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echte Gefühle - GESAMMELTE WERKE - 99cent theater

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<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Gesammelte Werke"...Und wegen der großen Menschenmenge konnten nicht alle seineWorte vernehmen; darum ließ er die Worte, die er sprach,aufschreiben und denen bringen, die von seiner Stimme nicht erreichtwurden, damit auch sie seine Worte empfing...."(Folge 18)2


INHALTSVERZEICHNIS"So was wie Nachbarn"..............................................4"Flugzeuge im Arsch"..............................................14"Elefant ohne Rüssel".............................................23"Drei sind einer allein"..........................................34"Kaltblütig"......................................................44"Jungs und Mädchen"...............................................55"Es ist Mutter!"..................................................67"ALARM!"..........................................................78"Maskentanz"......................................................89"Das goldene Buch"...............................................100"Gemischtes Doppel"..............................................112"Keep the vampires from your door..."............................125"Die Völkerschlacht".............................................134"Erdbeereis für einen Toten".....................................144"Frucht eines Leibes"............................................155"Schnee, erster Teil: Blau"......................................166"Schnee, zweiter Teil: Das Auge".................................176"Umkehrschluss"..................................................186"Die Ordnung der Dinge"..........................................197Die Autoren......................................................213"<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>" und das <strong>99cent</strong> <strong>theater</strong>...........................214Impressum........................................................2153


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 1"So was wie Nachbarn"vonBenjamin KaralicSchumann und Heike treffen sich zum ersten Mal in der Kneipe.Schnell wird klar, dass beide ein dunkles Geheimnis verbindet,welches ihr Schicksal für immer verändern wird.4


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe, leerer Tisch. Das Gemurmel der Insassen verstummt.Ruhe. Ein komischer Typ betritt den Schauplatz. Es ist Schumann, ersetzt sich an den freien Tisch.SCHUMANN(zum Thekenwesen)Du bist neu, oder? Ich kenn dich zumindest nicht. Na ja, war auchschon länger nicht mehr hier. Also die Bestellung ist folgende: EinGlas Milch und ein Glas Bier. Beides aber nicht im Glas.(Er holt zwei Becher raus.)Hier. Ich bin Allergiker. Danke für dein Verständnis.Er fördert einen Riesenknochen von Handy zu Tage und legt ihn aufden Tisch.Heike tritt auf, steuert zielsicher an seinen Tisch, setzt sich.Skepsis seitens Schumanns.SCHUMANNDa hinten ist glaub ich noch was frei. Und danke, dass Sie vorhergefragt haben. Die Höflichkeit ist für den Geist, was die Schönheitfür das Gesicht ist.Sie streckt ihm die Hand hin.HEIKEHeike.Er gibt ihr widerwillig seine.SCHUMANNSchumann. Freut mich Sie kennen zu lernen.HEIKEHast du keinen Vornamen?SCHUMANNNein.HEIKEDas gibt es ja heutzutage immer öfter. Künstler zum Beispiel. Undmanche Namen sind einfach zu klein, für den... den, der quasidahinter steckt. Da muss dann was anderes her. Also ich hab auchschon überlegt, ob ich nicht vielleicht, aber dann ist mir das auchirgendwie zu viel und dann bleibt man eben so wie man ist.SCHUMANN(ironisch)Man muss ja nur dazu stehen.Seine Becher kommen.(Alternativ: Er holt sie sich.)HEIKEHaben die hier keine Gläser?5


SCHUMANNDoch.HEIKE(zum Thekenwesen)Ich nehm das gleiche. Auch im Becher.(zu Schumann)Das ist mal ne tolle Idee. Soll ich uns noch Strohhalme bestellen?SCHUMANNFür mich nicht, danke.HEIKEIst vielleicht auch albern. Was machst du denn so?SCHUMANNIn Kneipen rumsitzen und darauf warten, das mich völlig unbekannteMenschen zulabern und mir aber dann, wenn sie endlich kapieren, wieunglaublich unerwünscht sie sind, ein Entschädigungsbier ausgeben.Heikes Getränke kommen.HEIKEUnd wie läuft das Geschäft?SCHUMANNNicht so gut. Vor dem Euro, da war es noch anders. Tut mir echtleid, aber ich muss jetzt gehen.Sie hält ihn fest.HEIKEAber ich kenn dich doch noch gar nicht.SCHUMANNDas willst du auch nicht.HEIKEDoch.SCHUMANNEin Studienprojekt? Bin ich dein Diplomfremder?HEIKENein, nein. Das ist nur für mich, nur für uns beide. Bitte bleibsitzen. Das bedeutet mir sehr viel jetzt gerade. Tu mir bitte denGefallen. Wann hast du das letzte Mal jemandem einen Gefallen getan?SCHUMANNNette Masche. Ist mir aber ein bisschen zu verzweifelt.Er will gehen, doch sie lässt seine Hand nicht los.SCHUMANNICH BIN SCHUMANN!Er stößt sie weg und eilt zur Tür.6


HEIKEUnd du hast seit drei Jahren deine Wohnung nicht verlassen.SCHUMANNBitte was?HEIKEDu bist gestern zum ersten Mal wieder raus gekommen. Schumann,Vorname auf dem Namensschild abgekratzt. Hattinger Str. 304. Dumagst Sardellenpizza, dein ICQ Kürzel ist "Alienkillah" mit "h" amEnde. Telefon hast du nicht. Du onanierst immer frühmorgens vor demoffenen Fenster, weil du glaubst, dass dich dann keiner sehen kann.SCHUMANNDas ist doch alles... Kappes.HEIKEBitte, ich bin nur wegen dir hier. Seh ich so aus, als ob ich ofthierher käme. Seh ich so aus, als ob ich überhaupt weggehe.Schumann setzt sich wieder, nippt an seiner Milch.SCHUMANNAlso, fangen wir mal mit dir an. Was machst du denn so, wenn dunicht gerade an meinem Wikipedia-Eintrag sitzt.HEIKENein, so geht das nicht. Das ist doch jetzt irgendwie unnatürlich.Da waren jetzt so viele <strong>Gefühle</strong> im Spiel. Ich bin ausgerastet, dubist ausgerastet. Wir müssen erst zur Ruhe kommen.Sie trinkt ihre beiden Getränke aus.HEIKEMir ist was eingefallen. Du musst hier warten.Sie geht zur Theke.Schumann schreibt hastig einen Zettel und legt ihn auf den Tisch.Dann nimmt er seine Sachen und geht. Draußen ist ein Scheppern zuhören (er tritt irgendwas um).SCHUMANN(von draußen)ICH BIN SCHUMANN!!!Dann ist er weg.Heike kommt wieder. Sie stellt das Messer, das Schneidebrettchen unddie zwei Zitronen, die sie gerade geholt hat, auf dem Tisch ab. Dannnimmt sie den Zettel und liest.OVERHEAD-PROJEKTIONBin kurz Kippen holen.Sie setzt sich und beginnt eine Zitrone zu schälen. Dann isst siesie ganz auf. Die zweite Zitrone schneidet sie in Scheiben.Schumann kommt zurück.7


SCHUMANNIst hier noch was frei?Heike grinst mit Zitronenscheibe im Mund. Dann gibt sie ihm aucheine.SCHUMANNBin allergisch.Er lässt die Schachtel Kippen auf den Tisch fallen. Er will rauchen,kommt aber nicht dazu sein Feuerzeug zu benutzen, da hält ihm Heikeschon eine Kerze hin.SCHUMANN(totaler Smalltalk)Und kommst du öfter her?HEIKENee, erstes Mal. Ich wollte eigentlich immer mal... Bekannte von mirgehen hier regelmäßig hin.SCHUMANNWegen der Happy Hour?Sie nickt.HEIKEIn ner halben Stunde geht’s los.Beide müssen lachen.HEIKEWarum bist du wieder raus gekommen?SCHUMANNDie Zeit war abgelaufen.Als sie nichts sagt...SCHUMANNIch hab mir die Uhr gestellt. Exakt drei Jahre und vier Stunden.Gestern hat’s gepiept. Ich hab die ganze Zeit über nach einembombastischen Ton gesucht. Das sind 10GB an Klingeltönen auf meinemRechner. Und letztendlich hab ich doch das Standardpiepen genommen.HEIKEDrei Jahre und vier Stunden?SCHUMANNIch mag runde Sachen nicht. Außerdem entspricht das so ungefähr 10Jahren, da wo ich her komm.HEIKEWie Hundejahre. Es gibt so viele Zeitrechnungen. Ich steh manchmalstundenlang vor dem Backofen in der Küche und wundere mich darüber,dass wir genau diese Zeit haben. Diese Art Zeit zu "benutzen"...,weißt du was ich meine?8


SCHUMANNIch kann mir vage was vorstellen.HEIKEMeine Oma hat immer gesagt: Egal wie klein du den Kuchen schneidest,es werden doch nicht mehr Leute davon satt. Aber wo kommst du dennher?SCHUMANNVom Arsch der Welt?HEIKEUnd wie ist es da so?SCHUMANNManchmal ein bisschen haarig, aber dafür kann man es im Winter ganzgut dort aushalten. Ich mag eher die Sonne.HEIKEIst das Flirthumor?SCHUMANNNein. Es sei denn, du wärst rektalfixiert. Dann hätte ich einProblem.Heike, verlegen, trinkt etwas.HEIKEWarst du nicht einsam?SCHUMANNNein. Ich hatte doch eine Perspektive als Gesellschaft.HEIKEDass du endlich wieder raus kommst?SCHUMANNDass ich weg komme.HEIKEAber du bist noch da.SCHUMANNDas kann schon manchmal enttäuschend sein.HEIKEIch bin jeden Tag enttäuscht. Das “noch da sein” steht auf einerlangen Liste. Der da zum Beispiel...(sie zeigt auf einen aus dem Publikum)... ist auch eine komplette Enttäuschung.SCHUMANNWenigstens ist da ein bisschen Auswahl. Ich hab nur mich.Stille Augenblicke.9


HEIKEDu machst gerade ein Gesicht, als wärst du der einsamste Mensch aufdem ganzen Planeten.SCHUMANNBin ich.Heike kriegt einen Lachanfall. Dann ist sie fertig.Schumann beugt sich zu ihr rüber und flüstert ihr etwas ins Ohr.OVERHEAD-PROJEKTIONIch komme von einem anderen Planeten und bin der einzige meiner Art.Ich kann nicht zurück. Und keiner will mich retten.HEIKEScheiße.Sie rennt aufs Klo.HEIKE(im Klo)VERDAMMTE KACKE!!! SCHEISSE!Sie kommt zurück, Wasser im Gesicht, setzt sich.HEIKEIch kann dich nicht töten.SCHUMANNDavon war doch auch nicht die Rede. Die Suizidphase ist schon langevorbei... und ich hab mich schon fast damit ab...HEIKE(den Tränen nah)Das ist mir doch scheißegal. Ich kann dich nicht mehr töten. Weil duder Einzige bist.SCHUMANNDu könntest mich doch töten, gerade weil ich der Einzige bin. Aberwie eben erwähnt, du musst mich ja eigentlich nicht töten.HEIKEWollte ich aber...SCHUMANNDu wolltest mich kennen lernen.HEIKEAuch... aber dann.SCHUMANN(beiseite)Und ich dachte, ICH hätte ne Macke.HEIKEIch wollte doch eine Serienmörderin sein. Mit allem drum und dran.10


SCHUMANNWas?HEIKEMann, ich war so gut vorbereitet. Zuhause liegt alles bereit. DasDiktiergerät läuft auch. Hier.Sie hält den MP3-Player hoch.SCHUMANNDamit kann man jetzt also auch aufnehmen?HEIKEIch wäre die schlimmste Serienkillerin aller Zeiten geworden. Heike,die Geißel des Eierbergs, zum Beispiel. Aber da bist du ja niehingegangen. Und dann bist du auch noch für drei Jahre im Lochverschwunden. Ich wünschte, ich hätte dich nie ausgesucht. Du bistdoch scheiße, alles für den Arsch. Wenn ich dich töte, werde ich amEnde noch als Held gefeiert oder von Greenpeace gejagt.SCHUMANNMal ehrlich. Es ist jetzt auch nicht die geilste aller Ideen, sichmit seinem Opfer zu unterhalten. Ich werde hier mit jeder Minutemehr emotionalisiert.HEIKEDas wär doch das Perverse gewesen. Ich lerne sie richtig gut kennenund töte sie trotzdem. Dann hätte ich nicht nur die meisten getötet,sondern wäre so eiskalt und krank gewesen, auch noch jedes Gesprächaufzuzeichnen. Daraus und aus dem Todes-Gewimmer hätte ich dannzuhause mit Garageband düstere Industrial Songs gemacht. Und alleWelt hätte meine CDs gekauft. Am besten noch bevor ich erwischtworden wäre.SCHUMANN(zum Thekenwesen)Noch zwei.(zu Heike)Ich hätte jedes Mal eingeschaltet. Und auch die CDs gekauft. Das istecht ne tolle Idee.HEIKEIch weiß. Ich hab so viel darüber gelesen, mir jeden Film angesehen- auch die, die schwer zu besorgen sind – und zuhause trainiert.Obwohl ich Vegetarierin bin. Und jetzt, jetzt bist du...Getränke kommen.HEIKE(flüstert)... ein Alien. Was mach ich denn jetzt mit dir? Ich mein, ich hab jane Verantwortung, als Deutscher und als Mensch. Was habt ihr dennvor? Bist du so was wie die Vorhut, oder...?SCHUMANNNö, keine Invasion geplant. Keine von der ich wüsste. Ich bin nacheiner Kreuzfahrt hier gestrandet.11


HEIKEDann ist das jetzt hier wie “Lost” für dich.SCHUMANNNur ohne Eisbären und ohne Kollegen. Ohne die wäre “Lost” bestimmtauch kein Erfolg.HEIKEDu kannst bei mir wohnen.SCHUMANNDanke für das Angebot. Ich lehne aus verständlichen Gründen ab. Undich habe ein Zuhause. Ist mit der Zeit sogar richtig gemütlichgeworden.HEIKEDas Angebot steht.Schumann macht Anstalten zu gehen.SCHUMANNDas ist der Moment, wo ein Mann gehen sollte.HEIKEMoment, du schuldest mir was.SCHUMANNAha?HEIKEEin erstes Opfer. Du hast es mir geklaut.SCHUMANNWas kann ich denn dafür, wenn du dir so ein bescheuertesMörderprofil zurechtlegst?HEIKEWarum musst du mir auch so einen persönlichen Scheiß erzählen? Mann,du bist perfekt. Klein, genug Fleisch für die Installation undsiehst nicht sehr stark aus. Du wärst so ein gutes erstes Malgewesen.SCHUMANNEs tut mir leid. Hat nicht sollen sein.HEIKESo einfach wird das nicht, Freundchen. Du wirst mir jemandenbesorgen. Oder ich erzähle allen, dass du ein dreckigerAußerirdischer bist.SCHUMANNDas ist nicht fair.HEIKEDas ist mir scheißegal. Ich brauche jemanden mit Potential, jemandender etwas verkörpert, jemanden für den mich manche hassen und andere12


lieben werden. Jemanden, dessen Tod diese Gesellschaft in ihrenGrundfesten erschüttern wird.SCHUMANNJetzt fühle ich mich geschmeichelt.FORTSETZUNG FOLGT...13


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 2"Flugzeuge im Arsch"vonBenjamin KaralicKann Schumann seine Aufgabe bewältigen? Wird sich Heike ihren Traumerfüllen? Die Beziehung der beiden wird auf eine harte Probegestellt.14


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe, leerer Tisch. Das Gemurmel der Insassen verstummt.Ruhe. Heike sitzt am Tisch und wartet. Vor ihr stehen zwei Gläser.Milch und Bier. Im Hintergrund wird Stings "Englishman in New York"gespielt. Schumann kommt herein und rast sofort zur Theke.SCHUMANNKönnten Sie das freundlicherweise ausschalten? Danke. Also, dieBestellung ist folgende: Ein Glas Milch und ein Glas Bier. Beidesaber nicht im Glas.Er stellt seine Becher auf die Theke. Dann setzt er sich an einenFREIEN Tisch.HEIKEIch bin hier.SCHUMANNDas sehe ich.HEIKEWir waren gestern verabredet.SCHUMANNAch was. Das muss ich total vergessen haben. Aber, wie gut, dass dumir auf Schritt und Tritt folgst. Das ist das Tolle bei Stalkern.Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich "mal einfach so" über den Wegläuft, ist viel höher als gewöhnlich.Er legt seinen Riesenknochen von Handy auf den Tisch. Dazu einSudoku-Spiel.HEIKEIch finde, du solltest dich zu mir setzen.SCHUMANNWürde ich das genauso sehen, hätte ich es doch bereits getan.Er holt einen Bleistiftspitzer heraus. Heike springt auf und stürmtan seinen Tisch.HEIKESchumann, du schuldest mir was. Du hast es versprochen.SCHUMANNMeine Bemühungen waren erfolglos.HEIKEWas für Bemühungen denn? Du bist nicht einmal raus gegangen!SCHUMANNWeb 2.0. Das neue Jahrtausend. Außerdem lauern draußen überallViren. Und ich habe Heuschnupfen.HEIKEHast du nicht.15


SCHUMANNDoch.HEIKEHast du nicht.SCHUMANNAch, Scheiße. Sag mal, wann muss ich denn wieder zur Vorsorge beimZahnarzt?HEIKEWas soll das denn? Ich dachte, wir wären ein Team.SCHUMANNDas ist ja wunderbar für dich. Ich für meinen Teil hab mir überlegt,dass du das alles doch besser alleine durchziehst. Die Welt brauchtkeinen zweiten Charles Manson. Außerdem hab ich das Gefühl, dass ichim Gefängnis eher weniger optimal zurecht kommen würde.HEIKEWeil du so klein bist.SCHUMANNWeil ich so kuschlig bin.HEIKEDann wiederum versteh ich nicht, warum du den Blog gestartet hast.Schumann steht auf, setzt sich seelenruhig an Heikes Tisch. Siefolgt ihm. Als sie sich gesetzt hat…SCHUMANNWelchen Blog?HEIKEMann, den Blog.SCHUMANNIch dachte, jemand meldet sich. Woher zum Geier weißt du überhauptdavon?HEIKEIch pass auf dich auf. Seit der Rothenburg-Geschichte werden solcheSeiten regelmäßig kontrolliert. Übers Internet können wir nichtgehen. Wenn da auch nur ansatzweise die richtigen Worte zusammenstehen, hast du die Bullen vor der Tür.SCHUMANNKlingt sehr paranoid.HEIKEAußerdem will ich keine Freiwilligen. Ich will normale Menschen.Menschen, die noch leben wollen. Ich will ihnen dieses Lebenabsaugen.SCHUMANNGeerdeten Menschen?16


HEIKEJa.SCHUMANNMit gesundem Freundeskreis?HEIKEJa.SCHUMANNUnd einer Existenz voller Lebensfreude.HEIKEJa.SCHUMANN(schweigt)HEIKEÜberleg doch mal. Was sind denn die Dinge, die ein Mensch in seinemLeben gemacht haben muss?SCHUMANNDa solltest du mich nicht fragen.Schumann macht den Spock-Gruß.HEIKEAlso, ich meine so was wie einen Baum pflanzen, ein Haus bauen, usw.SCHUMANNKlingt schwäbisch.HEIKESchhht. Blick doch mal auf unsere Evolution zurück. Ich meine, wokommen wir denn her? Was haben wir früher gemacht? Wo sind unsereInstinkte? Wo ist das Feuer?SCHUMANNIch hab nicht die geringste Ahnung, worauf du mit deinem Geplapperhinaus willst.HEIKEDas Töten gehört zu unserer... meiner Natur. Du kannst erst wissen,was Leben ist, wenn du es jemandem nimmst. Die Schwelle, diesemagische Zone. Herr über Leben und Tod sein. Früher war das Alltagund keiner musste zum Psychiater. Die zehn Gebote haben allesversaut.SCHUMANNDu sagst also, dass jeder mal töten sollte.HEIKEJa. Erst dann ist man erwachsen. Erst dann ist man Mensch. Wie istdas denn bei euch?17


SCHUMANNAch Gottchen, solche Probleme haben wir nicht. Hmm, wie soll ich dirdas am besten erklären? Denk mal an Einzeller. Die fressen einanderständig. Oder Regenwürmer. Die teilt man und dann werden zwei draus.So geht das bei uns den ganzen Tag. Spalten, vereinen, wie es geradeam bequemsten ist. Wenn mal was krank ist, dann wird es von jemandemgegessen, der damit was anfangen kann. Ich glaub, wir haben einfachweniger Respekt vor der Biomasse... und natürlich ein anderesSchmerzempfinden.HEIKEWarum hilfst du mir dann nicht?SCHUMANNTheoretisch teile ich ja deine Begeisterung, aber praktisch will icheinfach keine Probleme. Anpassen und überleben.HEIKEDu hältst dich also für angepasst?SCHUMANNIm Rahmen meiner Möglichkeiten schon. Warum kriegst du nicht einfachein Kind?HEIKEHä?SCHUMANNDas ist doch archaisch. Da hast du Blut. Todesangst. Deine Schwelle.Und es ist total legal.HEIKEDamit wird man aber nicht berühmt.SCHUMANNGibt es da nicht eine Regelung mit eurem Präsidenten? Das Bundesgebärkreuzoder so?HEIKEJa, weißt du wie viel von diesen Dingern man dafür in die Weltsetzen muss?SCHUMANNDu wolltest doch Serientäterin sein.HEIKESchumann, vertrau mir, du kommst nicht von hier. Das sind zweivollkommen verschiedene Dinge.SCHUMANNNa ja, die neun Monate sind natürlich nicht so attraktiv. AlsZeitfenster sehr ineffizient. Obwohl, wenn man bedenkt: In den dreiJahren, die du jetzt schon hinter mir hereierst, hättest du schonvier Kinder produziert. Gerade jetzt in diesem Moment könntest duschreiend –den Sensenmann vor Augen- im Kreischsaal liegen unddeiner Menschwerdung entgegensteuern. Dein Geburtskanal weitet sich,genauso wie die Augen des Vaginaldentisten...18


HEIKEVaginaldentist?SCHUMANNAus deinem debilen Gesichtsausdruck schließe, dass ihr da untenkeine Zähne habt. Bei der schl<strong>echte</strong>n Auflösung ist das bei "youporn"manchmal schwer zu erkennen.HEIKESchumann?SCHUMANNHeike?HEIKEIch werde keine Kinder bekommen, weil ich keinen von denen hier...(Sie zeigt auf das Publikum)...ficken will. Beschädigte Ware.Unangenehme Stille.SCHUMANNAch komm. Das ist doch jetzt kein Grund. Dafür habt ihr doch extradiese schwarzen Besamungsgehilfen. Jedes Jahr fahren tausende weißerFrauen im Urlaub auf diese... diese Fruchtbarkeitsplantagen. MeinesErachtens können die Jungs dann nicht so teuer sein. Dein Nachwuchshat dann zwar eine gewisse Färbung, aber dir geht es ja eh mehr umden Moment an sich. Die Kinder kannst du dann ja auch wieder zurAdoption... Ist was?HEIKE(erregt)Ist schon ein bisschen sexy, wenn du so rassistisch bist.SCHUMANN(verwirrt)Ja, wenn du meinst. Ich für meinen Teil halte Rassismus für absolutüberbewertet. In meiner Position dürfte ich ja ohnehin austeilen...gesetzt den Fall, dass ich überhaupt einer anerkannten Minderheitzugehörig wäre.Sie beugt sich zu ihm rüber.HEIKESag bitte "Neger".Schumann blickt sich nervös um.SCHUMANNNein.HEIKE"Schokoladenmensch"?SCHUMANNNein.19


HEIKEAch Scheiße, ihr Männer seid alle gleich. Feigling.SCHUMANNDu bist zu anspruchsvoll.Heike schaut ihn an, beginnt dann zu schluchzen. Schmumann fängtwieder mit dem Sudoku-Spiel an.HEIKE(wieder ruhig)Du bist ein Fake und ich werde dich töten.SCHUMANNIch hab niemals behauptet, Rassist zu sein.HEIKEDu bist kein Außerirdischer und sobald du den Laden verlässt, werdeich dich umbringen und ausstopfen.SCHUMANNDu bist Präparatorin?HEIKEDrei Jahre sind eine lange Zeit. Ich warte draußen auf dich.Heike packt ihre Sachen.SCHUMANNBis gleich.Die Tür knallt. Schumann wartet, spielt. Dann geht er zum Fenster.SCHUMANN(leise)Ich bin Schumann. (zur Melodie von “Zehn kleine Negerlein”)Ich bin Schumann, der Freund von außerhalb, zieh einsam durch dieGassen und mach euch alle kalt...(dann resigniert) Mist.Er öffnet die Tür.SCHUMANNKommst du noch mal kurz rein?HEIKENein.SCHUMANNBitte.HEIKENein.SCHUMANNIch hab noch einen letzten Wunsch.20


HEIKEAch, fuck!Sie kommt wieder.HEIKEWas?SCHUMANNKönnen wir uns noch mal kurz setzen?Sie setzen sich.SCHUMANNIch bin wirklich ein Außerirdischer.HEIKEIst es zu anspruchsvoll, einen Beweis zu verlangen? Mit deinemEinzellergequatsche hast du ziemlich große Erwartungen geweckt.SCHUMANN(seufzt)Wenn ich diesen Körper verlasse, stirbt Thorsten.HEIKESo heißt dein Wirt?SCHUMANNJa.HEIKEIch glaub dir kein Wort.SCHUMANNDann komm mit.Er schleift sie am Arm ins Damenklo.Leichenblass kommt Heike zuerst raus.HEIKESo was hab ich noch nie gesehen.(Anmerkung des Autoren: Später kommt raus, dass es etwas Banales wieeine dritte Brustwarze oder etwas wildes Fleisch war.)SCHUMANNTut mir leid. Aber es musste sein.HEIKEWas mach ich denn jetzt?SCHUMANNWeitersuchen.HEIKEAllein.21


Sie schaut ihn flehend an.HEIKEIch schaff’s nicht allein.SCHUMANNNur einmal.HEIKEWas?SCHUMANNIch helf dir nur, den ersten zu finden.HEIKEUnd du gehst raus? Keine Internetscheiße.SCHUMANNDer Rechner bleibt aus.HEIKEDarauf müssen wir anstoßen.Sie heben Becher und Glas.SCHUMANNAuf das erste Mal.HEIKEAuf die Menschwerdung.FORTSETZUNG FOLGT...22


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 3"Elefant ohne Rüssel"vonPaul MattisSchumann hat endlich jemanden für Heike gefunden. Doch wird diesePerson ihren hohen Ansprüchen genügen? Ist es Liebe auf den erstenBlick? Können heutzutage noch Wunder geschehen? Und wenn ja, welcheTonlage haben sie?23


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe, leerer Tisch. Das Gemurmel der Insassen verstummt.Ruhe. Schumann kommt herein. Er ist offensichtlich hochnervös. Nachein paar Schritten bleibt er stehen und schaut sich um. Heike istnicht da. Er wendet sich um und ruft in Richtung Tür.SCHUMANNKannst reinkommen.Eine junge Frau, klein und ziemlich dick, mit südländischemAussehen, betritt langsam und mit stoischer Ruhe den Raum. Sie hateinen kleinen Koffer in der Hand. Ungeduldig und zittrig beobachtetSchumann sie.SCHUMANNNa los, schneller, schneller.Die Südländerin lässt sich nicht beirren.SCHUMANNDu musst hier am Tisch sitzen, wenn sie reinkommt. Sonst ist dieÜberraschung nicht perfekt. Ich... äh... ich meine, wenn der Kundenicht am Tisch sitzt, dann wird sie sauer, verstehst du?Schumann verliert die Nerven und schiebt die Südländerin eigenhändigzu dem leeren Tisch hinüber, bugsiert sie vor einen Stuhl und drücktsie dann mit beiden Händen in eine sitzende Position hinunter. Siestellt den kleinen Koffer auf die Erde.SCHUMANNNa also. Es geht doch.Angewidert nimmt er die Hände von ihren Schultern und wischt siesich an seiner Kleidung sauber. Dann wendet er sich zur Theke.SÜDLÄNDERINWann kommt sie denn?SCHUMANNFrüh genug. Halt die Klappe. Ich kann das nicht ab, wenn du mit mirsprichst.SÜDLÄNDERINSorry. Hab so was noch nie gemacht.Schumann wirft ihr einen wilden Blick zu.SCHUMANNKlappe abschließen und Schlüssel wegwerfen. Okay?Sie mimt eine Geste, als würde sie sich mit einem kleinen Schlüsselden Mund zuschließen und diesen anschließend wegwerfen.SCHUMANNVielen Dank.Schumann geht zur Theke.24


SCHUMANN(brummelt empört vor sich hin)Kleiner, anatolischer Elefant.(zum Thekenwesen)Also, die Bestellung ist folgende: Ein Glas Milch und ein Glas Bier.Beides aber nicht im Glas. Ich bin Allergiker.Er stellt seine Becher auf die Theke, bekommt seine Milch und seinBier und schenkt sich ein. Dann geht er mit den beiden gefülltenBechern zurück zum Tisch. Er will sich möglichst weit von derSüdländerin wegsetzen und steuert hinter ihr vorbei. Genau in diesemMoment stößt sie einen lauten, schrillen Ton aus.SCHUMANN(zu Tode erschrocken)Aaaaaahhhhh.Vor Schreck fallen ihm beide Becher aus der Hand. Der schrille Tonder Südländerin geht in einen souligen Gesang über. Schumann brülltdagegen an.SCHUMANNWas tust du denn da? LASS DAS.Sie trällert unbekümmert weiter, hört ihn offenbar gar nicht.SCHUMANN(schreit, so laut er kann)HÖR SOFORT DAMIT AUF.Die Südländerin verstummt. Schumann ringt nach Luft und bewegt dannsein Gesicht ganz nahe an das ihre heran.SCHUMANNWas habe ich dir eben gesagt?SÜDLÄNDERINDu willst nicht, dass ich mit dir spreche. Ich soll die Klappehalten.SCHUMANNNa, sieh mal einer an. Das weißt du noch. Und hättest du jetztvielleicht noch die Güte, diese von mir durchaus im Rahmen der voneuch Menschen so genannten Höflichkeit geäußerten Bitte auch Folgezu leisten?SÜDLÄNDERINJa klar.Schumann starrt sie für einen Moment an, wie ein Wahnsinniger.SCHUMANNGut.Er tritt wieder hinter sie und hebt seine Becher angewidert vomBoden auf.25


SCHUMANNNa Klasse. Die sind total verseucht. Kann ich ja gleich mit nemNeger ohne Kondom schlafen. Ich bin Allergiker.Mit spitzen Fingern will er die Becher zurück zur Theke bringen. Dasetzt die Südländerin zu einer neuen, noch lauteren Arie an.Schumann schreit auf wie ein wildes Tier. Er hält sich die Hände andie Ohren und lässt seine Becher wieder fallen. Dann rennt er mitletzter Kraft zur dicken Südländerin hinüber und schüttelt siesolange mit aller Kraft, bis sie aufhört. Sie blickt ihn verwundertund auch ein wenig verärgert an.SÜDLÄNDERINWas ist denn?Schumann ist unfähig etwas zu sagen, sondern starrt sie nur an, alswäre sie der leibhaftige Teufel.SÜDLÄNDERINWas guckst du denn so?SCHUMANN(stoßweise)Ich... habe... gesagt... du... sollst... die... Klappe... halten.SÜDLÄNDERINJa, ich weiß.SCHUMANNUnd warum tust du es dann nicht? Hast du IM Kopf auch nur Fettzellen?SÜDLÄNDERINIch spreche doch gar nicht. Ich singe.SCHUMANNHau ab. Hau ab. Geh. Verschwinde. Verzieh dich.Sie steht auf.SCHUMANNSetz dich hin.Sie setzt sich.SCHUMANNWenn sich noch ein Ton aus dem Zwischenraum deiner schwülstigenLippen herausbewegt, wirst du auf eine grauenvolle, in Worte nichtzu fassende und von der Sonne dieses Planeten noch nie gesehene Artund Weise sterben. Haben wir uns verstanden?SÜDLÄNDERINKlar. Du hättest doch nur was sagen brauchen.Schumann kann es nicht glauben. Er sinkt mit einem entkräftetenSeufzer auf einen Stuhl und legt seinen Riesenknochen von Handy aufden Tisch.26


SCHUMANNIch habe dir gesagt, du sollst die Klappe halten.SÜDLÄNDERINDas habe ich gehört. Das heißt, man soll nicht sprechen.SCHUMANNDas heißt, dass man keinen wie ich immer gearteten Laut von sichgibt. Halt die Klappe bedeutet: Die Lippen werden versiegelt. Haltdie Klappe bedeutet: Hol einen Faden raus und näh dir die verdammteDunstluke zu. Halt die Klappe bedeutet: Du hörst auf zu atmen. Haltdie Klappe bedeutet: Ab sofort ist sogar furzen verboten, weil auchder Arsch zubleibt. Halt die Klappe bedeutet: Tod aller menschlichenRegungen, die eure merkwürdigen Körper produzieren können, die auchnur im Entferntesten an ein Geräusch erinnern. Halt die Klappebedeutet: Ein verdammtes Universum der totalen, endlosen Stille. -Kapiert?SÜDLÄNDERINAlles klar.Ein kurzes Schweigen entsteht. Schumann ist völlig erschöpft.SÜDLÄNDERINSoll ich dir zwei neue Drinks holen?SCHUMANNNein, danke.SÜDLÄNDERINIst schließlich meine Schuld, dass die alten hinüber sind.SCHUMANNNee, wirklich nicht. Ist lieb von dir. Aber wirklich nicht.SÜDLÄNDERINDu bist n komischer Typ. Erst scheißt du mich zusammen und jetztredest du schon wieder mit mir.SCHUMANNJa, sorry, nimm das nicht so persönlich. Das sind endogeneWutstürze. Ihr kennt so was nicht. Aber wir haben das in einem ganzbestimmten Zyklus. So alle sieben bis neun Tage, je nachdem. Dienicht-organischen Bestandteile meines biokinetischen Systems saugenden gesamten Ärger, der sich seit dem letzten Wutsturz angesammelthat, aus den organischen Bestandteilen meines Körpers heraus,bündeln ihn und lassen ihn dann einfach ab. Wie einen gigantischenFurz. Das ist besser und sehr viel praktischer als andauerndeBlähungen – falls du weißt, was ich meine.SÜDLÄNDERINKrass. Ich kenn viele Freaks. Hab gleich gemerkt, dass du auch einerbist.SCHUMANNZur Information, Süße: ich bin DER Freak. Ich bin der Freak27


der Freaks, quasi der Oberfreak. Alles klar? ICH BIN SCHUMANN.SÜDLÄNDERINKlar.Sie schaut auf ihre Armbanduhr.SÜDLÄNDERINWann kommt denn deine Freundin?SCHUMANNKeine Ahnung. Muss jeden Augenblick hier reinschweben. Ist sonstimmer sehr pünktlich.SÜDLÄNDERINIch bin schon richtig aufgeregt.SCHUMANNWieso?SÜDLÄNDERINIst schließlich mein erstes Mal.SCHUMANNMeins auch.SÜDLÄNDERINWie jetzt?SCHUMANNIch meine... war ich auch... beim ersten Mal... total aufgeregt.SÜDLÄNDERINWird es sehr wehtun?SCHUMANNNa ja, das kommt drauf an, wie empfindlich du bist.SÜDLÄNDERINOch, ich kann ganz gut was vertragen.Schumann springt auf, wie von der Tarantel gestochen. Heike istnämlich in der Sekunde zuvor zur Tür rein gekommen. Schuhmann flitztzu ihr hinüber und fängt sie auf halbem Wege zum Tisch ab.SCHUMANNNa endlich. Wo warst du denn so lange?HEIKEDer Busfahrer meinte, ich sähe heute so gut aus. Ich hab ihngefragt, was genau er damit meint und er hat gesagt, ich würde eineLebendigkeit ausstrahlen, die er so bei mir noch nie gesehen hätte.SCHUMANNJa, in der Tat. Das kann ich nur bestätigen.28


HEIKEIch hab ihn gezwungen, auf halber Strecke bei der Polizei anzuhaltenund ihn wegen Belästigung angezeigt. Den Rest bin ich zu Fußgelaufen.SCHUMANNAch, vergiss den geilen, alten Bock. Heute fängt dein Leben an.Auch Heike ist jetzt auf einmal sichtlich nervös.HEIKEIm Ernst? Wer ist es?SCHUMANNNa wer wohl?Heike betrachtet die Südländerin.SCHUMANNNa los.HEIKE(nachdenklich)Auf ein so epochales Meisterwerk wie "Gespräche mit den Opfernmeiner Lust - Volume 1" sollte eigentlich kein Türken-Gequatsche.SCHUMANNIch dachte, Rassismus macht dich an?HEIKEDas ist was Anderes.SCHUMANNWillst du sie jetzt oder nicht?HEIKESagst du einmal "Kanackenschwein" für mich?SCHUMANNJetzt lenk nicht ab.Heike zögert noch.HEIKEIch kann sie mir ja mal anschauen.Heike geht hinüber zum Tisch. Nach einem kurzen Zögern streckt sieder Südländerin die Hand entgegen.HEIKEIch bin Heike.SÜDLÄNDERINAyla. Hallo.29


HEIKEHallo, Ayla.Heike setzt sich neben sie. Schumann nimmt ein wenig abseits von denDamen Platz. Die Südländerin bewegt auf einmal ihre Hände etwasoberhalb ihrer Brüste hin und her.SÜDLÄNDERINIch hätte gerne das Alien von H.R. Giger hier einmal so quer rüber.Das aus dem ERSTEN Film.Heike versteht nicht und blickt fragend zu Schumann.SCHUMANNIch... ähm... habe ihr schon alles erzählt von unseren leider einwenig illegalen, aber supergünstigen Tattoo-Angeboten, die wir...äh... im Angebot haben.HEIKEWie originell, Schumann.(leise)Du machst es dir ein bisschen zu leicht, mein Lieber.SÜDLÄNDERINWas wäre denn der Preis? Zu teuer kann ich mir, wie gesagt, nichtleisten.HEIKEDas Alien?SÜDLÄNDERINJa.HEIKEQuer über deine...?SÜDLÄNDERINGenau.HEIKEWozu?SÜDLÄNDERINWenn ich auftrete, und wenn sich dann meine Brust so hebt und senkt,dann wird es so aussehen, als würde es friedlich schlafen.Heike horcht interessiert auf.HEIKEDu trittst auf?SÜDLÄNDERINIch singe.HEIKEEcht? Was singst du?30


SÜDLÄNDERINHauptsächlich Soul.Heike macht auf einmal ein verträumtes Gesicht und atmet sehnsüchtigein und aus.HEIKEBeneidenswert. Ich wollte auch mal Singen. Als ich noch klein war,da wollte ich immer Sängerin werden. Ich dachte, ich hätte eineschöne Stimme. Und eines Tages wollte ich ein großer Star sein. Aberdann... ach, was soll’s. Ist vorbei.Heike versinkt in Gedanken. Die Südländerin schaut sie mitleidig anund legt ihr eine Hand auf die Schulter. Sie versteht ihren Schmerz.Schumann wird das alles viel zu persönlich.SCHUMANNUm zum Wesentlichen zurückzukommen, wir sollten jetzt vielleicht indie... äh... "Werkstatt" rüber gehen...Da setzt die Südländerin auf einmal zu einer Soul-Arie an – einklagendes, trauriges Lied. Schumann hält sich die Ohren zu. Heikehingegen blickt verwundert auf. Die Südländerin singt und singt.Während sich Schumanns ganzer Körper verkrampft und er mit einemgequälten Gesichtsausdruck unter den Tisch sinkt, kommen Heike dieTränen. Als die Südländerin geendet hat, herrscht Stille.HEIKEWunderschön.Heike legt nun ihrerseits der Südländerin eine Hand auf dieSchulter.HEIKEDanke.Die Südländerin lächelt.SÜDLÄNDERINGern geschehen.Sie steht auf und setzt sich auf den Tisch.SÜDLÄNDERINUnd jetzt mein Tattoo bitte.Heike steht auf.HEIKE(noch immer von Rührung durchdrungen)Das macht der Schumann.Schumann kommt unter dem Tisch hervor gekrochen.SCHUMANNWas?31


HEIKE(zur Südländerin)Er tut immer so, als wäre ich die große Tattoo-Artistin. Doch inWirklichkeit ist er das Genie.Die Südländerin macht Anstalten, sich freizumachen. Heike wendetsich zum Gehen.SCHUMANNDas ist jetzt nicht dein Ernst. Du kannst mich doch nicht einfachhier...HEIKE(zu Schumann, im Gehen)Du hast einfach keine Ahnung von Musik.SCHUMANN(ruft ihr hinterher)Diese Ausgeburt menschlicher Schwäche. Widerlich. Man sieht jawas passiert.Heike verlässt das Lokal. Schumann ist für einen Moment wie erstarrtund kann es nicht fassen. Dann wendet er sich wieder zu derSüdländerin und erschrickt, da sie mittlerweile im BH vor ihm sitzt.SÜDLÄNDERINWorauf wartest du? Auf geht’s.SCHUMANNIch... ich... hab hier... äh... gar kein Werkzeug...Die Südländerin steigt vom Tisch herunter und öffnet den kleinenKoffer, den sie eingangs mitgebracht hat. Darin befindet sichscheinbar alles, was man zum Tätowieren braucht.SÜDLÄNDERIN(freundlich)Du warst wohl gestern so nervös, dass du mir gar nicht zugehörthast. Ich hab dir doch gesagt, ich bringe alles mit, was wirbrauchen. Dafür macht ihr mir nen guten Preis.Mit ein paar geschickten Handgriffen baut sie das Tattoo-Werkzeugauf, setzt sich anschließend wieder auf den Tisch und blicktSchumann erwartungsvoll an.SCHUMANNIch muss jetzt gehen.SÜDLÄNDERINWas? Wieso denn?SCHUMANNIch kann das nicht.SÜDLÄNDERINSoll ich vielleicht noch was singen für dich?32


