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Anspruchsarten und ihre Prüfungsreihenfolge - bei Jurrum

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Bürgerliches RechtBGB AT<strong>Anspruchsarten</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Prüfungsreihenfolge</strong>I. Vertragliche Ansprüche1. Primäransprüchemit dem Vertrag primär bezweckte Leistungspflicht z.B. §§ 433 I, 433II, 488 I 2, 516, 535 II, 535 I , 652)2. Sek<strong>und</strong>äransprüche (<strong>bei</strong> Leistungsstörungen)Pflichtverletzungen, z.B. §§ 280 ff., 311a II, 323 BGB3. Tertiäransprüche (Surrogate): §§ 255, 285 BGBII. Vertragsähnliche Ansprüche (Quasi-Vertragliche Ansprüche)GoA; §§ 122, 179 II, 311 II i.V.m. §§ 280, 282 BGBIII. Dingliche AnsprücheHerausgabeansprüche <strong>und</strong> deren Sek<strong>und</strong>äransprüche§§ 985, 1007; 861; 987 ff. bzw. 2018; 2019 ff. BGBUnterlassungs- <strong>und</strong> Beseitigungsansprüche; §§ 894; 1004 I; 862 I BGBAnspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung; § 1147 BGBIV. Deliktische Ansprüche1. Gefährdungshaftung§§ 701, 833 S. 1 BGB, § 7 StVG; § 33 LuftVG; § 84 AMG; § 1 HaftpflG; § 25 f.AtG; § 22 II WHG; § 1 ProdHaftG; §§ 1 ff. UmwHG2. Haftung für vermutetes, aber widerlegbares Verschulden§§ 823 II, 831, 832, 833 S. 2, 834, 836 - 838 BGB, 18 StVG3. Verschuldenshaftung; §§ 823 I, II, 824, 825, 826, 839 BGBV. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung1. Leistungskondiktionen§ 812 I 1 1. Fall BGB, § 812 I 2 1. Fall BGB, § 812 I 2 2. Fall BGB, § 813 I 1 BGB,§ 817 S. 1 BGB.2. Nichtleistungskondiktionen§ 816 I 1 <strong>und</strong> 2 BGB, § 816 II BGB, § 822 BGB, § 812 I 1 2. Alt BGB© Dr. W. Nolden Seite 3


Bürgerliches RechtBGB ATDie AnspruchsprüfungÜberblickII. Anspruch nicht untergegangenNichtvorliegen rechtsvernichtender Einwendungen ( Erlöschensgründe)(z.B. Erfüllung, Anfechtung)III.Anspruch durchsetzbarEs dürfen keine rechtshemmenden Einreden vorliegen1. dilatorische (vorübergehende) Einreden (z.B. §§ 273, 320 BGB)2. peremptorische (dauernde) Einreden (z.B. Verjährung, Wandlungseinrede)© Dr. W. Nolden Seite 4


Bürgerliches RechtBGB ATIm EinzelnenI. Anspruch entstanden (rechtshindernde Einwendungen)1. Voraussetzungen der jeweiligen Norm2. Kein Entgegenstehen rechtshindernder Einwendungen (Nichtigkeitsgründe);werden von Amts wegen beachtet: §§ 104 ff. (Geschäftsunfähigkeit), 116-118(geh. Vorbehalt; Scheingeschäft; Mangel an Ernstlichkeit, 125 (Formmangel);134 (gesetzliches Verbot); 138 I, II (Wucher; Sittenwidrigkeit)II. Anspruch nicht untergegangen (rechtsvernichtende Einwendungen)Es dürfen keine Erlöschensgründe vorliegen; diese werden von Amts wegen beachtetVertragliche VereinbarungErlass§ 397 BGBAbtretung§ 398 BGBHinterlegung§ 378 BGBAufhebungsvertrag§§ 311,241 BGB;Schuldübernahme§ 414 BGBErfüllungSurrogate§§ 362; 364 I;378 BGBeinseitige gestaltendeWEAnfechtung§§ 142, 119 BGBRücktritt§ 346 BGBvertraglich§ 346 BGBgesetzlich§§ 325, 326 BGBKündigung§ 314 BGBAufrechnung§ 389 BGB§§ 275, 326 IBGB; auflösendeBedingung, § 158II BGBausnahmsweiseWegf. der GG:Unmöglichkeit§ 313 BGBprimär Vertragsanpassung;sonstRückabwicklung desVertragesIII. Anspruch durchsetzbar (rechtshemmende Einreden)Es dürfen keine Einreden vorliegen, diese müssen vor Gericht geltend gemacht werden.1. Rechtshemmende Einredena) dilatorische (vorübergehende)aa) allgemein: § 320; § 1000; § 273 BGB; St<strong>und</strong>ung; pactum de non petendo(Stillhalteabkommen)bb) speziell: § 771, 770 BGB (Einrede der Vorausklage); § 358 II, 359 BGB(Einwendungen aus Verbrauchervertrag auch ggü. Darlehensvertrag)b) peremptorische (dauernde)aa) allgemein: § 214 I BGB (Verjährung)bb) speziell: § 821 BGB (Bereicherung); § 853 BGB (Delikt); § 1381 BGB (Zugewinn);§§ 1990, 1991 BGB (Dürftigkeitseinrede des Erben)c) fremde: § 768 BGB (Bürge); § 1137 BGB (Gr<strong>und</strong>stückseigentümer)2. Einreden aus §§ 242, 226, 826 BGB analog• dolo agit, qui petit quod statim reddituris est (Pflicht zur alsbald. Rückgewähr)• venire contra factum proprium (widersprüchliches Verhalten)• Verwirkung (Nichtausübung eines Rechts über längere Zeit, wo<strong>bei</strong> der Verpflichtetesich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichtendurfte <strong>und</strong> auch eingerichtet hat, dass dieser das Recht auch in Zukunftnicht geltend machen werde.)© Dr. W. Nolden Seite 5


Bürgerliches RechtBGB ATDas RechtsgeschäftBegriffUnterschiedeDas Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand, der aus mindestenseiner Willenerklärung besteht <strong>und</strong> an den die Rechtsordnungden Eintritt eines gewollten rechtlichen Erfolges knüpft.Rechtshandlungen sind von den Rechtsgeschäften abzugrenzen:RealakteHandlungen die als reine tatsächlicheWillensbetätigung eine Rechtsfolgekraft Gesetzes auslösen, unabhängigvom Willen der Beteiligten(hier<strong>bei</strong> finden die rechtsgeschäftlichenVorschriften keine Geltung);z.B. die Übergabe nach § 929 BGB,nicht aber die Einigung.Geschäftsähnl. HandlungenAuf einen tatsächlichen Erfolg gerichteteErklärungen, deren Rechtsfolgenicht aufgr<strong>und</strong> eines daraufgerichteten Willens, sondern kraftGesetzes eintritt. Die rechtsgeschäftlichenVorschriften finden, <strong>bei</strong> vergleichbarerInteressenlage, entsprechendeAnwendung (Einzelfallprüfung);z. B. Mahnung, Fristsetzung,gem. § 377 BGB Anzeige des Mangels.Gefälligkeitsverh mit rechtsgeschäftli.CharakterHier entstehen keine Verpflichtungenauf Leistungsebene, allerd. entstehenSorgfaltspflichten.Gefälligkeiten/ GefälligkeitsverhältnisseBei diesen soll keine rechtlicheVerpflichtung begründet werden,schon das äußere Verhalten desGefälligen lässt erkennen, dass ihmder Rechtsbindungswille fehlt.Beachte: Beim Gefälligkeitsvertrag hingegen, geben <strong>bei</strong>de Partner Willenserklärungenab; z.B. Schenkung gem. § 516 BGB, unentgeltl. Verwahrunggem. § 688 BGB. (hierzu Übersicht 16: Abgrenzung Gefälligkeitsverhältnis/Gefälligkeitsvertrag)Arten von RechtsgeschäftenEinseitige RGEnthalten die WE nur einer Person.- empfangsbedürftig, z.B. Kündigung,Anfechtung- nicht empfangsbedürftig, z.B.TestamentMehrseitige RGEnthalten WE mehrer Personen- Beschlüsse von Personenvereinigungen,z.B. § 32 BGB- Gesamtakte, hier werden nichtwie <strong>bei</strong> Verträgen wechselseitige,sondern gleichlaufende, paralleleErklärungen abgegeben.- Verträge: - verpflichtende- verfügendeVerpflichtende Verträge: RG durch das die Verpflichtung zu einer Leistungbegründet wird (= Rechtsgr<strong>und</strong> für das Verfügungsgeschäft)1. zweiseitig verpflichtende:- Gegenseitige, vollkommen zweiseitig verpflichtende Verträge, z.B.Kauf §§ 433 ff. BGB- unvollkommen zweiseitig verpflichtende Rechtsgeschäfte, z.B. Leihe§§ 598 ff. BGB2. einseitig verpflichtende: z.B. Schenkung §§ 516 ff. BGBVerfügende Verträge: RG durch das ein bestehendes Recht unmittelbarübertragen, belastet, geändert oder aufgehoben wird ( in der Regel durchErfüllung des Verpflichtungsgeschäfts), z.B. Einigung § 929 S. 1 BGB.© Dr. W. Nolden Seite 6


Bürgerliches RechtBGB ATDas Abstraktionsprinzip = TrennungsprinzipDas Abstraktionsprinzip beruht auf dem römischen Recht <strong>und</strong> wurde von Savigny durchgesetzt. Es besagt,dass kausales <strong>und</strong> abstraktes Geschäft rechtlich getrennt sind. Verpflichtungs- <strong>und</strong> Erfüllungsgeschäftzwei separate Rechtsgeschäfte, da das Verfügungsgeschäft rechtlich unabhängig vom Verpflichtungsgeschäft<strong>und</strong> damit abstrakt ist.Die Gültig- bzw. Ungültigkeit des einen hat nicht zwingend die Gültig- bzw. Ungültigkeit des anderen zurFolge. Damit dient das Abstraktionsprinzip der Sicherheit des Rechtsverkehrs.Der Ausgleich der möglichen Folgen des Abstraktionsprinzip erfolgt über das Bereicherungsrecht, dennwenn kein wirksames Verpflichtungsgeschäft besteht, erlangte der Bereicherte etwas ohne rechtlichenGr<strong>und</strong>, vgl. § 812 ff. BGBBezeichnung Kausale Geschäfte abstrakte GeschäfteDefinitionDer Rechtsgr<strong>und</strong> der Zuwendunggehört zum Inhalt des Geschäfts.Rechtsgr<strong>und</strong> ist der Gr<strong>und</strong> derdie Zuwendung rechtfertigt.Die causa (der Rechtsgr<strong>und</strong>) istBestandteil des zugr<strong>und</strong>e liegendeKausalgeschäfts, sie istaber vom Rechtsgr<strong>und</strong> der Zuwendunglosgelöst, vielmehrlässt sich unmittelbar aus demRechtsgeschäft entnehmen.Allerdings ist das VerpflichtungsgeschäftregelmäßigRechtsgr<strong>und</strong> für die Zuwendung.Arten von RechtsgeschäftenDie meisten Verpflichtungsgeschäfte(Rechtsgeschäfte, durchwelche die Verpflichtung zu einerLeistung begründet wird).z.B. § 433 I BGBa) Alle Verfügungsgeschäfte(Rechtsgeschäfte, durch dieein Recht unmittelbar übertragen,belastet, geändertoder aufgehoben wird)§ 929 BGB. (Dieses ist abstraktalso rechtlich unabhängigvom Verpflichtungsgeschäft)b) Besonders geregelte Verpflichtungsgeschäfte§§ 780, 781 BGB; § 793BGBWirksamkeit (+) (-)Wirksamkeit (-) (+), aber § 812 I 1 BGBAusnahmen:Fehleridentität, wenn Verpflichtungs- <strong>und</strong> Erfüllungsgeschäft an dem selben rechtlichen Mangel leiden,d.h. die Mängel des Verpflichtungsgeschäftes wirken sich auch <strong>bei</strong>m Verfügungsgeschäft aus(z.B. <strong>bei</strong> Mängeln in der Geschäftsfähigkeit, §§ 104, 105 BGB; <strong>bei</strong> § 123 BGB; <strong>bei</strong> §§ 134, 138 II BGBnur, wenn das Gesetz gerade die Erfüllung verhindern will). Hier ist ein Durchschlagen möglich.Bedingungszusammenhang, § 158 BGB, Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäftes als Bedingungdes Verfügungsgeschäftes, z. B <strong>bei</strong>m Eigentumsvorbehalt nach §§ 929, 158 I BGBGeschäftseinheit, § 139 BGB, Verpflichtungs- <strong>und</strong> Verfügungsgeschäft als einheitliches Rechtsgeschäft.(str.).Die generelle Annahme der Anwendbarkeit der §§ 158, 139 BGB würde aber das Abstraktionsprinzipweitgehend aushebeln, so dass diese nur Anwendbar sind, wenn konkrete Anhaltspunkte für einendahingehenden Parteiwillen vorliegen.© Dr. W. Nolden Seite 7


