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Fabienne Schmidt

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<strong>Fabienne</strong> <strong>Schmidt</strong>ZWANZIG ZENTIMETER BEWEGUNGSLOS ÜBER DEM BODEN (AUSSCHNITT)BEN.ENDE AUGUSTDie Impulse prallen an meiner Schädeldecke ab wie Regentropfen anGlas. Immer und immer wieder werden sie an Enden der Nervenbahnenreflektiert, zurückgeworfen, aufgehalten. Stau in meiner Halswirbelsäule.Schmerzen durchzucken mich. Ich starte einen letzten verzweifeltenAnlauf. Ohne Erfolg. Widerstrebend gestehe ich mir ein, dass die Reizeihren Weg auch an diesem Tag nicht finden werden. Die Erfolgsquotemeiner Versuche tendiert nicht gegen null, sie ist null. Ein ständigerKampf, gefolgt von ständigem Scheitern. Versuch um Versuch,Wiederholung um Wiederholung, Stunde um Stunde – es tut sich nichts.Drei Monate in einer vollkommenen Starre, die sich durch Willenskraftnicht auflösen lässt. Aber ich gebe nicht auf. Der Wunsch, mich von derLast meines Lebens zu befreien, lässt mich durchhalten. Ich schiele aufdie Verbandsschere, die, kaum eine Armlänge entfernt, auf Augenhöheneben mir liegt. Mein Werkzeug zur Freiheit. Leider unerreichbar. MeineAufmerksamkeit richtet sich nach innen.Tausende Gedanken drehen unter meiner Schädeldecke ihre Runden. EinTornado, in einer Kugel gefangen. Laut, turbulent, zermürbend. Ich fühlemich, als stecke ich kopfüber in einer Kiste mit schreienden Kindern,hilflos ausgeliefert und ohne Fluchtmöglichkeit.Ich bin müde, trotzdem lässt die Hoffnung mich von neuem Anlaufnehmen. Wieder einmal. Diese ständigen Versuche mich zu bewegenmachen süchtig – selbst wenn ich immer auf der Verliererseite stehe.Ich halte inne. Ein Bild taucht in mir auf. Es ist lächerlich, aber ein wenigLächerlichkeit kann im Augenblick nicht schaden. Ich stelle mir vor, wiemein Schädel platzt, wenn ich mein Gehirn überhitze, und wie meineSeele langsam aus dem nutzlosen Körper aufsteigen kann. Beweglich,lebendig, frei. Beinahe hätte ich laut gelacht. Stattdessen verschlucke ichmich an meiner eigenen Spucke. Ich versuche tief zu atmen, aber dasbeklemmende Gefühl lässt nicht nach. Ich fürchte mich vor einemweiteren Erstickungsanfall. Obwohl ich sterben möchte, weigere ich michzu ersticken.ELIN.ENDE AUGUSTIch betrachte die flackernden Augenlider und spüre, wie sich um michherum alles zu drehen beginnt. Die Geräusche im Hintergrundverschmelzen ineinander. Ich atme tief ein, atme die aufkommende Panikaus. Sein Gesicht ist friedlich, aber zerschlagen. Der Schorf an seinen1


Wangen beginnt sich langsam abzulösen, die blauen Flecken sindinzwischen hellgelb. Eine kränkliche Farbe. Ich will mir den Daumenablecken und sein Gesicht säubern. Sinnlos. Die Färbung hat sicheingegraben, wahrscheinlich bis in seine Seele. Ich wende den Kopf abund starre nach draussen. Es hat wieder zu regnen begonnen. Fröstelndschlinge ich die Arme um meinen Bauch, wie um mich selbst festzuhalten.Ich höre, wie Emma den Turm aus Holzklötzen umstösst. Sie lacht und ichschaudere. Mein Blick gleitet zurück zu seinem Gesicht, aber es liegt nochimmer friedlich da, eingebettet in weisse Kissen. Seine Brust hebt undsenkt sich unendlich langsam unter der Decke. Vor einer Stunde nochatmete er nur noch dank des Sauerstoffgerätes. Ich frage mich, waspassiert, wenn die Sauerstoffflasche irgendwann einmal zu spätangeschlossen wird. Verkrüppelt dann auch noch sein Gehirn? In mirschnürt sich alles zusammen und plötzlich halte ich es nicht mehr aus. Ichgreife nach meinem Mantel, wickle mir das Tuch hastig um den Kopf.Emma blickt mich mit grossen Augen an und ehe sie sich versehen kann,rennen wir Hand in Hand durch die Korridore des Krankenhauses. DieBauklötze bleiben auf dem Boden zerstreut zurück. Alles in sichzusammengestürzt.2


MATHIS.ANFANG SEPTEMBERDas Krankenhaus baut sich vor mir auf wie ein schwarzes Ungetüm. Ichsehe mein Spiegelbild in den Glasscheiben und senke den Kopf. Es kommtmir so gekünstelt vor, mein Aussehen, das so gar nicht mehr zu meinemInnern passt. Der helle Mantel, den ich mir lässig über den Arm geworfenhabe, wirkt wie ein Kostüm. Das Gesicht, bleich. Das bin nicht mehr ich.Ich bringe den Mut nicht auf das Haus zu betreten, obwohl ich die ganzeNacht über nichts anderes nachgedacht habe. In meinen wachen Träumenschreite ich durch die hellen Korridore, auf der Suche nach Befreiung vonmeiner Schuld.Ich beginne zu schwitzen. Mein Mund ist trocken. Panik ergreift mich undbreitet sich in Sekundenschnelle aus. Mein Herz krampft sich zusammen.Ich schnappe nach Luft und beginne zu zählen. Eins, zwei, drei. Eins,zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Dritter Stock, siebtes Fenster vonrechts. Dort liegt er, starr. Gefangen. Galle steigt in mir auf. Ich halte densauren Geschmack zurück auch wenn er mich quält. Mein Herz pochtheftig gegen die Rippen. Innen bin ich schon ganz blau. Ein Aufblitzen.Aus den Augenwinkeln sehe ich den silbernen Wagen näher kommen. Erhält wenige Meter neben mir. Wie immer. Ein Kind springt hinaus. Wieimmer. Ich sehe die blonden Zöpfe in der Glasscheibe vor mir wippen.Wie immer. Eine schmale Hand legt sich auf die Schulter des Mädchens,schiebt es mit leichtem Druck näher zur Tür. Ich kenne die Hand. Sie wirdvon Woche zu Woche zerbrechlicher. Der saure Geschmack in meinerKehle wird unerträglich. Fluchtartig verlasse ich den Platz und rette michin meinen Wagen. Wie immer.Copyright <strong>Fabienne</strong> <strong>Schmidt</strong>3

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