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Liebe ist wie das Wasser: lebensnotwendig« - Bund ohne Namen

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»<strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> <strong>wie</strong> <strong>das</strong><strong>Wasser</strong>:<strong>lebensnotwendig«</strong>Erfahrungen mit der Botschaft von Phil BosmansVortrag von Ulrich Schütz beim 12. BoN-Begegnungstreffen am 12. Juni 2009 in SchmerlenbachAls Manuskript gedruckt. Nur zum persönlichen GebrauchDas Motto des diesjährigen Begegnungstreffens beginnt mit einem Wort,<strong>das</strong> sehr verschiedene Vorstellungen und Gefühle weckt. Man wagt <strong>das</strong>Wort <strong>Liebe</strong> kaum in den Mund zu nehmen, so zweideutig, missverständlich,abgenutzt und ausgelaugt erscheint es. Es steht für Geheimnisvollesund allzu Eindeutiges, für Ge<strong>ist</strong>iges und Sinnliches, für Selbstloses undallzu Menschliches. Ein Wort für glühende Beteuerungen, die freilich gegenAbkühlung keineswegs gefeit sind, ein Wort für unwiderstehliche Gefühle,die manchmal schnell verfliegen, die sich manchmal im Laufe derZeit als folgenschwerer Irrtum, als bittere Enttäuschung herausstellen. Unddennoch gibt es kein besseres Wort für <strong>das</strong> Wichtigste und <strong>das</strong> Kostbarsteim Menschenleben. Dazu sagt Phil Bosmans: „<strong>Liebe</strong>: So ein kleines Wort,und es sagt alles. <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Schlüsselwort.“1


Lebensnotwendig1709, also vor genau 300 Jahren, machte ein englischer Kapitän mitten imSüdpazifik, über 600 km vom chilenischen Festland entfernt, eine Aufsehenerregende Entdeckung. Auf einer unbewohnten Insel trifft er einenMenschen an, der von einem Piratenschiff ausgesetzt worden war und demes gelungen war zu überleben. Vier ein halb Jahre hauste der schottischeMatrose allein auf der menschenleeren Insel, bis er schließlich zufälligentdeckt und gerettet wurde. Diese sensationelle Geschichte diente demSchriftsteller Daniel Defoe als Vorlage für den zehn Jahre später erschienenenRoman „Das Leben und die seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe... geschrieben von ihm selbst“, ein Klassiker der Weltliteratur mit derunsterblich gewordenen Figur des Titelhelden. Was macht über Jahrhundertehinweg die Faszination dieses Buches aus? Weshalb wird <strong>das</strong> Buchin jeder Generation neu verschlungen, warum lassen sich nicht nur Pädagogenund Psychologen, sondern auch Literaten und Filmemacher vomRobinson-Stoff immer <strong>wie</strong>der inspirieren? Wie zum Beispiel zu dem Film„Cast away – Verschollen“ aus dem Jahr 2000 (mit Tom Hanks in derHauptrolle), eine Übertragung ins Moderne – aus dem abenteuerlustigenMatrosen des 18. Jahrhunderts aus Schottland wird ein erfolgsbesessenerHightech-Angestellter aus New York, aus der Schiffskatastrophe ein Flugzeugabsturz.Und was hat <strong>das</strong> mit dem Motto des diesjährigen BoN-Treffens zu tun?„Lebensnotwendig“ <strong>ist</strong> hier <strong>das</strong> verbindende Stichwort. Was brauchtder Mensch unbedingt zum Leben? Robinson verkörpert den Menschen imÜberlebenskampf, im Kampf ums Dasein. Es geht um die Grundbedürfnissedes Lebens: Er braucht <strong>Wasser</strong> zum Trinken, Nahrung zum Essen, Kleidunggegen Kälte, Unterkunft zum W<strong>ohne</strong>n, Sicherheit zum Schutz vorGefahren. Was die Menschheit in ihrer Entwicklungsgeschichte im Laufevon vielen Jahrtausenden gelernt hat, <strong>ist</strong> hier gleichsam im Zeitraffer zu-2


