornehmen müssen".Erst seit dem 24.11.2006 gab es in Siegburg die Hausverfügung 4434 E-1.103/2006(C 8, S. 90) zur "Kontrolle von mehrfach belegten Hafträumen in der Zeit des Einschlusses"mit folgendem Hinweis:"2. Kontrollen im Zeitraum des Einschlusses bis zum Nachtdienst… Bei der Kontrolle sind alle Gefangenen des betreffenden Haftraumes anzusprechenund es ist Sichtkontakt herzustellen."Fazit:Hermann H. hätte nicht sterben müssen, wenn es die Anweisung gegeben hätte,beim Aufsuchen einer mehrfach belegten Zelle eine sog. "Vitalkontrolle" aller Insassendurchzuführen.Insbesondere nach Beschwerden über Lärm, die auf eine körperliche Auseinandersetzunghinweisen könnten, hätten die Vollzugsbediensteten sich durch aktive Anspracheund körperliche Inaugenscheinnahme vom Wohlbefinden der Zelleninsassenüberzeugen müssen.Offenbar fehlte den Anstaltsbediensteten insoweit die erforderliche Ausbildung oderfachliche Anleitung. Die Organisations-Verantwortlichkeit dafür trug zum Tatzeitpunktdie Betroffene. Pikant: Nach der Tat ist die "Vitalkontrolle" eingeführt worden.C. Das Kardinalproblemund das entscheidende Versagen der BetroffenenDie wichtigste Maßnahme zur Verhinderung des schrecklichen Foltermordes wäredas frühzeitige Verbot der Dreier- und Vierer-Belegung im Jugendbereich und dieBeschränkung von Mehrfachbelegung auf maximal zwei Jugendgefangene pro Haftraumgewesen.Es gab für eine solche Maßnahme für die Betroffene im Jahr 2006 bereits vor der Taterheblichen, später sogar zwingenden Anlass.Eine solche Anordnung wäre der Betroffenen auch trotz bestehender Engpässe imHaftraumbestand und im Personalbereich möglich gewesen, wie allein die Tatsachebeweist, dass sie unmittelbar nach dem Foltermord entsprechend handelte.01. Mörderische Enge, tödliche gruppendynamische ProzesseDie menschenunwürdige Enge des Haftraumes, die Belegung mit vier Jugendlichenund die lange, unkontrollierte Einschlusszeit ohne Beschäftigung haben gruppendynamischeProzesse freigesetzt, die zu der schrecklichen Tat geführt haben.39


1.1. Menschenunwürdige HaftraumengeDas Landgericht Bonn hat im Urteil festgestellt:"Die Zelle 104 hat einen rechteckigen Grundriss von etwa 4,70 m Breite und3,70 m Tiefe.[…]Von der Zelleneingangstür gesehen links liegt ein abgetrennter, durch eine Türzugänglicher, ebenfalls rechteckiger Toilettenraum von etwa 1,60 m Breite und1,15 m Tiefe."Damit verfügte die Tatzelle über ca. 17,4 qm Grundfläche, bei Viererbelegung alsoweniger als 4,35 qm pro Jugendgefangenen (ohne Toilettenraum: ca. 15,5 qm = ca.3,9 qm/Jugendgefangener). Sie war zugestellt mit einer Vielzahl von Möbeln.Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum sind dem Ermessen derVollzugsbehörde bei der Belegung der Hafträume Grenzen gesetzt durch das Rechtder Gefangenen auf Achtung ihrer Menschenwürde aus Artikel 1 des Grundgesetzes,das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aus Artikel 3 der EuropäischenMenschenrechts-Konvention und die Europäischen Mindestgrundsätze fürdie Behandlung von Gefangenen.Die Rechtsprechung hat schon in den achtziger Jahren dies konkretisiert und Grundflächenum 4 qm pro Person für unzulässig erklärt (Beschluss LG Braunschweig vom15.04.1983; Beschluss OLG Frankfurt a.M. vom 02.04.1987). Im Jahr 2003 wurdeeine Grundfläche von knapp über 6 qm pro Person für "gerade noch hinnehmbar"befunden (Beschluss OLG Frankfurt a.M. vom 28.10.2003; Ullenbruch in NStZ 1999,S. 431 verlangt mindestens 7 qm Grundfläche pro Gefangenen).Das LG Braunschweig (siehe oben) hat begründend und warnend ausgeführt: "Dererzwungene hautnahe Kontakt mit einem möglicherweise unliebsamen Mitgefangenenkann zu einer erheblichen psychischen Belastung führen… Eine vermehrte psychischeBelastung und eine zunehmende Aggressionsbereitschaft der betroffenenStrafgefangenen sind keine wünschenswerten Begleiterscheinungen des Freiheitsentzuges."1.2. Feststellungen aus dem LG-UrteilDie Jugendstrafkammer des Landgerichts Bonn hat auf der Grundlage eines umfangreichenpsychiatrischen Gutachtens festgestellt (Urteil S. 79; APr 14/628, S. 30 f.):"Ferner war zu sehen, dass die Taten durch die Zellensituation begünstigtwurden. Der Sachverständige Dr. Schwachula hat hierzu überzeugend ausgeführt,dass das Eingeschlossensein von vier Häftlingen in einer Zelle bei allenAngeklagten einen erheblichen Stressdruck ausgelöst hat. Hierbei war der zurückhaltendeGeschädigte, der von dem Angeklagten als „Opfertyp“ und damitals schwächstes Mitglied der Gemeinschaft angesehen wurde, eine geeignetePerson, auf die Aggressionen projiziert werden konnten. In der sich so bildenden„Quasi-Zweipersonenkonstellation“ wurden die Taten wie dargestelltdurch wirkende gruppendynamische Kräfte entscheidend gefördert."1.3. "Binsenweisheit" unter VollzugspraktikernAusführungen des Abteilungsleiters Strafvollzug im Justizministerium Mainzer am25.01.2008 als Zeuge vor dem PUA (APr 14/594, S. 41):40


"… darüber waren sich alle einig: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wirmöglichst bald so weit kommen, Überbelegungen und auch Mehrfachbelegungenund Notgemeinschaften abzuschaffen."Stellungnahme des Leiters des Kriminologischen Dienstes bei der Vernehmung am14.01.2008 vor dem PUA (APr 14/ 580, S. 41):"Es ist etwas, was man der Logik entnehmen würde, dass dann, wenn auf engeremRaum mehrere Leute zusammen sind, Risiken natürlich wachsen. Dasist aber eine derartige Binsenweisheit, die jeder wahrscheinlich irgendwannmal abgeben wird."02. Ignorierte Warnungen (vom Dienstantritt bis zur Auftragserteilung sog.Gewaltstudie des Kriminologischen Dienstes)Zusammenfassende Bewertung des Verhaltens der Betroffenen:Das drängende Problem der Gewalt gerade unter Jugendgefangenen war der Justizministerinseit ihrem Dienstantritt Mitte 2005 durch eine Vielzahl von Hinweisen,Warnungen und Gewalttaten hinreichend bekannt.Der Justizministerin hätten zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Amtszeit von ihrer FachabteilungIV-Strafvollzug im Justizministerium oder ihrem Justizvollzugsamt Erkenntnisseund Schlussfolgerungen aus früheren Vorfällen oder anderen Bundesländern,insbesondere bei einer systematischen Abfrage und Auswertung, vorliegen können,die sie zu einem sofortigen Handeln, insbesondere zu einem Verbot von Dreier- undVierer-Belegungen im Jugendvollzug, hätten bewegen müssen.Feststellungen aus der Untersuchung:2.1 Erste Gewalterfahrung und WarnungenIm Rechtsausschuss am 23.11.2006 (APr 14/308, S. 6 f.) erklärte die Betroffene:"Nachdem ich Ende Juni 2005 mein Amt als Justizministerin angetreten hatte,kamen in den ersten Monaten, wenn ich mich recht erinnere, vier Mitteilungenüber Fälle von Gewalttaten von Gefangenen untereinander. Schon nach demersten entsprechenden Bericht habe ich meine Fachleute gefragt: Wie kanndas passieren? Kommt das häufiger vor? Was kann man machen, damit soetwas möglichst nicht mehr vorkommt?Eine klare Antwort gab es nicht."Der Betroffenen war der brutale Gewaltübergriff in einem Vierer-Gemeinschaftsraumder JVA Heinsberg im Zeitraum 04.05. bis 18.05.2002 bekannt, der fast zum Tod desOpfers geführt hätte. Dieses wurde von drei Mitgefangenen über zwei Wochen systematischgequält und schwer körperlich misshandelt (A 121, S. 33 ff.). Sie hat ihnals "Warnsignal" bezeichnet (Pl.Pr. 14/45, S. 5019 f. = E 1)Nach Amtsantritt der Betroffenen geschahen folgende weitere gravierende Gewalttatenim Jugendbereich der JVA Siegburg:12.11.2005 (D 159)3 Täter (19/19/20 Jahre alt) quälen ihr Opfer (17 Jahre alt) in einer Viererzelle nachKartenspielen, indem sie es schlagen und zwingen, Kot und Urin bis zum Erbrechenzu sich zu nehmen, sowie Urin aufzuwischen.41


