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intifada 26

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Herbst 2008Arabischer RaumEin demokratischer Staat in PalästinaDie Haifa-Konferenz zur EinstaatenlösungIn Haifa fand ein außergewöhnliches Zusammentreffen statt. In dieserStadt wurde eine Konferenz zur Frage der Einsaatenlösung abgehalten, dieweit über die Region hinaus Ausstrahlungskraft hatte. Bloß eine weitereGedenkveranstaltung zur Nakba oder eine Kurskorrektur der palästinensischenBefreiungsbewegung?Ein Jahr nach dem Initialaufruf vonAbna’ al-Balad (Die Einheimischen)und nach sechsmonatiger Vorbereitungseitens der arabischen und antizionistischenOrganisationen innerhalbIsraels (des 1948 besetzten Teils Palästinas)fand am 20. und 21. Juni 2008 inder Hafenstadt Haifa eine Konferenzmit dem Titel„Für das Rückkehrrechtund einen demokratischen, säkularenStaat in Palästina“ statt.Erfolgreich, mit mehr als vierzigarabischen, jüdischen und internationalenRednern und über hundertBild: flickr/Hamed SaberBeiträgen von verschiedenen palästinensischen,arabischen und internationalenOrganisationen, betonte dieKonferenz die Notwendigkeit eineseinzigen, demokratischen Staates imgesamten Palästina, in dem alle dortlebenden Menschen gleichberechtigtsind. Das schließt das Rückkehrrechtder vertriebenen Palästinensersowie die Aufarbeitung der KolonialgeschichteIsraels ein.Die Konferenz eröffnete einen umfassendenDialog und setzte sich mitden historischen, politischen, sozialen,juristischen, philosophischenund pädagogischen Aspekten auseinander,zu denen Fachleute aus unterschiedlichenBereichen Stellungnahmen.Ein weiteres Merkmal ist die Tatsache,dass diesmal die Initiative ausdem 48er-Gebiet kommt. In diesemTeil Palästinas, auf dem der offizielleStaat Israel gegründet wurde, lebenheute eine Million Araber. Das sinddie Nachkommen von etwa 90 000,welche – oft wegen des BedürfnissesIsraels nach billigen Arbeitskräften –die Massenvertreibungen 1948 und1949 überlebten. Beinahe 20 Jahreunter Militärgesetzen und Ghetto-Bedingungen,seit 1967 formal israelischeStaatsbürger (in der Realität Bürgerzweiter Klasse), bildet diese einstmarginale Gruppe heute eine immerbedeutendere politische Kraft.Der Schwenk der PLO zur Zweistaatenlösungund das daraus resultierendeOslo-Abkommen bedeutetefür diese Menschen eine politischeVerwaisung. Die einst „einzige legitimeVertretung des palästinensischenVolkes“ überließ sie ihrem Schicksalund betrachtete sie laut Abkommenals israelische Staatsbürger. Die politischenGruppierungen in diesem Gebietwaren selbst eine Spiegelung despalästinensischen politischen Spektrums:Liberale, die ihre politischenForderungen auf Gleichberechtigungim israelischen Staat beschränkten,Linke, auf der ursprünglichen Linieder palästinensischen BewegungBeharrende, und schließlich die islamischeBewegung, die trotz staatlicherRepression immer mehr anBoden gewinnt. Tonangebend warenimmer die Kräfteverhältnisse innerhalbder PLO, und später zwischenFatah und Hamas.Das Scheitern des Oslo-Abkommensund die Niederlage der zweitenIntifada manövrierte die gesamte palästinensischeBewegung in eine Sackgasse.Die Möglichkeit einer Zweistaatenlösungwurde von der israelischenPolitik zunichte gemacht. Die Niederlageder Intifada war der Ausdruck des


Herbst 2008Arabischer RaumBild: flickr/michaelramallahlästinensische Wirtschaft war dahergezwungen auf einem minimalen Niveauzu funktionieren.Der Zugang zu Märkten innerhalbund außerhalb der besetzten Gebieteunterliegt einer strengen Kontrolledurch die israelische Armee. Die Hindernissezu einem freien Verkehr imWestjordanland mehren sich mit derzunehmenden Zahl von „fliegenden“Barrieren, zusätzlich zu den bereits bestehenden.Die Handels- und Transportkostensind dadurch untragbar gewordenund wirken sich auf die Preisevon Konsumgütern aus. Die Kontrolleder zahlreichen Barrieren und Übergängeinnerhalb der besetzten Gebietegibt der israelischen Armee volleMacht über den Lebensunterhalt derBevölkerung. Die sich dadurch ausbreitendehumanitäre und wirtschaftlicheKrise führt zu einer Schwächungder Institutionen, zu Gewalttätigkeit,Kriminalität und Rechtlosigkeit, zusätzlichzu Auseinandersetzungen zwischenpolitisch uneinigen, schlechtausgebildeten und nur gelegentlichentlohnten Sicherheitskräften, besondersim Gazastreifen.Obwohl die finanziellen Hilfeleistungenaufgrund der verschlechtertenLage der palästinensischen Bevölkerungzunahmen, änderte sich die Aufteilungder Hilfsgelder insofern, alsdie Hilfe für humanitäre Zwecke imVergleich zur Entwicklungshilfe überhandnahmen (56 % durch die EU imJahre 2006, aber nur 16 % 2005), diefür die Entwicklung einer Wirtschaftin einem lebensfähigen palästinensischenStaat notwendig wäre. Mitder Desorganisation der wirtschaftlichenAktivitäten schrumpft die Produktivkraftder Wirtschaft. Die Verminderungdes Angebots und demdaraus folgenden Verlust an Einkommenund Arbeitsplätzen geht Hand inHand mit einem massiven AbsinkenDie Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist eine Sonderorganisationder Vereinten Nationen. Sie wurde im Jahre 1919 gegründet und hat ihrenHauptsitz in Genf. Die ILO verfügt über eine dreigliedrige Struktur, die imUN-System einzigartig ist: Die 182 Mitgliedsstaaten sind durch Repräsentantensowohl von Regierungen, als auch von Arbeitnehmern und Arbeitgebernin den Organen der ILO vertreten. Schwerpunkte der ILO sind die Formulierungund Durchsetzung internationaler Arbeits- und Sozialnormen, insbesondereder Kernarbeitsnormen sowie die Schaffung von menschenwürdigerArbeit als einer zentralen Voraussetzung für die Armutsbekämpfung.der Nachfrage. Das Resultat ist eine„Ent-entwicklung“, die eine lebensfähigepalästinensische Wirtschaft unmöglichmacht.Zu den Hindernissen zur Beschränkungder Bewegungsfreiheitder palästinensischen Bevölkerungzählen Kontrollpunkte, Straßenbarrieren,Metallabriegelungen, Erdhügel,Schranken, Gräben und die Trennmauer,die hauptsächlich östlich derWaffenstillstandslinie von 1949, dersogenannten „Grünen Linie“ verläuftund die innerhalb des Westjordanlandeserrichtet ist und an der weitergebaut wird. Das Resultat ist eineZerstückelung des Gebietes, wodurchpalästinensische Wohnorte und -zentrenvoneinander isoliert werden, insbesondereOst-Jerusalem, Nablus unddas Jordantal.Die internationale Gemeinschaftbetrachtet die Besetzung der erobertenGebiete als illegal und als einenVerstoß gegen das internationaleRecht. Laut der Resolution 465 von1980 erklärte der Sicherheitsrat derVereinten Nationen: „Israelische Politikund Praktiken, Teile seiner Bevölkerungund neue Einwanderer indiesen Gebieten ansässig zu machenist eine flagrante Verletzung der GenferKonvention … wie auch ein ernstesHindernis zu einem gerechtenund dauerhaften Frieden im MittlerenOsten.“ Auch die internationale11


Herbst 2008Arabischer Raumfür gerichtliche Prozeduren zuständigeRegierungsstelle in den besetztenGebieten völlig außerstande istGerichtsbarkeit auszuüben und zuvollstrecken. (Die besetzten Gebieteunterstehen der israelischen Militärverwaltung.)Der demokratisch gewähltepalästinensische gesetzgebendeRat (Palestinian Legislative Council)ist nicht handlungsfähig, solange so„Araber verschwinden lassen“Rede von Peter Melvyn zum Jahrestages der NakbaAnläßlich des 60. Jahrestages der Nakba, der gewaltsamen Vertreibung derPalästinenser aus ihrer Heimat hat Peter Melvyn eine Rede gehalten. Er istAktivist der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden und setzt sich indiesem Rahmen für die Rechte der Palästinenser ein. Wir geben hier seineRede in schriftlicher Form wieder.Sie werden sich vielleicht fragen, warumeine jüdische Gruppe der Nakba(„Katastrophe“), der Vertreibung derPalästinenser im Jahre 1948 gedenkt,während alle offiziellen jüdischen Gemeindenund Organisationen in allenLändern den 60. Jahrestag der Gründungdes Staates Israel feiern. Allenvoran natürlich Israel, welches dasWestjordanland abriegelt, um bei seinenFeiern nicht gestört zu werden.Die Antwort ist einfach: Wir finden,dass es nichts zu feiern gibt! Wir wollenund können nicht einen Staat feiern,der auf der Grundlage von Terrorismus,Massakern und ethnischerSäuberung geschaffen wurde, einenStaat, der ständig gegen internationalesRecht verstößt, der monströseKollektivstrafen über die Bevölkerungvon Gaza verhängt und seit 60Jahren dem palästinensischen Volkdie elementarsten Menschenrechteund nationalen Ansprüche verweigert.Dies zu feiern, ginge gegen unserGewissen.Wir betrachten die Nakba und ihreFolgen als tiefe Ungerechtigkeit, alskoloniale Eroberung des angestammtenLandes der Palästinenser, dessenWirtschaft und Kultur willentlich zerstörtwurde und seit 1967 weiterhinzerstört wird. Viele der Vertriebenenund ihre Nachkommen fristen ihr Lebenin 58 Flüchtlingslagern im NahenOsten. 60 Jahre später und nach mehrerenGenerationen sind sie heute siebenMillionen.Die Nakba hinterließ eine tiefe Spurvon Tränen, Blut und Gewalt. Dieviele seiner Mitglieder sich ohne Anklagein Haft befinden.Peter MelvynNakba war nicht nur eine Katastrophe,wie ihr Name sagt, für das palästinensischeVolk, sondern auch einVerbrechen gegen die Menschlichkeit,begangen von der damaligen zionistischenFührung der jüdischen MinderheitPalästinas – damals ein Drittelder Gesamtbevölkerung – und ihrenmilitärischen Einheiten, der Haganah,sowie der irregulären faschistischenMilizen.Wie konnte es dazu kommen? DiePropaganda des offiziellen Israel stelltejahrzehntelang die Nakba als eineunbeabsichtigte Folge der Kriegswirrenvon 1948 dar. Das ist eine Lüge.Die Vertreibung der palästinensischenBevölkerung war seit Jahrzehnten geplantund vorbereitet, um Platz zuschaffen für eine erhoffte jüdischeMasseneinwanderung aus aller Welt,und nach 1945 für die Überlebendendes Holocaust, mit dem die Palästinensernicht das Geringste zu tunhatten! Es wird ferner behauptet, diePalästinenser hätten aufgrund vonBild: aboutpixel.de/Stefan Hiller13


Arabischer Raum Intifada Nr. <strong>26</strong>Aufrufen ihrer Führer und der arabischenStaaten, die Israel den Kriegerklärten, ihre Heimat verlassen, umnach einem arabischen Sieg zurückzukehren.Es gibt aber keinerlei Beweisefür solche Aufrufe. Außerdem hättenja die arabischen Truppen, die in TeilePalästinas eindrangen, die einheimischeBevölkerung als Unterstützungfür Lebensmittel, Wasser und Treibstoffgebraucht.Palästinensische Historiker wie WalidKhalidi und Nur Masalha sowieeine neue Generation israelischer Historikerwie Benny Morris, Ilan Pappéu. a. konnten aufgrund der seit1978 zugänglichen Archive und Protokolleder israelischen Regierung, derArmee und zionistischer Organisationendie Argumente, die ich vorhernannte, entkräften. Die palästinensischeBevölkerung hat ihre Heimatnicht freiwillig verlassen. Sie wurdezu einem großen Teil gezwungen –durch Einschüchterung, Drohungen,Terror, Massaker – Hals über Kopfzu fliehen, unter Zurücklassung ihresgesamten Hab und Guts, ihrerFelder, ihrer Plantagen, ihres Viehs,ihrer Häuser und Werkstätten, ihrerBankguthaben. All dies – eine riesigeMasse von palästinensischem Privateigentum– fiel dem entstehenden Israelin die Hände, ohne jegliche Entschädigung.Auf diese Weise wurdennach UNO-Berichten 750 000 Palästinenservertrieben – aus 531 Dörfernund elf Städten. 300 000 HektarLand – die Palästinenser besaßen 93 %der Gesamtfläche Palästinas – fielenebenfalls Israel zu.Die Planung und Vorbereitung derVertreibung zieht sich wie ein roterFaden durch die Geschichte des Zionismus,bereits vor 1914 und dannwährend der 30 Jahre des britischenMandats 1918–1948. Den Anfangmachte Theodor Herzl, der Begründerdes Zionismus, der schon Endedes 19. Jahrhunderts von der „Aussiedlung“der Palästinenser sprach wiespäter Chaim Weizmann, David BenGurion und andere, oft unter demDeckmantel eleganterer Ausdrückewie „Transfer“ oder „Bevölkerungsaustausch“.„Die Araber“ (man gebrauchtenoch nicht den Begriff „Palästinenser“)„verschwinden zu lassen“war, wie ein israelischer Historikerschrieb, „nicht nur ein zentraler Bestandteildes zionistischen Traums,sondern auch eine unabdingbareVoraussetzung für seine Verwirklichung“.Mit dem Abzug Großbritanniens1948 bot sich der zionistischen Führungdie lang erhoffte Gelegenheit zurVertreibung. Bereits Ende 1947 begannihre Armee (die Haganah) eineetappenweise Offensive gegen die zivilepalästinensische Bevölkerung. Soz. B. wurden die Einwohner der StädteRamle und Lydda – 70 000 Menschen– innerhalb weniger Stundenauf Befehl David Ben Gurions vonden Einheiten Yitzchak Rabins verjagtund Mitte Juli, zu Fuß, ohne Wasserund Nahrung, in Richtung jordanischeGrenze getrieben. Viele starbenvor Erschöpfung. 50 000 Menschenwurden durch Artilleriebeschuss ausJaffa vertrieben. Ähnliches geschahin zahlreichen Dörfern, obwohl keinWiderstand geleistet wurde. DiesesSchicksal erlitt das Dorf Deir Yassin,in dem 254 Männer, Frauen und Kindervon den Milizen des späteren PremierministersBegin ermordet wurden.Der Zweck dieses Massakers war,eine Welle des Terrors auszulösen, umdie Flucht der Palästinenser zu beschleunigen.Die gleiche Methodewurde auch in anderen Dörfern angewandt.Wie ich bereits sagte, war die Vertreibunggenau geplant. Am 10. März1948 trafen sich 11 Männer, hohe zionistischeFührer und junge Armeeoffiziere,im Tel-Aviver Hauptquartierder Haganah. Dort beschlossen siedie sofortige Durchführung des sogenannten Plan D, den Plan der systematischenVertreibung der palästinensischenBevölkerung. Noch amselben Abend bekamen militärischeEinheiten überall im Lande genaueAnweisungen, wie die Vertreibungenin den von ihnen kontrollierten Gebietenauszuführen seien. Jede Einheiterhielt eine Liste der Dörfer, die es zuerobern oder zu zerstören und derenEinwohner zu vertreiben galt. Die Angriffeerfolgten meist nachts und zwarvon drei Seiten. Ein Weg wurde offengehalten in Richtung der Grenze desnächsten arabischen Staates. DieseAktion wurde durch Pläne über jedeseinzelne Dorf in der Hand der Haganaherleichtert, denn seit 1939 gabes genaue Angaben über alle palästinensischenDörfer und Städte, dieständig erneuert wurden. Sie enthieltendemografische Daten, Informationenüber Zugangswege, Bodenqualität,Landwirtschaft, Handwerk, dieNamen der Notabeln etc. sowie eineEinschätzung, ob und wie feindseligdas Dorf umliegenden jüdischenSiedlungen gegenüber eingestellt war,über die Teilnahme an der Revolte gegendie Briten und jüdische Einrichtungenin den Jahren 1936–1939. Innerhalbvon sechs Monaten war dieVertreibung abgeschlossen.Dies ist, sehr kurz gefasst, die Geschichteder Nakba. Aus Zeitmangelkann ich nicht auf Details eingehen,auf Details des Schreckens und derVerbrechen seitens der zionistischenmilitärischen Verbände, wie Vergewaltigungen,willkürliche Hinrichtungen,Plünderungen in den Städtenund Dörfern. Wie berichtet, warselbst Ben Gurion darüber entsetzt –nicht über die Vertreibung selbst, sondernwas sie begleitete – ebenso wiePolitiker und junge Soldaten aus dendamals noch existierenden linkssozialistischenParteien und Siedlungen.Die Nakba ist kein lang zurückliegendeshistorisches Ereignis. Sieist andauernde Realität, die nach derneuerlichen Vertreibung von 375 000Palästinensern im Juni 1967 an jedemTag zugegen ist. Doch im Gegensatzzu 1948 können die Palästinenser desWestjordanlands und Gazas heute inkeines der arabischen Nachbarländerfliehen. Die Nakba geht weiter, mitdem Bau der Mauer, die Israel querdurch enteignetes palästinensischesLand baut, sie ist präsent in jedemFlüchtlingslager im Libanon, in jedemGefängnis Israels, an jeder Straßensperre,in jedem palästinensischenHaus, das von der israelischen Armeeabgerissen und auf jedem Stück Land,das zugunsten der jüdischen Siedlerenteignet wird. Die österreichischeSchriftstellerin Ingeborg Bachmannschrieb einmal: „Die Würde des Menschenist unantastbar“. Leider trifftdies auf das palästinensische Volknicht zu, dessen Würde damals wieheute von Israel mit den Füssen getretenwird.Peter Melvyn14