sammengefasst und auf <strong>das</strong> Überleben und Erleben eines Menschen konzentriert.Dabei geht es nicht nur um materielle Ex<strong>ist</strong>enzsicherung; Robinsonmacht sich weitergehende Gedanken und erinnert sich, was er noch vonfrüher von Gott und der Bibel weiß. Er beginnt ein Tagebuch zu führen; erversucht, mit seiner scheinbar aussichtslosen Situation dadurch zurechtzukommen,<strong>das</strong>s er dem Negativen Positives gegenüberstellt. So notiert erzum Beispiel: „Schlimm: Ich bin auf eine schreckliche einsame Insel verschlagen.– Gut: Aber ich bin am Leben, ich bin nicht <strong>wie</strong> alle meine Gefährtenertrunken.“ – Kein Mensch kann auf die Dauer allein leben. AuchRobinson nicht. Eines Tages macht er eine beunruhigende Entdeckung:Menschen sind auf seine Insel gekommen, um ein kannibalisches Opferfestzu feiern, <strong>wie</strong> er voller Schrecken herausfindet. Eines der unglücklichenOpfer vermag er zu befreien und hat nun endlich ein menschliches Gegenüber.Das <strong>ist</strong> zwar keine Eva <strong>wie</strong> bei Adam im Paradies, aber immerhin.Mühsam lernt er, sich mit diesem buchstäblich wildfremden Menschen,dem er <strong>das</strong> Leben gerettet hat, zu verständigen, und er <strong>ist</strong> nicht mehr allein.Das Ganze könnte man auch als <strong>das</strong> Modell eines Lernprozesses ansehen,den im Grunde jeder Mensch neu durchmacht. Er muss lernen, sichum Nahrung, Wohnung, Ausbildung, Arbeit, Gesundheit, Sicherheit zukümmern. Das gilt nicht nur für den einzelnen, sondern ähnlich für Familien,Gruppen, Gemeinden. Vor solchen Herausforderungen stehen heute inunvergleichlich größerem Ausmaß stehen ganze Völker, vor allem wennwir an die schweren, schier unheilbaren Wunden denken, unter denen soviele Menschen leiden: Dürre, Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit, mangelndemedizinische Versorgung, fehlende Bildungschancen, ganz zu schweigenvon Gewaltausbrüchen, Terror, Krieg und Bürgerkrieg. MillionenMenschen fehlt, was zu einem menschenwürdigen Leben und oft zumnackten Überleben notwendig <strong>ist</strong>. Es fehlt <strong>das</strong> Lebensnotwendige.3


Menschenrechte und die <strong>Liebe</strong>Was Menschen unbedingt zu einem menschenwürdigen Leben brauchen,darauf haben sie ein Recht. Im Laufe von Jahrhunderten wurde diese Ideeder Menschenrechte immer gründlicher durchdacht und immer umfassenderfestgeschrieben – nach den barbarischen Erfahrungen des ZweitenWeltkriegs vor allem in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“der Vereinten Nationen von 1948. Aber auch hier scheint sich seitdem dieSchere zwischen großartiger Idee und deprimierender Wirklichkeit – ähnlich<strong>wie</strong> die Schere zwischen den vielen immer Ärmeren und den wenigenimmer Reicheren – nur noch weiter zu öffnen. Zahllos sind nach <strong>wie</strong> vordie Menschenrechtsverletzungen, unbegreiflich oft die Motive der Täter,unvorstellbar <strong>das</strong> Leid der Opfer. Gibt es einen rettenden Ausweg? DieAntwort von Phil Bosmans auf diese Situation <strong>ist</strong> einfach und mag nichtwenigen allzu simpel erscheinen: „Der einzige Weg, auf dem Menschenmenschlicher werden, <strong>ist</strong> die <strong>Liebe</strong>. <strong>Liebe</strong> muss die Norm sein, <strong>das</strong> Fundament.“Ein Menschenrecht auf <strong>Liebe</strong>, für Phil Bosmans <strong>das</strong> erste undfundamentalste Recht jedes Menschen, der auf die Welt kommt, wird manaber in den dreißig, sicherlich sehr wichtigen und sinnvollen Artikeln derMenschenrechtserklärung vergeblich suchen.Vielleicht war den bei der Erklärung maßgeblichen Politikern, Völkerrechtlern,Philosophen der Begriff <strong>Liebe</strong> zu schwammig, aber <strong>das</strong> gilt auchfür andere zentrale Begriffe dieses Dokuments <strong>wie</strong> „Recht auf Leben,Freiheit und Sicherheit der Person“. Vielleicht sind auch heute viele überzeugt,<strong>Liebe</strong> hat in der Politik nichts zu suchen. Dazu bemerkt Phil Bosmans:„Wenn man <strong>das</strong> Wort <strong>Liebe</strong> im Sinn der Sexfilme verwendet, hält<strong>das</strong> alle Welt für normal. Wenn man es in seinem wahren Sinn gebraucht,gilt man heute als hoffnungslos verrückt oder als ein naiver Träumer, denman nicht ernst nehmen kann.“ Um der Menschen in großer Not willen hater sich auch bei aktuellen Problemen immer <strong>wie</strong>der in die öffentliche Dis-4