SCHUMANNNein, bitte nicht.Schumann greift sich eines der Werkzeuge. Die Südländerin lehnt sichzurück und schließt die Augen. Schumann steuert mit dem Werkzeug aufsie zu und schließt ebenfalls die Augen.FORTSETZUNG FOLGT...33


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 4"Drei sind einer allein"vonBenjamin KaralicLiebe ist ein Dreieck. Manchmal braucht man jemand Drittes, umwirklich zu sehen, wohin man gehört. Man muss ihn ja nicht unbedingtreinlassen. Doch Schumann bleibt Schumann.34


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe, Heike und Schumann sitzen am Tisch. Das Gemurmel derInsassen verstummt. Ruhe. Lediglich das nervöse Wippen von SchumannsBein ist zu hören. Er versetzt den ganzen Tisch in Schwingung.Irgendwann kippt einer der Becher um und sein Inhalt auf den Tisch.HEIKEJETZT HÖR ABER MAL AUF!!!SCHUMANN(kleinlaut)Tschuldigung.Er hebt den Becher auf. Dann schüttelt er den anderen. Der istauch leer. Schumann nimmt beide und geht zur Theke.SCHUMANN(resigniert)Also die Bestellung ist folgende: Ein Glas...THEKENWESENIch weiß.SCHUMANN(noch kleiner)Oh. Dann ist ja gut.(nach einer kurzen Pause)Stört es Sie, wenn ich hier warte bis meine Bestellung fertig ist?Oder setzt es Sie zu sehr unter Druck?Das Thekenwesen reagiert nicht und stellt ihm nach kurzer Zeit seineBecher hin. Schumann schlurft zum Tisch zurück. Heike hatmittlerweile ihr Kartenhaus fertig gebaut. Er setzt sich. DrohendeMiene von Heike. Schumann reißt sich zusammen. Sie zückt ihr Handyund macht ein paar Fotos von ihrem Bauwerk.SCHUMANNSie kommt nicht raus.HEIKE(Blick zum Klo)Die kriegt sich schon wieder ein.SCHUMANNIch habe ihr Dekolleté vernichtet.(flüstert)Wer will denn jetzt noch was von ihr?HEIKESo schlimm wird es nicht sein. Tattoos werden heute immerabstrakter.SCHUMANNKennst du die Illustrationen von Helge Schneider?HEIKEOh.35


SCHUMANNGuck mal, Mama, das habe ich ganz allein hingekriegt. Ayla wird allihre Brüder auf mich hetzen. Ich werde drüben bei Marmaris landenund den Überresten der Nacht zum Fraß vorgeworfen.HEIKEAch, Schumann. Das wird dich aufheitern.Sie kramt einen Zettel aus ihrer Tasche und liest vor...HEIKEWenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo einLichtlein her.Schumann exxxt sein Bier per Strohhalm und begibt sich danach in eingrübelndes Starren. Dann geht die Zappelei wieder los. Kartenhausund Becher fliegen durch die Gegend. Als er merkt, was erangerichtet hat, sammelt er die Sachen brav wieder auf.HEIKEWie lang ist sie da jetzt schon drin?SCHUMANNZweieinhalb Stunden.HEIKEWarum bist du nicht einfach abgehauen?SCHUMANNSchl<strong>echte</strong>s Gewissen. Äußerst selten bei uns.HEIKEMoral siegt über den natürlichen Lebenswillen. Lieber sterben, alsbeschädigt leben. Schumann, du hast nur Scheiße hinter deinerbekackten Brille.SCHUMANNSie hat mein Handy.HEIKEWarum?SCHUMANNIch hab keine Ahnung, plötzlich hatte sie es. Als Pfand.HEIKEDann holst du dir ein neues.Schumann schüttelt den Kopf.HEIKEDoch.Schumann schüttelt wieder den Kopf.36


SCHUMANNDa sind verdammt wichtige Nummern eingespeichert.HEIKEUnd die hast du nirgendwo anders?SCHUMANNÄh.. nö?HEIKEWarum nicht?SCHUMANNWeil ich eigentlich nicht davon ausgegangen bin, dass du mich aneine wild gewordene Walküre verrätst, die mein Telefon als Geiselnimmt.HEIKEDas ist nicht nur naiv, sondern verantwortungslos.SCHUMANNWenigstens siehst du es jetzt ein.HEIKEErde an Schumann!(zum Publikum)Das wollte ich schon immer mal sagen.(zu Schumann)Handys sind dazu da, verloren zu gehen. Eine ganze Industrie lebtdavon. Ich hab mal ein Praktikum bei Nokia gemacht. Die kalkulierenbei der Einführung eines neuen Modells, die Diebstähle und denselbstverschuldeten Verlust mit ein. Das nennt man Schwund!SCHUMANNSchwund?HEIKESchwund ist Geld. Als ich mal für eine Aufsichtsratssitzung Kaffeekochen durfte, haben die es wie ein Mantra vor sich hergebrabbelt.25 schwarze Anzüge in tiefster Trance.SCHUMANNKapitalismus ist also doch eine Religion?HEIKEDas ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Man speichert einfach nichtsWichtiges im Handy. Ich korrigiere leicht: Man nutzt das Handy nichtals singulären Speicherort für wichtige Informationen.SCHUMANNAber...HEIKENix aber. Man synchronisiert das Gerät mit seinem Laptop, Palm oderi-Pod. Ich habe zusätzlich noch ein Notizbuch, in das ich sämtlicheAdressen kopiere. Und davon noch eine fotokopierte Version, die alledrei Monate aktualisiert wird.37


SCHUMANNDas klingt ziemlich sicher. Ich habe euch Erdlinge immer für dieLeidenschaft bewundert, mit der ihr sinnlose Dinge sammelt.HEIKEWas heißt hier sinnlos? Diese Menschen sind mein Leben. Ich haberegelmäßig Kontakt... zu den meisten von ihnen. Das Geschäftlichenicht mal dazugerechnet.SCHUMANNWelches Geschäft?HEIKE(verteidigend)Ich hab Praktika gemacht. Und wenn die Zeit reif, kann ich auf alldiese "Connections" zurückgreifen.SCHUMANNNatürlich. Wie auf <strong>echte</strong> Freunde.HEIKEJa, du solltest die modernen Kommunikationstechnologien nichtunterschätzen. Dank ihnen halten Freundschaften tatsächlich einLeben lang.(Sie denkt kurz nach.)Meine Oma hat immer gesagt: Eine Freundschaft ist wie ein Joghurt.Du weißt nie, wie lang er haltbar ist...SCHUMANNDeine Großmutter scheint eine weise Frau zu sein. Du solltest siemal mitbringen.HEIKEAber sie hat Unrecht. Alles, was die damals hatten, war die deutscheBundespost. Das ist der Tod für jede Freundschaft, Fernbeziehungsowieso. Damals, damals wurde geräuchert, heute gibt esKühlschränke, ja sogar Gefriertruhen, für den Joghurt meine ich.SCHUMANNDeine Oma wird von Minute zu Minute weiser.HEIKEAch, fick dich. Kümmer dich lieber mal um dein Problemkind auf derToilette da, damit wir endlich nach Hause können. Ich krieg echtschl<strong>echte</strong> Laune, wenn ich Nina Ruge verpasse... Warum bin ichüberhaupt hier?Blick ins Publikum. Schweigen.SCHUMANNAls Beistand.(unsicher)Bitte.(fast schon flehend)"Alles wird gut".38


Sie steht auf, packt ihre Sachen zusammen.HEIKEDas wird dir eine Lehre sein. Willkommen in der Backup-Gesellschaft.Schumann wirft sich auf den Boden, dreht sich auf den Rücken,streckt die Gliedmaßen von sich. Heike betrachtet ihn mitFragezeichen ihm Gesicht.SCHUMANNIch bin eine Schildkröte.HEIKEDu bist bekloppt.SCHUMANNIch bin bedroht. Kannst du mir beim Sterben zusehen?HEIKENein.Sie geht zur Tür. Kommt aber noch mal zurück.HEIKEEs stört dich nicht, wenn ich mir ein paar Kippen mitnehme. Ach so,und nächste Woche will ich ein ordentliches Opfer, sonst... DasKasallah von heute wird nix dagegen sein. "Fliehe meinen Zorn".STIMME(von draußen)ENDLICH KOMMT SIE!HEIKEUnd bestell Ayla schöne Grüße von mir. Frag sie mal ob sieStudioerfahrung hat.STIMME(von draußen)ICH HAB SIE SO VERMISST!HEIKEAch, ich schreib ihr noch schnell meine Email und ICQ auf.STIMME(von draußen)SIE HAT DIE SCHÖNSTEN SCHAMLIPPEN VON ALLEN!HEIKE(nervös)Und Skype, ganz wichtig.STIMME(von draußen)OBWOHL ICH DAMALS NICHT RICHTIG HINGEGUCKT HABE!HEIKESecond Life! Ganz, ganz wichtig.39


STIMME(von draußen)PORNOS SIND NUR HALBE MIETE!SCHUMANNDu hast die Handynummer vergessen.HEIKERichtig.SCHUMANNWer ist der Kerl da draußen?STIMME(von draußen)ICH WERDE SIE AUF HÄNDEN TRAGEN!HEIKEMein Ex-Freund.Schumann steht auf.STIMME(von draußen)WIESO STEHT DER JETZT WIEDER AUF? DER SOLL LIEGEN BLEIBEN.Schumann klopft sich ab.SCHUMANNLass mich raten. StudiVZ?Heike nickt.SCHUMANNWenn ich mir den werten Herren so anschaue... möchtest du dichvielleicht lieber wieder hinsetzen?Heike plumpst auf den Stuhl.SCHUMANNNoch was trinken?HEIKEDas Übliche.SCHUMANN(zum Thekenwesen)Alsoooooo, die Bestellung is...THEKENWESENJajaja!SCHUMANNWie heißt er denn?40


STIMME(von draußen)BARTHOLOMÄUS!!!HEIKEDu hast es gehört.SCHUMANN(zu Bartholomäus)Hallo.BARTHOLOMÄUSER SOLL MICH NICHT ANGUCKEN!HEIKEEr ist harmlos.SCHUMANNNatürlich. Ich bin nur froh, dass Ayla ein bisschen friedlicher ist.Er horcht Richtung Klo.SCHUMANNVielleicht hat sie sich ja damit abgefunden. Alles hat schließlicheine Zielgruppe. Selbst dilettantische Tattoos.BARTHOLOMÄUSDIE FETTE TÜRKIN WIRD DEN FATZKE MIT DER SONNENBRILLE BESTIMMTUMBRINGEN!SCHUMANNOkay, wie kann man ihn abschalten?HEIKEKeine Ahnung. Er ist damals weggezogen.SCHUMANNEr ist weggezogen?HEIKEMit seinen Eltern. Er war 8. Ich war so erleichtert.SCHUMANNUnd so was quatschst du im StudiVZ an?HEIKEIch mochte sein Foto.BARTHOLOMÄUSICH BIN PHOTOSHOP!SCHUMANNDas hab ich mir gedacht. Kannst du dich an irgendwelcheSchwachstellen erinnern?HEIKEWas zum Henker meinst du?41


SCHUMANNNa ja, Vampire sind allergisch gegen Sonnenlicht. Geisterpiratenbesiegt man mit Malzbier. Und Hypochonder fürchten sich vor...anderen Hypochondern.HEIKELass mich mit deiner Nerd-Scheiße zufrieden.SCHUMANNWOVOR VERFICKT NOCHMAL HAT ER ANGST???HEIKEJaja, is ja gut. Da war was. Irgendwas an meiner 6. Geburtstagsfeier.BARTHOLOMÄUSICH HASSE DIESE SCHEISS BIENEN!!!HEIKEBienen. Er hat Angst vor Bienen. Da ham wir es doch.SCHUMANNJa hurra, jetzt brauchen wir nur noch einen Bienenstock und wir sindihn los.Er haut seinen Kopf auf den Tisch.SCHUMANN(zum Thekenwesen)Hast du einen?Das Thekenwesen schüttelt den Kopf.BARTHOLOMÄUSHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA!!!SCHUMANNIch will nach Hause.“The Day the World went away” (unplugged version) setzt ein.HEIKESchumann?SCHUMANNJa.HEIKEIch liebe dich.SCHUMANNIch dich auch.Sie tanzen. Eng umschlungen. Doch kurz bevor es zum Kuss kommt...Bartholomäus kommt bewaffnet mit einer Torte in die Goldkantegestürzt.42


BARTHOLOMÄUSICH LIEBE SIE! AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!Er schlägt sich die Torte ins Gesicht und stürzt zu Boden. Schumannund Heike lösen sich.HEIKENa, hat doch geklappt.Schumann beugt sich runter und probiert von der Torte.SCHUMANNEr hat ohne Zweifel guten Geschmack. Schwarzwälder Kirsch. Klassischund gerade dadurch wieder etwas besonderes. Kein neumodischerSchnickschnack. Strawberry Cheeeeeeeeeesecake. Ich sag dir, ihrmacht euch eure ganze Kuchenkultur kaputt.Er nimmt noch eine kandierte Kirsche.SCHUMANNDa hast du dein erstes Opfer.HEIKEMeinen Ex-Freund.SCHUMANNEr war acht! Nimm ihn mit, solange er noch ohnmächtig ist. Na komm,ich helf dir.Sie packen gemeinsam an. Plötzlich ertönt ein Handyklingeln aus demBad.SCHUMANNScheiße.HEIKEJetzt fang nicht wieder an zu zögern. Das hier ist die erste tolleIdee, seit ich dich kenne.SCHUMANNMein Handy klingelt.HEIKEJa und?SCHUMANNMein Handy klingelt. Ich bin Schumann. Ich muss rangehen.HEIKEDa drin sitzt eine Muslimin, der du weiß-der-Teufel-was auf dieTitten gespritzt hast. Wenn die da raus kommt...SCHUMANNDu verstehst es nicht. Das ist nicht irgendein Handy. DAS IST MEINHANDY, DAS DA KLINGELT!!!FORTSETZUNG FOLGT...43


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 5"Kaltblütig"vonBenjamin KaralicHeike und Schumann stehen kurz vor dem Durchbruch. Das Leben imSchatten könnte tatsächlich ein Ende haben. Wird Heikes CD endlichdie Charts erobern?44


INT. GOLDKANTE - ABENDDas Gemurmel der Insassen verstummt, als Heike und Schumann den Raumbetreten. Die beiden sind über und über mit Blut beschmiert. Siesehen total fertig aus. Sie setzen sich an einen Tisch und beginnenzu rauchen.SCHUMANNDieses Schwein.HEIKEDieses verdammte Schwein.Aus dem Hintergrund ist leise das Quieken eines Schweins zuhören.(Genau so eins wie es die Tierschützervereine bei ihrenStänden benutzen.)SCHUMANNIch hätte nicht gedacht, dass es so stinken würde.HEIKEDieses Schwein.SCHUMANNMan schneidet in den Bauch und... eigentlich ist es vollkommenlogisch... der Gestank. Menschen stinken nun mal. Ihr schwitzt jaauch. Da kommt der Gestank auch raus. In Raten. Kleine stinkendeRaten.HEIKEDieses stinkende Schwein.SCHUMANNIch hasse euren Geruchssinn. Er macht alles so... ekelhaft.HEIKESchweiß ist geil. Aber nicht bei diesem Schwein.Das Grunzen wird immer lauter.SCHUMANNEure Schleimhäute sind eine einzige Fehlkonstruktion. Nuranfällig... immer empfindlich. Besonders für Gestank. Alles stinkt.Wie soll man denn bei dem Gestank seinen Job machen?HEIKEJETZT HALT ENDLICH DIE FRESSE!Schumann gibt ihr noch eine Zigarette.SCHUMANNWeißt du eigentlich, wie du aussiehst?HEIKENein, Schumann, sag es mir bitte. Sag mir wie ich aussehe. Sag mirwie ich aussehe, nachdem ich ein stinkendes Schwein abgestochen undausgeweidet habe.45


SCHUMANNRot.HEIKEDu dummer kleiner Außerirdischer, dein Horizont... was isteigentlich mit deinem Horizont? Natürlich sehen wir nicht aus wieMaler... aber das interessiert hier doch eh keinen. WIR HABEN LEBENGENOMMEN! Und es interessiert keinen.SCHUMANNIch geh duschen.Schumann ab.HEIKEIch rauch noch auf. Ich rauch doch nicht auf.Heike ab.SCHRIFTSTELLERIN tritt auf.SCHRIFTSTELLERINUnd in diesem Moment wussten die beiden, dass sich ihr Leben fürimmer geändert hatte. Sie hatten Blut geleckt. Sie hatten den zartsüßenGeschmack von Innereien in der Nase. Das ist wie Sauerbraten,da kommt man nicht mehr von los. Ja, der zarte Duft von MuttersSauerbraten mit Rosinen. Mutter Tod hat angerichtet und ganz Bochumist eingeladen.(Pause)Ach, Scheiße, das ist vielleicht doch zuviel.(wieder drin)Heike und Schumann wussten, dass es kein Zurück mehr gab. Jetzt warder Weg geebnet. Ein Weg der gepflastert war von Leichen. Und amEnde der Reise würden sie auf einem Thron aus Blut im Himmelreichder Racheengel über all die Lächerlichen und Mutlosen herrschen.(stockt)Himmelreich der Racheengel? Reich.... Rache... Reich...Rrrrr...rrrr... es klingt einfach nicht. Aber das Bild ist doch soschön... mit kleinen Flügelchen... vielleicht auchLungenflügel...chen. Mann, ich bin scheiße. Scheiße, scheiße,scheiße. Drecksautorin. Keiner wird mich lesen. Keiner will michlesen. Keiner. Nicht wenn ich so eine Scheiße, so eine Kacke, soeine stinkende Kacke aus... aus...ausscheide, auskotze.BAAAARG!Die Schriftstellerin tanzt nun den "Tanz der verzweifelten Autorin".Erschöpft setzt sie sich wieder hin. Bartholomäus tritt auf.BARTHOLOMÄUSHallo. Machen Sie das Interview?SCHRIFTSTELLERINJa. Bartholomäus, richtig? Setzt dich doch. Willst du was trinken?BARTHOLOMÄUSNee, lieber nicht. Okay, dann nehm ich eine Cola.Sie holt ihm das Getränk.46


SCHRIFTSTELLERINSo, dann wollen wir mal.BARTHOLOMÄUSWird es wehtun?SCHRIFTSTELLERINNein. Wir machen das hier nur so weit, wie du möchtest. Sag einfachStopp. Bartholomäus, keiner wird dir mehr wehtun.(zum Publikum)Das wollte ich schon immer mal sagen.BARTHOLOMÄUS(murmelnd)Eeieieieiei.SCHRIFTSTELLERINErzähl mir doch erstmal was über dich. Dein Leben, deine Ängste,deine Träume. Wie hat dieser Mensch Bartholomäus eigentlichangefangen?BARTHOLOMÄUSStopp.SCHRIFTSTELLERINJetzt stell dich aber mal nicht so an.BARTHOLOMÄUSEieieiei. Also gut. Eigentlich... wollte ich immer Pirat werden.Aber dann musste ich feststellen, dass es bei H&M keine Augenklappengibt. Eieieiei.SCHRIFTSTELLERINWie war das als Kind? Wie war das auf deinem achten Geburtstag?Kannst du dich da an was Besonderes erinnern?BARTHOLOMÄUSStopp.Zukunfs-Heike tritt auf. Sie hat ein Baby im Arm und trägt keineSonnenbrille. Zukunfts-Schumann tritt auch auf. Ebenso ohneSonnenbrille.SCHRIFTSTELLERINWar da nicht dieses Mädchen?BARTHOLOMÄUSStopp.SCHRIFTSTELLERINDieses Mädchen mit den traurigen Augen.BARTHOLOMÄUSSTOOOOOP!Bartholomäus stürmisch ab. Er sieht die beiden Zukünftigen nicht.47


SCHRIFTSTELLERINScheiß-Recherche.Sie summt die Melodie des "Tanzes der erfolglosen Autorin."Zukunfts-Heike setzt sich mit ihrem Kind.SCHRIFTSTELLERINAlso, wie war das noch mal an dem Abend, als sie ihren Ex-Freundnach fast 20 Jahren wieder getroffen haben. Ich weiß, es ist fünfJahre her, aber wie haben sie sich gefühlt?ZUKUNFTS-HEIKEIch war gestresst.ZUKUNFTS-SCHUMANNIch auch.Schumann setzt die Brille auf und rennt zur Tür.SCHUMANNDAS IST MEIN HANDY, DAS DA KLINGELT!!!!!ZUKUNFTS-HEIKE(zu ihrem Kind)Ja, mein Kleiner, ganz ruhig. Kriegst ja gleich was.(zur Schriftstellerin)Ich konnte mich gar nicht über das Wiedersehen freuen. Die Situationwar ziemlich angespannt.SCHRIFTSTELLERINInwiefern?SCHUMANNAyla, es tut mir leid. Mach auf, bitte. Bitte lass mich rangehen.Ich bezahl dir ein neues Tattoo. Aliens, Predators, Sandwürmer. Oderden Todesstern. Ha, wie wär's? Auf jede Brust einen, und aus denNippeln kommt dann der Todes-Strahl. "Er ist also docheinsatzbereit." Bitte, mach auf. ICH KAUF DIR NEUE TITTEN!!!ZUKUNFTS-HEIKEEr hatte einfach kein Verständnis für meine Situation. Ihm war nichtklar, wie sehr ich ihn brauchte.SCHUMANNHeike, ich kann dir jetzt nicht helfen, deine Jugendliebeumzubringen. ICH VERSUCHE GERADE AN MEIN TELEFON ZU GEHEN!SCHRIFTSTELLERINHaben Sie in dem Moment gewusst, was dieser Anruf für Schumannbedeutet hat?ZUKUNFTS-HEIKEGeahnt ja, aber in seiner ganzen... Oh es stört sie dochhoffentlich nicht.Die Schriftstellerin schüttelt den Kopf. Heike beginnt ihr Kind zustillen.48


ZUKUNFTS-HEIKEDer Mann war doch so verschlossen. Alles musste man ihm aus der Naseziehen.SCHUMANN(zu einer imaginären Heike)Sie macht einfach nicht auf. Ich kann nicht mitkommen. Geh schon malvor. Ich komm nach. Ja, was weiß ich? Stell dir halt vor, er wärwieder acht. Du bist doch groß und stark. Ich komm doch nach. Verratist was anderes. Verrat ist, wenn man nicht nachkommt. Das hier istmaximal schl<strong>echte</strong>s Timing. Ja, tschüss. Und vergiss nicht die Folie.Die unter dem Beifahrersitz. Die Grüne.SCHRIFTSTELLERINUnd da waren sie auf sich allein gestellt...SCHUMANNAyla, lass mich rein. Du musst ja gar nicht rauskommen. Von mir auskannst du da drin bleiben, bis die Leute weg sind. Ich versteh dichdoch. Bitte. Ich back dir einen Kuchen. An Ramadan.Er hämmert gegen die Tür. Dann hört das Klingeln auf.SCHUMANN(leise wimmernd)Ich... bin...SCHRIFTSTELLERINSchumann!In der Tür erscheint ZUKUNFTS-SCHUMANN.ZUKUNFTS-SCHUMANNNa, mal nicht so förmlich. Sie dürfen mich "Schuie" nennen.Er kommt zu ihr, gibt ihr einen Handkuss. Dann noch zwei auf jedeWange.ZUKUNFTS-SCHUMANNSie duften.SCHRIFTSTELLERINAch, Schuie, sie Schmeichler, hören Sie doch auf.(zum Publikum)Das wollte ich auch schon immer mal sagen.ZUKUNFTS-SCHUMANNWie läuft denn die Arbeit an dem Buch? Bei amazon.de ist es schongelistet. Ich habe schon dreißig Exemplare bestellt. Um denVorverkauf anzutreiben.SCHRIFTSTELLERINDie Verlage sind oft schneller als die Geschichten selbst.Eigentlich bin ich auch fertig. Nur diese eine Sache ist mir nochnicht ganz klar.49


ZUKUNFTS-SCHUMANNUnd deshalb...(er nimmt einen Schluck aus ihrem Bierglas)haben Sie mich herbestellt, richtig?SCHRIFTSTELLERINRichtig, genau deshalb habe ich sie herbestellt. Also wie war dasgenau vor fünf Jahren an diesem sagenumwobenen Abend in derGoldkante?Bartholomäus tritt auf, fällt ohnmächtig zu Boden. Heike kniet überihm.HEIKEBart? Bart, komm beweg dich ein bisschen. Wir müssen zum Auto. Bart,jetzt wach schon auf. Mach hier kein Heckmeck, wegen son bisschenKuchen.(zum imaginären Schumann)Komm jetzt. Was soll das denn? Ich schaff das nicht alleine.BARTHOLOMÄUSmöööh.HEIKE(zum imaginären Schumann)Du bist ein elender Verräter, ein elender außerirdischer Verräter.ZUKUNFTS-SCHUMANNManchmal kann unsere Heike ziemlich anstrengend sein, aber wem sageich das. Sie haben ja schließlich das Buch geschrieben. Lügen Siemich nicht an, die Bluse ist neu.SCHRIFTSTELLERINWas war das für ein Gefühl? Auf der Schwelle zwischen Scheitern undEndsieg. Das erste Opfer vor Augen. Dann Ihr Telefon im Ohr.ZUKUNFTS-SCHUMANNIn so einer Situation, meine Liebe,...Schumann ergreift ihre Hand.ZUKUNFTS-SCHUMANN... ist man natürlich hin und her gerissen.HEIKE(zum imaginären Schumann)Wehe, du kommst nicht! Welche Folie?BARTHOLOMÄUSHause fahrn?HEIKEJa, hause fahrn.BARTHOLOMÄUSIch will aber nicht nach Hause.50


HEIKEWohin dann? Ich fahr dich wohin du willst. Hauptsache, du kommstjetzt mit.BARTHOLOMÄUSZu H&M.HEIKEZu H&M?BARTHOLOMÄUSNur noch mal nachgucken. Nur kurz gucken. Ganz kurz. Vielleicht sindsie ja gekommen.HEIKENa gut, versprochen.Bartholomäus ab aufs Klo.ZUKUNFTS-SCHUMANNIn diesem Moment hatte ich einfach blindes Vertrauen zu meinerPartnerin. Heike und Schumann. Die passen zusammen. Und das könnenSie vielleicht auch noch so rein schreiben: Die passen zusammen wieArsch auf Eimer.SCHRIFTSTELLERINOder wie Vor- und Nachname?ZUKUNFTS-SCHUMANNFänd ich jetzt in der Praxis problematisch. Haha. Aber Sie sind jahier zuständig für die Poesie. Sollen wir uns duzen?SCHRIFTSTELLERINWie ist denn die ganze Sache jetzt ausgegangen?ZUKUNFTS-SCHUMANNDas haben wir doch schon zigmal durchgekaut. Wie ich die Toiletteaufbrach und Ayla einfach weg war – vermutlich durch das Klofenster.Und wie...SCHRIFTSTELLERINDas winzige Klofenster.ZUKUNFTS-SCHUMANNAyla war stabil, aber geschmeidig. Und wie ich dann mit Handy imGepäck zu Heike nach Hause raste, dort aber niemanden vorfand. Undwie ich dann letztendlich wieder hierhin zurückkam und erfahrenmusste, dass alles schon vorbei war.SCHRIFTSTELLERINJa ja, das weiß ich ja alles. Aber was mir dabei nicht klar ist: Washat Heike mit dem Leichnam angestellt? Und was ist mit dem Schwein,das am 22.07.2007 um 07:25 Uhr von einer total verzweifelten GülcenYilmaz – ihres Zeichens Aushilfe bei Dönninghaus - als vermisstgemeldet wurde?51


ZUKUNFTS-SCHUMANNGülcen Yilmaz?SCHRIFTSTELLERINDoch das ist noch nicht alles. Ich habe begründeten Verdacht, dasseure ganze Geschichte ebenso wie die Musik (die gar nicht mal soschlecht produziert ist) ein riesiger Schwindel ist.(zu Heike, die immer noch am Boden sitzt)Heike! Jetzt pass doch mal auf, wenn ich euch hochgehen lasse. Kommwenigstens her. Und lass dein Kind nicht so da rum liegen.(wieder zu beiden)Ihr beide habt nie auch nur einen einzigen Menschen umgebracht.Wisst ihr was ihr seid? Ihr beide seid ein riesiger Haufen FAKE-SCHEISSE!ZUKUNFTS-HEIKE UND ZUKUNFTS-SCHUMANN(gleichzeitig)Das ist ja wohl eine Frechheit.SCHRIFTSTELLERIN(zum Klo)Bartholomäus, komm raus.Heike hält ihrem Kind die Augen zu. Doch nix passiert.SCHRIFTSTELLERINBartholomäus? BARTHOLOMÄUS!!!Die Schriftstellerin stürmt auf die Toilette und kommt leichenblasswieder. Das Schweinequieken setzt leise wieder ein.SCHRIFTSTELLERINEr muss vor lauter Panik durch das Klofenster raus sein.ZUKUNFTS-SCHUMANNNatürlich.ZUKUNFTS-HEIKEDas sind ziemlich schwere Anschuldigungen, die Sie da geradegeäußert haben. Ich weiß nicht, ob wir so ein Buch autorisierenkönnen. Außerdem weiß ich nicht, wie sie das alles dem Verlagerklären wollen.ZUKUNFTS-SCHUMANNVon zwei Amateuren aufs Kreuz gelegt.ZUKUNFTS-HEIKEKönnen Sie sich noch an den Autor der Hitler-Tagebücher erinnern?Ich auch nicht.ZUKUNFTS-SCHUMANNUnd wie ist das mit dem Tantiemen? Die sind doch sicherlich schonverplant.ZUKUNFTS-HEIKEWas meinst du Schumann, wird sie das alles aufgeben?52


ZUKUNFTS-SCHUMANNRuhm und Reichtum. Ihr Menschen seid sehr simpel gestrickt. 5 Eurodagegen.ZUKUNFTS-HEIKEHmm. Wenn ich jetzt gegen dich setze, belüge ich mich selbst. Aberwo bleibt sonst der Spaß? Top, die Wettegilt.(zum Publikum)Na, wie sieht's mit euch aus? Will jemand einsteigen? 5 Euro. Wirddas große "Heike/Schumann"-Epos abgeblasenoder nicht? Na los, ein bisschen mehr Einsatzgeist. Wir machenschließlich Sommerpause.SCHRIFTSTELLERINIhr kranken Schweine... Ich werde euch so fertig machen.Sie schnappt sich den Wetteinsatz und verschwindet.ZUKUNFTS-HEIKEWas meint sie damit? Heißt das jetzt, dass wir gedruckt und endlichin alle Welt verkauft werden oder nicht?ZUKUNFTS-SCHUMANNVerdient hätten wir’s.ZUKUNFTS-HEIKEIch hatte mich so drauf gefreut. Die letzten fünf Jahre. All dieMühen, all die Niederlagen. Wären nicht umsonst gewesen.ZUKUNFTS-SCHUMANNDie Fans hätten mir bestimmt ein Raumschiff gebastelt. Wie Spock,für den tun sie auch alles.ZUKUNFTS-HEIKESie kann alles kaputt machen.ZUKUNFTS-SCHUMANNWie meinst du das?ZUKUNFTS-HEIKESie weiß alles. Und sie hat Bartholomäus.ZUKUNFTS-SCHUMANNAber er ist doch dein Ex-Freund. Gibt's da nicht so was wiepostkoitale Loyalität?ZUKUNFTS-HEIKEEr war acht!ZUKUNFTS-SCHUMANNJa und?ZUKUNFTS-HEIKESie braucht ihm nur ne Augenklappe zu schenken, dann sind wirgeliefert. Der Verlag wird uns fallen lassen wie ne heiße Kartoffel.Es sei denn...53


ZUKUNFTS-SCHUMANNJa?ZUKUNFTS-HEIKE... sie wären gezwungen, eine neue Autorin zu suchen.ZUKUNFTS-SCHUMANNVergiss es. Sie würden uns doch als Allererste verdächtigen.ZUKUNFTS-HEIKEEben nicht. Denk an Hitler. Na komm. Der alten Zeiten wegen.ZUKUNFTS-SCHUMANNAber du hast doch jetzt Verantwortung.Heike blickt auf ihr Kind und wirft es dann weg.ZUKUNFTS-HEIKEAngepasster Scheißdreck. Ich war sowieso ne Rabenmutter.ZUKUNFTS-HEIKE kramt in ihren Sachen und fördert Schumanns Becherzutage.ZUKUNFTS-SCHUMANNDu hast sie aufgehoben?ZUKUNFTS-HEIKEMan kann ja nie wissen.ZUKUNFTS-SCHUMANNDanke.Die beiden setzen ihre Sonnenbrillen auf.ZUKUNFTS-SCHUMANNIch hab dich vermisst.ZUKUNFTS-HEIKEIch weiß. Und jetzt lass uns diese verfickte Autorenhure endlichaufschlitzen.Beide ab.FORTSETZUNG FOLGT...54


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 6"Jungs und Mädchen"vonAndreas BrowaWas haben Mädchen, was Jungs nicht haben? Warum geht es nicht mitihnen und nicht ohne sie? Ist Schumann jetzt Berater für Gefühlsangelegenheiten?— Kaum zu glauben!55


INT. GOLDKANTE - ABENDSchumann wartet. Arrangiert seine Getränke. Er hat eine Blumemitgebracht. Diese liegt, in Zellophan hermetisch verpackt, vor ihmauf dem Tisch. Ein, zwei Mal macht er Druckausgleich, indem er sichdie Nase zuhält. Neben ihm liegt eines seiner Rätselhefte.HARALD(betritt die Goldkante und geht direkt auf die Theke zu)Ich bekomme erst mal ein Bier bitte.(trinkt durstig. Sucht an sich nach Zigaretten, findet keine. Starrtvor sich hin. Trinkt.)SCHUMANN(zündet sich eine Zigarette an)HARALDHallo. Hast du eine für mich übrig?SCHUMANNBitte was?HARALDIch würd mir gern ne Zigarette von dir borgen. Hab keine bei mir,und die verkaufen hier keine.SCHUMANNBorgen?HARALDJa Mann. Ist alles okay mit dir? Ich kann auch gleich eben zumBüdchen gehen, aber ich hätte jetzt gern eine, zum Bier.SCHUMANN(reicht Harald wortlos die Schachtel, blickt ungeduldig zur Tür)HARALDKlasse. Was trinkstn da?SCHUMANNHör mal: Das mit der Zigarette ist eine Sache – du darfst sie auchgerne behalten -, darüber hinaus hätte ich allerdings gerne meineRuhe.HARALDKlar, entschuldige.(beobachtet Schumann)SCHUMANN(fühlt sich beobachtet)Toll. Ganz großartig.HARALDWas? Ich? – Ich hab nichts gesagt.SCHUMANN(leise)Ich – bin – Schumann.56


HARALDMan hat dich versetzt, stimmt’s?SCHUMANN(nimmt sein Rätselheft)HARALDMuss dir nicht unangenehm sein. Ein Mädchen, stimmt’s?SCHUMANN(kreuzt hektisch was an)HARALDErkenn ich an der Blume.SCHUMANNOkay.(legt das Heft beiseite)Würdest du dich bitte kurz setzen.HARALDKlar Mann. Gerne.SCHUMANNUnd damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist keineswegs eineEinladung auf einen kleinen Gedankenaustausch. Ich lege nur nichtden geringsten Wert darauf, die übrigen Gäste und das Personal mitMutmaßungen über mich zu belustigen.HARALDUnd ich dachte, ich hätte ein Problem. Ganz offensichtlich bist dunicht von hier.SCHUMANNDas ist absolut korrekt...HARALD...Dann sag das doch, Mann! Ist ja keine Schande. Aber hier in derGegend ist man nicht so... na so verbunkert. Da trinkt man schongelegentlich ein Bier zusammen, ohne dass man sich groß kennt. Undwas mich angeht: Das ist eines der wenigen Dinge, die ich an denMenschen hier schätze. Prost.SCHUMANNDarf ich jetzt?HARALDKlar, leg los.SCHUMANNGut. Es freut mich, zu hören, dass ihr hier so einen direkten Drahtzueinander...entwickelt habt. Wirklich, ich sage das ohne jedenNeid. Aber wie du sehr richtig vermutet hast: Ich bin nicht vonhier. Und wenn ich sage, dass ich gerne meine Ruhe hätte, dann meineich das auch ganz genau so, wie ich es sage.57


HARALDMann, jetzt werd erst mal locker.(zur Theke)Machst du uns noch zwei Bier?(zu Schumann)Ich sag dir jetzt mal, wie ich das sehe. Ich hatte heute einenwirklich beschissenen Scheißtag, mein Mädchen hat mich nämlichabserviert. Mein bester Kumpel hat Spätschicht – also bin ich jetzthier. Und du wurdest offenbar versetzt und bist im Moment grad totalunlocker. Jetzt trinken wir erst mal einen zusammen, dann wird dasschon.Die Getränke kommen. Für Harald eine Flasche, für Schumann derübliche Becher.HARALDFunky Alter! Na, so ganz unbekannt scheinst du hier ja nicht zusein.SCHUMANNMöglicherweise verhält sich alles ganz anders...HARALDHow! Sorry, du wartest auf’n Typ. Klar, funky Brille, echt...SCHUMANNNein! Gut, richtig, ich warte hier auf eine Frau. Allerdings warenwir nicht fest für heute verabredet.HARALDHow. Jetzt hasse mir aber ordentlich einen eingejagt. Mit Homos kennich mich nämlich nich so gut aus... Aber hab ich mir gleich gedacht.Ich meine, die Blume und so. ...Dann hast du aber irgendwie docherwartet, dass sie heute kommt.SCHUMANN(etwas nachgebend)Ja. Das habe ich wohl.HARALD(zur Theke)Mach’se uns zwei Wodka bitte.SCHUMANN(zur Theke)Danke, für mich bitte nicht.HARALD(zur Theke)Dann mach mir gleich nen doppelten.(zu Schumann)Ja und? Kommt die denn jetzt noch?SCHUMANNUnwahrscheinlich. Ich glaube eher nicht.58


HARALDJa, so sind sie. Meine hat mich heute einfach eiskalt abserviert.Ist aufgelaufen und hat gesagt, es geht nicht mehr. Punkt. Es gehtnicht mehr. Kein Grund, nichts. Hat gesagt, wir sprechen späterdarüber. Ist doch heftig, oder?SCHUMANNAngenehm ist das sicher nicht.HARALDDas ist richtig beschissen! Du stehst da nämlich und weiß überhauptnicht, was du machen sollst. Du darfst nichts sagen, du darfst nichtausrasten – am besten sollst du nämlich ganz verschwunden sein. Ichhab kurz überlegt, ob ich sie packen soll, weißt du, so, ganz ohnelanges Gerede. Leidenschaftlich. Ihr zeigen, was ich für sieempfinde.SCHUMANN(peinlich berührt)Das stelle ich mir... schockierend vor.HARALDNa ja, schockierend, weiß ich jetzt nicht. Das kann schonfunktionieren, glaube ich. Aber sie hatte so was Hartes, weißt du,wie ausgewechselt. Wirklich, war mir fast schon unheimlich. Kennstdu das mit den Körperfressern? Die Körperfresser kommen, kennst dudas? – Genau so war das.SCHUMANNDann hat sie es wohl ernst gemeint, nehme ich an.HARALDEcht? Danke Alter! Dass sie es ernst gemeint hat, darauf wär ichallein wohl nicht gekommen. Davon rede ich doch hier die ganze Zeit.Deshalb stand ich da ja so blöd rum. Halb im Treppenhaus. Bin nichtzur Uni heute, saß aber schon am Schreibtisch. Na ja, hab’n bisschenabgehangen heut morgen, war aber schon voll fitt, verstehst du?Wollte grad was anfangen, und wie ich dann aufmache, da steht diedirekt vor der Wohnungstür. How. Und ich nur in Shorts und son Shirtund mit Socken und freu mich. – Und die direkt: Harald, ich muss dirwas sagen. Wollte auch nicht reinkommen, ist sogar noch nen Schrittzurückgewichen. – How! Das ist... das ist total der Hammer... Und dufühlst dich richtig scheiße. Absolut. ...Und was ist mit deiner?SCHUMANNHeike? Wir sind nicht intim befreundet.HARALDAber du hast ihr ne Blume mitgebracht.SCHUMANNNa ja, ich dachte mir, Frauen freuen sich doch gelegentlich übereine kleine Aufmerksamkeit.HARALD59