Herbst 2008Arabischer RaumDas große Warten auf den KriegKonfessionalismus und antiimperialistischer Widerstand im LibanonDer Libanon ist einer der Brennpunkte des antiimperialistischen Widerstands.Vor zwei Jahren gelang es der Hizbullah in sensationeller Weise, denisraelischen Angriff zu parieren. In der Folge forderte die Koalition des Widerstandsangesichts ihres gewachsenen politischen Gewichts die Beteiligungan der Macht. Doch die prowestliche Regierung weigerte sich starrköpfig.Erst durch eine überwältigende militärische Machtdemonstrationder Hizbullah in Beirut im Frühjahr 2008 konnte die Konfrontation zugunstender Opposition gelöst werden.Nach dem Gefangenenaustausch mitIsrael im Sommer scheint die Hizbullahvorläufig an einem neuenHöhepunkt ihrer Machtentfaltungangelangt zu sein. Doch den proimperialistischenKräften im Land eineentscheidende Niederlage zuzufügen,scheitert indes am Konfessionalismusund am regionalen Kräftegleichgewicht.Alles wartet auf den Showdownzwischen den USA und Israel auf dereinen Seite und dem Iran auf der anderen.Abwehr des AngriffsIm Sommer 2006 griff Israel den Libanonabermals frontal an. Anlass warein Grenzzwischenfall, bei dem es derHizbullah gelang, zwei israelische Soldatengefangen zu nehmen und mehrereandere zu töten. Zweck solcherAktionen ist letztlich die Befreiung inhaftierterLibanesen in Israel, die zweiJahre später auch gelang. DeklariertesKriegsziel Israels war es, die Hizbullahvernichtend zu schlagen. Doch derWiderstand verteidigte sich glänzendgegen die überlegene Armee. Letztlichwandelte er sich in eine demütigendeNiederlage des Zionismus, dieEinfluss und Prestige der Hizbullah inder gesamten arabischen Welt auf einenneuen Höhepunkt trieb.Zum zweiten Mal war es der Volksmilizgelungen, Israel zu schlagen - etwas,was regulären arabischen Armeen,geführt von rachitischen Eliten, bisherversagt geblieben war.Natürlich handelt es sich um einenTeilerfolg, denn Israel weiß den gesamtenWesten hinter sich. So musstedie Hizbullah entsprechend derUN-Resolution 1701 die Entsendungvor allem europäischer Truppen inden Südlibanon akzeptieren. Trotzder Beteuerung, nicht in innerlibanesischeKonflikte eingreifen zu wollen,kam die grundsätzliche Parteilichkeitder UNIFIL von Anfang an zumAusdruck, als von einer möglichenBild: flickr/Paul KellerAusweitung des Mandats auf die gesamtelibanesische Grenze schwadroniertwurde – um der Hizbullah denNachschub an Militärmaterial abzuschneiden.Zwar blieb diese Idee einTestballon, doch zeigt sie deutlich an,dass die UNIFIL-Truppen unter verändertenUmständen gegen den Widerstandzum Einsatz gebracht werdenkönnten.Zweijährige BlockadeIn der Folge des veränderten Kräfteverhältnissesforderte die Oppositi-15


Arabischer Raum Intifada Nr. <strong>26</strong>Bild: flickr/ Jaume d‘Urgellon – im Wesentlichen die Hizbullah,die Amal und die Freie PatriotischeBewegung des General Michel Aoun– de facto ein Vetorecht in der Regierung.Sie verlangten ein Drittelplus einen Sitz in der Regierung sowiebaldige Neuwahlen. Nachdemdie Regierungskoalition, geführt vonFuad Siniora, das verweigerte, tratdie Opposition geschlossen aus demKabinett zurück. Es sollte eine fastzwei Jahre andauernde Konfrontationfolgen, die das politische System desLandes lähmte und es an den Randdes Bürgerkriegs trieb.Die Opposition argumentierte – übrigenszutreffend –, dass die Regierungdie realen politischen Verhältnisse imLand nicht mehr widerspiegeln würde.Tatsächlich war diese im Frühjahr2005 nach Wahlen an die Macht gekommen,die von der Ermordung desstarken Mannes Rafik Hariri sowiedem darauf folgenden Abzug der Syreraus dem Land geprägt waren.Kurz zu den historischen Umständen:Der Anschlag auf Hariri am 14.Februar 2005 zog weit reichende Konsequenzennach sich. Er brachte denbereits überfälligen Abzug der syrischenTruppen ins Rollen und führtebei den Wahlen zum Sieg der konsolidiertenprowestlichen Koalition.Überfällig war der syrische Rückzugdeswegen, weil die Militärpräsenz voneinem Großteil der Bevölkerung bisweit hinein in die linken und antiimperialistischenKräfte als Besatzungund Fremdbestimmung angesehenwurde. Die Massenbewegung gegenSyrien, obwohl nicht vollständig kongruentmit den prowestlichen Eliten,stärkte letztere dennoch enorm. Nachdem Vorbild der proimperialistischen„orangen Revolution“ in der Ukraineoder der „Rosenrevolution“ in Georgienwurden die Ereignisse als „Zedernrevolution“gefeiert. Doch dieFreude am scheinbaren “regime change”währte nicht lange.Dabei bleibt zu erwähnen, dass sichdie Hizbullah an der neuen Koalitionsregierungdurchaus beteiligte. Dieneue Mehrheit war auch dank lokalerWahlbündnisse mit der Hizbullah zustandegekommen (die dem byzantinischenkonfessionellen Wahlsystemgeschuldet sind). Die Hizbullah richtetesich auch nicht gegen den Abzugder Syrer. Der tiefe Bruch kamerst später, als der proamerikanischeCharakter der Siniora-Regierung volldurchschlug.Bis heute ist nicht geklärt, wemdie Verantwortung an dem Attentatzukommt. Der Westen beschuldigtSyrien. Aber eines ist offensichtlich:Die Aktion schadete in ersterLinie dem syrischen Regime selbst.Sie wurde in einem bürokratisch-militaristischenGeist konzipiert, demder Kampf um politische Hegemoniefremd ist. Wenn Elemente des syrischenGeheimdienstes beteiligt waren– ihrer Handschrift entsprächees –, bedeutet das nicht automatischauch eine Verstrickung Assads selbst.Politisch ging es übrigens um die Verlängerungdes auslaufenden Mandatsdes Präsidenten Emil Lahoud, denDamaskus als seinen Gewährsmannim Zedernland ansah.Nach dem israelischen Angriffund dem Erfolg des Widerstands aufdem Schlachtfeld traten diese Fragenjedoch in den Hintergrund. Zutagekam vielmehr die Untätigkeitund Unfähigkeit der Regierung inder Verteidigung des Landes, die wieein stillschweigendes Einverständnismit dem Aggressor wirkte. Währendder zivile Apparat der Hizbullah eineneffektiven Wiederaufbau in denbetroffenen Gebieten betrieb, der bewusstnicht nur ihre schiitische Klientelbediente, liefen die Bemühungender Regierung nur sehr langsam anund waren von Anfang an von Klientelismusund Korruption geprägt.Hauptsorge der Regierung blieb weiterhindie Entwaffnung der Hizbullahnach UN-Entschließung 1559 aus demJahr 2004, obwohl die Hizbullah geradeerst ihre Nützlichkeit zur Verteidigungdes Landes eindrucksvoll un-16


Herbst 2008Arabischer Raumter Beweis gestellt hatte.So eskalierte die Opposition Schrittfür Schritt ihre Proteste. Eine ursprünglichgewerkschaftlich motivierteAktion im Januar 2007 wurdevon der Opposition aufgegriffen.Die Streiks wuchsen zu Straßenprotestenan, an denen sich an die zweiMillionen Menschen (etwa die Hälfteder Bevölkerung) beteiligten. Einederartige Hegemonie und Mobilisierungskraftsind auch global gesehenhistorische Ausnahmen. Doch dieParalysierung des Landes drohte inkonfessionell motivierte Konflikte abzugleiten,die auch einige Todesopferforderten. Daher zog die Hizbullahdie Notbremse und hob die Straßenblockadenauf. Fortan beschränktensich die Proteste neben dem institutionellenBoykott der Regierung aufeine symbolische Blockade vor demSitz der Regierung.Indes blieb die Koalition aus sunnitischerHariri-Gruppe, traditionellerchristlich-maronitischer Rechterund dem drusischen WendehalsWalid Jumblat hart. Nur dank der Rückendeckungaus Washington konntesie sich weiterhin weigern, der Forderungder Opposition nach einer „Regierungder Nationalen Einheit“ stattzugeben.Denn die Opposition hattenicht nur bewiesen, dass sie die Mehrheitder Bevölkerung hinter sich hatte,sondern auch signifikante Unterstützerin allen Konfessionen hinter sichvereinigen konnte.Stolperstein KonfessionalismusDas politische System, das die politischeMacht entsprechend konfessionellerParitäten aufteilt und dabeidie prowestlichen Eliten strukturellbevorzugt, hat der Libanon der französischenKolonialherrschaft zu verdanken.Paris hinterließ es, um denMaroniten die Herrschaft zu sichern.Es bedurfte eines blutigen fünfzehnjährigenBürgerkriegs, nicht umsich von dem System überhaupt zuemanzipieren, sondern um das konfessionelleGleichgewicht den neuenGegebenheiten anzupassen. De factolautete die im Frieden von Ta’if 1989vereinbarte Formel die Aufgabe derauch demografisch nicht mehr haltbarenVormachtstellung der Maroniten.Die Schiiten, die früher völligmarginalisiert gewesen waren, erhieltenmehr Gewicht. Doch der eigentlicheNutznießer war die sunnitischeHandelselite um die Familie des mitSaudiarabien verbundenen MilliardärsHariri, die zum Kern des politischenSystems gekürt wurde. Deralte christlich-muslimische Konfliktmutierte sukzessiv zu einem sunnitisch-schiitischen,angeheizt auchdurch die Veränderungen in der Region,insbesondere die saudisch-iranischeRivalität.Für die Hariri-Gruppe scheint sichdie konfessionelle Mobilisierung gegendie Schiiten als letzter Trumpf gegendie Hizbullah zu erweisen. Nichtnur sie, sondern fast alle proamerikanischenRegime im ostarabischenRaum reagierten mit einer hysterischund gar paranoid anmutenden Steigerungder antischiitischen Kampagne.Für sie wirkten die nach dem Siegder Hizbullah im Sommer 2006 inden Straßen der arabischen Hauptstädteauftauchenden Konterfeis vonHassan Nasrallah wie ein Alarmsignal.Einzig Gamal Abdel Nasser warjemals eine ähnliche Popularität imVolk zuteil geworden. Wenn in Damaskusflächendeckend selbst in Ämternneben dem Bild von Bashar al-Assad jenes des Hizbullah-Führershängt, kann man das noch mit derAllianz Teheran–Damaskus–Hizbullahsowie der alawitisch-schiitischenVerwandtschaft erklären. Ganz rechtkann eine solche Gleichsetzung einemautoritären Staatschef indes nicht sein,gereicht sie doch in Wirklichkeit zuseiner Herabsetzung. Doch unerhörtwird es in Amman und Kairo, wo eskeine autochthonen Schiiten gibt undder Dreibund amtlich als Feind gilt– zumal dort Nasrallah allein, ohneden eigenen Machthaber, die Scheibenziert.Der Hariri-Gruppe wird nachgesagt,dass sie gegen den steigendenEinfluss der Hizbullah versucht, imsunnitischen Bereich die logischeGegenbewegung, den Salafismus, zumobilisieren. Nach dem Zusammenbruchdes arabischen Nationalismus,der unter den Sunniten historischdominierte, hat der sunnitische Islamismusvor allem unter den subalternenSchichten stark an Einfluss gewonnen,zumal die Hariri-Führungkeinerlei eigene Ideologie als Businessund Klientelismus zu bieten hat.Doch diese Instrumentalisierung hatenge Grenzen, die sich in der Schlachtum das palästinensische FlüchtlingslagerNahr al-Bared im Herbst 2007klar und deutlich zeigten, als sich dieder al-Qa‘ida nahe stehende GruppeFatah al-Islam gegen die libanesischeArmee erhob. Die salafitische Agendahat bekanntlich eben nicht nur dieSchiiten im Auge, sondern vor allemauch den Westen und die USA. Diesesind bereit, das Spiel mit dem Feuer,wenn überhaupt, dann nur am Randezu akzeptieren. Und die sunnitischeElite wird sich hüten, ihren wichtigstenVerbündeten mit solchen Hasard-Aktionen zu vergraulen.Die Hizbullah tut sich indes mit derkonfessionellen Mobilisierung denkbarschwer und reagiert entsprechenddefensiv. Das Bündnis der Oppositionist zwar im Gegensatz zum Bündnisder Regierungsmehrheit tatsächlichinterkonfessionell, umfasst alsoalle Konfessionen. Es ist jedoch keineswegssuprakonfessionell in demSinne, dass es die Konfessionsgrenzenüberwinden würde. Nicht nur, dassHizbullahs schiitischer BündnispartnerAmal voll der konfessionellen Logikfolgt und sich im Gegensatz zurHizbullah auch gewalttätige Übergriffezu schulden kommen hat lassen.Auch die Partner in den anderen Konfessionenverfolgen Interessen, die aufKonflikte in den Konfessionsgruppenzurückgehen und nicht unbedingtsystemoppositionell oder gar antiimperialistischmotiviert sind.Die Bewegung des wichtigstenBündnispartners, des ChristengeneralsAoun, repräsentiert sicher einenBruch mit den traditionellen maronitischenEliten und dominanten Familienklansinsofern als sie volksnäherund weniger konfessionalistischist. Doch darüber darf nicht vergessenwerden, dass es Aoun wesentlich darumgeht, seine innerchristlichen Gegnerauszuhebeln. Das Bündnis mitHizbullah dient dafür als Mittel zumZweck. So war Aoun der schärfsteGegner Damaskus’ und sein „Befreiungskrieg“gegen die syrische Präsenzdie letzte Episode des Bürgerkriegs.Bis vor nicht allzu langer Zeit rühmteer sich, Architekt der UN-Resolution17


