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dom! - Die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer

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28 mainz 4|09d o m g e s c h i c h t ee l i s a b e t h L a n g g ä s s e r mvjh 4|09 29Und über all demder Dom!Am oberenlinken Bildrandsteht derDom über derzerstörten AltstadtzwischenRheinstraßeund Rhein. |1945© stadtarchiv mainz„ | <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong>s „Reise in die kalte Fassenacht“und der Mainzer DomV o n H a n s B e r k e s s e l | Der literarische Bericht ihrer Reise nach Mainzim Frühjahr 1947, mit dem <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong> ihr erstes Wiedersehen mitder rheinhessischen Heimat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dernationalsozialistischen Diktatur feierte, wurde zuerst in der Berliner Zeitung„Der Tagesspiegel“ am 16. März 1947 und dann im Mainz-Heft (3/1949) derlegendären Merian-Hefte des Hamburger Verlags Hoffmann & Campe veröffentlicht.Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus diesem Text, der denMainzer Dom inmitten der Trümmerlandschaft des zerstörten Mainz als Symbolder Hoffnung imaginiert.Kalte Reise in die Fassenacht[...] Doch muß man geschieden sein,Jahr um Jahr, von der süßen dionysischenHeimat, um den unbegreiflichen Stoß zuermessen, den das Herz erduldet, wennAuge und Herz, als ob sie beide das gleicheOrgan und nur in ihren Funktionenleicht unterschieden wären, wieder denersten Rebstock erblicken; nicht erblicken,sondern assimilieren; wahrnehmen,wahrmachen in der Tiefe einer gültigenWirklichkeit.Hier ist die Grenze, hier fährt dieKlinge zwischen Osten und Westen hindurch.Was ist ein Rebstock im Frühlingund im Sommer? Eine Versprechung.Was ist er im Herbst? Ein kultischer Gebrauch.Aber hier war Winter, und dieserRebstock, den der Fremdling als erstenwieder erblickte, war weiter nichts alsein krummes Stück Holz; ein unendlichzähes, sehr dunkles Holz; eine heiligeSchlange, aufgebäumt über der frostigenErde mit zorniger Geduld. Ein Rebstock,vereinzelt wie dieser, ist nichts; eine Zeilevon Rebstöcken ist schon mehr. Aber erstder Wingert, die Wingerte in ihrem Aufund Nieder! Nur wer die Monotonie erfaßthat, weiß um die Größe archaischerGötter, die Größe der Fuge, die Größeeinfacher dorischer Säulen, die Größe derGeduld. Und nur im Winter entblößt derWeinberg sein inneres Gesetz, seine eigentümlicheSchönheit, die ebenso Schönheitder Form, wie Schönheit des Rhythmus‘ist. Er beginnt zu tönen wie Notenköpfeauf einer Partitur; anzuschwellen undabzusteigen, die gemauerten Treppchenherauf und herunter bis an den Himmelund an die Erde und wieder zum Himmelzurück. Der Fremdling, der Heimgekehrte,der Zonenwanderer träumt vonihm, wenn er die Augen schließt; er läßtsich wiegen von seiner Bewegung und beruhigenvon seiner Ruhe. […]Zwischen dem Hoffen und Harren,das manchen zum Narren macht, wieman sagt, liegt die heilige Fassenacht.„Nach den Feiertagen bleibt das Geschäftzwei Tage lang geschlossen“, bemerkt diekleine Friseuse in Mainz, und: „WiesoFeiertage?