Korrekt. Also, ich kenn dich jetzt nicht groß, aber wenn du dir übersolche Sachen Gedanken machst... Ich glaube, du findest die Fraugut, diese Heike.SCHUMANNIch möchte jetzt nicht über Heike reden. Unser Verhältnis zueinander ist ein sehr spezielles, soviel kann man sicher sagen.HARALDEin sehr spezielles? Läuft denn da was?SCHUMANNBitte?HARALDJetzt tu nicht so. Ich meine: Wird denn da... habt ihr...?SCHUMANNWir haben kürzlich zusammen mit einem Schwein rumgemacht.HARALDHow! Was habt ihr? Echt? Ein Schwein... ihr habt zusammen...SCHUMANNGott, ja, ein Schwein.HARALDDas ist... also das ist total abgefahrn. Das hab ich echt so nochnie gehört. Harte Sache.SCHUMANNAch ja, mich hat es eher gelangweilt. Und das Schwein hataußerdem... extrem... unangenehm gerochen.HARALDHammer! Und Heike?SCHUMANNIch weiß nicht, ich bin nicht ganz sicher.HARALDMann ist das krass. Und du bringst ihr ne Blume mit! Also dasHeftigste, was ich mal mit Manu gemacht hab – also einmal hab ichsie so n bisschen gefesselt, jetzt nicht so brutal, sondern eherso...SCHUMANNJa ja, ich kann es mir vorstellen.HARALD... Und einmal hat sie mich... na ja, mit so m Vibratordings so nbisschen...fand sie wohl spannend...SCHUMANN(peinlich berührt)Also damit kenne ich mich gar nicht aus.60


HARALDJa ich ja auch nicht Mann, was denkst du denn! ... War aber jetztgar nicht so... wie soll ich sagen... Manu hat das richtigangemacht. Und wehgetan hat das gar nicht...SCHUMANNBitte! Ich... das ist...HARALDIst dir das peinlich? Sorry. Ich dachte halt, wenn man gemeinsam mitSchweinen rumspielt... Manu und ich sind dagegen ja echt harmlos.SCHUMANNWaren.HARALDWas? Aber schon komisch. Das sind so Sachen... Hast du dich schonmal intim rasiert? Weiß man am Anfang auch nicht, wo man da amBesten anfangen soll. Ich meine mit so ner Klinge da unten rum...SCHUMANN...Gott...ich fürchte...ahouuuu...ahouuuu...HARALD...aber am Ende ist es gar keine große Sache.SCHUMANNSchluss!...meine Synapsen...ich...HARALDHow! Locker Mann, ganz locker. Bist du irgendwie krank oder so,brauchst du Tabletten?SCHUMANN(versucht, sich zu beruhigen)HARALDIch borg mir noch ne Zigarette, ja?SCHUMANNJa! Zigarette! Das ist eine sehr gute Idee.HARALD(reicht Schumann verstört seine Zigarettenschachtel)Bitte. ... Das Bier schmeckt irgendwie nicht mehr.(zur Theke)Mach’se mir noch so n Wodka?SCHUMANNGlaubst du nicht, dass du langsam genug hast?HARALDGenug? Es gibt Tage, an denen gibt es kein Genug. Woher kommst dudenn! Genug! Ich hab Zuhause schon ein paar Bierchen gezischt, vormFernseher. Total beknackt Mann. Ehrlich, du bist n komischer Heini.61


SCHUMANNWenn ich daran erinnern darf: Ich habe nicht um Unterhaltunggebeten.HARALD(hat plötzlich einen kleinen Einbruch, weint oder ist zumindestemotional sehr bewegt)Scheiße Mann... diese... Dreckskuh! Kannst dir gar nicht vorstellen,wie die mir jetzt fehlt.SCHUMANNVermutlich nicht.HARALDEhrlich Mann, ich glaub, ich pack das jetzt nicht...SCHUMANNKomm, hier, trink deinen Schnaps.HARALD(trinkt)Danke. Warst du denn nie verliebt? Ich meine, so richtig, so dass dudachtest: How!, das sitzt, das ist es. Eine, die dich nicht stört,wenn sie nachts neben dir liegt, die du riechen kannst, weißt du.Und auch, wenn du grad mal nicht an sie denkst: Du weißt, sie istda, sie gehört irgendwie zu dir. Kennst du das nicht?SCHUMANNNein. Ich glaube, das kenne ich nicht.HARALDNehm ich dir jetzt nicht ab. Ich weiß nicht, was los ist mit dir,aber du sagst in jedem Fall nicht, was Sache ist.SCHUMANNWie du möchtest.HARALDMacht ja nichts.(Beide beenden schweigend ihre Zigarette.)HARALDIch frag mich, ob man wirklich nichts tun kann.SCHUMANNWas möchtest du tun?HARALDNa dagegen muss man doch etwas tun können.SCHUMANNAh, ich verstehe. Na ja, es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Dukönntest jetzt bezahlen, schnell nach Hause gehen, dort alle Fotoszusammensuchen, die du von ihr hast, oder Briefe, Krimskrams. Daszerreißt du alles schön säuberlich, oder zerschneidest es, jenachdem, und zündest es dann an...62


HARALDWillst du mich verarschen? Danach ist mir nicht, ich will Manu nichtverbrennen.SCHUMANNNicht. Gut, dann willst du also weiter wie ein kranker Hund durchdie Gegend stolpern. Und Wildfremden deine Manu vor den Füßenauseinanderblättern. Dir selber mit ganzer Kraft Leid tun, bitte.HARALDNein. Das will ich auch nicht.SCHUMANNDann gibt es eigentlich nur noch eine Möglichkeit. Du bezahlst jetztsofort...HARALD...Bist du bescheuert Mann! Ich zahl schon noch, mach dir mal keineSorgen.SCHUMANNBitte.HARALDAlso ich bezahle sofort. Und dann?SCHUMANNDann gehst du zu ihr, ganz egal, wo sie wohnt. Du schaust auch nichtauf die Uhr, du machst dich einfach auf den Weg. Und lässt dichnicht ablenken...HARALD...Ich hab schon was getrunken.SCHUMANN...Egal. Wenn du erst am Ziel angekommen bist, wirst du kaum nochwas davon merken. Dann klingelst du sie aus dem Bett, machst solange Krach, bis sie dir öffnet. Wichtig ist: wenn du bis dahingekommen bist, darfst du nicht mehr nachgeben. Also, dann öffnet siedir. Na ja, und dann musst du etwas sagen.HARALDAber was soll ich denn sagen!SCHUMANNIch bin sicher, dir wird dann schon etwas einfallen. Sag: hier binich. Meinetwegen, und dann sei aber auch da. Sie muss das spürenkönnen, deine Anwesenheit. Ja, ich glaube, viele Worte sind garnicht notwendig. Du musst ihr lediglich klar machen, wie es um dichsteht. Also was sie dir bedeutet, meine ich.HARALDUnd dann? Wenn sie mich wegschickt?63


SCHUMANNDas spielt überhaupt keine Rolle. Du solltest sogar besser damitrechnen. Aber dann hast du es ihr wenigstens gesagt, egal was. Alsoausgesprochen, meine ich. Was sie damit macht, kann keiner wissen.HARALDIch weiß nicht. Das würdest du machen?SCHUMANNKann ich mir nicht vorstellen, nein. Aber man kann das machen. Esgibt durchaus Menschen, die das so machen. Wichtig ist nur: egal,was du tust, du wirst am Ende nicht für sie entscheiden können.HARALDDu bist echt seltsam, weißt du das? Wie heißt du eigentlich? Ich binder Harald.(streckt seine Hand hin)SCHUMANN(ignoriert die Hand, trinkt)Ich... Schumann.HARALDWie, Schumann? Du heißt doch nicht nur Schumann.SCHUMANNIch könnte mir jetzt schnell was Hübsches ausdenken, abertatsächlich nennt man mich Schumann. Das ist mein Name.HARALDAlso weißt du, irgendwie ist das alles echt abgefahrn. Scheinst jawirklich von nem ganz anderen Planeten zu kommen. Ist aber nichtschlimm, wirklich. Hört sich gar nicht so blöd an, was du da sagst.SCHUMANNNatürlich nicht.HARALDIch überlege nur... Könntest du das nicht für mich machen?SCHUMANNWas?HARALDNa, sie aus dem Bett klingeln und ihr sagen, dass ich sie noch...dass ich sie nicht verlieren will und so.SCHUMANNNein. Das ist ausgeschlossen, so funktioniert das nicht.HARALDWieso? Du könntest was singen, du könntest mein Bote sein.SCHUMANNNein, das kann ich nicht. Ich kann sicherlich andere Sachen, aberBeauftragter für intime Botschaften...(lacht) Also nein. Vermutlichwürde sie mich die Treppe runterschubsen.64


HARALDSchade.SCHUMANNDu musst ja auch nicht. Noch eine weitere Möglichkeit, zumindest fürden heutigen Abend, wäre: Du bleibst hier, bis sie irgendwannschließen, trinkst bis dahin soviel Schnaps wie nur möglich, gehstdann zu Bett und fällst ins Koma.HARALDUnd du?SCHUMANNIch werde mich langsam verabschieden.HARALDEcht? Solln wir nicht noch irgendwo kickern gehn? Ich lad’ dich ein!SCHUMANNNimm es nicht persönlich, aber kickern zählt nicht gerade zu meinenLeidenschaften. Und außerdem möchte ich jetzt wirklich für michsein.HARALDWegen Heike?SCHUMANNGanz allgemein, ohne bestimmten Grund.HARALDVersteh ich nicht.SCHUMANNDas macht nichts.HARALD(trinkt jetzt wieder vom Bier)Ich weiß nicht. Manu wird nicht gern geweckt. ... Und hat immer volldie Krise gekriegt, wenn ich mal ausnahmsweise ins Waschbeckengepinkelt hab. ... Scheiße. Ist doch viel bequemer für Jungs, oder?SCHUMANNVielleicht. Aber es gibt auch andere Kriterien.HARALDDoch, das ist mit Sicherheit bequemer, besonders, wenn du wasgetrunken hast. Läuft auch viel besser. ... Verdammt, wo krieg ichdenn jetzt noch Orangen her? Manu liebt Orangen. Süß undungespritzt.SCHUMANNDas dürfte im Moment wohl nicht zu realisieren sein.HARALDMeinst du, ich kann mir deine Blume borgen? Brauchst du ja nichtmehr, oder?65


SCHUMANNBitte. Ich bin ohnehin Allergiker.HARALDKlasse Mann!(springt auf. Legt einen Zwanziger auf die Theke)Das sollte reichen, oder?(alternativ: geht ohne zu bezahlen. Zu Schumann)Ich mach das jetzt. Ich geh da jetzt hin und hol mir das Mädchenzurück! Danke Alter, ich mach das jetzt. Und hau rein!(ab)SCHUMANNMensch Heike, wo steckst du nur.FORTSETZUNG FOLGT...66


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 7"Es ist Mutter!"vonAndreas BrowaIst es immer noch die Hand an der Wiege, die unsere Welt regiert?Lautet das Geheimnis unseres Lebens schlicht Mutter? Heike lässtnicht locker, einer ergreift die Flucht …67


INT. GOLDKANTE - ABENDHeike wartet auf Schumann. Ungeduldig.Schumann betritt den Laden, erblickt Heike augenblicklich, zögert.HEIKE(blickt Schumann durchdringend an)SCHUMANNJetzt sieh mich nicht so an, es war deine Idee.HEIKE(antwortet nicht, wendet sich ab)SCHUMANNEhrlich Heike, jetzt hör endlich auf mit dem Theater. Hallo erstmal. Sag mal, hast du vorhin versucht, mich anzurufen? ... Seltsam.... Möchtest du, dass ich wieder gehe?(setzt sich)Wie lange kennen wir uns jetzt? Sechs Wochen? Acht Wochen? Dafür,dass ich jahrelang mit keinem Menschen gesprochen habe... Dasist...das ist der intensivste Kontakt, den ich je hatte. Wirklich.Du bist tatsächlich die erste... der erste Freund hier.HEIKEDu bist mein Freund? Freunde nehmen Anteil, weißt du.SCHUMANNDas tue ich doch. Wirklich, auf meine Weise tue ich das. Nachdem duletztes Mal nicht gekommen bist, ich nichts von dir gehört habe –Ich habe mir tatsächlich Sorgen gemacht.HEIKEWürdest du Anteil nehmen, würdest du mich wirklich ernst nehmen...ach, es hat keinen Sinn.SCHUMANNWenn ich was würde? Was hat keinen Sinn? Wenn du keine klare Aussageformulierst, habe ich Schwierigkeiten, dir zu folgen.HEIKE(sieht Schumann durchdringend an)Da! Das zum Beispiel. Ist dir eigentlich bewusst, wie du redest? IhrMenschen denkt immer ... Ihr Menschen seht immer alles sokompliziert ... ihr stinkt ... Pups kack!SCHUMANNNa ja...HEIKEWeißt du, ich frage mich wirklich manchmal, wo du stehst...SCHUMANN(blickt erstaunt an sich hinab)68


HEIKE...Wirklich, ich meine, du betonst ununterbrochendeine...Abgehobenheit. Deine extraterristrische Identität oder wasweiß ich.(zögert)Und du siehst immer gleich aus. Ich kenne tatsächlich niemandensonst, der immer so extrem gleich aussieht...SCHUMANNDanke.HEIKE...Aber ich habe gründlich nachgedacht in den vergangenen Wochen.Ich habe mich gefragt: Ist Schumann wirklich so, wie er vorgibt zusein? Ich meine: Wieso triffst du dich überhaupt noch mit mir, weroder was zwingt dich dazu?SCHUMANNNa, du hast eben Bedeutung für mich gewonnen, das habe ich dochbereits gesagt.HEIKEBedeutung gewonnen! Ich glaub, es hackt! Hör auf so zu sprechen,sonst weiß ich nicht, was geschehen wird.SCHUMANN(ratlos)Was soll denn geschehen?HEIKESchumann! Du...(bricht ab)(Schweigen)SCHUMANNUnd jetzt?HEIKEJetzt sitzen wir hier und warten, bis das Fass überkocht.SCHUMANNÜberläuft.HEIKEWas?SCHUMANNEin Fass läuft über, während ein Topf überkocht. Glaube ich.HEIKEAha. Wie kocht ihr eigentlich bei euch im All? Nein, sag nichts,verrat es mir nicht. Ich nehme an, ihr erhitzt die kleinenAlienviecher und Aliengemüsen mithilfe eurer mentalen Superkräfte...SCHUMANNAlso das ist doch albern.69


HEIKE...Ja. Ihr gebt solange Stoff, bis die Viecher quieken, bis allesplatzt. In extra dafür vorgesehenen Räumen. Lecker!SCHUMANNSoll ich dir was sagen? Ich glaube, du bist sauer, dass ich dich mitdeinem Schwein hier allein gelassen habe.HEIKENatürlich. Natürlich war ich extrem sauer, aber darum geht es jetztnicht.SCHUMANNDu warst sauer? Ich habe dir geholfen, das stinkende Schwein...Gott!... Ich habe geholfen, es einzufangen. Es hierher zu schaffen.Ich habe dir geholfen, es zu...HEIKEStopp! Das hast du nicht, du hast mir nicht geholfen.SCHUMANNIch habe es mit meinen Waden so gut es geht für dich fixiert.HEIKE(lacht)Blödmann. Ich möchte nicht über das Schwein sprechen. Mit Tieren binich durch.SCHUMANNNa immerhin. Dann sieh das Ganze doch einfach als Erfahrung, alsetwas, das gemacht werden musste. Du musstest das Tier...na ja...Jetzt bist du einen Schritt weiter.HEIKEDas ist nicht das Problem. Du hast mich allein gelassen. Und erzählmir nicht, es war der Gestank. Bitte mach dich nicht lächerlicher,als du ohnehin schon bist.SCHUMANNJetzt wirst du ungerecht.HEIKEVielleicht will ich das ja. Ungerecht sein, einfach nur reinhacken.Vielleicht brauchst du das. Du lebst hier, aber von den Menschenhast du keine Ahnung, nicht die geringste.SCHUMANNAlso erstens kann ich nichts dafür, dass dich das Schwein nichtbefriedigt hat, das hätte ich dir übrigens auch vorher sagen können...HEIKEWarum hast du dann nicht versucht, mich davon abzuhalten!SCHUMANNDas wäre vollkommen sinnlos gewesen, du warst plötzlich regelrechtbesessen von der Idee mit dem Schwein. – Und zweitens, zweitens70


glaube ich nicht, dass du eine durchschnittliche Vertreterin deinerGattung bist. Wirklich nicht. Andere ehrgeizige Frauen in deinemAlter wollen eine Eins im Juraexamen. Oder einen Karrieremann samtHaus für den Nachwuchs...HEIKEMoment. Willst du mir jetzt sagen, dass ich nicht richtig ticke?Versteh ich das richtig?(lacht)Du willst mir sagen, ich sei komisch? Verrückt womöglich? Schumann,du hast keine Ahnung.SCHUMANNNun, ich sehe dich immerhin von außen.HEIKEWeißt du was? Ich glaube, das wird mir langsam zu blöd.Eine Frau kommt herein, forsch, steuert direkt auf die Theke zu.FRAU SCHUMANNDas ist doch die Goldkante hier?Das Thekenwesen nickt.FRAU SCHUMANNGut.(sieht sich um, so, als würde sie jemanden suchen)HEIKE(hat ihre Sachen zusammengepackt)Du kannst mir wirklich gestohlen bleiben. Deine Klugscheißerei,deine ewige Überheblichkeit... Ich brauch das nicht, absolut nicht.Kalt bist du. Genau: Kalt. Und total unbeweglich und...FRAU SCHUMANN(zu Schumann)Bist du’s?HEIKEWas ist denn das für ne Trulla?FRAU SCHUMANNIch werd verrückt.SCHUMANNAlso das weiß ich wirklich nicht.HEIKENa egal. Ich wünsche euch beiden jedenfalls noch viel Vergnügen.(zu Frau Schumann)Die haben hier einen großartigen Swimmingpool.FRAU SCHUMANNMein Junge. Himmel bist du groß geworden. Und was sind das da fürGeräte?71


SCHUMANNToll. Noch eine Verrückte.HEIKEAch. Das ist ja interessant. Sie sind also Schumanns Mutter?Vergessen Sie den Swimmingpool, was wollen Sie trinken?FRAU SCHUMANN(starrt auf Schumann)HEIKEWarten Sie. Am besten setzen Sie sich zuerst einmal. Sie sind javollkommen außer sich.(besorgt einen weiteren Sessel)Hier, bitte. Und dann erzählen Sie mal.SCHUMANN(zu Heike)Ich dachte, du wolltest los.HEIKEWeißt du, Süßer, das eilt doch nicht. Immerhin ist deine Mutter zuBesuch.SCHUMANN(lacht)Ich fürchte, ihr seid beide total übergeschnappt.HEIKE(lässt sich nicht beirren)Warten Sie, ich hole Ihnen erst mal ein Wasser.SCHUMANNUnd ich sollte dann wohl besser gehen.HEIKE(hält das Wasser in der Hand)Ja. Du bist müde, das verstehe ich. Ich werde mich noch etwas mitdeiner reizenden Mutter unterhalten.SCHUMANNIch bezweifle, dass diese Frau da – wer auch immer das ist –sprechen kann.FRAU SCHUMANNMein Junge.HEIKENa also. Davon versteht ihr Männer nichts. Wenn du erst gegangenbist, wird diese Frau mir ihr Herz ausschütten, dass es nur sorappelt. Hier, direkt auf den Tisch.FRAU SCHUMANNIch muss aufs Klo.HEIKEAber sicher. Dort drüben direkt. Soll ich Ihnen helfen?72


FRAU SCHUMANN(geht zügig zum Klo)HEIKENa, die hat wohl eine weite Reise hinter sich.SCHUMANNAlso das weiß ich wirklich nicht. Ich... kenne diese Person nicht.Ich denke nicht, dass ich sie jemals zuvor gesehen habe.HEIKEUnd deshalb bist du auch plötzlich so einsilbig. Verstehe. Geradezuverstört bist du!SCHUMANNDas ist doch lächerlich!HEIKEOh oh oh, Schumann hat ein Geheimnis. Ich wusste es! Soll ich dirwas sagen: Ich habe das immer gespürt. Irgendwas stimmt nicht, habeich gedacht, besonders nach der Sache mit dem Schwein. Aber deinAuftreten, dein Aufzug - dieses Weltfremde. Und deine Brust! Ichhabe damals gar nicht so genau hingesehen, ich weiß nicht, ich binschließlich keine Ärztin. Ich gebe zu, es sah insgesamt sehrbefremdlich aus, aber es könnte sich um alles Mögliche handeln. Undjetzt, jetzt werden wir der Sache mal ordentlich auf den Zahnfühlen.SCHUMANNWenn du meinst.HEIKESchumanns Mutter, ich fass es nicht. Ich könnte glatt ein Ei legenvor Freude.SCHUMANNDas möchte ich sehen.HEIKEJa. Planet Braunschweig oder so. Schumann, ich fürchte, du bistnichts weiter als ein mickriger Hochstapler.SCHUMANNWie du möchtest. Aber pass auf, dass du dich nicht um den Verstandredest.(leise)Viel ist ja nicht davon da.HEIKEBitte? Oh, ich glaube sie kommt zurück, deine liebe Mutter kommt.FRAU SCHUMANN(setzt sich wieder, blickt zu Schumann)HEIKEGott ist das aufregend.(beide abwechselnd ansehend)73


Na, fangt an. Redet, drückt euch – ihr habt euch doch sicherungeheuer viel zu erzählen.SCHUMANNAlso Heike, entschuldige mal.HEIKEWie heißt er eigentlich, ihr Sohn? Ich kenne ihn nur als Schumann.SCHUMANN(blickt Frau Schumann nervös/gespannt an)FRAU SCHUMANN(nachdenklich, zögerlich)Bert?HEIKE(lacht)Wie Süß!(zwinkert Schumann zu)SCHUMANNAlso jetzt reicht’s. Heike, kommst du mal bitte.HEIKESicher Bert, sofort.(zu Frau Schumann)Nur einen kleinen Moment.SCHUMANNUntersteh dich, mir so einen grotesken Namen anzuhängen, ich warnedich. Heike, das ist mein voller Ernst.HEIKEIch frage mich, weshalb du dich so aufregst. Keiner sucht sichseinen Namen selber aus, aber man muss lernen, ihn auszufüllen. Ihnzu tragen, weißt du. Heike ist auch nicht der schönste Name, aberwas ich daraus gemacht habe. Und das ist es am Ende, was zählt...SCHUMANN...sagt bestimmt deine Großmutter. Aber weißt du was: Deine WaldundWiesenphilosophie kannst du für dich behalten. Ich erwarte, dassdu diese lächerliche Veranstaltung augenblicklich beendest. Sofort.HEIKEAlso... Nein. Das werde ich nicht tun. Und weißt du warum? Weil dudich gerade äußerst merkwürdig verhältst. Außerdem: Was willst duihr sagen?SCHUMANNIch? Ich werde zu dieser Person gar nichts sagen. Du wirst sie jetztwegschicken. Du gehst jetzt da hin und sagst ihr, sie sollaugenblicklich verschwinden...HEIKE...sonst rufe ich die Polizei?74


SCHUMANNJa. Wenn du willst. Bring sie um meinetwegen.HEIKENein.SCHUMANNDann werde ich jetzt gehen.HEIKEBitte. Wenn du meinst, du musst unbedingt immer weglaufen...SCHUMANNHeike!... Mach nicht alles kaputt.HEIKE(blickt Schumann lange forschend an)Ich verstehe dich nicht, wirklich nicht. Aber du kannst unmöglichvon mir erwarten, dass ich diese Chance ungenutzt lasse. Das kannich nicht, so bin ich nicht. Ich bin keine kleine, dumme... weiß ichnicht... irgendeine Uschi! Die immer tut, was man von ihr erwartet.Vergiss es, Schumann.SCHUMANN(nickt schweigend)Leb wohl.HEIKESchumann...SCHUMANN(wortlos ab)HEIKE(blickt zu Frau Schumann)FRAU SCHUMANN(hat ihr Wasser ausgetrunken und fingert im Glas nach derZitronenscheibe)HEIKEWollen Sie noch etwas trinken?FRAU SCHUMANN(rülpst. Lacht)Verzeihung.HEIKEAch, das stört mich nicht. Vielleicht ein Gläschen Sekt?... Woraufhaben Sie Lust, na kommen Sie... Also Bert? Bert haben Sie gesagt?FRAU SCHUMANNWo ist er? Wo ist mein Junge?HEIKEIhm ist schlecht geworden, er hat sich verabschiedet.75


FRAU SCHUMANN(will aufstehen)HEIKENein, nicht doch. Das hat jetzt keinen Sinn. Ich kann Sie mitnehmenspäter, ehrlich, wenn Sie möchten, bringe ich Sie später zu ihm.Nur... bitte atmen Sie erst einmal ruhig durch. Ich meine, Siekennen ihn schließlich, er ist... recht kompliziert.FRAU SCHUMANNJa. Er ist etwas Besonderes.HEIKEDas ist äußerst interessant. Wann hat er Geburtstag? Ich wette erist ein Krebs.FRAU SCHUMANNWir haben seinen Geburtstag immer im Sommer gefeiert.HEIKESag ich doch! Aber warum... Sie müssen doch seinen Geburtstagwissen.FRAU SCHUMANNAls er zu uns kam, war er wohl vier Jahre alt.HEIKEWer? Das verstehe ich nicht. Ist Bert adoptiert?FRAU SCHUMANNNennen Sie ihn nicht so. Bitte. Bert war mein älterer Bruder. Er istverunglückt.HEIKE(irritiert)Oh. Das konnte ich nicht wissen. ... Ja aber, wie haben Sie ihn dennhier gefunden? Ich meine... Schumann... so nenne ich ihn... er hatsich doch über drei Jahre lang in seiner Wohnung... versteckt. Esmuss ungeheuer schwer gewesen sein, ihn ausfindig zu machen.FRAU SCHUMANN(schüttelt nachdenklich den Kopf, langsam, abwesend)HEIKENicht? Wo leben Sie denn, Sie sind doch nicht aus Bochum? ... Gut.Sie sind sehr aufgewühlt, das verstehe ich. Wirklich. Aber bitteversuchen Sie, sich zu konzentrieren. Es ist sehr wichtig für mich.... Wissen Sie: Ich mag Schumann. Ich mag ihn wirklich. Und ichmöchte ihm helfen.FRAU SCHUMANN(blickt Heike verständnislos an)HEIKENein. Entschuldigen Sie, ihm fehlt nichts, so meine ich das nicht.Er ist einfach sehr... verschlossen. Man kommt nicht an ihn heran.Ich möchte... Ich wünsche mir... Auch Schumann braucht jemanden.76


Also Freunde meine ich, Menschen, na ja, Menschen die für ihn dasind oder so. ... Idiotisch, ich mache mich lächerlich.FRAU SCHUMANNJunge Frau...(bricht ab)HEIKEJa. Ja, was möchten Sie mir sagen?FRAU SCHUMANNNein. Ich glaube, das war keine sehr gute Idee.HEIKEDoch. Ganz bestimmt war es das. Vertrauen Sie ihrer Intuition. Ichmeine, ich bin keine Mutter, noch nicht, aber ich bin auch eineFrau. Verstehen Sie. Sie wollten ihn finden, Sie haben ihn gesucht,überall, jahrelang womöglich. ... Ich richte ihm gerne etwas aus vonIhnen, alles was Sie möchten... Frau...FRAU SCHUMANN...Schumann. Ich werde jetzt gehen.HEIKE(resigniert)Ja. Das wird wohl das Beste für Sie sein. Aber halt, warten Sie!(springt auf und besorgt sich an der Theke etwas zu Schreiben)Schreiben Sie mir doch Ihre Telefon...FRAU SCHUMANN(ist bereits zur Tür gegangen. Sie öffnet sie leise, geht schweigendab)HEIKEScheiße! Fuck fuck fuck!Sie wird richtig wütend. Knallt Block und Stift auf den Boden.Überlegt, ob sie randalieren soll. Schlägt etwas, tritt gegen denSessel. Und unter dem Sessel von Frau Schumann liegt dann nochetwas. Eine kleine Tüte zum Beispiel. Heike hält inne. Hebt die Tüteauf, blickt hinein. Setzt sich. Ist ruhig jetzt, nachdenklich.Blickt erneut in die Tüte.Gott. Es tut mir Leid.FORTSETZUNG FOLGT...77


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 8"ALARM!"vonAndreas BrowaEs heißt ja: die Chemie muss stimmen. Ein Kolben mit blutigem Rotund ein Kolben mit fremdem Grün. Beides langsam erhitzt. EineMischung, die möglicherweise in die Luft geht. Und stinkt.78


INT. GOLDKANTE - ABENDDie Spannung zwischen Schumann und Heike ist in dieser Folge vomersten Moment an von ungewöhnlicher Dichte.Der Gast (Attentäter) ist kein handlungstragendes Element, er isteher als dramatisches Element zu verstehen. Möglicherweise eineLichtgestalt, ein absurder Engel. Oder die Stimme der Inszenierung.Er muss nicht zwingend verwendet werden.SCHUMANN(tritt auf, will bestellen)HEIKE(tritt auf, erblickt Schumann wenige Meter vor sich an der Theke)SCHUMANN(hört die Tür, dreht sich um, erblickt Heike)Beide reagieren schweigend auf einander.SCHUMANN(lässt von der Theke ab, sucht sich Platz)HEIKE(nimmt Schumanns Position vor der Theke ein)Also, die Bestellung ist folgende:(blickt zu Schumann)Milch und Bier, aber beides nicht im Glas, Sie wissen schon. Und fürmich bitte ein Glas Rotwein.(schafft das alles irgendwie zu Schumann, setzt sich)Na, ich hätte nicht erwartet, dich heute hier anzutreffen.SCHUMANNUnd ich hätte nicht gedacht, dass du es wagst, hier aufzulaufen.HEIKENein? Da kennst du mich schlecht. Ich bin eine Spielerin, und zwareine verdammt gute. Ich habe bisher nur noch keinen würdigen Partnergefunden.SCHUMANNSehr schön. Für das, was du dir letzte Woche geleistet hast, spielstdu dich mächtig auf. Insofern gebe ich dir Recht.HEIKEDas ist noch gar nichts, mein Lieber. Es kommt gleich noch vieldicker, worauf du gerne einen lassen kannst.SCHUMANNDarauf trinke ich lieber. Zum Wohl!HEIKEWie ich sehe, hast du dich wieder gefangen, sehr gut. Dann könnenwir ja gleich zur Sache kommen.SCHUMANNBitte. Schieß los.79


HEIKEIch werde... Nein. Anders: Meine Zeit ist mir zu kostbar, um sie miteinem freakigen Schwachkopf zu verplempern. Ich habe daherbeschlossen, mich wieder stärker auf meine eigentlichen Ziele zukonzentrieren, sie voranzutreiben.SCHUMANNWie, das ist alles? Mehr möchtest du nicht loswerden?HEIKEVorerst nicht. Du hast jetzt die Möglichkeit, Stellung zu beziehen.Und bevor du mir jetzt wieder mit deinem albernen Schumanngeplapperankommst: Ich meine Position. Bring dich in Position zu mir, zeigdich. Arrogante Klugscheißerei brauche ich nicht.SCHUMANNDas kann ja in der Tat noch spannend werden. Lass mich kurzzusammenfassen: Du braust hier herein, pünktlich – um nicht zu sagenüberpünktlich -, polterst hier rein, servierst mir Getränke undnennst mich einen... freakigen Schwachkopf, was immer das auchbezeichnen mag, und erwartest allen Ernstes, dass ich daraufreagiere? ...HEIKEAllerdings.SCHUMANN...und faselst dann was von Zielen, die verfolgt sein wollen. AlsoHeike, nimm’s mir nicht übel, aber ich fürchte, du steckst inernsthaften Schwierigkeiten.HEIKE(erstaunlich gefasst)Genau mit dieser Reaktion habe ich gerechnet. Und weißt du was: Daszieht bei mir nicht mehr. Du versuchst damit von dir abzulenken,albern. Soviel nur zum Thema ernste Schwierigkeiten.(nach einer kleinen Pause, provokativ)Ich habe mich vergangene Woche noch ausführlich mit deiner Mutterunterhalten. Das war äußerst aufschlussreich, eine ganz reizendePerson...SCHUMANNLächerlich.HEIKE...Was die alles zu erzählen wusste, wirklich, ich habe michgroßartig amüsiert.SCHUMANN(blickt Heike verständnislos an, trinkt, lehnt sich entspanntzurück)HEIKEDass du zu blöd warst, Fahrrad zu fahren.(lacht)Wirklich, mit den zwei Rädern wärst du einfach nicht zurechtgekommen.Und sie hat mir auch die lustige kleine Geschichte80


erzählt, wie du versucht hast, heimlich hinterm Haus zu üben und wiesie dich dann am Ende zusammen mit eurer Nachbarin aus der Heckezerren musste. Wirklich köstlich.SCHUMANNAch, das ist ja interessant. Was hat sie denn noch so erzählt,meine...Mutter?HEIKEDu wärst ganz verrückt auf Biene Maja gewesen und hättest amliebsten Holzklotschen getragen...SCHUMANNZum Fernsehen?HEIKE...Ja, ganz generell. Und du hättest große Angst gehabt im Dunkeln,daher hat sie dir dann irgendwann das leuchtende Stachelschweingekauft...SCHUMANNEin Stachelschwein.HEIKE...Ja. So eine Plastikkinderlampe, die man neben das Kinderbettstellt, die man in die Steckdose stecken kann und die dann die ganzeNacht lang ein putziges Plastiklicht verströmt.SCHUMANNIch verstehe. Heike, weißt du was?HEIKESchumann?SCHUMANNDu solltest umsatteln. Vergiss die Musik und die Blutorgien undwerde Schriftstellerin. Wirklich. Du verfügst über eineweitschweifige Fantasie, absolut bemerkenswert. Und du könntest mitdeinen Geschichten sicherlich hunderte – was sage ich: tausende! -,tausende von frustrierten Hausfrauen und geplagten Müttern könntestdu damit sehr glücklich machen. Und du brauchst nicht mehr dazu alseinen Schreibtisch, Stift und Papier.HEIKESehr amüsant.SCHUMANNUnsinn, du kannst ebenso gut am Küchentisch arbeiten. Das ist auchviel authentischer. Und am besten gibst du alles direkt in deinen PCein, damit es hübsch klappert dabei und sich groß anfühlt. Da kannstdu ja so gut drauf.ATTENTÄTER(sitzt von Anfang an im Publikum und fällt jetzt durch seltsameSchnalzgeräusche auf. Und durch hektische Seitenblicke. Und dadurchvielleicht, dass er beleuchtet wird)81


HEIKE(kalt)Du glaubst mir nicht.SCHUMANN(kalt)Nicht ein Wort, meine Liebe.HEIKELügner. Ich wette, du kackst dir gleich in die Hosen. Ein Schisshasebist du nämlich.SCHUMANNTut mir Leid, damit kann ich nichts anfangen.HEIKEEiner, der den Schwanz einklemmt, wenn’s drauf ankommt, einer dernichts weiter kann als posieren. Ist das deutlicher?SCHUMANNAllerdings. Trotzdem hat dir diese Frau – meine angebliche Mutter -sie hat dir nichts erzählt, nicht das Geringste, da bin ich mirsicher. Und du kannst Beschimpfungen ausstoßen bis du...HEIKEAlso kennst du sie, gib’s doch endlich zu!SCHUMANN...das ändert gar nichts daran, all deine Beschimpfungen verratenlediglich eine grundsätzliche Hilflosigkeit. Eine kommunikativeSchwäche, das ist alles.HEIKEIch habe dich etwas gefragt.SCHUMANNUnd ich denke ja nicht im Traum daran, mich auf deine primitivenSpielchen einzulassen.HEIKESchumann!SCHUMANNEine Spielerin, ja? Aber was wird denn eigentlich gespielt, wenn wirgerade dabei sind, kannst du mir das verraten? Ist euer Leben hierein Spiel, willst du mir das erzählen? Bist du Heike oder spielst duHeike? Wer weiß, vielleicht bist du ja in Wirklichkeit Monika,vielleicht bist du ein Witz, den irgendwer auf der Straße verlorenhat. Ich nehme dir das jedenfalls nicht ab, weißt du, der ganzeBlutzauber... diese verrückte Fixierung...HEIKE(springt auf)Schumann! Kennst du diese Frau?82


SCHUMANN(springt ebenfalls auf)Ja verdammt, ich kenne sie! Aber sie ist nicht meine Mutter!ATTENTÄTER(schnalzt und schnattert, zieht ein Klappmesser hervor)HEIKESo.SCHUMANNVon wegen! Aufgeblasene Luft bist du doch! Ehrlich, es gibt dich garnicht, so was gibt’s gar nicht. Gott, möglicherweise... bilde ichmir das alles nur ein.HEIKE(setzt sich wieder, lächelt)So ein Arschloch. So ein mieses, verfranstes...SCHUMANNMeinst du mich?HEIKEHalt die Fresse! Halt die Fresse, oder ich nagel dich hier vor allenLeuten an die Wand.SCHUMANNIch...HEIKE...BIN SCHUMANN! Ich weiß! Was hast du denn, was bist du! Wer solldas sein: Schumann? Eine verkrüppelte Identität ist das. Schumannist doch kein Name, das ist... ich weiß nicht... eine Schrankwand!Genau, ein monströser Gegenstand, hinter dem du dich verkrochenhast.SCHUMANN(setzt sich wieder)HEIKEIch habe Kafka gelesen in der Schule: Josef K. K: das ist dasselbe,haargenau. Ein hilfloser Hampelmann, der nicht einmal einenvollständigen Namen hat. Der peinlich durch die Welt hampelt und mitabsolut nichts fertig wird. Und der am Ende geschlachtet wird.Genau. Ich habe das damals nicht verstanden, aber wenn du mich jetztfragst: Er hat es verdient. Geschlachtet zu werden, meine ich. Undes war seine Erlösung.Schweigen. Der Attentäter springt bei dem zweiten geschlachtet auf.Zuckt. Setzt sich wieder. Schnalzt und schlabbert.HEIKEHast du Träume?SCHUMANNBitte?83


HEIKEJa, Träume. Ehrlich, ich hab Träume. Ich habe Träume von Afrika, ichhab versaute Träume...SCHUMANNSchön. Ich hol mir noch was zu trinken.HEIKENein, warte, zieh dich nicht gleich wieder zurück. Wir machen einenDeal, okay?SCHUMANNAber ich bin durstig.(geht zur Theke und holt sich neue Getränke)Was meinst du: Einen Deal?HEIKEWir versuchen, ehrlich zu einander zu sein und schaun mal, wie weitwir damit kommen. Ich fange an. Die Frau letztes Mal, also deineMutter, ich habe nichts aus ihr herausbekommen. Nichts Vernünftigeszumindest. Komplett verwirrt war die Alte.SCHUMANNJa. Sie hatte früher schon erkennbare Ansätze von Verwirrtheit. ...Ich habe eine Zeitlang bei ihr gelebt, das ist Jahre her. Und amAnfang war ihr damaliger Lebensgefährte noch mit dabei, so einjähzorniger, ranziger Rüpel.HEIKEBei uns war alles schrecklich normal. Na ja, es sollte wohl normalsein. Tatsächlich waren unsere Eltern unfähig, sich ernsthaft mituns auseinanderzusetzen. Weißt du? Zuerst ist man eine ArtSpielzeug, später dann irgendwas Abstraktes. Wechselweise Prestigeund Belästigung.SCHUMANNAls du vorhin das mit dem Fahrrad erzählt hast, da ist mir wiederetwas eingefallen. Norbert, ja, ich glaube so hieß der Kerl. IhrLebensgefährte, Norbert. Er konnte mich nicht ausstehen, hatte nullVerständnis für meine Allergien. Und einmal, beim Abendbrot, hat ermich gezwungen, Käse zu essen. Kannst du dir das vorstellen? Diesesschmierige Stück... Stinkende Bakterien, die mit vergammelter Milchweiß Gott was veranstalten... Sie hat versucht, ihn davonabzubringen, aber er hat mich letztlich gezwungen. Na ja.Ich habe den Käse dann gegessen, das ganze Stück. Ohne Brot.Anschließend habe ich mich über den kompletten Tisch erbrochen.HEIKENein! Du hast alles vollgekotzt?SCHUMANNJa genau. Aber das Beste ist, ich habe danach ganz ruhig gesagt:„So. Und nun könnt ihr essen, was auf den Tisch gekommen ist.“ Undmir damit meine erste und einzige Tracht Prügel eingehandelt.84