Arabischer Raum Intifada Nr. <strong>26</strong>1559 zur Entwaffnung der Hizbullahzu sein. Seine prosyrische Wende istsicher prinzipientreuer als die antisyrischeWende der Regierungsmehrheit.Denn immerhin wurde seine Forderungnach Abzug der syrischen Truppenerfüllt, während die ehemaligenHandlanger von Damaskus sich nachdessen Rückzug in opportunistischerWeise in Gegner verwandelten. Insbesondereder Drusenführer Jumblatgilt als Lehrmeister des Seitenwechselsjeweils zum Stärkeren. Insofern kanndie Haltung Aouns durchaus als patriotischbezeichnet werden: unter syrischerSchirmherrschaft gegen Syrien,unter amerikanischer gegen Amerika.Doch darf Aoun weder zum Gegnerdes Konfessionalismus und schon garnicht zum Antiimperialist stilisiertwerden, so wertvoll auch das Bündnismit ihm gegen die proimperialistischenEliten ist. Es ist die innere Logikdes Konfessionalismus, die Aountreibt, und nicht eine antagonistischeOpposition dagegen. Geänderte Umständekönnen nur zu gut einen neuerlichenSeitenwechsel bewirken.Noch mehr gilt das für die mit derHizbullah verbündeten drusischenGegenspieler der Jumblat-Dynastie,namentlich den Klan der Arslan. Amehesten antiimperialistisch motiviertsind noch die Reste des arabischenNationalismus im sunnitischen Milieu,die sich aber der konfessionellenLogik auch nicht gänzlich entziehenkönnen. Einzig die nicht religiöseLinke kann das, doch diese spieltnur mehr eine Nebenrolle, denn siemusste das Heft des antiimperialistischenWiderstands an die Hizbullahabgegeben.So drückt die Hizbullah nicht nurdas libanesische Paradoxon aus, sondernzeigt ein globales Problem des antiimperialistischenWiderstands auf:den Kulturalismus.Die Hizbullah ist als einzige dergroßen konfessionellen Formationendes Libanon gegen das konfessionelleSystem und für die Einführung einerrepräsentativen Demokratie. Indesverdankt sie ihren Aufstieg der Fähigkeit,die antiimperialistischen, nationalenund sozialen Forderungen deralten Linken den Volksmassen in einereligiös-kulturelle Sprache übersetztund so zur Hegemonie fähig gemachtzu haben. Doch Übersetzung bedeutetunweigerlich auch Veränderung.Der libanesische Bürgerkrieg begann1975 als antiimperialistischer und antizionistischerKlassenkrieg, also alsechte Volksrevolution von unten unterEinschluss der explosiven palästinensischenFrage. Doch schon baldzerfiel die revolutionäre Front entlangkonfessioneller Linien, auch angesichtsdes feindlichen EingreifensSyriens. Die Positionen der Hizbullahwaren ursprünglich extrem konfessionalistischund gegen die Linkegerichtet. Allerdings: Je mehr dieLinke verschwand, desto stärker bewegtesich die Hizbullah nach linksund übernahm ihre Rolle, denn dieSchiiten stellten die Volksklasse derUnterprivilegierten dar, die historischzur Linken und den Kommunistentendiert hatte.So sehr der Antiimperialismus undviele der linken Forderungen auch vonder Hizbullah weiter getragen werden,so sehr hat ihr universeller Anspruchgelitten. Entkleidet man indes denKern der Forderungen der Hizbullahihrer schiitischen Form, streicht mandas spezifisch schiitische weg, so würdederzeit nicht viel an Unterstützungim Volk übrig bleiben. Selbst eingefleischteSäkularisten bestätigen das.Der dafür zu zahlende Preis ist abersehr hoch. So scheint das derzeitigeinterkonfessionelle Bündnis der Hizbullahdas Maximum des Erreichbaren,eine echte suprakonfessionelle,antiimperialistische Front unmöglich.So bitter es ist: Antiimperialismus derMassen scheint heute global nur inkulturalistischer und konfessionalistischerForm zu haben sein, der es notwendigan universeller, globaler Anziehungskraftgebricht.Vor dem gleichermaßen vom Imperialismusan die Wand gemalten wievon den Antiimperialisten gewünschtengewaltsamen Sturz des prowestli- „Volksklasse“ ist eine vom belgischen TrotzkistenAbraham Leon entwickelte Kategorie,mit der er die jüdische Abwehr der Assimilationzu fassen versucht. So ökonomistischvereinfachend sie für das Judentum heuteanmutet, so sehr passt sie auf die Schiitenals Klasse der Unterprivilegierten in der Zeitnach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Endedes Bürgerkriegs. Leon wurde von den Nazisin Auschwitz ermordet.che Regimes in Beirut schreckt dieHizbullah konsequent zurück. Siefürchtet die unweigerliche konfessionalistischeInterpretation eines solchenrevolutionären Gewaltakts, derihr die anderen Konfessionen entfremdenwürde. Allem Anschein nachhat sie mit dieser Einschätzung recht,was das heute gegebene Patt erklärt.Das Doha-AbkommenZurück zur Chronologie: Die Mobilisierungder Opposition gegen dieRegierungsmehrheit und deren Intransigenzzerrüttete das staatlicheGefüge zunehmend und führte nachdem Auslaufen des Mandats des Präsidentenzu einer veritablen Verfassungskrise.Zwar einigte man sich aufeinen Kandidaten für das Präsidentenamt,den maronitischen GeneralMichel Suleiman, doch knüpfte dieOpposition dessen Wahl an die Forderungnach einer Regierungsumbildung,da die Regierung aus ihrer Sichtandernfalls verfassungswidrig wäre.An diversen gewalttätigen Konfliktender Parteien zeigte sich dieZuspitzung des gefährlichen konfessionellenPotenzials, das früheroder später in bürgerkriegsähnlicherForm zum Ausbruch kommen würde.Schon hörte man Gerüchte überdie Aufrüstung diverser konfessionellerMilizen.Schließlich entschloss sich die Hizbullah,ihre absolut überlegene militärischeMacht zu demonstrieren, umder unerträglichen Situation ein Endezu bereiten. Anlass war die Absetzungdes schiitischen Kommandanten desinternationalen Flughafens sowie dieAbschaltung des von der Hizbullahbetriebenen Telefonnetzes. Gemeinsammit der Amal brachte die Hizbullahim Mai 2008 in einem Handstreichinnerhalb von nur zwei Tagendas gemischte, aber mehrheitlich dochsunnitische Westbeirut mitsamt demRegierungsviertel unter ihre Kontrolle.Anderswo waren auch linke Kräftebeteiligt. Der Medienapparat derHariri-Gruppe wurde ausgeschaltetund die Regierung in ihren Amtsgebäudeneingeschlossen. Währenddie Armee strikt Neutralität bewahrte,vermochten die sunnitischen Hariri-Milizenkeinen ernsthaften Widerstandzu leisten. Sie zerfielen förmlich18


Herbst 2008Arabischer Raumunter dem überwältigenden Druckder Hizbullah, die damit zeigte, werder Herr im Haus ist oder besser seinkönnte. Denn sehr schnell wurde klar,dass sie die eroberten Positionen nichtbehielt, sondern sie der Armee übergab.Mit allen Mitteln versuchte dieHizbullah den Eindruck einer konfessionellenMotivation ihres Überraschungscoupszu vermeiden.Das Resultat der Machtdemonstrationließ nicht lange auf sich warten.Noch vor Monatsfrist unterzeichnetendie Konfliktparteien das Abkommenvon Doha. Die Siniora-Regierungkonnte zwar ihr Gesicht wahren,doch in der Substanz gab sie den Forderungender Opposition nach. Diesewurde mit einem Drittel plus einemder Sitze im Kabinett bedacht. Umzu retten was zu retten war, gabendie proimperialistischen Kräfte nach– eine Notwendigkeit, die scheinbarauch der Westen eingesehen hatte.Pikanterie am Rande: Einer der prononciertestenGegner der Hizbullah,Walid Jumblat, dessen Milizen sichbei den Kämpfen in den Mai-Tageneine blutige Nase geholt hatten, mäßigteseinen Ton entschieden – besterIndikator für eine Verschiebung desKräfteverhältnisses.Im Juli 2008 erntete die Hizbullahgleich die nächste Frucht ihres Siegesvon 2006. Israel stimmte einem Gefangenenaustauschzu, bei dem diesterblichen Überreste der 2006 in dieGewalt der Hizbullah gekommenenisraelischen Soldaten gegen in zionistischenHänden befindliche Libanesenund Palästinenser ausgetauschtwurden. So konnte die Hizbullah derehemaligen Besatzungsmacht, die sieweitgehend vom nationalen Territorium(mit Ausnahme der Shib‘a-Höfe)vertrieben hatte, auch noch die letztenGefangenen abringen. Nicht einmaldie libanesische Regierung konntesich dem nationalen Jubel entziehenund musste gute Miene zum bösenSpiel machen.Äußerer FaktorEine noch größere Machtentfaltungder Hizbullah scheint kaum möglich,ohne die Grundfesten des libanesischenRegimes zu erschüttern.Schon die substanzielle Regierungsbeteiligungder Hizbullah ist so starkerTobak, dass sie der Westen nur akzeptierte,da er keine andere Wahl hatte.Denn ein abermaliges militärischesEingreifen Israels ohne westliche militärischeUnterstützung scheint sinnlos.Eine neue Front aufzumachen, nebendem Irak und Afghanistan, mussWashington aber als Verzettelung vorkommen.Denn als Amerikas Hauptproblemerweist sich der Iran, dessenAufstieg zur Regionalmacht in derFolge der US-Besatzung des Irak zurentscheidenden Herausforderung fürdas Imperium Americanum wurde.Dieses Gegengewicht gibt den antiimperialistischenVolksbewegungenim Nahen Osten wie der Hizbullahoder der Hamas Bewegungsspielraum.Die Hizbullah kann daher nurdurch die substanzielle SchwächungTeherans eingedämmt oder geschlagenwerden.Nicht nur, aber auch deswegen istein Militärschlag gegen den Iran mitdem Ziel des regime change aus israelischerSicht unbedingt notwendig– und eigentlich auch aus amerikanischerPerspektive. Doch inWashington gibt es große Zweifelan den Erfolgsaussichten und in deneuropäischen Hauptstädten überwiegtüberhaupt die Angst vor einemMisserfolg und der daraus resultierendenSchwächung des imperialistischenSystems als Ganzem. Greifendie USA den Iran nicht an, so hättedas unweigerlich die Schwächung desZentrums zur Folge und bedeutete einenSchritt zur multipolaren Welt. Esgäbe auch den antiimperialistischenBewegungen in aller Welt mehr Luftzum Atmen.Wilhelm Langthaler19


Arabischer Raum Intifada Nr. <strong>26</strong>War der „Surge“ erfolgreich?Die Neutralisierung des sunnitischen WiderstandsWashington feiert den Erfolg seiner temporären Truppenaufstockung imIrak, genannt „Surge“. Der starke Rückgang der militärischen Aktivitätengegen die US-Truppen sowie die danach erfolgte leichte Reduzierung derTruppenbestände kann jedenfalls nicht geleugnet werden. Die Akkordierungeines Teilrückzugs steht in Aussicht. Nun gelte es noch, dem schiitischenStörenfried Muqtada as Sadr die Flügel zu stutzen und damit auchdem iranischen Erzfeind Einhalt zu gebieten. Und schwupps wäre das Fiasko„regime change“ zur Erfolgsgeschichte verwandelt.Die wirklich neue Entwicklung desletzten Jahres ist die strategische Niederlageal-Qa‘idas. Diese kann nichtin erster Linie mit dem militärischenDruck der USA erklärt werden. Siehängt mit der grundlegenden politischenUnfähigkeit des Salafismuszusammen, Konsens und Hegemoniezu schaffen.Im Grunde hätten die Ausgangsbedingungenim Irak für al-Qa‘ida& Co nicht besser sein können. Aufder einen Seite stand eine bewaffneteVolksbewegung gegen die amerikanischeBesatzung, in der sie schwimmenkonnten. Auf der anderen Seitebot sich ein schiitisch dominiertesMarionettenregime als Feind dar, das,unter dem Vorwand gegen Ba‘th vorzugehen,die über tausendjährige sunnitischeHerrschaft an den Wurzelnauszureißen versuchte.Nach einer anfänglichen Phase dersunnitisch-schiitischen Einheit gegendie Besatzer blieb Washington nichtsanderes übrig, als auf das Spektrumdes schiitischen Islamismus zu setzen.An diesem Punkt setzte Al-Qa‘ida denHebel an und konnte – auch dank ihrerüberlegenen Ressourcen – für ihreantischiitische Linie starken Zulaufgewinnen. Zwar gingen den meistenSunniten und vor allem auch den Widerstandsgruppendie Anschläge aufSchiiten zu weit, doch gelang es al-Qa‘ida diese eine Zeit lang als Schlägegegen die Kollaboration zu rechtfertigen.Die schiitischen konfessionellenMilizen, selbst nicht ohne Chauvinismus,reagierten heftig.So setzte sich 2006-2007 die Spiraleeines konfessionellen Bürgerkriegsin Gang, in dem sich die schiitischeSeite durch die Kontrolle des Staatsapparatszunehmend als überlegenherausstellte. Fast ganz Bagdad wurdein schmutzigen Straßenkämpfenvon Sunniten „gesäubert“, die sichin ganz wenige Viertel zurückziehenmussten, unterbrochen immer wiedervon hinterhältigen Anschlägenauf Schiiten.Der Zyklus, der al-Qa‘ida zunächstdie Rolle als sunnitische Schutztruppezu spielen erlaubte, belegte in der Folgederen Unfähigkeit als solche. Diesunnitische Bevölkerung und insbesonderedie Widerstandgruppen, dieal-Qa‘idas Anmaßungen bisher hingenommenhatten, erkannten al-Qa‘idazunehmend als eines ihrer zentralenProbleme und sahen sich schließlichgezwungen sich zum Selbstschutz andie Besatzer zu wenden.Bruch mit Al-Qa‘idaIm Gegensatz zur anfänglichen amerikanischenPropaganda, die undifferenziertalle unter Terrorismussubsumierte, war die sunnitische Widerstandsbewegungund al-Qa‘ida niedeckungsgleich, auch wenn es Überlappungengab. Der Widerstand magvon starken antiiranischen Ressentimentsgeprägt sein, in dem antischiitischeUntertöne unweigerlichmitschwingen. Der autochthone Salafismus,den es auch im Irak gibt, hatnatürlich auch antischiitischen Charakter.Insgesamt gibt es geschichtlichbedingt in beiden Konfessionen konfessionalistischeTendenzen. Dochkeine einzige Gruppe hätte je denAngriff auf Schiiten als Schiiten gerechtfertigt.Selbst al-Qa‘ida getrautesich das nicht. Sie versuchte immereine politische Rechtfertigung zu findenoder stritt die Urheberschaft derschlimmsten Attentate ab.Doch aufgrund ihrer Kampfkraftgegen die Besatzer, ihrer Ressourcenund der Eskalation des konfessionellenBürgerkriegs versuchten dieWiderstandsgruppen mit al-Qa‘idaein stillschweigendes Bündnis oderzumindest einen Nichtangriffspaktzu schließen. Solange sie nicht mehrals eine unter vielen Gruppen waren,schien dies mehr schlecht als recht zufunktionieren.Am Höhepunkt des Bürgerkriegs,als al-Qa‘ida zu einer der dominantenKräfte aufgestiegen war und in ihremGrößenwahn einen islamischenStaat proklamierte, kam es zum unüberbrückbarenBruch nicht nur mitden Stammesstrukturen, sondern vorallem auch mit dem Widerstand. Al-Qa‘ida forderte nicht nur die bedingungsloseUnterordnung aller anderenGruppen. Ihre extremistischeInterpretation des Islam ging selbstden meisten Salafiten zu weit undverletzte die traditionellen Gepflogenheitenund Hierarchien. Zudemkonnte man die antischiitische Überspitzung,die sich nun in eine blutigeNiederlage verwandelte, nicht mehrweiter hinnehmen.All das führte dazu, dass al-Qa‘idaim sunnitischen Bereich zunehmendals Feind im Inneren angesehen wurde.Das von al-Qa‘ida produzierteFiasko zeigt die grundsätzliche Unfähigkeitdes militanten Salafismus, ineiner modernen, kapitalistischen Gesellschaft,die der Irak letztlich ist, seinempolitischen Projekt Hegemoniezu verleihen. Selbst in konfessionellhomogeneren Gesellschaften gelingtihm das nicht, geschweige denn immehrheitlich schiitischen Irak. Dieserreaktionäre, militaristische und extremistischeAntiimperialismus führteletztlich zum Gegenteil des Intendierten,zum Hilferuf an den Imperialismus.Verrat des Widerstands?In der Zwischenzeit hatten auch dieUSA die Notwendigkeit eines abermaligenStrategiewechsels begriffen.Die antisunnitische Schlagseite musstezurückgenommen werden, auch20