“ fragt der perplexe Gast. Achso, – die Fastnacht besinnt er sich, indemer zum Rheinufer geht.Zerstörte Anmut: kein Capitol mutetantiker an, kein Tempel zierlicher, keineFassade hat größere Gewalt. Aber wennandere Städte im Reich, moderne Großstädte[...] nichts weiter sind als schlechthinzerstört – mächtige Zahnstümpfe ihreRuinen, geöffnete Mäuler alter Amphibienund zerbrochene Wirbelsäulen – gewinntsich die Würde und die Bedeutung,das menschliche Maß und die geistigeFreiheit einer römisch-barocken Stadt wiedieser erst in dem Untergang ganz zurück;sie legt noch einmal ihr Fundamentund den Kern, aus dem sie gewachsen ist,bloß; das Organische und das Lapidare;das Samenkorn und den Stein. Wie klardie geschwungenen, leeren Giebel gegenden Himmel stehen, wie leicht die ausgefenstertenWände, die ohne Hintergrundsind! Hier ist ein zartes Blattornamentund dort ein lieblicher Fries erhalten,und wenn der Fluß über Steine klettert,ist es, als ob er ein Quellchen freilegt, einenObulus aus der Tiefe des Grabes, dasLächeln der Penaten. In diesen Ruinen,scheint nichts mehr zu leben außer Traumund Erinnerung. […]Und über all dem der Dom! DerDom! Mutter und Grabmonument ineinem: beide mit Nachkommenschaft fürdie Zeit und Nachkommenschaft für dieEwigkeit bis in ferne Tage erfüllt. Wennnichts mehr wäre außer dem Dom, sokönnte man, denkt der einsame Mensch,der über die Trümmer klettert, die ganzeStadt aus dem Anblick des Domes wiedervon neuem erbauen; dieser Dom, diesersteinerne Schoß der Gottheit würdesie wieder gebären; und wenn von demDom selbst gar nichts mehr stünde als dieFundamente des Ostchors, so könnte sichaus ihrem Gefels der ganze Dom in die


30 mainz 4|09d o m g e s c h i c h t ee l i s a b e t h L a n g g ä s s e r mvjh 4|09 31<strong>Elisabeth</strong><strong>Langgässer</strong>© FAMILIE GrüttnerHöhe atmen und mit dem Dom die zerstörteStadt samt den anderen Gotteshäusern,dem Kurfürstlichen Schloß und demDeutschhaus und den köstlichen Adelshöfen.Doch wird man sie nicht restaurieren– nein. Man wird sie transzendieren:die perlmutternen Seifenblasen derRokokotürme St. Peters und die strengeund zarte Gotik der Karmeliterkirche;transzendieren in unvergleichlich realereBezirke als diese, in welche die Bombenfielen. Wo die Wurzeln nicht zerstört wordensind, schlägt ein vom Blitzstrahl getroffenerBaum aus der Kraft seiner Wurzelnaus: junge Sprößlinge von der gleichenArt, junge Nadeln, junges Laub. […]Als der Fremdling, der Heimgekehrte,das Stübchen und sein leises Lärmenverlassen hat, und wieder den Rhein entlanggeht,spielt das Abendrot über demStrom. Das Wasser zieht rasch und stetigdahin und trägt die Eisschollen gleichmütigweiter, die sich fester zusammenbacken.Es wird wieder kälter, auch Matheiswird heuer das Eis nicht brechen, sondernnoch neues machen, Fähre um Fähre, hörtman bereits, stellt ihre Tätigkeit ein. Baldwird man bei Caub und Aßmannshausenüber den Rhein gehen können, aberein Eisfest, wie jenes, von welchem dieAlten erzählen, ein Fest mit Salzbretzeln,Drehorgelmännern und einem gebratenenOchsen am Spieß auf der Mitte des zugefrorenenStromes wird sich, solange diesesGeschlecht noch Atem hat, nicht wiederholen.[...]Wie in einem Brennspiegel werdenin dem hier abgedruckten Ausschnittdie frühen und nachhaltigen Prägungengebündelt, die die Autorin <strong>Elisabeth</strong><strong>Langgässer</strong> seit ihrer Jugend durch dierheinhessische Hügellandschaft mit ihrencharakteris-tischen Weinbergen unddem Rhein, dem ewig dahin fließendenStrom erfahren hat, der Städte undKernregionen Rheinhessens verbindetund die unverwechselbare Landschaftdes Ried hervorgebracht hat. Danebenspielte die Grunderfahrung eines tiefempfundenen und gelebten Glaubensin ihrem Elternhaus für ihr weiteres Lebenwie für ihr literarisches Werk eineherausragende Rolle.Der Vater, Sohn einer alteingesessenenjüdischen Familie in Mainz, warArchitekt und großherzoglicher Bauratin Alzey. Er war vom Judentum zumKatholizismus konvertiert und assimiliert;die Mutter stammte aus einergutbürgerlich-katholischen Familie inMainz. Hier in der rheinhessischenKleinstadt Alzey wurde <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong>am 