Bürgerliches RechtBGB ATAllgemeines zum VertragDie Möglichkeit, Verträge zu schließen, ergibt sich aus dem Gr<strong>und</strong>satz der Privatautonomie.Danach kann jeder einzelne seine Lebensverhältnisse eigenverantwortlich<strong>und</strong> frei gestalten.Mit dem Vertrag legen die Beteiligten gemeinsam <strong>und</strong> übereinstimmend fest, welchesRechtsverhältnis zwischen ihnen gelten soll.Ausnahme:einseitige Regelung der Rechtsbeziehungen, z.B. Eigentumsaufgabe,§ 959 BGB; KündigungDer Begriff des Vertrages ist gesetzlich nicht definiert, §§ 145 ff. BGB regeln lediglichden Abschluss des Vertrages.Definition:Vertrag sind zwei einander entsprechende Willenserklärungen, dieauf einen einheitlichen Rechtserfolg gerichtet sind.Arten von VerträgenSchuldrechtliche Verpflichtungen- Einseitige Leistungspflichten, z.B. Schenkung, § 516 BGB; Bürgschaft, § 765 BGB- Unvollkommen zweiseitige Verträge, z.B. Leihe, § 598 BGB; Auftrag, § 662 BGB;unverzinsliches Darlehen, § 488 BGB; unentgeltliche Verwahrung, § 690 BGB- Vollkommen zweiseitige Verträge (gegenseitige Verträge), z.B. Kauf, Tausch,§§ 433, 480 BGB; Miete, Pacht, § 535, 581 BGB; Dienst-, Werk- Geschäftsbesorgung,§§ 611, 631, 675 BGB; verzinsliches Darlehen; § 488 I 2 BGB; Gesellschaftsvertrag,§ 705 BGBSchuldrechtliche VerfügungenErlassvertrag, § 397 BGB; Abtretung, § 398 BGB; Schuldübernahme, § 414 BGB; Änderungs-<strong>und</strong> Aufhebungsvertrag, § 311 BGBDingliche Verträge- Gr<strong>und</strong>stücksübereignung, §§ 873, 925 BGB- Übereignung beweglicher Sachen, §§ 929 ff. BGB- Begründung, Übertragung, Änderung beschränkt dinglicher Rechte, z.B. Nießbrauch,§ 1030 BGB; Gr<strong>und</strong>dienstbarkeit, § 1018 BGB; Hypothek, § 1113 BGB;Gr<strong>und</strong>schuld, § 1191 BGB; Pfandrecht an beweglichen Sachen, § 1204 BGB; SicherungsübereignungFamilienrechtliche VerträgeEhevertrag, § 1408 BGB; Verlöbnis, § 1297 BGBErbrechtliche VerträgeErbvertrag; § 1941 BGB; Erbverzicht, § 2346 BGB© Dr. W. Nolden Seite 8


Bürgerliches Recht BGB ATDie WillenserklärungDer äußere Tatbestand:Entscheidend ist, ob die Erklärung aus der Sicht desEmpfängers auf den Willen, eine Rechtsfolge her<strong>bei</strong>zuführen,schließen lässt(bestimmter Geschäftswille ist objektiv erkennbar)Handlungswille:Erklärender will erkennbar willensgesteuert tätig werden;z.B. nicht <strong>bei</strong> erkennbarem Einschlafenerkennbarer Volltrunkenheit einer PersonBei Fehlen: Keine WillenserklärungRechtsbindungswilleDas Verhalten des Erklärenden stellt sich für einen objektivenBeobachter als Äußerung eines Rechtsbindungswillensdar. Hier<strong>bei</strong> sind die Auslegungsregeln der §§ 133,157 BGB aus Sicht des Dritten zu ermitteln.P: Schaufensterauslage, ZeitungsinseratAuskunft, Rat, EmpfehlungGefälligkeitVorbehalt § 116, Schein § 117, Scherz § 118 BGBBei Fehlen: Keine WillenserklärungGeschäftswilleÄußerlich erkennbares Verhalten, einen bestimmtenVertragstyp mit einem bestimmten Inhalt her<strong>bei</strong>zuführen.Im Schuldrecht: Vertragsfreiheit, nicht abschließend geregeltIm Sachenrecht: keine Vertragsfreiheit, abschließendgeregeltBei Fehlen: Keine WillenserklärungDer innere Tatbestand :Handlungswille:Der Erklärende hat das Bewusstsein zu handeln; er willsprechen, nicken, die Hand heben etc.z.B. nicht <strong>bei</strong> vis absolutaSchlaf, HypnoseVolltrunkenheitBei Fehlen: Keine WillenserklärungErklärungsbewusstsein:Der Erklärende ist sich bewusst, dass sein Verhalten alsrechtsgeschäftliche Erklärung aufgefasst werden kann.Fälle: Trierer Weinversteigerungsfall: A winkt währendeiner Weinversteigerung seinem Fre<strong>und</strong> zu, ohnezu wissen, dass Handheben als Angebot verstandenwird. Unterzeichnen eines Vertragsangebots inder irrigen Annahme, es handele sich um einGlückwunschschreiben.Bei Fehlen: Rechtsfolge streitig (vgl. hierzu Blatt 11: Erforderniseines Erklärungsbewusstseins für eine Willenserklärung)GeschäftswilleDer Erklärende ist sich bewusst, welchen rechtlich verbindlichenGeschäftsinhalt er zum Ausdruck bringt.Liegt ein Erklärungsbewusstsein vor, so ist immer auchein Geschäftsbewusstsein gegeben. Es kann jedoch dieerklärte konkrete Rechtsfolge vom Geschäftsbewusstseinabweichen.z.B. Bei der Weinversteigerung hebt A die Hand, umKaffee zu bestellen, der Versteigerer versteht diesals Angebot für ein Fass Wein.Bei Fehlen: Anfechtbarkeit, Ersatz des Vertrauensschadens§ 122© Dr. W. Nolden Seite 9


Bürgerliches Recht BGB ATDas Wirksamwerden der empfangsbedürftigen WillenserklärungAbgabe Zugang1. Willentliche endgültige Entäußerunga) Ausdrücklichgesprochenes oder geschriebenes Wort,Nicken, Kopfschütteln, Handzeichen, soferndiese Handlungen unmittelbar derWillensk<strong>und</strong>gabe dienen.b) KonkludentHandlung, die unmittelbar den Schlussauf einen bestimmten Geschäftswillen zulässt,z.B. Einsteigen in ein Taxi.c) Schweigengr<strong>und</strong>sätzlich (-), Ausnahme: entsprechendevertragliche Vereinbarung, Verkehrssitte,Handelsbrauch, § 242, durchGesetz bestimmt, z.B. §§ 108 II 2, 177,455 S. 2, 516 II 2 BGB, § 362 I HGB, 5VVG, § 5 III 1 PflichtVG2. Die Erklärung wird in Richtung auf den Empfängerauf den Weg gebracht, so dass unternormalen Umständen mit dem Zugang zurechnen ist.[Exkurs: <strong>bei</strong> nicht-empfangsbedürftigen Willenserklärungentritt die Wirksamkeit bereits mit der willentlichenEntäußerung ein, Bsp. Testament, Auslobung]unter Abwesenden(erforderlich gemäß § 130 I 1 BGB)Die WE gelangt so in den Machtbereichdes Empfängers, dass für ihn die Möglichkeitder Kenntnisnahme besteht <strong>und</strong>unter normalen Umständen mit seinerKenntnisnahme zu rechnen ist.• Bei Geschäftsunfähigen/beschränktGeschäftsfähigen gem. § 131 BGBgrds. Zugang an den gesetzlichenVertreter. Ausnahme: § 131 II 2BGB• Bei Mittelspersonen vgl. Blatt 19:Zugang <strong>und</strong> Übermittlungsrisiko<strong>bei</strong> Mittelspersonenunter Anwesenden(Gr<strong>und</strong>gedanke des § 130 BGB)Der Erklärende darf davon ausgehen,dass der Empfänger die Erklärung richtigverstanden hat.(modifizierte Vernehmungstheorie,h.M.; Larenz, AT, § 21 II c; Palandt-Heinrichs, § 130 Rn.14)Nach a.A. ist richtiges Verstehen erforderlich(konkrete Vernehmungstheorie:Staudinger- Dilcher, § 130 Rn 14)Beachte die Besonderheiten der Annahme:• Rechtzeitigkeit (§§ 147 I, II, 148, 149 BGB)• Ausnahme vom Erfordernis des Zugangs:bloße Abgabe der Annahmeerklärung genügt in den Fällen des § 151 BGB,d.h. der Zugang ist entbehrlich (z.B. Versandbestellung, Bestellung eines Hotelzimmers).beachte: Zugangshindernisse (vgl. Med.BR Rn. 50 ff.)© Dr. W. Nolden Seite 12


Bürgerliches Recht BGB ATDer VertragsschlussAngebotAnnahmeTatbestand einer WE:äußerer <strong>und</strong> innererWirksamwerden:Abgabe <strong>und</strong> Zugang;kein Widerruf, § 130 I 2BGBTatbestand einer WE:äußerer <strong>und</strong> innererWirksamwerden:Abgabe <strong>und</strong> grds. Zugang;Ausnahme: § 151 S. 1 BGBInhaltliches Übereinstimmenvon zwei ausgelegten WE, bezüglichaller Punkte über die eine Vereinbarunggetroffen werden sollte.= K o n s e n sNichtübereinstimmung= (D i s s e n s) (vgl. Blatt 20:Konsens- Dissens)a) offener Dissensaa) essentialia negotii (keinVertrag)bb) accidentalia negotii(Parteiwillen, § 154 I 1BGB)b) versteckter Dissensaa) essentialia negotii (keinVertrag)bb) accidentalia negotii(Parteiwille, § 155 BGB)Keine Nichtigkeitsgründe(rechtshindernde Einwendungen)© Dr. W. Nolden Seite 13


Bürgerliches RechtBGB ATPrüfungsschema für dasZustandekommen von VerträgenI. Angebot1. Abgabea) Äußerer Erklärungstatbestandaa) Handlungswillebb) Rechtsbindungswillecc) Geschäftswilleb) Innerer Erklärungstatbestandaa) Handlungswillebb) Erklärungsbewußtseincc) Geschäftswille2. Zuganga) unter Anwesenden (konkrete/modifizierte Vernehmungstheorie) oderb) unter AbwesendenDergestalt in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß nach regelmäßigen Umständen mitKenntnisnahme zu rechnen ist.Exkurs: Zugangshindernisse1. Bei berechtigter Zugangsverweigerung des Empfängers geht dies zu Lasten des Erklärenden <strong>und</strong> es liegtkein Zugang vor (z.B. wenn der Empfänger, wegen nicht ausreichender Frankierung Strafporto bezahlensoll).2. Eine unberechtigte Zugangsverweigerung geht zu Lasten des Erklärungsempfängers, der Zugang gilt als erfolgt( Zugangsfiktion, BGH NJW 83, 929).3. Eine Zugangsverhinderung ist nach einer Interessenabwägung entweder dem Erklärenden oder dem Erklärungsempfängerzuzurechnen. Geht die Abwägung zu lasten des Empfängers so hat der Erklärende eineWahlmöglichkeit (h.M.). 1 Will er, dass die Rechtsfolgen seiner Erklärung eintreten, so muss er alles zumutbare<strong>und</strong> erforderliche unternehmen, damit die Erklärung in den Machtbereich des Erklärungsempfängers gelangenkann. Diese Erklärung hat der Empfänger nach den Gr<strong>und</strong>sätzen von Treu <strong>und</strong> Glauben als rechtzeitigzugegangen gegen sich gelten zu lassen; d.h. der Erklärungsempfänger muss sich so behandeln lassen,wie wenn der erste Versuch des Zugangs zum Erfolg geführt hätte. 21 MünchKomm/ Fischer, § 130 Rn. 27.2 BGH LM Nr.1 zu § 130.© Dr. W. Nolden Seite 15