14.-19.12.2005 (A 72 = D 160)3 Täter (20/20/23 Jahre alt) schlagen ihrem Opfer (20) einen Backenzahn heraus,misshandeln es mit Elektrokabeln und fordern sexuelle Handlungen.Am 15.12.2005 führte die Betroffene ein Gespräch mit einer Richterin am AmtsgerichtHeinsberg. Diese hatte in mehreren Entscheidungen Anfang 2005 (A 64, S. 8,29, 43) den Erlass eines Haftbefehls u.a. mit der Begründung abgelehnt, die jugendlichenUntersuchungshäftlinge könnten in der Anstalt nicht vor Vergewaltigung undsexuellem Missbrauch geschützt werden. Danach stellte sie gezielte Fragen zur Gewaltvermeidungbzw. -aufdeckung.Zu diesem Zeitpunkt wusste die Betroffene von der Massivität des Gewaltproblemsim Strafvollzug und hatte erste Hinweise auf die besondere Gefährlichkeit von mehrfachbelegtenHafträumen zur Kenntnis genommen.2.2 Warnungen der FachabteilungenDurch eine vom PLJVA entworfene und vom Abteilungsleiter Justizvollzug im Justizministeriumergänzte "Unterrichtung der Hausspitze" vom 18.01.2006 (A 50, S.227) wurde der Betroffenen auf ihre Fragen hin Folgendes mitgeteilt:"Eine Überbelegung führt tendenziell zu einer Zunahme von Übergriffen. Soweitdie Belegungssituation einer Anstalt es zulässt, werden Gemeinschaftshafträumedaher nicht voll belegt, um so bereits das Aufkeimen von Aggressionenaufgrund beengter Verhältnisse zu minimieren."Mit Vorlage 5310-I.496 (A 10, Seite 170 ff.) vom 17.03.2006 - mit Handzeichen undhandschriftlichen Anmerkungen der Justizministerin vom 24.03.2006 - wurden derBetroffenen neben Informationen und Vorschlägen zu Baumaßnahmen Hinweise gegeben,"…, dass eine Vollzugsanstalt bereits bei einer 90%-igen Inanspruchnahmeder ausgewiesenen Haftplätze als voll belegt anzusehen ist. Eine darüber hinausgehende Belegung kann in der Regel nur durch Bildung von Notgemeinschaften(Unterbringung von mehr Gefangenen in einem Haftraum als zugelassen)aufgefangen werden kann." (S. 171) und"… mit einer wesentlich stärkeren Zunahme der Gefangenenzahlen und einerTrendwende der in den letzten Jahren uneinheitlichen, aber insgesamt ehermoderaten Entwicklung gerechnet werden" (S. 177) müsse.Ab diesem Zeitpunkt kannte die Betroffene damit den direkten Zusammenhang zwischenHaftraummangel, Überbelegung und Zunahme der Gewalt. Sie wusste, dassdie Belegungssituation es gerade nicht zuließ, Gemeinschaftshafträume nicht voll zubelegen und dass dadurch Enge und Aggression stiegen. Da ihr auch bekannt war,dass Personal und Raumressourcen nicht kurzfristig zu vermehren waren, hätte siekurzfristige, sofort umsetzbare und aggressionsmindernde Maßnahmen in Auftraggeben müssen. Eine solche wäre, schon zu diesem Zeitpunkt, das Verbot von 3erund4er-Belegung gewesen.Offenbar suchte die Betroffene nur nach konzeptionell langfristigen Lösungen undnutzte nicht die kurzfristig wirksamen Maßnahmen, die auf der Hand lagen. Dies ergibtsich aus ihrer Einlassung vor dem Rechtsausschuss am 23.11.2006 im Anschlussan das oben bereits zitierte:42


"Ich habe weiter geforscht. Gab es für den NRW-Strafvollzug oder im Strafvollzuganderer Bundesländer ein Handlungskonzept, das sich bewährt hat?Ergebnis: Nein, so etwas existiert nicht. Nirgends."Weniger als ein vollständiges Handlungskonzept gegen Gewalt unter Gefangenenwollte die Betroffene offenbar nicht, obwohl sie dadurch wertvolle Zeit verlor. Die Suchenach dem "großen Wurf" verstellte ihr und ihrer Fachabteilung den Blick auf bereitsvorliegende, effektive Einzelerkenntnisse.2.3. Vorfall Ichtershausen und "Böhm-Kommission" in Thüringen 2001Am 14.10.2001 starb in der Jugendanstalt Ichtershausen in Thüringen ein Jugendgefangener.Sein Leidensweg, der Tatort, die Aufklärung durch eine Obduktion, die Reaktiondes zuständigen Justizministers weisen geradezu frappierende und dramatischeÄhnlichkeiten zu dem hier zu untersuchenden Foltermord auf."Zwei 17 und 21 Jahre alte Häftlinge der Jugendstrafanstalt Ichtershausen töten imOktober den 16-jährigen Roland B., nachdem sie ihn Wochen lang gedemütigt, misshandeltund schikaniert hatten. Der junge Häftling stirbt gefesselt und geknebelt aufeinem Stuhl - erdrosselt von seinen Mitgefangenen" berichtete Spiegel online(16.11.2006 "Folter Im Knast - Die schlimmsten Fälle").Eine Internetrecherche im Justizministerium hätte der Betroffenen folgende für ihreEntscheidungen relevante Information geliefert (Pressemitteilung 160/2002 des JMThüringen vom 26.09.2002, http://www.thueringen.de/de/justiz/presse/04098/ uindex.html;Thüringer Landtag, Drucksache 4 / 2343 vom 04.10.2006: Antwort des Justizministeriumsauf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Künast (SPD)):Unmittelbar nach der Tat hatte der thüringische Justizminister die Anordnung getroffen,in einem Haftraum nicht mehr als zwei junge Gefangene unterzubringen. Eineam 01.11. 2001 von ihm eingesetzte unabhängige, überregionale Kommission (sog."Böhm"-Kommission) hatte die Vollzugskonzeption und die Vollzugsgestaltung in denThüringer Einrichtungen des Jugendvollzugs, insbesondere die Unterbringung undBehandlung der Gefangenen sowie die Personalbemessung überprüft und hierzuEmpfehlungen ausgesprochen, die am 26.09.2002 dem Justizausschuss des Landtagesvorgestellt wurden.Eine Pressemitteilung des Ministeriums betont: "Ausdrücklich positiv bewertete dieKommission die Anordnung des Thüringer Justizministeriums, dass nicht mehr als 2Gefangene in einem Haftraum untergebracht werden dürfen. Diese Festlegung istgeeignet, die Gefahr von Gewalttätigkeiten und Übergriffen zu beschränken, wobeiallerdings eine Unterbringung junger Gefangener während der Ruhezeit in Einzelräumenerstrebenswert sei."Das Thüringer Justizministerium hat am 04.10.2006 in einer Antwort auf eine KleineAnfrage ausdrücklich festgestellt: "… die Zweierunterbringung hat sich im Hinblickauf die angestrebte Vermeidung von Gewalttätigkeiten und anderen Praktiken derSubkultur bewährt."2.4. Hessische Studie "Gewalt im Gefängnis" 2002Im Jahr 2002 wurde die Studie des Leiters des Kriminologischen Dienstes für denJustizvollzug Hessens, "Gewalt im Gefängnis-eine Untersuchung der Entwicklung43


von Gewalt im hessischen Justizvollzug (1989-1998)" (A 197) veröffentlicht in derZeitschrift "Bewährungshilfe", 2002, S. 369-383.Eine Auswertung der dortigen Erkenntnisse hätte der Betroffenen Aufschluss darübergegeben, dass Jugendgefangene "eher zu manifester Gewalt neigen" (S. 373), derHaftraum die Örtlichkeit für Gewalt ist (S. 377), dass Stress Aggressionsauslöser ist(S. 381 f.) und schließlich in den Schlussfolgerungen darauf hingewiesen wird, dassdie "Reduzierung von Überbelegung" (S. 383) prophylaktisch wirkt.2.5. Arbeitsgruppe Jugendanstalt Hameln 2003Im Jahr 2003 wurde in der Jugendanstalt Hameln eine Arbeitsgruppe zur Reduzierungvon Unterdrückungen und Tätlichkeiten zwischen den Gefangenen gebildet.Diese Arbeitsgruppe nahm eine differenzierte Analyse aller körperlichen Auseinandersetzungenzwischen Gefangenen vor und entwickelte Handlungsempfehlungen.Eine Bilanz ergab, dass daraufhin die Zahl der schwerwiegenden körperlichen Auseinandersetzungenund anderer Unterdrückungshandlungen seit 2004 kontinuierlichgesunken ist. Ursachen sind nach Auffassung des Landes die deutlich gesunkeneBelegung der Jugendanstalt Hameln sowie die konsequente Umsetzung der erarbeitetenStrategien (A 141 a, S. 58).Der Betroffenen und ihrer Fachabteilung waren diese "Handlungsempfehlungen" unbekannt.2.6. Erfahrungen aus anderen BundesländernEine systematische Umfrage in den Bundesländern hätte der Betroffenen verdeutlicht,dass die meisten auf Einzel- oder maximal auf Zweierbelegung von Hafträumenim Jugendbereich setzen.Eine von der SPD-Fraktion im PUA durchgeführte Umfrage ergab das folgende Bild:- Schleswig-Holstein: etwa seit 1980 keine Vierer-Belegung im Jugendbereich- Rheinland-Pfalz: keine Vierer-Belegung im Jugendbereich- Mecklenburg-Vorpommern: seit 2001 Jugendvollzug grundsätzlich nur inEinzelhafträumen; Erfahrung: erhebliche Absenkungder Rohheitsdelikte- Hamburg: Jugendvollzug grundsätzlich nur in Einzelhafträumen- Bremen: seit 1968 Jugendvollzug grundsätzlich nur inEinzelhafträumen- Niedersachsen: seit 1980 Jugendvollzug grundsätzlich nur inEinzelhafträumen- Sachsen-Anhalt: seit 2002 im Jugendbereich maximal Zweier-Belegungen- Berlin: bereits seit 20 Jahren keine Vierer-Belegung imJugendbereich mehr03. Unzureichende Reaktion der BetroffenenDa die Betroffene von den vorgenannten Erkenntnissen aus Thüringen (2001), Hessen(2002), Niedersachsen (Hameln 2003) sowie den anderen Bundesländern keineKenntnis erlangt hatte, beauftragte sie Ende Januar 2006 ihre Fachabteilung IV, mitwissenschaftlichen Methoden zu versuchen, herauszufinden, welche Indikatoren undParameter Gewalt von Gefangenen untereinander begründen können, um dann ein44