23. Februar 1899 geboren.Hier verbrachte sie die ersten zehn Jahreihrer Kindheit und besuchte die höhereMädchenschule, bis die Familie nachdem Tod des Vaters nach Darmstadtübersiedelte. Am Darmstädter Victoria-Gymnasium legte sie 1918 ihr Abitur abund bereitete sich am Lehrerinnenseminarauf den Lehrerberuf vor, den siedann von 1921 bis zu ihrem Ausscheidenaus dem hessischen Staatsdienst(wegen der bevorstehenden Geburt ihrerunehelichen Tochter Cordelia) 1928 inSeligenstadt und Griesheim ausübte.Im Text „Kalte Reise in die Fassenacht“– wie in vielen ihrer Gedichteund Prosawerke von „Tryptichon desTeufels“ (1932), „Grenze: Besetztes Gebiet“(1932) über „Proserpina“ (1933)und „Gang durch das Ried“ (1936)bis hin zu „Rettung am Rhein“ (1938)und „Das unauslöschliche Siegel“(1947) – verbinden sich detailliertemetaphorisch-sinnhafte Landschaftsbeschreibungenmit naturmythischenBetrachtungen. Hinzu kommt einegeschichtsphilosophische Sicht, die geprägtvom katholischen und nationaleingestellten Umfeld ihrer Kindheitund Jugend, die liberalen Traditionender Aufklärung und FranzösischenRevolution ablehnte, stattdessen altematriarchalische und antike Mytheneinbezog und wie viele andere die Gefahrdes Nationalsozialismus anfangsunterschätzte.Ihr vielleicht wichtigstes Werk, denRoman „Das unauslöschliche Siegel“,den sie schon Ende 1936 begonnenhatte, nachdem sie vom nationalsozialistischenRegime nach Maßgabe derNürnberger Rassegesetze als Halbjüdinmit einem Publikationsverbot belegtworden war, konnte sie daher erst1947 veröffentlichen. Darin geht es wiein vielen anderen ihrer Werke um „dieUrereignisse von Sünde, Gnade und Erlösung“,ja um nicht weniger als „dasSchicksal der Welt in der Geschichteschlechthin“, deren Verlauf als Teileines göttlichen heilsgeschichtlichenPlans betrachtet wird. <strong>Die</strong>ser Roman,der wegen seines an James Joyce erinnerndenStils und des Verzichts aufeine geschlossene Handlung von derKritik zu den wichtigen Beispielen desmodernen europäischen Experimental-Romans gerechnet wurde, machte dieAutorin mit einem Schlag bekannt. <strong>Die</strong>„Verruchtheit“, die die zeitgenössischeBlick auf diezerstörte KircheSt. Peter| 1945/46© stadtarchiv mainza n z e i g e


32 mainz 4|09d o m g e s c h i c h t ee l i s a b e t h L a n g g ä s s e r mvjh 4|09 33Kritik vor allem in den erotischen Episodendes Romans und in der Darstellungeiner lesbischen Liebesbeziehungoder in der Schilderung eines Bordellszu erkennen glaubte, führte zu Zerwürfnissenmit der „offiziellen Amtskirche“,so dass das Buch beinahe auf denIndex gesetzt worden wäre.<strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong> durfte sichalso, in ihrer dichterischen Schaffenskraftbereits stark durch eine schwereKrankheit (Multiple Sklerose) beeinträchtigt,an der sie seit 1942 litt, berechtigteHoffnungen machen, endlichdie Anerkennung als <strong>Schriftstellerin</strong> zuerhalten, die sie als „katholische Stimme“der „Inneren Emigration“ zu findenhoffte. So hielt sie eines der Hauptreferateunter dem Titel „Schriftstellerunter der Hitlerdiktatur“ auf dem ErstenDeutschen Schriftstellerkongress» Wichtige Werke von <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong>Grenze: Besetztes Gebiet. Ballade eines Landes | [1932] 1983Der Gang durch das Ried | Roman | [1936] 1962Das Unauslöschliche Siegel | Roman | [1947] 1987Proserpina. Eine Kindheitsmythe | [1949] 1982Märkische Argonautenfahrt | Roman | [1950] 1966... so viel berauschende Vergänglichkeit. Briefe 1926-1950 |[1954] 1981Gedichte | Der Wendekreis des Lammes. Tierkreisgedichte. Der Laubmann