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866 <strong>Patricia</strong> <strong>Purtschert</strong>, Jenseits des NaturzustandesMenschen implizieren würde. Dem wurde entgegengehalten, dass der Naturzustand lediglichein Gedankenkonstrukt darstelle, welches der Legitimation und Explikation des Gesellschaftsvertragsdiene. 17 Die Frage, welcher Realitätsgehalt dem Naturzustand zukomme,respektive welche Funktion er in einer philosophischen Abhandlung erfüllt, hat auch Hobbesund Rousseau umgetrieben. Letzterer schreibt dazu: „Denn es ist kein geringes Unterfangenzu unterscheiden, was in der aktuellen Natur des Menschen ursprünglich und was künstlichist, und einen Zustand richtig zu erkennen, der nicht mehr existiert, der vielleicht nie existierthat, der wahrscheinlich niemals existieren wird und von dem zutreffende Begriffe zu habendennoch notwendig ist, um über unseren gegenwärtigen Zustand richtig zu urteilen.“ 18 DiesesZitat stellt ein virulentes epistemologisches Problem heraus, vor dem sich Rousseau befindet:Wie soll die menschliche Natur von einem Menschen bestimmt werden, der durch und durchkulturell geformt ist? Mithilfe welcher Kriterien soll zwischen Immer-schon-Dagewesenemund Historisch-Gewachsenem und Kulturell-Geformtem und -Überformtem unterschiedenwerden. Wenn Rousseau behauptet, im Versuch vom natürlichen Menschen zu sprechen, seibislang in erster Linie der bürgerliche Mensch beschrieben worden, dann zeigt er eine Gefahrauf, die auch seiner eigenen Theoriebildung droht, die Gefahr nämlich, den natürlichen Menschenzu einer Projektionsfläche für den zivilisierten Menschen zu machen. Der bürgerlicheMensch, der seine Natur zu erforschen glaubt, begegnet auf diese Weise seinem eigenenAbbild, seiner in ein Naturkostüm gehüllten eigenen Gestalt. Ein solches Verkleidungsspielaber, so moniert Rousseau, führt zu keinerlei neuen Erkenntnissen über die eigenen Ursprünge.Diese Frage verschränkt sich mit einer weiteren, die im zweiten Teil des Zitats aufgegriffenwird. Es handelt sich demnach um einen Zustand, der entweder in der Vergangenheitangesiedelt werden muss („der nicht mehr existiert“), dessen Realitätsgehalt unklar ist(„der vielleicht nie existiert hat“), dessen Eintreffen in der Zukunft ungewiss bleibt („derwahrscheinlich niemals existieren wird“) und der dennoch zutreffend erfasst werden muss.Diese Aussagen lassen offen, ob der Naturzustand in die Vergangenheit, Zukunft oder in denBereich des Hypothetischen gehört. Die Frage, ob der Naturzustand mehr ist als eine philosophischeHilfskonstruktion, bleibt unbeantwortet, und sie wird als unbeantwortbar dargestellt.Die Frage nach dem empirischen Status tritt hinter die zentrale, diagnostische Funktion desNaturzustandes zurück und lässt die Unbestimmbarkeit seines empirischen Gehalts als unvermeidbarerscheinen.Wie aber kann aus einem solchen, empirisch und theoretisch unbestimmten, hybridenBegriff des Menschen Erkenntnis gewonnen werden? Rousseau präzisiert: „Man darf dieUntersuchungen, in die man über diesen Gegenstand eintreten kann, nicht für historischeWahrheiten nehmen, sondern nur für hypothetische und bedingungsweise geltende Schlussfolgerungen,mehr dazu geeignet, die Natur der Dinge zu erhellen, als deren wahrhaftenUrsprung zu zeigen, und jenen vergleichbar, welche unsere Naturwissenschaftler alle Tageüber die Entstehung der Welt machen.“ 19 Dieses Zitat scheint einige Unklarheiten aus dem171819Daniel Eggers fasst diese in seiner Studie zum Naturzustand des Thomas Hobbes zusammen: „WährendHobbes’ Zeitgenossen seine Theorie noch häufig als Verweis auf eine bestimmte Epoche derMenschheitsgeschichte interpretiert haben, wertet die überwiegende Mehrheit der modernen InterpretenHobbes’ Naturzustandstheorem grundsätzlich als methodische Fiktion und betont mituntergeradezu vehement die Tatsache, dass Hobbes’ Anliegen nicht darin bestanden habe, einen prähistorischenZustand der Menschheit zu beschreiben oder die geschichtliche Entstehung des Staates aufzuzeigen,sondern vielmehr darin, mit Hilfe eines bloßen Gedankenexperimentes die Notwendigkeitdes staatlichen Zustandes und einer souveränen Zwangsgewalt zu beweisen.“ (Eggers 2008, 30)Rousseau (2001), 47–49.Ebd., 71.

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