gewaltpräventives Klima in den Justizvollzugsanstalten zu schaffen. Daraufhin wurdemit dem Kriminologischen Dienst bis Mitte 2006 ein Projektdesign erstellt.Typisch für die fachliche Ahnungslosigkeit der Betroffenen ist, dass sie der Ansichtwar, zu diesem Zeitpunkt auch den endgültigen, formalen Auftrag erteilt zu haben(APr 14/628; S.7, 28). Tatsächlich dauerte dies noch drei Monate länger, bis zum18.05.2006 (A 197, S. 49 ff.).Grund für eine mehrwöchige Verzögerung war dabei ein interner Streit im Hause derBetroffenen zwischen den Abteilungen IV und Z über die Vergütung von Mehrarbeit,den erst der Staatssekretär entscheiden musste (A 197, JM-Akte 4557 E-IV.3-06, S.8 - 36). Auch der Leiter des Kriminologischen Dienstes sah die Möglichkeit, früheranzufangen (APr 14/580, S. 22).Und es dauerte weitere zwei Monate, bis der Kriminologische Dienst erste Daten ausden Justizvollzugsanstalten erhielt (A 197, S.80). Geplant war, das Projekt bis Ende2006 abzuschließen (APr 14/580, S. 11).Erst nach der schrecklichen Tat wurde das Personal des Kriminologischen Dienstesum drei Arbeitskräfte zur schnelleren Fertigstellung der Studie aufgestockt (A 2, Hintergrund-Chronikvom 23.11.2006), so dass sie am 21.12.2006 unter dem Titel "Gewaltunter Gefangenen" vorgelegt werden konnte (A 151, A 197). Kritisch muss allerdingsbewertet werden, dass gerade die entscheidende Frage "nach dem Einflussder Mehrfachbelegung von Hafträumen … zu den teilweise unbeantworteten Fragen"gehörte (A 151, S. 6, Fußnote 2).Zudem beschränkten sich Auftrag und Studie auf das "Problem-Hellfeld", das angesichtsunklarer Erfassungs- und Berichtspflichten der Justizvollzugsanstalten überGewalttaten und der bekannten Zurückhaltung im Anzeigeverhalten von geschädigtenGefangenen deutlich weniger aussagekräftig sein dürfte, als es die systematischeErfassung des "Dunkelfeldes" ergeben würde.Festzuhalten ist somit, dass es angesichts der schon bis dahin bekannten Gefahrendurch Mehrfachbelegungen in Notgemeinschaften unzureichend war, sich auf dieBeauftragung einer wissenschaftlich orientierten und Zeit kostenden Studie zu beschränken,zumal dies ohne notwendige und mögliche Beschleunigung sowie in Begrenzungauf die Erforschung des "Problem-Hellfeldes" geschah. Es ist auch nicht zuerkennen gewesen in der Beweisaufnahme, dass sich die Betroffene für den Fortgangder Untersuchung, Zwischenerkenntnisse oder das Auftauchen von Problemeninteressierte oder sich darüber regelmäßig auf dem Laufenden halten ließ.Ihre geradezu trotzig wirkende Beschwerde im Rechtsausschuss am 23.11.2006(APr 14/308, S. 7):"Warum jetzt mir der Vorwurf gemacht wird, ich hätte als Reaktion auf die Fälle"nur eine Studie" in Auftrag gegeben, erschließt sich mir beim besten Willennicht."bleibt angesichts dieser Feststellungen und insbesondere der noch folgenden Faktenunverständlich.45


04. Ignorierte Warnungen (vom Zeitpunkt der Projektierung der Studie biszum Foltermord)Zusammenfassende Bewertung des Verhaltens der Betroffenen:Im Frühjahr bis zum Sommer 2006 verdichteten sich Arbeitshypothesen, Gewaltvorfälle,daraus abgeleitete Erfahrungen und Einschätzungen von Vollzugspraktikernund gewonnene Erkenntnisse aus der Arbeit am Gutachten des KriminologischenDienstes über die Gefährlichkeit von Mehrfachbelegungen, insbesondere Vierer-Belegungen über längere Zeit im Jugendbereich.Die Betroffene hätte daraufhin als Sofortmaßnahme die Belegung von Hafträumenim Jugendbereich mit maximal zwei Jugendgefangenen anordnen müssen.Die Betroffene hat diese Entwicklung entweder grobfahrlässig ignoriert, weil sie - ausUnerfahrenheit oder Uneinsichtigkeit - erst die Ergebnisse der von ihr favorisiertenStudie - die vor Ende 2006 nicht fertig gestellt sein konnte - abwarten wollte oder dienotwendigen Informationen haben sie aufgrund eines Organisationsversagens nicht(rechtzeitig) erreicht.Dieses Zögern bzw. diese Untätigkeit haben Hermann H. das Leben gekostet.Feststellungen aus der Untersuchung:4.1 Erste Vermutung - März 2006Mit Datum vom 14.03.2006 (A 197, 4557E-IV.3-06, S. 1 ff. und 4434-IV.182, S. 31 ff.)wurde die Betroffene durch eine "Unterrichtung der Hausspitze" wie folgt von ihrerVollzugsabteilung informiert:"Im Zusammenhang mit einem besonderen Vorkommnis in der JVA Dortmundhat Frau Ministerin gebeten, konzeptionelle Überlegungen anzustellen, wie derGewalt von Gefangenen untereinander (noch) wirksamer begegnet werdenkönne.Am 01.03.2006 fand eine Besprechung mit dem PLJVA NRW statt; diese Besprechungdiente einem ersten Brainstorming zu dem o.g. Thema.Der PLJVA hatte zur Vorbereitung der Besprechung eine Übersicht gefertigt,aus der die Übergriffe von Gefangenen untereinander für den Zeitraum 2004bis dato hervorgingen. Hieraus lässt sich als erste Vermutung ableiten, dassÜbergriffe schwerpunktmäßig in Gemeinschaftshafträumen (3er-/4er-Hafträume) und eher geplant als spontan stattfinden. …Es besteht auch die Vermutung, dass die kasernierte Unterbringung (ähnlichwie bei Bundeswehr, Heimerziehung und Internaten) eine Ursache für die Ü-bergriffe ist. …"Bemerkenswert ist, dass die Betroffene, die "konzeptionelle Überlegungen" für Maßnahmengegen Gewalt unter Gefangenen von ihrer Fachabteilung verlangt hatte,schon vor der Erteilung des Studienauftrages an den Kriminologischen Dienst bereitsin der Entstehungsphase ("erstes Brainstorming", "erste Vermutung") über Erkenntnisseinformiert wurde und damit die Möglichkeit zum Handeln aus eigener Verantwortungerhielt.46


4.2 Hypothese: "Gefahrenzone" ViererbelegungDabei wurden ihre Fachleute bezüglich der Gefährlichkeit von längerer gemeinsamerUnterbringung in Dreier- und Viererbelegung in diesem frühen Stadium schon rechtdeutlich und bezeichneten diese in demselben Vermerk als "Gefahrenzone":"Die Information über die bevorstehende Studie soll - über den PLJVA - allenJVAen bekannt gegeben werden in Verbindung mit dem Hinweis, dass gravierendeEinzelfälle den Anlass bilden und dadurch derzeit die Vermutung besteht,dass verstärkt Gemeinschaftshafträume / längere gemeinsame UnterbringungGewalt unter Gefangenen begünstigen könnten. Diese Informationsoll mit der Bitte an die Anstaltsleitungen verbunden werden, bereits jetztverstärkt auf die o.g. "Gefahrenzone" zu achten."Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die Tatsache, dass diese erstaunliche "Hausspitzen-Vorlage"dem PUA erst später im Verlauf seiner Untersuchungen auf Antragder SPD-Fraktion vorgelegt wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits die Betroffenein einer "Vollständigkeitserklärung" versichert hatte, dem Ausschuss alle angefordertenAkten bereits übermittelt zu haben (siehe unten: Teil II., 8. c.)).In ihrer Vernehmung vor dem PUA am 10.03.2008 wehrte sich die Betroffene gegenden Begriff "Gefahrenzone" (APr 14/628, S. 51 f., 55), musste auf Vorhalt aber einräumen,ihn selbst zu diesem Zeitpunkt in einem Brief vom 20.03.2006 (A 197,4434IV.182, S. 34 f.) an die Richterin am Amtsgericht, mit der sie wegen des Themas"Gewalt unter Gefangenen" im fachlichen Kontakt stand, verwendet zu haben.Es entstand der Eindruck, dass Justizministerium und/oder die Betroffene nicht wollten,dass durch die Arbeit des PUA bekannt wird, zu welch frühem Zeitpunkt sie Warnungenvor Überbelegung von Hafträumen im Jugendbereich erhielten, ohne daraufzu reagieren.4.3 Gewalttat in Viererzelle - April 2006Im April 2006 demütigten und misshandelten im Jugendbereich der JVA Siegburg ineiner Viererzelle zwei Jugendgefangene über zwei Wochen ihren Mitgefangenen.Das Opfer musste den Haftraum für die anderen säubern, ihnen Zigaretten drehen,von ihm wurden sexuelle Handlungen verlangt und es wurde mit Fäusten, einem Linealund Gummidichtungen aus dem Türrahmen geschlagen sowie bis zur Bewusstlosigkeitgewürgt (A 74 / D 161).Der Präsident des LJVA (A 74/D 161) vermerkte handschriftlich auf dem Berichtsentwurfan das Justizministerium zu dieser Gewalttat vom 21.04.2006:"Im Übrigen gibt dieser Fall Anlass, die laufende Diskussion über Strategienzur Gewaltvermeidung im Strafvollzug zu intensivieren".Informiert über und aufmerksam gemacht auf die "Gefahrenzone Dreier-/Viererbelegung hätte die Betroffene diese ihrem Haus gemeldete Gewalttat ausdem Jugendbereich der JVA Siegburg zum Anlass für Sofortmaßnahmen nehmenmüssen.4.4. Erfahrungen der Vollzugspraxis - Mai 2006Diese Erkenntnis setzte sich auch in der Vollzugspraxis zu diesem Zeitpunkt durch.So vermerkt das Protokoll des LJVA (D 197, S. 59) über "Besichtigung der JustizvollzugsanstaltHeinsberg am 23.05.2006":47