unddie Rose. Metamorphosen. Kölnische Elegie | [1959] 1981Briefe | 1924 bis 1950 | Hg. von <strong>Elisabeth</strong> Hoffmann | 1990Literatur über <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong> (Auswahl)Sonja Hilzinger | <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong>. Eine Biografie | Berlin: Verlag fürBerlin-Brandenburg 2009Hans-Christian Kirsch | <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong>. Literatur und Landschaft |[Köpfe der Region 2, hg. v. Hans Berkessel] | Ingelheim: Leinpfad Verlag 2004Cordelia Edvardson | Gebranntes Kind sucht das Feuer | Roman | Aus demSchwedischen von Anne-Liese Kornitzky [1986] | München: Carl Hanser Verlag1989Ursula El-Akramy | Wotans Rabe. <strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong>, ihre Tochter Cordeliaund die Feuer von Auschwitz | Frankfurt/Main: Verlag Neue Kritik 1997www.langgaesser.de1947 in Berlin. Darin verurteilte sie inKenntnis des Schicksals ihrer unehelichenTochter Cordelia (mit dem jüdischenStaatswissenschaftler HermannHeller) – die mit drei jüdischen Großelternals nach NS-Kriterien als „Volljüdin“1941 zunächst von der Familiegetrennt, dann nach Theresienstadtund später nach Auschwitz deportiertwurde, die KZ-Haft überlebte und sichnach Schweden retten konnte – einerseitskompromisslos die Unverbindlichkeitder konventionellen Naturlyrikwährend der NS-Zeit „dieses anakreontischeTändeln mit Blumen und Blümchenüber den scheußlichen, weit geöffneten,aber eben mit diesen Blümchenüberdeckten Abgrund der Massengräber“(Ost und West, H. 4/1947, S. 36-41). Andererseits verteidigte sie dieSchriftsteller der „Inneren Emigration“,a n z e i g edie während der NS-Diktatur nichtemigriert, sondern in Deutschland gebliebenwaren.Ihr letztes Buch, den Roman „MärkischeArgonautenfahrt“ (1950), hatte<strong>Elisabeth</strong> <strong>Langgässer</strong> der immer schnellerfortschreitenden Krankheit buchstäblichabgetrotzt: „[...] die ‚MärkischeArgonautenfahrt‘ ist gestern fertig geworden.Das letzte Kapitel habe ich aufdem Rücken geschrieben – vollkommenerledigt und total knock out.“ (Brief anCordelia Edvardson am 7. Juni 1950).Sie war inzwischen mit ihrer Familievon Berlin nach Rheinzabern/Pfalzumgezogen und hatte weitere Anerkennungfür ihr literarisches Werk erfahren.Auch dieses letzte große Werk, dessenFabel im Kern als „christliche Parallelgeschichtezur antik-heidnischen Sageder Argonauten“ die Pilgerfahrt einerPersonengruppe nach 1945 auf derSuche nach Gnade und Erlösung von(Mit-)Schuld (an der deutschen Katastrophe)beschreibt, erscheint heutemerkwürdig ambivalent. Da die Autorinden Holocaust und das im Romanerkennbar verarbeitete Schicksalder eigenen Tochter in einen größerenheilsgeschichtlichen Prozess einordnet,an dessen Ende der Glaube siegt, kannzumindest der Eindruck entstehen, als obdem grauenhaften Morden des NS-Regimesein tieferer metaphysischer Sinnunterlegt werden könnte.Am 25. Juli 1950 starb <strong>Elisabeth</strong><strong>Langgässer</strong> in einem Karlsruher Krankenhaus;im gleichen Jahr wurde ihrposthum der Georg-Büchner-Preis verliehen.In ihrem gesamten Werk wirddie enge Bindung an die rheinhessischeLandschaft ihrer Jugendjahre deutlich.Wie stark die Sehnsucht nach dieser„als existentielle Heimat verstandenenLandschaft des Rheintals“ auch aus derEntfernung gewesen ist, bezeugt unteranderem ein Brief, den sie am 5. Mai1947 in Berlin schreibt: „Ach ich sehnemich wieder nach dem Südwestenzurück und weiß genau, dass irgendwobei der Wurzel irgendeines zähen krummenRebstocks meine eigene liegt.“

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