Bürgerliches RechtBGB ATAbgrenzungGefälligkeitsverhältnis <strong>und</strong> GefälligkeitsvertragGefälligkeitsverhältnisEin Gefälligkeitsverhältnis liegt vor, wenn die Leistung unentgeltlich versprochen wird <strong>und</strong> weder<strong>bei</strong>m Versprechensempfänger noch <strong>bei</strong>m Leistenden ein wirtschaftliches oder rechtliches Interessean der Angelegenheit erkennbar wird 3 . Nach hM 4 ist entscheidend, ob die Beteiligten einen Rechtsbindungswillennach §§ 133, 157 BGB analog haben erkennen lassen. Dieser subjektiver Rechtsbindungswilleist anhand objektiver Indizien zu ermitteln. So fehlt es <strong>bei</strong> einer Lottogemeinschaft wegendes erheblichen Schadens am Rechtsbindungswillen, da dies zu einem unzumutbaren Risikoführen würde, so dass kein Schadensersatzanspruch besteht, wenn der Ausfüllende vergessen hat,die Lottoscheine abzugeben bzw. sie anders als vereinbart ausfüllt (vgl. BGH NJW 74, 1705 ff.BGB).Bei Gefälligkeitsverhältnissen entstehen keine vertraglichen Leistungspflichten. Sorgfaltspflichtenentstehen nur insofern, als dem anderen an seinen Rechten oder Rechtsgütern kein Schaden entstehensoll, wenn es sich um eine Gefälligkeit mit rechtsgeschäftlichen Charakter handelt (dannist <strong>bei</strong> Verletzung der Sorgfaltspflichten eine Haftung nach §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB möglich).Darüber hinaus werden <strong>bei</strong> den anderen sog. alltäglichen Gefälligkeiten keine vertraglichen Sorgfaltspflichtenbegründet. Die Haftung bestimmt sich allein nach dem Deliktsrecht. (vgl. zur Abgrenzungder Gefälligkeitsverhältnisse: BGH aaO; OLGZ 67, 139)GefälligkeitsvertragBeim Gefälligkeitsvertrag hingegen haben sich die Parteien darüber geeinigt, dass eine Partei zueinem bestimmten Verhalten verpflichtet sein soll, also eine Leistung erbringen soll <strong>und</strong> dafür keineGegenleistung geschuldet wird. Damit wird dem forderungsberechtigten Gläubiger ein Erfüllungsanspruchzuerkannt.So liegt ein Gefälligkeitsvertrag bspw. <strong>bei</strong> einem Schenkungsvertrag nach § 516 BGB, einem Leihvertragnach § 598 BGB oder einem Verwahrungsvertrag nach § 688 BGB vor. Im Rahmen des Gefälligkeitsvertragessind zwei Besonderheiten zu beachten:a) Der Verschuldensmaßstab ist nach §§ 521, 599, 690 BGB gemildert (Haftung nur für Vorsatz<strong>und</strong> grobe Fahrlässigkeit bzw. Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten im Rahmen des vertraglichenSchuldverhältnisses bzw. analog §§ 521, 599, 690 BGB im Rahmen unerlaubter Handlungen).b) Erleichterte Möglichkeiten, sich einseitig von einer vertraglichen Verpflichtung zu lösen (z.B.§§ 530, 528, 605, 696 BGB).Beachte:Des weiteren ist eine deliktische Haftung des Gefälligen möglich. Nach h.M. schlagendie vertraglichen Haftungsprivilegierungen aber auch auf das Deliktsrecht durch, sodass dort ein anderer Verschuldensmaßstab gilt, damit es nicht zu einem Wertungswiderspruchkommt.3 Vgl. zu den Gr<strong>und</strong>sätzen Willoweit, JUS 1984, 909 ff; Auswertung der Rspr in JUS 1986, 96 ff4 BGH, NJW 1986, 2044© Dr. W. Nolden Seite 16


Bürgerliches RechtBGB ATKaufmännisches Bestätigungsschreiben (KBS)Bei einem KBS geht der Absendende davon aus, ein Vertrag sei bereits mit dem im betreffendenSchreiben enthaltenen Inhalt zustande gekommen. Es muss aber ein Klarstellungsbedürfnis bestehen(dies ist <strong>bei</strong> mündlichen oder telefonischen Erklärungen der Fall). Das Schweigen auf ein KBSgilt gewohnheitsrechtlich (vgl. auch § 346 HGB) als Annahme. Es soll künftige Unsicherheiten überden Vertragsinhalt vermeiden <strong>und</strong> beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes.Voraussetzungen des (konstitutiven) KBS1. mündliche, fernmündliche oder fernschriftliche Vertragsverhandlungen2. Absender geht von einem bereits erfolgten Vertragsschluss ausAchtung!An diesem Merkmal erfolgt die Abgrenzung zur Auftragsbestätigung. 5 Bei dieser will der Absenderdas Angebot erst annehmen, das KBS nimmt auf einen vorher vermeidlich geschlossenenVertrag bezug. Bei der Abgrenzung kommt es nicht auf äußerliche Bezeichnungen an, sondernauf den Inhalt des Schreibens.3. Absendung unmittelbar nach den Vertragsverhandlungen 6 (5 Tage)4. Empfänger ist Kaufmann (§ 1 ff. HGB) / nimmt in größerem Umfang am Geschäftslebenteil (insb. Freiberufler)5. Absender nimmt ähnlich einem Kaufmann am Geschäftsleben teilstr.; h.M.: nur dann kann er erwarten, dass man sich ihm gegenüber nach kaufmännischer Sitte verhält; 7 ; nacha.A. könne Absender jedermann sein 86. Redlichkeit des AbsendersEr muss der Meinung sein <strong>und</strong> sein dürfen, dass der Inhalt seines Schreibens der Vereinbarung entspricht odernur solche Abweichungen enthält, die der Empfänger billigt , wenn der Absender vernünftigerweise mit demEinverständnis des Empfängers rechnen kann 9Auch AGB`s können auf diese Weise wirksam mit einbezogen sein.7. Zugang nach allgemeinen Vorschriften gem. § 130 BGB8. kein unverzüglicher Widerspruch (bis zu 7 Tagen 10 )9. Schutzwürdigkeit des Absenders bezüglich VertragsinhaltDie Schutzwürdigkeit fehlt <strong>bei</strong> erheblichen Abweichungen oder arglistiger Verfälschung des Vertragsinhaltes,sich kreuzenden Bestätigungsschreiben <strong>und</strong> <strong>bei</strong> erbetener Gegenbestätigung.Rechtsfolge:Schweigen gilt als Zustimmung zum Inhalt des KBSBeachte: Eine Anfechtung gem. § 119 I BGB analog, wegen Irrtums mit der Begründung man habe die Bedeutungdes Schweigens nicht gekannt, ist ausgeschlossen, da das Schweigen keine Willenserklärung ist, sondernnur ein Zurechnungstatbestand darstellt. Anders <strong>bei</strong> der Anfechtung wegen inhaltlicher Irrtümer. Hat der Empfängerdas Missverständnis nicht zu vertreten, darf er <strong>bei</strong>m Schweigen nicht schlechter gestellt werden, als <strong>bei</strong>m „Reden“.Wenn der Empfänger das Missverständnis zu vertreten hat, überwiegt wohl eher die Rechtssicherheit zugunsten desAbsenders (str.).5 BGHZ 1961, 282 ff.)6 BGH 1964, 1223 ff.7 BGHZ 40, 42 ff.; Brox, AT, Rn.202; vgl. K.Schmidt, HandelsR, § 18 III 2b8 Flume, AT II, § 36, 29 BGHZ 40, 42, 44 ff.; vgl. auch BGHZ 93, 338, 34310 BGH BB 1969, 933© Dr. W. Nolden Seite 17


Bürgerliches RechtBGB ATDer Widerruf einer ErklärungIn besonderen Fällen wird einer Vertragspartei das Recht eingeräumt, <strong>ihre</strong> Willenserklärungrückgängig zu machen.Rechtshindernder Widerruf (Einwendung)Verhindert das eine bereits abgegebene Willenserklärung wirksam wird.- Gemäß § 130 I S. 2 BGB wird eine Willenserklärung gegenüber Anwesendennicht wirksam, wenn der Widerruf vorher oder gleichzeitig zugeht.- Nach § 109 I BGB kann der Vertragspartner ein RG mit einem Minderjährigenbis zur Genehmigung des Vertrages durch die gesetzliche Vertretung,widerrufen, sofern er die Minderjährigkeit nicht kannte.- Beim falsus procurator kann das RG nach § 178 BGB widerrufen werden,sofern die fehlende Vertretungsmacht nicht bekannt war.- Die Einwilligung (=vorherige Zustimmung) kann gemäß § 183 BGB bis zurVornahme des RG widerrufen werden, wenn die Wirksamkeit des RG vonseiner Zustimmung abhängt, vgl. § 182 BGB.Unterscheide:Rechtsvernichtender Widerruf (Einwendung)Beseitigt ein Rechtsgeschäft, <strong>bei</strong> besonders schutzwürdigen Vertragspartnern.- Bei Verbraucherverträgen wird einheitlich auf das Widerrufsrecht gemäߧ 355 BGB verwiesen, wonach der Verbraucher an seine Willenserklärungnicht mehr geb<strong>und</strong>en ist, wenn er sie fristgerecht widerruft. Die Rechtsfolgensind in § 357 BGB geregelt, wonach für die Rückabwicklung die gesetzlicheRücktrittsvorschriften gemäß § 323 ff. BGB Anwendung finden.- Solche Verbraucherverträge sind z.B.:Das Haustürengeschäft gem. § 312 BGBFernabsatzverträge gem. § 312 b BGBVerbraucherdarlehn nach § 495 BGBTeilzeit – Wohnrechteverträge nach § 458 BGB- Widerruf einer Schenkung gem. § 530 BGB wegen schwerer Verfehlungoder groben Undanks- Jederzeitiger Widerruf des Auftrages möglich nach § 671 BGB© Dr. W. Nolden Seite 18


Bürgerliches RechtBGB ATAnfechtung einer WillenserklärungBEACHTE: Auslegung geht vor Anfechtung!I. Zulässigkeit der Anfechtung1. analog <strong>bei</strong> geschäftsähnlichen Handlungen (z.B. Mahnung) BGH NJW 1989, 17922. vorrangige Sonderregelungen im Erb- <strong>und</strong> Familienrecht, §§ 1600, 1949, 2308 BGB; 119 II BGB(-), wennRegeln über Sachmängelgewährleistung greifen3. Nicht anfechtbar:!• nichtige Rechtsgeschäfte (str.)• Realakte (z.B. Verbindung, Vermischung (§§ 946-948 BGB), Verar<strong>bei</strong>tung (§ 950 BGB); F<strong>und</strong> (§ 965BGB)• Schweigen mit der Begründung, man kenne die Wirkung des Schweigens als WE nicht• Rechtsscheintatbestände (z.B. Anscheinsvollmacht h.M., Bevollmächtigung §§ 171, 172 BGB)• prozessrechtliche Erklärungen, es sei denn, dass die Prozesshandlung zugleich ein materiell- rechtlichesRechtsgeschäft ist• Gründungs- <strong>und</strong> Beitrittserklärungen zur GmbH, Aktiengesellschaft <strong>und</strong> Genossenschaft nach Eintragung• nach MM ausgeübte InnenvollmachtII. Anfechtungsgr<strong>und</strong>1 § 119 I BGB, unbewusstes Auseinanderfallen von Wille <strong>und</strong> Erklärunga) InhaltsirrtumDer Erklärende benutzt das Zeichen, das er benutzen wollte, doch misst er diesem eine andere Bedeutungzu, als es objektiv hat, § 119 I 1. Alt. BGB, z.B. mieten“ bedeute unentgeltlichb) ErklärungsirrtumWenn die Erklärungshandlung fehlerhaft verläuft, § 119 I 2. Alt BGB, z.B. Versprechen, Verschreiben,Vergreifen nicht Motivirrtum oder Rechtsfolgenirrtum; P: Kalkulationsirrtum2. § 119 II BGB, EigenschaftsirrtumIrrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften ⇒ Eigenschaften sind alle wertbildenden Faktoren. Verkehrswesentlichist eine Eigenschaft, wenn sie für eine WE im Rahmen des konkreten Rechtsgeschäfteswichtig ist oder aus objektiver Sicht für wichtig gehalten wird.a) Eigenschaften einer Person: Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Alter, Sachk<strong>und</strong>e, Geschlechtb) Eigenschaften einer Sache: Größe, Material, Herkunft (nicht aber der Preis, da dieser von äußeren Faktorenbestimmt wird, eben regelmäßig durch die Summe der verkehrswesentlichen Eigenschaften)3. § 120 BGB, unbewusste unrichtige Übermittlung durch Erklärungsboten (nicht anwendbar auf den Empfangsboten<strong>und</strong> den Empfangsvertreter). Auch die Post fällt darunter.4. § 123 BGB, Arglistige Täuschung oder Drohung: Täuschungshandlung, Irrtum, Kausalität, ArglistIII. KausalitätDer Erklärende kann nur anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er die WE <strong>bei</strong> Kenntnis <strong>und</strong> verständiger Würdigungdes Falles nicht abgegeben hätte.IV. Anfechtungserklärung gem. § 143 I BGBErklärung muss <strong>ihre</strong>m Inhalt nach eindeutig erkennen lassen, dass sich der Erklärende nicht an den Inhalt derWillenserklärung geb<strong>und</strong>en fühlt.V. Anfechtungsgegner gemäß § 143 BGBRichtiger Anfechtungsgegner gem. § 143 I-IV BGBVI. Anfechtungsfrist1. gem. § 121 I BGB „unverzüglich“ nach Kenntniserlangung; spätestens vor Ablauf von 10 Jahren, § 121 IIBGB2. gem. § 124 BGB binnen 1 Jahres nach Kenntniserlangung; spätestens vor Ablauf von 10 Jahren, § 124 IIIBGBVII. Kein Ausschluss gem. § 144 BGBVIII. Rechtsfolge1. Willenserklärung nach § 142 I BGB ex tunc nichtig2 BEACHTE: <strong>bei</strong> in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen ex nunc Wirkung (Ar<strong>bei</strong>ts-, Gesellschaftsvertrag)3. Schadensersatz nach § 122 BGB: negatives Interesse (Höhenbegrenzt durch positives Interesse)© Dr. W. Nolden Seite 19