Herbst 2008Arabischer RaumBild: flickr/US Armyinsofern als man sich mit der Konsolidierungdes schiitischen Regimesden iranischen Einfluss eingehandelthatte. Der Iran war zwischenzeitlichzu Washingtons neuem Hauptfeindavanciert.Erster Testballon war 2006 die westlicheProvinz Anbar, die als Hochburgdes Widerstands und auch al-Qa‘idas galt. Man instrumentalisiertedie Stammesstrukturen, um al-Qa‘idaHerr zu werden. Das konnte nur gelingen,weil signifikante Teile der Bevölkerungeinem solchen Unterfangenletztlich positiv gegenüber standen.Unter dem Namen „Sahwa“ (Erwachen)wurden Scheichs finanziell ausgestattetund auch bewaffnet, um gemeinsammit den US-Truppen gegenal-Qa‘ida vorzugehen und gleichzeitigauch der Bevölkerung eine politischeRepräsentanz zu geben. Denn die rachitischensunnitischen Parteien, diean den Wahlen Ende 2005 teilgenommenhatten und im Bagdader Parlamentnur den Zweck des sunnitischenAufputzes erfüllen, konnten nicht alssolche dienen. Mit der zumindest einigermaßenerfolgreichen Herstellungder öffentlichen Ordnung kamauch eine gewisse Wiederbelebungder wirtschaftlichen Aktivitäten. Innerhalbeines Jahres wurde Anbar voneiner der Provinzen mit den meistenAnschlägen auf US-Truppen zu einerder ruhigsten überhaupt.Der zweite, viel wichtigere Streichgelang im städtischen Bereich Ende2007 und 2008. Die in einem aussichtslosenDreifrontenkrieg gegenschiitische Milizen, al-Qa‘ida und dieBesatzer verstrickten Widerstandsgruppentraten in Gespräche mit derUS-Armee ein. Sie erhielten von diesergegen al-Qa‘ida Unterstützungund man ließ sie in der Selbstverteidigunggegen die schiitischen Milizengewähren. Schließlich errichtete manhohe Betonmauern um die verschiedenenViertel, die zwar heftig abgelehntwurden, insofern sie die konfessionelleTrennung im wahrsten Sinnedes Wortes zementierten, die aber derdrangsalierten Zivilbevölkerung dennochzusätzlichen Schutz boten.Daraus entstanden die sunnitischenSahwa-Milizen, die heute ca. 100.000Mann umfassen und einen Sold erhalten.Sie bestehen zum großen Teilaus ehemaligen Kämpfern des Widerstands.Die Bildung dieser Verbändebrachte den Durchbruch im Kampfgegen al-Qa‘ida. Denn insofern auchal-Qa‘ida in der lokalen Bevölkerungrekrutierte, kannte man sich. Mit derMilitärmacht der USA im Rückenund der Unterstützung der Bevölkerungkonnte al-Qa‘ida aus den meistenGebieten vertrieben, oder dochstark zurückgedrängt werden. Gleichzeitigbedeutete das die weitgehendeEinstellung des Guerillakampfes gegendie USA. Der erste große Erfolgder USA ist also durch einen politischenKurswechsel induziert.Heißt das, dass die hunderttausendenKämpfer des Widerstands undihre millionenfache Unterstützungvon heute auf morgen Freunde der Besatzunggeworden wären? Unter denSunniten, und entsprechend auch imWiderstand, ist es weit verbreitet, vonder iranisch-amerikanischen Besatzungzu sprechen und damit die Übermachtder schiitischen Bagdader Regierungzu meinen. Dieses Weltbildträgt so abstruse Blüten, wie al-Qa‘idaals iranische Machination anzusehen,fast so wie auch Bush seinen jeweiligenFeinden ein Naheverhältnis zual-Qa‘ida unterstellt. So absurd solcheAnnahmen zu einem Zeitpunkterscheinen, wo der Konflikt Washington-Teherandas wichtigste globaleKrisenmoment darstellt, so sehr gabund gibt es teilweise in Form des Bag-21


Arabischer Raum Intifada Nr. <strong>26</strong>Bild: flickr/Russell Lee Klikadader Regimes doch eine ungewollteamerikanisch-iranische Interessenkoinzidenzim Sinne der Herstellungvon Stabilität. So unterstützte Teherandas von den USA eingesetzte, abervom schiitischen politischen Islamdominierte Regime sowie alle Schrittezu seiner Stabilisierung. Für viele Sunnitenstellt sich also der Kampf gegendie Besatzung zuerst als Abwehrdes Iran dar, gegen den man auch dieAmerikaner instrumentalisieren zukönnen glaubt. (5) Übrigens genausowie der schiitische politische Islamletztlich die USA zur Errichtung einerschiitischen Herrschaft über den Irakzu verwenden vermochte – zumindestbis auf weiteres.Die USA haben mit der Anwendungvon divide et impera unbestritteneinen Teilerfolg erzielt. Dochdie Unwägbarkeiten bleiben groß.Washington betreibt die Eingliederungder Sahwa-Milizen in den Sicherheitsapparat.Doch die schiitischeRegierung sperrt sich und will ihrenStaat nicht von konfessionellen Feindenunterwandern lassen. Bleiben dieVersprechungen von der Beteiligungan der Macht, bei der oft auch dieWiederherstellung der sunnitischenVorherrschaft mitschwingt, unerfüllt– und das werden sie ohne neuerlichenKrieg wohl –, dann geht von diesenMilizen erhebliches Unruhepotentialaus, zumal sie ebenfalls gegen die amerikanischeBesatzung gerichtet sind.Von einem einheitlichen, die Konfessionenintegrierenden Staatsapparatim Irak sind die USA weiter dennje entfernt.Iranische UnterstützungBush & Co führen die anhaltendenProbleme im Irak letztlich immer wiederauf eine Ursache zurück: die iranischeHand, die den politischen undmilitärischen Widerstand gegen dieUSA dirigiert. Als deren schlimmsterFinger wird Muqtada as-Sadr angesehen.Doch man muss nur etwas näherhinsehen, um zu erkennen, dass essich dabei um ein Geflecht aus Halbwahrheiten,Selbsttäuschung und antiiranischer Propaganda handelt. Versuchenwir das aufzulösen.Es ist eine leicht zu überprüfendeTatsache, dass es die in Bagdadherrschende Koalition der „moderatenSchiiten“ ist, die über die bestenBeziehungen zu Teheran verfügt,auf politischer, kultureller und militärischerEbene. Die Koalition ist nichteinheitlich. Ihr Kern ist die klerikaleDynastie der Familie al Hakim, dieden Islamic Supreme Council of Iraq(ISCI) sowie die Badr-Milizen führen.Sie waren die einzigen im heute relevantenschiitischen Spektrum im Irak,die sich im Krieg Iran-Irak auf die Seitedes Gegners gestellt hatten. Zudemwird den Badr-Milizen nachgesagt,dass sie Teil der iranischen Revolutionsgardenseien oder zu ihnen zumindestein sehr enges Verhältnis hätten.Die Hakim-Familie ist gleichzeitigmit den wichtigsten Klerikern in Teheranund Qom, dem religiösen Zentrum,eng verbunden. Die Badr-Milizenwaren es, die unmittelbar nachdem Sturz Saddams die Jagd auf Ba‘-thisten begannen und die (neben denkurdischen Peschmerga) als erste lokaleKraft von den Amerikanern adoptiertwurden.Der heutige Regierungschef Malikikommt von der Dawa-Partei. Dieseist Teheran nicht gleichermaßen hörigwie der ISCI. Er vertritt einen wenigerradikalen Föderalismus und lehnt dieVereinigung der südlichen ölreichenund fast homogen schiitischen Provinzenzu einem quasi unabhängigenschiitischen Ministaat, wie sie vomISCI vertreten wird, ab. Welche Liniedem Regime in Teheran näherist, kann nicht leicht gesagt werden.Historisch sicher jene der panschiitischenAngliederung des Südirak.Doch im Sinne eines dem Iran freundlichgesinnten und stabilen Regimesin Bagdad, dem bisher obersten Zieldes Mullah-Regimes, erscheint MalikisVariante günstiger.Das dritte Schwergewicht der Regierungist Großayatollah Sistani. Obwohlder Nationalität nach selbst Per-22


Herbst 2008Arabischer Raumser, befindet er sich theologisch überKreuz mit dem politischen Klerus inQom, denn er lehnt in vorrevolutionärerschiitischer Mehrheitstraditiondie direkte politische Herrschaft desKlerus ab (vilayat-e fakih). Im Sinneder Stabilität unterstützt er die heutigeRegierung im Irak von außen. DieBesatzung wird so gegenüber dem Widerstandzum kleineren Übel.Diese gegenwärtig an der Machtbefindliche Koalition repräsentiertletztlich die schiitischen Eliten unddie Mittelklasse. Sie sind mit demSturz Saddams zufrieden, wünschensich eine rasche Stabilisierung undNormalisierung auch mit den USA,und sind – in unterschiedlichem Ausmaß– an guten Beziehungen zu Teheraninteressiert. Den Widerstand– einschließlich eines möglichen schiitischen– lehnen sie entschieden ab.Paradoxerweise stützen sich sowohlWashington als auch Teheran auf dieseKoalition. So sehr sich Maliki imKampf gegen seine Feinde im Innerenauf die Amerikaner verlässt, sosehr getraut er sich gleichzeitig gegeneine unbegrenzte amerikanischeTruppenpräsenz aufzutreten, in einerWeise wie es für ein klassisches Marionettenregimeundenkbar wäre. Dieserklärt sich nur aus der Rückendeckungdurch Teheran.Sadr als HauptfeindIndes scheint es von Washington zumindestin erster Lesung nicht irrational,die Bewegung Sadrs zum Hauptfeindzu erklären. Es hat sich bis zumBoulevard durchgesprochen, dass essich um eine Bewegung der Unterklassenhandelt. Muqtada selbst hatdie amerikanische Besatzung heftigkritisiert und einen verbindlichenZeitplan hin zum vollständigen Truppenabzugder Besatzer gefordert. SeineMahdi-Armee neigt zu Attackenauf die US-Armee, auch wenn sie entscheidendeKonfrontationen scheut,zumindest gegenüber den USA letztlichdefensiv bleibt und sich zurückzieht.Die Sadr-Bewegung lehnt auch dieAuslieferung der Ölreserven an diewestlichen Öl-Multis, so wie sie dieneue neoliberale Gesetzgebung vorsieht,ab. Saddam hatte die gesamteErdölwirtschaft verstaatlicht.Doch im Gegensatz zu den amerikanischenBehauptungen ist ihr Verhältniszum Iran sehr gespalten. DieSadristen gelten als eingefleischt arabischund stellen sich auch öffentlichimmer wieder gegen die iranische Einflussnahme.Sie lehnen den Föderalismusstrikt ab und treten für eineneinheitlichen Irak ein. Das heißt jedochnicht, dass Sadr im Iran keinenUnterschlupf erhalten würde. Teheranhält sich die Kanäle zu allen offen.Die Badr-Milizen sind sein Stand-,Sadr sein Spielbein.Bisher haben die Iraner deswegengezögert, die Sadristen mit Waffen zuversorgen. Das belegen ihre schlechteBewaffnung und die im Vergleichzum sunnitischen Widerstand dilettantischeForm antiamerikanischerAnschläge. Nicht umsonst wichensie jedem ernsthaften Zusammenstoßmit der US-Armee aus, dennsie wären im Grunde nichts als Kanonenfutter.Der Mahdi-Armee wird der konfessionelleBürgerkrieg gegen die Sunnitenangelastet – und zu einem gutenTeil zu recht. Aber nicht, weil dieregierungsnahen Kräfte so viel besserwären. Die Badr-Milizen habenihr blutiges Werk schon hinter sichund ihnen fehlt nunmehr einfachdie flächendeckende Verankerung inder Bevölkerung. Die Sadristen sindauch keineswegs konfessionalistischeroder fundamentalistischer als die Regierungsschiiten,so sehr das von derwestlichen Propaganda auch herausgestelltwird.Sadr hatte immer einen Fuß innerundden anderen Fuß außerhalb desRegimes. Er spielte mit der Möglichkeitdes Widerstands, um letztlichdoch das Regime zu stützen, aber zueinem möglichst hohen Preis.Die USA haben Maliki und die Regierungsschiitenbisher in jedem Feldzuggegen Sadr unterstützt, zuletztbeim Angriff auf die sadristischen Bastionenin Basra und in Bagdad imFrühjahr 2008. Sadr musste jeweilszurückweichen und Stellungen aufgeben.Wie beschrieben, vermied erbisher frontales Kräftemessen. Angeblichvermittelten die Iraner hinterden Kulissen, um den aus ihrer Sichtschiitischen Bruderkrieg nicht eskalierenzu lassen. Jedenfalls konntenim Gegensatz zu den amerikanischenJubelmeldungen die Sadristen nichtsubstanziell geschlagen werden. DieMahdi-Armee tauchte bisher unter,um unverhofft immer wieder aufzutauchen.Für den einseitigen Waffenstillstandvom August 2007 und die Inaktivitätinsgesamt, die Sadr seinerMahdi-Armee diktierte, gibt es aucheine zusätzliche plausible Interpretation.Ihre größte Machtentfaltung verzeichnetedie Mahdi-Armee währenddes konfessionellen Bürgerkriegs. DerKrieg gegen die Sunniten, der zumindestnotdürftig durch die Selbstverteidigunggegen al-Qa‘ida gerechtfertigtwurde, entwickelte eine Eigendynamik.Schnell gewachsen und ohnestarken Zusammenhalt oder Kommandostruktur,degenerierten Teile inden Banditismus. Nicht nur Sunnitenwurden beraubt, erpresst und ermordet,sondern auch die schiitische Mittelklasse.Hier diente die politischeGegnerschaft oft als Legitimation fürdie Aneignung ihres Eigentums oderfür Gewaltverbrechen. Teile der Unterklassensahen in der Situation desZusammenbruchs der öffentlichenOrdnung die Gelegenheit, ihrer Notlagedurch bewaffnete Kriminalitätzu entkommen. Einzelne Kommandantenwurden zu regelrechten Mafiabossen.Die Zugehörigkeit zur Mahdi-Armee diente manchmal nur mehr alsVorwand, als politische Fassade.Diese untragbare Situation führtezu heftigen Gegenreaktionen, die dieRegierung und die USA zum Aufbauvon Sahwa-Kräften auch im schiitischenBereich zu nutzen versuchten.Diese sind bislang aber nur eine Randerscheinunggeblieben.Jedenfalls zog Muqtada mit demBefehl, alle militärischen Aktivitäteneinzustellen, die Notbremse. Auch einigeder Milizenführer, die sich Verbrechenzu Schulden kommen ließen,wurden entfernt. Die zweifellose militärischeSchwächung bedeutet aberaus dieser Sicht gleichzeitig auch eineWiedergewinnung verlorenen politischenTerrains.Stabilisierung nicht in SichtDie USA mögen für kürzere oder auchlängere Zeit den sunnitischen Widerstandneutralisiert haben. Diesen23