kussion eingemischt und so auch den politisch Verantwortlichen die Meinunggesagt und ins Gewissen geredet. Diese Seite seines Wirkens darfnicht unterschätzt und besserwisserisch belächelt werden, weil man meint,mit Sprüchen à la Bosmans sei kein Staat zu machen. Er sagt: „<strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong>nicht zu verwechseln mit Sentimentalität oder Almosen, mit Werken ausGnade und Barmherzigkeit. <strong>Liebe</strong> hat nichts zu tun mit der Solidarität innerhalbmächtiger Gruppen und Parteien, wo man nur sich selbst und seinesgleichenhilft. – Wir werden nicht durch ein perfektes Gleichgewichtder Macht in der Welt überleben, nicht durch Wohlstand und Komfort,nicht durch Wissenschaft und Technik und die Wunder der Elektronik, wirwerden einzig und allein überleben durch <strong>das</strong> eine, was so menschlich undso göttlich <strong>ist</strong>: <strong>Liebe</strong>.“Das Sensationelle und die Frage nach dem Ersten und ÄußerstenNicht nur Kinder lieben Fragespiele nach dem höchsten Berg, dem längstenFluss, dem größten Tier. Im Fernsehen bringen spannend aufgezogeneQuizsendungen hohe Einschaltquoten. Faszinierende Events – ob im Sport,in der Rock-Szene, in der Kunst oder auch religiöse Großveranstaltungen –bringen Menschenmassen auf die Beine. Das <strong>ist</strong> nicht nur heute so. Im antikenRom ergötzten sich im berühmten Kolosseum etwa 50.000 Zuschaueran grausig-blutigen Spielen auf Leben und Tod, im Circus Maximus verfolgtenüber 150.000 die hochdramatischen Pferderennen (unvergesslichdie berühmte Szene aus dem Film „Ben Hur“). Verbirgt sich in dieser Faszinationdurch den Superlativ, durch <strong>das</strong> Größte, Schönste, Außergewöhnliche,Einmalige, durch <strong>das</strong> Sensationelle, so fragwürdig <strong>das</strong> im einzelnenauch sein mag, vielleicht etwas, was mehr <strong>ist</strong> als Unterhaltungsbedürfnis,mitfiebernde Spannung, Sensationslust? Wie soll man <strong>das</strong> nennen: eineSuche, eine Sehnsucht, eine Frage? Vielleicht sogar die Frage nach dem,<strong>wie</strong> alles letzten Endes ausgehen wird, die Frage nach dem Letzten oder5


auch nach dem Allerersten und Ursprünglichsten, nach dem, was für allesDasein grundlegend <strong>ist</strong>? Und <strong>wie</strong>derum drängt sich die Frage dazwischen:Was hat <strong>das</strong> mit dem Motto unseres BoN-Treffens zu tun?Nach dem kleinen Seitenblick auf <strong>das</strong> antike Rom, dessen Menschenmassen– nicht viel anders als heute – so scharf auf Brot und Spiele waren,folgt jetzt noch ein Zeitsprung um ein halbes Jahrtausend zurück, ins 6.Jahrhundert v.Chr. Da erwachte in Griechenland, in einer Kultur, die nochvon mythischen Göttervorstellungen durchdrungen war, die nüchterne Fragenach dem Ursprung von allem. Eine Frage, die bis heute nicht zur Ruhegekommen <strong>ist</strong>, wenn wir nur an die Theorie von der Entstehung des Universumsaus einem „Uratom“ oder dem sogenannten „Urknall“ (Big Bang)oder an Darwins berühmte „Entstehung der Arten“ und die Evolutionslehredenken. Die Antwort eines der damals hochberühmten Sieben Weisen,Thales von Milet, von dem man freilich kaum etwas h<strong>ist</strong>orisch Gesichertesweiß, lautete: Das <strong>Wasser</strong> <strong>ist</strong> der Ursprung von allem. Wir wissen nicht, ober dabei an die griechische Inselwelt dachte, die sich gleichsam aus demMutterschoß des alles tragenden und umgebenden <strong>Wasser</strong>meeres erhebt;ob ihm vor Augen war, <strong>wie</strong> alles Lebendige in der Welt dadurch ins Lebenkommt und sich im Leben erhält, <strong>das</strong>s es vom <strong>Wasser</strong> getränkt wird; obdieser Urahn der abendländischen Philosophie die abgründige Frage spürte,<strong>wie</strong> <strong>das</strong> unendlich Viele, wenn man etwa an die unzähligen einzelnen<strong>Wasser</strong>tropfen denkt, sich zu dem Einen, nämlich dem alles vereinendenMeer verhält – eine die Jahrhunderte hindurch immer <strong>wie</strong>der neu gestellteund erörterte philosophische Grundfrage: Was <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Eine, <strong>wie</strong> verhält essich zu dem Vielen, schließt es <strong>das</strong> Gute ein, steht es über allem Seienden,kann <strong>das</strong> Denken es erreichen?6


<strong>Wasser</strong>, Wellness und HeilungNach dieser Stippvisite bei den Anfängen der abendländischen Ge<strong>ist</strong>esgeschichtemachen wir gleichsam zur Erholung einen Besuch in einemThermalbad, um die reinigende, entspannende, heilende Wirkung des <strong>Wasser</strong>szu erleben. Das tut nicht nur dem Leib, sondern auch der Seele gut: diewohltuende Wärme, die Leichtigkeit, mit der sich die müden, starren,schmerzenden Glieder <strong>wie</strong>der bewegen lassen, die Entlastung, die wir im<strong>Wasser</strong> empfinden und die uns die Erdenschwere wenigstens für einStündchen weniger bedrückend erscheinen lässt. Dazu kommt vielleichtnoch der Gedanke an die Mineralien, die in dem <strong>Wasser</strong> gelöst sind undsich positiv auf den Organismus auswirken sollen. Dank des <strong>Wasser</strong>s fühlenwir uns wohl oder doch ein wenig wohler.Was heutzutage von Heil- und Thermalbädern als „Wellness“ angepriesenund vermarktet wird, haben schon die Menschen früherer Jahrhundertezu schätzen gewusst. Bedeutende Kurorte haben eine lange Geschichte. InAachen mit den heißesten Quellen Mitteleuropas hat schon Karl der GroßeLinderung seines Rheumas gesucht. Die Römer liebten ihre Bäder, in Romgab es 867 öffentliche Bäder, in den großen Thermen konnten gleichzeitigmehrere tausend Menschen nicht nur baden, sondern hier spielte sich auchein Großteil des gesellschaftlichen Lebens ab. Kein Wunder, <strong>das</strong>s sie inden eroberten Ländern die Orte besonders schätzten, wo es heiße Quellengab und sie sich ein bisschen <strong>wie</strong> zu Hause fühlen konnten. Ein Beispielunter vielen <strong>ist</strong> Baden-Baden oder auch Budapest, heute die größte KurstadtEuropas mit seinen über 120 heißen Quellen.Im <strong>Wasser</strong> stecken wohltuende und auch heilende Kräfte. Das hat ein23-jähriger junger Mann mit <strong>Namen</strong> Sebastian Kneipp, aus ärmsten Verhältnissenstammend, buchstäblich am eigenen Leib erfahren. „Mich hatnicht der Beruf oder die Vorliebe für <strong>das</strong> Medizinieren dazu gebracht, dieheilsamen Wirkungen des <strong>Wasser</strong>s zu erproben, sondern die bittere Not.“7