HEIKE(lacht)Schumann, das ist großartig! Und ich muss zugeben: Das hört sichtatsächlich etwas spacy an. Wenn ich mal einen Film mache, dann musses so eine Szene geben, unbedingt.SCHUMANNSie mochte mich. Doch, sie konnte mich zwar nicht begreifen, aberich glaube, sie mochte mich wirklich.HEIKEMeine Mutter hat immer gesagt, wie lieb sie uns hat, mich und meinenBruder, aber ich denke, sie wusste nicht einmal, wovon sie sprach.Liebe ist überhaupt ein total vergewaltigter Begriff, im Grundeunbenutzbar inzwischen. Jeder meint etwas anderes. Ich glaube, wennunsere Mutter davon gesprochen hat, meinte sie, dass wir alleirgendwie quälend aneinander gekettet sind.SCHUMANNDu hast einen Bruder?HEIKEEinen Scheißbruder. Der erste Mann, der mich im Stich gelassen hat.Ist schwul geworden, kein Wunder. Und nachdem es irgendwann mal rauswar, war ich für ihn auch gegessen. Er ist dann bald ausgezogen undich musste die Launen meiner Mutter alleine ertragen.SCHUMANNEin Schwuler?HEIKEJa. Wieso, interessierst du dich dafür?SCHUMANNNein, nicht dass ich wüsste. Aber interessant, das erklärt immerhineiniges.HEIKEDu meinst: Der eine wird schwul, die andere irgendwie bekloppt...SCHUMANNDas hast du jetzt gesagt.HEIKEIch weiß. Aber ganz so abwegig ist es ja auch nicht. Es gibtMomente, in denen ich Angst vor dem habe, was ich will. Ein Zustandder Lähmung, etwas, das mich verschlucken will. Weißt du, was ichmeine?SCHUMANNIch kann es mir vorstellen.HEIKEUnd du?SCHUMANNWas?85


HEIKEHast du Angst manchmal?SCHUMANNAn diesen Begriff habe ich bisher nicht gedacht. Glaube ich, nein,nicht, dass ich wüsste. Aber so eine Art Lähmung, wie du gesagthast, ich glaube so etwas Ähnliches kenne ich.ATTENTÄTERAha!(lässt das Messer fallen)SCHUMANNAlso, ich meine, ich befinde mich in einem Raum, in meiner Wohnungzum Beispiel, und plötzlich geht eine Tür auf.(bricht ab)HEIKEWie? Es geht eine Tür auf?SCHUMANN(schweigt)HEIKEGut. Eine Tür geht auf, weiter.SCHUMANNJa, weiter. Der Raum ist dann ein anderer, so meine ich das. Vielgrößer, unbegrenzt. Formlos, um genau zu sein. Keine Zeit, keineGegenstände. Und in diesem Raum gehe ich dann phasenweise verloren.Hört sich dramatischer an als es ist, aber so würde ich esbeschreiben.HEIKEHört sich nach dem Weltall an, wenn du mich fragst. Gesund ist dasjedenfalls nicht.SCHUMANNWas ist heute schon gesund. Käse vielleicht?HEIKEKäse kann sehr gesund sein. Wenn man in der Lage ist, ihn zugenießen, dann ist er Butter für die Seele. Genau wie guter Sex.Beides sehr gesund. Vielleicht ist es das: du kannst nicht genießen,nichts dringt vor zu dir, du lässt nichts und niemanden an dichheran. Deine Becherwirtschaft da zum Beispiel. Wirkt sehrpragmatisch. Auf den ersten Blick durchaus abgefahren, aber auf garkeinen Fall genießerisch.SCHUMANNIch bin nun mal Allergiker.HEIKEJa. Aber gegen was eigentlich genau bist du allergisch? Das ist mirbis heute nicht klar geworden. Ich meine: Man kann sich allesMögliche einreden.86


SCHUMANNIch weiß. Aber ich leide tatsächlich an Allergien.HEIKESchon gut. Glaub ich dir ja.Beide schweigen, jeder ist mit sich beschäftigt.ATTENTÄTER(steht auf, langsam diesmal, bewegt sich auf die beiden zu. DieseBewegung ist keineswegs gradlinig, also offensichtlich zielstrebig,aber sie wirkt in jedem Fall auf ihre Weise zielorientiert. Sie hältan bis zum Ende der Folge)HEIKEEins verstehe ich allerdings nicht: Diese Frau, deine Mutter... Ichmeine: Wenn du irgendwo aufgewachsen bist, dann warst du ja wohlauch mal ein Kind...SCHUMANNNein. Das heißt: Ja, selbstverständlich war ich früher jung. Oderdachtest du, woanders sind die Dinge von Anfang an fertig vorhanden?HEIKESchon gut. Aber diese Frau...SCHUMANN(unterbricht sie)Nein. Ich möchte nicht mehr, für heute ist genug.HEIKENur noch diese eine Sache. Bitte.SCHUMANNNein. Aber wenn es dir hilft: Irgendwo musste ich zu dieser Zeitschließlich unterkommen.HEIKEDu meinst unauffällig, also eine Art Tarnung... ein Inkognito...SCHUMANNHeike, nein. Es ist mein Ernst, ich habe genug für heute.HEIKENa, scheint dich ja ganz schön aufgeregt zu haben, unser kleinerStriptease. Aber klar, gut, ich bin einverstanden. Für diesmal istSchluss.Beide schweigen.HEIKEWar aber wirklich aufregend. Und ich muss gestehen, ich war richtigwütend. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte eine derartige Wut imBauch... Wenn du heute nicht gekommen wärst, hätte ich vielleicht imAffekt jemanden kalt gemacht. Oder die Hütte hier abgefackelt, ichweiß nicht.87


SCHUMANNJa, wütend war ich auch. Und wenn du nicht hier gewesen wärst... ichwäre wohl nicht noch einmal gekommen.HEIKEWas? Nie mehr?SCHUMANNGenau. Ich wäre nicht mehr wiedergekommen.HEIKEDann haben wir ja beide noch mal Glück gehabt.SCHUMANNOder auch nicht, das wird sich zeigen.HEIKEHier.(hält Schumann die Tüte aus Folge 7 entgegen)SCHUMANNWas ist das?HEIKEEin schönes Stück Stinkerkäse.(lacht)Nein, das hat die Frau letzte Woche für dich liegen lassen.SCHUMANNJa und, was ist es?HEIKEDu solltest selbst nachsehen, es ist was Persönliches.SCHUMANN(nimmt Heike die Tüte ab, blickt hinein)Gott.(blickt erneut in die Tüte, greift zaghaft hinein, um den Gegenstandans Licht zu befördern)ATTENTÄTER(gelangt bei den beiden an, springt auf Schumann zu, packt ihn vonhinten und drückt ihm das Messer an die Kehle. Die Tüte fällt zuBoden, ihr Inhalt bleibt verborgen)Jetzt – ist – Schluß.(alternativ:)Keine Handys im öffentlichen Nahverkehr.(oder:)Es hat sich ausgebechert!(oder was dem Darsteller eben im Moment so einfällt dazu)FORTSETZUNG FOLGT...88


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 9"Maskentanz"vonAndreas BrowaIn Kostümen steht man nicht selten nackt vor einander. Die Wogensind endlich geglättet, und die Zeit ist reif für einen gemeinsamenWeg. Stellen sich Heike und Schumann der Herausforderung?89


INT. GOLDKANTE - ABENDVor dem Eingang der Goldkante wartet Matthew, ein Mormone. Er istals solcher durch seinen Aufzug zu erkennen.SCHUMANN(tritt auf. Er ist gut gelaunt und trägt zusätzlich zu seinemgewöhnlichen Outfit ein Paar Antennen auf dem Kopf. Er bestellt beimThekenwesen)Neue Frisur? Schick.(sucht sich Platz)HEIKE(tritt auf, zusammen mit Matthew. Sie hat sich Augen und Mundgeschminkt)MATTHEWOh. Hier trefft ihr euch also.HEIKEJa, hier ist es. Schön, dass du gekommen bist. Und da hinten sitztauch schon mein Bekannter.(geht mit Matthew zu Schumann)Schumann, das ist Matthew. Matthew – Schumann.MATTHEWTschumen, sehr schön.SCHUMANNJa ja, freut mich ebenso. Originelle Verkleidung.HEIKEIst doch noch gar nicht ganz fertig. Den Rest habe ich hier imKoffer.SCHUMANNIch meinte auch deinen Bekannten.HEIKEAch ja. Matthew ist Mormone. Und er trinkt gerne Milch, genau wiedu.MATTHEWIch liebe frischen Milch sehr.SCHUMANNGehört der Akzent mit zum Kostüm?MATTHEW(versteht nicht, lacht verlegen)HEIKENein Schumann, Matthew ist wirklich Mormone und in Mission für seineGemeinschaft bei uns unterwegs.90


SCHUMANN(überlegt)Ah. Ich glaube, ich verstehe. Nur der Zeitpunkt, Heike, ich binnicht sicher, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt ist.HEIKEAch was. Wir sind uns zufällig begegnet. Ich war am Nachmittag schonin der Stadt, und Matthew hat mich angesprochen, als ich gerade vomFuß-French gekommen bin.SCHUMANNFuß-French? Heike, ich verstehe kein Wort.HEIKEJa, ich hatte noch einen Gutschein. Du weißt doch: was man eben soalles Geschenkt bekommt.(zu Matthew)Bei uns verschenkt man zur Zeit gerne Wellness. Massagen, Beauty,Meditation…MATTHEWOh, Meditation. Ich verstehe.SCHUMANNDas bezweifle ich.HEIKE(zu Schumann)Matthew war wirklich reizend, weißt du, hat mir alles Wesentlicheerzählt. Wir haben uns angeregt unterhalten, na und da habe ich ihneingeladen, mich später hier noch einmal zu treffen.SCHUMANNErstaunlich. Ich dachte immer, die dürfen gar nicht allein auf dieStraße.HEIKEIch war eben auch sehr überrascht. Aber schön, wirklich, ich freumich.SCHUMANNHeike, was hast du vor?HEIKE(legt Matthew eine Hand aufs Knie, himmelt ihn an)Ist er nicht süß?MATTHEW(verlegen)Ihr seid gläubig?HEIKE(lacht)SCHUMANNAlso, ich glaube an Herrn Klump und Frau Patsch.91


HEIKEMein Gott, Schumann, wie witzig.MATTHEWKlump-patsch.HEIKEEin Scherz, Schumann hat einen Scherz gemacht. Aberselbstverständlich glauben wir an etwas, wir sind schließlichMenschen. Ich glaube an das Kommende, zum Beispiel.(Schumann beobachtend)An das Große. An die Wiedervereinigung alles Getrennten und so.SCHUMANNAch, das ist ja interessant. Ich dachte immer, du glaubst an dasTier im Menschen.HEIKE(lacht)SCHUMANNDie animalische Kraft, das natürliche Vorrecht des Stärkeren und alldas.MATTHEWIch verstehe nicht alles ganz richtig, glaube ich.HEIKEDas macht nichts. Ich verstehe den kleinen Schumann auch nichtimmer. Und das, obwohl wir uns immerhin dieselbe Sprache teilen.MATTHEWVor dem Herrn sprechen wir alle dieselbe Sprache.HEIKEEine wirklich schöne Vorstellung.SCHUMANNAch ja? Ich wette aber, die Sache hat einen Haken.MATTHEWWie meinst du das: einhaken?SCHUMANNNa, ich schätze doch mal, es gibt da einige Grundregeln, die zubefolgen sind, bevor man in den Genuss der gemeinsamen Sprachekommt.MATTHEW(hält Schumann sein Buch entgegen)Alles was man wissen muss, ist hier aufgeschrieben.SCHUMANN(zu Heike)Also, was ist der Plan?92


HEIKEIch dachte eigentlich, wir machen uns gemeinsam einen netten Abend.SCHUMANNDavon bin ich ursprünglich auch ausgegangen.HEIKENa siehst du, dann sind wir uns doch einig. Und jetzt haben wir ebeneinen Gast aus dem Ausland und die Möglichkeit unsere Kultur zuvertreten. Uns auszutauschen, das ist doch ganz einfach.SCHUMANNUnd was für eine Kultur genau liegt dir dabei im Sinn?HEIKEAlso Schumann, ich bitte dich.SCHUMANNNein, wirklich. Womit sollen wir anfangen, was schlägst du vor.Fallen dir spontan einige Klassiker ein, wollen wir über Geschichtesprechen? Über unsere politische Hochkultur? Über Kulturen imAllgemeinen? Oder dachtest du eher an Körperkultur?HEIKEDu hast die vielen Milchkulturen vergessen. Und du bist äußerstunhöflich.SCHUMANNSo? Das finde ich nicht. Ich frage mich nur, wohin uns diese spaßigeSitzung hier führen soll.MATTHEWStöre ich?HEIKEAber nicht im Geringsten.SCHUMANNKeineswegs.(überlegt)(Schweigen)MATTHEWVielleicht ist eure Kultur krank?SCHUMANNMit Sicherheit, sie leidet entsetzliche Schmerzen. Und wir mit ihr.HEIKE(lacht)Na ja, es ging ihr vermutlich schon einmal besser.SCHUMANNSie ist völlig zerfranst.93


HEIKEUnd das hat durchaus auch seine Vorteile, wenn du mich fragst.Immerhin genießen wir Freiheiten, die vor uns kaum jemand gekannthat.MATTHEWGott schenkt die Freiheit.SCHUMANNGut Heike, dann sollten wir wohl langsam beginnen. Bringen wir eshinter uns, das ist ja kaum noch auszuhalten.MATTHEWBeginnen?SCHUMANNJa. Mit der Analyse. Also: Vermissen wird ihn zunächst niemand,denke ich. Zumindest keine Behörde, das ist durchaus ein Vorteil.Nur... Ausgerechnet heute ist es hier ungewöhnlich voll...HEIKE...Was mir sehr gut gefällt. Es gibt kaum etwas Sinnloseres alsleere Kneipen am Abend. Wir sind eben hier am Puls des Lebens, hierist das Leben.SCHUMANNTrotzdem: Ich halte es für keine gute Idee, hier zuzuschlagen.HEIKEAber davon redet doch auch keiner.SCHUMANNWir müssen ihn zuerst hier rausschaffen. Und dann irgendwiebetäuben.MATTHEWWen betäuben?SCHUMANNJa genau.HEIKE(zu Matthew)Ach, ich glaube er spricht von seiner Arbeit. Schumann arbeitet imKrankenhaus, weißt du.MATTHEWEin Arzt?HEIKESo ungefähr.SCHUMANNJa. Samsaralogie.MATTHEWSamsara.94


SCHUMANN(zu Heike)Und ein wenig auch Prontologie.HEIKE(zu Matthew)Erzähl mir doch lieber noch etwas mehr von euch. Über eure Frauenzum Beispiel. Was machen eure Frauen?MATTHEWWarum denn Frauen?SCHUMANNMensch Heike, das ist ihm doch peinlich, siehst du das denn nicht.Was sollen sie denn auch groß machen? Ich vermute, sie machen denHaushalt und kümmern sich um den Nachwuchs.HEIKEDas glaube ich nicht. Ist dir das Thema unangenehm?MATTHEWIch bin hier, weil ich über unser aller Vater sprechen möchte.SCHUMANNSiehst du. Der arme Kerl. Der ist sicher noch vollkommen unschuldig.HEIKEBlödsinn, was du da redest. Kannst du mir mal verraten, weshalb duso stachelig bist? Man könnte glauben du bist...SCHUMANNWas? Was könnte man glauben?HEIKENa ja...(himmelt erneut Matthew an)SCHUMANNOh, ich verstehe. Nein Heike, also wirklich nicht. Ein künftiger ...(zögert)... Hirte des Herrn...HEIKENa und? Daran lässt sich mit Sicherheit arbeiten. Besser unschuldigund naturbelassen, als vollkommen überzüchtet. Ja, überzüchtet undohne jeden Handlungssinn.SCHUMANNDa hast du mich wohl falsch verstanden, fürchte ich. Teilnehmereiner Sekte sind alles mögliche, nur nicht unschuldig.MATTHEWWir sind Christen.SCHUMANNVon mir aus.95


HEIKEJungs, wisst ihr was, ich hole uns erst mal was zu Trinken.(zu Matthew)Was möchtest du trinken?MATTHEWWie bitte? Oh, es ist sicher sehr spät schon. Ich muss gehen, glaubeich.SCHUMANN(erhebt sich)Na, dann begleiten wir ihn doch.HEIKEWas?SCHUMANNJa, oder? Eine günstigere Gelegenheit gab es bisher wohl noch nie.HEIKENein. Wenn ich dich richtig verstehe: Davon halte ich nichts.SCHUMANNAch? Also, zum Üben reicht es allemal. Die Proportionen stimmen, dasMoment des Unvermittelten... Es hätte sogar etwas Skandalöses, doch,in gewisser Hinsicht, durchaus...HEIKEVergiss es, ich bin nicht in Stimmung.MATTHEWAlso.(erhebt sich ebenfalls)Das war sehr... freundlich. Und ich hoffe auf Erleuchtung für dich.Und für dich auch natürlich.SCHUMANNOh, vielen Dank. Das wünsche ich dir auch, Matthew. Strahlen vonMars und Venus. Also Heike, kommst du?HEIKEDu willst uns wirklich schon verlassen? Schade.SCHUMANNEr wird sicher früh raus müssen. Du darfst nicht vergessen: er hateine Mission.HEIKELass es bleiben, Schumann, bitte.SCHUMANN(ignoriert Heike und begleitet Matthew vor die Tür)(Heike ist ein, zwei Minuten allein. Dann kommt Schumann zurück.)96


SCHUMANNHeike, was ist los mit dir? Würdest du mir vielleicht verraten, wasdas hier eben sollte? Worauf wartest du denn!HEIKEAch, ich weiß nicht. Es war nicht der Richtige.SCHUMANN(setzt sich, wartet)HEIKEJa, tut mir leid. Auf Kommando geht das nun mal nicht. ...Ich dachtewohl, es wäre ganz witzig, ihn mit zu unserem Treffen zu bringen.SCHUMANNWitzig? Für wen: Für dich oder für mich?HEIKEAußerdem habe ich im Traum nicht damit gerechnet, dass ertatsächlich hier auftaucht. Wirklich nicht. Wir haben uns nur etwasunterhalten.SCHUMANNDu fandest ihn süß.HEIKEQuatsch. Weiß ich nicht. Vielleicht wollte ich auch nur etwasausprobieren. Ist doch jetzt auch egal.SCHUMANNAh. Er hat sein Buch vergessen.HEIKEIch denke, das war Absicht. Die haben bestimmt ganze Kisten davonmitgebracht, die sie jetzt hier unters Volk bringen müssen. Vorherdürfen die nicht zurück.SCHUMANNSie könnten die Bücher auch einfach wegschmeißen, weißt du.HEIKEJa, das ist typisch. Du würdest sie sicher wegschmeißen.SCHUMANNAch, du doch auch. Außerdem glaube ich, keiner von uns beiden würdesich mit diesem Schwachsinn hier auf die Straße stellen. Das isteben nicht unsere Welt.(schlägt eine Seite auf)Hier: Und nun frage ich euch: Wie werdet ihr euch fühlen, wenn ihrvor dem Richtstuhl Gottes steht, und eure Kleider sind von Blut undallerart Schmutz Befleckt? Buch Alma.HEIKEAh. Da fällt mir was ein.(sucht ihr Vampirgebiss hervor und installiert es)97


SCHUMANN(eine andere Seite, halblaut)Und er züchtigte sie in der Wildnis mit seiner Rute…HEIKEFertig!SCHUMANN(liest etwas irritiert das Zitat noch still für sich zu Ende. Blicktauf)Ich bin beeindruckt. Wirklich, das gibt dir deutlich mehr Nachdruck.Deiner Persönlichkeit, meine ich.HEIKEJa, finde ich auch. Und du solltest dich besser in Acht nehmen.Sonst mache ich dich zu einem von uns.SCHUMANNDrohungen!HEIKEUnd du bist als Marsmännchen gekommen?SCHUMANNAls Außerirdischer, ja.HEIKEWillst du mich entführen?SCHUMANNIch bin noch nicht ganz schlüssig. ...Aber steht mir doch, oder?HEIKEUnterstreicht deine Persönlichkeit hinreichend.(Schweigen)HEIKEUnd du warst nicht ein kleines Bisschen eifersüchtig?SCHUMANNAuf dieses Milchgesicht?HEIKENur ein ganz kleines Bisschen?SCHUMANNAlso ich denke, da habe ich eindeutig mehr zu bieten.HEIKE(wartet)SCHUMANNGut. Vielleicht für einen kurzen Moment. Du hast ihn auch sehrpenetrant angehimmelt. ...Aber ich wollte mir heute einfach nichtdie Laune verderben lassen.98


HEIKEDann hast du dich auf heute gefreut?SCHUMANNHeike, ich glaube, wir haben uns vertan. Außer uns ist hier keinerverkleidet.HEIKEJa. Ist mir auch schon aufgefallen. Macht aber nichts. Ich find’slustig. Mit dir.SCHUMANNDann ist ja gut. Du findest nicht, dass wir uns zum Affen machenHEIKEGar nicht.(Schweigen)HEIKESchumann?SCHUMANNHeike?(Musik erklingt – let’s tangle vom Soundtrack lantana. Blicke.Schumann entfernt die Antennen, Heike das Vampirgebiss. Die Spannungwächst weiter an, bis Heike und Schumann plötzlich gleichzeitig aufeinander stürzen, sich verwickeln, heftig küssen. Das Musikstückerreicht dabei seinen Höhepunkt. Zusammen mit der Berührung. DanachLöst sich Schumann von Heike, geht etwas auf Distanz.)HEIKEWas ist?SCHUMANNNichts. Ich bin nicht sicher... Ich bin...HEIKEUnd ich bin Heike. Alles andere ist doch im Moment unwichtig.FORTSETZUNG FOLGT...99


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Nikolaus-Spezial"Das goldene Buch"vonBenjamin KaralicHeike und Schumann treffen endlich auf einen ebenbürtigen Gegner.Der größte Psychopath unserer Zeit kommt in die Goldkante und tauchtden Abend in tiefstes Rot.100


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe, leerer Tisch. Das Gemurmel der Insassen verstummt.Ruhe. Ein laufender Sack tritt auf. Er geht zur Theke.LAUFENDER SACKEin Glas Bier und ein Glas Milch. Aber bitte nicht im Glas.Genau, nehmen Sie die da.Er bekommt Schumanns Becher in die behandschuhten Hände (die alseinziges aus dem Sack herausragen). Dann setzt er sich.Heike und Schumann treten auf.SCHUMANNIch habe keine Kosten und Mühen gescheut. Kein Berg zu hoch, keineFahrkarte zu teuer, kein Streik, der mich aufhalten könnte.(deutet auf den Sack)Da is er.HEIKEDas is er?SCHUMANNDas is er.HEIKEIch hab ihn mir immer größer vorgestellt.SCHUMANNDeine Erinnerung spielt dir einen Streich. Wann hast du IHN denn dasletzte Mal gesehen, Erdling? Als Kind, oder?HEIKEIch hab mal mit einem geschlafen.SCHUMANNEkelhaft. Lass deine frühreifen Sexualabenteuer doch endlich mal da,wo sie hingehören. Bäh. Ein kleines Kind, das vom Weihnachtsmannge... geirgendwas wird. Der Weihnachtsmann hat keinen Sex.HEIKEIch war 25, er 17. Es war bei meiner kleinen Nichte. Hat an Nikolausne Show für die Kinder aus der Nachbarschaft gegeben. Ich fand essüß, wie er seine Stimme verstellt hat. “Na meine Kleine, warst dudenn auch brav dieses Jahr?” Hach. Als ich ihn dann ausgepackt habe,musste ich feststellen, dass er wirklich so spricht. IrgendeinKehlkopfscheiß. Aber nach einer Weile fand ich das dann auch geil...den kleinen schmächtigen Menschen dahinter habe ich mir dann einfachweggedacht. Einfach die Augen zu. Dann hab ich mich wegtragenlassen. Ja, so war’s, mein Sex mit dem Weihnachtsmann.SCHUMANNNikolaus.HEIKEWeihnachtsmann.101


SCHUMANNNikolaus.HEIKEWeihnachtsmann. Der Nikolaus ist ein langweiliger Bischof.SCHUMANNAber er ist echt. Er ist das Original. Euer Original. Ein deutschesOriginal.HEIKENe, ne. Der ist Türke. Nikolaus von Myra. Irgendwo in der Nähe vonAntalya geboren. Ein fleischgewordener Pauschalurlaub. Der kann mirgestohlen bleiben, ein türkischer Katholik, der keinen Sex hat undaffige Klamotten trägt. Ich will den roten Coca-Cola Mann.(zum Publikum)Ich gehe davon aus, dass alle wissen, dass das roteWeihnachtsmann-Kostüm eine Erfindung der Marketing- Abteilung vonCoca Cola ist. Wer weiß es? Aha.(wieder zu Schumann)Egal, wo es herkommt, dieses Kostüm trägt momentan die Macht desWeihnachtsmannes. Rot ist die Farbe des Übervaters.SCHUMANNMit seiner riesigen Rute.HEIKEKlappe halten. Der braucht keine Rute. Der guckt dich an, mit diesenkrassen Weihnachtsmann-Augen, in denen die Güte und Weisheit vonJahrtausenden gespeichert ist.SCHUMANNIch wusste nicht, dass der Coca Cola-Konzern schon so langeexistiert.HEIKEMann, der Coca Cola-Scheiß ist nur die Hülle, das Transportgerät fürdiese uralte Übermacht. Wenn diese archaische Kraft dich anguckt, indich eindringt, dann wird alles gut. Sorgen - weg, Sünden - weg,Geschlecht - weg. Bist du ein guter Mensch oder nicht? Das ist esdann, was zählt. Da brauchst du keine Rute. Das fühlst du dann.SCHUMANN(er deutet auf den Sack)Dann fühl mal.HEIKEEgal was da drin ist. Es ist nicht echt.SCHUMANNWillst du es drauf ankommen lassen, Menschlein?HEIKEWillst du mir jetzt erzählen, dass du mit deinen außerirdischenKräften den Nikolaus gefangen hast.102


SCHUMANNDen Weihnachtsmann. Und um auf deine Ursprungsthese zurück zukommen: Ja. Aber das ist allein auf meinen außerirdischen Intellektzurückzuführen.HEIKEWie, Schumann, wie hast du das geschafft?SCHUMANNIch bin Schumann. Wenn ich meine Tricks, meine Moves, meine Styles,meine Props verraten würde, dann könnte ja jeder den Weihnachtsmannentführen.(zu den Insassen)Und das wollen wir doch nicht.HEIKEIch will einen Beweis.SCHUMANNEinen Beweis?HEIKEEinen Beweis.SCHUMANNEinen Beweis?HEIKEJa, verdammt, einen Beweis!SCHUMANNEinen Beweis? Für den Nikolaus? Für den Weihnachtsmann? Ist dasnicht eher eine Frage des Glaubens?HEIKEDa hockt irgend so ne Type im Sack. Und du erzählst mir, dass es derrote Mann mit dem dicken Rauschebart ist. Natürlich will ich einenBeweis.SCHUMANNGlaube, kleine Heike, glaube.(Er holt einen weißen Rauschebart hervor und streckt ihn ihr hin.)Ich habe den roten Übervater entmannt. Jetzt ist er nur noch einaltes Baby. Bereit auf die Schlachtbank geführt zu werden.HEIKE(betrachtet den Bart fasziniert)Das ist tatsächlich Menschenhaar. Es ist so weich und es riecht nachaltem Mann. Hach, geil.(sie kuschelt einen Moment)Du hast ihn rasiert?SCHUMANN(nimmt den Bart wieder zurück)Ich bin Schumann. Warum sollte ich auch nur den geringsten Respektvor euren Ikonen haben?103


HEIKEHabt ihr keine Götter?SCHUMANNWir haben Regeln.HEIKEOhne Gesicht?SCHUMANNDafür mit Bedeutung. Der rote Mann ist dein Gott?HEIKEIch weiß nicht.SCHUMANNWir werden ihn stürzen. Selbst der Weihnachtsmann blutet. Das werdeich dir heute beweisen.HEIKEAber...SCHUMANNNix aber. Du willst die berühmteste Serienkillerin aller Zeitensein? Dann töte heute Abend den letzten Vater der Moderne.HEIKEAber was machen wir ohne Vater?SCHUMANNIn Ruhe erwachsen werden.HEIKEEr ist das Gute.SCHUMANNUmso besser. Danach ist alles ein Kinderspiel. Die Biografiensämtlicher berühmter Serienkiller sprechen eine eindeutige Sprache.Wenn du einmal das Gute bezwingst, dann ist der Rest ein Kinderspiel.HEIKE(seufzt)Du hast Recht, kleiner weiser außerirdischer Mann. Wie heißteigentlich dein Heimatplanet?SCHUMANNDas ist doch jetzt vollkommen egal. Das ist er, das ist dein Mann.HEIKESchumann, das ist das schönste Geschenk, das ich jemals bekommenhabe.Sie will ihn umarmen. Doch er weicht zurück.SCHUMANNIch bin Allergiker.104


(er zeigt auf den Sack)Na los. Er wartet nur auf dich.HEIKE(zögert)Ich trau mich nicht.SCHUMANNPack ihn aus.HEIKEIch weiß nicht. Was ist, wenn ich enttäuscht bin?LAUFENDER SACKPack mich aus.HEIKEEr kann reden?LAUFENDER SACKNatürlich. Was hast du denn gedacht?SCHUMANN(flüstert)Er hat auf mein Zeichen gewartet.HEIKE(flüstert)Der Weihnachtsmann wartet auf dein Zeichen?SCHUMANN(flüstert)Ich habe seinen Bart.HEIKE(flüstert)Ach so.LAUFENDER SACKIch kann euch hören!HEIKE(flüstert)Was ist das für eine Piepsstimme?SCHUMANNIch habe seinen Bart. Das ist ein ausgeklügelter Soundfilter.Schumann stößt den Sack an.LAUFENDER SACK(sagt offenbar einen Text auf)Pack mich aus. Ich habe mich für dich aufgespart. Tu dir, mir unddem Rest der Welt einen Gefallen und erlöse mich.Heike atmet tief durch. Sie nähert sich langsam dem Sack.105


HEIKE(schüttelt die Hand)Hallo, ich bin Heike.LAUFENDER SACKIch weiß. Du bist die Heike, die beim Orgasmus immer husten muss.Heike blickt sich fragend um. Schumann streckt ihr das GOLDENE BUCHentgegen.SCHUMANNSteht hier drin.HEIKEGib her.Sie blättert hastig.LAUFENDER SACKTu das lieber nicht, Heike. Das sind persönliche Informationen.Überlege mal lieber, ob das so gut für dich ist.Sie blättert weiter.HEIKE(abwesend)Ich bin sowieso gegen die Datenspeicherung. Hier. Scheiße. Er hatRecht. Da steht alles drin. Scheiße. Ach du Scheiße. Das hatte ichja ganz vergessen.(zu Schumann)Hast du das gelesen?SCHUMANNNur überflogen.HEIKEAch so. Dann wollen wir doch mal gucken, was da über den gutenSchumann steht.LAUFENDER SACKHeike, tu dir das nicht an.Schumann steht vollkommen ruhig da.HEIKE(blättert)P... Q... R... Sag mal, ist dir das vollkommen egal?SCHUMANNAch. War es nicht deine Großmutter, die immer gesagt hat:“Gedrucktes ist tot”.HEIKEDu bist echt komisch. Jetzt ist der Moment der Wahrheit.Alles über dich kommt raus. Jede kleine Schmutzigkeit. Auchder allerkleinste Scheiß. S... Sch... Scha... Scho...Schu...106


Dann klappt Heike das Buch zu.HEIKEDu Arschloch.LAUFENDER SACKIch hab dir doch gesagt, dass das nichts für dich ist, Heike.HEIKE(zu Schumann)Du stehst da gar nicht drin. Steht hier ganz locker und tut so cool.Und weiß, dass er da gar nicht drin steht.(zum Sack)Warum steht er da nicht drin?LAUFENDER SACKIch sag gar nichts mehr, bevor ihr mich nicht rauslasst.HEIKEMann, das ist so unfair. Immer kriegst du ne Extrawurst.SCHUMANN(ultra gelassen)Ich bin Schumann.HEIKEJa ja, das ist deine Antwort auf alles. Scheiß Weihnachten.(zum Sack)Was bist du eigentlich für eine inkompetente Pissnelke? Kannst nichtmal einen Außerirdischen katalogisieren, der schon seit über vierJahren hier rumläuft? Du kannst nicht mal auf deinen Bart aufpassen.Wie sollst du dann auf mich aufpassen? Du... du... Artikel du. Ichkauf dich und ess dich auf. Wie fühlt sich das an, wenn ich dir denKopf abbeiße? Du schmeckst Scheiße. Für dich nehmen sie immer nurdie Scheißschokolade. Und hohl bist du auch. Nix drin außer alterLuft. Fickolaus. Keiner glaubt an dich. Keiner glaubt an dich.Keiner glaubt an dich. Und heute wirst du endgültig vergessen.Schumann, wo ist mein Koffer?Schumann zeigt auf eine Ecke.HEIKEHilfst du mir?SCHUMANNKlar.LAUFENDER SACKPack mich aus.HEIKEDu hältst die Fresse.Musik setzt ein. (”Mosquito Song” von Queens of the Stone Age oder“Bloody Hammer” in der Interpretation von Nick Olivieri oder “Das107


Lied vom einsamen Mädchen” von Martin L. Gore) Schumann und Heikebereiten sich vor.Um den Sack auf dem Stuhl herum wird alles frei geräumt.Plastikplane wird ausgelegt. Mordwerkzeuge und Aufnahmegeräte werdenbereitgestellt. Dann ziehen die beiden sich aus. Unter ihrerKleidung kommen Badeanzüge zum Vorschein. Nun cremt jeder sich mitBodylotion ein (Blut trocknet die Haut aus). Zuletzt prügeln sie mitPET Flaschen auf den Sack ein, als würden sie ein Schnitzel weichklopfen. Die Musik hört auf. Mit gezückten Elektromessern öffnen sieden Sack.Der WEIHNACHTSMANN entsteigt. Erhaben, riesig und leuchtend rot. Erschaut die beiden vorwurfsvoll an. Stille. Keiner traut sich, etwaszu sagen.Er streckt Schumann seine Hand hin. Der lässt das Messer sinken,nacheinem weiteren Blickwechsel gibt er ihm den Bart zurück. DerWeihnachtsmann legt seinen Bart wieder an. Dann sucht er sich einenStuhl und setzt sich hin. Stille. Heike und Schumann stehen vorScham paralysiert da.WEIHNACHTSMANNNa, wer will denn jetzt zuerst auf meinen Schoß?Heike lässt Schumann den Vortritt. Er setzt sich.WEIHNACHTSMANNIch glaube, die Frage, ob du dieses Jahr brav warst kann ich mirsparen, oder?Schumann nickt.WEIHNACHTSMANNBereust du denn, was du getan hast?Schumann nickt.WEIHNACHTSMANNHast du denn eine Erklärung für deine Taten?Schumann schüttelt den Kopf.WEIHNACHTSMANNUnd? Meinst du nicht, dass es Zeit für eine Entschuldigung wäre?SCHUMANNEs tut mir leid.WEIHNACHTSMANNUnd?SCHUMANNIch werde es nie wieder tun und mich im nächsten Jahr ordentlichbetragen.WEIHNACHTSMANNNa dann ist es wohl gut. Aber sag mir noch eins kleiner Schumann...warum willst du nicht, dass dich jemand anfasst?108


SCHUMANNIch weiß es nicht.WEIHNACHTSMANNNa?SCHUMANNIch weiß es wirklich nicht.WEIHNACHTSMANNMir kannst du es doch sagen. Ich weiß es doch eh schon. Will dochnur sicher gehen, dass DU es auch weißt.SCHUMANNIch will nicht, dass man mich anfasst... weil ich eklig bin.WEIHNACHTSMANNAh, das war doch gar nicht so schwer. Aber weißt du was?Der Weihnachtsmann zieht seine Handschuhe aus und berührt ihn imGesicht.WEIHNACHTSMANNDas fühlt sich ganz toll an. DU fühlst dich ganz toll an.Schumann umarmt den Weihnachtsmann, klammert sich an ihn, wie aneine riesige bärtige Mutter.SCHUMANNDanke, Nikolaus. Danke.WEIHNACHTSMANNIst schon gut. Schöne Weihnachten.Schumann ab.WEIHNACHTSMANNNun Heike, was haben wir denn wohl noch für ein Hühnchen zu rupfen?Heike traut sich nicht, was zu sagen.WEIHNACHTSMANNNa, dann komm mal her.Heike setzt sich.WEIHNACHTSMANNUnd?HEIKEEs tut mir leid. Ich war so sauer auf... auf...WEIHNACHTSMANNJa auf wen?HEIKEAuf mich selbst.109


WEIHNACHTSMANNAuf sich selbst ist man immer am schnellsten sauer. Aber man musslernen sich selbst zu verzeihen. Gerade an Weihnachten. Hast du dasverstanden?HEIKEJa.WEIHNACHTSMANNDann möchte ich noch, dass du mir versprichst, dass du den Nikolausnie wieder mit einer Plastikflasche haust. Na?HEIKEIch verspreche es.WEIHNACHTSMANNUnd du willst auch nicht mehr mit dem alten Nikolaus ins Bett, oder?HEIKENein.WEIHNACHTSMANNGut, gut. Dann hab ich auch für dich was.Er kramt in seinem Mantel, holt ein Stück Papier raus und gibt esHeike.HEIKEDas ist Schumanns Seite aus dem goldenen Buch. Dann ist er doch einMensch.WEIHNACHTSMANN(zuckt mit den Schultern)In das goldene Buch kommt jeder rein. Mich interessiert nur, ob ihrbrav seid.HEIKEDarf ich sie denn behalten?WEIHNACHTSMANNJa. Die IT-Abteilung wird mir ne neue ausdrucken. Vielleicht kannstdu deinem Freund damit helfen.HEIKEDanke.WEIHNACHTSMANNUnd überleg dir das lieber noch mal... mit der ganzenSerienkillerei, mein ich. Noch mal die ganzen Pros und Contrasabwägen. Und dann die richtige Entscheidung treffen.HEIKEMach ich.Sie gibt ihm einen Kuss und verschwindet dann.110


Der rote Mann sitzt noch eine Weile da. Dann packt er seine Sachenzusammen und geht raus. Dabei pfeift er denSong, zu dem er beinahe abgeschlachtet worden wäre.FORTSETZUNG FOLGT...111


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 11"Gemischtes Doppel"vonAndreas BrowaIm Spiegel der Gesellschaft zeigt sich nicht selten einerstaunliches Gesicht. Eine Verzerrung der Wirklichkeit oder einetiefere Wahrheit? Oder ganz einfach ein übel riechender Sumpf.112


INT. GOLDKANTE - ABENDAls hätte es keine Winterpause gegeben, betreten Heike und Schumanngemeinsam die Goldkante. Dabei befinden sie sich mitten in einerangeregten Diskussion.Harald und Manuela sind bereits anwesend, entweder sichtbar (z.B.eingefroren) oder unsichtbar (hinterer Bereich) – egal. Möglichauch, sie herzen und küssen sich, ohne dabei Worte zu machen.SCHUMANNNein, nein, so wird das nichts. Stell dir bitte vor: Ein Steg. Einschmaler Rasenstreifen von mir aus. Und rechts und links davonjeweils ein großes Bassin.HEIKEBitte was?SCHUMANNEin Becken, zwei große Schwimmbecken.HEIKEAha.SCHUMANNSo. Und in dem einen ist klares, reines Wasser. Ach, und die Sonnescheint, ganz wichtig, es ist herrliches Wetter. Heiß. Und dieOberfläche des Wassers glitzert und funkelt. Sehr einladend, undeinige wenige schwimmen gemütlich darin auf und ab.HEIKEUnd wo soll das sein?SCHUMANNBitte? Ich weiß nicht, das ist ein Bild. Aus einem Traummeinetwegen.HEIKEEin Traum von dir, echt?SCHUMANNDas habe ich nicht gesagt.HEIKESchumann? Okay, zwei Becken. Ja und dann?SCHUMANNIch bin nicht sicher, ob ich jetzt noch weitermachen möchte damit.HEIKEDoch, bitte, ich halte meinen Mund. Bitte, das ist äußerst spannend.SCHUMANN(sieht Heike prüfend an)Na gut. Also: die beiden Becken. Rechts das sonnige, links – alsodas andere Becken - ist ein richtiger Dreckstümpel.Undurchsichtige, braune Brühe. Und es schwimmt sogar Abfall darin113


herum, Tüten, Plastikbecher, alles Mögliche. Und auf dem Mittelstreifenstehst du mit deinen Begleitern.HEIKEWas denn für Begleiter?(lacht)SCHUMANNJa, das weiß ich doch nicht.HEIKEAlso du musst doch wissen, was du geträumt hast.SCHUMANNHeike, das ist nur ein Bild.HEIKEWar ich auch dabei? War ich deine Begleitung?SCHUMANNGott ja, von mir aus. Du hast nur eine hot pants getragen. Und eineArt Feuerwehrhelm.HEIKE(lacht)Du spinnst!SCHUMANNDoch. Allerdings geschmückt mit riesigen, weißen Federn.HARALDMoment, warte mal kurz, ich glaub...Ja, tatsächlich!(zur Theke)Machse mal zwei Wodka bitte.Das ist ja der Knaller!(mit den Gläsern zu Schumann)Alter, hier. How! Und ausgerechnet heute!SCHUMANNAch Harald.(schaut angewidert auf sein Glas)HEIKESeit wann trinkst du denn Wodka?HARALDKomm, hier, prost.(trinkt)HEIKE(schaut gespannt)SCHUMANN(zögert, trinkt dann beherzt. Hustet)114