Bürgerliches RechtBGB ATBehandlung des DoppelirrtumsBeim Doppelirrtum unterliegen <strong>bei</strong>de Parteien einer Fehlvorstellung. Insofern stelltsich die Frage, ob nunmehr <strong>bei</strong>de zur Anfechtung berechtigt sind <strong>und</strong> der jeweilsdie Anfechtung nicht Erklärende den Schadensersatz nach § 122 BGB geltend machenkann.Beispiel:A verkauft B eine Kette zu einem Preis von € 50,-. Beide Parteien gehendavon aus, dass diese unecht ist. Nach einem Monat stellt A fest,dass es sich um eine echte Goldkette handelt. Welche Möglichkeitenhat A, den Vertrag rückgängig zu machen?1. Möglichkeit: Störung der Geschäftsgr<strong>und</strong>lage, § 313 BGBBeide Parteien haben dem Vertragsschluss einen Umstand zugr<strong>und</strong>egelegt, dernicht vorliegt. Insofern unterliegen <strong>bei</strong>de einer Fehlvorstellung, so dass die Anwendungder Gr<strong>und</strong>sätze über den Wegfall der Geschäftsgr<strong>und</strong>lage in Betracht kommt,so dass der Vertrag nach § 313 BGB angepasst oder rückabgewickelt wird . Dieswird von der h.M. mit der Begründung angenommen, dass es vom Zufall abhinge,wer die Anfechtung zuerst erkläre, so dass es ungerechtfertigt sei, dass der Anfechtendedann aus § 122 BGB gegenüber dem ebenfalls irrenden Vertragspartner zumSchadensersatz verpflichtet sei 15 . Zudem bestehe durch die Lehre vom Wegfall derGeschäftsgr<strong>und</strong>lage die Möglichkeit, den Vertrag den wirklichen Umständen desFalles anzupassen.2. Möglichkeit: Anfechtbarkeit nach §§ 119 ff. BGBWenn <strong>bei</strong>de Parteien irren, sind auch <strong>bei</strong>de zur Anfechtung berechtigt. Der Vertragwird nach § 142 I BGB es tunc unwirksam. Somit fehlt es auch an einer Reglungslückefür den § 313 BGB. Die Problematik des zufälligen Eintritts der Schadensersatzpflichtauf der einen statt auf der anderen Seite besteht rein praktisch gar nicht.Es erkläre nur die Partei die Anfechtung, zu deren Nachteil die Wirklichkeit von dergemeinsamen Vorstellung abweiche 16 . Hat die Partei aber durch die Anfechtung einenVorteil, dann sei die Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB auch nicht unangemessen.15 BGH NJW 1986, 1348, 1349; Staudinger/Dilcher, § 119 Rn. 94; Larenz, AT, § 20 III16 Medicus, BG Rn 162; Flume, § 24, 4; ders. JZ 1991, 633, 634© Dr. W. Nolden Seite 22


Bürgerliches RechtBGB AT1. Fall: Der Bauch - Weg – TrainerHerr K schlendert in seiner Mittagspause durch die Stadt. Im Schaufenster einesSportwarengeschäfts entdeckt er ein Sonderangebot, "Mini - Fit", das Fitnessstudiofür das Wohnzimmer, zu einem Preis von 1.000 ,- €. Herr K betritt das Geschäft <strong>und</strong>erhält auf Nachfrage vom Geschäftsinhaber V ein Bestellformular <strong>und</strong> ausführlichesInformationsmaterial über das Studio. Im Büro angekommen, legt er die Broschüren<strong>und</strong> das Bestellformular auf seinen Schreibtisch. Seine eifrige Sekretärin sieht dasBestellformular <strong>und</strong> glaubt Herr K sei bereits zum Kauf entschlossen <strong>und</strong> habe ihrdas Ausfüllen übertragen. Zusammen mit der anderen Ausgangspost bringt sie dasausgefüllte Formular zur Unterschrift zu Herrn K. Herr K unterschreibt versehentlichdas Bestellformular in dem Glauben es handele sich um Glückwunschgrüße für einenFre<strong>und</strong>. Die Sekretärin wirft den Brief noch am gleichen Abend gegen 21.00Uhr im Hausbriefkasten des Geschäfts ein, um den Wunsch von Herrn K nachsportlicher Betätigung möglichst schnell zu erfüllen. Zufälligerweise ist der Geschäftsinhabernoch im Geschäft <strong>und</strong> liest die Bestellkarte. Üblicherweise wird ansonstenmorgens um 9.00 Uhr die Post kontrolliert. Am nächsten Morgen entdecktK <strong>bei</strong>m Durchblättern des Informationsmaterials, dass die Bestellkarte fehlt. AufNachfrage <strong>bei</strong> S erfährt er was passiert ist. Erschrocken ruft er gegen 11.00 Uhr indem Geschäft an. Geschäftsinhaber V erwidert, dass er die Geräte bereits habeverpacken lassen <strong>und</strong> an dem Vertrag festhalten möchte. K erklärt die Verwechslung<strong>und</strong> führt aus, dass er sich daher nicht an den Vertrag geb<strong>und</strong>en sehe,schließlich habe er mit diesem Gespräch seine Erklärung widerrufen.1. Kann V von K Kaufpreiszahlung in Höhe von 1.000,- € verlangen?2. Kann V von K zumindest Erstattung der Verpackungs- <strong>und</strong> Versendungskostenin Höhe von 100,- € verlangen?Abwandlung:Nach Durchsicht des Informationsmaterials hat K sich nur zum Kauf eines Bauch-Weg-Trainers für 300,- € entschieden. Einmal entschlossen, möchte K das Gerätauch möglichst schnell in Gebrauch nehmen. Daher schickt er seinen 15-jährigenSohn S in das Sportgeschäft, mit der Anweisung, dem V seine Bestellung auszurichten.Im Laden angekommen erklärt S, verwirrt von der Vielzahl der Geräte, versehentlich,sein Vater wolle das Supersparangebot, 1.000,- € für Mini-Fit, kaufen. Vist hoch erfreut, verpackt <strong>und</strong> versendet die Geräte. Als K von dem Missgeschickseines Sohnes erfährt, ist er entsetzt <strong>und</strong> erklärt V, dass er das Geschäft anfechtenwill.1. Kann V von K Kaufpreiszahlung in Höhe von 1.000,- € verlangen?2. Kann V zumindest Erstattung der Verpackungs- <strong>und</strong> Versendungskosten in Höhevon € 100,- verlangen?© Dr. W. Nolden Seite 41


Bürgerliches RechtBGB ATGliederung 1. Fall : Der Bauch-Weg- TrainerAusgangsfallFrage 1Anspruch des V gegen K auf Zahlung von 1000,-- € aus § 433 II BGBI. Wirksamer Kaufvertrag zwischen V <strong>und</strong> K1. Angebota) Angebot des V durch Aufstellen der Geräte im Schaufensterb) Angebot des V durch Beratungsgesprächc) Angebot des Kaa) Äußerer Erklärungstatbestand der WE(1) Handlungswille(2) Rechtsbindungswille(3) Geschäftswillebb) Innerer Erklärungstatbestand(1) Handlungsbewusstsein(2) Erklärungsbewusstsein(a) Willens- oder Bewusstseinstheorie(b) Zurechenbarkeitstheorie(c) Erklärungs- oder Vertrauenstheorie(d) Stellungnahme(3) Geschäftsbewusstseincc) Wirksamkeit des Angebotes des K(1) Abgabe der WE(2) Zugang der WE(3) Widerruf, § 130 I 2 BGB2. Annahme des Angebotes durch Va) Abgabeb) Zugang, § 151 S. 1 BGB3. Ergebnis© Dr. W. Nolden Seite 42


Bürgerliches RechtBGB ATII. Anspruch erloschen gemäß § 142 I BGB1. Wirksame Anfechtung der WE gemäß § 119 I 2. Alt. BGBa) Zulässigkeitb) Anfechtungsgr<strong>und</strong>c) Kausalität des Irrtumsd) Anfechtungserklärung, § 143 I BGBe) Richtiger Anfechtungsgegner, § 143 II BGBf) Anfechtungsfrist, § 121 BGBg) Kein Ausschluss der Anfechtung, § 144 BGB2. Rechtsfolge3. ErgebnisFrage 2Anspruch des V gegen K auf Ersatz der Versandkosten aus § 122 I BGBI. Wirksame Anfechtung des Rechtsgeschäftes durch KII. RechtsfolgeAbwandlung1. FrageAnspruch des V gegen K auf Zahlung von 1.000,-- € aus § 433 II BGBA. Anspruch entstandenI. Angebot des K1. Persönlich2. Angebot des K durch Vermittlung des S <strong>und</strong> Zurechnung an Ka) Problem Abgrenzung Bote/Stellvertreterb) Abgabe <strong>und</strong> ZugangII. Annahme durch VB. Anspruch untergegangen gemäß §§ 142 I, 120 BGBI. Zulässigkeit der AnfechtungII. Anfechtungsgr<strong>und</strong>III. KausalitätIV. Anfechtungserklärung, Frist, GegnerV. RechtsfolgeVI. ErgebnisFrage 2 siehe oben© Dr. W. Nolden Seite 43


Bürgerliches RechtBGB ATLösung: Der Bauch-Weg-TrainerÜbersichten:Abstraktionsprinzip = Trennungsprinzip 7<strong>Anspruchsarten</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Prüfungsreihenfolge</strong> 3Die Anspruchsprüfung 4Allgemeines zum Vertrag 8Das Rechtsgeschäft 6Prüfungsschema für das Zustandekommen von Verträgen 15Der Vertragsschluss 13Die Willenserklärung 9Erfordernis eines Erklärungsbewusstseins 14für eine WillenserklärungDas Wirksamwerden der empfangsbedürftigen 12WillenserklärungAnfechtung einer Willenserklärung 19Zugang <strong>und</strong> Übermittlungsrisiko <strong>bei</strong> Mittelspersonen 22Der Widerruf einer Erklärung 18Das kaufmännisches Bestätigungsschreiben 171. Frage:Anspruch des V gegen K auf Zahlung von 1000,-- € aus § 433 II BGBV könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von € 1.000,- gem.§ 433 II BGB haben.[Zur allgemeinen Einführung:vgl. Übersichten: Das Abstraktionsprinzip = Trennungsprinzip (7)<strong>Anspruchsarten</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Prüfungsreihenfolge</strong> (3)Die Anspruchsprüfung (4)]A. Entstehen des AnspruchsI. Wirksamer KaufvertragEin Kaufpreiszahlungsanspruch des V aus § 433 II BGB setzt voraus, dass zwischenV <strong>und</strong> K ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen worden ist.Ein Vertrag ist die von zwei oder mehreren Personen erklärte Willensübereinstimmungüber die Her<strong>bei</strong>führung eines bestimmten rechtlichenErfolges 37 .(vgl. Übersichten: Allgemeines zum Vertrag (8)Das Rechtsgeschäft (6)Prüfungsschema für das Zustandekommen von Verträgen(15))Es müssen also Angebot <strong>und</strong> Annahme vorliegen. Fraglich ist, worin diese hierzu sehen sind.(vgl. Übersicht 13: Der Vertragsschluss)1. Angebot des VEs müsste ein Antrag gem. § 145 BGB vorliegen.37 Palandt, Einf v§ 145, Rn. 1© Dr. W. Nolden Seite 44