Diese Not hieß Schwindsucht im fortgeschrittenen Stadium mit Bluthusten– im 19. Jahrhundert ein Todesurteil. Er hatte etwas gelesen von Therapiemit frischem <strong>Wasser</strong> und erprobt <strong>das</strong> mit der eisernen Energie, die kurzeVollbäder in der eisigkalten Donau mitten im Winter erfordern, an sichselbst aus – mit Erfolg. Er wurde <strong>wie</strong>der gesund und gab seine Erfahrungenan leidende Menschen weiter, denen Ärzte nicht helfen konnten. Darausentwickelte sich im Laufe von über hundert Jahren eine anfangs vonMedizinerkreisen belächelte und bekämpfte, inzwischen wissenschaftlichanerkannte Therapieform, ausgehend von der Heilkraft des <strong>Wasser</strong>s.<strong>Wasser</strong> <strong>ist</strong> LebenIn mitteleuropäischen Lebensverhältnissen <strong>ist</strong> man es weitgehend gewohnt,<strong>das</strong>s sauberes Trinkwasser kommt, wenn man den <strong>Wasser</strong>hahn aufdreht.Wir halten <strong>das</strong> für genauso selbstverständlich <strong>wie</strong> <strong>das</strong> Einschalten von e-lektrischem Licht. Aber wenn der Strom und auch <strong>das</strong> <strong>Wasser</strong> teurer wird,fängt man an, sparsamer damit umzugehen. Wenn im HochsommerHitzetage kommen und Pflanzen, Tiere und Menschen nach <strong>Wasser</strong> lechzen,wird auch uns bewusst, <strong>wie</strong> quälend der Durst und <strong>wie</strong> kostbar, lebensnotwendig<strong>das</strong> <strong>Wasser</strong> <strong>ist</strong>. Die <strong>Wasser</strong>frage <strong>ist</strong> für Millionen vonMenschen vor allem in den heißen Elendsländern der Erde längst zu einerÜberlebensfrage geworden.Die berühmte, tiefsinnige Märchenerzählung „Der kleine Prinz“ beginntmit einer Flugzeugpanne in der Sahara, tausend Meilen von jeder bewohntenGegend entfernt. Der Ich-Erzähler <strong>ist</strong> allein: „Es war für mich eineFrage auf Leben und Tod. Ich hatte für kaum acht Tage Trinkwasser mit.Ich war viel verlassener als ein Schiffbrüchiger auf einem Floß mitten imOzean.“ Dahinter stehen reale Erfahrungen des Verfassers, Antoine Saint-Exupéry, der von Beruf ein leidenschaftlicher Flieger und zugleich eingroßartiger Schriftsteller war, nach einem Flugzeugabsturz in der Liby-8


schen Wüste, die er in dem Buch „Wind, Sand und Sterne“ schildert. Derdramatische Höhepunkt <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Kapitel „Durst“. Darin heißt es:„Die Wüste bietet keine Deckung. Tags schenkte sie keinen Schatten,nachts lieferte sie einen nackt dem Wind aus. Kein Baum, keine Hecke,kein Stein bot mir Schutz. Der Wind griff mich an <strong>wie</strong> Reiterei im freienGelände. Ich sah mich überall nach Fluchtgelegenheiten um, ich legte michhin und stand <strong>wie</strong>der auf. Liegend <strong>wie</strong> stehend empfing ich die Schläge dereisigen Peitsche. Laufen konnte ich nicht mehr, die Kräfte versagten. Ichkonnte den Mördern nicht mehr entrinnen und warf mich auf die Knie, <strong>das</strong>Gesicht in den Händen vergraben, des Todesstreiches gewärtig.Dann riss ich mich zusammen, stand auf und ging kältebebend immergeradewegs vor mich hin ... noch immer vom Zittern geschüttelt, <strong>das</strong> denganzen Körper herumwarf. Ich musste mir sagen: ‚Das <strong>ist</strong> nicht die Kälte,<strong>das</strong> schon etwas anderes, es <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Ende.‘ ... Noch <strong>ist</strong> mein Schlund offen,aber schon hart und schmerzhaft. Ein leises Rasseln kann ich auch schonvernehmen. Bald kommt der Husten, den man mir beschrieben hat und aufden ich schon lange warte. Mein Zunge <strong>ist</strong> mir im Wege. Das Schlimmsteaber <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s ich leuchtende Flecken sehe. Wenn diese zu Flammen werden,stürze ich zusammen.“Dem völligen Zusammenbruch, dem Tod nahe kommt die Rettung. Wieaus dem Nichts taucht ein Beduine auf: „Ganz langsam macht er eine Viertelwendungnach links. So bald er <strong>das</strong> Gesicht uns zugewandt hat, <strong>ist</strong> esauch schon geschehen: Durst, Tod und Luftspiegelungen sind verwischt indem Augenblick, in dem er uns erblickt.“Der Beduine holt <strong>Wasser</strong> von seiner Karawane, und dann folgt ein geradezuhymnischer Lobpreis des <strong>Wasser</strong>s: „<strong>Wasser</strong>, du hast weder Geschmacknoch Farbe noch Aroma. Man kann dich nicht beschreiben. Manschmeckt dich, <strong>ohne</strong> dich zu kennen. Es <strong>ist</strong> nicht so, <strong>das</strong>s man dich zumLeben braucht: du selbst b<strong>ist</strong> <strong>das</strong> Leben! Du durchdringst uns als Labsal,9