HARALDNoch einen?SCHUMANN(winkt hustend ab)HARALD(auf Schumann zu, will ihn umarmen)Mensch Alter, danke! Echt!Manu? Süße, kommst du mal rüber?(mustert Heike)Ist sie das? Ist das diese...HEIKEHeike. Ich bin Heike.HARALDGenau! Hallo, ich bin der Harald. Mensch Alter, da hat uns ja derAbend doch beiden was gebracht. Total verrückt.MANUELAWas ist denn passiert?HARALDMensch Manu, das ist er. Das ist Schumann.MANUELADer Verrückte?HARALDGanz genau!MANUELA(freut sich)Echt? Ich konnte das ja alles gar nicht glauben. Hallo, ich bin dieManu.SCHUMANNManu – Heike.HARALDUnd ich dachte mir: Mensch, die Stimme kennst du doch. Verrückt,echt. Ja, und?(allgemeine Musterung)HARALDWir wollen auch gar nicht groß stören. Es ist nur: Wir haben heuteZweijähriges, und wir waren schön was essen, hier, direkt nebenan,und sind nur kurz hierher auf einen kleinen Absacker. Bevor wir’suns gleich noch schön gemütlich machen.MANUELA(freut sich, schmiegt sich an Harald. Zu Heike:)Dann habe ich also deine Blume bekommen?115


HEIKE(weiß nicht, worum es geht)Ja natürlich, die Blume. Wollen wir uns nicht kurz setzen?SCHUMANN und HARALD gleichzeitig:(Schumann) Also ich wüsste wirklich nicht...(Harald) Gerne. Absolut korrekt, Mann.HARALDDeinem grandiosen Schumann hier haben wir den heutigen Tag nämlichzu verdanken.HEIKENa so was.MANUELAJa! Das war vielleicht was. Ich hab nämlich schon halb geschlafen...HARALD...und ich bin tatsächlich noch zu ihr hin, wirklich Mann, ich hattetotal – ich weiß auch nicht, total den flash. Jedenfalls...MANUELA...jedenfalls klingelt er mich mitten in der Nacht aus dem Bett,stellt sich vor mich hin und sagt: Hier bin ich.HARALDUnd sie wollte mir die Tür zuerst vor der Nase zuknallen, stimmt’s?MANUELAJa, halb, weil ich natürlich gedacht habe, dass du betrunken bist.SCHUMANNDas war er ja auch.HARALDDas war ich ja auch.MANUELASchon, aber leidenschaftlich betrunken, ganz anders als sonst.Wirklich, das war wunderschön.HEIKEWas?MANUELANa, wie er gesagt hat, dass er mich will und dass er mich brauchtund so.HARALDNa ja.MANUELADoch, ich erinnere mich haargenau. Du hast gesagt –(steht auf) - du hast gesagt: „Warte!“ Dann hast du mir die Rose vordie Füße gelegt und gesagt: „Du bist mein Mädchen, das Mädchen, dasich will. Das wollte ich dir noch sagen.“ Dann hast du mich nocheinmal angesehen, hast dich umgedreht und bist die Treppe runter.116


HARALDJa Mann. Und genau in dem Moment geht natürlich das Licht aus. How.Und ich wär fast durchs ganze Treppenhaus geflogen. Aber dann hatManu Licht gemacht und ist mir hinterher.MANUELAUnd dann haben wir im Treppenhaus... na ja...HARALD...uns geküsst.MANUELAJa. Und es war...HARALD...ja.SCHUMANN(räuspert sich verlegen)HEIKE(sichtlich bewegt)Ich bin sprachlos. Das ist ja wie – was soll ich sagen...SCHUMANNGanz großes Kino ist das.MANUELAGott ja, genau! So n altes Ding mit Julia Roberts, daran musste ichhinterher auch direkt denken.HEIKEJa! Schumann, sag doch was!SCHUMANNWirklich: Kaum zu glauben.HEIKEUnd die Blume?HARALDDie Rose. Die habe ich mir von Schumann geborgt, die war jaursprünglich für dich gedacht.HEIKEFür mich?!HARALDJa. Dein Schumann hier hatte sie für dich besorgt, aber du bist andem Abend nicht mehr aufgetaucht. Und als er mir dann geraten hat,na ja, ich soll... Hat er denn nichts erzählt?HEIKENein.(blickt Schumann an)Davon hast du mir gar nichts erzählt.117


SCHUMANNWollt ihr mich alle verrückt machen? Das ist ja hier wie imHühnerstall.(Schweigen)Richtig. Ich habe dir nichts davon erzählt.HARALDMacht doch kein Drama draus. Konnte ja keiner wissen.MANUELAEben. Wer hätte das gedacht!HARALD(zu Heike)Aber dein Freund hier hat kluge Sachen gesagt.HEIKEDavon bin ich überzeugt. Ist ein ganz Schlauer, der kleine Schui.SCHUMANN(kurz irritiert, besinnt sich jedoch)Man tut, was man kann.MANUELAHarald war wie ausgewechselt. Stand vor mir wie ein Held mit seinerRose.SCHUMANNIch muss sagen, ich bin nahezu beeindruckt.HARALD(verlegen)Na ja. – Und ihr? Seid ihr öfter hier, ich meine, ist das eureStammkneipe?SCHUMANNNein, keineswegs. Das ergibt sich gelegentlich.HEIKE(lächelt, spielt mit)Genau, wenn es uns ab und zu packt.HARALDSchade. Sonst hätte man sich mal treffen können. So in aller Ruhe.MANUELAAu ja! Ein Pärchenabend, das fänd ich klasse! Wir könnten dochzusammen was kochen!SCHUMANNOffen gestanden...HEIKE...sind wir fürchterliche Kocher.118


SCHUMANNUnd noch viel schlimmere Esser.MANUELAOh.SCHUMANNJa, leider. Absolut grauenvoll.MANUELASchade. War auch nur so eine Idee.(Schweigen)HEIKEUnd ihr, ihr kocht häufiger? Also für euch, kocht ihr gemeinsam?HARALDNa ja...MANUELA...also in der letzten Zeit. Ja. Wir verbringen einfach viel Zeitmit einander.HARALDUnd Manu kocht.MANUELAUnd Harald... Also du hilfst mir schon immer dabei.HARALDNa ja.MANUELAAber jetzt mal im Ernst: Im Winter haben wir uns oft einfach einenFilm ausgeliehen...HARALD...oder gesaugt.MANUELAJa. Und uns dazu was Schönes gekocht.HEIKE(zu Schumann)Hast du das gehört?SCHUMANNJa. Und ich bin sprachlos.MANUELASalat viel, Pommes Frites. Manchmal sogar was Aufwändiges mitShrimps und Sahne.HEIKEAlso allerhand.119


HARALDAber wir bestellen uns schon auch mal ne Pizza. Und im Sommer wollenwir zusammen nach Portugal trampen.MANUELAJa. Und ihr?HEIKE und SCHUMANNWir?HARALDGenau. Wir labern euch hier zu... Was treibt ihr so?SCHUMANNAlso wir...HEIKE...Schumann und ich, wir lieben das Ausgefallene.SCHUMANNGanz genau. Wir treffen uns gerne...HEIKE...mal bei dir, mal bei mir, häufiger bei mir...SCHUMANN...ja so ist es. Abends. Gerne bei Heike...HEIKE...und dann...wir hören schrille Musik und...SCHUMAN...ganz genau.HEIKEJa. Und dann... Wir machen gerne was mit Fremden.MARALD und MANUELAMit Fremden?HARALDEcht?SCHUMANNGenau. Experimente mit unbekannten Dritten.HARALDAlter, das Schwein!HEIKE(irritierter Blick zu Schumann)Ach, das war die Probierphase, langweilig. Menschen. Männer, Frauen– egal. Und nur die ganz ausgefallenen Sachen.SCHUMANNWir probieren alles aus.120


HEIKETarzan und seine durchgeknallte Jane, natural born killers. Alsoeher so düsteres Zeug, kein Anfängerkram.HARALD(zu Manu)Hab ich dir doch erzählt: Die sind nicht ohne, die beiden, hab ichdir erzählt.MANUELAWirklich. Ganz schön ausgeflippt. So richtige Themen?SCHUMANNNicht immer. Manchmal improvisieren wir auch. Ihr habt doch sicherauch eure Spielsachen. Wenn ihr nicht gerade kocht, meine ich.HARALDNa ja, Spielsachen: Weiß ich jetzt nicht.MANUELAWieso? Was hast du denn erzählt?(zu Schumann)Was hat Harald denn erzählt?HARALDNichts hab ich erzählt, überhaupt nicht.SCHUMANNJedenfalls nichts Besonderes.MANUELASchau mich mal an.HARALDWas denn?MANUELASchlingel.Die beiden sehen sich an, küssen sich. Möglich, Heike und Schumannküssen sich im Anschluss daran auch irgendwie.HARALDIn jedem Fall sollten wir wohl langsam mal los, was meinst du?MANUELADas glaube ich allerdings auch.(kichert)HARALDIhr nehmt das nicht krumm?SCHUMANNNicht im Geringsten.121


HEIKENein, wir haben vollstes Verständnis. Ein Zweijähriges. Das solltedoch ordentlich krachen am Ende.HARALDSuper!(steht auf)Danke, Alter. Heike. Und haut rein!Komm Süße.MANUELAHat mich wirklich gefreut. Hast du schon gezahlt?HARALDKeine Sorge. Und trinkt mal noch einen auf uns. Hau rein!SCHUMANNImmer.HEIKEWir sehen uns.(Harald und Manu ab)HEIKEWas war das denn?SCHUMANNIch würde sagen ein ausgewähltes Beispiel für: Gesucht und gefunden.HEIKEAu ja! Wir könnten zu viert was Schönes kochen!SCHUMANNEine aufwändige Suppe mit Schinkenmarmelade und Toaststückchen!HEIKEUnd du hilfst wieder mit!SCHUMANNNa ja. Weiß ich jetzt nicht.HEIKEGott ja! Du starrst mir so lange auf den Po, bis die Butterschmilzt!SCHUMANNGrauenhaft.HEIKERichtig widerlich. Ich weiß schon, weshalb ich mir nicht irgend so nKlotz ans Bein binde. Echt, ich glaube ich sattle um: Ich werdePärchenkillerin.SCHUMANNEndlich mal eine vernünftige Idee.122


HEIKEJa. Du kannst gerne mit einsteigen.Schweigen. Hier wäre Möglichkeit, für eine altbekannte Getränkebestellung.HEIKEUnd du wolltest mir eine Rose schenken?SCHUMANNDas war so ein spontaner Einfall. Aber keine Sorge: Sie war absolutluftdicht verpackt.HEIKENatürlich.SCHUMANNWirklich nichts Besonderes.HEIKEUnd ich bin nicht einmal gekommen.SCHUMANNEben.Schweigen.HEIKEUnd was ist jetzt mit den Becken?SCHUMANNBitte was?HEIKENa, deine beiden Schwimmbecken aus dem Traum.SCHUMANNWas soll damit sein?HEIKENa, du wolltest doch sicher nicht nur ein Bild in den Raum stellen.Du wolltest doch auf was hinaus. Komm schon.SCHUMANNAlso gut: In welches der beiden Becken würdest du rein springen?Stell dir vor, du müsstest wählen. Und sei bitte ehrlich.HEIKE(überlegt)Hat denn das dunkle Becken gestunken?SCHUMANNKeine Ahnung, nein, nicht dass ich wüsste.HEIKEIch denke, dann nehme ich das, dann springe ich dort hinein.123


SCHUMANNWas! In die perverse Brühe!HEIKEAlso mein Lieber, entschuldige: Es ist dein Traum. Aber ich fürchtemich nicht vor Unabwägbarkeiten. Ein Sprung ins Dunkle, warum nicht?Vielleicht liegen ja ein paar Perlen auf dem Grund.SCHUMANNIch fürchte, du wirst eher von Metallgerüsten durchbohrt, die daunten herumstehen.HEIKE(lacht)Gerüste? Schumann, du bist verrückt. Was denn für Gerüste? – Nein.Außerdem bin ich durchaus etwas pervers. In jedem Fall würde ichniemals mit ein paar behaubten Rentnern irgendwo friedlich meineRunden drehn, das ist vollkommen ausgeschlossen. – Und du?SCHUMANNIch? Na ich würde gar nicht springen, weder noch. Ich binAllergiker.FORTSETZUNG FOLGT...124


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 12"Keep the vampires from your door..."vonMorgan JaredEin geheimnisvoller Fremder taucht in der Goldkante auf. Er weißüber Schumann und Heike Bescheid. Heike wittert Blut, SchumannViren. Wer ist der Mann? Ermittler? Mörder? Freak?125


INT. GOLDKANTE - ABENDSchumann sitzt am Tresen. Seine zwei Becher stehen vor ihm. DasThekenwesen putzt Gläser. „Er gehört zu mir...“ von MarianneRosenberg dudelt aus den Lautsprechern. Langeweile.Plötzlich wechselt die Musik auf „Phantom der Oper“ – das Licht gehtaus. Ein helles Spotlight ist auf die Eingangstür gerichtet. Dasteht ein Mann in einem schwarzen Umhang. Mit langen Eckzähnen dieaus seinem Mund ragen. Er hebt theatralisch die Hände. Schumanndreht sich zur Tür, schaut ein bisschen beeindruckt.Das Licht geht wieder an – es tönt wieder „Er gehört zu mir“ aus denLautsprechern. Der Mann in dem Umhang geht zum Tresen und setzt sichauf einen Barhocker neben Schumann.MANN MIT UMHANG(zum Thekenwesen)Einen Glanmorangie auf Eis, bitte!Thekenwesen schaut begriffsstutzig.MANN MIT UMHANGHören sie zu mein lieber Päddy – auf diese Betonung ihres Namenslegen sie ja soviel Wert,...Thekenwesen-Päddy nickt und schaut blöd.MANN MIT UMHANGServieren sie Whiskey?Päddy nickt wieder.MANN MIT UMHANGDann also Jack Daniels.Päddy füllt ihm ein ordentliches Glas Whiskey ein und stellt eskopfschüttelnd vor den komischen Mann. Schumann betrachtet die Szeneneugierig.MANN MIT UMHANGScheiß Jack Daniels.SCHUMANNDas Bier ist ganz gut.MANN MIT UMHANGDanke Schumann. Die östrogene Wirkung sagt mir nicht zu.SCHUMANNWoher kennen sie meinen Namen?MANN MIT UMHANGSie sind nicht gerade unauffällig.Schumann blickt verdutzt an sich herunter und mustert den Mann mitUmhang.126


SCHUMANNWegen der Sonnenbrille?MANN MIT UMHANGSie tragen doch nie eine.SCHUMANNEben.MANN MIT UMHANGSie sind etwas Besonderes, Schumann.Schumann blickt den Mann mit Umhang misstrauisch an.SCHUMANNDas hör ich in letzter Zeit öfters.MANN MIT UMHANGWeil es wahr ist.Mann mit Umhang zieht langsam seinen Umhang aus. Legt seinePlastikzähne auf den Tresen. Er sieht jetzt ziemlich attraktiv aus.MANN MIT UMHANGSehen sie Schumann, ich habe lange auf diesen Tag gewartet.SCHUMANN(murmelt)Irgendwie kommt mir das bekannt vor...Schumann blickt angewidert auf die Spucke die das Gebiss auf demHolztresen hinterlässt. Er rückt ein kleines Stück weg.SCHUMANNSie wissen, dass ich Allergiker bin?Mann ohne Umhang lächelt und desinfiziert mit einem kleinenFläschchen Hospisept den Tresen vor sich.MANN OHNE UMHANGHospisept vernichtet so ziemlich alle gängigen Viren, Bakterien undsonstigen Ekelhaftigkeiten, die sich auf diesem degeneriertenPlaneten ungehindert vermehren dürfen.Er hält Schumann die Flasche hin, der betrachtet sie interessiert.Dann mit einem hoffnungsvollen Glimmen in den Augen.SCHUMANNSie auch?MANN OHNE UMHANGWussten Sie, dass sich die vereinigte, interstellare Gemeinschaftzum wiederholten Mal dafür ausgesprochen hat, Terra 5, also dieE.R.D.E., nun endlich mithilfe verschiedener Superviren auszurottenund dass es die vereinigten kosmischen Pharmakologen wiedergeschafft haben, die menschliche Rasse als interstellareVersuchsgruppe zu schützen. Das ist doch ein Skandal, zumal kein127


Außerirdischer im gesamten All weiß, wann diese Menschen ausrastenund die Galaxie sprengen. Das sind doch alles Schläfer. Niemandweiß, wozu diese laufenden Biowaffen imstande sind. Sie zuuntersuchen, gar zu schützen, ist unverantwortlich.SCHUMANN(verzweifelt)Das wusste ich gar nicht.MANN OHNE UMHANGIch weiß es auch nur von einem Freund. Wir treffen uns immersonntags in der „Ritze“. Ein schmuddeliges Etablissement, aber soschöpft niemand von diesen Bazillenschleudern Verdacht.Schumann blickt skeptisch auf den Mann ohne Umhang. Der Mann ohneUmhang schaut ihn aufmunternd an.MANN OHNE UMHANGWir könnten noch Verstärkung gebrauchen. Einige von uns sind derMeinung, Sie seien bereits von den subversiven Strömungen diesesPlaneten auf die falsche Milchstrasse abgebogen. Aber ich glaube anSie.SCHUMANNIch weiß nicht. Von welchem Planeten sind Sie denn?Mann ohne Umhang lächelt ihn an.MANN OHNE UMHANGOh. Ich bin nicht wie Sie, mein Bester. Ich bin Teil einer Spezialeinheit,die sich der Vernichtung und Umwandlung der menschlichenRasse widmet. Ich bin ein Vampir, Schumann.Schumann versteht nicht, runzelt die Stirn.MANN OHNE UMHANG(flüsternd)Es gibt zu wenige von uns. Jeder mit besonderen Fähigkeiten oderaußergewöhnlichem Lebenslauf ist willkommen.(eindringlich)Schumann wir brauchen sie.SCHUMANNIch verstehe nicht.MANN OHNE UMHANGSie besitzen Insiderkontakte, die Gold Wert sind. Sie sind Teil desSystems.SCHUMANN(empört)Jetzt aber!MANN OHNE UMHANGAber Sie bauen doch selbst eine Spezialeinheit auf! Wäre es da nichtsinnvoll, Synergien zu bilden?128


SCHUMANN(verständnislos)Ich tue was?MANN OHNE UMHANGSie sind so bescheiden. Ich bewundere Sie.Schumann blickt ihn kopfschüttelnd an.MANN OHNE UMHANGSie sind ein Vorbild, Schumann. Sie gehen ihren eigenen Weg.SCHUMANNSie sind völlig verrückt!MANN OHNE UMHANGIch bin Rembrandt.Er streckt Schumann die Hand hin. Schumann schaut sie an, schütteltsie aber nicht. Mann ohne Umhang lässt sie wieder sinken. Schumannzieht die Augenbrauen hoch.SCHUMANN(neugierig)Der <strong>echte</strong>?REMBRANDT(verlegen)Mein Uronkel.SCHUMANNNicht wahr?Rembrandt beugt sich zu ihm und schaut ihn flirtend an.REMBRANDTKönnte ich ihnen was vormachen?In diesem Moment geht die Tür auf, Heike kommt herein. Sie blicktsich kurz um und geht dann zu Schumann. Sie wirft eineneifersüchtigen Blick auf Rembrandt.HEIKEWer ist das?SCHUMANNEin Vampir.Heike schaut Schumann verwundert an. Schumann zuckt mit denSchultern.HEIKEAch und mit so einem kannst du dich einfach unterhalten, ohnenervöse Zuckungen zu kriegen?SCHUMANNWer sagt, dass es einfach ist?129


HEIKE(halb abfällig, halb amüsiert zu Rembrandt)Vampir. Alles klar.(zum Theken-Päddy)Ein Bier. In der Flasche.REMBRANDTSie müssen Heike sein.HEIKEHat er von mir geschwärmt?Sie blickt hoffnungsvoll zu Schumann.HEIKEHast du?Schumann zieht den Kopf ein.REMBRANDTDas ist nicht seine Art.HEIKEStimmt. Leider.REMBRANDT(mit einem anerkennenden seitenblick auf Schumann)Sie ist ihnen ganz fabelhaft gelungen. Diese forsche,misanthropische Haltung.HEIKE(zu Schumann)Von wem spricht der?Schumann blickt wie ein geprügelter Hund. Rembrandt packt Schumannam Arm und redet eindringlich auf ihn ein.REMBRANDTSie müssen sich uns anschließen. Mit ihrem Talent und ihrem Know-Howsteht der Vernichtung nichts mehr im Wege.Heike trinkt von ihrem Bier und lächelt.HEIKEVernichtung, find ich gut!SCHUMANNSie spinnen komplett. Hat ihnen das mal jemand gesagt. Ich meineeiner der’s gut mit ihnen meint?REMBRANDTBesondere Umstände brauchen außergewöhnliche Maßnahmen.HEIKEDer Mann ist vernünftig.130


SCHUMANNMensch, Heike! Der Typ will die Erde vernichten!HEIKEJa, super! Ich bin dabei...REMBRANDTIrgendwann nervt jede Form von Understatement, Schumann!HEIKESchön, dass ihm das mal jemand anders sagt.Rembrandt blickt Schumann eindringlich an. Er steht auf und machteinen Schritt auf Heike zu. Er schnüffelt an ihr herum. Heike istirritiert, will ihn auf Abstand halten. Schumann blickt alarmiert,weiß nicht, wie er reagieren soll.REMBRANDTWenn du von meiner Art wärst...HEIKE(amüsiert)Ja, das wär was!Schumann springt auf und stellt sich vor Heike.SCHUMANN(lauter)Du fasst sie nicht an!HEIKEJetzt lass ihn doch, der spinnt halt noch mehr als...Plötzlich springt Rembrandt auf Heike zu, stößt Schumann beiseiteund will ihr in den Hals beißen. Er zwingt sie auf den Boden. Sieschreit, schlägt um sich. Schumann springt auf seinen Rücken undversucht ihn von ihr wegzuzerren.SCHUMANN(schreiend zum Publikum)Hilfe! Helft mir doch!Vielleicht hilft ihm jemand. Vielleicht auch nicht.Gemeinsam schaffen sie es, Rembrandt von ihr runter zu ziehen. Heikehat eine kleine Biss- und Kratzverletzung am Hals. Sie schaffen es,Rembrandt aus der Goldkante zu schmeißen. Rembrandt verschwindetschimpfend und Unheil verkündend in der Nacht.REMBRANDTDu wirst noch sehen, was du davon hast Schumann! Wer nicht für unsist, ist gegen uns!Schumann inspiziert aufgeregt Heikes Wunde. Er hat völlig vergessen,dass er eigentlich Angst vor Bazillen und Viren hat.SCHUMANNAlles okay?131


HEIKEHimmel, Schumann. Der ist ja gemeingefährlich!SCHUMANNSag bloß!? Du musstest dich ja geschmeichelt fühlen!HEIKEMann, Schumann. Es ist doch nix passiert.SCHUMANNScheiße, was wenn du jetzt auch ein Vampir wirst?HEIKEQuatsch! Vampire gibt’s doch gar nicht!SCHUMANN(aufgebracht)Wieso, mich gibt’s doch auch?Heike blickt ihn mitleidig an und entscheidet dann nichts dazu zusagen.HEIKEDu hast mich gerettet.SCHUMANNAch was, du bist viel stärker.HEIKEAber der Wille zählt.Schumann blickt nachdenklich in seinen Becher. Heike bestellt zweiSchnäpse. Päddy bringt zwei und stellt sie auf den Tresen. DieStereoanlage spielt „Power of Love“ von Frankie goes to Hollywood.Schumann nimmt ein Glas und stürzt es hinunter. Das zweite gleichhinterher. Seine Hände zittern. Heike schaut ihm nachdenklich zu.Sie bestellt noch zwei Schnäpse.HEIKEWas für n schräger Abend.SCHUMANNScheiße!HEIKEWas ist denn?SCHUMANNDer hat dich bestimmt infiziert!HEIKEIch hab mal gelesen, dass man erst ein Vampir wird, wenn man voneinem Vampir vollständig ausgesaugt wird und anschließend das Blutvon einem Vampir trinkt. Das wär doch auch mal was – wir könntengegenseitig unser Blut trinken, Schumann.132


SCHUMANN(aufgeregt)Du bist ekelhaft, weißt du das?Sie lächelt nachsichtig.HEIKEIch werde kein Vampir.SCHUMANNWoher weißt du das?HEIKEWeil man sich nach einem Vampirbiss schlapp und müde fühlt. Und derhat kein Blut von mir getrunken. Das ist nur ne Kratzwunde.SCHUMANNIch weiß nicht. Manchmal merkt man gar nicht, dass man sichangesteckt hat.HEIKESchumann, es ist gut jetzt! Mit nem Typen, den man kaum kennt, ohneKondom zu pennen ist gefährlicher!Schumann blickt sie völlig schockiert an.SCHUMANNMann, der wollt dich töten! Der hat dich bestimmt infiziert und dumachst hier blöde Witze!HEIKESchumann, du gehst mir echt auf den Zeiger! Dieser Typ tötet michnicht! Kapiert?SCHUMANNWoher weißt du das?HEIKEWeil ich schneller sein werde!Er blickt sie kopfschüttelnd an, sagt aber nichts mehr. Siebestellen noch mehr Schnaps und besaufen sich. „Power of Love“ neigtsich dem Ende zu...FORTSETZUNG FOLGT...133


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 13"Die Völkerschlacht"vonAndreas BrowaThorsten EisentrautBenjamin KaralicBoris MercelotMeike Misia(Gemeinschaftsarbeit)Heike und Schumann müssen gegen eine wahre Übermacht antreten.44 Waden, der schwarze Mann und Gott, der aus dem Off dazwischenplärrt. Dazu gibt es Schnitzel und ’ne Schachtel Kippen.134


Diese Folge von „<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>“ ist ein Experiment; sie ist alsParallelereignis gedacht und konzipiert.INT. GOLDKANTE - ABENDFußball-EM 2008. In der Goldkante läuft um 22.00 Uhr, also zumZeitpunkt des Auftretens von Heike und Schumann, des VorrundenspielPolen gegen Österreich. Beide Mannschaften treten tatsächlich in denFarben weiß und rot gegen einander an. Die wenigen Gäste an diesemAbend sitzen im vorderen, abgedunkelten Teil und verfolgen dasSpiel. Noch mehr Gäste kommen und wundern sich. Und das Theater? DasFolgende ereignet sich während der zweiten Halbzeit der obengenannten Partie.Heike und Schumann treten auf und besteigen die Sitzbank am Fensterim hinteren Teil der Goldkante. Heike ist rot-weiß gekleidet.HEIKEDas war ja wohl das Mindeste. Außerdem zahlen Frauen nie das Taxi.SCHUMANNIch werde es einfach zu den hundert Euro dazurechnen, die du mirohnehin bereits schuldest.HEIKEDas ist nicht dein Ernst.SCHUMANNUnd ob. Nach dem Theater, das ich heute schon erleben durfte, istmir nicht nach Spaßen zumute.HEIKEZum totlachen! – Mit dir im Supermarkt. Und ganz ehrlich: Der Typ ander Fleischtheke...SCHUMANNKannst du bitte endlich aufhören damit.HEIKE...den hab ich noch nie gesehen, aber ich bin sicher, der kam ausdeiner Ecke.SCHUMANNAch, du spinnst doch. Außerdem hast du in diesem dämlichenSupermarkt wirklich jeden angelabert, den du hinter den Regalwändenaufstöbern konntest. Woher soll denn bitte die Kassiererin wissen,wie sich die Russen die Eier machen! Oder ob die Fischstäbchentatsächlich vor Schweden gefangen wurden.HEIKENa und? Die freuen sich doch auch, wenn sie mal jemand anspricht.SCHUMANNJa, ganz bestimmt. Da fällt mir ein: Hast du den Kassenbelegaufgehoben?135


HEIKEWarum?SCHUMANNDann kann ich den exakten Betrag ermitteln, den du mir inzwischenschuldest.HEIKEKeine Sorge, du bekommst nicht nur dein Geld zurück, sondern sogarnoch ein dickes Extra obendrauf.SCHUMANNDein dickes Extra kannst du gerne behalten, gib mir einfach denKassenbeleg.HEIKEPech gehabt. So was hebe ich grundsätzlich nie auf.Schumann geht genervt zum Klo, wäscht sich lautstark. Heike versuchtunterdessen, sich im Spiel Polen-Österreich zurechtzufinden. IhrMobiltelefon klingelt.HEIKEAch Manu... ist im Moment ganz schlecht, bin hier beim Fußball...Was? Kannst du bitte mal leiser stellen... Was? Wer ist Pièrre? ...Nicht Fußbad. Fußball... Was? Das ist eine Überraschung... Das gehtdich gar nichts an... Was? Ja, allerdings... Nein, alles aufPolen... Jetzt reg dich nicht auf, das hat nichts mit Glück zu tun,Fußball ist eine Wissenschaft... Was? Jetzt mach dir keine Sorgen,du bekommst dein Geld... Du Manu, ich muss Schluss machen...Ja...Mach ich. Und du bestell Harald: Piroggen und Schnitzel sind keinebesonders tolle Idee... Ja tschüß, tschüß.SCHUMANN(kommt zurück)Ich habe überlegt: Da es keinen Beleg mehr gibt, werde ich deinenAnteil an den Kosten auf... warte... auf neun Euro festlegen. Unddas ist noch freundlich gerechnet von mir.HEIKEVon mir aus, wenn du dich dann besser fühlst.SCHUMANN(holt einen Bleistift und sein Rätselheft aus dem Rucksack undrechnet)Das sind dann... zusammen mit dem Taxi sind das dann 124 Euro. Undbitte in übersichtlichen Scheinen.HEIKEIst gut jetzt. – Da ist der Ball!(will Fußball gucken)Heike verfolgt das Spiel, Schumann rätselt.SCHUMANNBei dir in der Wohnung wäre ich auf gar keinen Fall auch nur eineeinzige Minute länger geblieben.136


HEIKEImmerhin hab ich für dich geputzt.SCHUMANNJa, das habe ich gesehen, wie du geputzt hast. Heike, du hattest dieKlobürste im Geschirrspülbecken!HEIKEBlödsinn. Die habe ich eingeweicht, und nicht im Becken, sondern ineiner kleinen Schüssel.SCHUMANNGott, ich will das gar nicht hören. In einer Schüssel! Undanschließend servierst du darin Kompott... wi – der – lich.HEIKE(ist vertieft in das Fußballgeschehen, kommentiert)SCHUMANNUnd deine Milch hat nach Mozzarella geschmeckt.HEIKEDu hast die abgelaufene genommen.SCHUMANNWas! Woher soll ich denn bitte wissen, dass du vergammelte Produktein deinem Kühlschrank aufbewahrst?HEIKE(Fußballkommentar)Meine Güte, ist doch nichts passiert.SCHUMANNUnd wie eine Berserkerin hast du auf diese Fleischfetzen eingedroschen.HEIKE(abwesend)Was? – Das muss man so machen. Ist doch das Schönste am Schnitzelbacken.SCHUMANNAch. Noch schöner wäre es wohl, es würde Blut spritzen dabei?HEIKE(Fußballreaktion)SCHUMANNNein, wirklich: Du bist keine normale Frau. Du hast auch keinevernünftige Schuhablage.HEIKEHabe ich sehr wohl, hinter der Couch.SCHUMANNIch hätte mir etwas brechen können.137


HEIKE(keine Reaktion)SCHUMANNEcht, ich fass es nicht.HEIKE(Fußballkommentar)Entschuldige. Aber du wolltest ja sogar die Schnitzel mit Palmolive– (abgelenkt) Alles und jedes hast du noch einmal abgespült. Du hastmich besucht, nicht Polen.SCHUMANNDu hast ja auch nicht richtig gespült, das habe ich doch gesehen. Duhast mit dieser Bürste da im Dreck rumgeschrubbt...HEIKEMit der Spülbürste.Was macht denn der Sturm von Polen!SCHUMANNAuf, das heißt: der Sturm auf Polen, und der ist längst Geschichte.Und deine Spülbürste, also die sah weit schlimmer aus als dieseandere da, diese...HEIKEDie hatte ich auch nicht eingeweicht.SCHUMANNOh Gott! Das sah alles so aus, als hättest du es aus irgendeinemTümpel gefischt! Jetzt kommt mir das allmählich erst voll zuBewusstsein: alles!(schaudert, schüttelt sich angewidert)Deine Platzdeckchen, so was habe ich noch überhaupt nie gesehen, dieSpülbürste, ja die Zwiebeln sogar!HEIKEWas ist mit meinen Deckchen, die sind noch von meiner Oma.SCHUMANNUnd wenn sie vom lieben Gott gewesen wären oder vom Nikolaus: Sielagen auf dem Mülleimer.HEIKEWir brauchten Platz auf dem Tisch zum arbeiten.(Fußballkommentar)SCHUMANNSag mal, weißt du überhaupt, was da gerade vor sich geht? Für wenbist du überhaupt?HEIKEAlso das sieht man doch wohl.SCHUMANN(mustert Heikes weiß-rotes Outfit, blickt hinüber zur Leinwand)138


HEIKEWas denn?SCHUMANNIch sehe, du bist wirklich bestens vorbereitet. Weißt du überhaupt,welche der beiden Parteien gerade eben im Ballbesitz ist?HEIKEWillst du mich verarschen?(je nach Lage und Stimmung sagt sie das Richtige oder das Falsche)SCHUMANNSag mal: kann es sein, dass auch die Eier abgelaufen waren?HEIKEWieso? Haben die etwa auch nach Mozzarella geschmeckt?SCHUMANNNein, aber mir wird... also ich glaube wirklich, mir wird schlecht.HEIKEDa fällt mir ein: Es gibt noch Dessert. Hier.(öffnet den Geigenkasten und reicht Schumann eine Tupperdose)SCHUMANN(öffnet die Dose einen winzigen Spalt breit. Angewidert)Erdbeerquark?HEIKERot weiß, genau.SCHUMANNVielen Dank.HEIKEWieso, magst du etwa auch keine Erdbeern? Jetzt sag nicht, du bistallergisch auf Erdbeern.SCHUMANNFrüchte, die so nah am Boden gedeihen, können nur verdorben sein.Und zwar von vornherein. Bah!(gibt Heike die Dose zurück)Und mir ist wirklich etwas schlecht.HEIKEJetzt quengel nicht rum, sondern mach da dein Rätselheft.SCHUMANNWas!HEIKEStill jetzt!SCHUMANNAlso Heike bitte... Möglicherweise hast du mich vergiftet. Außerdem:Ich frage mich langsam, was du an diesem Affenzirkus da findest.139


So kenne ich dich gar nicht. Als wärst du ferngesteuert. Oderinfiziert von dem beflaggten Schwachsinn, der seit einigen Tagendurch unsere Straßen galoppiert. Und durch die Supermärkte.HEIKEDu hast eben keine Ahnung.SCHUMANNBesonders die Backwarenabteilungen sind betroffen. Hast du gesehen:die verkaufen jetzt hauptsächlich schwarz-rot-goldenes Gebäck. Ichmeine, hast du dir den ganzen Mist mal angesehen?HEIKEDeutschlandkekse?SCHUMANNJa genau. Aber das ist ja nur die Spitze von allem, der I-Punkt.Dass die Bäcker bunte Kekse backen und das Volk das alles kauft undauffrisst – von mir aus...HEIKEWarte Schumann, warte, nicht jetzt...SCHUMANN...Als hätten alle den Verstand verloren, so kommt mir das bisweilenvor. Das ist doch alles psychisch! Also durch nichts offensichtlichNachvollziehbares zu erklären.HEIKEBehalt das bitte für dich.SCHUMANNWas! Also erlaube mal! Ihr steigert euch da alle rein – keiner weißwarum, keiner weiß genau, in was eigentlich. Einfach Event.Wirklich: als gäbe es nichts anderes mehr. Und jeder popeligeKulturverein macht dieses aufgepumpte Spektakel zu seinerHerzensangelegenheit. Also falls das eure neue Religion sein sollte– der heilige Fußball -, mit verschwitzten Halbaffen als Priestern,Kommentatoren, denen absolut nichts mehr heilig ist und einergierigen Volksmenge, die das einfach gedankenlos in sich reinschlingt – nein. Wirklich nicht. Und dass du da auch nochmitmachst...HEIKESchumann bitte, nur noch ein paar Minuten. Ich halte das nervlichnicht aus.SCHUMANNJa, da siehst du – da kannst du mal sehen, wie weit du schon indiesem Berieselungssumpf versunken bist. Und das, obwohl längsteindeutig bewiesen ist, dass die Menschheit sich, was den Verstandbetrifft, zurück entwickelt. – Im universellen Vergleich hält eureEuropameisterschaft nicht Stand, keineswegs. Und jetzt kannst du zuEnde gucken. Schwachsinn.140


Ende 1: Polen führtSCHUMANNIch gehe jetzt.HEIKEJetzt bleib doch bitte noch, wir sind so kurz davor.SCHUMANNSo kurz vor was?HEIKENa, so kurz vor unserem Sieg!SCHUMANNUnserem Sieg?HEIKEJa, wenn Polen gewinnt, dann habe auch ich gewonnen. Und weißt du,was das bedeutet?SCHUMANNNein Heike, keine Ahnung.HEIKEMensch Schumann, ich habe gewettet.SCHUMANNWas hast du? Moment mal, du hast dir... Hast du dir dafür mein Geldgeliehen?HEIKEJa genau. Und von dem Gewinn können wir beide dann endlich zusammenin den Urlaub fahren.SCHUMANNIch glaub, ich muss kotzen.HEIKEUnd weißt du auch, wohin wir fahren werden? Wir fliegen nach L.A.und besuchen das Haus, in dem die Manson Family die Frau von RomanPolanski ermordet hat. Na, was sagst du jetzt?SCHUMANNIch kann nicht glauben... warte... du hast tatsächlich mein Geld demZufall überlassen? Nein. Wirklich nicht. Und ohne mich darüber inKenntnis zu setzen...HEIKEAber wir haben so gut wie gewonnen. Und außerdem wäre es ja sonstauch keine Überraschung gewesen.SCHUMANNIch hasse Überraschungen. Und wenn überhaupt, dann brauche ich nachdem heutigen Tag mindestens zwei Wochen Urlaub von dir. Also: Icherwarte, dass du mir die 124 Euro bis spätestens Ende nächster Wocheauf mein Konto überwiesen hast. Auf Wiedersehen.141


HEIKEAber Schumann. Ich dachte Urlaub, nur wir beide, mal raus hier, daskann doch nicht... ich dachte: Kräfte sammeln... ich dachte: duwürdest dich freuen.Ende 2: Polen liegt zurückSCHUMANNIch gehe jetzt.HEIKEBitte Schumann, bleib noch hier, ich kann jetzt nicht alleine sein.Ich muss dir noch was sagen.SCHUMANNDann bitte.HEIKEWenn Polen verliert, dann ist das wirklich schlimm für mich.SCHUMANNIch sehe: Du bist wirklich fies von dem EM-Virus befallen. Dennoch:Es ist nur Fußball, Sportsfreund Heike, und nach dem Spiel ist vordem Spiel.HEIKEDas ist es eben genau nicht. Wenn Polen verliert, dann habe icheinen dicken Arsch voll Probleme. Ich habe gewettet, verstehst du!Oh Mann, ich bin so bescheuert, das ganze Geld... Ich war mirhundert Prozent sicher, ich meine: Was mach ich denn jetzt? Ich habeüberall Schulden, sogar bei Marmaris...SCHUMANNWieso? Im Großen und Ganzen kommst du doch ganz gut über die Runden.Alle zwei Wochen zwei, drei Bier hier in der Goldkante... Was willstdu denn mehr?HEIKEMach dich nur lustig.SCHUMANGar nicht, das ist mein voller Ernst.HEIKEDas wär so schön geworden. Von dem Gewinn wären wir beide zusammenin den Urlaub gefahren, nach L.A. Und dort hätten wir gemeinsam dasHaus besucht, in dem die Manson Family die Frau von Roman Polanskiermordet hat. Wunderschön, du und ich, nur wir beide... Und ichversteh das nicht, wirklich, ich habe alle Statistiken studiert, eshätte im Grund nichts schief gehen können... Was mach ich dennjetzt?SCHUMANNKannst du mir bitte mal erklären, weshalb du mir nichts davonerzählt hast?142


HEIKEDann wäre es wohl kaum eine Überraschung gewesen.SCHUMANNIch hasse Überraschungen. Sieht man ja, was dabei herauskommt. Ichfass es nicht: Sein Geld einfach dem Zufall überlassen.HEIKEWieso denn Zufall? Das war doch alles so gut wie sicher, ichverstehe selbst nicht, wie die dermaßen abkacken konnten.SCHUMANNSag’ mal: Meine hundert Euro, die hast du nicht auch gesetzt?HEIKEJa wovon rede ich denn! Was machen wir denn jetzt?SCHUMANNWir? Heike, wie kann man nur so blöde sein. Auf Polen! Siegwomöglich! Hast du vergessen, dass der weltweit zweitbekanntesteÖsterreicher in nur 35 Tagen ganz Polen besetzt hat? Also ichglaube, ich brauche nach dem heutigen Tag erstmal ordentlich Urlaubvon dir. Und sobald du wieder zu Geld gekommen bist, bitte ich dich,die 124 Euro auf mein Konto zu überweisen. Und ich hoffe, das wirdbald der Fall sein. Auf Wiedersehen.HEIKESchumann, was mach ich denn jetzt?FORTSETZUNG FOLGT...143