"Die Anstaltsleiterin berichtet, dass Auseinandersetzungen zwischen Gefangenenüberwiegend auf den größeren Gemeinschaftszellen beobachtet würde.…Von der Zusammenlegung von 4 Gefangenen auf einem Gemeinschaftshaftraumsieht die Anstaltsleiterin nach Möglichkeit ab."4.5 Gewalttat in Viererzelle - Mai 2006Ihre Erfahrung wurde durch eine gravierende Gewalttat in der Jugend-JVA Heinsbergam 26.05.2006 bestätigt. In einer Vierer-Zelle wird ein Opfer geschlagen, gefesseltund zu sexueller Handlung gezwungen.In dem Bericht an das LJVA weist die Leitung der JVA Heinsberg auf die "drastischeÜberbelegung" und die daraus folgende "drangvolle Enge" hin, die zu Vierer-Belegung zwinge und solche Gewalttaten nicht ausschließbar mache. Kommentarloswurde dieser Bericht am 31.05.2006 an das Justizministerium weitergeleitet (D 77).Dortige Reaktionen konnten nicht festgestellt werden; offenbar wurde noch nichteinmal ein Aktenvorgang angelegt.4.6 Wachsende Erkenntnisse - Juni/August 2006Inzwischen schienen auch bei der Erarbeitung der Studie zunehmend Erkenntnissezu wachsen, die das Gefahrenpotenzial von Dreier-/Viererbelegung bestätigten undAD Thewalt vom LJVA, der auch in der Arbeitsgruppe des Kriminologischen Diensteszur Erstellung der Studie mitarbeitete, veranlassten, weitere Warnungen an Jugend-Justizvollzugsanstalten auszusprechen:So vermerkt das Protokoll des LJVA vom 05.07.2006 (D 200, S. 60) über die "Besichtigungder Justizvollzugsanstalt Iserlohn am 13.06.2006":"Belegung der GemeinschaftshafträumeHerr AD Thewalt führte aus, dass die Arbeitsgruppe kriminologischer Dienstdes Justizministeriums des Landes NRW demnächst eine Erhebung über diebesonderen Vorkommnisse, betreffend Misshandlungen von Gefangenen aufGemeinschaftshafträumen, durchführen wird. Die bisherigen Erfahrungen zeigen,dass Übergriffe von Inhaftierten in der Regel auf den Dreier- und Viererhafträumenstattfinden, wenn Belegung der Gemeinschaften über einen längerenZeitraum bestehen."Im Protokoll des LJVA vom 21.08.2006 (D 196, S. 88) über die "Besichtigung derJVA Düsseldorf am 16.08.2006" heißt es:"… Frau Minister veranlasste Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Klärung derUrsachen von gewalttätigen Übergriffen unter Gefangenen. … Herr Thewaltberichtete von den vorläufigen Ergebnissen der o.a. Arbeitsgruppe: … Vorkommnisse… vornehmlich in "echten" Gemeinschaftszellen, und besondersdann, wenn Gefangene länger zusammen untergebracht sind …"4.7 Ministerin - Besuch in der JVA Siegburg - September 2006Die Betroffene selbst scheint die sich erhärtende Entwicklung nicht ernst genommenoder gar nicht gekannt zu haben. So besuchte sie etwa 6 Wochen vor der schrecklichenTat die JVA Siegburg am 23.09.2006 zum "Tag des Ehrenamtes". Informationenüber die Situation der Jugendgefangenen (z.B. Beschäftigungsgrad, Behandlungs-,Freizeit- und Sportangebote, Anti-Gewalt-Trainingsangebote, Einschlusszeiten,Überbelegung, Einhaltung des Trennungsgebotes von Jugend- und Erwachsenen-Gefangenen,Vorhandensein einer Gefangenenmitverwaltung, Stellen- und Ü-48


erstundensituation beim Allgemeinen Vollzugsdienst) oder Inaugenscheinnahmevor Ort bezüglich der "Gefahrenzone" Dreier-/Viererbelegung und des Umgangsdamit durch die JVA-Leitung interessierten sie nicht.Vor dem PUA erklärt sie am 10.03.2008 als Zeugin (APr 14/628, S. 13 f.):"Dieser Besuch in der Justizvollzugsanstalt war – das wissen Sie – ein Besucheiner Sportveranstaltung anlässlich des Tages des Ehrenamtes. Insofern habenwir zwar über das Sportfest und die Tätigkeit im Allgemeinen, aber nichtüber Einzelheiten der Justizvollzugsanstalt Siegburg gesprochen."Dennoch begründete sie in einem Interview am 17.11.2006 (ZEIT online) ihre Behauptungvom Vortage in der ARD - "Tagesschau", die Zustände seien in der JVASiegburg nicht "schlecht - im Gegenteil" wie folgt:"Ich habe die JVA Siegburg vor einigen Wochen besucht. Gerade in der JustizvollzugsanstaltSiegburg sind sehr viele Ehrenamtliche tätig, die sich sehrintensiv mit den Jugendlichen dort beschäftigen. Von daher hatte ich nie einenHinweis, dass dort schlechte Zustände herrschen."4.8 Betroffene wartet ab - und handelt erst, als es zu spät istIm Verantwortungsbereich der Betroffenen verdichteten sich also die Informationenüber die Gefährlichkeit längerer Notgemeinschaften im Jugendbereich, so dass auseiner "ersten Vermutung" ab März 2006 "Erfahrungen" bis Juni 2006 und zumSchluss sogar "Erkenntnisse" spätestens im August 2006 wurden und der Betroffeneneine ausreichende, geradezu zwingende Grundlage für die sofortige Beschränkungder Belegung von Hafträumen im Jugendbereich auf maximal zwei Gefangenevorlag oder hätte vorliegen müssen.Erst nach der schrecklichen Tat erkannte die Betroffene (Westfalenpost vom17.11.2007):"Offenbar war der Einschluss in Dreier- und Vierergruppen zu risikoreich."Erst jetzt untersagte sie die Belegung von Hafträumen im Jugendbereich mit mehrals zwei Jugendgefangenen und ordnete am 16./17.11.2006 (A 83, S. 135) an:"EILT / PER FAX!!!Im Zusammenhang mit der Tötung eines Jugendstrafgefangenen in einem 3erGemeinschaftshaftraum, der mit 4 Gefangenen belegt war, sind in den Einrichtungendes geschlossenen Jugendvollzuges (Straf- und Untersuchungshaft)wie auch des Jugendarrestes unverzüglich alle 3er- und 4er-Gemeinschaftshafträume und eventuell darüber hinausgehende Gemeinschaftsbelegungenaufzulösen."Dies hätte sie nach Ansicht ihres Abteilungsleiters Strafvollzug jederzeit früher machenkönnen (APr 14/594, S. 41):"Selbstverständlich ist es einer Ministerin möglich, etwas, was sie 2006 anordnet,auch 2005 anzuordnen, wenn sie den Anlass dazu sieht, …"Zwingenden "Anlass" gab es für die Betroffene bis zur Tat genug. Tragischerweiseließ sie sich erst von dem Foltermord dazu motivieren, tätig zu werden.D. Fazit: Die Betroffene muss endlich die Verantwortung übernehmen49


In ihrer Vernehmung vor dem PUA als Zeugin am 10.03.2008 (APr 14/628, S. 19) hatdie Betroffene auf die Frage des Abgeordneten Jäger:"Jetzt frage ich Sie, Frau Müller-Piepenkötter: Wer in Nordrhein-Westfalen istdenn der Staat, der in einer solchen Situation Verantwortung trägt?"geantwortet:"Natürlich in erster Linie die Justizvollzugsanstalt, dann das Justizvollzugsamt,dann die Justizministerin."Die Betroffene hat durch diese abgestufte Priorisierung versucht, eigene Verantwortungmöglichst weit von sich und ihrem Amt wegzuschieben.Dieser Bericht nach vierzehnmonatiger Verhandlungstätigkeit in 25 Sitzungen undeiner Beweisaufnahme mit 32 Zeuginnen und Zeugen sowie fast 500 Akten beweist:Für die Fehler, Missstände und Mängel, die Hermann H. im Jugendgefängnis Siegburgam 11.11.2006 nach fast 12 Stunden qualvoller Misshandlungen und Folter dasLeben gekostet haben, trägt Roswitha Müller-Piepenkötter als zuständige Justizministerindes Landes NRW in erster Linie die persönliche, insbesondere aber die vollepolitische Verantwortung.Dies ist nur durch ihren Rücktritt als Justizministerin oder durch ihre Abberufung vonSeiten des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers möglich.50