dessen Köstlichkeit keiner unserer Sinne auszudrücken fähig <strong>ist</strong>. Durchdich kehren uns alle Kräfte zurück, die wir schon verloren gaben. Dankdeiner Segnung fließen in uns <strong>wie</strong>der alle bereits versiegten Quellen derSeele. Du b<strong>ist</strong> der köstlichste Besitz dieser Erde ... Du schenkst uns ein unbeschreiblicheinfaches und großes Glück.“<strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> lebendiges <strong>Wasser</strong>Seit Jahren wird von der Gesellschaft für deutsche Sprache ein „Wort desJahres“ gewählt, <strong>das</strong> die öffentliche Diskussion besonders beherrscht hat,<strong>das</strong> schlaglichtartig Vorgänge beleuchtet, die besonders kritisch wahrgenommenwerden und auf die man mit wütender Empörung, großer Sorge,lähmender Angst, resignierender Hilflosigkeit reagiert. Im vergangenenJahr war <strong>das</strong> „Finanzkrise“ (im Jahr davor „Klimakatastrophe“), und vonKrise <strong>ist</strong> auch in diesem Jahr nach <strong>wie</strong> vor unentwegt die Rede. Aber <strong>das</strong><strong>ist</strong> keine Spezialität unserer Zeit. Während der sogenannten zweiten Ölkrise(1979/1980) veröffentlichte Phil Bosmans <strong>das</strong> Buch „<strong>Liebe</strong> wirkt täglichWunder“, <strong>das</strong> am umfassendsten seine Sicht der Dinge, seine Botschaftdarstellt. Ein Abschnitt darin trägt die Überschrift: „Die große Krise“. Angesichtsvon Wirtschaftskrisen, Energiekrisen, Finanzkrisen, aber auch vonKrisen im menschlichen Zusammenleben, von Krisen in der Gesellschaft,in Ehen und Familien sucht er nach dem tieferen Grund. Unter diesen Vorgängenan der Oberfläche, sagt er, „sitzt tief darunter die eigentliche Krise:die Krise der inneren Einstellung, die Ge<strong>ist</strong>eskrise.“Als ich ihn Anfang der achtziger Jahre <strong>wie</strong>der einmal besuchte (mitdem Auftrag des Verlags Herder, diesen Erfolgsautor um ein neues Manuskriptzu bitten), sprachen wir über die öffentliche Stimmung, die nach <strong>wie</strong>vor tief deprimiert war. Es ging darum, den Menschen Mut zu machen, eineAufgabe, heute so aktuell <strong>wie</strong> damals. So bekam <strong>das</strong> neue Buch, <strong>das</strong>zuerst auf deutsch erschien, den Titel „Ja zum Leben“. Und im Vorwortsprach Phil Bosmans die Leser <strong>wie</strong> in einem Brief unmittelbar an: „<strong>Liebe</strong>10