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 14"Erdbeereis für einen Toten"vonPaul MattisHeike hat endlich das perfekte Opfer gefunden. Aber kann manSerienkiller und Samariter gleichzeitig sein? Schumann äußertBedenken. Mit einem flotten Lied auf den Lippen scheinen sich diemeisten Probleme von selbst zu lösen.144


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe, leerer Tisch. Das Gemurmel der Insassen verstummt.Ruhe. Schumann kommt herein. Er schaut sich kurz um und bleibt wievom Schlag getroffen stehen. Was er sieht, entsetzt ihn zutiefst:Heike sitzt in einer Ecke ganz nah bei einem sympathisch wirkendenMittvierziger, untersetzt, Halbglatze und legt zärtlich ihren Arm umseine Schulter. Ganz langsam pirscht sich Schumann an die beidenheran. Sein eifersüchtiger Blick verfolgt jede Regung von HeikesArm, der sich zärtlich auf dem Rücken des Mannes auf und ab bewegt.Die beiden sind dabei offenbar so sehr in ein Gespräch vertieft,dass sie Schumann überhaupt nicht bemerken. Schließlich steht erdirekt hinter ihnen.SCHUMANN(brüllt)ICH BIN SCHUMANN.Heike und der fremde Mann fallen vor Schreck beinahe von denStühlen.SCHUMANN(zum Thekenwesen, immer noch brüllend)Also, die Bestellung ist folgende: ein Glas Milch und ein GlasBier. Beides aber nicht im Glas. Ich bin Allergiker.Er stellt seine Becher auf die Theke.HEIKESag mal, bist du noch ganz dicht? Kannst du nicht normal reinkommen,wie jedes andere Alien auch?Schumann bekommt seine Milch und sein Bier und schenkt sich ein.SCHUMANN(immer noch sehr eifersüchtig)In bestimmten Situationen schüttet mein Organismus ein Hormon aus,das an meinen Füßen eine Art Instant-Fell wachsen lässt. Dann laufeich vollkommen geräuschlos.Er wirft dem Mann neben Heike einen bösen Blick zu, geht dann zu ihrhinüber und beugt sich ganz nah zu ihrem Ohr.SCHUMANN(leise und doch deutlich hörbar)Wer ist dieser hässliche, alte Sack?HEIKEDer ist überhaupt nicht hässlich.SCHUMANNIch hab nichts gegen Serienkiller, aber Nekrophilie - nein, danke.Schumann nimmt seine Getränke und wendet sich zum Gehen.145


HEIKE(genervt)Schumann. Jetzt schau ihn dir doch erstmal an.SCHUMANNIch bin Allergiker.HEIKE(wütend)Schumann.Schumann bleibt stehen. Heike lächelt routiniert, steht von ihremPlatz auf und geht zu Schumann hinüber. Sie will einen Arm um ihnlegen. Er weicht angewidert zurück.SCHUMANNVersuch jetzt bloß nicht, dich einzuschleimen.HEIKEJetzt schau ihn dir bitte mal an.Schumann, noch immer beide Getränke in der Hand, macht ein paarzögerliche Schritte auf den sympathischen Mittvierziger zu.SCHUMANNOhh, ne, ey, wirklich.Schumann dreht wieder ab.SCHUMANNDas macht doch keinen Spaß. In seinem Alter ist der Tod der besteSerienmörder.HEIKEWeißt du denn gar nicht, wer das ist?Schumann glotzt sie verständnislos an.SCHUMANNHä? Nee.HEIKESchau mal genau hin.Schumann stellt langsam seine Getränke ab und nähert sich dannerneut dem sympathischen Mittvierziger. Der streckt freundlich seineHand aus, als Schumann näher kommt.LARSIch bin Lars.Schumann weicht zurück.SCHUMANN(brüllt)ICH BIN SCHUMANN.146


LARSJa. Das hatte ich schon gehört.Schumann mustert Lars eindringlich. Dann wendet er sich entschlossenHeike zu.SCHUMANNIch passe. Hab den Opa noch nie gesehen.Lars fallen die Gesichtszüge herunter. Binnen weniger Sekunden musser auf einmal mit den Tränen kämpfen.HEIKE(wütend zu Schumann)Wie kann man nur so unsensibel sein.SCHUMANNIst doch nicht meine Schuld, dass der so alt ist.HEIKEDarum geht’s doch gar nicht.Heike nimmt den Mann wieder in den Arm und streichelt ihn.LARS(schluchzend)Er muss mich doch schon mal gesehen haben. Er muss mich dochirgendwo schon mal gesehen haben.HEIKEJa. Das hat er auch. Das hat er bestimmt.SCHUMANN(wieder eifersüchtig)Ich habe schon vieles gesehen. Auf dieser Welt und auf einigenanderen. Aber den Typ da garantiert noch nicht.Lars schluchzt wieder laut auf. Heike wirft Schumann einen bösenBlick zu.HEIKE(flüsternd)Das ist Lars Lollipop.SCHUMANNHä?HEIKE(flüstert lauter)Lars Lollipop.SCHUMANN(verblüfft)Der Kinderstar?HEIKEGenau der.147


Lars schluchzt herzzerreißend.SCHUMANN„Ich wollt, ich wär ein Erdbeereis, dann würd ich alleglücklich machen“...?HEIKEJa, richtig. Jetzt tu gefälligst so, als hättest du ihnerkannt. Sonst hört er nicht mehr auf.Lars kommt aus dem Schluchzen gar nicht mehr heraus. Schumann wendetsich ihm widerwillig zu.SCHUMANNÄh... Verzeihung, alter Mann, also... äh... ich bin Schumann. Ich...hab nicht gleich geschaltet. Muss an der Halbglatze liegen und ichmeine... na ja... ein Kinderstar definiert sich schließlich dadurch,dass er ein Kind ist, also, ich meine...Heike boxt Schumann verärgert in die Seite.SCHUMANNIst ja gut. Also, wenn ich mir das jetzt so überlege, könnte esvielleicht sein... äh... dass sie Lars Lollipop sind?Lars hört augenblicklich auf zu weinen.LARSJa. In der Tat. Das freut mich jetzt aber. Damit hab ich gar nichtgerechnet, dass mich noch jemand erkennt.SCHUMANNDas glaub ich.Wieder ein wütender Blick von Heike.SCHUMANN...äh... nicht. Denn... äh... sie waren ja doch ziemlich... also,damals, meine ich, vor fünfzig Jahren, oder wann das war... da warensie ja wirklich ziemlich berühmt.LARSOh, ja. Das war ich. Kein Tag ohne Autogrammstunde. Und die Frauen.Die Frauen, sage ich euch. Ich war noch keine zwölf Jahre alt undhätte sie schon alle haben können.SCHUMANNUäääh.LARSAber nun ist alles vorbei. Sogar die Kirmeszelte und Ü-40-Discotheken gehen nicht mehr. Jetzt habe ich niemanden mehr. Nurnoch euch beide.SCHUMANNWie jetzt... was jetzt... uns beide?148


LARSHeike hat mir von ihrem Projekt erzählt. Und dass du sie dabeiunterstützt. Das möchte ich auch. Mein Leben ist ohnehin vorbei. Ichbin schon vor langer Zeit gestorben. Ich erkläre mich bereit - undzwar mit Freuden, wie ich betonen möchte - Heikes erstes Opfer zusein.Schumann ist verblüfft. Er sagt nichts mehr. Heike strahlt ihn an.HEIKENa, was sagst du?Schumann weiß nicht recht, was er davon halten soll.SCHUMANNIch glaub nicht, dass wir einen Prominenten nehmen sollten.HEIKEAber den kennt doch keiner mehr.Lars fängt sofort wieder an zu heulen.HEIKEOh, Verzeihung.Heike nimmt ihn wieder in den Arm.SCHUMANNNa ja. Wenn er nicht mal mehr im Bierzelt auftritt...Lars schluchzt noch lauter.HEIKE(wütend)Mann, Schumann, jetzt sei doch nicht so unsensibel.SCHUMANNNa schön. Ich bin dafür. Wir nehmen ihn.Heike springt begeistert auf und umarmt Schumann. Der weichterschrocken zurück, schüttelt sie ab und wischt angewidert an seinerKleidung herum, überall dort, wo sie ihn berührt hat.SCHUMANNKein Grund, brutal gegen mich zu werden.HEIKEIch lauf schnell los und bereite alles vor. Ihr könnt in zweiMinuten nachkommen.Sie verlässt die Kneipe. Schumann bleibt allein mit dem heulendenLars zurück, was ihm sichtlich unangenehm ist. Schumann wendet sichwieder seinen Getränken zu. Lars beruhigt sich unterdessen einwenig.LARSIhr kennt euch schon lange, Heike und du?149


Schumann versucht, Lars zu ignorieren. Doch er schafft es nicht.SCHUMANNGeht so.LARSSpannende Sache, die sie da vorhat.SCHUMANNJa. Ziemlich krass.Schweigen. Schumann nippt an seiner Milch und an seinem Bier.Schließlich kann er nicht mehr an sich halten und muss eine Fragestellen.SCHUMANNUnd dir lagen wirklich alle Frauen zu Füßen?LARSAlle.SCHUMANNWeil du von Erdbeereis gesungen hast?LARSDie Weiber stehen auf so was.SCHUMANNUnd wann hast du... ich meine... wie alt warst du, als du daserste Mal...LARSDu meinst, das erste Mal mit einer dieser Frauen.SCHUMANNJa, genau. Es fällt mir schwer, über so was zu sprechen.LARSMein Gott, warum denn?SCHUMANN(aggressiv)Weil das da, wo ich herkomme, vollkommen anders ist.LARSAls ich vierzehn war, hab ich’s zum ersten Mal so richtig krachenlassen. Und das war dann auch gleich Heikes Mutter.SCHUMANNAlle Achtung. Dann...Schumann stutzt und realisiert nur langsam.SCHUMANNWas hast du gesagt?150


LARSJetzt gerade? Als letztes?SCHUMANNJa.LARSIch weiß gar nicht mehr. Mein Kurzzeitgedächtnis...SCHUMANNDu sagtest: „Heikes Mutter“.LARSJa? Ja! Natürlich. Eine Schönheit war das.Schumann steht sprachlos mit offenem Mund da.SCHUMANNDas heißt, du bist...LARSHeikes Vater.Schumann lässt vor Schreck seine Getränke fallen. Er starrt Lars an,als wäre der ein Alien.SCHUMANNDas geht nicht.LARSAber sicher. So etwas ist doch ganz natürlich.Heike kommt zurück in die Kneipe. Schumann springt aufgebracht zuihr.SCHUMANN(entsetzt)Das ist dein Vater.HEIKEIch weiß.SCHUMANN(noch entsetzter)Das ist dein Vater.HEIKEJa und? Kennst du so was nicht?Schumann sagt nichts mehr, sondern macht stattdessen eine energischeHandbewegung, mit der er Heike bedeutet, mit ihm auf die Seite zutreten. Sie tut es.SCHUMANNDas geht nicht.151


HEIKEWas geht nicht?SCHUMANNDeinen Vater können wir nicht nehmen.HEIKEWarum nicht? Wenn er sterben möchte...SCHUMANNDeshalb.HEIKEWie? Deshalb?SCHUMANNDeshalb... äh... können wir ihn nicht nehmen. Das ist exaktdas Problem.(ihm fällt unvermittelt etwas auf)Du hast mir nie gesagt, dass dein Vater Lars Lollipop ist.HEIKEWeil jeder gleich anfängt, „Ich wollt, ich wär ein Erdbeereis“ zusingen. Das nervt.SCHUMANNKriegt der heute noch Geld dafür?HEIKEJa, klar. Mein Vater ist steinreich. Schau doch mal, Schumann, esist der perfekte Deal: Mein Vater hat nur für seine Karriere gelebt.Die ist jetzt vorbei, also will er nicht mehr leben. Könnte es einenbesseren Abgang für ihn geben, als seiner Tochter beim Beginn ihrerKarriere zu helfen? Und nachdem ich ihn zerlegt habe, bin ichaußerdem steinreich. Ist doch perfekt.SCHUMANNJa, ja, das kann schon sein. Aber wenn du jemanden umbringst, dersowieso sterben will, dann... äh... bist du kein Serienkiller.HEIKE(erschrocken)Nein?SCHUMANNNein. Das ist doch klar.HEIKEAlso, mir ist das nicht klar.SCHUMANN(besserwisserisch)Ein Serienkiller ist nur jemand, der ganz allein über Leben und Todeines AHNUNGSLOSEN Opfers entscheidet.152


HEIKE(nachdenklich)Ach, so. Du meinst...?SCHUMANNWenn das Opfer sterben WILL, dann ist der Mörder nur noch einErfüllungsgehilfe. Bestenfalls ein Auftragskiller. Aber auf keinenFall ein Serienkiller.HEIKE(total enttäuscht)Scheiße.Sie geht langsam zu Lars hinüber.HEIKEDu, Papa...LARSJa?HEIKEIch fürchte, das wird doch nichts.LARSWarum denn das auf einmal?HEIKEWenn du sterben WILLST und ich dir deinen Wunsch erfülle, dann binich kein Serienkiller.LARSAch, Mensch. Das ist ja ärgerlich.HEIKEJa, schade. Aber da kann man nichts machen. Oder, Schumann?SCHUMANNNein, nichts.Schweigen. Alle drei stehen ratlos in der Gegend herum.SCHUMANN(unvermittelt zu Lars)Fang doch einfach noch mal von vorne an. Jetzt, wo dich keinermehr kennt.Lars bricht sofort wieder in Tränen aus. Heike nimmt ihn in den Arm.HEIKE(zu Schumann)Du Idiot.SCHUMANNTschuldigung.Lars schluchzt vor sich hin. Da hebt Heike auf einmal zu singen an.153


HEIKE[zu improvisierter Melodie]„Ich wollt, ich wär ein Erdbeereis, dann würd ich alle glücklichmachen. Dann wär ich kugelrund und süß, und würde allen Freudemachen.“Lars beruhigt sich zu der Melodie und stimmt mit ein.HEIKE & LARS„Ich wollt, ich wär ein Erdbeereis, dann wär die Waffel mein Zuhaus.Ein jeder würde mich vernaschen, ja selbst die allerkleinste Maus.“Schumann stimmt wie selbstverständlich ebenfalls mit ein.HEIKE & LARS & SCHUMANN„Ich wollt, ich wär ein Erdbeereis, doch bitte niemals ohne Sahne.Und bis der Letzte bei mir war, sag ich dem Eismann: Hoch dieFahne.“[weitere Strophen können improvisiert werden]FORTSETZUNG FOLGT...154


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 13"Frucht eines Leibes"vonBenjamin KaralicBeziehungen erreichen irgendwann immer den Punkt, wo man sich fragt,ob und wie man die nächste Stufe erreicht. Aber wie sieht dieseüberhaupt aus? Oder: Kann man sie nicht einfach überspringen?155


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe. Ein Tisch ist nicht besetzt. Das Gemurmel der Insassenverstummt. Schumann erscheint... und geht zur Theke.SCHUMANNAlso, die Bestellung ist folgende: Ein Glas Milch und ein Glas Bier.Beides aber nicht im Glas... Milch ist alle? Ich will deineKondensmilch nicht. Das ist Rentnermilch. Seh ich aus wie einRentner? Fühl mal. Ja, bist du bekloppt? Hast du keine Handschuhe?Müsst ihr hier nicht auch mal was aufschneiden? Wurst, zum Beispiel?Dann nehm ich nur das Bier.Schumann setzt sich und holt einen Tetrapak Milch aus eigenemVorrat. Er befüllt seinen Becher.SCHUMANNIch will kein Wort hören.Er trinkt genussvoll. Dann geht er mit dem Pak zur Theke.Blickduell. Ganz langsam reicht er dem Thekenwesen den Pak rüber.SCHUMANNDrei Euro... Dann nicht.Er verstaut den Tetra Pak wieder in seinem Rucksack.Heike und Horst treten auf. Horst ist riesig, Südamerikaner undträgt einen Blaumann. Sie setzen sich zu Schumann.HEIKEHi.SCHUMANNHi.HORSTHi.SCHUMANNHi.HEIKEDas ist Horst. Mein Sohn.SCHUMANNBei allem, was dein krankes Hirn bislang ausgebrütet hat, bei allem,was ich bislang mitgemacht habe, bin ich nun tatsächlich versucht,zu vermuten, dass du eine existenzielle Grenze überschrit-- Ist dasdeine Mutter?HORSTJa.SCHUMANNWo hast du sie zum ersten Mal getroffen?156


HORSTAm Flughafen.SCHUMANNAha! Und jetzt wollt ihr mir wahrscheinlich erzählen, dass es eineSturzgeburt auf der Rolltreppe war. Als du fünf warst, Heike... Dasist doch schon alles rein anatomisch überhaupt und total unmöglich.HEIKEIch habe ihn adoptiert. Aus Guatemala.SCHUMANNDas hätte ich jetzt auch gesagt.HORSTWas ist eigentlich Ihr Problem?SCHUMANNKeins... ich habe keins.(flüstert)Außer vielleicht, dass du perfekt deutsch sprichst.HORSTWie bitte?SCHUMANNWas denn?HORSTDu hast gesagt, dass er eigentlich ganz nett wäre. Muss ich jetzt inZukunft aufpassen, wenn du eigentlich sagst? Mama?HEIKESchumann, Horst ist mein Sohn. Mit allem was dazu gehört. Und wenndein loses Mundwerk... noch loser wird, dann... Meine Oma hat immergesagt...SCHUMANNIst ja gut. Es tut mir leid. Meine Neugier ist halt eher aggressiverNatur.HEIKEDann frag doch, wenn du was wissen willst!HORSTKann ich einen Kakao haben?SCHUMANNNatürlich bekommst du einen Kakao. Ich spendiere dir... euch einenKakao. Wie wär’s? Mit Sahne.HEIKEDie haben hier nur Instantpulver. Das wird dir nicht schmecken.HORSTIch hab mich dran gewöhnt. Der fade Geschmack wird durch den leichtmetallischen Abgang der Milch kompensiert.157


SCHUMANNJa, nichts geht über deutsche Milch... Horst, hast du denn schoneinmal einen Kakao aus Kondensmilch probiert?HORSTNein.SCHUMANNDas ist ein vollkommen anderes Geschmackserlebnis. Ich bestell direinen. Bochumer Spezialität: “Letzte Reserve”. Haben StiepelerHausfrauen Mitte der 80er entwickelt. Als man vor lauterArbeitslosigkeit in die große Milchkrise kam.HEIKEMilchkrise?SCHUMANNJa, was glaubst du denn, wie man einen verzweifelten Bergmann zumSchlafen kriegt? Kein Gestern, kein Heute, kein oben, kein unten.Heiße Milch mit Honig... und Schlafmohn.HEIKESeit wann interessierst du dich denn für die Bochumer Geschichte?SCHUMANNSchon immer. Und als dann die Milchvorräte zu Ende gingen... was wardann noch zuhaus? Was liegt immer in der hintersten Ecke desKühlschranks... angebrochen und verschmockt? Was versteckt sich nochhinter der Erbsendose? Was liegt unter der Kartoffelkiste im Keller?Richtig: Kondensmilch. Die letzte Reserve. Ob die noch gut ist, odernicht, schmeckt der Laie gar nicht.HEIKEMein Sohn ist nicht nach Deutschland gekommen, um sich von Reservenzu ernähren. Ich hol ihm jetzt einen ordentlichen Kakao.SCHUMANNWie du meinst. Wenn du nicht aus der Vergangenheit lernen willst.HORSTIch könnte auch ein Radler—HEIKEHorst, du musst lernen deinen Instinkten zu vertrauen. Der ersteImpuls ist immer der Richtige.Heike geht zur Theke, erfährt, dass die Milch alle ist.HEIKESchumann, was soll das Theater?SCHUMANNDas ist kein Theater. Es ist eine Milchkrise. Und du, als Mutter,bist mittendrin.158


Es erklingt der altbekannte Ohrwurm “No Milk today.” Während derSong spielt, verteidigt Schumann die Milch in seinem Rucksack vorden gierigen Finger von Heike und Horst. Erfolglos. Sie buhlen, siesaugen, sie kleckern. Am Ende trinkt Heike alles aus. Erschöpfung.HEIKEHorst, es tut mir leid. Hier, vielleicht ist noch was drin.HORSTRadler... jetzt.Heike springt auf. Schumann schneidet ihr den Weg ab. Beide kommenzeitgleich beim Thekenwesen an.BEIDEEin großes Radler.Beide rasen mit dem Getränk zurück zu Horst. Er wird gestopft.SCHUMANNAh, ich kann mich noch genau an mein erstes Bier erinnern. Sommer2005. 15. Juli. Zusammen mit meiner ersten Currywurst. Was für einTag. Horst hast du schon mal Currywurst gegessen?HEIKEJa.SCHUMANNIch habe Horst gefragt. Horst?HORSTJa.SCHUMANNUnd?HORSTGeht so.SCHUMANNDas akzeptiere ich nicht. Wo wart ihr denn, Heike? Da kriegt der Burseine erste Wurst und du glänzt wieder durch Achtlosigkeit.HEIKEWas soll das heißen? Wurst ist Wurst.SCHUMANNNEIN. Wenn ich hier etwas gelernt habe, dann das. Heike, kaum einNahrungsmittel der westlichen Hemisphäre ist so mannigfaltig wieWurst.HORSTIch geh aufs Klo.Horst ab.159


HEIKEManchmal frage ich mich echt, wo ich hier gelandet bin.SCHUMANNSo, jetzt Tacheles. Warum hast du einen Sohn? Niemand hatirgendetwas von Kindern gesagt. WIR haben nie über Kinder geredet.Und warum zum Teufel heißt er Horst?HEIKENazi-Großeltern. Und zu den Kindern: Du hast sie mir sogarempfohlen. Als Schmerztherapie.SCHUMANNDa habe ich ja auch noch nicht so richtig an unsere Missiongeglaubt.HEIKEDann wirst du jetzt ausflippen.SCHUMANNDu hast deine Serienkillerpläne für das läppische BisschenKindergeld verkauft?HEIKEHorst wird sterben.SCHUMANNWas?HEIKEEr wird mein erstes Opfer sein. Pass auf. Ich hab dir doch malerzählt, dass ich im Altenheim aushelfe.SCHUMANNÄh... nein.HEIKEDoch, der Gammelfleisch-Song.SCHUMANNJetzt erinnere ich mich.Beide stimmen den SONG an. Ein kleines albernes, aber schönesRitual.HEIKEIch benutze die Omis als Tarnung. Es war überhaupt kein Problem, derguten Frau Fuchs unseren Horst aufzuschwatzen. Mit ein bisschenÜberzeugungskraft und einem kleinen Wink Richtung NS-Zeit tun dieseemotionalen Trümmerhaufen alles. Bis zuletzt wird mir niemand aufdie Schliche kommen. Bis sie die Leichenberge finden. “DIE MUTTERDES TODES”. “Erst nahm sie auf, dann aus.”SCHUMANNÜberlass die Schlagzeilen den Profis.160


HEIKESchumann! Kannst du die Dunkelheit jetzt sehen. Sieh in meinschwarzes Herz.SCHUMANNWarum ist Horst so alt? Als Kindermörderin kommst du doch vielschneller viel höher.HEIKEIch hatte ein Kind bestellt.SCHUMANNAber?HEIKEWas weiß ich denn, was da gerade in Guatemala los ist... Amnestymacht den ganzen Kinderhandel kaputt. Horst ist das Resultat einesEngpasses.SCHUMANNWann schlagen wir zu?HEIKEOho. Hab ich da etwa schlafende Hunde geweckt?SCHUMANNIch bin Schumann... und werde eines Tages frei sein.HEIKEDu machst das nur, um unsere Abmachung—HORSTDie Toilette der Goldkante ist von außerordentlicher Qualität.SCHUMANNGanz die Mama. Die nächste Runde geht jetzt aber wirklich auf mich.Mehr Radler für alle.SCHUMANNIch kenne ein tolles Trinkspiel.HEIKEDann lass mal hören.SCHUMANNExen.HEIKEDas ist doch kein Spiel.SCHUMANNDoch! Wer zuletzt fertig ist, muss das Sambal Oelek auslöffeln.HEIKEWir haben kein Sambal Oelek.161


SCHUMANNOh.HORSTKönnen wir nicht einfach gemütlich was trinken?SCHUMANNHorst, lass dir das gesagt sein: Trinken, der zielgerichtete Genussvon Alkohol, ist nicht gemütlich. War er nie, wird er nie sein. Esist immer ein Wettbewerb. Schon ab 0,5 Promille sind wir Gegner.Waffe und Hauptpreis, ein und dasselbe.HORSTUnd wer gewinnt?SCHUMANNKeiner.HORSTUnd warum trinken wir dann?SCHUMANNSelbstzerstörung. Und Fremdzerstörung. Am Ende steht immer dieApokalypse.HEIKESchumann, du klingst wie einer von den Anonymen.SCHUMANNNur die Milch hält mich noch in dieser Welt. Nur die Milch. Aberheute ist ein besonderer Tag. Und heute geht es um Horst. Da könnenwir ein bisschen Stimmung gut gebrauchen. Ich trinke auf Mutter undSohn. Ich trinke auf das ewige Band der Liebe. So platonisch sieauch sein mag. Prost. Bis dass der Tod uns alle scheidet. Und jetzttrinkt endlich!HORSTErster!SCHUMANNDue.HEIKEBah.HORSTIch hole Wodka. Mama, gib mal Geld.Er geht zur Bar.HEIKEIch hätte gerne noch etwas Zeit mit ihm verbracht.SCHUMANNJede weitere Minute, die du vergeudest, schwindet dein Wille.Mutterliebe. Die natürlichste Droge der Welt. Aber Heike, denk dran,du wirst noch viele Kinder haben.162


HEIKEUnd alle wollen Liebe.Die Wodkas krachen auf den Tisch.HEIKEMama ist gleich wieder da.Heike ab.SCHUMANNSo, Horst, jetzt müssen wir mal ein ernstes Wörtchen miteinanderreden.HORSTOkay...?SCHUMANNLiebst du deine Mutter?HORSTIch glaube schon.SCHUMANNFühlst du was, wenn du an ihrem Pulli riechst?HORSTJa, irgendwie...SCHUMANNFÜHLST DU ETWAS, WENN DU AM PULLOVER DEINER MUTTER RIECHST ODERNICHT?HORSTJa.SCHUMANNUnd was?HORSTZuhause.SCHUMANNScheiße.HORSTWas denn?SCHUMANNDu würdest alles für sie tun, oder?HORSTSie ist meine Mutter.SCHUMANNSeit drei Tagen vielleicht.163


HORSTIch wollte immer eine haben.SCHUMANNWas würdest du sagen, wenn ich dir verrate, dass eine Mutter nichtimmer gut für einen ist, nicht immer das Beste für einen im Sinnhat? Was, wenn sie eher an ihrem eigenen Wohl interessiert ist?HORSTDann kann sie keine Mutter sein.SCHUMANNHeike wird dich aussaugen. Dich benutzen. Für sehr, sehrunmütterliche Dinge. Du willst Liebe, du willst Geborgenheit? Duwirst als Batterie enden.HORSTIch hab keine Ahnung, was du willst. Aber du lügst.SCHUMANNDann, mein kleiner ahnungsloser Horst, frag sie. Frag sie, ob du einkleines Brüderchen haben kannst!HORSTIch bin im Heim aufgewachsen. Ich will keine Geschwister. Und Mamakann sich das doch gar nicht leisten.SCHUMANNEben. Und trotzdem wird es geschehen. Deine Mama ist so gierig. Duwirst ihr niemals genug sein.Heike kommt zurück.SCHUMANN(flüstert)Mutterliebe ist die schlimmste aller Drogen.HEIKEHorst, du hattest Recht, die Toilette hier hat es in sich.Wodka wird geleert.HORSTNächste Runde?HEIKEIch dachte, wir könnten jetzt mal langsam... also noch kann ichfahren.HORSTMama, hast du mich lieb?HEIKEAber klar, mein Schatz.HORSTUnd wenn ich mal Geschwister bekomme.164


Heike nimmt ihn in den Arm.HEIKEDann hab ich euch alle gleich lieb. Jeden einzelnen.Darauf packt Horst seine Mutter und küsst sie heftigst auf und inden Mund. Heike gibt sich Horst hin. Dann langsames Lösen.Ernüchterung.HORSTDu bist vielleicht meine Mutter, aber ich bin nicht dein Sohn.Horst ab. Stille.HEIKEWorüber habt ihr gesprochen?SCHUMANNDie Milchkrise... und Selbstachtung.HEIKESelbstachtung?SCHUMANNDie du sicherlich verloren hättest... Mensch Heike. Du alsImmigrantenkiller? Als Latinoschrecken? Das lockt nicht mal meineMutter hinter der Couch hervor. Du brauchst <strong>echte</strong> Opfer. Opfertypen.So wie Horst aussah, hätte man ihm am Ende noch alles angehängt.Post mortem.HEIKEHorst war mein Sohn.SCHUMANNEr lebt noch und du redest schon in der Vergangenheit von ihm.HEIKEDu hast recht... Danke... Und was wäre passiert, wenn du deineAbmachung eingehalten hättest, wenn das erste Opfer tot und derGrundstein meiner Karriere gelegt wäre?SCHUMANNDu hättest mir zuallererst eine Milch ausgegeben.Schumann geht zur Tür, hält sie für Heike offen. Bevor sie weiternachbohren kann...SCHUMANNErzähl mir doch noch mal, was du mit den Kindern vorhattest...FORTSETZUNG FOLGT...165


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 16"Schnee, erster Teil: Blau"vonAndreas BrowaSchnee auf der Schwelle zum August? Auf dem Gipfel desKilimandscharo? Wohl kaum! Was darf man glauben, was nicht? UndVorsicht: Nicht alle Wege führen zum Licht.166


INT. GOLDKANTE - ABENDSchumann tritt auf, bestellt, setzt sich. Er ist offenbar inGedanken, wirkt so, als bedrücke ihn etwas, als wolle er etwasloswerden. Jedenfalls kann er sich auf nichts konzentrieren; er istsogar derart mit sich selbst beschäftigt, dass er nicht einmalHeikes Geigenkasten bemerkt, der unweit von ihm an der Wand lehnt.Heike tritt nach einiger Zeit von der Damentoilette her auf. Indemsie die Tür unsanft aufreißt, erstrahlt der Toilettenraum hinter ihrmysteriös in einem kräftigen, kalten Blau. Schumann starrt entsetztauf diese Erscheinung.HEIKE(zur Theke und in einem verblüffend charmanten Ton)Einen Gin Tonic hätte ich gerne.(wartet, dabei fällt ihr offenbar etwas ein und sie rennt nocheinmal zurück zur Toilette. Wieder erstrahlt das Blau. Sie kommt miteinem kleinen Täschchen zurück, nimmt sich ihren Drink von derTheke)Vielen Dank!(trinkt im Stehen)Ah, köstlich. Das tut gut!(geht zu Schumann, wirft das kleine Täschchen lässig auf die Bank,setzt sich)Heiß.SCHUMANN(starrt Heike entgeistert an)HEIKEWas starrst du mich denn so entgeistert an?SCHUMANNIch wusste gar nicht... ich... Heike, wo kommst du denn so plötzlichher? Ich meine, seit wann bist du schon hier?HEIKEVon der Toilette komme ich. Gefalle ich dir?SCHUMANN(sichtlich überfordert)Das verstehe ich nicht. Ich bin... seit ich hier angekommen bin... –Ist noch jemand da drin?HEIKEWo?SCHUMANNNa da, in dem Toilettenraum.HEIKENein, leider nicht. Zumindest habe ich niemanden bemerkt.SCHUMANN(hektisch: sieht sich um, sieht Heike an, wippt mit den Beinen)167


HEIKEHast du was?SCHUMANNIch weiß nicht, irgendetwas stimmt hier nicht.HEIKEMeinst du mich?SCHUMANNMöglicherweise. Ich bin nicht sicher.HEIKEEs ist Sommer Schumann, es ist heiß. Alles ist im Flow.SCHUMANNNein. Es ist schon lange Sommer. Und es war auch schon heißer.HEIKEDu meinst schwüler, es war schon schwüler, das stimmt. Aber mir istnun einmal jetzt gerade unglaublich heiß.(trinkt, sieht Schumann provozierend an)Innerlich.SCHUMANNGroßer Gott, was hast du da drinnen gemacht?HEIKEWo? Auf dem Klo?SCHUMANNUnd starr mich bitte nicht so an, hörst du? Das ist mir unheimlich.HEIKEVielleicht habe ich mich – du weißt schon: ein bisschen in Stimmunggebracht.SCHUMANNBitte? Also Heike weißt du...HEIKENur so ein kleines bisschen. Für später.SCHUMANN(sieht sich erneut hektisch um)Wieso? Bitte hör auf damit. Was ist denn später?HEIKE(etwas gelangweilt)Ich weiß noch nicht. Jetzt werd erst mal locker, Mann. Kann man sichja kaum mit ansehen, dein Gehampel da. Jedenfalls wird es Zeit, dassendlich etwas passiert. Und ich sage dir, heute ist es soweit; etwasGroßartiges liegt in der Luft, das spüre ich. - Schumann! Sag mal,muss ich dir erst eine klatschen?SCHUMANWas ist denn nur los mit dir?168


HEIKEMit mir? Mit mir ist alles in Ordnung, mir geht’s phantastisch, duzuckst doch hier rum wie ein Idiot.(ein Gedankenblitz; pathetisch)Vielleicht der Vampir!SCHUMANNWo!HEIKE(blickt in Richtung Mädchentoilette)SCHUMANNWas? Mensch Heike, lass doch den Scheiß! Bist du gebissen? Hast duetwa Kontakt zu diesem...HEIKESpinner! Das war ein Scherz. Allerdings: ich hätte jetzt durchausBock drauf, der kam wenigstens direkt zur Sache...SCHUMANNDer war vollkommen verrückt, wenn nicht noch etwas vielSchlimmeres...HEIKE...der geile Vampir.SCHUMANNWas!HEIKEDu hast mich genau verstanden. Wäre übrigens auch ein guter Titelfür ein Bilderbuch. Und ich gebe zu: Ein, zwei Mal habe ich von demKerl geträumt. Doch, der hatte schon was.SCHUMANNWas erzählst du denn da? Möglicherweise hast du Fieber.HEIKEEin Traum, Schumann. Traum – träumen, verstehst du, im Schlaf.SCHUMANNJa ja, schon gut, ich bin nicht blöde. Ich verstehe durchaus, was dusagst, ich kann dir inhaltlich folgen, ich begreife lediglich nicht,was das alles soll. Willst du mich irgendwie beeindrucken, habe ichdeinen Geburtstag vergessen?HEIKE(abwesend)Was?(lacht)Oh und wir haben uns gegenseitig nach Kräften ausgesaugt, der Vampirund ich...169


SCHUMANN(ringt um Fassung; leise)Ich - bin - Schumann.HEIKEWirklich, der hatte Sachen drauf, davon machst du dir keineVorstellung. Ich bin schier verrückt geworden...SCHUMANNICH BIN SCHUMANN!HEIKEHör auf damit! Lächerlich ist das, ich tu dir doch nichts. Underzähl mir nicht, du würdest diese Art von Träumen nicht kennen.SCHUMANNAlso ich weiß nicht, ich...HEIKESchau mich an. Hast du von mir geträumt?SCHUMANNAlso...HEIKEHast du dir Fantasien gemacht?SCHUMANNDas ist nicht richtig, ich sag besser gar nichts mehr.HEIKE(durchaus überdreht; singt)Oops, I didn’t know I couldn’t talk about sex – I musta been crazy.Wir sind Menschen, Schumann, wir sind auch Tiere.(schaut ihn an)Na ja, normalerweise zumindest. Sieh mich an!SCHUMANN(reagiert nicht)HEIKEDas ist unsere Natur.SCHUMANN(für sich)Das ist alles höchst unnatürlich, um nicht zu sagen: gespenstisch.HEIKEWas? Kannst du mich bitte ansehen, wenn du mit mir sprichst. Hallo?Du willst nicht?(nah an sein Ohr heran)Der Trieb, Schumann, ist eine Macht. Er duldet manchmal keinenAufschub, sondern will befriedigt werden. Er fordert sein Recht,hörst du, er will sich einfach nur suhlen in sich, er will –SCHUMANN170


Schluss! Es reicht. Ich habe durchaus verstanden, was du mir sagenwillst. Aber ich habe ein schwerwiegendes Problem: Ich bin mir nichtsicher, ob du im Augenblick tatsächlich Heike bist.HEIKE(abgelenkt)Was hältst du von dem da drüben?SCHUMANNWarum? Wo?HEIKE(krallt sich in Schumanns Schenkel)Ich glaube, der findet mich gut.(fixiert)Wirklich, ich glaube, da kann ich was reißen.SCHUMANNAber – Heike, du kannst mir sagen, was du willst, aber mit dirstimmt doch was nicht. Hast du was genommen?HEIKEWas?SCHUMANNUnd würdest du mich bitte loslassen?HEIKEAch?(beginnt den Schenkel zu massieren)Regt sich da was?SCHUMANNLass! Was ist nur los mit dir? Wir sind hier nicht allein.HEIKEWir sind hier nie allein, na und? Sollen sie doch glotzen. Glotztdoch! Glotzen und Fressen, das ist doch im Grunde schon alles heute.SCHUMANNDu bist doch nicht Du!HEIKE(kalt)Vielleicht wurde ich ausgetauscht von deinen Spacefreunden.SCHUMANN(geschockt)Du wirst jetzt lachen: daran habe ich vorhin auch kurz gedacht, aberdas ist... das scheint mir doch sehr –(beugt sich schnell vor Heike, betrachtet sie eindringlich)Sieh mich mal an, möglicherweise...HEIKE(lacht schallend)Mein Gott, bist du bescheuert, das darf doch nicht wahr sein! Ichbin’s: Heike. Hier.171


(geht sich mit den Händen über den Körper)Alles dran. Fühlt sich gut an.SCHUMANN(starrt sie immer noch verständnislos an)HEIKEWeißt du was, du langweilst mich, das alles hier langweilt mich zuTode.(greift sich ihr Täschchen und geht damit in Richtung Toilette.Macht kurz Halt bei dem Typen, den sie vorhin fixiert hat)Na, alles klar?(dann zur Theke)Ach, mach mir doch bitte noch so einen fantastischen Gin Tonic.(wartet, hebt die Arme über den Kopf, streckt sich. Zur Theke)Vielen Dank, du bist super.(verschwindet mit dem Glas im Klo, welches wiederum blau erstrahlt)SCHUMANN(starrt ungläubig von seinem Platz aus ins Blau)Das ist doch wirklich nicht!... Also ich meine... Nein, das glaubeich nicht. Nein nein nein. Nein. Heike, nein.(eine Musik kann an dieser Stelle Schumanns innere Unruheunterstreichen. Er hat offenbar einen Verdacht und weiß nicht, waser nun tun, wie er sich verhalten soll; zwischen seinem Platz undder Toilettentür ist er hin- und her gerissen. Schließlich abersteht er doch vor der Tür. Steht vor der Tür wie vor einerErscheinung. Klopft)Heike? Bist du da drin?(keine Antwort. Schumann zögert erneut; selbstvergessen)Blödsinn... Also nein, sie muss ja da drin sein... aber ich weißnicht...(durch die Tür)Bitte Heike: hör sofort auf damit!(er öffnet die Tür einen Spalt breit, erschrickt jedoch vor demBlau. Wimmert, sammelt sich. Dann aber stößt er die Tür ganz auf –sie bleibt für den Rest der Folge offen)Also Heike... Was ist das, was machst du da!HEIKE(nicht sichtbar aus dem Raum heraus)Das siehst du doch, ich sitze hier.SCHUMANNDas meine ich nicht. Das da! Ist das...HEIKE...der Schlüssel zur nächsten Ebene, ganz genau.SCHUMANNWas! Also das glaube ich nicht! Seit wann... Mensch Heike, bist duvollkommen übergeschnappt? Ich meine: wie kannst du dich – Lass dassofort bleiben, sofort! Das befehle ich dir.HEIKEAch Schumann, süß. Du hast ja keine Ahnung! Aber ich hätte mirdenken können, dass du durchdrehst. Du kleiner Spinner.172