Bürgerliches RechtBGB ATEin Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (WE),durch die einem anderen die Begründung eines Vertrages so angetragenwird, dass das Zustandekommen des Vertrages nur noch vondessen Einverständnis ohne Änderungen <strong>und</strong> Zusätze abhängt 38 .Das Angebot muss die wesentlichen Vertragsbestandteile enthalten - essentialianegotii - die Vertragsparteien, den Kaufgegenstand <strong>und</strong> denKaufpreis.a) Angebot des V durch Aufstellen der Geräte im SchaufensterV könnte eine Angebotserklärung gemacht haben, als er das FitnessstudioMini-Fit zum Sonderpreis von 1.000,- € im Schaufenster ausgestellthat.Es müssten die Voraussetzungen einer Willenserklärung gegeben sein,also äußerer <strong>und</strong> innerer Erklärungstatbestand.(vgl. Übersicht 9: Die Willenserklärung)Der äußere Erklärungstatbestand einer Willenserklärung muss auf einenRechtsbindungswillen <strong>bei</strong>m Erklärenden schließen lassen 39 .Ob V mit dem Ausstellen des Gerätes erklärt hat, dass er mit jedemK<strong>und</strong>en, der die Annahme erklärt, einen Kaufvertrag abschließen will,erscheint fraglich.Ob eine Willenserklärung vorliegt oder nur ein Verhalten gegeben ist,das der Vertragsanbahnung dient, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln,§§ 133, 157 BGB analog 40 .[Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind gr<strong>und</strong>sätzlich aus der Sicht des Empfängersauszulegen. Es ist zu ermitteln, wie ein sorgfältiger objektiver Empfänger dieErklärung auffassen konnte. Auslegung vom Empfängerhorizont].Für einen sorgfältigen objektiven Empfänger ist deutlich, dass derjenige,der auf seine Warenangebote durch Schaufensterauslagen oderZeitungsinserate aufmerksam macht, noch nicht zum Ausdruck bringt,dass er mit jedem K<strong>und</strong>en, der bereit ist, die ausgestellte Ware zu erwerben,einen Kaufvertrag abschließen will. Der K<strong>und</strong>e weiß, dass derUnternehmer sich noch nicht endgültig binden will, weil sein Vorratmöglicherweise nicht reicht oder gegen einzelne K<strong>und</strong>en Bedenken bestehen41 . Daher gibt der Geschäftsinhaber mit der Auslage im Fenstermangels Rechtsbindungswillens keine Willenserklärung ab, sondernfordert den interessierten K<strong>und</strong>en auf, seinerseits ein Angebot auf Abschlusseines Kaufvertrages zu machen - invitatio ad offerendum.Im Ausstellen des Mini-Fit im Schaufenster liegt also kein Rechtsbindungswilledes V, so dass es am äußeren Tatbestand einer Willenserklärungfehlt.In der Schaufensterauslage ist daher keine Angebotserklärung zu sehen.38 Palandt, § 145, Rn. 139 Palandt, Einf v§ 116, Rn. 140 Palandt, § 145, Rn. 241 Palandt, § 145, Rn. 2© Dr. W. Nolden Seite 45


Bürgerliches RechtBGB AT[Sonderformen von Angeboten:1. ad incertas personas: Das Aufstellen eines Automaten ist ein Angebot an jedermann.Es wird durch Einwerfen der richtigen Münze angenommen 42 .2. Beim Geldautomaten der Kreditinstitute richtet sich das Angebot nur an Berechtigte43 .3. Str.! Die Auslage im Selbstbedienungsladen ist eine Aufforderung zur Abgabevon Angeboten. Angebot ist die Vorlage der Ware an der Kasse, Annahme dieFeststellung des Rechnungsbetrages 44 . Die Gegenansicht geht davon aus, dassdas Auslegen der Ware bereits ein verbindliches Angebot ist, die Annahme erfolgemit dem Vorlegen an der Kasse 45 .4. Str.! Bei Selbstbedienungstankstellen ist die betriebsbereite Zapfsäule das Angebot<strong>und</strong> die Selbstbedienung die Annahme 46 . Die Gegenansicht sieht den Einfüllvorgangals Angebot <strong>und</strong> in dem Zulassen der Selbstbedienung die Annahme47 .]b) Angebot des V durch BeratungsgesprächEin Angebot des V könnte in dem Beratungsgespräch zu sehen sein.Aber auch das ist abzulehnen, weil <strong>bei</strong> einem Beratungsgespräch nichtauf einen Willen zu einer rechtlichen Bindung geschlossen werdenkann.Festzuhalten ist damit, dass weder im Aufstellen der Geräte noch imBeratungsgespräch ein Angebot des V zu sehen ist.[Da im Ergebnis der Rechtsbindungswille damit verneint wurde, brauchte auf den Handlungswillen nichteingegangen werden.]c) Angebot des KK hat die Bestellkarte zwar nicht ausgefüllt, jedoch unterschrieben.Hierin könnte eine Angebotserklärung liegen.Es muss der Tatbestand einer Willenserklärung, d.h. äußerer <strong>und</strong> innererErklärungstatbestand, gegeben sein.aa) Äußerer Erklärungstatbestand der WEDie WE ist eine auf Rechtsfolgen gerichtete private Erklärungdes Willens.Der äußere Erklärungstatbestand besteht aus drei Komponenten.Die Erklärung des Anbietenden muss den Schluss auf einen Handlungswillen,einen Rechtsbindungswillen <strong>und</strong> einen bestimmten Geschäftswillenzulassen.(1) HandlungswilleK handelte <strong>bei</strong>m Unterschreiben der Karte erkennbar willensgesteuert.[Anders wäre es z.B., wenn K erkennbar volltrunken gewesen wäre.]42 Larenz, AT, § 27 I a43 BGH NJW 88, 98144 Staudinger-Dilcher, § 145, 2 a 445 MünchKom, § 145, Rn. 846 Palandt, § 145, Rn. 847 OLG Düsseldorf, JR 82, 343© Dr. W. Nolden Seite 46


Bürgerliches RechtBGB AT(2) RechtsbindungswilleZudem erfüllt die Erklärung dann den objektiven Tatbestandeiner Willenserklärung, wenn sie für den sorgfältigenEmpfänger die Bedeutung hat, dass sich der Erklärenderechtlich binden will.[(Exkurs: Gefälligkeitsverhältnis/Gefälligkeitsvertrag vgl.Übersicht 16)Exkurs: Angebot „freibleibend“Ob im Falle eines Angebots mit dem Zusatz „freibleibend“ ein Rechtsbindungswillengegeben ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Hier<strong>bei</strong> ergebensich zwei Auslegungsmöglichkeiten:1. verbindliches Angebot unter WiderrufsvorbehaltStrittig ist da<strong>bei</strong>, ob der Widerrufsvorbehalt bis zum Zugang der Annahmeerklärungbesteht 48 oder ob noch unverzüglich nach Zugang derAnnahmeerklärung ein Widerrufsrecht möglich ist 492. invitatio ad offerendum]Ein objektiver Empfänger der Karte muss davon ausgehen, Kwolle dieses Studio kaufen. Die ausgefüllte Karte lässt also aufeinen Rechtsbindungswillen des K schließen.(3) GeschäftswilleMit dem Angebot zum Abschluss eines Vertrages muss der Anbietendezum Ausdruck bringen, welcher Vertragstypus mitwelchem Inhalt zustande kommen soll.Die Bestellkarte enthält die wesentlichen Vertragsbestandteile,den Kaufgegenstand, das Mini-Fit-Studio, den Kaufpreis, 1.000,- €, die Vertragsparteien, K <strong>und</strong> Geschäftsinhaber V. Damit istals Geschäftswille ein Kaufvertrag erkennbar.Der äußere Tatbestand einer Willenserklärung liegt somit vor.bb) Innerer ErklärungstatbestandDer innere Erklärungstatbestand wird unterteilt in Handlungswille,Erklärungsbewusstsein <strong>und</strong> Geschäftswille 50 .(1) HandlungswilleHandlungswille ist das Bewusstsein überhaupt eine Willensäußerungvon sich zu geben 51 . Der Erklärende hat dasBewusstsein zu handeln.[Wurde die Erklärung nicht willensgesteuert oder überhaupt nicht abgegeben, so liegt keine Willenserklärungvor (z.B. Schlaf, Hypnose).]48 Palandt, § 145 Rn. 449 Lanrenz, AT, § 27 I c; Erman/Hefermehl, § 145 Rn 15, 1650 Palandt, Einf v § 116, Rn. 151 Palandt, Einf v § 116, Rn. 1© Dr. W. Nolden Seite 47


Bürgerliches RechtBGB ATK unterschreibt die Bestellkarte in dem Glauben, es handelesich um eine Glückwunschkarte. Er handelt also in dem Bewusstseineine Erklärung abzugeben. K verfügte damit über einenHandlungswillen.(2) ErklärungsbewusstseinUnter Erklärungsbewusstsein versteht man das Bewusstseinüberhaupt eine rechtlich erhebliche Erklärung abzugeben52 .Der Erklärende ist sich bewusst, dass sein Verhalten als rechtsgeschäftlicheErklärung aufgefasst werden kann.K hat die Bestellkarte versehentlich unterschrieben. Er ging davonaus, dass es sich <strong>bei</strong> der Karte um einen Glückwunschgrußan seinen Fre<strong>und</strong> handelt. Ihm fehlte also das Bewusstsein einerechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben.Ob <strong>bei</strong> fehlendem Erklärungsbewusstsein der Tatbestand einerWillenserklärung gegeben ist, ist umstritten.(vgl. Übersicht 14: Erfordernis eines Erklärungsbewusstseinsfür eine Willenserklärung)(a) Willens- oder BewusstseinstheorieDie Willenstheorie (oder Bewusstseinstheorie) hält dentatsächlichen subjektiven Willen für entscheidend. Sie gehtdavon aus, dass das Fehlen des Erklärungsbewusstseinsdie Wirksamkeit der Willenserklärung gr<strong>und</strong>sätzlich ausschließt53 .(b) Erklärungs- oder VertrauenstheorieNach der Erklärungs- oder Vertrauenstheorie (h.M) istdarauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger das Verhaltendes anderen nach Treu <strong>und</strong> Glauben deuten durfte<strong>und</strong> ob der Erklärende <strong>bei</strong> pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennenkönnen, dass er etwas rechtserhebliches erklärt. ImInteresse des Vertrauensschutzes ist die Berufung auf dasFehlen eines Erklärungsbewusstseins nicht gestattet 54 . Allerdingsist diese Willenserklärung dann wie die mit fehlendemoder abweichendem Geschäftswillen geäußerte Erklärunggem. § 119 I BGB anfechtbar.(c) StellungnahmeDie Willenstheorie berücksichtigt, dass die Annahme, eineohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Erklärung sei eineWillenserklärung, die Privatautonomie verletzten wür-52 Palandt, Einf v § 116, Rn. 153 OLG Düsseldorf, OLLGZ 1982, 241; RGZ 68, 323, 324; Eisenhardt, AT, Rz. 71 f; Canaris, NJW 74, 528; 84,2281; Thiele, JZ 1969, 40754 BAG NJW 1971, 1422; Flume, § 20, 3, § 23, 1; Brehmer, JuS 1986, 440, 443 f.; Palandt, Einf v § 116, Rn. 2© Dr. W. Nolden Seite 48