Freunde, in unserer Welt hat sich eine große Traurigkeit breitgemacht. Wirleben in einer großen Wüste. Wüste <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Land, in dem nichts mehrwächst. Und ich höre Euch sagen: Was können wir denn schon machen?Dies möchte ich Euch ans Herz legen: Wir können viel, sehr viel. In einergroßen Wüste können wir kleine Oasen sein, wo alles <strong>wie</strong>der anfängt zuwachsen und zu blühen. Wir müssen die Krise entdramatisieren. In dieserZeit der Energiekrise müssen wir eine neue Energie erschließen, die gewaltige,aber ganz in Vergessenheit geratene Ur-Energie: <strong>Liebe</strong>.“Und ganz persönlich werdend fährt er fort und bekennt: „Für mich <strong>ist</strong><strong>Liebe</strong> eine wunderbare Lebenskraft, sichtbar und voll entfaltet in Jesus vonNazaret. Ich höre seine Stimme, <strong>wie</strong> sie in der Wüste ruft: ‚Wenn einerDurst hat, soll er zu mir kommen und trinken. Das <strong>Wasser</strong>, <strong>das</strong> ich euchgebe, wird in euch zu einer Quelle werden. Ein Strom lebendigen <strong>Wasser</strong>swird aus euch entspringen.‘“ Davon <strong>ist</strong> er überzeugt: „Wo eine Quelle <strong>ist</strong>,da kann eine Oase wachsen. <strong>Wasser</strong> <strong>ist</strong> ein gewaltiges Naturelement. EinTropfen kann einer Blume die Kraft geben, sich <strong>wie</strong>der aufzurichten. Nur<strong>Wasser</strong> kann eine Wüste verwandeln. <strong>Wasser</strong> <strong>ist</strong> Leben. <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> lebendiges<strong>Wasser</strong>.“Zeit seines Lebens <strong>ist</strong> der Mensch auf der Suche nach diesem <strong>Wasser</strong>,ungeachtet aller Fehlversuche, Durststrecken, Erschöpfungen und Verirrungen.Es gibt aber eine doppelte Suchbewegung. In den Wüsten dieserWelt <strong>ist</strong> nicht nur der Mensch auf der Suche nach der rettenden Oase, nachder Quelle lebendigen <strong>Wasser</strong>s. Auch <strong>das</strong> lebendige <strong>Wasser</strong>, <strong>das</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong>,sucht den Menschen. In bege<strong>ist</strong>erten, geradezu visionären Worten sagt PhilBosmans: „Ich höre <strong>das</strong> Lied vom lebendigen <strong>Wasser</strong>, <strong>wie</strong> es auf die Suchegeht nach dürrem Land, nach Menschen in der Wüste ... Ich höre <strong>das</strong> <strong>Wasser</strong>jubeln und jauchzen über jedes Herz, <strong>das</strong> sich öffnet, und über alleMenschen, die vom lebendigen <strong>Wasser</strong> trinken und trunken werden von<strong>Liebe</strong>.“11


Es gibt nichts Wichtigeres und nichts SchöneresWovon <strong>das</strong> Herz voll <strong>ist</strong>, davon läuft der Mund über. Diese Lebensweisheittrifft auch, so könnte man sagen, auf Phil Bosmans zu. Es <strong>ist</strong> aber bei ihmkeine ge<strong>ist</strong>los aufdringliche Wiederholung des immer Gleichen. In seinenSpruchtexten hat er Lebensfragen des Menschen in origineller, pointierterForm auf den Punkt gebracht, und der deutsche <strong>Bund</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Namen</strong> versucht<strong>das</strong> in seiner Grundintention, in seinem Ge<strong>ist</strong>, in seinem Stil fortzuführen.Vor allem durch die Impulskarten, aber nicht nur, sondern auch durch denBosmans-Kalender, der seit 2004 von mir herausgegeben wird. Keine Frage,<strong>das</strong>s in den Kalendertexten für jede Woche des Jahres auch <strong>das</strong> zentraleThema von Phil Bosmans, seine Botschaft des Herzens, der <strong>Liebe</strong>, indirektund direkt zur Sprache kommt. Hier vorab drei Kostproben aus dem Kalenderfür 2010:„Das Leben des Menschen <strong>ist</strong> <strong>wie</strong> eine Kette von <strong>Liebe</strong>sgeschichten. Eskommt uns manchmal vor, als ob wir im Theater wären: heitere Lustspiele,aufwühlende Dramen, erschütternde Tragödien. Gibt es einen roten Faden,der alle menschlichen Lebenswege durchzieht? Ein Motiv, <strong>das</strong> alles in Bewegungbringt? Einen Grund, auf dem alles beruht? Die Antwort daraufverbirgt sich in der wortlosen Urerfahrung des Menschen: Ich bin geliebt,darum bin ich da, und ich möchte geliebt werden, um lieben zu können.Freilich <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Leben keine zuckersüße <strong>Liebe</strong>sgeschichte und oft genug eineLeidensgeschichte. Doch immer <strong>wie</strong>der erfahren Menschen, <strong>wie</strong> sehr siegerade durch ihr Leid zu neuer, tieferer <strong>Liebe</strong> gefunden haben.“In einer Märzwoche, pünktlich zum Frühlingsanfang heißt es imBosmans-Kalender für <strong>das</strong> kommende Jahr: „Frühling! Überall regt sichneues Leben. Frisches Grün an Sträuchern und Bäumen. Die ersten Blütenstrecken sich der Sonne entgegen. Alles wächst zum Licht. ein unglaublichesWunder! Nur der Mensch wendet sich so oft vom Licht ab,von der Wärme, von der lebendigen Kraft der <strong>Liebe</strong>. <strong>Liebe</strong> setzt Dinge12