Arabischer Raum Intifada Nr. <strong>26</strong>Schachzug können sie guten Gewissensals Erfolg verbuchen. Ein nennenswerterSchritt zur Schaffung einesstabilen Regimes ist es indes nicht.Das Problem der Schaffung einesStaatsapparates, der sowohl Schiitenals auch Sunniten, integriert undgleichzeitig einen modus vivendi mitden Kurden findet, bleibt völlig ungelöst.Das zeigt sich in der Diskussionum den Föderalismus und dieversprochene und unerfüllt bleibendeVerfassungsänderung gegen eine all zugroße Dezentralisierung.Die Regierungsschiiten wollen unterdem Vorwand der Angst vor derRückkehr der Ba‘thisten die Kontrolleüber den Staatsapparat nicht mehrabgeben und sunnitische Kräfte nichtsubstanziell beteiligen. Die Sadristen,die gegen die De-facto-Abspaltungder Schiiten auftreten und damittrotz der Wunden des Bürgerkriegseine mögliche Brücke zu den Sunnitenbilden könnten, werden vom herrschendenBlock von den Schalthebelnder Macht fern gehalten; gerade auchvon Maliki, der selbst eine ähnlichePosition vertritt, trotzdem aber liebermit dem ISCI geht.Die einzig wirklich proamerikanischeKraft mit Wurzeln im Volk,die kurdische Führung, besteht nichtnur auf die Föderation, sondern zieltsogar auf eine Abspaltung hin. Dasist für die meisten Araber völlig inakzeptabel,vor allem angesichts der ölreichenund demografisch gemischtenStadt Kirkuk, die sich die Kurden gerneeinverleiben würden.Die für Oktober 2008 vorgesehenenregionalen Wahlen könnteneine wesentliche Verschiebung derKräfte weg von der Regierungskoalitionund hin zu Formationen einschließlichjener Muqtadas bringen,die sowohl den Föderalismus als auchdie amerikanische Präsenz ablehnen.Daher versucht die Regierung Malikidie Wahlen entweder nicht stattfindenzu lassen, zu verschieben oder aberals gefährlich angesehene Gegner mitallerlei Tricks von der Teilnahme auszuschließen.An sich müssten sich dieUSA über die Schwächung ihres störrischenund gleichzeitig proiranischenPartners freuen. Weitsichtigere Beraterempfehlen daher die Abhaltungder Wahlen ohne allzu parteilichesEingreifen zu garantieren. DochWashington hat panische Angst vorder Stärkung Muqtadas, gegen den esweiterhin militärisches Vorgehen unterstützt.Damit liefert es sich jedochseinen proiranischen Freundfeindenaus. Wo immer man dreht, um einProblem zu lösen, wird ein anderesaufgerissen.Auf der Basis von Teile-und-Herrschescheinen die USA den Widerstandhöchstens neutralisieren zu können.Die US-Truppen empfehlen sichdadurch zumindest als ein scheinbarüber den Konflikten stehender Richterund können ihre verlängerte Präsenzrechtfertigen. Ein stabiler Staatkann aber auf diesem Weg nicht geschaffenwerden. Der wichtigste möglicheFaktor der Stabilität wäre dasEinvernehmen mit dem Iran, mit demauch bisher schon nolens volens kalkuliertwerden musste. Doch genaudas will Washington gerne aufkündigen.Denkt man diese Variante konsequentzu Ende, kann sie nur denSturz des heutigen Regimes bedeuten– und der wäre wiederum nurmit einem neuen Krieg zu bewerkstelligen,denn freiwillig werden dieneuen Machthaber die eroberten Positionenwohl nicht räumen. Ein solcherKrieg ist aber nur denkbar beieinem gleichzeitigen Angriff auf denIran, wofür man sich wohl die Unterstützungsunnitischer Hilfstruppensichern würde. (Also praktischzurück an den Start 2003.) Entscheidensich die USA, dieses enorme Risikonicht einzugehen, dann könnensie jedenfalls nicht verhindern, dass esvor allem der Iran ist, der letztlich dieFrüchte ihres Krieges und ihrer Besatzungerntet.Wilhelm LangthalerDas Ende der letzten MetapherZum Tod des Dichters Mahmoud DarwishAm 9. August 2008 starb der palästinensische Dichter Mahmoud Darwishbei einer Herzoperation. Politisch sehr umstritten, poetisch einerder höchstrangigen modernen arabischen Dichter, ist mit seinem Tod eineSymbolfigur der arabischen, aber vor allem der palästinensischen Kulturbewegungvon uns gegangen.Geboren im Jahr 1941 in Barwa inNordpalästina, erlebte Darwish alsKind die Nakba von 1948, wo bei derGründung des Zionistenstaates eineMillion Menschen aus ihrer Heimatvertrieben wurden. Seine Familie flohin den Libanon, kehrte aber sogleichüber Schleichwege nach Palästina zurück.Das zerstörte Dorf Barwa durftenicht wieder aufgebaut werden undDarwish wuchs als „Flüchtling im eigenenLand“ auf.Als Araber in „Israel“ Bürger zweiterKlasse, schloss er sich der IsraelischenKommunistischen Partei anund schrieb in Haifa in ihrer arabischenZeitung al-Ittihad („Die Einheit“).Für seine ersten Gedichte undseine politische Aktivität wurde Darwishmehrmals (1961, 1962 und 1967)von den israelischen Militärbehördenverhaftet und gefoltert, seine Werkeoft zensuriert. (Für die Araber Israelsgalten bis 1967 Militärgesetze.)Damals völlig isoliert und getrenntvom restlichen arabischen Raum,gründeten Darwish und andere jungeDichter wie Samih Qassim undTawfiq Zayad aus den „48er-Gebieten“eine neue Richtung in der arabischenLyrik, welche das Bild desarabischen Gedichtes für Jahrzehnteprägen sollte.24


Herbst 2008Arabischer RaumSich rhythmisch vom klassischenGedicht emanzipierend, und, abgehendvom traditionellen Bild, sichauf Metaphern stützend, wurde dieseneue Generation von Dichterngeboren. Entdeckt wurden die jungenDichter vom palästinensischenSchriftsteller Ghassan Kanafani (1972in Beirut vom israelischen Geheimdienstermordet), der ihnen seineerstmalige Studie „Dichter aus dembesetzten Land“ widmete. Die modernenTexte verbreiteten sich und wurdenim gesamten arabischen RaumTexte für Liedkompositionen. Siewurden zu Kultursymbolen der palästinensischenBewegung und Antriebzur Modernisierung des arabischenLiedes.Darwish selbst verließ Haifa im Jahr1970 und verbrachte ein Jahr in Moskau,bevor er nach Kairo ging, wo ervom arabischen Kulturmilieu herzlichempfangen wurde.1972 schloss sich Darwish der PLOan und zog mit ihr in den Libanon.Er arbeitete im Palästinensischen Studienzentrumund leitete es zwischen1976 und 1980. Er war Chefredakteurder Zeitschrift „Palestinian Issues“.Nach der israelischen Invasion desLibanon 1982 verließ Darwish Beirutund begleitete Arafat auf dem Schiffins neue Exil. Er lebte in Tunis, wo erauch vom palästinensischen Nationalkongresszum Mitglied des Exekutivkomiteesder PLO ernannt wurde.Die Phase nach 1982 war für Darwishliterarisch die bedeutendste. Esentstanden seine wichtigsten Werke.Er übertraf sich von einem Werk zumnächsten und revolutionierte die arabischeLyrik mehrmals.Sein Werk über den Libanon-Krieg,„Lob des hohen Schattens“, schlugWellen im gesamten arabischen Raum.Viele Teile davon wurden von verschiedenstenSängern zu berühmtenLiedern verarbeitet.Bild: flickr/Tish„Gotteslästerung“Einige Teile seines Werkes wurden jedochals blasphemisch angesehen:„Beirut ist der Test Gottes,Wir haben dich ausprobiert, oh Gott,wir haben dich ausprobiertWer gab dir dieses Rätsel, wer gab dirden Namen?Wer hat dich über unsere Wunden erhoben,damit er dich sieht?So zeig dich! Wie sich die Sphinx ausden Aschen zeigt ...“[Übers. M. A.]So fügte er seiner Beziehung zur aufsteigendenislamischen Bewegung irreparablenSchaden zu. Dies erklärtu. a. die Kälte, mit welcher sein Todz. B. bei Hamas zur Kenntnis genommenwird.Darwish verstand es, durch intelligentesEinsetzen des Wortes und desBilderspiels, aus der palästinensischenMisere, der brutalen Realität und demblutigen Alltag, verschmolzen mitElementen aus der Geschichte, derKultur und der allgemeinen menschlichenWerte eine schöne, ästhetische Welt zu schaffen. Er ist einer derwenigen arabischen Dichter, die internationalgeachtet und anerkannt werden.Wegen ihrer universellen Bedeutungwurden seine Gedichte in fastalle Sprachen übersetzt.Hoch gelobt und prominent, stander über jede Kritik erhaben. Sein Gewichtals Symbolfigur setzte die Kriteriender Kritik außer Kraft. Bekanntaus vielen Liedern, überschritten seineGedichte die Grenzen des intellektuellenMilieus und genossen eine Popularität,wie sie moderner arabischerPoesie niemals zuvor zuteil wurde.Kapitulationskurs der PLOFür viele galt Darwish politisch alsder Apologet Arafats im Feld der Kultur.Kritisiert wird er auch für seinStillschweigen über die Unterdrückungvon palästinensischen Intellektuellendurch Arafat und seinenApparat. Dieser schreckte, wie im Falldes Karikaturisten Naji Ali, auch vorMord nicht zurück. Das machte Darwishzunehmend zum „Hofdichter“der PLO.Nach der Unterzeichnung desOslo-Abkommens trat die Hälftedes Exekutivkomitees der PLO zurück.Darunter auch Darwish, dereine erstmalige poetische Kritik anArafat lieferte: „Wer wird unsere Fahnenaus unseren Mauern entfernen,Du oder sie?“ Er kehrte jedoch mitdem PLO-Apparat nach Ramallahzurück und blieb dem Establishmenttreu. Hochstilisiert als Kultursymbolder PNA, präsidierte er mehrere literarischeGremien, stand über den politischenEreignissen und bereiste denarabischen Raum, wo er nach prominentenAuftritten hohe Orden undAuszeichnungen von fast allen arabischenRegenten erhielt.Nach dem Tod Arafats und beimKonflikt der PNA mit der Widerstandsbewegunghielt sich Darwishzurück und versteckte sich hinter seinenMetaphern. Weniger metaphorischwurde er nach der Machtübernahmeder Hamas in Gaza, wo er ineinem Gedicht mit der Parteinahmefür die korrupte PNA von Ramallahziemlich eindeutig war.Wenn auch poetisch eines der wenigenDinge, bei denen es unter den PalästinensernKonsens gibt, ist Darwishpolitisch ein weiterer Teil jener verblichenenPLO-Ära, deren Symbolfigurensukzessive am Untergehen sind.Vielen seiner Leser geriet sein Tod zurpolitischen Rettung seiner Poesie.Mohamed Aburous25


