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Nahrungsmangel und Hungerkrisen in Äthiopien - Dr. Jasmin Touati

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6Weg jedoch verschlossen se<strong>in</strong>, so vermehren die ehemaligen Nomaden oft das Heerder Arbeitslosen <strong>in</strong> den Städten ( 38 ).Hunger <strong>und</strong> ProtestDie Liste der Proteste, Aufstände <strong>und</strong> bewaffneten Ause<strong>in</strong>andersetzungen gegen dieZentralregierungen <strong>in</strong> <strong>Äthiopien</strong> ist, ebenso wie die sie tragenden Organisationenlang <strong>und</strong> kann <strong>in</strong> diesem Rahmen nicht erschöpfend behandelt werden. Die <strong>in</strong>itialeKraft, die e<strong>in</strong>e Gruppe von Menschen zu e<strong>in</strong>er nationalistischen Bewegung, bzw.e<strong>in</strong>er anderen Befreiungsbewegung verb<strong>in</strong>det ist jedoch, hier schließe ich michder Me<strong>in</strong>ung Markakis' ( 39) an, immer auch materieller Natur. Die politischenKonsequenzen aus dem Bericht über die Ursachen von Hunger werden imSchlußkapitel kurz angesprochen. Die Konflikte am Horn von Afrika als"Hungerproteste" im klassischen europäischen S<strong>in</strong>n zu bezeichnen hieße jedoch,die Relevanz kultureller, psychologischer <strong>und</strong> anderer Faktoren zu negieren <strong>und</strong>würde somit zu kurz greifen.Ist deshalb auch e<strong>in</strong> Beitrag über die <strong>Hungerkrisen</strong> nomadischer Bevölkerungen imKontext der Protestforschung fehl am Platz?Zwei Überlegungen sprechen dagegen: E<strong>in</strong>mal wird der Blick zurückgelenkt auf diedurch menschliches Handeln oder Unterlassen begründeten Ursachen des Hungers <strong>und</strong>die daraus erwachsenden Aufgaben <strong>und</strong> Möglichkeiten, ihn zu bekämpfen - e<strong>in</strong>Zusammenhang, der von der Protestforschung häufig übersehen worden ist. Zumanderen ist die Relevanz, die <strong>Hungerkrisen</strong> für Konflikte <strong>in</strong> <strong>Äthiopien</strong> hatte,augenfällig. Aufstände hatten <strong>in</strong> der Vergangenheit immer auch ihren Gr<strong>und</strong> <strong>in</strong> derunzureichenden Versorgungslage der Akteure ( 40), <strong>und</strong> <strong>Hungerkrisen</strong> wurden sowohlvon Kaiser Haile Selassie als auch von Mengistu Haile Miriam ausmachtpolitischen Gründen <strong>in</strong>strumentalisiert ( 41).Der klassische Hungerprotest <strong>in</strong> Europa hat zwei Adressaten. Neben denunmittelbaren Zielgruppen - den Aufkäufern, Exporteuren, Verarbeitern, Händlernusw. -,die für den Mangel an Nahrungsmitteln <strong>und</strong> hohe Preise verantwortlichgemacht werden, s<strong>in</strong>d es die örtlichen Honoratioren, vor allem aber die lokalenInstanzen der politischen Adm<strong>in</strong>istration, die Krisenverhütung <strong>und</strong> -steuerung alsihre Aufgabe ansehen <strong>und</strong> <strong>in</strong> Nahrungskonflikten an ihre Pflicht er<strong>in</strong>nert werdenkönnen. Die Motive für die Interventionsbereitschaft dieser Personengruppenkönnen vielfältig se<strong>in</strong>: religiöse Überzeugungen, humanitäre Werthaltungen oderpatriarchales Selbstverständnis, die Sorge, daß Unruhen im eigenenVerantwortungsbereich höheren Orts als Versagen im Amt vermerkt werden könnten,die Furcht, daß Brotrevolten sich zu allgeme<strong>in</strong>eren Übergriffen auf das Eigentumausweiten oder daß die verfügbaren Ordnungskräfte nicht ausreichen, um denProtest zu unterdrücken. In der Vielfalt dieser Motive liegt die Chance derProtestierenden, daß ihre Forderungen aus dem e<strong>in</strong>en oder anderen Gr<strong>und</strong>e positivbeantwortet werden. Ist der Staat <strong>in</strong> der Krisenregion nicht existent oder ist esgerade se<strong>in</strong>e Intervention <strong>in</strong> ursprüngliche wirtschaftliche <strong>und</strong> sozialeZusammenhänge gewesen, die die Hungerkrise ausgelöst hat, wie im Ogaden, dannfällt der Staat als Adressat <strong>und</strong> Korrektiv <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em begrenzten Teilkonflikt aus.Besserung ist dann nur von e<strong>in</strong>em Herrschaftswechsel zu erwarten.Der Widerstand der Nomaden richtete sich daher während der ersten beidenDekaden diesen Jahrh<strong>und</strong>erts direkt gegen die Kolonialmächte. Die Derwish-Bewegung (1899-1920) war unter den somalischen Nomaden e<strong>in</strong>e mächtige politischeBewegung, deren Motivation <strong>und</strong> Legitimität ihren Ausdruck <strong>in</strong> der religiösenIdeologie fand. Gegründet <strong>und</strong> angeführt wurde der Aufstand gegen dieeuropäischen <strong>und</strong> äthiopischen Okkupanten von dem religiösen Führer MohamedAbdille Hassan (1864-1920), dessen Reputation <strong>und</strong> E<strong>in</strong>fluß tribale Grenzenüberw<strong>in</strong>den half, auch wenn er schließlich mehr <strong>und</strong> mehr von der Unterstützungse<strong>in</strong>es eigenen Clans, der Ogadenis abhängig war. Bis heute gilt Mohamed AbdilleHassan, trotz der endgültigen Niederlage, als Vorreiter des Somali-Nationalismus.Aber auch die postkolonialen Regierungen <strong>in</strong> <strong>Äthiopien</strong> wurden von e<strong>in</strong>er Vielzahlvon politischen Gruppen bekämpft. Sie def<strong>in</strong>ieren sich selbst über Nationalität,Region, Ethnizität, Klasse oder Religion. Allen geme<strong>in</strong>sam ist jedoch ihrerelative Machtlosigkeit e<strong>in</strong>hergehend mit materieller Deprivation <strong>und</strong> sozialerDiskrim<strong>in</strong>ierung. Im Ogaden Gebiet war es die "West Somalis Liberation Front",die von großen Teilen der hier lebenden Nomaden unterstützt wurde ( 42).Festzuhalten bleibt, daß es wennimmer die Unzufriedenheit über politischeMaßnahmen der Zentralregierung herrschte, <strong>in</strong> fast allen Regionen <strong>Äthiopien</strong>s zurBildung organisierter Oppositionsgruppen kam, die sich meist mit Waffengewalt

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