voraus, die nicht in Mode sind: den Egoismus überwinden, der Giernicht nachgeben, miteinander und nicht gegeneinander leben. Wenn jedernur an sich denkt, wenn jeder nur noch sich selbst der Nächste <strong>ist</strong>,dann entstehen die vielen Wunden, aus denen die Welt heute blutet: Einsamkeitund Sucht, Gewalt und Terror, unmenschliche Lebensbedingungen.<strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> der einzige Weg, auf dem Menschen menschlicher werden.Auf die <strong>Liebe</strong> kommt es an.“Und noch ein drittes und letztes Beispiel: „Menschen sind vollerWünsche. Immer denken sie: Wenn ich doch erst hätte, wovon ich schonlange träume! Wenn ich <strong>das</strong> erst los wäre, was mich schon lange quält!Tausend Wünsche, tausend Sorgen: Ist <strong>das</strong> alles? Wer <strong>das</strong> Geld zumMaßstab des Lebens macht, verlangt immer mehr und findet niemalsRuhe. Wer bei allem den Spaß zum höchsten Wert erklärt, wem es alleindarauf ankommt, <strong>das</strong>s es Spaß macht, darf sich nicht wundern, wenn derSpaß aufhört. Wer mit seinen Augen nur auf sich selbst starrt, wird blindfür die Welt und die anderen Menschen. Du wirst niemals zur Ruhekommen, wenn du nicht Frieden findest in deinem Herzen. Du wirstniemals Frieden im Herzen finden, wenn es sich nicht öffnet für <strong>das</strong>Wunder der <strong>Liebe</strong>. Es gibt nichts Schöneres, als geliebt zu werden, undes gibt nichts Wichtigeres, als <strong>wie</strong>der zu lieben.“Das Hohelied der <strong>Liebe</strong>Der <strong>Bund</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Namen</strong> verschickt zusammen mit der Impulskarte ein Informationsblatt,in Belgien geschieht <strong>das</strong> seit 1962. Phil Bosmans gab dieserSchrift die rätselhafte Bezeichnung „K 13“. Das <strong>ist</strong> irgend<strong>wie</strong> typischfür ihn: Er will neugierig machen, denn natürlich fragt jeder Nichteingeweihtegleich: K 13 – was heißt denn <strong>das</strong>? Und er will auf humorvoll versteckteWeise andeuten, was Motiv, Ziel, Seele des Wirkens vom <strong>Bund</strong><strong>ohne</strong> <strong>Namen</strong>, von seinem Lebenswerk <strong>ist</strong>. K 13 <strong>ist</strong> bekanntlich eine An-13


spielung auf <strong>das</strong> Hohelied der <strong>Liebe</strong> im Neuen Testament, im 13. Kapiteldes ersten Korintherbriefes.1993 lebte Pater Bosmans längere Zeit in Hasselt und sorgte für dietodkranke Pfarrhaushälterin Leontine Franck, die ihn vierzig Jahre vorher,als er selbst scheinbar hoffnungslos krank war, zwei Jahre gepflegt und soentscheidend zu seiner Genesung beigetragen hatte. In diesen Monaten von1993 arbeitete er am Manuskript seines Buches „Zum Glück zu zweit“, essollte <strong>das</strong> letzte sein, <strong>das</strong> er im Vollbesitz seiner Kräfte verfasst hat, Wochenspäter erlitt er den schweren Schlaganfall. Auf den ersten Seiten stehteine Art Kurzfassung, eine freie Wiedergabe des berühmten Kapitels ausdem Korintherbrief: „Die <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> geduldig. Die <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> gütig. Die <strong>Liebe</strong>ereifert sich nicht, macht sich nicht wichtig, bläht sich nicht auf. Sie handeltnicht ungehörig, sucht nicht <strong>das</strong> Ihre, lässt sich nicht aufreizen, trägt<strong>das</strong> Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über Unrecht, sie freut sich überdie Wahrheit.“Die Pointe dabei liegt in einer Parallelspalte mit fast dem gleichen Text,nur einer Veränderung. In dem kleiner gedruckten Vorspann zu dieserSpalte heißt es: „Ein kleiner Test für eure <strong>Liebe</strong>. Setzt dort, wo ‚<strong>Liebe</strong>‘steht, eure <strong>Namen</strong> ein. Dann kennt ihr die Qualität eurer <strong>Liebe</strong>.“ Das hörtsich dann so an, und so steht es dort: „Inge <strong>ist</strong> geduldig. Peter <strong>ist</strong> gütig. Ingeereifert sich nicht, macht sich nicht wichtig ... Peter handelt nicht ungehörig,sucht nicht <strong>das</strong> Seine“ usw. In dem Anfangskapitel dieses Buchesmit „Vitaminen für Verheiratete und für alle, die gemeinsam durchs Lebengehen“ hat Phil Bosmans sicherlich an Frischverliebte und Jungverheiratetegedacht (<strong>das</strong> Buch <strong>ist</strong> in vielen Auflagen erschienen und ein klassischesHochzeitsgeschenk geworden). Aber es spricht auch nichts gegen einenSelbstversuch. Solch ein Test an mir selbst, eine Art Qualitätsprüfung meinereigenen <strong>Liebe</strong> könnte, wenn ich dabei ehrlich bin und nicht etwa mogele,recht aufschlussreich werden, vor allem wenn ich diese Selbsteinschät-14