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Der Iran und das AtomwaffenmonopolZur anhaltenden Aggression der USADer UN-Sicherheitsrat hat den Iran erneut aufgefordert, die Anreicherungvon Uran und damit sein Atomprogramm zu suspendieren. Die Mächte,die den Iran seit Jahren drangsalieren – USA, EU, Deutschland, England,Frankreich, Russland, und nolens volens China – hatten Teheran im Gegenzugangeboten, die Beantragung neuer UN-Sanktionen für sechs Wochenauszusetzen.Zur Versüßung hatten sie eine Liefergarantiefür nuklearen Brennstoffund eine Hilfezusage für den Baueines Leichtwasserreaktors draufgelegtund sogar Verhandlungen überdie Beendigung der seit langem wirksamenökonomischen Sanktionen inAussicht gestellt. Die Westpropagandapries das als ein „großzügiges Angebot“.Die iranische Regierung hatsich davon nicht beeindrucken lassen.Sie hat bisher standhaft ihr unveräußerlichesRecht verteidigt und will esauch in Zukunft tun. Ahmadinedschadversprach: „Wir werden keinJota von unseren nuklearen Rechtenabweichen.“Illegale SanktionenEs bleibt also wie gehabt. Die Weltwollte keine neuen Atomwaffenstaatenhaben und die Kernwaffen abschaffen.Zu diesem Zweck und mitdiesem Versprechen wurde vor 40Jahren der Atomwaffensperrvertrag(NPT) abgeschlossen. Iran hat diesenVertrag unterzeichnet. Die übrigenUnterzeichnerstaaten haben daher dasRecht, die iranischen Atomanlagendurch die Kontrollbehörde IAEO inspizierenzu lassen und jedem Hinweisauf nicht zivile Nutzung der Kernkraftnachzugehen. Aber der NPT sichertausdrücklich allen Signatarendas unveräußerliche Recht zu, dengesamten nuklearen Brennstoffzyklusfür zivile Zwecke zu implementierenund verpflichtet die Nuklearstaatenzum Austausch von technologischenund wissenschaftlichen Daten. Ohnedie Rechte zur zivilen Nutzung wäreder NPT von kaum einem der 180nuklearen Habenichtse unterzeichnetworden. Der Beitritt zum NPTist freiwillig. Sanktionen sind nichtvorgesehen. Die IAEO hat zwar Verdachtsmomenteauf ein nicht zivilesAtomprogramm des Iran, hat abertrotz penibler Nachforschungen infünf Jahren keine Verletzung des Abkommensnachweisen können. Daherhat der Sicherheitsrat kein Recht, denStopp der Anreicherung zu fordernund Sanktionen gegen den Iran zuverhängen. Sie sind unrechtmäßig.Kernwaffenmonopol verteidigtDer Sicherheitsrat gibt vor, im Diensteder Nonproliferation zu handeln.Aber das ist bestenfalls ein frommerSchein. Denn der NPT verpflichtetdie offiziellen Nuklearmächte zur Beendigungdes nuklearen Wettrüstensin naher Zukunft und zur nuklearenAbrüstung. Diese Zukunft begannvor 40 Jahren! Solange die Nuklearmächtediese Verpflichtung vollkommenignorieren, ist ihr Bestehen aufVertragserfüllung durch die anderenStaaten nichts als die Verteidigungeines Monopols. Um diese hässlicheBlöße zu kaschieren, haben die Nuklearmächteim Mai 2000 einmütig ihreAbsicht bekräftigt, die Kernwaffen zueliminieren. Es blieb, wie in den 32Jahren zuvor, bei dieser hohlen Proklamation.Im krassen Widerspruchzu ihren Worten modernisieren sie allerdingsihre Kernwaffen, entwickelnPräzisionsträger, Mini-Nukes undBunkerbuster und bereiten die Stationierungim Weltraum vor. Die USA,England, Frankreich und Russlandhaben allesamt in den letzten sechsJahren damit gedroht, ihre Kernwaffenpräventiv, und sogar gegen Staateneinzusetzen, die keine solchen Waffenbesitzen. Für den Westen, der ständigmit den Menschenrechten hausierengeht, gehört ein Leben ohne Bedrohungmit Massenvernichtungswaffenoffenbar nicht dazu. Hier machtnur China eine Ausnahme. Die Chinesenhaben immer betont, dass sieKernwaffen niemals als erste einsetzenwerden. Das ist insofern ein gewaltigerUnterschied, weil die Waffendann zwar zur Vergeltung, abernicht zur Erpressung taugen, wozudie anderen sie so gerne benutzen.Auch die Bundesrepublik Deutschlandverletzt den NPT fortwährend,weil sie es zulässt, dass auf ihrem TerritoriumKernwaffen lagern und weilsie über die NATO „nuklearer Teilhaber“ist. Es gibt ca. 23000 existierendeKernwaffen, mit denen die Nuklearmächtedie Menschheit bedrohen.Und solange diese 23000 Kernwaffennicht auf der Agenda des Sicherheitsratesstehen, hat seine Sanktionspolitikgegen den Iran nur einen erkennbarenZweck – das Atommonopol derAtommächte zu erhalten, die in ihmdas Sagen haben.Der Sicherheitsrat behauptet ferner,dass der Verzicht des Iran auf dieAnreicherung ein Beitrag wäre, den„Nahen Osten frei von Massenvernichtungswaffenzu machen“. Auch dasklingt gut, ist aber ebenso unglaubwürdig.Wenn der Sicherheitsrat aufeinen atomwaffenfreien Nahen Ostenhinwirken wollte, wie er vorgibt zutun, müsste er zuerst die USA und Israel,evtl. auch Briten, Franzosen undRussen auffordern, ihre Kernwaffenaus dem Golf, dem Indischen Ozeanund dem östlichen Mittelmeer zuverbannen und die faktische Bedrohungdes Iran zu beenden. Die Anreicherungvon Uran ist mit der Errichtungvon atomwaffenfreien Zonenvollkommen kompatibel, die atomarbewaffneten amerikanischen Flottenund israelischen Tridentunterseebootesind es sicher nicht. Die Sanktionspolitikdes Sicherheitsrates lässtsich daher weder mit der Schaffungvon atomwaffenfreien Zonen, nochmit der Aufrechterhaltung des Nichtverbreitungsregimesrechtfertigen.Ausweglose VerhandlungenVersuchen wir eine objektive Bewertungdes „großzügigen Angebots“.Ohne die gewohnheitsmäßige westlicheArroganz gegenüber den isla-<strong>26</strong>


Herbst 2008InternationalesBild: aboutpixel.de/svairmischen Ländern kann man darinnichts entdecken, was den Iran zumNachgeben bewegen könnte. Der Iransoll garantierten Zugang zu nuklearemBrennstoff erhalten. Welche Sicherheitaber können dieselben Staatengeben, die dem Iran gerade durchErpressung das hoch und heilig zugesicherteRecht auf die ungeteilte friedlicheNutzung der Kernenergie streitigmachen, und dabei ausdrücklichmit Gewaltanwendung drohen? Teheranwürde ein hohes, internationalverbrieftes Recht gegen eine mindereGarantie der Nuklearmächte eintauschen.Die Iraner würden die Unterstützungder Nichtnuklearstaaten verlieren,die in ihm einen Vorkämpferfür die Verteidigung ihres Rechts aufdie zivile Nutzung der Kernenergiesehen.Ernüchternd kommt hinzu, dass dieIraner schon schlechte Erfahrungenmit Verträgen über nukleare Zusammenarbeitgemacht haben. Das Kernkraftwerkin Bushehr wurde 1970 begonnen,zunächst mit deutscher Hilfe.Siemens ist nach der Revolution 1979aus dem Projekt ausgestiegen. DieRussen haben es 2003 gegen amerikanischenWiderstand übernommen,aber die Fertigstellung verzögert sichnun von Jahr zu Jahr.Schließlich – und das ist die Hauptsache– können die Iraner keinesfallserwarten, dass die Drangsalierungund Sanktionen aufhören, selbstwenn Teheran sich der Erpressungbeugt. Die USA haben Sanktionensofort nach der iranischen Revolutionbetrieben, also längst vor den Verdächtigungendes Waffenprogramms,und sie werden mit dem Atomprogrammnicht enden. Weil es im Kernnicht um dieses Programm geht, ganzgleich ob es existiert oder nicht. Manbraucht sich nur die Frage zu stellen,wie Teheran den Nachweis führensollte, dass die Anreicherungsanlagenin Natanz und der Brüter in Arak stillgelegtsind. Die iranische Regierungbeteuert seit Jahren, dass ihr Atomprogrammausschließlich zivile Zweckeverfolgt – völlig vergeblich. DieIAEO hat zwar Verdachtsmomenteund einige ungeklärte Fragen, sie hataber keinen Beweis für die Verletzungdes Vertrages vorgelegt. Auchdie Abwesenheit eines Beweises genügtden USA nicht, sie verlangenden Beweis der Abwesenheit einesWaffenprogramms. Den Erkenntnissendes CIA zufolge hat Iran sein Waffenprogrammvor fünf Jahren eingestellt,aber die US-Regierung gibt sichauch damit nicht zufrieden. Sie wirdunweigerlich die Einrichtung einesKontrollsystems mit amerikanischerBeteiligung verlangen. Sie hat ein ähnlichesSpiel zehn Jahre lang mit demIrak betrieben, Massenvernichtungswaffenpostuliert, das Land mit Sanktionenruiniert und schließlich untereinem Schwall von Lügen militärischüberfallen und unter der anschließendenBesatzung vollkommen verwüstet.Woraus man klar erkennen kann,dass es nicht die Besorgnis über Massenvernichtungswaffenwar, die dieUSA umtrieb. Mit dem geheimenAtomprogramm, das sie dem Iran unterstellen,verfolgen sie das gleicheZiel. Es dient als Hebel, um den Iranzu isolieren und zu erpressen, schließlichzu demütigen und ihrer Kontrollezu unterwerfen. Dazu ist ein Waffenprogramm,dessen Nichtexistenz Teherannicht beweisen kann, geradezuideal geeignet.Abnahme der KriegsgefahrDie USA haben ihre Erpressungspolitikgegenüber dem Iran mit offenenDrohungen, militärischen Manövernund demagogischer Verteufelung seinerFührung begleitet. Ein Präventivkrieggegen die Atomwaffen, überdie der Iran allenfalls in einigen Jahrenverfügen könnte, schien eine längereZeit auf der Tagesordnung zu stehen.Manche befürchten sogar, dassdie Bush Regierung die noch verbleibendekurze Frist nutzen wird, umunwiderrufliche Fakten zu schaffen.Und nachdem hochrangige israelischePolitiker einen Angriff auf dieiranischen Atomanlagen für unvermeidlichhalten, wird über den Pointof no return und einen israelischen Alleingangspekuliert. Obwohl man einesolche Katastrophe nicht ausschließen27


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Bild: flickr/Daniella Zalcmankann und Wachsamkeit weiter Nottut, gibt es eine Reihe von Gründen,dass der Krieg unwahrscheinlicher gewordenist.Da sind zunächst ein paar offenkundigeEntspannungssignale. Erstmalsseit 1979 nahm ein US-Beamteraus der oberen Hierarchie an Gesprächenüber das iranische Atomprogrammteil. Die USA erwägendie Errichtung einer Botschaft inTeheran. Dies sind – zugegeben –flüchtige Signale, aber Ahmadinedschadhat sie positiv quittiert: „Wirsehen eine neue Haltung der VereinigtenStaaten und von Beamten derVereinigten Staaten.“Da ist weiter eine Reihe von längerfristigenEntwicklungen, die mitakuter Kriegsgefahr nicht ohne weiteresvereinbar sind. Wenn die Amerikanerbeschlossen haben, in nächsterZukunft Gewalt gegen den „Schurkenstaat“anzuwenden, brauchen siein Osteuropa längerfristig keine Abwehrraketengegen eine potenzielle iranischeBedrohung einzurichten. EinKrieg gegen den Iran müsste einemEnthauptungs- und Entwaffnungsschlagnahe kommen, also schon eingrößerer Krieg sein. Die Amerikanerwürden das iranische Militär, dieLuftwaffe und die Trägersysteme nichtverschonen. Einfache Luftschläge gegendie iranischen Atomanlagen könnenallenfalls das Problem der Israelislösen, und deren rein militärischeÜberlegenheit über die Region sichern.Das reicht für ihre säkularePolitik des Landraubes. Die Amerikaneraber haben imperiale Ziele. Sienervt der unbeugsame Selbstbehauptungswilleder iranischen Nation. Denwollen sie brechen. Das erreicht mannicht mit ein paar Bomben. Die wärengeradezu kontraproduktiv, würdenauf lange Sicht unversöhnlichenHass erzeugen. Sie würden auch denIsraelis allenfalls kurzen Aufschub gewähren,aber nachwachsende reale Bedrohungund den unerbittlichen Vorsatzfür Vergeltung schmieden helfen.Das werden die Amerikaner auch denIsraelis klarmachen.Zweitens ist der US-GeheimdienstCIA im Herbst 2007 zu dem Ergebnisgekommen, dass der Iran kein nuklearesWaffenprogramm hat, undwenn er je eins gehabt hätte, diesesspätestens 2003 eingefroren habe undnicht vor 2015 über eine Atomwaffeverfügen könne. Fünfzehn weitereUS-Geheimdienste sind zu demselbenSchluss gekommen. Das isteine sehr schlechte propagandistischeAusgangssituation für einen unpopulärenAngriffskrieg. Bush hatzwar mehrmals explizit erklärt, dasser alle Optionen offen hält, er hataber auch mehrmals versichert, dass erdas Problem Iran mit diplomatischenZwangsmitteln lösen will. Hershs wiederholteBerichte im New Yorker, dassdie USA ihre geheimdienstlichen Sabotageaktionenim Iran mit vielenDollars sponsern und verstärken, stehendamit durchaus im Einklang –bis auf den Titel „Die Vorbereitungdes Schlachtfeldes“. Außerdem ist dieUS-Regierung keine Einmannshowund daher wird auch die scheidendeMannschaft nicht den geringen Restan Glaubwürdigkeit unnötig verspielen.Täuschung spielt zwar in jedemKrieg eine große Rolle, aber die USAverfügen allemal das Potenzial für einenmilitärischen Überraschungsangriff.Das deutschsprachige Europakonnte sogar eine Wende in der publizistischenDesinformation verzeichnen.Ahmadinežad hatte im Oktober2005 Khomeini mit der Äußerung zitiert,dass das Besatzungsregime in Jerusalemaus den Seiten der Geschichteverschwinden müsse. Obwohl jederrechtschaffene Mensch dieses Ziel unterstützenmuss, hat die Journaille dasZitat im Stile der Emser Depesche ineine Holocaust-Drohung gegen dieJuden verfälscht und die zahlreichenHinweise auf die Fehlerhaftigkeit derÜbersetzung standhaft ignoriert. DieFälschung ist gut zwei Jahre lang unzähligeMale zur Brunnenvergiftungwiederholt worden. Inzwischen habenu. a. die Süddeutsche Zeitung,die NZZ und sogar die Bundeszentralefür politische Bildung die korrekteÜbersetzung veröffentlicht.Drittens – und das ist die Hauptsache– stehen die Amerikaner vor einer28