Bürgerliches RechtBGB ATde. Wenn jemand überhaupt nicht rechtsgeschäftlich tätigwerden will, darf das Verhalten nicht als Willenserklärunggewertet werden. § 118 BGB ordnet für den einzigen gesetzlichgeregelten Fall fehlenden Erklärungsbewusstseinsdie Nichtigkeit an. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass <strong>bei</strong>fehlendem Erklärungsbewusstsein sogar derjenige, der bewusstden äußeren Erklärungstatbestand einer Willenserklärungsetzt, eine von vornherein unwirksame Erklärungabgebe. Erst recht muss eine ohne Erklärungsbewusstseinabgegebene Erklärung unwirksam sein, wenn der äußereErklärungstatbestand unbewusst gesetzt wurde 55 . Zudemgenügt zum Schutz des Interesses des redlichen Erklärungsempfängersein Anspruch aus § 122 BGB analog oder§§ 311 II, 280 III, 282 BGB. Allerdings ist die in § 118 BGBgeregelte Situation mit der des fehlenden Erklärungsbewusstseinsnicht vergleichbar. Im Fall des § 118 BGB hatder Erklärende im Unterschied zum fehlenden Erklärungsbewusstseindie Nichtgeltung der Erklärung bewusst gewollt.Außerdem wird hier der Schutz des Rechtsverkehrszu sehr in den Hintergr<strong>und</strong> gestellt.Fraglich ist allerdings, ob es mit der Erklärungstheorie ausdem Gesichtspunkt eines absoluten Vertrauensschutzes erforderlichist, allein auf den Empfängerhorizont abzustellen.Hier würde man es im Ergebnis <strong>bei</strong> der Feststellung einesRechtsbindungswillens belassen <strong>und</strong> allein auf den äußerenErklärungstatbestand abstellen, also darauf, ob das Erklärungszeichenvom Empfänger als rechtserheblich verstandenwurde.Andererseits ist die Zurechnung einer ohne Erklärungsbewusstseinabgegebenen Erklärung gerechtfertigt, weil sichjeder so ausdrücken muss, dass der andere ihn richtig verstehenkann.Diese Erklärungstheorie jedoch stellt den Vertrauensschutzin den Vordergr<strong>und</strong>. Dieses Risiko des Verstehens alsrechtserheblich darf dem Erklärenden nur aufgebürdet werden,wenn er selbst mit der Deutung seines Verhaltens alsWillenserklärung rechnen konnte. Der Vertrauensschutzmuss dort ein Korrektiv finden, wo derjenige, welcher dasErklärungszeichen setzt, selbst <strong>bei</strong> Anstrengung der imVerkehr erforderlichen Sorgfalt nicht hätte erkennen können,dass er ein Zeichen setzt, welches der Rechtsverkehrals rechtserheblich versteht. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines gerechtenAusgleiches zwischen der Privatautonomie <strong>und</strong>dem sicherlich gebotenen Vertrauensschutz vermag dieh.M. zu überzeugen, welche darauf abstellt, ob der Erklärendehätte erkennen können, dass sein Erklärungszeichenim Rechtsverkehr als rechtserheblich verstanden wird. DemGerichtspunkt der Privatautonomie wird dadurch hinrei-55 Canaris NJW 1984, 2281; Palandt, Einf v § 116, Rn. 2© Dr. W. Nolden Seite 49


Bürgerliches RechtBGB ATchend Rechnung getragen, dass die Möglichkeit der Anfechtungbesteht.Da <strong>bei</strong> dem Empfänger die gerechtfertigte Zuversicht bestand,ihm gegenüber sei eine Bestellung abgegeben, Kandererseits hätte erkennen können, dass sich zwischenseiner Geschäftspost auch rechtserhebliche Schriftstückebefinden, wird K seine Erklärung als Willenserklärung zugerechnet.In dem ausgefüllten Bestellschein ist somit ein Angebotzu sehen.(3) GeschäftswilleGeschäftswille liegt vor, wenn der Erklärende sich bewusstist, welchen rechtlich verbindlichen Geschäftsinhalt er zumAusdruck bringt.Liegt Erklärungsbewusstsein vor, so ist immer auch Geschäftsbewusstseingegeben. Nur die konkret erklärte Rechtsfolgekann vom inneren Geschäftswillen abweichen, dann ist Anfechtbarkeitgegeben.Ein Geschäftswille des K fehlt. Dies ändert jedoch nichts amVorliegen einer Willenserklärung, sondern gibt nur die Möglichkeitder Anfechtung.Ein Angebot des K liegt somit vor.cc) Wirksamkeit des Angebotes des KDas Angebot des K müsste auch wirksam geworden sein.Das Gesetz unterscheidet zwischen empfangsbedürftigen <strong>und</strong> nicht empfangsbedürftigenWE, §130 I 1 BGB. Nicht empfangsbedürftig sind z.B. dasTestament, § 2247 BGB, <strong>und</strong> die Auslobung, § 657 BGB. Solche WE werdenwirksam allein durch Entäußerung, also mit Abgabe.(vgl. Übersicht 12: Das Wirksamwerden der empfangsbedürftigenWillenserklärung)Bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung reicht es für dieAbgabe nicht aus, dass der Erklärende sich der Erklärung entäußert.Erforderlich ist vielmehr Abgabe der Willenserklärung durch K<strong>und</strong> Zugang <strong>bei</strong> V.(1) AbgabeDie Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärungliegt vor, wenn die Erklärung vom Erklärenden willentlichso in den Verkehr gebracht wird, dass ohne weiteres Zut<strong>und</strong>er Zugang der Erklärung eintreten kann 56 .[Unter Anwesenden geschieht die Abgabe durch verständliche Äußerung oder Übergabe einesSchriftstücks. Für die fernmündliche Abgabe gilt, § 147 I 2 BGB.]Unter Abwesenden kann die Abgabe z.B. durch Briefe erfolgen.56 Palandt, § 130, Rn. 4© Dr. W. Nolden Seite 50


Bürgerliches RechtBGB AT[Wird die Erklärung gegenüber einer Mittelsperson abgegeben, dann ist zwischendem Empfangsvertreter, dem Empfangsboten <strong>und</strong> dem Erklärungsbotenzu differenzieren.(vgl. hierzu Übersicht 22: Zugang <strong>und</strong> Übermittlungsrisiko <strong>bei</strong> Mittelspersonen)Während <strong>bei</strong>m Empfangsvertreter die Willenserklärung dem Empfänger bereitsmit Zugang <strong>bei</strong>m Empfangsvertreter zugeht, geht die Willenserklärung<strong>bei</strong>m Empfangsboten erst in dem Zeitpunkt zu, zu dem regelmäßig die Weitergabean den Erklärungsempfänger zu erwarten ist. Beim Erklärungsbotenist sogar die Übermittlung an den Erklärungsempfänger nötig.]Bei einem Brief erfolgt die Abgabe mit Fertigstellen des Briefes<strong>und</strong> Einwurf in den Postkasten.[Gerade keine willentliche Entäußerung liegt <strong>bei</strong> der sog. abhanden gekommenenWillenserklärung vor, z.B. der zum nochmaligen Überdenken aufdem Schreibtisch liegengelassene Brief wird von einem Dritten eingeworfen.]Mit dem Einwerfen des Briefes in den Hausbriefkasten des Vgilt die Erklärung als abgegeben.(2) ZugangGem. § 130 I 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebeneWillenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie demEmpfänger zugeht. § 130 I 1 BGB setzt also den Zugang einerWillenserklärung zumindest unter Abwesenden als Wirksamkeitserfordernisvoraus.Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie so in denMachtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unternormalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhaltder Erklärung Kenntnis zu nehmen 57 .[Die gesetzliche Definition erfasst den Zugang unter Abwesenden. DerZugang unter Anwesenden ist gesetzlich nicht geregelt. Hier ist derGr<strong>und</strong>gedanke des § 130 BGB zu berücksichtigen 58 .Nach der Wahrnehmungs- oder eingeschränkten Vernehmungstheorie 59muss die Wahrnehmung durch den Erklärungsempfänger erfolgen; der Erklärendemuss davon ausgehen dürfen, dass der Empfänger die WE richtigverstanden hat. Nach der Vernehmungstheorie 60 ist richtiges VerstehenZugangsvoraussetzung.]Der Brief könnte V zugegangen sein, als die Sekretärin des Kihn abends um 21.00 Uhr in den Hausbriefkasten des V wirft<strong>und</strong> dieser ihn auch am gleichen Abend noch liest.Der Zugang tritt aber erst dann ein, wenn nach dem regelmäßigenVerlauf der Dinge mit der Kenntnisnahme durch den Empfängerzu rechnen ist 61 . Der Einwurf in den Briefkasten bewirktden Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit dernächsten Entnahme zu rechnen ist. Der während des späten57 RGZ 144, 292L; BGHZ 67, 275; Palandt, § 130, Rn. 558 Palandt, § 130, Rn. 1359 h.M. Larenz, AT, § 21 II c; Palandt-Heinrichs, § 130 Rn. 1460 Staudinger-Dilcher, § 130 Rn 1461 Palandt, § 130, Rn. 5© Dr. W. Nolden Seite 51


Bürgerliches RechtBGB ATAbends oder <strong>bei</strong> Nacht eingeworfene Brief geht daher erst amnächsten Morgen mit Wiederbeginn der Geschäftsst<strong>und</strong>e <strong>und</strong>dem Zeitpunkt der gewöhnlichen Leerung des Briefkastenszu 62 .Abends um 21.00 Uhr konnte nach den normalen Umständennicht mehr mit einer Kenntnisnahme von der Karte durch V gerechnetwerden. Der Brief ist erst am nächsten Morgen <strong>und</strong>zwar zu dem Zeitpunkt zugegangen, in dem V üblicherweise diePost holt (9.00 Uhr). Unerheblich ist also, dass V den Brief nocham Abend gelesen hat.Das Angebot des K ist am nächsten Tag zugegangen.[Bei einer Zugangsverweigerung kann der Zugang fingiert werden (Gedankeaus §§ 162, 815 BGB). Der Absender hat allerdings trotzdem für einen,wenn auch nunmehr verspäteten Zugang zu sorgen. Hiervon macht BGHNJW 1983, 929, 930 eine Ausnahme: So ist kein neuer Zustellungsversucherforderlich, wenn jemand innerhalb bestehender Rechtsbeziehungen ausdrücklich<strong>und</strong> gr<strong>und</strong>los die Annahme von Einschreibebriefen ablehnt.](3) Widerruf, § 130 I 2 BGBDie Angebotserklärung des K ist dennoch unwirksam, wenndem V vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugegangen ist,§ 130 I 2 BGB.K hat am nächsten Morgen um 11.00 Uhr im Geschäft des Vangerufen <strong>und</strong> sein Angebot widerrufen. Der Widerruf erfolgtealso, nachdem die Angebotserklärung dem V zugegangen war,sie ist daher nicht mehr rechtzeitig gem. § 130 I 2 BGB erfolgt.Der Widerruf hat nicht die Unwirksamkeit der Willenserklärungdes K gem. § 130 I 2 BGB zur Folge.Exkurs: Was wäre, wenn K den Widerruf noch am gleichen Abend, abernachdem V die Angebotserklärung gelesen hat, in den Briefkasten geworfenhätte?Beide Willenserklärungen wären am nächsten Morgen, dann, wenn nachden normalen Umständen mit der Kenntnisnahme durch V zu rechnen war,zugegangen. Der Widerruf wäre dann noch rechtzeitig gewesen, denn er istgleichzeitig mit der Angebotserklärung zugegangen, § 130 I 2, 2. Fall BGB.Nach dem Wortlaut des § 130 I 2 BGB ist allein auf den Zeitpunkt des Zugangs<strong>und</strong> nicht auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme abzustellen.]Die Angebotserklärung des K ist also wirksam geworden.2. Annahme des Angebotes durch Va) AbgabeAuch für die Annahme ist gr<strong>und</strong>sätzlich die Abgabe der Willenserklärung<strong>und</strong> deren Zugang erforderlich.Die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung,durch die der Antragsempfänger dem Antragenden sein Ein-62 RGZ 142, 407© Dr. W. Nolden Seite 52