SCHUMANNOffenbar merkst du selbst gar nicht, was hier vor sich geht.HEIKEDa irrst du dich, mein Lieber. Mein Bewusstsein war noch nie soscharf mund umfassend wie jetzt in diesem Augenblick. Ich sehe dich,ich sehe alles, Schumann. Bis auf deinen zugeschlammten Grund kannich sehen. Du siehst nur eine besondere Seite von mir.SCHUMANNVielleicht solltest du schnell ein großes Glas Wasser trinken.HEIKE(lacht)SCHUMANNUnd die Füße hochlegen... Unsinn...HEIKEIch habe eine Idee. Komm her zu mir.SCHUMANNIch? Du bist wohl vollkommen übergeschnappt, niemals.HEIKE(kommt ihm aus dem Blau ein Stück weit entgegen; sanft)Schumann. Vertrau mir. Im Grunde ist gar nichts dabei, es kitzeltnur ein klein wenig. Und garantiert tötet es absolut alle Bakterienund Viren ab, die es auf dem Weg hinauf in dein Hirn finden kann.Und dann, Schumann, dann wirst du endlich klar sehen.SCHUMANNLass! Fass mich nicht an!HEIKEKomm aus den Wolken, Mensch. Es soll doch noch weitergehen mit uns,meinst du nicht?SCHUMANNDu wirst dich ruinieren damit.HEIKEAch, glaub doch diese Spießermärchen nicht. Das machen allemittlerweile. Zumindest die Spannenden, die Angesagten. DieKreativen und die Einflussreichen. Sogar mein Gynäkologe! Nur Hinzund Kunz – aber auf die können wir auch getrost scheißen. Wir lebenjetzt, Schumann, in diesem Augenblick. Lass ihn uns genießen, ihnteilen. Folge mir einfach, und ich verspreche dir, dich zu befreien.SCHUMANNIch will mich aber gar nicht befreien. Im Ernst: ich beginneallmählich, mich besser zu fühlen in meiner Haut, wirklich.HEIKEQuatsch! Wir treten schon seit langem auf der Stelle, du und ich;wenn du ehrlich bist, gibst du das auch zu.173


SCHUMANNNa ja, ich bin mir nicht sicher, vielleicht. Aber vermutlich ist dasso heute, wir sind vermutlich nicht die einzigen... Es geht umNuancen vielleicht, und ich finde, da sind wir gar nicht soschlecht, wir beide.HEIKEHier jetzt, komm, lass dich befreien.SCHUMANNNein. Ich will nicht.HEIKENatürlich willst du das. Du kannst es nur noch nicht wissen. Komm,kleiner Schumann. Ich weiß genau, dass ein Held in dir wohnt.SCHUMANNNein! Das alles kannst du vergessen. Und du wirst auf diese Weiseauch niemals als düstere Antiheldin enden, im Leben nicht. Sondernbestenfalls als Wrack in der Klapsmühle.HEIKE(wütend)Schlappschwanz!SCHUMANNDoch. Wenn dir nicht vorher der Kopf platzt. Du bist nämlich, alsomeine Heike ist nämlich viel zu sensibel für den Scheiß da, das istsie durchaus. Auf ihre Weise.HEIKESchön. Aber davon kann man sich nichts kaufen. Im Gegenteil: Man hatimmer nur das Nachsehen, immer! Sensibel muss man sein, wenn manCello spielen oder einen schwules Buch schreiben will. Beidesabsolut randläufig. Oder wenn man die Nora singen will, lächerlich!SCHUMANNDazu braucht man Begabung, besondere Fähigkeiten...HEIKEFresse! Erzähl du mir bloß nichts von Fähigkeiten. Dann behalte dochdeine kleine, kümmerliche Sicht der Dinge.(will sich abwenden)Obwohl... Sieh mir in die Augen, los, sieh mir ganz fest in dieAugen. Was siehst du?SCHUMANNIch weiß nicht, was soll ich sehen? Sie sind irgendwie anders alssonst.HEIKEAnders? Kein Wunder, sie brennen.SCHUMANNKeine Ahnung. Jedenfalls kann ich die eigentliche Heike in ihnennicht so richtig erkennen.174


HEIKESehr gut.SCHUMANNMeine Heike, also die richtige Heike, die ist keineswegs so, alsonicht so makellos. Und die weiß auch keineswegs immer, was zu tunist. Ja, die ist sich selten in etwas so richtig sicher.HEIKEUmso besser, vergiss die dumme Kuh für einen Augenblick. Ich binjetzt Heike. Können diese Augen lügen?SCHUMANNOffenbar schon.HEIKEFalsch. Woher willst du denn wissen, was wirklich ist und was nicht?Ausgerechnet du.SCHUMANNDergleichen habe ich auch nie behauptet. Ich wollte doch nur...HEIKEJa was? Spuck es aus, los: Du wolltest nur...SCHUMANNIch habe einfach geglaubt...HEIKE(stöhnt genervt auf)Du wolltest, du hast geglaubt – Blödsinn, Schumann. Jetzt ist ebenalles ganz anders. Hier: es ist nur ein kleiner Schritt. Danach wirddir alles klar. Glaub mir, es fällt dir wie Schuppen von den Augen,du wirst mir alles sagen können. Du musst mich nur erkennen,verstehst du? In unserer Stärke müssen wir einander erkennen. Deininneres AUGE – Was dann los sein wird, Mann, das wird gigantisch!Komm, ich schwör dir, du wirst es nicht bereuen.SCHUMANN(langsam auf Heike zu)Heike, ich...HEIKESssccchhhhh... Nicht mehr denken, überlass das einfach mir. So istgut. Komm.SCHUMANNNicht so schnell...HEIKEStill jetzt, knie dich hier hin. Gleich haben wir’s geschafft.Das Blau erlischt. Stille.FORTSETZUNG FOLGT...175


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 17"Schnee, zweiter Teil: Das Auge"vonAndreas BrowaWer stets den höchsten Gipfel anstrebt, muss damit rechnen,abzustürzen. Heike fällt, und der Boden der Realität ist hart. Undwer wartet dort bereits auf sie? Wer sieht immer alles? – Schumannist gezwungen zu handeln...176


INT. GOLDKANTE - ABENDDirekt im Anschluss an den <strong>99cent</strong> Theater-Vorspann ertönt sehrkontrastiv und sinnig „Zwei Spuren im Schnee“ von Vico Torriani.Schumann betritt direkt mit den ersten Takten die Goldkante, gehtzur Theke, bestellt. (Entweder die Bestellung findet diesmal ohneWorte statt, oder das instrumentale Zwischenspiel des Musikstückswird kurz etwas leiser gespielt.) Im Hinblick auf das Ende der Folge16 wirkt Schumann klar, d.h. keineswegs durch die Einnahmeirgendeiner Droge beeinflusst. Allerdings: Er ist angespannt. Erbleibt voller Ungeduld an der Theke stehen, sucht sich nicht wieüblich Platz.Die Musik endet. Heike betritt stürmisch die Goldkante, sie siehtdeutlich mitgenommen aus.SCHUMANN(ihr entgegen)Endlich, da bist du ja! Wir müssen reden...HEIKESchumann, Gott sei dank! Ich weiß, später. Hat jemand nach mirgefragt?SCHUMANNBitte? Heike es ist mein Ernst. - Wer soll denn nach dir gefragthaben?HEIKENicht? Himmel, der Kerl hat meine Telefonnummer, und der weiß jetztsogar auch, wo ich wohne!SCHUMANNAber wer denn?HEIKESchrecklich!SCHUMANNHeike, jetzt reiß dich zusammen und sage mir endlich, was hier losist.HEIKEIch bin sicher, er verfolgt mich!(will sich verstecken)SCHUMANNAlso, das ist doch lächerlich.HEIKENein, lass mich.SCHUMANNUnd wie siehst du überhaupt aus?HEIKEIst doch egal jetzt, ich habe nicht viel geschlafen in der letztenZeit. Schumann, versteh doch: Ich werde verfolgt.177


SCHUMANNAlso gut. Wer verfolgt dich?HEIKEWürdest du bitte einmal kurz nachsehen, bitte?SCHUMANN(geht zur Eingangstür, öffnet sie, blickt kurz hinaus)Also Heike, da ist nichts. Wahrscheinlich hast du wieder vonVampiren geträumt. Ein Alptraum diesmal, und wenn du mich fragst:Ich finde das geschieht dir ganz recht.HEIKEBitte Schumann, nicht jetzt. Die Lage ist wirklich sehr ernst.SCHUMANNAllerdings. Und so kann das auch nicht weitergehen, lass uns – komm,wir setzen uns, die anderen lachen ja schon.(beide nehmen Platz)Hast du was genommen?HEIKEWas?SCHUMANNNa du weißt schon: Hier, deine tolle, neue Ebene... dein drittesAUGE...HEIKE(zuckt zusammen)Nicht so laut! - Bist du bescheuert? Das kann man nicht immermachen. Ist auf die Dauer auch viel zu kostspielig.SCHUMANNNa, da bin ich ja beruhigt. Kannst du dich überhaupt erinnern, wiedu das letzte Mal hier abgegangen bist? ...HEIKEGott ja, ich erinnere mich dunkel.SCHUMANN... Genau: Wie eine durchgedrehte Mutter Gottes. So hast du dichhier aufgeführt.HEIKEWirklich so schlimm?SCHUMANNSchlimmer. Das war peinlich, das war monströs – also Heike wirklich,du hast sogar wildfremde Kerle angegrapscht!HEIKENein. Das habe ich mit Sicherheit nicht getan.SCHUMANN178


Also ich war doch dabei! Und einen Hokuspokus hast duveranstaltet... Und schon seit Tagen versuche ich dich zu erreichen,ich wusste gar nicht, was los ist.HEIKEMein Handy ist abgeschaltet.SCHUMANNSchön. Sehr schön. Immerhin hast du versucht, nach mir zuschlagen...HEIKEAch, das war... also wirklich...SCHUMANN...doch, das hast du, du wolltest mich schlagen, und dann bist dueinfach abgehauen.HEIKEDas war alles so frustrierend in letzter Zeit, alles, was ich mirvornehme – Ich weiß nicht: Ich dreh mich im Kreis. Ehrlich, ich habeimmer häufiger das Gefühl, auf der Stelle zu treten.SCHUMANNUnd da dachtest du... Also wirklich, Heike, nein, das begreife ichnicht.HEIKESo einfach ist das nicht, man denkt nicht immer vorher über allesgroß und lang nach. Manchmal macht man einfach.SCHUMANNNein. Du, Heike: Du denkst nicht immer über alles nach. Und manchmaldenkst du offenbar überhaupt nicht. Ich meine, es geht ja noch an,dass du hier mit einem grenzdebilen Affen aufläufst und dich zurMutter erklärst. Und dass du von einem singenden Zirkuspferdabstammst – von mir aus. So bist du eben, und das macht mir allesnichts aus. Aber wenn du dir ohne Sinn und Verstand so n Zeug da indie Birne ballerst... Nein, da mache ich nicht mit.HEIKEIch weiß.SCHUMANNJa, aber es nutzt offenbar nichts! Wer weiß, wie das nochweitergeht, wo das alles endet.HEIKEJetzt hör wieder auf, ich habe alles im Griff.SCHUMANN(lacht)Wirklich Heike: Das habe ich gesehen. Ich mag selbst auch etwaseigen sein, möglicherweise, aber ich bin nicht verrückt... Absolutausgeschlossen.179


HEIKE(etwas erschöpft, vielleicht gerührt)Du hast dir immerhin Sorgen gemacht. Das ist lieb.Schweigen.SCHUMANNUnd wie geht es jetzt weiter?Da fliegt die Tür auf und herein tritt AUGE.HEIKE(erstickter Schrei, versucht, sich hinter Schumann zu verstecken)AUGEHallo Püppchen? Wo steckst du?SCHUMANNMeint der etwa dich?HEIKESei doch still, verdammt!AUGEPüpppüpppüpp...(erblickt Heike)Du weißt doch: Das AUGE sieht alles. Mann, bin ich gut.HEIKEWas? Ach, hallo. Ich wollte dich später noch anrufen.AUGESag doch mal: Bin ich nicht gut?HEIKEDer Beste. Du bist der Beste.SCHUMANNKenne ich den nicht?AUGEIch weiß. Aber danke, dass ich mit deiner Mailbox quatschen darf.Was habe ich gesagt?(mit verstellter Stimme)nächßte woch geiles stückSCHUMANNRedet der mit dir?HEIKEIch hab’s nicht vergessen, ehrlich nicht, ich fürchte nur, ich kannnicht.AUGEDanke danke. Was war das?180


SCHUMANNSie hat gesagt: sie kann nicht.(leiser zu Heike)Also, ich könnte schwören, dass ich den Kerl schon mal irgendwogesehen habe.AUGEHabe ich richtig gehört?HEIKENun ja...AUGEStopp! Quatsch mir hier keinen Mist an die Backe, wir hatten eineklare Vereinbarung.SCHUMANN(zu Heike)Und ich glaube auch, der tickt nicht ganz richtig.HEIKEIch weiß doch, und es tut mir wirklich Leid...AUGEOh! Was! Der Lady tut es Leid. Ich frage mich – doch, ich frage michernsthaft, was ich davon halten soll. Sag mir doch bitte: Was sollich davon halten?HEIKEAber es ist etwas Schreckliches passiert: Mein Vater...(rudert hilflos mit den Händen)SCHUMANN...ist gestorben, genau. Ihr Vater.(kleinlaut)Na ja, fast zumindest.AUGEIch fasse kurz zusammen: Eine ganze dicke Woche lang darf ich dreiMal am Tag mit ihrer Mailbox quatschen. Und dann versteckt sich dasBiest auch noch, seh ich das richtig.SCHUMANNMeint der dich damit?HEIKEUnsinn. Ich hab mich doch nicht versteckt. Hier bin ich doch. Ichbin immer hier, das ist kein Geheimnis, jeder weiß das.AUGEVersteckt sich und tut einfach so, als wäre ich ein Vollidiot. Was,sag mir das bitte, was soll ich nur davon halten?SCHUMANNIch fürchte, der ist richtig sauer. Der glaubt uns kein Wort.181


AUGESoll ich dir mal sagen, was KUH-MIST ist? Wenn eine wie du mirSchwachsinn ans Ohr labert.SCHUMAN(resolut)Also ich glaube, jetzt ist es genug.AUGESchnauze sag ich!Kennst du den?HEIKEDas ist Schumann, ein Freund von mir.SCHUMANNUnd ich bin der Meinung, es reicht jetzt. Heike hat im Momentwirklich andere Sorgen, Sie sollten besser wieder gehen.AUGE(macht große Augen)Ihr seid doch Elliens, alle beide, das seid ihr. Total beknackt,echt.SCHUMANN(macht zaghaft einen Schritt in Richtung Auge)Ich fordere Sie noch einmal auf: Gehen Sie. Heike meldet sich späterbei Ihnen, ich werde persönlich dafür Sorge tragen.AUGESchnauze! Du gehst da in die Ecke!SCHUMANNAlso...AUGEAb mit dir! Huit huit.SCHUMANN(tut, wie ihm befohlen)AUGESo ist gut. Und umdrehen.SCHUMANNAber...AUGENa!SCHUMANNHeike, und jetzt?HEIKENichts. Tu einfach nur, was er dir sagt.182


AUGERichtig. Da hörst du es. Das betrifft nur mich und die Schlampehier.SCHUMANNHeike!AUGEUmdrehen!HEIKEBitte tu, was er sagt: Dreh dich um.AUGE(zu Heike)Und du: Hier spielt die Musik. Was wolltest du mir sagen?HEIKEAlso ich...AUGEUnd konzentrier dich. Ich weiß, wie hart das Leben ist.(langsam auf Heike zu)HEIKEJa. Ich habe wirklich eine verdammt harte Woche hinter mir, daskannst du mir glauben...AUGEIch glaube, was ich sehe.(nimmt Heike die Brille ab, lässt sie fallen)Frohe Unterhaltung meine ich. Ohne Guthaben kein extra Vergnügen.HEIKE(schämt sich, fühlt sich bloßgestellt; um die Augen herum ist sieblass, direkt unter den Lidern dunkel – könnte sich genauso gut umdie Folgen eines Vampirbisses handeln)Ich bezahl dich schon.AUGE(schreit unvermittelt)SEIT WANN IST DER TANNEBAUM IM ARSCH!SCHUMANN(zuckt zusammen in seiner Ecke)Warum... Hilfe... Warum tut denn keiner was?HEIKELass, fass mich nicht an! Ich knall dir eine!AUGEWas willst du mir, SCHLAMPE ALTER!SCHUMANNIch – bin - ...Ich – bin - ...Ich – bin - ... verdammt noch mal!183


(dreht sich um, läuft zur Tür und verlässt die Goldkante, atmet tiefdurch. Danach beobachtet er das Geschehen von draußen.)HEIKESchumann!AUGEWas soll das, was macht der Spinner? Ist das ein Trick? Wollt ihrmich verarschen?HEIKEAuch wenn es nicht so aussieht: Mein Freund Schumann ist nicht zuunterschätzen.AUGEVerarsch mich nicht, hörst du. Was macht der Spinner denn, ruf denzurück.HEIKESolange du mich nicht loslässt, werde ich gar nichts tun. Gib mirmeine Brille.AUGEUmsonst ist scheißen und sterben. Jetzt küss mich.(nähert sich ihr ähnlich wie der Vampir)HEIKESag mal, hast du se noch alle... Du bekommst die Kohle...(erblickt unweit von sich das Obstmesser und versucht unauffälligdanach zu greifen)AUGEIch bekomme immer was ich will. Wie nennt man mich?HEIKEHör auf damit!AUGERichtig: Das AUGE. Und warum nennt man mich so? – Mir macht keinerwas vor. Ich bin überall. Immer. Schlampe!SCHUMANN(betritt erneut die Goldkante. Seine Bewegungen sind zielgerichtet,höchstens für Kenner wirkt er etwas angespannt. An Heike und Augevorbei, konzentriert. Greift sich vom Tresen das Obstmesser undsetzt es Auge ohne zuzögern an den Hals)So.AUGEIch lach mich tot. Weg damit, sofort.HEIKEGut! Sehr gut!SCHUMANN(ruhig)Ich denke überhaupt nicht daran. Weg da, lass sie los.184


AUGEWeiß der Spinner, was er da tut?SCHUMANN(ruhig und mit Nachdruck)Du lässt sie sofort los oder ich mache Ernst.AUGESchön panne.(lacht, lässt jedoch ab von Heike)SCHUMANNSo ist gut. Und jetzt rüber zur Tür, los. Keine falsche Bewegung.AUGEMann, seid ihr krank.SCHUMANNHalt die Klappe!AUGEDas nutzt dir gar nichts Schlampe! Hörst du? Der Spaß fängt jetzterst an. Gut Arsch noch!(beide ab)HEIKE bleibt allein zurück. Vielleicht gibt es Musik. Sie richtetsich die Haare neu, wirkt schockiert oder betroffen, versteckt sichhinter ihrer Brille. Vielleicht beginnt sie damit, leere Gläser undFlaschen einzusammeln und auf dem Tresen abzustellen. Vielleichtbestellt sie sich ein Getränk. Oder Pasta. Nach einer Weile kommtSchumann zurück.)SCHUMANN(geht wortlos zum Tresen und legt das Messer ab)Mit was du dich immer abgibst. Aber für heute hat der wohl genug.HEIKESchumann, ich...SCHUMANN(hebt die Hände)Lass mich, ich will das jetzt nicht hören. Wir sehen uns später.(ab)HEIKE(zur Theke)Ich brauche schnell einen Wodka. Einen großen bitte.FORTSETZUNG FOLGT...185


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 18"Umkehrschluss"VonDèrre FeldmannHeike bekommt Hilfe von ganz oben angetragen. Aber ist nicht geradegut Gemeintes der Anfang allen Übels? Dabei scheint die Zeit reif,für tiefe Einblicke.186


INT. GOLDKANTE - ABENDHeike betritt die Goldkante und bestellt ein Getränk ihrer Wahl.Sie setzt sich mit ihrem Getränk und zündet sich eine Zigarette an.Nachdem sie etwa die Hälfte ihrer Zigarette geraucht hat, fragt sieeinen Gast nach der Uhrzeit.Nachdem sie ihre Zigarette ausgemacht hat, tritt Matthew auf.MATTHEWEndlick ick haben dick gefunden!HEIKEOh, hallo Matthew.MATTHEWWir mussen reden zusammen.HEIKEMeinst du wirklich?MATTHEWJa, es ist sehr wicktig!HEIKEDann schieß mal los, du Cowboy. Haha, kleiner Scherz, weiß auchnicht, warum ich so gut drauf bin.MATTHEWVielleickt wegen der Sonne.HEIKEWas?MATTHEWVielleickt wegen der Sonne, du bist gut drauf.HEIKEWar es das, was du mir so wichtiges zu sagen hattest?MATTHEWNein, natürlick nickt, aber ick wollte nur antworten auf deineFrage. Also, was ick dir sagen möckte: Heike, du mackst eine großeFehler, aber nock du kannst umkehren.HEIKEKannst du dich vielleicht etwas klarer ausdrücken, im Moment kannich dir nicht folgen.MATTHEWAber natürlick, sehr gerne. Du verlässt gerade den Weg zu Gott!HEIKEJa und?MATTHEWWenn so du weiter mackst, wirst Du Gott nickt umarmen können.187


HEIKEJa und?MATTHEWGott weiß, was für uns gut ist. Wenn Du Gott nickt auf deinem Wegfolgst, wirst du in die Dunkelheit kommen.HEIKEIch glaub es ist soweit, draußen ist es dunkel geworden.MATTHEWHeike, die Gläubigen können auck in die Nackt sehen.HEIKEWie machen die das denn?MATTHEWWenn du folgst den Weg zu Gott, dann gibt dir Gott ein Lickt.Verstehst du? Gott ist wie eine Taschenlampe für uns.HEIKEAha. Aber woher willst Du denn wissen, auf welchem Weg ich gehe?MATTHEWIck habe letzte Tage deine Freund Shuman getroffen und er hat mirhalt ein biscken von dir erzählt.HEIKEMoment, du hast Schumann getroffen? Wo denn?MATTHEWHier in die Fußgängerweg, da wo die ganze Läden sind.HEIKEWas hat Schumann in der Fußgängerpassage gemacht? Der war in seinemganzen Leben noch nie in der Fußgängerpassage.MATTHEWEr hat gesagt, er würde, wie nennt Ihr das nock, dieses lange Ding,…äh, zum rein steigen, … mit diese Reisverschluss, … nackts, … ahja, eine Schlafsack kaufen.HEIKEWie bitte, was soll Schumann denn mit einem Schlafsack? Er wirdjawohl kaum Zelten gehen. Und was hat er bitte schön über micherzählt?MATTHEWEr hat mir erzählt, was du gemackt hast in letzter Zeit und dass duhast große Probleme.HEIKENa sehr schön, da wundert’s mich auch nicht, dass er heute hiernicht aufkreuzt. Aber wenn er nicht bald kommt, dann werde ich haltzu ihm gehen, und dann kann er ganz schön was erleben!188


MATTHEWSiehst du, das ist schon nickt gut, Heike. Gott will, dass wir unsalle lieben!HEIKESag mal, ich dachte du wärst Mormone und nicht aus einer Hippie-Kommune!MATTHEWIck bin in der Kirche Jesu Christi. Mormonen ist eine Spitzwort vondie anderen über uns.HEIKENa gut, also was soll ich deiner Meinung nach machen?MATTHEWDu musst umkehren! Du musst zurück auf den Weg zu Gott. Jeder kannFehler macken, das ist nickt schlimm, aber wenn du erkennst, dass dumackst Fehler, dann du musst umkehren, sonst du sündigst. Am Endeauck du musst vor das Gerickt! Wenn du nickt umkehrst, dann wirst dunickt das totale Lickt sehen und auck keine ewiges Leben.HEIKEOkay, ich weiß, dass ich in letzter Zeit ein paar Fehler gemachthabe, und dadurch meinen großen Plan etwas vernachlässigt habe. DaDu ja eh schon alles weißt, können wir ja offen reden. Also, ichstrebe nicht ewiges Leben an, sondern ich will Leben nehmen!MATTHEWJa, das weiß ick.HEIKEHm, und dann hast du keine Angst, mir gegenüber zutreten?MATTHEWIck habe kein Angst, weil Gott bei mir ist.HEIKEWer weiß denn, ob es Gott überhaupt gibt?MATTHEWIck. Gott hat zu mir gesprocken.HEIKEWie alt bist du?MATTHEW21.HEIKEUnd was willst du später mal machen, beruflich?MATTHEWIck möckte mathmatiks studieren.HEIKEUnd dann möchtest du eine Formel erstellen, die Gott beweist, ja?189


MATTHEWNein, ick muss Gott nickt beweisen. Ick weiß, dass es Gott gibt, undwenn Du zu Gott betest, dann wirst auck du erfahren, dass es Gottgibt. Du musst dick einfack nur öffnen!HEIKEDas könnte dir so passen, dass Gott in mich eindringt, was? Ich werddir jetzt mal was sagen, ich finde diesen ganzen Kirchenscheiß sowas von Frauen verachtend, wie es schlimmer nicht mehr geht. Hast duDir eigentlich mal angeschaut, was die für ein Frauenbild haben?Schumann tritt auf.HEIKEAch nee, schön, dass du auch mal vorbeischaust. (Alternativ: Mit dirhätte ich heute ja heute nicht mehr gerechnet)SCHUMANNOh, hier ist ja wieder richtig gute Stimmung.HEIKESetz dich schon mal hin, wenn ich mit dem hier fertig bin, dann bistdu dran.SCHUMANN(zum Thekenwesen)Also, die Bestellung ist folgende: Ein Glas Bier und ein Glas Milch,beides aber nicht im Glas. Hier.HEIKE(zu Matthew)Also, wo waren wir stehen geblieben: Ach ja, genau, bei denFrauen...MATTHEWEntschuldige, dass ich dick unterbrecke, aber es ging nickt um dieFrauen, sondern um dick und deinen Weg zu Gott, den du verlassenhast.Schumann setzt sich zu den beiden.HEIKEHab ich gesagt, du sollst dich hierhin setzen?SCHUMANNDas hier ist immer noch ein öffentlicher Laden, wo ich meinenSitzplatz frei wählen kann, auch wenn du mal wieder Deine monatlicheAblösung der Gebärmutterschleimhaut hast!HEIKETu mal nicht so, als ob du dich mit dem menschlichen Körperauskennen würdest, Du kleiner Alien!SCHUMANNFür Euch Erdlinge bin ich vielleicht klein, aber da wo ich herkomme,bin ich einer der Größten!190


SCHUMANNHallo Matthew, erst einmal, wie geht es dir?MATTHEWMir geht es gut, vor allem seit dem ick für Gott hier dieseschwierige Mission macke.SCHUMANNNa, hoffentlich wird es keine Mission Impossible, was!HEIKEIn Filmzitaten kennst du dich aus, aber vom wahren Leben hast dudoch keine Ahnung.MATTHEWNein, ick glaube, Heike beginnt gerade zu verstehen, dass sie eineFehler mackt.SCHUMANNDas wäre ja das erste Mal in ihrem Leben!Matthew bittet Schumann aus dem Buch Mormon vor zulesen:SCHUMANNO wie groß ist die Heiligkeit unseres Gottes! Denn er weiß alles –es gibt nichts, was er nicht weiß.Er kommt in die Welt, auf dass er alle Menschen errette, wenn sieauf seine Stimme hören wollen; denn siehe, er nimmt die Leiden allerMenschen auf sich, ja, die Leiden eines jeden lebenden Geschöpfs –der Männer und der Frauen. (Buch Mormon Zitat)HEIKEDas ist ja sehr großzügig von dem lieben Gott, aber ich habe keineProbleme, mir geht es gut.SCHUMANNDas haben wir ja das letzte Mal gesehen, wie gut es dir geht.HEIKEDas letzte Mal war das letzte Mal. Aber heute sehe ich viel klarerund werde mich nicht mehr so leicht von meinem Plan abbringenlassen. Und außerdem glaube ich nicht an Gott, sondern an dieSelbstbestimmung des Menschen, und vor allem der Frauen.Matthew bittet Heike aus dem Buch Mormon vorzulesen:HEIKE(2. Nephi 2.13.) Und wenn es keinen Gott gibt, so gibt es weder uns,noch die Erde; denn es hätte keine Erschaffung geben können, wederdessen, was sein Handeln selbst bestimmt, noch dessen, worüberbestimmt wird; darum hätte alles vergehen müssen.HEIKEHast du eigentlich schon mal was von Evolution gehört?MATTHEWSehr gut, Heike.191


Matthew liest aus dem Buch Mormon:MATTHEW(2. Nephi 2.19.)Und nun siehe, wenn Adam nicht übertreten hätte, dann wäre er nichtgefallen, sondern er wäre im Garten von Eden geblieben. Und alles,was erschaffen war, hätte in demselben Zustand bleiben müssen, indem es war, als es erschaffen wurde; und es hätte so bleiben müssenimmerdar und hätte kein Ende gehabt.Und sie hätten keine Kinder gehabt; darum wären sie in einem Zustandder Unschuld verblieben: Sie hätten nicht Freude gehabt, denn siekannten kein Elend; sie hätten nicht Gutes getan, denn sie kanntenkeine Sünde.HEIKEDie Leute haben doch immer noch keine Ahnung, was es bedeutet aufder Welt zu sein. Wenn ich das schon höre: Ewiges Leben. DieMenschen wollen immer länger leben, und was machen sie dann mit dergewonnen Zeit? Sie machen Zeitvertreib! Nein, ich möchte etwaserleben im Leben. Da diese Menschen eh nichts mit sich anzufangenwissen, kann ich sie auch genau so gut umbringen, dann hat ihr Lebenwenigstens einen Sinn gehabt.Matthew bittet Heike aus dem Buch Mormon vorzulesen:HEIKE(2. Nephi 4.27.) Und warum soll ich mich, meines Fleisches wegen,der Sünde hingeben? Ja, warum soll ich Versuchungen nachgeben, sodass der Böse in meinem Herzen Platz finde, um meinen Frieden zuzerstören und meine Seele zu bedrängen? Warum bin ich zornig meinesFeindes wegen? Erwache, meine Seele! Welke nicht länger in Sündedahin! Freue dich, o mein Herz, und gib dem Feind meiner Seele nichtlänger Raum!HEIKEDu hast einfach nichts verstanden! Ich habe keine Feinde. Ich möchteeinfach nur Leben nehmen. Es geht um eine Erfahrung, die mein Lebenweiterbringen wird. Ich möchte einfach töten, und keinenRachefeldzug.MATTHEWDeine Gedanken sind deine Feind!HEIKEDas habe ich mir gedacht, dass du der Meinung bist, dass Frauennicht denken sollten.SCHUMANNDann beweis uns doch mal das Gegenteil, Heike.HEIKEIch beweis dir gleich mal was ganz anderes, Schumann. Dann zeig ichdir mal, dass ich sehr wohl in der Lage bin, einen Pseudoaußerirdischenumzulegen.SCHUMANNKannst du auch mal was anderes als deine Killerphrasen absondern? Durennst jetzt bald zwei Jahre durch die Gegend und erzählst was von192


Umbringen und hast in der ganzen Zeit nicht mehr als ein einzigesSchwein zur Strecke gebracht; ich meine, merkst Du noch was?HEIKESag mal, soll ich mich jetzt vor dir rechtfertigen, dass ich nochniemanden Umgebracht habe? Wenn du mir mal anständig geholfenhättest und dir nicht immer sofort in die Hosen gemacht hättest,dann wäre ich jetzt auch schon viel weiter.SCHUMANNDa, siehst du, du fängst schon wieder damit an. Aber hast du dicheigentlich schon mal wirklich gefragt, wieso du eigentlichSerienkiller werden willst. Hast du dich schon mal gefragt, was dirfehlt, dass du anderen Menschen das Leben nehmen willst? Wenn es soein großes Bedürfnis von dir ist, warum hast du es dann nicht schonlängst getan? Bist du vielleicht gar nicht so blutrünstig wie duimmer tust?HEIKEWas wird das hier für ein Psycho-Scheiß, Schumann? Ich renne nichtdie ganze Zeit mit so einer affigen Sonnenbrille rum und behaupte,von einem anderen Planeten zu kommen. Also erzähl du mir bittenicht, ich hätte Probleme.SCHUMANNMein Gott, Heike, jetzt lenk doch nicht wieder von dir ab. Wir redenjetzt gerade über dich.HEIKEAber du! Jedes Mal, wenn man dich etwas Persönliches fragt, dannerzählst du einen von wegen „Bei uns ist alles anders“, und „Da woich herkomme...“ bla bla bla. Du hast es drei Jahre nicht malgeschafft, deine Wohnung zu verlassen, aber meinst ständig denanderen irgendwelche Ratschläge geben zu müssen. Komm mal klar,Schumann!SCHUMANNWer reitet uns denn ständig in die Scheiße und wer muss dann am Endeimmer alles regeln?HEIKEDas ich nicht lache. Nur weil du mir einmal aus einer blödenSituation geholfen hast, musst du dich nicht als Superheldaufspielen. Sitzt hier wie so ein bescheuerter Schulstreber mitStock im Arsch und will mir was erzählen. Ich fass es nicht.SCHUMANNWeiß du was, du kannst mich mal, dann mach doch deinen Kram hieralleine, ich meine, wenn du so gut ohne mich klar kommst. Dukapierst echt nichts, gar nichts! NICHTS NICHTS NICHTS.MATTHEW(3 Nephi 11.30) Wer den Geist des Streites hat, ist nicht von mir,sondern vom Teufel, der Vater des Streites ist, und er stachelt denMenschen das Herz auf, im Zorn miteinander zu streiten.193


Und abermals sage ich euch, Ihr müsst umkehren und euch in meinemNamen taufen lassen und wie kleine Kinder werden, sonst könnt ihrkeinesfalls das Reich Gottes ererben.(Matthew steht auf)(Die Worte Mormons 16.) Und nachdem es falsche Propheten und falschePrediger und Lehrer unter dem Volk gegeben hatte und diese allegemäß ihren Verbrechen bestraft worden waren und nachdem es vielStreit und mancherlei Abspaltungen gegeben hatte, siehe, da begab essich: König Benjamin konnte mit Hilfe der heiligen Propheten, die esunter seinem Volk gab, - denn siehe, König Benjamin war ein heiligerMann, und er regierte sein Volk in Rechtschaffenheit…HEIKE und SCHUMANNWas für ein König Benjamin?MATTHEWVon ihm möckte ick euck erzählen.Und es begab sich, dass sich das Volk überall im Lande versammelte,um zum Tempel hinaufzugehen und die Worte zu vernehmen, die KönigBenjamin zu ihnen sprechen würde. Die Menschenmenge war so groß,dass König Benjamin sie nicht alle innerhalb der Mauern des Tempelslehren konnte; darum ließ er einen Turm errichten, damit sein Volkauf diese Weise seine Worte vernehmen konnte, die er zu ihnensprechen würde. Und wegen der großen Menschenmenge konnten nichtalle seine Worte vernehmen; darum ließ er die Worte, die er sprach,aufschreiben und denen bringen, die von seiner Stimme nicht erreichtwurden, damit auch sie seine Worte empfingen.Und dies sind die Worte, die er sprach und die er schreiben ließ,nämlich: Meine Brüder, ihr alle, die ihr euch versammelt habt, ummeine Worte zu vernehmen, die ich heute zu euch sprechen will – dennich habe euch nicht geboten, hier heraufzukommen, um mit den Worten,die ich sprechen werde, leichtfertig umzugehen, sondern dass ihr aufmich hört und eure Ohren öffnet, damit ihr hört, und euer Herz,damit ihr versteht, und euren Sinn, damit sich die GeheimnisseGottes vor eurem Blick entfalten.Und ich sage euch: Es ist mir gewährt worden, meine Tage in euremDienst zu verbringen, ja, bis zu dieser Zeit, und ich habe wederGold noch Silber, noch irgendeine Art Reichtum von euch begehrt.Ich habe auch nicht zugelassen, dass ihr in Kerker gesperrt werdet,dass einer den anderen zum Sklaven macht, noch dass ihr mordet oderplündert oder stehlt oder Ehebruch begeht; auch habe ich nichtzugelassen, dass ihr irgendeine Schlechtigkeit begeht, sondern, ichhabe euch gelehrt, die Gebote des Herrn zu halten in allem, was ereuch geboten hat.Und siehe, ich sage euch dies, damit ihr Weisheit lernt, damit ihrdies lernt: Wenn ihr euren Mitmenschen dient, allein dann dient ihreurem Gott.Siehe, ihr habt mich euren König genannt; und wenn ich, den ihreuren König nennt, mich mühe, um euch zu dienen, solltet ihr euchdann nicht auch mühen, um einander zu dienen?Und nun frage ich, könnt ihr überhaupt etwas für euch vorbringen?Ich antworte euch: Nein. Ihr könnt nicht sagen, ihr seiet auch nursoviel wie der Staub der Erde. Zwar wurdet ihr aus dem Staub derErde geschaffen, aber siehe, er gehört ihm, der euch erschaffen hat.Und ich, ja sogar ich, den ihr euren König nennt, bin nicht besserals ihr; denn ich bin auch aus Staub.194


Und weiter sage ich euch: Ich habe veranlasst, dass ihr euchversammelt, damit ich euch verkünden kann, dass ich nicht längereuer Lehrer noch euer König sein kann.Glaubt an Gott; glaubt daran, dass er ist und dass er alleserschaffen hat im Himmel und auf Erden; glaubt daran, dass er alleWeisheit und alle Macht hat im Himmel und auf Erden; glaubt daran,dass der Mensch nicht alles erfasst, was der Herr erfassen kann.Glaubt daran, dass ihr von euren Sünden umkehren und von ihnenlassen müsst, und demütigt euch vor Gott; bittet mit aufrichtigemHerzen, er möge euch vergeben; und nun, wenn ihr an dies allesglaubt, so seht zu, dass ihr es tut.Matthew schlägt Das Buch Mormon zu und geht.Langes Schweigen zwischen Heike und Schumann.SCHUMANNVielleicht sollten wir langsam mal gehen.HEIKEWarum hast du Matthew alles erzählt?SCHUMANNIch? Meinst du mich? Na ja, äh …, weißt du, ich hatte ihn haltzufällig getroffen, und da dachte ich, warum nicht mal mit jemandanderem darüber reden.HEIKEKannst du mit mir etwa nicht darüber reden?SCHUMANNIn der letzten Zeit, war es etwas schwierig mit dir zukommunizieren. Vielleicht habe ich gehofft, dass Matthew mir daweiterhelfen könnte.HEIKEBin ich denn wirklich so schlimm? Das mit dem Schulstreber tut mirleid.SCHUMANNIch war tatsächlich in der Schule überdurchschnittlich gut.HEIKEWohin sollen wir denn gehen?SCHUMANNAlso ich gehe nach Hause, wo du hingehst, kann ich dir nicht sagen.HEIKEUnd wenn ich mit zu dir komme?SCHUMANNDas ist völlig ausgeschlossen.HEIKEAber ich kann jetzt nicht alleine sein.195


SCHUMANNUnd ich muss unbedingt alleine sein.HEIKEWieso musst du ausgerechnet heute alleine sein, du hast doch schonfast dein halbes Leben alleine verbracht.SCHUMANNUnd genau deshalb werde ich dahin zurückkehren, wo ich herkomme.HEIKEDu willst dich wieder bei dir einschließen?SCHUMANNNein, ich werde wirklich nach Hause gehen.HEIKEDu willst zurück zu Deiner Mutter?SCHUMANNDas ist nicht meine Mutter.HEIKEKann ich nicht bitte mit zu dir gehen? Ich kann jetzt nicht alleinesein! Ich bin auch ganz leise.Lange Pause.SCHUMANNAusnahmsweise, aber du schläfst im Schlafsack und spätestens morgenfrüh gehst du wieder.HEIKEAls ich Matthew das erste Mal getroffen habe, da habe ich gedacht,er wäre ein Ausländer, der Hilfe braucht. Der erste Eindruck istdoch immer der Richtige!FORTSETZUNG FOLGT...196


<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 19"Die Ordnung der Dinge"vonAndreas Browa & Benjamin KaralicEinmal ganz alleine in der U-Bahn fahren. Ohne die anderen. Das gehtnur nachts. Nur werktags. Und nur bis Oskar-Hoffmann-Straße. Abermuss man wirklich immer die letzte Bahn nehmen?197


INT. GOLDKANTE - ABENDHeike tritt auf. Man merkt: Etwas ist vorgefallen. Sie blickt sichum, sieht den Raum mit bewegten Augen, so, wie man einen Ortbetritt, der Bedeutung für die persönliche Geschichte gewonnen hat.Sie setzt sich dann, wartet.Schumann tritt auf. Beide erblicken sich schweigend. Schumann setztsich zu Heike.Schweigen.SCHUMANNAch so, richtig.(erhebt sich und macht seine Bestellung. Allerdings liegt dieBetonung in dieser letzten Folge auf der sprachlichen Hülse, dasRitual der Serie wird betont. Entweder seine Bestellung ist über dieMaße groß oder sie ist vollkommen neben dem üblichen Ton.)Also, die Bestellung ist folgende: Ein Glas Milch und ein Glas Bier.Beides aber nicht im Glas.(zu Heike)Möchtest du auch etwas trinken?HEIKE(schüttelt den Kopf)Später vielleicht.SCHUMANN(setzt sich, trinkt)HEIKE(will rauchen)SCHUMANNEs herrscht hier Rauchverbot.HEIKENa und?SCHUMANNDenk an den Wirt. Denk an unseren Lebensraum.HEIKESchön, dann eben nicht. Aber ich finde, wir sollten auch klagen.Vielleicht bringt’s ja was...SCHUMANNVielleicht auch nicht.Schweigen.HEIKE und SCHUMANNAlso ich...HEIKEJa?198