Herbst 2008Internationalesstrategischen Umgruppierung ihrerMachtprojektion in Asien. Maliki, derirakische Präsident von US-Gnaden,darf die Forderung nach einem Planfür den Abzug der amerikanischenTruppen stellen. Sie passt zwar vordergründigzu den WahlkampfversprechungenObamas, wichtiger aberist, dass es inzwischen einen parteiübergreifendenKonsens gibt, die Besatzungim Irak auszudünnen. EinTeilabzug ist bereits im Gange. Damitscheint das Ringen hinter den Kulissengegen den Einsatz von Gewaltgegen den Iran vorerst entschieden zusein. Ein Teil der Truppen wird nachAfghanistan verlagert. Die USA habenan Macht verloren und müssensich auf die Hauptaufgabe konzentrieren,Russlands Comeback zu verhindernund Chinas rapiden Aufstiegzu bremsen. Ein größerer Krieg würdeeinen Großteil des amerikanischenMilitärpotenzials auf längere Zeit weithinter ihrer strategischen Front gegenRussland und China binden.USA verfehlen AngriffszielNach dem Untergang der Sowjetunionsah alles viel rosiger aus. Es gelangder einzigen Weltmacht schnell,die ehemals sowjetische Machtsphärein Osteuropa abzuwickeln. Dannkam Zentralasien an die Reihe. Ölhin oder her, der Hauptzweck warimmer, das Aufkommen von strategischenRivalen zu verhindern undinsbesondere Russland und Chinadaran zu hindern, ihren Einfluss indiesem Raum auszuweiten. Der eurasischeBalkan, sprich die Golfregionund Zentralasien, spielt in diesemJahrhundert die Rolle des Zankapfels,die dem europäischen Balkan amAnfang des 20. Jahrhunderts zukam.Nach dem Anschlag vom 11.9. ergriffdas Pentagon die willkommene Chance,Afghanistan mit einem Schein desRechts zu erobern und damit einenweit vorgeschobenen Brückenkopfin Zentralasien zu errichten. Ein paarMilitärstützpunkte in den Nachbarländernfielen den Amerikanern quasiin den Schoß. Ihr strategischer Plansah nun weiter vor, den eurasischenBalkan vom Westen her systematischaufzurollen und damit zugleich denafghanischen Vorposten zu sichern.Zug um Zug wurden Pakistan erpresst,der Irak geschlagen und Syrien bedroht.Der Iran war nun eingekreistund wurde isoliert. Er sollte über kurzoder lang fallen.Aber der kühne Plan der Neokons,die US-Hegemonie über den MittlerenOsten und Zentralasien mit Blitzkriegenund Regimewechseln unterden Titeln „Krieg gegen den Terror“und „Demokratisierung“ zu errichten,ist vollkommen gescheitert. Dieschnellen Erfolge in Afghanistan undim Irak haben sich als Pyrrhussiege erwiesen.Es war leicht zu siegen, aberumso schwieriger, die Herrschaft zubehaupten. Die Amerikaner habendabei schwere Fehler gemacht, ihreKräfte gewaltig überschätzt und denwachsenden Widerstand der Unterdrücktenunterschätzt. Im blindenVertrauen auf ihre überlegene Militärmachthaben sie ihre Fähigkeit, zuführen und mit indirekten Mitteln zukontrollieren, weitgehend eingebüßt.Ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeitsind auf einem historischen Tiefpunktangelangt. Das eigentliche Ziel,das Aufkommen von strategischen Rivalenzu verhindern, wurde verfehlt.Russland und insbesondere China habenihren Einfluss zu Lasten der USAschnell vergrößern können.Geänderte PrioritätenDer irakische Widerstand hat demIran eine Schonzeit verschafft. Heutefehlt den Amerikanern die Kraft, imIran mehr als Verwüstung und Chaoszu stiften. Bei einem Überfall aufden Iran könnten die USA heute nurisraelischer Unterstützung sicher sein.Nun droht Afghanistan ihrem Zugriffzu entgleiten und Pakistan wirdwiderspenstig, noch bevor das rückwärtigeTerrain gesichert und unterKontrolle gebracht ist. Da müssendie Prioritäten neu gesetzt müssen.Die USA müssen halten, was noch zuhalten ist und die Kräfte umgruppieren.Bush ist nach Peking gereist, umden Hegemonieanspruch der USAin Asien zu bekräftigen. Die FreundeAmerikas sollten sich nicht zu sehrmit China einlassen. Es sei oft so, dassman mit einem und nicht zugleichmit einem anderen Freundschaft aufrechterhaltenkönne.Es sind objektive Bedingungen, diedie USA zwingen, ihre Strategie anzupassenund den Konfrontationskursgegenüber dem Iran zu dämpfen.Selbstverständlich kann man einekriegerische Entwicklung nicht mitSicherheit ausschließen. Allerdingsist sie nicht mehr sehr wahrscheinlichund es gibt keinerlei Hinweiseauf Torschlusspanik. Der Krieg gegenden Irak wird weitgehend als Debakelangesehen. Daher wird die offeneAggression zurückhaltender eingesetztwerden. Die US-Politik wird dadurchnicht friedfertiger oder wohlwollenderoder minder hegemonial.Die US-Regierung wird nur versuchen,eine zweite Chance zu erhalten,wie Brzeziński das nennt ‐ mehr daszu tun, was dieser imperiale Strategeschon vor 10 Jahren geraten hatte, wasaber die Neokons konterkariert hatten.Wenn aber der Krieg gegen denIran unwahrscheinlicher wird, dannwerden die realen Sanktionen zumgrößeren Übel. Und deshalb müssensie beendet werden.Jost Kaschube29


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Boliburgesia oder die Revolution der TittenVenezuela zwischen Radikalisierung und BürokratisierungNach Jahren der Bestätigung in Wahlen hat die Chávez-Regierung im Dezember2007 erstmals eine Niederlage beim Referendum über eine Verfassungsänderungerlitten. Im November 2008 stehen Regionalwahlen bevor,deren Ausgang keineswegs so gewiss ist, wie das in den Jahren zuvor angenommenwurde. Wo steht der bolivarianische Prozess nach zehn Jahrenseines Bestehens?Eines wird allein durch einen Besuchin der venezolanischen HauptstadtCaracas offensichtlich: Die Massenbewegung,die den bolivarianischenProzess seit Jahren getragen und ihnimmer wieder gegen die Angriffe derOpposition verteidigt hat, ist zurückgegangen.Dies mag den konjunkturellenWellen politischer Massenmobilisierunggeschuldet sein, die in derNatur der Sache liegen. Sie zeigt außerdemjedoch eine spezifische Ermüdungund Frustration der Massen.Begründet ist diese sicher durchdie Niederlage beim Referendum imDezember 2007. Darüber hinaus undbereits davor gab es jedoch erheblicheUnzufriedenheit mit den Bürokratisierungstendenzen,die den bolivarianischenProzess seit einigen Jahrenerfasst haben. Die Niederlage beimReferendum 2007 ist auch im Lichtedieser Unzufriedenheit zu interpretieren.Nicht die Nein-Stimmen warengegenüber früheren Wahlen angestiegen,vielmehr war die stark gestiegeneWahlenthaltung letztendlich ausschlaggebendfür die Niederlage desReferendums.Tatsächlich ist in den vergangenenJahren, begünstigt durch den hohenÖlpreis und die entsprechendenStaatseinnahmen, eine neue bürokratischeSchicht entstanden, vielfachdie «boliburgesia» genannt (von burgesiabolivariana – „bolivarianischeBourgeosie“). Diese Schicht von Bürokratenim Staatsapparat bzw. in denvielen durch den Prozess entstandenenParallelstrukturen, wie etwa densozialen Reformmaßnahmen («misiones»)hat sich teilweise schamlosbereichert und sich schließlich in einebremsende Kraft verwandelt. Nichtmehr die gesellschaftliche Transformationin Richtung Sozialismus, wiesie die Regierung ausrief, sondern derErhalt des Status quo ist das Ziel dieserSchicht. Damit ist es jedoch praktischzu einer Verdopplung der Bürokratiegekommen: Die Missionen warenursprünglich gegründet worden, umden bürokratisierten Staatsapparat,der jegliche Reformversuche sofort imKeim erstickt hatte, zu umgehen unddie Massen in den Genuss sozialer Basisdienstleistungenkommen zu lassen.Es gelang dadurch jedoch nicht, dieBürokratie im Staatsapparat zu entmachten,vielmehr ist eine bürokratisierteParallelstruktur entstanden, dieim Ernstfall nicht einmal durch dieformal existierenden Mechanismenkontrolliert werden kann.Darüber hinaus hat die sichtbareBereicherung der neuen Bürokratenschichtden Unmut der armen Bevölkerungsteilebeschleunigt. Zweifellossind die Verbesserungen derletzten Jahre für die breite Masse derBevölkerung deutlich spürbar: Zugangzu Bildung, Gesundheitsversorgung,Verbesserungen im Wohnbauund v. a. nie gekannte Möglichkeitender politischen Partizipation sind anerkannteErrungenschaften des bolivarianischenProzesses und haben denLebensstandard der Massen erheblichgehoben. Dennoch deutet die sichtbareExistenz von Armut und die typischenMerkmale halbkolonialer Gesellschaften,wie etwa ein hoher Anteilan informeller Wirtschaft, mangelhafteInfrastruktur, hohe Kriminalitätund große soziale Unterschiede, daraufhin, dass der Umverteilungsprozessins Stocken geraten ist. „Wo sinddie Petrodollars der letzten Jahre hingeflossen,wenn nicht in die Taschender alten und neuen Bourgeoise?“ isteine vielerorts gestellte Frage.Grenzen gesellschaftlicher TransformationDie Schwierigkeiten, innerhalb derbestehenden staatlichen und wirtschaftlichenStrukturen, die zweifellosdie eines halbkolonialen kapitalistischenSystems sind, eine neueGesellschaft aufzubauen, sind in Venezuelaoffensichtlich. Zwar hat derErdölreichtum des Landes den gegenwärtigenTransformationsprozessüberhaupt erst ermöglicht, da er einenbeträchtlichen Spielraum an finanziellenRessourcen schuf, die dieChávez-Regierung umverteilen konnte,ohne die herrschenden Klassenverhältnisseanzutasten. Ohne diesenSpielraum wäre der bolivarianischeProzess unter den gegebenen nationalen,regionalen und globalen Kräfteverhältnissenlängst am Widerstandder Eliten gescheitert, der sich nochviel entschiedener organisieren hättekönnen. Doch andererseits erweistsich der Erdölreichtum in vielerleiHinsicht als Hemmschuh für die Weiterentwicklungdes Prozesses.Mit dem Modell der endogenenEntwicklung hat die Chávez-Regierungversucht, einen dringend notwendigenwirtschaftlichen Diversifizierungsprozessins Leben zu rufen.Kleinere Produktionskreisläufe sollensich an lokalen Bedürfnissen orientierenund neben der lokalen wirtschaftlichenEntwicklung auch einenProzess politisch-demokratischerSelbstbestimmung und kulturellerIdentitätsstiftung jenseits kapitalistisch-imperialistischerModelle begünstigen.Die Umstrukturierung derProduktionsverhältnisse in der staatlichenIndustrie im Sinne der «empresasde producción social» („Unternehmender sozialen Produktion“) istebenfalls als konkreter Versuch sozioökonomischerTransformation zuwerten. Sie beinhaltet neben Maßnahmenzur Demokratisierung derProduktionsverhältnisse (Arbeiter/innenselbst- bzw. ‐mitbestimmung)und zur Aufhebung der traditionellenArbeitsteilung und der damit verbundenensozialen Stratifizierung auchMaßnahmen zum Aufbau von engmaschigensozialen und wirtschaftlichen30


Herbst 2008InternationalesBild: flickr/ Ramon-MenesesVerbindungen zwischen den Betriebenund den Gemeinden in der Umgebung,die ebenfalls lokale Entwicklungsprozessein Gang setzen sollen.Diese Versuche können zwar nichtals gescheitert betrachtet werden – insbesonderedeuten die Verstaatlichungder Erdölindustrie sowie jüngst jenein der Stahl- und Zementindustrie,die auch aufgrund massiven Drucksder Arbeiter/innen zustande gekommensind, darauf hin, dass der Willezur wirtschaftlichen Transformationgegeben ist –, doch ihre Grenzen innerhalbdes gegebenen Systems sindoffensichtlich. Die Fähigkeit der traditionellenEliten, die Regierung unterDruck zu setzen, ist nicht so sehrauf politischer als vielmehr auf wirtschaftlicherEbene intakt. Währendder Kampagne für das Referendumim Dezember 2007 war das Landaufgrund von bewusst gesteuertenEngpässen in der Distribution wochenlangmit zentralen Grundnahrungsmittelnwie Milch, Reis undBohnen unterversorgt. Bei einer Nahrungsmittelimportabhängigkeitvon70 % ergibt sich daraus eine Machtfüllefür die überwiegend in privaterHand befindlichen Distribution, dievon der Opposition politisch auch geschicktgenutzt wurde.Hier zeigt sich eine weitere Schwierigkeitder wirtschaftlichen Reformversucheder Chávez-Regierung,die mit der Erdöl-basierten Wirtschaftsstrukturin Verbindung gebrachtwerden kann. In den letztenJahren wurden massive Anstrengungenzum Aufbau nationaler landwirtschaftlicherProduktion (die seit den1930er Jahren von der Erdölindustriegeschluckt worden war) und eines alternativenVerteilungsmechanismusunternommen. Die Geschwindigkeitdieses Aufbaus, die notwendig wäre,um die Nahrungsmittelversorgungsicherzustellen und einer Erpressungdurch die Eliten und Großgrundbesitzerzuvorzukommen, scheitert amMangel gut ausgebildeter und politischbewusster Techniker/innen.Hinzu kommt eine allgemeine soziale,politische und kulturelle Beliebigkeit,die als Produkt einer jahrzehntelangenkonsumorientierten Rentenkulturangesehen werden kann und insbesondereden Aufbau kleinteiligerProduktionsformen, wie Bauernkooperativen,torpediert. Damit zeigtsich die Zentralität des subjektivenFaktors – eine immense Schwachstelledes bolivarianischen Prozesses. Dochdazu später mehr.Die Missionen, Mechanismen zursozialen Basisversorgung der Massen,haben zwar deutliche Verbesserungengebracht. Insbesondere die Basisgesundheitsversorgungdurch die «MisiónBarrio Adentro» und die verschiedenenBildungsmissionen habenMillionen von Menschen Zugang zubislang verwehrten Dienstleistungeneröffnet. Allerdings wird nach zehnJahren die Problematik der Parallelstrukturenin einem ansonsten kaumangetasteten System sichtbar. Tatsächlichwurde das reguläre Gesundheitssystemnicht reformiert, was bedeutet,dass jenseits der Basisversorgung aufEbene der Krankenhäuser und spezifischerGesundheitsdienste die altenVerhältnisse weiter bestehen: Zugangund Qualität nur für jene, die es sichleisten können. In der Bildung hat diehitzige Diskussion um eine Schulreformim vergangenen Jahr gezeigt, wiegroß der Widerstand ist, wenn es darumgeht, ein System zu verändern, daswesentlich zum Machterhalt der Elitenbeiträgt. In diesem Sinne leistetedie Propaganda der Opposition, derStaat wolle die christlichen Grundwerteim Unterricht durch sozialistischeIndoktrination ersetzen, einennicht unwesentlichen Beitrag zumAusgang des Referendums.Eine der interessantesten Kon-31