Teil II: Arbeit im <strong>Untersuchungsausschuss</strong>"Ablenken statt Aufklären"Das Verhalten der von den Regierungsfraktionen gestellten Auschussmehrheit wargeprägt von dem Ziel, ohne objektive Aufklärung der Fakten und Zusammenhänge- Schuldzuweisungen in die Zeit der von SPD und BÜNDNIS 90/Die Grünengetragenen Regierungsverantwortung zu projizieren,- das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien durch Verzögerungen zum Erlahmenzu bringen,- eine Einbeziehung anderer Mitglieder der Landesregierung und insbesonderedes Ministerpräsidenten in die Untersuchung zu verhindern,- aufklärungswillige PUA-Mitglieder der Einsetzungsminderheit zu behindern, zudemotivieren oder als unzuverlässig abzuqualifizieren,- den zügigen, konzentrierten Gang der Beweisaufnahme durch Ausnutzungformaler Tricks (Aktengeheimhaltung, Nichtöffentlichkeit von Sitzungen, Rügenvon Fragen und Sitzungsunterbrechungen) und ihrer Mehrheit zu beeinträchtigen.Die angefügten konkreten Beschwerden belegen dies deutlich.1. Verzögerungen in der Aufklärungsarbeit1.1 Der Parlamentarische <strong>Untersuchungsausschuss</strong> I der 14. Wahlperiode (imFolgenden PUA genannt) wurde eingerichtet auf Antrag der SPD-Fraktion(Drucksache 14/4011) durch einstimmigen Beschluss des Landtags vom28.03.2007 (Plenarprotokoll 14/57, Seite 6333).1.2 Erst am 20.08.2007 konnte der PUA seine für die Öffentlichkeit erkennbareinhaltliche Arbeit mit der Inaugenscheinnahme der Räumlichkeiten in der Justizvollzugsanstalt(JVA) Siegburg aufnehmen. Seit dem zu untersuchendenschrecklichen Vorfall waren zu diesem Zeitpunkt bereits achteinhalb und seitder parlamentarisch von der SPD durchgesetzten Einsetzung des PUA viereinhalbMonate vergangen. Jeder, der schon einmal mit der Aufklärung einesumfangreichen und vielschichtigen Sachverhaltes betraut war, weiß, dass derFaktor Zeitablauf, insbesondere für Zeugenaussagen, eine entscheidende undfür die Ermittlung der Wahrheit negative Rolle spielt.2. Missachtung des Einsetzungsbeschlusses des Landtagesa) Unzulässige Veränderung der zeitlichen Untersuchungsfolge2.1 Der immerhin einstimmig beschlossene und damit den PUA verfassungsrechtlichbindende Einsetzungsbeschluss enthielt eine deutliche zeitliche Priorisierungder vorzunehmenden Aufklärung. Zuerst die schreckliche Tat (Ziffer II. 1.- 4.) "und danach" die tatsächlichen Verhältnisse im nordrhein-westfälischenJugendstrafvollzug (Ziffer II. 5.).51


2.2 Die SPD-Fraktion hat sich strikt an diese Vorgabe des Landtages gehaltenund zunächst mit ausdrücklichem Hinweis auf die zeitliche Priorisierung nurBeweisanträge zum Untersuchungsauftrag zu Ziffer II. 1. - 4. gestellt. Dazuhieß es in ihrem Antrag: "Weitere Beweisanträge bleiben vorbehalten, insbesonderezu dem zeitlich nachgelagerten Untersuchungsgegenstand zu II. Ziff.5 Drucksache 14/4011".Dies nahm der CDU-Obmann im PUA zum Anlass, in der Öffentlichkeit fälschlicherweisezu behaupten, die SPD habe für den Zeitraum vor 2005 keine Dokumenteangefordert und wolle den damaligen Justizminister Wolfgang Gerhardsnicht als Zeugen laden, weil sie die Aufklärung ihrer eigenen Regierungszeitausblenden wolle. Die unberechtigten Vorwürfe gipfelten in den Zitat:"Die SPD will vertuschen und von ihrer eigenen Verantwortung ablenken."(Westfälische Rundschau vom 15.05.2007; Westfalenpost und Kölner StadtAnzeiger vom 12.05.2007).2.3 Bereits in ihrem ersten (Beweis- und Verfahrens-) Antrag hat die Ausschussmehrheitvon CDU und FDP mit ihrer Mehrheit eine dem klaren Einsetzungsauftragwidersprechende Reihenfolge der Zeugenvernehmung durchgesetzt.So sollten z.B. zahlreiche Gutachter und Vollzugstheoretiker sowie der frühereJustizminister und sein Staatssekretär vor der amtierenden, mit dem Geschehenin der JVA Siegburg unmittelbar befassten Justizministerin und ihremStaatssekretär vernommen werden. Es entstand so der Verdacht, die Regierungsfraktionenwollten durch zeitliche Ausdehnungen und inhaltliche Vermischungendas öffentliche Interesse an der unverzüglichen und prioritären Aufklärungdes schrecklichen Vorfalls ermüden.b) Unzulässige Ausdehnung des Untersuchungszeitraums2.4 Im Einsetzungsbeschluss ist der Untersuchungszeitraum deutlich mit01.01.2003 bis zum 31.12.2006 erkennbar. Der Zeitraum war von der die Einsetzungbegehrenden SPD-Fraktion so gewählt, dass eine gleich lange Zeitspanneaus der 13. Wahlperiode mit einer Regierungsmehrheit von SPD undGRÜNEN und aus der 14. Wahlperiode mit einer Regierungsmehrheit vonCDU und FDP Untersuchungsgegenstand sein sollte.2.5 Ohne Vorankündigung und Beratung legte die CDU-Fraktion der Beweisaufnahmeein Dokument aus dem Jahr 1997 zu Grunde und befragte Zeugendanach. Erst in einer späteren Sitzung gelang es, solche Ausdehnungen aufpunktuelle Einzelfälle nach Vorankündigung und Absprache zu begrenzen.3. Verfassungswidrige Geheimhaltungsorgie3.1 Durch einen weitgehenden Antrag zur Geheimhaltung wollten CDU und FDPbereits in der konstituierenden ersten Sitzung des PUA faktisch alle wichtigenAkten aus dem Bereich der Landesregierung und nachgeordneter Behördeneiner öffentlichen Beweisaufnahme und Würdigung im Zwischen-Abschlussbericht entziehen.3.2 Das sollte, so der Wortlaut der Anträge, auch für Strafakten gelten, die in52


öffentlicher Gerichtsverhandlung zur Grundlage von Beweiserhebungen würden.3.3 Noch problematischer war der Versuch der Einstufung als "vertraulich" fürsolche Tatsachen aus Behördenakten, die durch Presseerklärungen, z.B. derStaatsanwaltschaft Bonn oder Medienveröffentlichungen längst allseits bekanntwaren. Letzteres widersprach ausdrücklich einem "Erfahrungsberichtüber Problemstellungen im Parlamentarischen <strong>Untersuchungsausschuss</strong> I der13. Legislaturperiode", die der Direktor beim Landtag Nordrhein-Westfalen am09.05.2007 an die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen und desPUA I - Vorsitzenden verteilt hatte.3.4 Dort hieß es ausdrücklich:"III. Schlussfolgerungen1. Daten und Informationen, die bereits Gegenstand der öffentlichen Erörterungwaren, sind nicht geschützt (Hinweis auf die Pressedokumentation, öffentlicheErörterungen in früheren Ausschüssen."und"AnhangMerkblatt zu den Geheimhaltungsbeschlüssen2. Daten und Vorgänge, die bereits Gegenstand der öffentlichen Erörterungwaren (nicht: gemacht werden), unterliegen datenschutzrechtlich keinen weiterenBeschränkungen."Folgerichtig nahmen Geheimhaltungsbeschlüsse des PUA I der 13. Wahlperiodewie selbstverständlich "bereits der Öffentlichkeit bekannte personenbezogeneDaten sowie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Dritter" von der Vertraulichkeitaus.3.5 Dies entspricht auch dem Willen der Landesverfassung, die in Artikel 41, Absatz(1), Satz 2 als Regelfall die Beweiserhebung "in öffentlicher Verhandlung"vorschreibt.3.6 Aus Respekt vor dem verfassungsmäßig geschützten Prinzip der Öffentlichkeithielt der o.g. "Erfahrungsbericht" sogar die öffentliche Erörterung geschützterDaten und Geheimnisse für zulässig und richtig, wenn sie ausreichend anonymisiertoder pseudonymisiert sind und verwies insoweit auf den veröffentlichtenBericht des Landesrechnungshofes.3.7 Für die von CDU/FDP beantragte weitergehende Einstufung war nach Landesverfassungund <strong>Untersuchungsausschuss</strong>gesetz ein Beschluss des PUAmit 2/3-Mehrheit erforderlich, wobei die antragstellenden Regierungsfraktionenmit der Andeutung Druck auf die Oppositionsfraktionen machen wollten,ohne diese weitreichenden Beschlüsse werde es keine oder nur geringfügigeAktenvorlagen von Regierungsseite und Strafgericht geben.3.8 Der SPD ist es mit einer Verweigerung der Zustimmung und öffentlicher Thematisierunggelungen, diese Geheimhaltungsorgie zu stoppen, die Regierungsfraktionenzu Verhandlungen zu zwingen und eine sinnvolle Stufungdurchzusetzen:53