SCHUMANNNein, du zuerst.HEIKENein du.SCHUMANNBitte sei nicht albern: du.Schweigen, beide blicken sich lange an.HEIKE und SCHUMANNIch finde...(beide müssen lachen)SCHUMANNJa? Was? Was findest du?HEIKEDu hättest mal anrufen können.SCHUMANNAch.HEIKEJa.SCHUMANNUnd dann?HEIKEWenigstens mal kurz hallo sagen, damit ich nicht die ganze Zeit inder Luft hänge.SCHUMANNAlso, erstens bist du längst erwachsen, zumindest nach geltendemRecht, womit ich sagen will: Du hättest ebenso gut mich anrufenkönnen. Zweites: Ich dachte, etwas Abstand würde uns beiden gut tun.HEIKEEinmal kurz hallo sagen – ich glaube nicht, dass du dir etwasabgebrochen hättest dabei. Außerdem: Was, wenn ich heute nichtgekommen wäre?SCHUMANNDu bist aber gekommen, ich wusste, dass du kommst.HEIKENatürlich, sicher.... Und du?SCHUMANNIch?HEIKEJa. Was wolltest du mir sagen?199


SCHUMANNAlso ich... Na ja, da ist so einiges. Ich weiß im Moment nur nicht,womit ich anfangen soll.HEIKEMacht nichts. Sag einfach, sortieren können wir hinterher.SCHUMANNNein, so einfach ist das nicht. Außerdem sortiere ich meineAngelegenheiten lieber alleine.HEIKEDu hattest zwei Wochen Zeit zum Sortieren. Und was heißt hier „DeineAngelegenheiten“?SCHUMANN„Meine Angelegenheiten“ ist eindeutig selbsterklärend. Und jetztsetz mich bitte nicht so unter Druck.HEIKEOh oho, entschuldige bitte! Aber wir haben immerhin...SCHUMANN(unterbricht sie)Ich weiß. Danke.HEIKEJa und? Du hast den Schlafsack gelüftet und das war's?SCHUMANNWas willst du denn hören jetzt? Dass es die Geburtsstunde Gottesgewesen ist? Dass ich erleuchtet wurde?HEIKEIch will wissen, was du fühlst.SCHUMANNUnd genau das weiß ich eben nicht. Ich kann es nicht sagen. Heike,ich wollte nicht, dass es so weit kommt...HEIKEAua.SCHUMANNJa! Zum Äußersten, das wollte ich nicht.HEIKEAua.SCHUMANNHeike, kannst du das bitte bleiben lassen.HEIKEDu tust mir weh. Ich gebe laut.SCHUMANNAber -200


HEIKEJa abba, abba, abba... Herr Schumann es ist was passiert.Schweigen.SCHUMANNJa, da ist was passiert.(Pause.)Und das Erstaunliche ist... Also am meisten hat mich beeindruckt: Duhast tatsächlich gehustet dabei.HEIKEHinterher. Ich habe anschließend gehustet. Ich habe danach immer soeinen Druck im Brustbereich hier. Und der Hals fühlt sich trockenund kratzig an.SCHUMANNDas glaube ich, ich meine: Das wundert mich nicht.HEIKEAber ich hatte durchaus den Eindruck, dass du es genossen hast.SCHUMANNEs gab in den 70ern so einen Film. Da hat eine Frau im Laufe einersexuellen „Fortbildung“ herausgefunden, dass sich ihre Klitorisnicht dort befindet, wo man und frau es vermuten würden.HEIKEHast du es genossen?SCHUMANNDas waren äußerst gemischte <strong>Gefühle</strong>, das kannst du mir glauben.HEIKEWas! Das ist doch wohl... Schumann das ist lächerlich. Du warstmaßlos erregt!SCHUMANNIch war einfach nicht da.HEIKEDu hast gewinselt, du hast geröhrt.SCHUMANN(weiß nicht, was er sagen soll)HEIKEIch glaube, du machst dir ganz schön was vor.SCHUMANN(wechselt das Thema)Sag mal, weißt du eigentlich, was für ein Tag heute ist?HEIKEDonnerstag. Willst du mich verarschen?201


SCHUMANNDas meine ich nicht. Denk doch mal nach. Na?HEIKEAlso keine Ahnung. Und ich weiß auch nicht...SCHUMANN(unterbricht sie)Der 11te September. Nine eleven.HEIKEJa gut, aber das ist doch Jahre her. Ground zero und so, ich weiß.Aber was willst du mir jetzt damit?SCHUMANNNa ja, ich finde, dahinter verbirgt sich eine gewisse Symbolik.Doch, durchaus.HEIKEAch, willst du mir jetzt sagen, wir sind die Twin Towers, du undich?...SCHUMANNAlso ganz so groß sind wir noch nicht...HEIKE...und gleich kommen die Terroristen um die Ecke geflogen, oder was!SCHUMANNIch schätze, die brauchen wir gar nicht, das schaffen wir auchallein. Aber interessant: Das wird mir jetzt erst klar, also imNachhinein. Der elfte September, das war das erste Mal, dass ich dasdringende Bedürfnis verspürt habe ... Na ja, ein Ereignis, meineich, durch das ich persönlich stark...HEIKEWas? Ich verstehe nicht, was du da stammelst.SCHUMANNEin Sinnbild eben. Hast du damals das Foto gesehen – in irgendeinerZeitschrift ist das gewesen, in mehreren, vermute ich -, diesekleine Teegesellschaft auf einer grünen Dachterrasse in Manhattan.Drei oder vier, die da gemütlich sitzen, und eine Brünette mitlocker zusammengestecktem Haar führt sich gerade die Tasse zum Mund,und alle blicken sie gemeinsam zu den rauchenden Türmen. Einschwieriges Bild, man könnte eine Doktorarbeit darüber schreiben...HEIKE(verständnislos)Ja, bestimmt. Aber ich verstehe nicht: Was hat das mit uns zu tun?SCHUMANN(sucht nach einem Begriff)Ratlosigkeit. Ein treffendes Bild für die überwältigendeRatlosigkeit, die die Gesellschaft befallen hat...202


HEIKEEin Schwachsinnsbild, wenn du mich fragst...SCHUMANN...was ich sagen will: Ich bin mir nicht mehr sicher, also icherinnere mich nicht mehr ... kurz: Ich frage mich selbst momentan,was vor den drei Jahren gewesen ist, also bevor ich mich dazuentschlossen habe, mich zurückzuziehen. Und wo ich gewesen bin indiesen drei Jahren.HEIKEDu warst Zuhause. Bei dir Zuhause.SCHUMANNWo ist das?HEIKENa, dein Zuhause. Der Zuhause... Planet.SCHUMANNKlingt süß. Aber leider irgendwie auch unwirklich.HEIKESCHUMANN! Jetzt hör mit dem Scheiß auf. Du warst Zuhause. Weit weg.Und du kommst nicht mehr dort hin. Fertig. Es gibt kein zurück. Unddu kommst hier auch nicht weg. Das hier ist jetzt deine Welt. Findedich damit ab.SCHUMANNAber das, was war, ist durchaus wichtig.HEIKENicht für mich. Zumindest nicht in diesem Fall. Für mich bist dueinfach Schumann. Der Außerirdische. Mein Außerirdischer, ich habedich gefunden!SCHUMANNDu wolltest mich ausweiden.HEIKEAber ich habe dich erlöst! Darf ich nicht auch mal was richtigmachen?SCHUMANNVerrückt bist du, das ist alles. Und du hörst gar nicht richtig zu:das alles sind Bilder. Und es fragt sich nur, für was oder wen.Nichts als Bilder. Und je weiter ich darüber nachdenke, umso mehrgerät alles ins Schwanken.HEIKEUnsinn. Dann lass es doch einfach bleiben. Sag mir lieber: War esso, wie du es dir vorgestellt hast?SCHUMANNWas? Ach so! Nein, keineswegs.203


HEIKEBesser oder schl<strong>echte</strong>r?SCHUMANNSowohl als auch.HEIKESchumann!SCHUMANNHör doch zu: da ist einfach alles in Schwingung geraten.HEIKENa, dann freu dich doch! Lass es zu. Das sind Emotionen, Schumann,das ist vollkommen normal.SCHUMANNUnd ich weiß jetzt auch wieder, weshalb ich meine Ruhe wollte.Schwingungen sind gefährlich. So viele tausend Jahre der Evolution.Wir sind längst über deine Schwingungen hinweg. Schwingungen gibt esnur noch in der Mikrowelle.HEIKEIch glaube, da irrst du dich. Und außerdem: Flucht ist keine Lösung.SCHUMANNDas sagt die Richtige. Aber danke, ich weiß. Das weiß ich. Leider.Was ist die Alternative? Vielleicht Chaos? Zerstörung? Das wolltestdu doch. Aber du bist zu schwach. Du bist zu schwach, zu sehr Frau,zu sehr – ich sag’s nur ungern – zu sehr auch Mutter, für <strong>echte</strong>Zerstörung. Du bist keine Killerin. Zu warm, um eiskalt zu planen.Und nicht heiß genug, um zu explodieren. Du bist, was du warst, waswir alle sind: lauwarm.Heike geht nicht auf ihn ein. Sie ist bei der gemeinsam verbrachtenNacht.HEIKESpürst du denn nicht auch diese Unruhe in dir? Unsere Unruhe. Unsereganz eigene Unruhe, die WIR einander gebaut haben.SCHUMANNa ja, ich kann jetzt die Wahrheit sagen oder auch nicht. Aber ichdenke, dass sich alles wieder beruhigen wird. Bei mir und bei dir.HEIKENein, es darf sich nicht beruhigen, du musst jetzt daran festhalten.... Du hast mir die Ruhe genommen, Schumann, das hast du.SCHUMANNAls wärst du jemals ruhig gewesen, also in dir ruhend. Das glaubstdu doch selbst nicht. Ehrlich: Einmal ist es dies, dann wieder das.HEIKENein, das akzeptiere ich nicht. Das war ein Anfang, ein Schritt nachvorn, siehst du das denn nicht?204


SCHUMANNNein. Das sehe ich nicht, daran glaube ich nicht.HEIKESei still, lass uns tanzen.SCHUMANNIch tanze scheiße.HEIKEIch weiß. Genau deshalb. Tanzen. Jetzt und hier. Vergiss die Scheißeund tanz einfach. Tanz einfach durch die Scheiße hindurch.SCHUMANNWir machen uns nur zum Affen.HEIKEKomm.SCHUMANNDu kannst doch auch nicht tanzen.HEIKEJa und? Ich tanze ja auch nicht für. Ich tanze mit. Ich tanze, umauf den Grund zu gelangen.SCHUMANNWohin?HEIKEJa, vertrau mir. Lass die Gedanken einfach fallen. Und erinneredich, besinn dich auf das, was gewesen ist.Beide tanzen, zunächst ohne Musik. Wirkt hilflos, verzweifelt,angespannt.SCHUMANNNein Heike, wirklich, das hat keinen Sinn...HEIKEStill jetzt!Heike gibt ein Zeichen, Musik erklingt. Während die beiden tanzen –wobei jeder für sich tanzt, das wird deutlich –, erscheinen vor derTür der Goldkante nach und nach sämtliche Nebenfiguren, Geister derVergangenheit. Jedes Mal, wenn Schumann nach einer langsamenDrehung zur Tür blickt, steht dort eine weitere Figur und drückt dieNase gegen das Glas. Als letzter erscheint der Nikolaus. Die Musikerlischt, der Nikolaus öffnet die Tür, erhebt das zur Keule gerolltegoldene Buch und ruft triumphierend „Hohoho!“ Die anderen Figurenapplaudieren gerührt. Schumann starrt entsetzt auf dieseErscheinung, Heike lehnt in sich und die Situation versunken mit demKopf an Schumanns Schulter.HEIKEWeiter, hör nicht auf.205


SCHUMANNNein, unmöglich. Das ist nicht möglich...HEIKEBitte.Schumann geht auf den Nikolaus zu und demaskiert ihn. Er schrecktvor Gewalt nicht zurück. Der Nikolausdarsteller ist sichtlichangepisst. Das war so nicht abgesprochen. Aber er hat keinen Text,um sich zur Wehr zu setzen. Schumann zieht ihn weiter aus, demütigtihn, macht seine Rolle, seinen Einsatz, seinen Auftritt totalkaputt.SCHUMANN(lacht)Ich bin Schumann.Dann geht er auf Boris zu. Die beiden rangeln kurz um die Lampe.Schumann gewinnt und macht sie kaputt.SCHUMANN(mit verändertem Ton)Hör endlich auf zu träumen und blick der Realität ins Auge.Boris steht wie angewurzelt da.SCHUMANNHAU AB!!!Boris bleibt. Thorsten nimmt darauf den Spendenkarton, Boris'einziges Machtinstrument, und wirft das Stück Pappe zur Tür hinaus.Boris jagt ihm hinterher und wird dann ausgesperrt.HEIKENEIN! Wir brauchen ihn.SCHUMANNDu lässt mir keine Wahl... Setz dich, ich muss dir was sagen.(nimmt seine Brille ab)THORSTENEs ist vorbei, ich steige aus.HEIKE(starrt Thorsten entsetzt an, blickt sich nervös um, sucht Hilfe)THORSTENUnd ich bin im Grunde heute nur noch einmal gekommen... Also ichwollte es dir persönlich sagen, das ist alles. Also, Meike...HEIKE(zuckt zusammen, winkt ab mit den Händen)THORSTENJetzt hör schon auf mit dem Theater, es ist vorbei.... Meike?206


HEIKE/MEIKE(versteckt ihr Gesicht in den Händen und schluchzt)THORSTEN(setzt sich wieder neben sie)Wir haben doch schon mehr als einmal darüber gesprochen. Das hierist kein Theater. Es ist bestenfalls Zirkus. Ne Freakshow. Ich binder Clown und du die bärtige Frau.HEIKE/MEIKEDas kannst du nicht machen.THORSTENUnd ob. Du solltest dich für mich freuen. Ich bin raus. Ich habe einAngebot bekommen.HEIKE/MEIKEIch hasse dich!THORSTENMeike?MEIKEHeike! Ich bin immer noch Heike, du Arschloch!THORSTEN(blickt sich um, ist mit der Situation etwas überfordert)Hör doch auf. Ich meine, du hasst diese Heike, du findest sieunerträglich. Und du hast Recht. Sie ist dumm, sie isteindimensional. Aber das ist nicht deine Schuld. Wo nichts ist, kannman nichts rausholen. Wir sind so viel besser als das hier. Undfrüher oder später mussten die da draußen das auch kapieren.MEIKEIch höre auf, wenn es mir passt. Ich finde, du hättest es mir frühersagen müssen, du hättest mich anrufen müssen.(guckt nach draußen, wo Boris sein könnte)Wusste er Bescheid? HAST DU ES IHM GESAGT?THORSTEN/SCHUMANNNein.MEIKEDu bringst uns um, du fährst uns alle eiskalt gegen die Wand!... Dutötest die Serie.SCHUMANNAch Gottchen, die Serie. Wenn ich eingehender darüber nachdenke:Eine Serie ist doch im Grunde auch nichts anderes als faulerHokuspokus...MEIKEWas?SCHUMANN...ein Selbstläufer der globalen Vergnügungsindustrie:Quackquackquack! Brauchen wir das hier? Hier? Wo unsere einzige207


Konkurrenz Rosenverkäufer sind. Das ist nicht mal sportlich. DieLeute kommen hierher, um zu entspannen. Relax- (Rehlachs gesprochen)und Baggerzone. Und wir verarschen sie nach Strich und Faden mitunserem Billigscheiß...HEIKEOhohoh, nein, mein Lieber! Das hier mag zwar billig sein, aber esist keineswegs wertlos...SCHUMANNEs ist immer derselbe Quatsch und immer mit einer dicken Sahnehaubeobendrauf. Fühlt sich leicht an, die Bauschmerzen kommen später. ImAlter. Nicht zu vergessen die Fettleibigkeit und der Stumpfsinn –Hör mir doch auf mit dem Scheiß...MEIKEWas!SCHUMANN...Alles schrumpft ein auf ein schrilles Häufchen Gegenwart. Und diemacht nur Spaß, solange man jung ist. Ansehnlich, belastbar. Am Endebleibt einem nichts als ein Vakuum, absolute Leere. Und man geht nurnoch hin oder schaltet ein aus Sentimentalität. Weil man sicherinnert...MEIKEDas ist doch nicht dein Ernst.SCHUMANNUnd ob! Wir machen die Serie doch nur, damit man nicht weiternachdenkt über den ganzen Unsinn. Ein groß angelegtesAblenkungsmanöver. Hier: ein Löffelchen Zucker und dann gute Nacht!Wir alle fressen das gleiche Placebo. Rezeptfreie Ruhigstellung, wasdachtest du denn? Oder hast du geglaubt, dass wir uns hiertatsächlich etwas geben würden? Dass die was mitnehmen? Dass eseinen Austausch gibt? Oder, dass du hier etwas für deine Karrieretust?MEIKEAlso ich... Thorsten?SCHUMANN/THORSTENWas? Ach so... Nein... Mir persönlich ist das gleichgültig. Ich weißnur, dass ich künftig auch bezahlt werde für das, was ich leiste.Ich verlasse den Zirkus. Hier bin ich nur ein Lama, das soausgetrocknet ist, dass es nicht mal mehr spucken kann. Meine Lippensind so spröde. Quackquackquack. Aber jetzt, jetzt ist Zeit fürAnti-Aging vom Feinsten. Guck mal, hier: Der erste Scheck. JedeMenge Kohle.MEIKEKlar. Das kann ich verstehen.THORSTENJa.Schweigen.208


MEIKEIch dachte nur... Wollten wir nicht Rebellen sein...THORSTENAlso bitte! Mach dich doch nicht lächerlich. So was sagt man, umsich gegenseitig zu motivieren. Lächerlich.MEIKE(betroffen)Und, was ist das für ein Projekt?THORSTENIch darf nicht darüber sprechen.MEIKESchumann!THORSTENNein wirklich, das ist vertraglich festgehalten.MEIKEEine Serie?THORSTENSo ähnlich.MEIKEEine Serie?THORSTENJa, aber anders.MEIKEDu wirst bezahlt.THORSTENAlso bitte!HEIKESag mal, kann es sein, dass du dich irgendwie scheiße fühlst dabei?THORSTENÜberhaupt nicht. Ich bekomme endlich, was mir zusteht.MEIKEDoch, du hast ein schl<strong>echte</strong>s Gewissen, das sehe ich doch.THORSTENBlödsinn. Warum auch?MEIKEAha. Und die weiblichen Rollen?THORSTENAlle bereits besetzt. Na ja, ich glaube es fehlt noch so ne Alte.(steht auf und beginnt sich auszuziehen)209


Aber die stirbt sowieso in der ersten Folge.MEIKEWas ist denn jetzt los?THORSTENNa, ich ziehe mich um. Ich glaube, es ist besser, wir sprechen einandermal darüber. In Ruhe.MEIKEAber du musst dich doch jetzt nicht umziehen.THORSTENWill ich aber. Ich will ein Zeichen setzen.MEIKEUnd was wird aus mir?THORSTENZieh dich doch auch um.MEIKEGanz schön abgebrüht, mein Lieber.THORSTENGar nicht, aber was soll ich jetzt sagen? Vielleicht kann sich Heikeauch ein neues Opfer suchen. Sprich mit den Autoren. Idioten gibt esschließlich genug.MEIKEIch habe schon verstanden.THORSTENHauptsache, du lässt dich nicht hängen. Schließlich geht es immerirgendwie weiter.MEIKEJa klar, du kannst jetzt Reden schwingen.THORSTENAch Meike, so ist das doch nicht gemeint. Ich melde mich doch auchbei dir, sobald ich wieder etwas Luft habe.MEIKETust du nicht.THORSTENDoch, versprochen. Du kennst mich doch.MEIKE(abwesend, für sich)Ob ich auch mein Kleid ausziehe?Ein Wagen braust auf die Goldkante zu, es ist längst dunkel. DieScheinwerfer bleiben an, die Türen fliegen auf und vier Gestaltenentsteigen dem Fahrzeug. Sie tragen Sonnenbrillen. Während Schumann– er steht momentan in Unterhosen und beachtet den Aufmarsch vor der210


Tür gar nicht, sucht andere Kleider aus seinem Rucksack hervor -,während Schumann beim Tanzen eine Vision hatte, eine Vision derVergangenheit, erscheint dieser Auftritt nun Meike wie eine Vision.Die Figuren stürmen die Goldkante, bauen sich im Eingangsbereichauf. Meike fühlt sich wie Heike, Heike weiß nicht, was sie davonhalten soll. Ein Wunder?GESTALT(zu Schumann/Thorsten)Bist du soweit?THORSTEN/SCHUMANN(blickt kurz auf, sammelt sich. Steht auf, geht auf die Gestaltenzu)Falscher Zeitpunkt, Freunde. Zu Früh. Oder zu spät. Jedenfalls binich noch zum Telefonieren verabredet.(zu Meike/Heike)Wir sehen uns dann.(an den Gestalten vorbei, ab)GESTALTENUnd jetzt?Still!Zentrale.Sind Sie Heike?HEIKE/MEIKE(lächelt)Ja. Und Meike.GESTALTENOh, wir hatten uns Sie beide irgendwie anders vorgestellt.Ja, anders.Ja, was durch den Äther zu uns gedrungen ist. Alles anders.Ja, anders, nicht so tot. Sie sollten etwas gegen diesen leblosenTeint tun.Ehrlich.HEIKE/MEIKEIch würde sagen, ihr trinkt erstmal was.GESTALTENJou!Besser als nichts.Danke.Frollein.HEIKE/MEIKEGerne.Oh, da fällt mir ein: ich habe Zahnpasta vergessen, wo ist denn hierne Tanke?GESTALTEN(zeigen in alle Himmelsrichtungen)MEIKE/HEIKEDanke, ich find mich schon zurecht.211


(ab)ENDE.212


Die AutorenAndreas Browa, geb. 1970, Studium der Germanistik und der Theater-,Film- und Fernsehwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum von1992 bis 1999; Abschluss: Magister Artium. Schon während seinesStudiums hat er bei freien Theaterprojekten mitgewirkt. Seit 1994veröffentlicht er Texte in Anthologien und wird zu Lesungeneingeladen. In den letzten beiden Jahren hat er eineSzenegastronomie in Bochum geführt.Dèrre Feldmann ist durch so einige Wälder und Wiesen gezogen und hatauch schon so manches Feld bestellt. Dabei waren die Ernten sounterschiedlich wie die Böden und Samenkörner. Nun hat er sich aufgemacht, seine Erfahrungen und Beobachtungen in eine herausforderndedramatische Form zu bringen.Morgan Jared, erblickte letztes Jahr das Licht der Literaturwelt. Inder Hoffnung unter diesem Pseudonym die Last der Identitätskrisen zuertragen, aber auch um Raum zu geben für alle möglichen absurden,grotesken, punk-fiction und fantasy-styles der Neuzeit. Fernab vonRollenbildern und Klischees ein Autor der nur aus zwei Vornamenbesteht. Let's rock!Benjamin Milos Karalic, geb. 1980 in Essen, hat 2004 den Bachelor ofArts in Film- und Fernsehwissenschaften an der Ruhr-UniversitätBochum gemacht, seitdem an der Filmakademie Baden-Würtemberg,Studiengang Drehbuch. Neben Drehbüchern auch Regie bei verschiedenenKurzfilmen. Er entwickelte die Figuren und den Plot für „<strong>echte</strong><strong>Gefühle</strong>“.Paul Mattis aka Matthias Schmidt wurde 1979 in Delmenhorst geboren.Von 1995 an arbeitete er als Schauspieler und Regisseur bei freienTheatergruppen, hat eigene Filmprojekte realisiert und war für FilmundFernsehproduktionen in Hamburg, München und Berlin tätig.Seit 2004 studiert Paul Mattis/Matthias Schmidt an der FilmakademieBaden-Württemberg im Fachbereich Drehbuch und seit 2006 außerdem imFachbereich Serien Producing.213


"<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>" und das <strong>99cent</strong> <strong>theater</strong>2007 gründete sich das <strong>99cent</strong> <strong>theater</strong> - ein mutiges Team jungerAutoren, Schauspieler, Videokünstler und einem Regisseur.„<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>“ war ihr erstes Projekt:„<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>“ war Bochums beste und einzige Theater-Serie!Von Juni 2007 bis September 2008 (mit Winter- und Sommerpause)wurde jeden 2. Donnerstag um 22 Uhr eine neue Folge in der BochumerNachtbar-Clubheim-Wohnzimmer-Kneipe „Goldkante“ gezeigt.Die Folgen wurden von den Autoren Andreas Browa, Derre Feldmann,Morgan Jared, Benjamin Karalic und Paul Mattis eigens für die Seriegeschrieben.Unter der Regie von Boris Mercelot verkörperten Thorsten Eisentrautund Meike Misia die Hauptfiguren der Serie - Heike und Schumann.In fast jeder Folge traten zudem Gäste unterschiedlichster Couleurauf (Nazan Aynour, Andreas Browa, Patrick Dollas, Markus Draxler,Stéfan Horn, Anja Lemke, Peter Pascal Pramann, Kathi Schallenbergund Fynn Zinapold).Das Projekt wurde begleitet von den Videokünstlern Marco Bonk undSebastian Pircher, die die Folgen filmisch für die Nachweltfesthielten.Damian Gorczany schoss die Fotos zur Serie und Anja Lemke war fürdie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich.„<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>“ wurden gefördert durch das Kulturbüro derEchte <strong>Gefühle</strong>?Beim Theater?Im 21. Jahrhundert?Wir haben uns auf den Weg gemacht.214


„Wo es kein Urheberrecht gibt, herrscht Selbstjustiz.“(Folge 5, Urfassung)Hier nicht:Impressum(c) Bochum 2008Alle R<strong>echte</strong> bei den Autoren.Herausgeber: <strong>99cent</strong> <strong>theater</strong>Lektorat & Redaktion: Anja Lemke & Boris MercelotKontakt: <strong>99cent</strong>-<strong>theater</strong>@goldkante.org215


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<strong>echte</strong> <strong>Gefühle</strong>Folge 5„Kopierkatze“vonBenjamin KaralicDiese erste Fassung der Folge 5 ist nie zur Aufführung gekommen,soll aber dem/der geneigten Leser/in nicht vorenthalten werden.235


INT. GOLDKANTE - ABENDVolle Kneipe, leerer Tisch. Das Gemurmel der Insassen verstummt.Ruhe. Ein komischer Typ betritt den Schauplatz. Es ist Schumann, ersetzt sich an den freien Tisch.SCHUMANN(zum Thekenwesen)Also die Bestellung ist folgende: Ein Glas Milch und ein Glas Bier.Beides aber nicht im Glas.Er holt zwei Becher raus, lässt sie befüllen.Am Tisch fördert er einen Riesenknochen von Handy zu Tage und legtihn auf den Tisch.SCHUMANNKlingel. Na los, klingel schon. Komm schon. Das ist es doch, was dumachst. Das ist es doch überhaupt.Tanja tritt auf, steuert zielsicher an seinen Tisch, setzt sich. Erscheint sie nicht zu bemerken.SCHUMANNTipp, tipp, tipp. Klingeling.(zu Tanja)Ich muss Sie enttäuschen. Der Platz ist leider vergeben. Außerdemhalte ich es im besten Falle für kühn, sich an einen Tisch zusetzen, an dem jemand anderes offensichtlich arbeitet.Sie streckt ihm die Hand hin.TANJAHeike.SCHUMANNSoso, dann bin ich wohl Schumann. Verzeihen Sie, wenn ich ihnennicht die Hand gebe. Wenn Sie sich mit der Bestellung beeilen,können Sie noch was trinken, bevor meine Kollegin eintrifft. Isthier ja immer so voll, nicht wahr?TANJAHast du keinen Vornamen?SCHUMANNIch glaube nicht an Vornamen.TANJADas gibt es ja heutzutage immer öfter. Künstler zum Beispiel. Undmanche Namen sind einfach zu klein, für den... den, der quasidahinter steckt. Da muss dann was anderes her. Also ich hab auchschon überlegt, ob ich nicht vielleicht, aber dann ist mir das auchirgendwie zu viel und dann bleibt man eben so wie man ist.SCHUMANNJa ja, das hab ich schon öfter gehört. Ach, mein Telefon. Das spinntheute wieder. Aber ohne geht auch nicht, was?236


TANJAWas machst du denn so?SCHUMANNNa ja, man könnte sagen, dass ich wohl am ehesten in derBeschaffungs-branche tätig bin. Ich suche und finde. Wie einPrivatdetektiv, wie Google.TANJAUnd wie läuft das Geschäft?SCHUMANNMal besser, mal schl<strong>echte</strong>r. Aber vor zwei Wochen gab es einen <strong>echte</strong>nDurchbruch. Es tut so gut, anderen helfen zu können. Ich kann diesenWeihnachtsmann gut verstehen, und Bernhardiner. Es macht richtigsüchtig. Aber jetzt muss ich mal kurz in den Sanitärbereich.Sie hält ihn fest.TANJAAber ich kenn dich doch noch gar nicht.SCHUMANNDas kann doch auch noch einen Moment warten. Nur ein paar güldeneSpritzer Urin auf den Toilettendeckel und dann geht der Spaß weiter.Jetzt guck doch nicht so verzweifelt.TANJADoch.SCHUMANNNa gut, aber wenn ich zurückkomme erwarte ich gute Laune oder einenleeren Platz. Ich hab heute einen extrem empathischen Tag.TANJANein, nein. Das ist nur für mich, nur für uns beide. Bitte bleibsitzen. Das bedeutet mir sehr viel jetzt gerade. Tu mir bitte denGefallen. Wann hast du das letzte Mal jemandem einen Gefallen getan?SCHUMANNIch habe den Eindruck dauernd Leuten Gefallen zu tun. Und icherwarte nicht mal Dankbarkeit. Nur ein bisschen Toleranz undFreiheit.Er will gehen, doch sie lässt ihn nicht.SCHUMANNIst ja gut. Kein Grund zur Gewalt. Du tust mir weh.Er setzt sich wieder und pinkelt insgeheim in einen seiner Becher.TANJAUnd du hast seit drei Jahren deine Wohnung nicht verlassen.SCHUMANNDas... ist heutzutage gar nicht so unüblich. Ich kenne viele Leute,die...237


TANJADu bist gestern zum ersten Mal wieder raus gekommen. Schumann,Vorname auf dem Namensschild abgekratzt. Hattinger Str. 304. Dumagst Sardellenpizza, dein ICQ Kürzel ist "Alienkillah" mit "h" amEnde. Telefon hast du nicht. Du onanierst immer frühmorgens vor demoffenenFenster, weil du glaubst, dass dich dann keiner sehen kann.SCHUMANNIch hab mir das mit dem Seriellen irgendwie anders vorgestellt.TANJABitte, ich bin nur wegen dir hier.SCHUMANNHALLO!!! ICH HAB MIR DAS MIT DEM SERIELLEN IRGENDWIE ANDERSVORGESTELLT!TANJANein, so geht das nicht. Das ist doch jetzt irgendwie unnatürlich.Da waren jetzt so viele <strong>Gefühle</strong> im Spiel. Ich bin ausgerastet, dubist ausgerastet. Wir müssen erst zur Ruhe kommen.SCHUMANNDa mach ich nicht mit.TANJADu musst hier warten.SCHUMANN(zu seinem Telefon)Warum hast du mir das angetan?Tanja kommt zurück und beginnt mit dem Zitronenmonolog.SCHUMANNOh, das ist neu.Er interagiert mit dem Zitronenritual. Tanja ignoriert ihn.SCHUMANNDir ist auch alles egal, oder? Dir ist das alles scheißegal, oder?Hallo? Was soll diese Vorstellung? Ist mein Leben so witzig? Haha,schaut euch den lustigen Freak an. Mit seinen lustigen Bechern undder schicken Brille. Hach, die würde ich aber auch gerne haben. ABERDAS IST MEINE BRILLE!!!TANJAWarum bist du wieder raus gekommen?SCHUMANNAch fick dich.TANJADrei Jahre und vier Stunden?SCHUMANNDas wär doch mal was.238


TANJAWie Hundejahre. Es gibt so viele Zeitrechnungen. Ich steh manchmalstundenlang vor dem Backofen in der Küche und wundere mich darüber,dass wir genau diese Zeit haben. Diese Art Zeit zu "benutzen"...weißt du was ich meine?SCHUMANN"Weißt du was ich meine?"BEIDE GLEICHZEITIGMeine Oma hat immer gesagt: Egal wie klein du den Kuchen schneidest,es werden doch nicht mehr Leute davon satt. Aber wo kommst du dennher?SCHUMANNIch hör dir einfach nicht mehr zu. Du musst sowieso gleichaufstehen. Ich bin nämlich nicht allein hier. Allein sein istnämlich scheiße. Allein sein ist was für Leute, die zu viele Freundehaben.TANJAUnd wie ist es da so?SCHUMANNBlubedibla.TANJAIst das Flirthumor?SCHUMANNRappetapapp.TANJAWarst du nicht einsam?SCHUMANNProst.TANJADass du endlich wieder raus kommst?SCHUMANNGenau darauf. Ein Anruf genügt.TANJAAber du bist noch da.SCHUMANNKannst du nicht noch mal was von deiner Oma zitieren?TANJAIch bin jeden Tag enttäuscht. Das "noch da sein" steht auf einerlange Liste. Der da zum Beispiel...(sie zeigt auf einen aus dem Publikum)... ist auch eine komplette Enttäuschung.SCHUMANNIch mag ihn.239


TANJADu machst gerade ein Gesicht, als wärst du der einsamste Mensch aufdem ganzen Planeten.SCHUMANN(siegessicher)Gehen zwei Sardellen über die Strasse. Sagt die eine, "Ich muss nochmeine Steuererklärung machen."Tanja kriegt einen Lachanfall.Heike tritt auf. Sie setzt sich an den Tisch. Stille. Tanja starrtHeike an. Sorgfältig imitiert sie jede von Heikes Bewegungen. Diebeiden spielen miteinander. Irgendwann hat Heike genug.HEIKERaus.Tanja verschwindet aufs Klo.SCHUMANNSie ist im Klo verschwunden.HEIKEDa ist ne Hintertür.SCHUMANNAch so. Das erklärt so einiges.HEIKEWas macht das Telefon?Schumann winkt ab.SCHUMANNWas macht der Ex-Freund? Mission erfüllt?Sie winkt ebenfalls ab.HEIKEWer war die Süße von eben?SCHUMANNNur eine Verrückte, die deinen Text geklaut hat.HEIKEWarum sollte jemand meinen Text klauen?SCHUMANNVielleicht hat sie keinen eigenen. Mann, stell dir das mal vor. EinLeben ohne Text.(Pause)Ich glaube, du hast deine erste Nachahmungstäterin.HEIKEIch hab doch noch gar nichts getan.240


SCHUMANNJa, ist das nicht großartig? Davon können alle anderen Serienkillernur träumen. Das ist dein verdammter Ritterschlag.HEIKESchumann.SCHUMANNHeike?HEIKEIch habe nicht mehr das Gefühl, einzigartig zu sein.SCHUMANNDarauf stoßen wir an.HEIKESchumann, das ist ein Scheißgefühl.SCHUMANNDann eben nicht.(leise)Ich hab mir das mit dem Seriellen sowieso anders vorgestellt.HEIKEAls ich klein war, wurde mir ständig eingetrichtert, wie einzigartigich sei. Meine Oma hat immer gesagt:SCHUMANN(leise, begeistert, zum Publikum)Endlich wieder die Oma.HEIKE"Heike, du bist was ganz besonderes."SCHUMANNUnd weiter?HEIKEIch habe ihr geglaubt.SCHUMANNIch weiß nicht, ob es dir ein Trost ist. Aber ich hasse es,einzigartig zu sein. Jeden Tag wünsche ich, dass mein Spiegelbildeinfach heraus steigt. Es stellt sich dann neben mich, lächelt michan. Ich lächle zurück. Es klopft mir auf die Schulter. Ich klopfezurück. Wir verstehen uns, finden uns gut. Und ab da sind wir eintolles Team. Ein Superteam. Und irgendwann später eine Armee. Wennich daran denke, habe ich immer ein unglaublich starkes Gefühl vonSicherheit. Keiner achtetauf mich, keiner kann mir was anhaben. Wenn einer was will, kann ergenauso gut den nächsten Schumann fragen. Pass auf. Ein Hausflur mitKlingelbrett. Auf jedem Schild steht Schumann. Egal wo du klingelst,überall komm ich hervor. Du kannst nichts falsch machen.HEIKEAber dann bist du doch austauschbar.241


SCHUMANNJa, aber wogegen denn? Ist doch alles Schumann.HEIKEHast du keine Besitzansprüche? Keine Karrierepläne.SCHUMANNIch bin nicht ambitioniert.HEIKEWas ist mit Freunden?SCHUMANNSchumann ist ein toller Freund.HEIKEUnd Beziehung?SCHUMANNWeil ich mich ja hier auch so wunderbar reproduzieren kann. Und wennwir beim Thema sind. Dabei verliert man doch auch dieEinzigartigkeit. Dein ganzer Anspruch ist doch nur eine Illusion.HEIKEDas ist doch das Grauenhafte. Ob ich Kinder kriege und Teile von mirweitergebe oder nicht. Ich bin kein einzigartiges Ganzes. Ich binnur ein Konglomerat aus Teilen.SCHUMANNDabei siehst du eigentlich ganz stabil aus.HEIKEAber ich bin es nicht. Auch wenn ich ein komplexes Geschöpf bin. Mitganz vielen Facetten, wird keiner sich an das einzigartige Ganzeerinnern. In der Wahrnehmung der anderen, ja sogar meiner eigenenbin ich nur die Summe aus verschiedenen Charaktermerkmalen undkörperlichen Eigenschaften. Für manche werde ich nie mehr sein alsdie mit den dicken Titten und der lauten Stimme. Selbst Beziehungenreduzieren sich auf ganz wenige Kernbilder.SCHUMANNDer Achtjährige?HEIKEMit den dünnen Beinen und dem großen Penis.(Als Schumann schweigt.)Wir haben zusammen gebadet. Ich kann es nun mal nicht ändern. Was daoben abgespeichert wird, ist vollkommen willkürlich.SCHUMANNIst ja schon okay. Nur hab ich jetzt auch Kernbilder.HEIKESchumann, es gibt Millionen Frauen mit dicken Titten und lauterStimme.242


SCHUMANNAber keine, die unglaublich viele Menschen umbringt und damit einenPlattenvertrag kriegt.HEIKEJa und jetzt gibt es zwei.SCHUMANNDann lässt du dir halt was anderes einfallen.Heike ohrfeigt ihn.SCHUMANNDanke.HEIKEIch geh jetzt erstmal kacken.Heike verschwindet auf dem Klo. Schumann wendet sich wieder seinemTelefon zu.SCHUMANNKlingeling. Klingelingeling. Klingelingelingeling. Ich hasse dich.Tanja tritt auf.SCHUMANNMeinst du nicht, dass du es dir noch mal überlegen kannst? Auch wenndu keinen Text hast. Du kannst bestimmt noch was aus deinem Lebenmachen. Sogar einzigartig werden.TANJAIch liebe dich.Sie küsst ihn. Er lässt es geschehen. Sie fährt mit ihrenblutverschmierten Händen über sein Gesicht. Schumanns Gesicht istvoller Blut.TANJAIch liebe dich.Dann verschwindet sie durch die Eingangstür. Schumann vollkommenparalysiert, dann panisch, hadert, ob er auf die Toilette gehensoll.SCHUMANNOh nein, oh nein, oh nein.Dann beginnt er den Boden zu putzen und mit Folie auszulegen.SCHUMANNKlingeling?Schumann wirft sich auf die Folie und hat seinenintergalaktischen...243


SCHUMANNICH BIN SCHUMANN!... Anfall.Heike kommt zurück, schaut auf ihn herab.SCHUMANNHÄ?HEIKEWas machst du da?SCHUMANNDarauf gebe ich jetzt keine Antwort.Beide setzen sich wieder an den Tisch.SCHUMANNUnd wie geht’s dir jetzt, Heike?HEIKEIch war auf der Toilette.SCHUMANNIch weiß. Und wie war’s?HEIKEIch werde diese dumme Schlampe umbringen. Ich weiß noch nicht wann.Da sind immerhin hochkomplexe Zusammenhänge involviert. Aber ichwerde es tun. Wo es kein Urheberrecht gibt, herrscht Selbstjustiz.SCHUMANNVielleicht überlegt sie es sich ja noch anders.HEIKEWer soweit geht, sich so eine kranke Scheiße überhaupt auszudenken,der wird nicht so einfach aufgeben. Ich werde in ihren Eingeweidenbaden.Heike probiert von dem Blut auf Schumanns Gesicht.HEIKEHmm, Monatsblut. Ist das von dir?SCHUMANNKönntest du mir wohl bitte ein Taschentuch geben? Danke.Schumann aufs Klo.SCHUMANN(aus dem Off)AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!!!!FORTSETZUNG FOLGT...244

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