zung mit der Fremdeinschätzung durch einen Menschen vergleiche, dermich sehr gut kennt und dem ich vertraue. Die Seite mit dem Text des Hohenliedsder <strong>Liebe</strong> in der Bosmans-Kurzfassung endet: „Alles erträgt die<strong>Liebe</strong>, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles hält sie aus. Die <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> nieam Ende.“ Und was schreibt Bosmans als Quellenangabe kleingedrucktdarunter? „Paulus in K 13“.Wenn viele Dinge – „und zwar sofort“ – zu tun sind, dann heißt es heutegern: Man muss Prioritäten setzen (<strong>das</strong> muss selbst ein Rentner, ichspreche aus Erfahrung). Das <strong>ist</strong> manchmal schon im kleinen, im Leben desAlltags nicht einfach. Ungleich sch<strong>wie</strong>riger <strong>ist</strong> es, nicht nur eine theoretische,sondern eine überzeugend gelebte Antwort auf die Frage zu geben:Worauf kommt es mir zuerst und zuletzt und im Grunde an? Was <strong>ist</strong> nichtnur in meinem Leben, sondern überhaupt <strong>das</strong> Erste und Wichtigste? BeiPaulus heißt die Antwort, die durch konkrete Spannungsverhältnisse in derjungen Gemeinde von Korinth ausgelöst <strong>ist</strong> und auf die sein berühmterLobpreis hinausläuft: „Das Größte aber <strong>ist</strong> die <strong>Liebe</strong>.“Auch Jesus wird eine ähnliche Frage gestellt, die mit der zentralen Bedeutungder Thora, des alttestamentlichen Gesetzbuches mit seinen vielenVorschriften (man hat damals 613 Einzelsatzungen unterschieden) zusammenhängt:„Welches Gebot <strong>ist</strong> <strong>das</strong> größte im Gesetz?“ Eine gefährlicheFrage, denn wenn Jesus ein Gebot an die Spitze stellte, würde er damit alleanderen relativieren und die ganze Thora in Frage stellen. Über diese Fallesetzt er sich mit zwei Zitaten aus den Büchern Mose souverän hinweg, gehtalso gewissermaßen mit der Thora über die Thora hinaus: „Du sollst deinenGott lieben, und du sollst deinen Nächsten lieben <strong>wie</strong> dich selbst. Keinanderes Gebot <strong>ist</strong> größer als dieses.“ Im Doppelgebot der <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> ausgesprochen,worauf es in meinem Leben ankommt, was lebensnotwendig <strong>ist</strong>.Oder mit anderen Worten: Es geht darum, <strong>das</strong>s die unverwechselbar eigene15


Geschichte meines Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen, <strong>das</strong>s diesemeine Lebensgeschichte eine <strong>Liebe</strong>sgeschichte wird.Das Thema <strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> so unerschöpflich <strong>wie</strong> <strong>das</strong> Thema <strong>Wasser</strong>. So vielesgehört dazu, worauf hier kaum oder gar nicht eingegangen wurde: die gegenseitiganziehende, begehrende und hingebende <strong>Liebe</strong> zwischen Mannund Frau – daran wird ja beim Wort <strong>Liebe</strong> zuallererst und oft ausschließlichgedacht –, die <strong>Liebe</strong> der Eltern zu ihren Kindern, die <strong>Liebe</strong> zum Beruf,zum Hobby und so unendlich vieles, was man gern, mit Hingabe, mit persönlichemEinsatz und nicht selten unter großen Opfern tut, auch wenn wir<strong>das</strong> vielleicht gar nicht <strong>Liebe</strong> nennen. Dazu würden auch die schmerzlichenSeiten der <strong>Liebe</strong> gehören, nicht nur <strong>das</strong> glückliche Zusammensein,sondern auch <strong>das</strong> leidvolle Abschiednehmen, auch Erfahrungen von Verletzungen,von belastenden, erkaltenden, zerbrechenden Beziehungen. Unbedingtdazu gehören würde auch, <strong>wie</strong> sich <strong>Liebe</strong> mit Freiheit, <strong>wie</strong> sich<strong>Liebe</strong> mit Gerechtigkeit vereinbaren lässt. Das klingt theoretisch und abstrakt,steckt aber sehr konkret in vielen unserer Lebensprobleme. Das alleskonnte hier nicht einmal andeutungsweise zur Sprache kommen.In dieser Situation fühle ich mich verwandt mit jenem kleinen Kind,von dem in einer tiefsinnigen Legende über Augustinus erzählt wird. Derge<strong>ist</strong>esmächtige Kirchenvater wandelt am Meeresufer und grübelt über derunlösbaren Frage nach dem unergründlichen Geheimnis des dreieinigenGottes, <strong>wie</strong> ein Mensch <strong>das</strong> verstehen könne. Da sieht er am Strand einkleines Kind, <strong>wie</strong> es mit einem Löffel <strong>Wasser</strong> vom Meer in eine kleine,von ihm selbst geschaufelte Sandgrube trägt. „Was machst du da?“, fragter <strong>das</strong> Kind. „Ich schöpfe <strong>das</strong> Meer in meine Höhle.“ Daran wurde ich –und damit möchte ich schließen – bei diesem Versuch erinnert, die <strong>Liebe</strong>zu verstehen und was es mit dem Motto unseres Begegnungstreffens aufsich hat: „<strong>Liebe</strong> <strong>ist</strong> <strong>wie</strong> <strong>das</strong> <strong>Wasser</strong>: lebensnotwendig“.16

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