• Das Justizministerium erhält keine Geheimhaltungszusage des PUA. Akten,die von dort als vertraulich eingestuft werden, werden kritisch vom PUA aufwirkliche Geheimhaltungsbedürftigkeit durchgesehen. Ist eine Fraktion - aucheine der kleinen, deren Rechte die SPD damit besonders schützt - der Meinung,die Herstellung der Öffentlichkeit wäre notwendig, muss das Justizministeriumsich vor dem PUA rechtfertigen oder nachgeben. Gegebenenfalls isteine Klärung vor dem Landesverfassungsgericht notwendig.• Die Strafakten gegen die mutmaßlichen Täter bleiben soweit vertraulich, wieauch die Gerichtsverhandlung nichtöffentlich ist. Der PUA schloss sich somitdem Vorgehen der rechtsprechenden Gewalt zum Schutz aller Beteiligter an.• Die Personal- und Disziplinarakten von Beteiligten, insbesondere der Vollzugsbeamten,werden von Gesetzes wegen als vertraulich angesehen.• Und grundsätzlich gilt: Tatsachen, die bereits in der Öffentlichkeit bekannt waren,müssen in öffentlicher Sitzung behandelt werden dürfen.4. Verweigerung der Ausschöpfung von Erkenntnisquellena) Ablehnung der Teilnahme an Verhandlungen der Jugendstrafkammergegen die mutmaßlichen Täter4.1 In der 2. Sitzung beantragte die SPD-Fraktion, den Vorsitzenden zu bitten, beider gegen die drei der Tötung angeklagten Gefangenen verhandelnden Strafkammerdes Landgerichts Bonn eine Teilnahme jeweils eines oder einer Abgeordnetenbzw. eines Referenten einer jeden Fraktion, also maximal 4 Personen,auch insoweit zu erreichen, als dort nichtöffentlich verhandelt würde.4.2 Der SPD-Fraktion ging es mit diesem Antrag um die Ausschöpfung aller inFrage kommenden Erkenntnisquellen. Voraussetzung zur Erfüllung des Untersuchungsauftrageszu II. 1. war die Feststellung des genauen Geschehens inder JVA Siegburg am 11./12.11.2006. Insoweit lag eine offensichtliche (Teil-)Identität zwischen strafrechtlicher und untersuchungsausschussrechtlicherAufklärung vor.4.3 Zwar hatte der Ausschuss die Strafakten beigezogen und konnte dies auchauf das rechtskräftige Urteil des Strafgerichts erstrecken. Mit dem Warten aufLetzteres war aber die Gefahr einer erheblichen zeitlichen Verzögerung verbunden.Zudem werden in deutschen Strafverfahren Details der Beweisaufnahme,insbesondere der Wortlaut von Aussagen nicht protokolliert. Nur durcheine Teilnahme konnte insoweit sichergestellt werden, dass den Fraktionen imAusschuss keine für die Aufklärung bedeutsame Einzelheit entging.4.4 Zum Zeitpunkt der Antragstellung war zu besorgen, dass die Strafkammergemäß § 48, Absatz 3, Satz 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) im Interesse derErziehung des jugendlichen Angeklagten die Öffentlichkeit ausschließen würde.Für diesen Fall wäre eine Teilnahme von Ausschussseite nur durch Entscheidungdes Kammervorsitzenden gemäß § 48, Absatz 2, Satz 3 JGG "ausbesonderen Gründen" zulässig gewesen.4.5 Als ausdrücklichen und beispielhaften Zulassungsgrund nennt das JGG "namentlichzu Ausbildungszwecken". Da das Institut eines PUA und seine Auf-54


gaben in der Landesverfassung niedergelegt sind und wegen der (Teil-) Identitätdes aufzuklärenden Sachverhalts war ein Zulassungsgrund gegeben, derden gesetzlich genannten ("Ausbildungszwecke") deutlich überragte.4.6 Dennoch verweigerte sich eine Ausschussmehrheit von CDU und FDP derAusschöpfung dieser Erkenntnisquelle mit bedenklichen und rechtlich unzutreffendenGründen.b) Vorenthaltung eines Beweismittels: "Fassaden - Detektion"4.7 Es gibt in der Jugend-JVA Siegburg Kameras, die die Fassade der Hafthäuserbeobachten und bei definierten Bewegungen automatisch aufzeichnen("Fassadendetektion"). Da am Tattage das Opfer gezwungen worden war, amFenster Mithäftlinge zu beleidigen, stand für die SPD zu erwarten, dass dieserTeil des grausamen Geschehens dokumentiert wurde. Fragen nach entsprechendenAufzeichnungen wurden nicht beantwortet, obwohl dieses Beweismittelbereits in der Rechtsausschusssitzung am 16.11.2007, also unmittelbarnach der schrecklichen Tat, von der SPD angesprochen wurde.4.8 Der Beweisantrag der SPD-Fraktion in der 4. Sitzung, entsprechende Aufzeichnungenvom Tattag beizuziehen und in Augenschein zu nehmen, wurdevon der Ausschussmehrheit der Regierungsfraktionen als "bedeutungslos" abgelehnt.c.)Ablehnung der Gegenüberstellung von sich widersprechendenZeugen4.9 In der 12. Sitzung kam es zu widersprüchlichen Aussagen zweier Zeugen ineinem wichtigen Punkt. Anfang 2006 erarbeitete das LJVA einen Vorschlagzur Entlastung der überbelegten JVA Siegburg zugunsten des Jugendbereichesund zu Lasten der JVA Wuppertal. Dieser Vorschlag wurde verworfen;wie die zuständige Sachbearbeiterin des LJVA als Zeugin unter Berufung einesAktenvermerkes bekundete, nach Anruf aus der betroffenen JVA Wuppertalim "Ministerinbüro", also durch direkte Einflussnahme durch das Büro derJustizministerin. Der Überbringer dieser Nachricht aus dem Justizministeriumbestritt dies aber, ebenfalls als Zeuge vor dem PUA.4.10 Die SPD-Fraktion beantragte daraufhin, die beiden Zeugen gegenüberzustellenund in Anwesenheit des jeweils anderen zu vernehmen, um durch direkteKonfrontation die Wahrheit zu ermitteln. Insbesondere sollte die Zeugin dieMöglichkeit bekommen, ihrem früheren Gesprächspartner das entscheidendeTelefonat und seine damaligen Aussagen erinnerlich zu machen.4.11 Auf entsprechenden Hinweis des Ausschussvorsitzenden lehnten die Regierungsfraktionendiesen Antrag mehrheitlich mit Hinweis auf § 19 I UAG ("Zeugen… sollen einzeln vernommen werden) ab. Dabei verkannten sie rechtlich,dass gesetzliche "Soll-Vorschriften" wohlbegründete Ausnahmen zu lassen.Eine solche wäre in diesem entscheidenden Punkt zur Wahrheitsfindung notwendigund geboten gewesen. Es entstand der Verdacht, dass die Regierungsfraktionen"ihre" Justizministerin gegen unangenehme Feststellungenschützen wollten.55


5. Beobachtung der PUA-Arbeit durch die Justizministerina) Nichtöffentliche Sitzungen5.1 In der 2. Sitzung teilte der Vorsitzende dem PUA mit, die Justizministerin wolleeine Teilnahme von zwei Vertretern ihres Hauses auch an den nichtöffentlichenSitzungen, insbesondere der Inaugenscheinnahme der JVA Siegburg.Dazu hatte sie u.a. den damaligen Leiter des Referates IV A 3 Sicherheit bestimmt,obwohl sie wusste, dass dieser bereits als Zeuge benannt und seineVernehmung beschlossen war. Sie erwartete daher vom <strong>Untersuchungsausschuss</strong>,dass er die Reihenfolge der Zeugenvernehmung insoweit ändere undden Zeugen Peters "vorziehe".5.2 Beide Ansinnen waren mit dem Selbstverständnis des PUA als von der Verfassungmit eigenen Rechten und Pflichten versehenem Organ sowie demSpannungsfeld zwischen Untersuchendem und Betroffener nicht vereinbarund wurden abgelehnt.b) Öffentliche Sitzungen5.3 An den öffentlichen Beweisterminen nahmen stets 1 - 2 extra dafür bestimmteVertreter des Justizministeriums teil. Offenbar unterrichteten sie die Justizministerindetailliert über den Inhalt von Zeugenaussagen, um die Ministerin aufihren eigenen Auftritt vor dem PUA vorzubereiten. Dies widerspricht demRechtsgedanken von Landesverfassung und Gesetz.5.4 Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Aussage der Justizministerinvor dem PUA vom 10.03.2008 (APr 0628, S. 63):"Wir wissen inzwischen aus einer Befragung hier im <strong>Untersuchungsausschuss</strong>,über die mir mein Mitarbeiter berichtet hat, …" und" Wie Sie wissen, ist häufig ein anderer Mitarbeiter meines Hauses als Zuhörerhier im Ausschuss … und häufig auch Pressevertreter. Die haben mir darüberberichtet - als Zuhörer." Frage von Thomas Kutschaty (SPD): "Also ein MitarbeiterIhres Hauses, der als Zuhörer hier war, hat Ihnen aus den Sitzungender anderen Zeugenvernehmungen vorher berichtet." Antwort der ZeuginRoswitha Müller-Piepenkötter: "Ja."6. Falschinformation des PUA6.1 Die Inaugenscheinnahme der Tatzelle war für die Beweisaufnahme von herausragenderBedeutung. So wollte der PUA am 20.08.2007 vor Ort in derJustizvollzugsanstalt die Originalzelle der grausamen Tat sehen. Da sie nochfür das Strafverfahren beschlagnahmt und versiegelt war, machte das Justizministeriumdie Zusage, die Tatzelle exakt in einem vergleichbaren Haftraumin der darunter liegenden Etage nachzubilden.6.2 Zunächst wurde dem PUA jedoch zusagewidrig eine falsche Zelle gezeigt,dann eine mit der Behauptung, so habe auch die Tatzelle ausgesehen. Erst56