Bürgerliches RechtBGB ATverständnis mit dem angebotenen Vertragsschluss zu verstehengibt 63 .Eine ausdrückliche Erklärung des V gegenüber K, er nehme denAntrag an, liegt nicht vor.V hat aber nachdem er die Bestellkarte erhalten hat, bereits die fürK bestimmten Geräte verpackt <strong>und</strong> versendet.Aus diesem Verhalten könnte auf die Abgabe einer Annahme seitensdes V geschlossen werden.[Die Annahme braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sie kann auch durchschlüssiges Verhalten geschehen 64 , so etwa durch Bewirken der Leistung oderdurch Entgegennahme der angebotenen Leistung 65 .]In dem Verpacken <strong>und</strong> Versenden der Geräte ist auf eine Annahmeseitens des V zu schließen.Eine Annahmeerklärung liegt vor.b) ZugangDie Annahmeerklärung bedarf für <strong>ihre</strong> Wirksamkeit aber auch desZugangs <strong>bei</strong> V. Problematisch könnte hier sein, dass K keineKenntnis von der Annahme des V genommen hat.§ 151 Satz 1 BGB macht eine Ausnahme von dem Zugangserfordernis.Gem. § 151 Satz 1 BGB muss die Annahme dem Erklärendengegenüber nicht erklärt werden, wenn eine solche Erklärungnach der Verkehrssitte nicht zu erwarten war. Vielmehr reicht gem.§ 151 Satz 1 BGB eine Handlung aus, aus der der Annahmewillenach außen deutlich hervorgeht 66 . Nach § 151 Satz 1 BGB ist alsolediglich der Zugang entbehrlich, nicht aber die Annahmeerklärungselbst.Fraglich ist also, ob hier nach der Verkehrssitte eine Annahmeerklärungdes V nicht zu erwarten war.Auf ein Bestellformular hin werden Waren in der Regel ohne weitereErklärung dem Besteller gegenüber versendet 67 . Nach der Verkehrssittekonnte K daher eine ausdrückliche Annahmeerklärungihm gegenüber nicht erwarten. Eine Handlung des V aus der seinAnnahmewille nach außen deutlich hervorgeht, liegt im Verpacken<strong>und</strong> Versenden des Mini-Fit-Studios.Gem. § 151 Satz 1 BGB kommt der Vertrag zwischen V <strong>und</strong> K zustande,ohne dass die Annahme dem K gegenüber erklärt werdenmüsste.[Beachte: Bei § 151 Satz 1 BGB liegt die Betonung auf „gegenüber“, d.h. es wirdlediglich auf den Zugang der Annahme verzichtet. § 151 BGB hat nichts mitSchweigen zu tun 68 .]63 Brox, AT, Rn. 18264 Palandt, § 148, Rn. 265 RGZ 129, 113; BGH NJW 80, 2246; BGH NJW 63, 124866 Brox, AT, Rn. 18767 Palandt, § 151, Rn. 468 Palandt, § 151, Rn. 1© Dr. W. Nolden Seite 53


Bürgerliches RechtBGB ATEs liegt also eine wirksame Annahmeerklärung des V vor.Zwischen V <strong>und</strong> K ist damit ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen.Der Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung in Höhevon 1.000 ,-€ aus § 433 II BGB ist damit wirksam entstanden.[Exkurs: Vertragsschluss <strong>bei</strong> Internet-AuktionenDer § 156 BGB ist nicht anwendbar, da kein Zuschlag erfolgt <strong>und</strong> der Zeitablauf derAuktion nicht mit diesem gleichgesetzt werden kann. Der Kaufvertrag kann nur nachden allgemeinen Vorschriften der § 145 ff BGB zustande kommen.Das Angebot gemäß § 145 BGB erfolgt durch den Anbieter des Artikels „ad incertaspersonas“. Die essentialia negotii sind gegeben: Kaufgegenstand <strong>und</strong> Verkäufer sindklar bestimmt, Kaufpreis <strong>und</strong> Käufer genügen ebenfalls jetzt schon dem Bestimmtheitserfordernis,da zweifelsfrei erkennbar ist, dass ein Vertragsschluss mit demjenigenabgeschlossen werden soll, der <strong>bei</strong> Auktionsende das Höchstgebot abgibt. Bereitsdas Einstellen eines Warenangebotes begründet somit ein verbindliches Angebot(vlg. BGH NJW 2002, 363 ff, mit weiteren Anm. zur gr<strong>und</strong>legenden Fragen des BGBAT). Dies gilt selbst dann, wenn der erzielte Kaufpreis in einem auffälligen Missverhältniszum Wert des Artikels steht (vgl. RÜ 2005, 113).Annahmeerklärung durch das Bieter-Gebot welches durch die Abgabe solange verbindlichist, wie die Auktion andauert. Die Annahme erlischt wenn ein höheres Gebotdurch einen anderen abgegeben wird.Vertragsschluss durch Ablauf der Angebotszeit (Suspensivbedingung, § 158 I BGB)oder mit vorzeitiger Beendigung der Auktion durch den Anbieter, denn die Wirksamkeitdes verbindlichen Angebotes wird durch die nach eBay-Gr<strong>und</strong>sätzen möglichevorzeitige Beendigung nicht berührt. Die Willenserklärung kann der Anbieter nur imWege der Anfechtung beseitigen ( vgl. RÜ 2005, 508).]II. Anspruch erloschen gemäß § 142 I BGBDer Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung in Höhe von € 1.000,- könntedurch Anfechtung nach § 142 I BGB untergegangen sein.1. Wirksame Anfechtung der WE gemäß § 119 I BGBDas setzt voraus, dass K seine Angebotserklärung wirksam angefochtenhat.(vgl. Übersicht 19: Anfechtung einer Willenserklärung)a) Zulässigkeit der AnfechtungGr<strong>und</strong>sätzlich ist jede Willenserklärung nach den §§ 119 ff BGB anfechtbar.[Für geschäftsähnliche Handlungen gelten gr<strong>und</strong>sätzlich die Regeln über die Willenserklärungenentsprechend. Die Anfechtung ist unzulässig, wenn für den Anfechtungsgr<strong>und</strong>eine vorrangige Sonderregelung besteht oder wenn die Willenserklärung ausden Gründen des Verkehrsschutzes nicht anfechtbar ist.]Das Angebot des K ist als Willenserklärung anfechtbar.b) Anfechtungsgr<strong>und</strong>In Betracht kommt eine Anfechtung aus § 119 I BGB wegen Irrtums. Irrtumist das unbewusste Auseinanderfallen von Wille <strong>und</strong> Erklärung.[Immer zu beachten: Auslegung der WE geht vor Anfechtung! War dem Erklärungsempfängerden Umständen nach erkennbar, was der andere erklären wollte,liegt kein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vor. Der Erklärende kann nur dann anfechten,wenn die normative Auslegung zu dem Ergebnis führt, dass die objektive Be-© Dr. W. Nolden Seite 54


Bürgerliches RechtBGB ATdeutung der Erklärung mit dem wirklichen Willen des Erklärenden nicht übereinstimmt69 .]Wie bereits ausgeführt fehlte dem K <strong>bei</strong> Abgabe seiner Angebotserklärungdas Erklärungsbewusstsein. Ihm wird ein Anfechtungsrecht aus§ 119 I BGB zugestanden.Als Anfechtungsgr<strong>und</strong> kommt § 119 I, 2. Fall BGB - Erklärungsirrtum -in Betracht. Der Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins ist vomWortlaut des § 119 I BGB nicht erfasst. Wird aber demjenigen die Möglichkeitder Anfechtung eingeräumt, der etwas anderes erklären wollte,so muss erst Recht derjenige anfechten dürfen, der gar nichts rechtlichErhebliches erklären wollte 70 .Es besteht daher für K die Möglichkeit der Anfechtung nach § 119 I, 2.Fall BGB.[Exkurs: Erklärungsirrtum <strong>bei</strong> Angeboten im Internet1. Ein Erklärungsirrtum gemäß § 119 I 2. Var. BGB ist auch dann anzunehmen,wenn die ursprünglich richtig abgegebene Erklärung (z.B. Kaufpreis) durch einenFehler im Datentransfer verfälscht wird, bevor die Willenserklärung den Bereichdes Erklärenden verlassen hat (vgl. BGH NJW 2005, 97). Außerhalb des Bereichsdes Erklärenden auf dem Weg zum Empfänger liegt ein Erklärungsirrtumnach § 120 BGB vor. Wird die Software hingegen zur Willensbildung eingesetzt<strong>und</strong> unterläuft da<strong>bei</strong> ein Fehler, so ist bereits der Wille nicht korrekt gebildet. EineAnfechtung ist hier nur ausnahmsweise möglich („offener Kalkulationsirrtum“,BGHZ 139, 177; anders der verdeckte Kalkulationsirrtum der als Motivirrtum nichtzur Anfechtung berechtigt, BGH NJW 1998, 3192 ff). (Vgl. zur Abgrenzung desErklärungsirrtums, Rü 2005, 177)2. Beruht die Preisangabe im Internet auf einem Tippfehler auf Verkäuferseite, so istein auf dieser Gr<strong>und</strong>lage eventuell zu Stande gekommener Kaufvertrag jedenfallsanfechtbar. Dem Käufer steht unter Umständen ein Anspruch auf Ersatz außergerichtlicherAnwaltskosten unter dem Gesichtpunkt eines Verschuldens der Verkäufers<strong>bei</strong> Vertragsabschluss aus §§ 311 II, 280 BGB zu (vgl. BGH, NJW 2005,991).3. Die in den eBay-Gr<strong>und</strong>sätzen vorgesehene „Löschung“ der Bieterangebote ermöglichtzwar deren Herausnahme aus dem Text des Internets. Dies lässt jedochdie Wirksamkeit des zuvor abgegebenen Verkaufsangebots unberührt (KG NJW2005, 1053).]c) Kausalität des IrrtumsDer Erklärende kann nur anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er dieWE <strong>bei</strong> Kenntnis <strong>und</strong> verständiger Würdigung des Falles nicht abgegebenhaben würde. Dies ist hier der Fall.d) Anfechtungserklärung, § 143 I BGBEine Anfechtungserklärung könnte in dem „Widerruf“ des K zu sehensein.Eine Anfechtungserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung,die erkennen lässt, dass der Erklärende das Rechtsgeschäftwegen eines Willensmangels nicht gelten lassen will. Der Begriffder Anfechtung muss nicht benutzt werden 71 .Die Erklärung des K ist daher gem. §§ 133, 157 BGB auszulegen.69 Medicus, AT, Rn 74570 Brox, AT, Rn. 13571 Palandt, § 143, Rn. 2© Dr. W. Nolden Seite 55


Bürgerliches RechtBGB ATIn dem Telefongespräch mit V erklärt K unzweideutig, aufgr<strong>und</strong> derVerwechslung mit dem Geschäft nichts mehr zu tun haben zu wollen.Seine Erklärung ist demnach als Anfechtungserklärung gem. § 143 IBGB auszulegen.e) Richtiger Anfechtungsgegner, § 143 II BGBAnfechtungsgegner ist gem. § 143 II BGB <strong>bei</strong> einem Vertrag der andereTeil.Anfechtungsgegner ist also V. Diesem gegenüber hat K auch die Anfechtungerklärt.f) Anfechtungsfrist, § 121 BGBDie Anfechtung im Fall des § 119 I BGB muss ohne schuldhaftes Zögern(unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte vondem Anfechtungsgr<strong>und</strong> Kenntnis erlangt hat, § 121 I 1 BGB.Die Anfechtungserklärung erfolgte unmittelbar nach Erkennen der Verwechslung,also unverzüglich i.S.v. § 121 I BGB.g) Eine Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts gem. § 144BGB kommt nicht in Betracht.2. RechtsfolgeK hat sein Angebot damit wirksam gem. § 119 I 2. Fall BGB angefochten,das Rechtsgeschäft ist gem. § 142 I BGB von Anfang an nichtig.Der Anspruch ist damit untergegangen.3. ErgebnisV hat gegen K keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von1.000,- € aus § 433 II BGB.2. Frage: Kann V zumindest die Verpackungs- <strong>und</strong> Versandkosten in Höhevon 100,- € von K erstattet verlangen?Anspruch des V gegen K auf Ersatz der Verpackungs- <strong>und</strong> Versandkosten inHöhe von 100,00 € aus § 122 I BGBV könnte gegen K einen Erstattungsanspruch in Höhe von 100,- € aus § 122 I BGBhaben.I. Wirksame Anfechtung des Rechtsgeschäftes durch KEin Ersatzanspruch gem. § 122 I BGB setzt voraus, dass eine Willenserklärungnach § 118 BGB nichtig oder auf Gr<strong>und</strong> der §§ 119, 120 BGB angefochtenworden ist.Wie bereits ausgeführt, hat K seine Angebotserklärung wirksam gem. § 119 IBGB angefochten.II. RechtsfolgeGem. § 122 I BGB hat der Anfechtende den Schaden zu ersetzen, den der anderedadurch erlitten hat, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat(Vertrauensschaden), jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welchesder andere an der Gültigkeit der Erklärung hat.© Dr. W. Nolden Seite 56


