A. G. Heiss/U. Thanheiser, <strong>Aus</strong> <strong>den</strong> <strong>Augen</strong>, <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Sinn . . .Aufsätzeunbefestigten Wegrand gedeihen<strong>den</strong> Pflanzen der Ruderalveget<strong>at</strong>ion sowieverschie<strong>den</strong>en Abfällen <strong>aus</strong> der Umgebung. Sowohl bei unverkohlten als auch<strong>den</strong> mineralisierten Resten sind all diese möglichen Quellen zu berücksichtigen.Bei <strong>den</strong> verkohlten Pflanzenresten hingegen kann zumindest mit einiger Gewissheitvermutet wer<strong>den</strong>, dass der Großteil <strong>aus</strong> verbranntem Kehricht stammt.Kulturpflanzen und StörungszeigerSämtliche Belege von Getrei<strong>den</strong> sind verkohlt erhalten. Mit Resten von Gerste,Einkorn/Emmer, Dinkel, (vermutl.) Nacktweizen, (vermutl.) Roggen, Hafer sowieEcht-Rispenhirse stellen die wenigen Funde einen durch<strong>aus</strong> repräsent<strong>at</strong>ivenQuerschnitt eines typischen mitteleuropäischen Nutzungsspektrums des Mittelaltersdar. 19 Aufgrund der geringen nachgewiesenen Mengen erlauben dieErgebnisse allerdings keinesfalls eine Beurteilung der Mengenverhältnisse derGetreide zueinander. Ebenfalls rein als Artnachweis können die Funde von Erbseund Linse dienen. Das Fehlen von Nachweisen von Ölsa<strong>at</strong>en in verkohltemZustand – zu erwarten wären beispielsweise Flachs, Schlaf-Mohn oder Hanf –wird gemeinhin mit ihrer schlechten Erhaltungsfähigkeit begründet: <strong>Die</strong> in ihrenSamen bzw. Früchten gespeicherten Öle neigen bei Hitzeeinwirkung zu abruptemVerdampfen, wodurch die Sämereien zerrissen wer<strong>den</strong>, und durch ihreleichte Entflammbarkeit fördern sie zusätzlich das vollständige Verbrennen zuAsche. Leider sind im Abwasserkanal auch keine unverkohlten oder mineralisiertenBelege dieser Pflanzen vorhan<strong>den</strong>, wie sie <strong>aus</strong> anderen Fundkontextender Grabung Am Hof 10 sehr wohl vorliegen. 20 Wie eingangs erwähnt, sindObstgehölze vor allem durch eine große Zahl von Weintraubenkernen dokumentiert,die zum Großteil stark fragmentiert vorliegen, zusätzlich fin<strong>den</strong> sichzahlreiche sehr kleine – fehlgebildete oder schlicht unreife – Kerne. <strong>Die</strong> Oberflächeder Kerne ist größtenteils stark korrodiert. Traubenstiele, wie sie sich üblicherweiseals Reste der Weinverarbeitung fin<strong>den</strong>, fehlen. Es ist daher mitgroßer Wahrscheinlichkeit davon <strong>aus</strong>zugehen, dass es sich bei <strong>den</strong> vorgefun<strong>den</strong>enunverkohlten Resten der Edel-Weinrebe um zerkaute und anverdauteReste von frischen Trauben oder Rosinen handelt, die über menschliche Fäkalienin <strong>den</strong> Abwasserkanal gelangt sind.<strong>Die</strong> meisten der nachgewiesenen Störungszeiger sind typische Ruderalpflanzen,also Besiedler von nährstoffreichen Wegrändern – jedoch mit durch<strong>aus</strong>unterschiedlichen Ansprüchen. Denn während das Schwarz-Bilsenkraut(Hyoscyamus niger) und Wildgersten (Hordeum sp.; sehr häufig kommt beispielsweisedie Mäuse-Gerste, Hordeum murinum, vor) eher an trockenenStandorten zu fin<strong>den</strong> sind, gedeiht der Zwerg-Holunder (Sambucus ebulus)am besten in feuchten Gräben. Vogel-Knöterich (Polygonum aviculare s.l.) wiederumist vor allem bei Trittbelastung <strong>aus</strong>gesprochen konkurrenzfähig. <strong>Die</strong>Taubnessel-(Lamium), Beifuß-(Artemisia) und Gänsefuß-(Chenopodium)-Artenweichen untereinander in ihren ökologischen Ansprüchen zu sehr ab, um sieeindeutig charakterisieren zu können. Zumindest sind aber die meisten davonsehr verbreitete Besiedler gestörter Standorte, und im urbanen Kontext ist vorwiegendmit diesen ruderalen Arten der drei G<strong>at</strong>tungen zu rechnen. Den Ruderalpflanzensteht mit der Acker-Trespe (Bromus cf. arvensis) im Prinzip nur ein19 Vgl. beispielsweise: Märkle (Anm. 15); J.Wiethold, Archäobotanische Untersuchungen.Botanische Analysen zur mittelalterlichen Ernährungs-und Umweltgeschichte in Eberswalde.In: Eberswalder <strong>Aus</strong>grabungs(Ge)schichten:Archäologie und Geschichte einer märkischenStadt. Begleitheft zur <strong>Aus</strong>stellung.Heim<strong>at</strong>kundl. Beitr./Mus. Adler-Apotheke,Stadt Eberswalde 9 (Eberswalde 2004) 47–54; ders., Botanische Funde <strong>aus</strong> der Nonnenemporedes Klarissenklosters von Ribnitz, Kr.Nordvorpommern, und <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> H<strong>aus</strong>Mönchstr. 38, Hansestadt Stralsund – ZweiBeispiele für die <strong>Aus</strong>wertung und Interpret<strong>at</strong>ionvon botanischen Fun<strong>den</strong> <strong>aus</strong> Gebäu<strong>den</strong>. In:I. Ericsson/R. Atzbach (Hrsg.), Depotfunde<strong>aus</strong> Gebäu<strong>den</strong> in Zentraleuropa. BambergerKoll. Arch. Mittelalter u. Neuzeit 1 = Arch.Quellen Mittelalter 2 (Berlin 2005) 131–146;Häberle et al. (Anm. 15).20 A. G. Heiss, Abschlussbericht zu <strong>den</strong> botanischenAnalysen der Pflanzenreste <strong>aus</strong> derGrabung „Am Hof“ der Wiener Stadtarchäologie(Grabungskampagnen 2008 und 2009)(unpubl. Mskr. Wien 2012).67
Aufsätze A. G. Heiss/U. Thanheiser, <strong>Aus</strong> <strong>den</strong> <strong>Augen</strong>, <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Sinn . . .Taf. 1: Verkohlte Sämereien von Kulturpflanzen <strong>aus</strong> der Kanalverfüllung. a) Hordeum vulgare (Mehrzeilen-Gerste), b) Triticum dicoccum (Emmer),c) Triticum spelta (Dinkel), d) Avena sp. (Wild-/Sa<strong>at</strong>-Hafer), e) cf. Secale cereale (vermutl. Roggen), f) Panicum miliaceum (Echt-Rispenhirse), g) Lensculinaris (Kultur-Linse), h) Vitis vinifera subsp. vinifera (Edle Weinrebe). Maßstabslänge jeweils 1 mm. (Fotos: A. G. Heiss)68