durch Recherchen der SPD-Abgeordneten wurde festgestellt, dass die gezeigteZelle in zwei wesentlichen Punkten anders aussah.6.3 Die SPD-Fraktion musste dann mit Beharrlichkeit durchsetzen, dass die Tatzellewenigstens später bei einem zweiten Ortstermin in ihrem Originalzustandin Augenschein genommen werden konnte. Denn erst auf ihren Protest gegendie "falsche Zelle" wurde die Tatzelle zur Besichtigung freigegeben.7. Vorenthaltung relevanter Aktenvorgänge und Daten durchdie Justizministerina) Daten zur tatsächlichen Belegungsfähigkeit von Jugendanstalten7.1 Die Frage von Überbelegung nordrhein-westfälischer Jugendanstalten, insbesondereder JVA Siegburg war eines der Kernthemen der Untersuchungsarbeit.Während der Vernehmung des damaligen Dezernenten für die JVA Siegburgim LJVA am 26.11.2007 (APr. 14/546, S.174) stellte sich heraus, dassdieser über weitergehende Daten verfügte, die dem PUA von der Justizministerin- trotz "Vollständigkeitserklärung" - nicht vorgelegt worden waren.7.2 Diese Daten waren wichtig, um die tatsächliche Überbelegung einer Anstaltbeurteilen zu können. Im Gegensatz zu der vom Justizministerium für jedeAnstalt aufgrund der Räumlichkeiten festgesetzten theoretischen Belegungsfähigkeit,weist die tatsächliche Belegungsfähigkeit aus, wie viele Haftplätze(z.B. infolge Umbau- oder Renovierungsmaßnahmen) von der theoretischenKapazität in einem bestimmten Zeitraum gar nicht belegt werden können.Schlussfolgerungen, die z.B. die SPD-Fraktion aus dem bis dahin vorliegendenMaterial gezogen hatten, erwiesen sich auf einmal als unzutreffend.7.3 Erst auf Drängen des SPD-Obmanns (APr. 14/546, S. 189) forderte der Ausschussvorsitzendemit Schreiben vom 07.12.2007 die elektronisch gespeichertenDaten-Übersichten bei der Justizministerin nach. Der PUA erhielt eine entsprechendeAkte "Ausdrucke der statistischen Erhebung" (240 Seiten) mitSchreiben vom 12.12.2007 und damit ca. 6 Monate nachdem eine angeblichvollständige Aktenvorlage erfolgt war und bereits 16 Zeugen mit unvollständigenZahlen vernommen worden waren.b) Daten zur Überstundensituation im Strafvollzug7.4 Die Überstundensituation in den Jugend-Vollzugsanstalten ließ Rückschlüsseauf die Personalsituation und damit auf das vom allgemeinen Vollzugsdienstzu leistende Behandlungsangebot für Jugendgefangene zu. EntsprechendeAkten waren im Justizbereich vorhanden. Erst nach ausdrücklicher Anforderungdes PUA auf der Grundlage eines Beschlusses vom 09.01.2008 legtedie Justizministerin die erforderlichen Vorgänge vor.c) Vorgänge zur Entstehung des Gutachtens des KriminologischenDienstes57


7.5 Die Justizministerin hatte immer wieder betont, wie wichtig ihr zur Gewaltvermeidungin Jugendanstalten das Gutachten des Kriminologischen Dienstesgewesen sei. Das Gutachten selbst hatte sie dem PUA vorgelegt. Einige Umständeder Auftragserteilung und der Erarbeitung ergaben sich aus von ihrweiter vorgelegten Akten.7.6 Aber erst während der Vernehmung des Leiters des KriminologischenDienstes am 14.01.2008 (APr. 14/580, S. 29 f.) stellte sich zufällig heraus,dass sich im Bereich der Justizministerin noch weitere Akten befanden, diezum Untersuchungsgegenstand gehörten, dem PUA aber von der Justizministerin- trotz "Vollständigkeitserklärung" - nicht vorgelegt worden waren.7.7 Dem SPD-Obmann war aufgefallen, dass der Zeuge zur Beantwortung vonFragen immer wieder in seine mitgebrachten Unterlagen sah."Thomas Stotko (SPD): Also nach Beantwortung der Frage, wie Sie es mit dem Raster auswertenwollten.(Zeuge Wolfgang Wirth blättert in Unterlagen.)Darf ich fragen, auf was Sie jetzt schauen? Ist das ein tabellarischer Überblick über die Tätigkeitzu diesem Bereich?Zeuge Wolfgang Wirth: Sie kennen möglicherweise unsere Arbeitsplanung, das Projektexposémit den entsprechenden Arbeitsplänen.Thomas Stotko (SPD): Nein, leider nicht.Zeuge Wolfgang Wirth: Das ist sozusagen die entsprechende chronologische Abfolge derDinge, die wir gemacht haben, um dieses Projekt umzusetzen.Thomas Stotko (SPD): Aha. – Herr Wirth, da muss ich Sie enttäuschen. Wir alle kennen dasleider nicht. Wir kennen weder das Projektexposé, noch kennen wir eine Projektgruppe, diesich trifft, geschweige denn wissen wir, wer sich da getroffen hat bzw. welche Informationendort ausgetauscht wurden. Das ist dem <strong>Untersuchungsausschuss</strong> nicht vorgelegt worden."…" Zeuge Wolfgang Wirth: Also, ich wundere mich jetzt, dass Ihnen diese Dinge nicht vorliegen,und ich frage mich, ob ich Ihnen entsprechend meiner Aussagegenehmigung, die sich auf diemir benannten Punkte 1 und 2 beschränkt, darüber Auskunft geben kann."7.8 Die SPD vertrat die Auffassung, dass die Beiziehung der Akten aus dem JM,dem LJVA und dem Kriminologischen Dienst bezüglich der Beauftragung,Durchführung und (Zwischen-)Ergebnisse der Studie bereits von dem zu Beginnder PUA-Arbeit einstimmig gefassten Beweisbeschluss zur Aktenvorlagean die Justizministerin umfasst war. Dies wurde in rechtswidriger Weise vonder Ausschussmehrheit in Abrede gestellt. Zur Vermeidung von Verzögerungendurch rechtliche Auseinandersetzungen und unter Aufrechterhalten ihresRechtsstandpunktes sah sich die SPD als Einsetzungsminderheit deshalbgezwungen, einen selbständigen Beweisantrag einzubringen.7.9 Dieser Antrag wurde, nach Veränderungen im Begründungsteil, am25.01.2008 verabschiedet. Erst am 11.02.2008, fast einen Monat nach derVernehmung des Zeugen, in der das Fehlen wichtiger Akten auffiel, forderteder Vorsitzende diese bei der Justizministerin nach. Diese übersandte insgesamt4 Akten des JM, des LJVA und des Kriminologischen Dienstes mitSchreiben vom 20.02.2008 und damit ca. 8 Monate nachdem eine angeblich58


vollständige Aktenvorlage erfolgt war und bereits 30 Zeugen auf der Basisunvollständiger Akten vernommen worden waren.7.10 Von besonderer Bedeutung wird dieser Vorgang dadurch, dass erheblicheneue Erkenntnisse (Verzögerung der Auftragserteilung durch Streit zwischenzwei Abteilungen des Justizministeriums, "Hausspitzen-Vorlage" zur Warnungvor der "Gefahrenzone Viererbelegung") durch diese bisher vorenthaltenenAkten gewonnen wurden, die ohne die Initiative der SPD dem PUA nicht zugänglichgewesen wären und durch die Unstimmigkeiten in der Aktenführungdes Justizministeriums deutlich wurden.Es bleibt die Frage, ob dahinter der von der Justizministerin zu verantwortendeVersuch stand, dem PUA gezielt "belastendes" Material vorzuenthalten,obwohl es offenkundig zum Untersuchungsgegenstand gehörte und von einemfrühzeitig gefassten, einstimmigen Akten-Beiziehungsbeschluss umfasstwar.d) Korrespondenz der Justizministerin7.11 Mehrere vorgelegte Akten befassten sich mit den Kontakten der Justizministerinmit einer um die körperliche Unversehrheit von Jugendgefangenen besorgtenRichterin am Amtsgericht in Heinsberg. Der PUA musste und durfte nachder "Vollständigkeitserklärung" der Justizministerin bei der Aktenübermittlungdavon ausgehen, dass diese Kontakte darin vollständig dokumentiert waren.Schließlich ging es dabei um ein Kernthema der Untersuchung, nämlich Gewaltunter Gefangenen.7.12. Erst durch die unter c) dargestellten, nachgeforderten Akten wurde klar, dassdie Vorgänge auch insoweit unvollständig dem PUA übermittelt worden waren.So fehlte ein wichtiges Schreiben der Ministerin vom 20.03.2006 an die Richterin,in dem es u.a. um die durch Mehrfachbelegung entstehende "Gefahrenzone"in Jugendanstalten ging. Dieser Brief war für die Beweisaufnahme insofernvon erheblicher Bedeutung, weil der insoweit leugnenden Justizministerinin ihrer Vernehmung am 10.03.2008 nachgewiesen werden konnte, diesenBegriff selbst verwendet zu haben (APr 14/628, S. 51 f.).e) Vorgänge zum Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht7.13 Zum Kernbestand der Untersuchung gehörte auch die Frage, mit welchenMängeln und Missständen die Justizministerin den Jugendvollzug von ihremVorgänger im Jahre 2005 übernommen hatte. Sie selbst hatte diesen Zustandu.a. in einer Pressemitteilung im Juli 2006 gelobt. Diese war zu einem Verfahrengegen das Land NRW vor dem Bundesverfassungsgericht zur Frage dernotwendigen gesetzlichen Grundlage für den Jugendstrafvollzug herausgegebenworden.7.14 Dieses Verfahren spielte insbesondere bei der Vernehmung des Justiz-Staatssekretärs vor dem PUA eine Rolle. Als die SPD-Fraktion den Vorgangübermittelt haben wollte, übersandte eine Mitarbeiterin der Justizministerin nureinige wenige Seiten. Erst nach weiteren förmlichen Schritten erhielt der PUAweitere Aktenvorgänge.59