Bürgerliches RechtBGB AT[Vom Vertrauensschaden (negatives Interesse) ist das Erfüllungsinteresse (positives Interesse)zu unterscheiden. Vertrauensschaden ist der Schaden, den der Geschädigte erleidet, weil erauf die Gültigkeit der Erklärung vertraute. Erfüllungsinteresse ist der Schaden, der <strong>bei</strong> Gültigkeitder Erklärung oder ordentlicher Erfüllung der in ihr versprochenen Leistung vermieden wordenwäre.]Der V hat Verpackungs- <strong>und</strong> Versendungskosten in Höhe von 100,- €, weil erauf die Gültigkeit der Erklärung des K vertraut hat.ErgebnisV hat daher gegen K einen Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 100,- €aus § 122 I BGB.Abwandlung1. Frage:A. Anspruch des V gegen K auf Zahlung von 1,000,-- € aus § 433 II BGBV könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 1.000,- € gem.§ 433 II BGB haben.A. Anspruch entstandenEin Kaufvertrag setzt sich aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen,Antrag <strong>und</strong> Annahme zusammen, §§ 145 ff BGB.I. Angebot des KV <strong>und</strong> K müssten einen wirksamen Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB geschlossenhaben.1. PersönlichK persönlich hat kein Angebot abgegeben.2. Angebot des K durch Vermittlung des S <strong>und</strong> Zurechnung an KS hat im Geschäft des V erklärt, sein Vater wolle das Mini-Fit-Studio für1.000,- € bestellen. Die Erklärung enthält alle wesentlichen Vertragsbestandteile,Kaufgegenstand, Kaufpreis <strong>und</strong> Vertragsparteien <strong>und</strong>könnte daher als Antrag i.S.v. § 145 BGB zu werten sein.Fraglich ist, ob dieses Angebot K zugerechnet werden kann.aa) Problem Abgrenzung Bote/StellvertreterS könnte als Stellvertreter des K gem. § 164 I mit V den Kaufvertraggeschlossen haben oder als Erklärungsbote die Angebotserklärungdes K übermittelt haben.Die Abgrenzung von Vertretung <strong>und</strong> Botenschaft erfolgt alleinnach dem äußeren Auftreten, §§ 133, 157 BGB.Der Vertreter bildet einen eigenen Willen <strong>und</strong> gibt eine eigene Willenserklärungab, § 164 I BGB, wenn auch im Namen eines anderen.Er ist selbst der rechtsgeschäftlich Handelnde 72 .Der Bote überbringt hingegen eine fremde Willenserklärung <strong>und</strong>wiederholt nur das, was ihm aufgetragen wurde. Sein Tun ist tat-72 Palandt, Einf v § 164, Rn. 11© Dr. W. Nolden Seite 57


Bürgerliches RechtBGB ATsächlicher, nicht rechtsgeschäftlicher Natur. Im Gegensatz zumVertreter hat er keinen eigenen Entscheidungsspielraum. Für denBoten gelten die §§ 164 ff BGB nicht 73 .[Demnach liegt Vertretung vor, wenn der Erklärende nach außen so auftritt, dassein objektiver Erklärungsempfänger von einer eigenen Willenserklärung desHandelnden ausgehen muss, insbesondere, wenn das äußere Auftreten auf eineneigenen Entscheidungsspielraum schließen lässt.Bote ist danach derjenige, von dem der Geschäftspartner den Eindruck habenmuss, er nehme eine Übermittlungsfunktion wahr.]Entscheidend ist wie der Handelnde tatsächlich aufgetreten ist.Ob S als Stellvertreter oder als Bote des K anzusehen ist, ist danachzu entscheiden, ob V den S für einen Stellvertreter oder einenErklärungsboten des K halten musste.Es handelte sich hier um den Abschluss eines Kaufvertrages übereinen nach Art <strong>und</strong> Preis genau beschriebenen Kaufgegenstand.Damit hatte S <strong>bei</strong> Abgabe seiner Erklärung keinerlei Handlungsspielraum.Er hatte nur das zu tun, was sein Vater ihm aufgetragenhatte. Dafür spricht auch das Alter des S.[Da der Vertreter einen eigenen Willen bildet, muss er wenigstens beschränkt geschäftsfähigsein, § 165 BGB. Dagegen kann auch der Geschäftsunfähige Botesein 74 .Merke: Ist das Kindchen noch so klein, so kann es doch schon Bote sein.]Dies spricht dafür, den S lediglich als Boten des K <strong>bei</strong> der Übermittlungeines von diesem festgelegten Vertragsangebots anzusehen.S ist Erklärungsbote. Er hat dem V die Angebotserklärung seinesVaters überbracht.b) Abgabe <strong>und</strong> Zugang der Willenserklärung <strong>bei</strong> VDie Angebotserklärung ist abgegeben <strong>und</strong> dem V auch in dem Momentzugegangen, in dem der Erklärungsbote die Erklärung an denErklärungsempfänger übermittelt.(vgl. Blatt 19: Zugang <strong>und</strong> Übermittlungsrisiko <strong>bei</strong> Mittelspersonen)S hat jedoch eine andere als ihm von K aufgetragene Erklärung ü-berbracht. Er hat V ausgerichtet, sein Vater wolle das Mini-Fit-Studio bestellen, da<strong>bei</strong> hat sein Vater ihm aufgetragen, den Bauch-Weg-Trainer zu bestellen.Fraglich ist, mit welchem Inhalt die Erklärung dem V zugegangen ist<strong>und</strong> wer damit das Übermittelungsrisiko trägt.Überbringt der Bote versehentlich eine andere als ihm aufgetrageneErklärung, so wirkt die Erklärung mit dem zugegangenen Inhalt für<strong>und</strong> gegen den Erklärenden. Aus § 120 BGB ergibt sich, dass derErklärende das Übermittlungsrisiko trägt 75 . Die vom Boten inhalt-73 Palandt, Einf v § 164, Rn. 1174 Palandt, Einf v § 164, Rn. 1175 Palandt, § 120, Rn. 1© Dr. W. Nolden Seite 58


Bürgerliches RechtBGB ATlich abgeänderte Erklärung ist wirksam, dem Geschäftsherrn wirdjedoch ein Anfechtungsrecht gem. § 120 BGB zugebilligt.[Exkurs: wissentliche FalschübermittlungKeine Übermittlung i.S.d. § 120 BGB liegt vor, wenn der Bote bewusst eine andereals ihm aufgetragene Erklärung abgibt; diese ist vielmehr ohne Anfechtungfür den Erklärenden unverbindlich. Der vorsätzlich falsch übermittelnde Bote istwie ein vollmachtloser Vertreter zu behandeln. Auftraggeber kann genehmigengem. § 177 BGB, andernfalls haftet der Bote gem. § 179 BGB, unter Umständenauch aus Delikt 76 .]Es liegt somit eine Angebotserklärung des K über ein Mini-Fit-Studio für 1.000,- € vor.II. Annahme durch VEine Annahme seitens des V ist in dem Verpacken <strong>und</strong> Versenden der Warezu sehen. Der Zugang ist wie bereits im Ausgangsfall gem. § 151 S. 1BGB entbehrlich.Zwischen V <strong>und</strong> K ist ein wirksamer Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB zustandegekommen.V hat gegen K einen Kaufpreiszahlungsanspruch i.H.v. 1.000,- € gem. §433 II BGB.B. Anspruch untergegangen gemäß § 142 BGBDer Kaufvertrag könnte jedoch gem. § 142 I BGB von Anfang an nichtig gewesensein, wenn K seine Willenserklärung wirksam angefochten hat.(vgl. Übersicht 19: Anfechtung einer Willenserklärung)I. Zulässigkeit der AnfechtungDie Anfechtung des Vertragsangebotes als Willenserklärung ist ohne weitereszulässig.II. Anfechtungsgr<strong>und</strong>Eine Willenserklärung, die durch die zur Übermittlung verwendete Personunrichtig übermittelt worden ist, kann gem. § 120 BGB ,unter den gleichenVoraussetzungen angefochten werden wie eine nach § 119 BGB irrtümlichabgegebene Erklärung.S ist wie bereits ausgeführt Erklärungsbote des K.S hat sich versehentlich versprochen, die Erklärung also unbewusst falschübermittelt. Hierin liegt ein Erklärungsirrtum i.S.d. § 119 I 2. Alt. BGB.Damit liegt ein Anfechtungsgr<strong>und</strong> gem. § 120 BGB vor.III. KausalitätEs ist anzunehmen, dass K die Willenserklärung (Kaufvertrag eines Fitnessgerätesin Höhe von 1.000 € statt eines Gerätes von 300,- €) <strong>bei</strong>76 Palandt, § 120, Rn. 4© Dr. W. Nolden Seite 59


Bürgerliches RechtBGB ATKenntnis <strong>und</strong> verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben habenwürde.IV. Anfechtungserklärung, -gegner <strong>und</strong> -frist § 143 I, II, 121 I BGBDie Anfechtung erfolgte unverzüglich, nachdem K die Verwechslung bemerkthatte, also fristgerecht <strong>und</strong> gegenüber dem Anfechtungsgegner V.V. RechtsfolgeK hat seine Angebotserklärung wirksam angefochten. Seine Willenserklärungist von Anfang an nichtig gem. § 142 I BGB <strong>und</strong> daher ist auch derKaufvertrag zwischen K <strong>und</strong> V unwirksam.VI. ErgebnisV hat gegen K keinen Kaufpreiszahlungsanspruch in Höhe von 1.000,- €gem. § 433 II BGB.2. Frage: Kann V zumindest die Verpackungs- <strong>und</strong> Versendungskosten in Höhevon 100,- € von K erstattet verlangen?V hat gegen K einen Erstattungsanspruch in Höhe von 100,- € aus § 122 I BGB.Ergänzung:vgl. Übersicht 17: kaufmännisches Bestätigungsschreibenvgl. Übersicht 18: Der Widerruf einer Erklärung© Dr. W. Nolden Seite 60


Bürgerliches RechtBGB ATKontrollfragen zu Fall 1Der Bauch-Weg-Trainer1. Welche zivilrechtlichen Ansprüche sind zu unterscheiden <strong>und</strong> in welcher Reihenfolgeprüft man sie?2. Welche drei Prüfungspunkte muss man <strong>bei</strong> einer Anspruchsprüfung beachten?3. Was ist ein Vertrag?4. Welche Arten von Verträgen unterscheidet man?5. Was ist ein Angebot?6. Was sind die „essentialia negotii“ eines Kaufvertrages?7. Aus welchen Tatbestandsmerkmalen besteht eine Willenserklärung?8. Wie bestimmt man den Rechtsbindungswillen?9. Was ist eine „invitatio ad offerendum“?10. Welche Sonderformen von Angeboten unterscheidet man?11. Was ist der Unterschied zwischen einem Gefälligkeitsvertrag <strong>und</strong> einem Gefälligkeitsverhältnis?12. Was versteht man unter „Angebot freibleibend“?13. Welche Folgen hat das Fehlen des Erklärungsbewusstseins?14. Was ist der Geschäftswille?15. Wann wird ein Angebot wirksam?16. Welche Arten von Willenserklärungen unterscheidet man?17. Wann wird eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam?18. Wann wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam?19. Definieren Sie: Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung!20. Wann ist eine Willenserklärung unter Abwesenden zugegangen?21. Wann ist eine Willenserklärung unter Anwesenden zugegangen?22. Was wissen Sie über die Verhinderung des Zugangs?23. Was wird durch § 151 S. 1 BGB überw<strong>und</strong>en?24. Welcher Gr<strong>und</strong>satz ist vor der Ausübung der Anfechtung zu beachten?25. Welche Anfechtungsgründe kennen Sie?26. Welche Voraussetzungen müssen <strong>bei</strong> einer Anfechtung erfüllt sein?27. Bei welchem Prüfungspunkt ist die Anfechtung zu prüfen <strong>und</strong> welche Rechtsnaturhat sie?28. Wie wird ein Doppelirrtum behandelt?29. Was wissen Sie zum Schadensersatz nach einer Anfechtung?© Dr. W. Nolden Seite 61


Bürgerliches RechtBGB AT30. Was ist der Unterschied zwischen Stellvertretung <strong>und</strong> Botenschaft?31. Welche Mittelspersonen sind <strong>bei</strong> einer Willenserklärung zu unterscheiden <strong>und</strong>wann ist die Erklärung jeweils zugegangen?32. Wer trägt <strong>bei</strong>m Empfangsvertreter, wer <strong>bei</strong>m Empfangsboten <strong>und</strong> wer <strong>bei</strong>mErklärungsboten das Übermittlungsrisiko?33. Welche Bedeutung hat das Schweigen im Rechtsverkehr?34. Welche Voraussetzungen muss ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben erfüllen?35. Kann eine Willenserklärung unter einer Bedingung abgegeben werden?36. Zwischen welchen Arten von Bedingungen kann man unterscheiden?37. Wie wirkt eine aufschiebende Bedingung?38. Was gilt während der Schwebezeit?39. Welche Rechtsgeschäfte sind bedingungsfeindlich?40. Welche Konsequenzen haben die treuwidrige Her<strong>bei</strong>führung einer Bedingungbzw. die Verhinderung <strong>ihre</strong>s Eintritts?41. Was ist eine Befristung?42. Welche Regelungen gelten?43. Nennen sie die Voraussetzungen eines Kaufmännischen Bestätigungsschreibens.44. Wann ist ein Widerruf möglich <strong>und</strong> welche Rechtsfolgen hat er?© Dr. W. Nolden Seite 62

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