8. Einwirkungen auf PUA-Mitglieder der Einsetzungsminderheita) Ungleichbehandlung und unerlaubte Presseinformation nachdem Ortstermin in Siegburg8.1 Nach dem ersten Ortstermin in der JVA Siegburg am 20.08.2007 wurden dieObleute von CDU und SPD in der Presse mit Äußerungen zitiert. Allerdingserhielt nur der SPD-Obmann einen ermahnenden Brief des Vorsitzenden, derin Ablichtung allen PUA-Mitgliedern zuging. Der Inhalt dieses internen, vertraulichenSchreibens wurde von interessierter Seite der Presse zugespielt undveröffentlicht (Westfälische Rundschau vom 30.08.2007).b) Unberechtigte, öffentliche Verdächtigungen8.2 Nach dem oben unter 9. c.) genannten Pressegespräch der AbgeordnetenStotko und Jäger gab am 14.11.2007 der FDP-Obmann unter "MedienINFO249" eine Presseerklärung unter der Überschrift "Orth: Staatsanwalt soll gegenChefankläger ermitteln" heraus und stellte sie für die Öffentlichkeit allgemeinzugänglich ins Internet ein bis zum 27.11.2007. Darin warf er denPUA-Mitgliedern Stotko und Jäger strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vor:"Der Ausschuss wird nicht umhin kommen, gegen Thomas Stotko und RalfJäger einen Strafantrag zu initiieren."Am selben Tag gab der CDU-Obmann eine Presseerklärung unter der Überschrift"PUA Siegburg: SPD bricht Recht und Gesetz" heraus und stellte siefür die Öffentlichkeit allgemein zugänglich ins Internet ein bis zum 27.11.2007.Darin wirft er den vorgenannten PUA-Mitgliedern explizit vor "aus der Verschwiegenheitunterliegenden Akten des Ausschusses" öffentlich zitiert und"offensichtlich Ablichtungen von Schriftstücken aus diesen Akten der Öffentlichkeitzugänglich" gemacht zu haben. Er schließt - erkennbar in Absprachemit dem FDP-Obmann - mit der Feststellung:"Das Verhalten der SPD-Abgeordneten … ist möglicherweise sogar strafbarim Sinne des Strafgesetzbuches."8.3 Auf der Grundlage der genannten Presseerklärungen verbreitete dieNachrichtenagentur dpa die schweren Vorwürfe und es erschienenPresseberichte am 15.11.2007 zumindest in der Rheinischen Post, dem GeneralanzeigerBonn und in den Aachener Nachrichten, in letzterer unter derÜberschrift: "CDU und FDP drohen mit Strafanzeigen."8.4 Ob, in welcher Weise und mit welchen Unterlagen sich die beiden FDP- undCDU-Obleute einzeln oder gemeinschaftlich an die Staatsanwaltschaft Düsseldorfgewandt haben, war nicht feststellbar. Bemerkenswert ist jedoch dieTatsache, dass ausweislich einer dpa-Meldung vom 15.11.2007 "einSprecher der Düsseldorfer Ermittlungsbehörde" mit dem Satz zitiert wird:"Das, was uns bislang vorliegt, reicht nicht für einen Anfangsverdacht."8.5 Dennoch wiederholten und vertieften die Obleute ihre Verdächtigungen strafrechtlichenFehlverhaltens in der von ihnen initiierten nichtöffentlichen Sonder-60


sitzung des PUA I am 16.11.2007 durch einen auf den Tisch gelegten Antragund durch Wortmeldungen. Es wurde ihnen nachgewiesen, dass sich alle angesprochenenDaten in der als offen eingestuften Akte D 249 befänden.8.6 Auch gegenüber der Öffentlichkeit hielten die Obleute ihre Vorwürfe von FDPund CDU ausweislich von Presseberichten vom 17.11.2007 (Kölnische Rundschau,Kölner Stadt-Anzeiger, Westdeutsche Zeitung, Generalanzeiger Bonn,"Westblick" WDR 5) über die nichtöffentliche Sitzung des PUA und veröffentlichterZitate von ihnen nach der Sitzung aufrecht. Insbesondere behielten sieihre o.g. Presseerklärungen vom 14.11.2007 für die Öffentlichkeit weiterhinallgemein zugänglich im Internet-Auftritt ihrer Fraktionen und verbreiteten siesomit fortlaufend weiter.8.7 Der FDP-Obmann ließ am 16.11.2007 als "MedienINFO 255" eine Presseerklärungverbreiten, in der es heißt: "Die SPD-Abgeordneten Ralf Jäger undThomas Stotko haben mehrfach gegen Recht und Gesetz verstoßen. An dieserEinschätzung hat sich auch nach der heutigen Sitzung nichts geändert."8.8 Erst am 28.11.2007, also 14 Tage nach der Veröffentlichung, haben die beidenObleute die Presseerklärungen vom 14.11.2007 entfernen lassen undeine entsprechende entschuldigende Erklärung im PUA am 25.01.2008 abgegeben.Sie gaben damit eindeutig zu erkennen, dass ihr Vorgehen unzulässigund rechtswidrig war.8.9 Obwohl in der Auseinandersetzung auch grundsätzliche Fragen zum Verbotder vorweggenommenen Beweiswürdigung nach § 10, Abs. (3) UAG im Verhältniszu den verfassungsrechtlich verbrieften Angeordnetenrechten virulentwurden, lehnt die Auschussmehrheit den SPD-Antrag auf Einholung einesRechtsgutachtens ab. Offenbar sollen die UAG-Regeln nicht kritisch hinterfragt,sondern weiterhin als parlamentarische Waffe gegen kritische PUA-Mitglieder eingesetzt werden, die eine konsequente Information der Öffentlichkeitüber die Arbeit im <strong>Untersuchungsausschuss</strong> für notwendig halten.c) Ungleichbehandlung von Fragestellern8.10 In der Vernehmung des Zeugen Gerhards, früherer SPD-Justizminister, am18.02.2008 stellte der Abgeordnete Hegemann (CDU) folgende Frage (APr.14/606, S. 87 f.):"Was hat die Justizministerin falsch gemacht nach dem Vorgang in Siegburg? Was hätten Sieanders gemacht?"Auf den Einwand der Unzulässigkeit von Seiten der SPD erklärte der Vorsitzendedie Frage - ohne die öffentliche Beweisaufnahme für eine nichtöffentlicheBeratung zu unterbrechen für zulässig und forderte den Zeugen mehrfachauf, diese zu beantworten. Der Zeuge sah sich daraufhin genötigt, sich zu äußern.8.11 In der Vernehmung des Zeugen Söffing (FDP), Staatssekretär im Justizministerium,am 29.02.2008 stellte der SPD-Obmann dieselbe Frage (APr. 14/618,S. 13 f.):"Herr Staatssekretär, was hat die Justizministerin nach dem Vorgang in Siegburg eigentlichfalsch gemacht? Was hätten Sie anders gemacht?"61


Auf den Einwand der Unzulässigkeit von Seiten der CDU verhinderte der Vorsitzendesofort eine Antwort des Zeugen und unterbrach die öffentliche Beweisaufnahmefür eine nichtöffentliche Beratung, an deren Ende er dem Zeugenmitteilte:"Vielen Dank, Herr Zeuge. Wir setzen Ihre Vernehmung jetzt fort. Die letzte an Sie gerichteteFrage brauchen Sie nicht zu beantworten. Die hat der Ausschuss als unzulässig erklärt."9. Eingriffe in das Fragerecht der Einsetzungsminderheit9.1 In das Fragerecht der Einsetzungsminderheit wurde wiederholt von Seiten derAusschussmehrheit eingegriffen durch Rügender Unzulässigkeit und Beantragungvon Vernehmungsunterbrechung für eine nichtöffentliche Beratung eingegriffen(z.B. 10.12.2007 - APr. 14/558, S. 74; 14.01.2008 - APr. 14/580, S.38 f., S. 57 f.; 25.01.2008 - APr. 14/594, S. 14 - 16, S. 32, S. 58; 29.02.2008 -APr 14/618, S. 24, S.49). Dies erschwert Konzentration und Befragungsrhytmusbei Fragesteller und Zeugen und vermindert das Interesse von zuhörenderÖffentlichkeit bzw. Presse.9.2 Besonders gravierend waren diese Eingriffe angesichts ihrer von Häufigkeitund Nichtigkeit des geltend gemachten Grundes bei der Vernehmung der Justizministerinam 10.03.2008. In 11 Fällen sahen sich die Fragesteller der Einsetzungsminderheitgenötigt, Fragen umzuformulieren oder ganz auf sie zuverzichten, um ermüdenden, zeitschindenden Sitzungsunterbrechungen zuentgehen (APr 14/628, S. 14-17, 19, 23, 24, 25, 40, 56 f., 77 f. 110, 122, 150).62

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