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Bild: flickr/Carlos-Adampolzepte des bolivarianischen Prozessesbezieht sich auf die Transformationder Machtstrukturen. Die «consejoscomunales», die Planungsräteder Gemeinden, sollen eine Alternativezu den korrupten und dem altenSystem verschriebenen Verwaltungsstrukturenaufbauen und diese sukzessiveersetzen. Dieses Konzept löstevor rund eineinhalb Jahren eine vielversprechendepolitische Dynamikunter den Massen aus. Heute zeigtsich auch hier, dass der Versuch zwarnicht gescheitert ist, doch die Dynamikan den Grenzen des alten StaatsundVerwaltungsapparates zerschelltund einem schwerfällig werdenden,zunehmend von oben verordnetenMechanismus Platz macht.Letztendlich erweist es sich in Venezuelaals unmöglich, einen an sozialistischenZielen orientierten Veränderungsprozessesunter Bedingungeneines intakten bürokratisch-kapitalistischenStaatsapparates zu unternehmen.Hinter dieser marxistischen Binsenweisheitverbirgt sich allerdingsdie äußerst komplexe Frage revolutionärerPraxis unter ungünstigen Kräfteverhältnissen.Tatsächlich hat es inVenezuela seit und auch schon vorder Machtübernahme Chávez’ niedie Möglichkeit eines revolutionärenUmsturzes gegeben, d. h. die Möglichkeit,den kapitalistischen Staatsapparatzu zerschlagen und ihn durch einenrevolutionären zu ersetzen.Klassenkampf in der Parteianstatt durch die ParteiPräsident Chávez stellte Anfang 2007das Konzept der Vereinigten SozialistischenPartei Venezuelas (PSUV) derÖffentlichkeit vor. Im Grunde ginges darum, einerseits ein Instrumentzu schaffen, das die unstrukturierteMassenbewegung politisch organisierenund organisch in den Prozessintegrieren könnte. Andererseits wardie PSUV als Mechanismus gedacht,um der Bürokratisierung im StaatsapparatHerr zu werden. Eine ersteBilanz fällt ambivalent aus. Zwar istes durch das engmaschige Organisationsnetzder PSUV durchaus gelungen,eine große Zahl an unorganisiertenPersonen in den Barrios zupolitisieren und ihren Aktivismus ineinem zentralen Instrument zu strukturieren.Insbesondere für die Frauender Unterschichten hat sich dadurcheine Möglichkeit zur politischen Aktivitätund in der Folge zur Veränderungihrer Lebenssituation eröffnet.Es ist allerdings nicht gelungen, mittelsder PSUV der Bürokratie Herr zuwerden, bzw. diese auch nur zurückzudrängen.Ganz im Gegenteil, dieneue Bürokratenschicht hat sich geradein der neuen Partei niedergelassen.So kommt es, dass zahlreiche Kandidat/innenfür die bevorstehenden Regionalwahlennicht aus dem Kreise derBasismitglieder und Aktivist/innenkommen, sondern allseits bekannteund ungeliebte „Bolibourgeois“ sind.Die Antwort der Massen darauf wirdsich möglicherweise in einer hohenWahlenthaltung ausdrücken.In jedem Fall ist die PSUV nicht daserhoffte Instrument für den Klassenkampf,sondern vielmehr ein zentralerOrt, an dem sich der Klassenkampfabspielt.Starker Mann und schwacheLinkeVenezuelas Besonderheit drückt sichin einem gesellschaftlichen Transformationsprozessaus, der sich voneinem simplen Umverteilungsversuchhin zum Anspruch (nicht derTatsache), eine sozialistische Gesellschaftaufzubauen, weiterentwickelthat. Dies ist in erster Linie der politischenEntwicklung einer einzigenPerson, nämlich des PräsidentenHugo Chávez geschuldet. Das Paradoxondieses Prozesses liegt geradedarin, dass er sich nur unter den Bedingungenvon Chávez’ Präsidentschaftnach links entwickeln konnteund dass andererseits die Abhängigkeitvon der Führung durch eineneinzigen starken Mann eine zentralestrategische Schwäche darstellt.Dieses Paradoxon hat allerdings nichtso sehr etwas mit dem im politischkorrekten Europa so verpönten lateinamerikanischenCaudillismo zu tun.Vielmehr sind seine Wurzeln in derpolitischen Geschichte Venezuelas zufinden, die im lateinamerikanischenVergleich von einer schwachen Linkenund nur lose organisierten Massenbewegunggekennzeichnet ist. Tatsächlichsind die Träger oder Subjektedieses Prozesses auch nicht die linkenOrganisationen bzw. die von ihnenangeführten Massen, sondern einerseitsChávez und andererseits die unorganisiertenMassen, das sprichwörtliche«pueblo», das sich v. a. aus derbreiten Schicht der urbanen Barrio-Bevölkerung zusammensetzt.Dieses «pueblo» hat zwar bei zentralenKonfliktpunkten seine Kampfkraftunter Beweis gestellt, nämlichals es 2002 den Putsch durch die Oppositionabwehrte und den entführtenChávez nach Caracas zurückholteund als es 2002/2003 die monatelangandauernde Erdölblockade erfolgreichaussaß. Doch gingen aus diesenMomenten höchster politischer Anspannungkeine weiterentwickeltenFormen politischer Organisation hervor,die sich durch größere Stabilität,Konstanz und politische Strategiefähigkeitauszeichnen würden. Die Linkeist zwar durchaus Teil dieser Massenbewegungund steht nicht etwaabseits von ihr. Doch ist es ihr nichteinmal in Ansätzen gelungen, eine kritischeMasse an politisch gefestigtenKadern hervorzubringen, die eine kollektiveFührung bilden könnten.So stellen sich in Venezuela nachzehn Jahren des bolivarianischen Prozesseszwei zentrale Fragen, nämlichdie der revolutionären Partei und imZusammenhang damit, wie eine seitJahrzehnten verankerte Kultur des32


Herbst 2008Internationalespassiven, abwartenden Konsumismusim revolutionären Sinn überwundenwerden kann.Revolution der Titten?Was auf den ersten Blick als nebensächlicherscheinen mag, stellt sich beigenauerem Hinsehen tatsächlich alsein Grundproblem für einen revolutionärenProzess in Venezuela heraus.Am anschaulichsten kann die Kulturfragean der Absurdität der so genannten„Tittenrevolution“ dargestellt werden.Auffällig hoch ist im Straßenbilddie Anzahl an Frauen jeden Alters, diesich einer Brustvergrößerung unterzogenhaben. Die Statistiken bestätigendies. Dieses Phänomen ist nunallerdings kein Relikt der kolonialentfremdeten Kultur aus der Zeit vordem bolivarianischen Prozess. Vielmehrhat erst die durch die finanzielleUmverteilung gestiegene Massenkaufkraftdieses Phänomen hervorgerufen.Nicht nur vom Blickwinkel eines eurozentristischenRevolutionspuritanismuserklärt sich daher, dass diesebis in die Poren von Konsumorientierungund warenförmigen Beziehungsmusterndurchdrungene Kultur eineHürde für die revolutionäre Weiterentwicklungdarstellt. Daraus ergibtsich auch der Stellenwert, den praktischalle Instanzen des Prozesses vonder Regierung bis hin zu den kleinstenlinken Organisationen, der Massenbildungim Sinne von Politisierungzuschreiben.Gold, auch wenn es nicht glänztSo ernüchternd die Bilanz des venezolanischenbolivarianischen Prozessesnach zehn Jahren ausfallen mag, so istes dennoch notwendig, sich seine immenseBedeutung im Sinne der Verschiebungder lateinamerikanischenund internationalen Kräfteverhältnisseund im Sinne einer politischenRehabilitierung sozialistischer Konzeptionenzu vergegenwärtigen. Tatsächlichhat das bolivarianische Venezuelain Lateinamerika eine linkeDynamik ausgelöst, die natürlich anSchwierigkeiten und Grenzen stößt,wie etwa die zentrifugalen Tendenzenin Bolivien zeigen. Dennoch hat esdie Dekade der neoliberalen Reaktionund tiefen Agonie der lateinamerikanischenrevolutionären und Volksbewegungenbeendet.Auf politischer Ebene bleibt darauf zuverweisen, dass es wenig hilfreich ist,vom hohen Ross des marxistischenPuritanismus die Nase über den venezolanischen„Sozialismus des 21. Jahrhunderts“zu rümpfen, der zweifelloskeiner ist. Vielmehr gilt es, diesen Prozesszu analysieren und bis ins Detailzu verstehen. Dann wird klar, dasssich die mitunter verzweifelten Versuche,unter den Bedingungen klarerkapitalistisch-imperialistischer Überlegenheiteine egalitäre Gesellschaftstransformationzu unternehmen, alshöchst wertvolles Laboratorium derdringend notwendigen Reflexion darübererweisen, wie heute ein revolutionärerProzess in den Untiefen gesellschaftlicherPraxis aussehen kann.Margarethe BergerLinke Literatur im Netz: www.che-chandler.comBrauns/Tsalos (Hg.): Naher undmittlerer Osten. Krieg, Besatzung,WiderstandZum ersten Mal schreiben deutschsprachigeJournalisten und Analysten& Vertreter palästinensischer,libanesischer, irakischer undafghanischer Volksbewegungenin einem Buch über eine Region,die einer permanenten imperialistischenAggression ausgesetzt ist.Pahl-Rugenstein, 208 S., brosch.ISBN 978-3-89144-385-9 16,90 (D)Sebastian Baryli: ZwischenStalin und Kafka. Ernst Fischerzwischen 1945 und 1972Vor dem Hintergrund des persönlichenWerdegangs Ernst Fischersspiegeln sich entscheidendeAbschnitte der österreichischenZeitgeschichte wider. Gleichzeitigwird ein Panorama der Ideengeschichteder kommunistischenBewegung entworfen.Pahl-Rugenstein, 256 S., brosch.ISBN 978-3-89144-400-9 22,90 (D)BREITENGRADE.Schriftenreihe InternationalismusKarin Leukefeld: TürkeiStart einer Reihe, die in einem Streifzugdurch die Geschichte historischewie aktuelle Bruchlinien jeweiliger Länderund Regionen benennt und Basiswissenvermittelt, das nationaleund interationale Konflikte bessereinzuschätzen hilft. Weitere Bände inVorbereitung.Pahl-Rugenstein, ca. 120 S., brosch.,9,90 (D), erscheint Oktober 2008B A S K I S C H E B I B L I O T H E KLiteratur aus einem Land, das es nicht gibt.Anjel Lertxundi – Domingos letzte WetteDie dunkle Seite der Idylle. Ein baskischer Klassiker vom Lande.Aingeru Epaltza – Rock'n'RollDie chaotische Suche nach einer Leiche. Ein rasant-satirischer Krimi.Bereits erschienenArantxa Urretabizkaia – Das rote Heft / Edorta Jimenez – Der Lärm der Grillenw w w . z u b i a k . d eDer umfassendste Überblick über linke Literatur im deutschsprachigen Raum. Neue und antiquarische Titel.Che & Chandler | Breite Str. 47 | D-53111 Bonn | Tel: 0228 / 63 23 66 | Fax: 0228 / 63 49 68 | info@che-chandler.com33


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Kolonialstrafrecht des 21. JahrhundertsDie „Internationale Strafgerichtsbarkeit“Im ersten Teil wurde als fortschrittliches Element des bestehenden Völkerrechtshervorgehoben, dass sein Geist dem Recht des Stärkeren entgegengesetztist, indem es konsequent auf dem Prinzip der Staatssouveränität aufgebautist. Es wurde dargestellt, wie der Bruch dieses Rechtssystems durchdie imperialistischen Mächte sich propagandistisch hinter hohen Idealenversteckt, bis hin zur Verbrämung eines Angriffskriegs als „humanitärerIntervention“. Im zweiten Teil beschäftigt sich der Autor mit den mperialistischenAspekten des „Völkerrechts“.1. Nürnberg und die ad-hoc-Tribunalefür Jugoslawien, Ruandaund Sierra LeoneSchuld an den „Menschenrechtsverletzungen“im Krieg ist letztlich undin der Hauptsache der, der schuldam Krieg ist. Das war die Rechtsauffassung,die am Nürnberger InternationalenMilitärtribunal (IMT)herrschte. Deshalb setzte die LondonerCharta des Tribunals das Verbrechengegen den Frieden an obersteStelle, deshalb erklärten die Richterim Urteil gegen die Hauptkriegsverbrecher:„Die in der Anklageschrift enthaltenenBeschuldigungen, dass die AngeklagtenAngriffskriege geplant unddurchgeführt haben, sind äußerstschwerwiegende Beschuldigungen.Der Krieg ist seinem Wesen nachein Übel. Seine Folgen beschränkensich nicht nur auf die kriegführendenStaaten, sondern betreffen dieganze Welt.Einen Angriffskrieg zu eröffnenist daher nicht nur ein Verbrechenzwischen Völkern; es ist das obersteVerbrechen zwischen Völkern, dassich von anderen Kriegsverbrechennur darin unterscheidet, dass es dasaufgehäufte Übel im Ganzen in sichschließt.“Wegen dieser Weisheit verdient dasIMT für alle Zeiten Anerkennung.Die Londoner Charta erklärt auch,warum es sich in Nürnberg nichtum „Siegerjustiz“ handelte: Es ginggar nicht um eine Aufrechnung, werwann wo welche Konvention verletzthat, (wobei die Nazis auch hier alles inden Schatten gestellt hätten,) sondern Eigene Übersetzung.es ging um die grundsätzliche Frage,wer denn dieses Unheil für die ganzeMenschheit, den blutigsten Kriegin der Geschichte, über die Welt gebrachthat. „Kriegsverbrechen“ aufzuzählen,ohne sie in den allgemeinenZusammenhang zu stellen, welcheSeite einen gerechten, welche einenungerechten Krieg führt, wäre völligsinnlos gewesen. Und welche Verhöhnungder Völker, die gegen denFaschismus gekämpft hatten, hättees dargestellt, ihre Angehörigen wegenVerstößen gegen das Kriegsrechtzu belangen, wo doch in jedem Kriegdie Aggressoren die Spielregeln vorgeben!Das Recht der Siegermächte, dieRechtsprechung über Deutsche innerhalbder ehemaligen deutschen Grenzenauszuüben, gründete sich übrigensauf die Tatsache, dass Deutschlandbedingungslos kapituliert hatte, derdeutsche Staat vollständig zerschlagenwar, wodurch allein der Krieg hattebeendet werden können. Die Sieger- Das soll nicht bedeuten, dass automatischjedwede Kriegshandlung auf alliierter Seite,z. B. die amerikanischen Atombombeneinsätzein Japan, gerechtfertigt wäre, weilsie formal Bestandteil des Kriegs gegen dieAchsenmächte war. Zu fordern ist die umfassendeBetrachtung und Analyse jedes fraglichenKriegsereignisses. Dem entsprach derNürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher.Ganz anders verhielt sich dasInternationale Militärtribunal für den FernenOsten, das per Befehl des US-GeneralsDouglas MacArthur eingesetzt worden war,bei der Verurteilung der japanischen Hauptverantwortlichen.Hier sehen wir schon vieleZüge der internationalen Siegerjustiz, dieuns fünfzig Jahre später bei den ad-hoc-Tribunalenunter UNO-Flagge in ihrer ganzenMonstrosität begegnen wird.mächte hatten nicht nur das Recht,sondern die Pflicht, auf deutschemBoden eine Militärverwaltung einschließlicheiner Militärgerichtsbarkeitaufrechtzuerhalten.Man kann nicht gerade behaupten,dass eine solche historische Ausnahmesituationbestanden hätte, als derUNO-Sicherheitsrat 1993 per Resolution827 einen „Internationalen Strafgerichtshofzur Verfolgung von Personen,die für schwere Verletzungendes humanitären Völkerrechts verantwortlichsind, die auf dem Gebietdes ehemaligen Jugoslawien seit 1991begangen worden sind“, (engl. Kurzform:International Criminal Tribunalfor the Former Yugoslavia, ICTY)errichtete. Im Gegenteil: Alle Staatenauf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawienwaren UNO-Mitglieder unddamit als vollberechtigte Inhaber derStaatssouveränität anerkannt.Das ICTY wird seitdem als ein „Unterorgan“des Sicherheitsrats behandelt.Die Tatsache, dass das höchsteExekutivorgan der UNO ein judikativesOrgan unter seiner Kontrolle einrichtet,sollte schon genügen, um dierechtliche Untragbarkeit dieser Entscheidungklarzumachen. Als Sahnehäubchenkommt noch oben drauf,dass dieses judikative Organ gemäßseinem Statut „Rechtsprechung übernatürliche Personen“ besitzen und dasPrinzip der „individuellen strafrechtlichenVerantwortlichkeit“ anerkennensoll – im Gegensatz zum höchstenjudikativen Organ der UNO, demICJ, vor dem, wie bereits im erstenTeil erwähnt, nur Staaten als Rechtssubjektegelten! Es ist also, noch einmalzur Verdeutlichung, so, als würdedie Regierung eines Landes ein ihr direktunterstelltes „Gericht“ gründen,an dem völlig andere Rechtsgrundsätzegelten als an den regulären Gerichtshöfendieses Landes – genau soverhielt es sich allerdings mit dem„Volksgerichtshof“ der Nazis.In der Absicht, die Gründung desICTY durch den Sicherheitsrat zurechtfertigen, ist oft gesagt und geschriebenworden, dass der Sicher-34


Herbst 2008InternationalesBild; flickr/Takomabibelotheitsrat „gemäß Kapitel VII der UN-Charta“ gehandelt habe. Das ist einesehr vage Erklärung, denn im KapitelVII der Charta steht, welche Befugnisseder Sicherheitsrat im Falleeiner „Bedrohung des internationalenFriedens und der internationalenSicherheit“ hat. Hier heißt es, dassder Sicherheitsrat zuerst die beteiligtenParteien dazu aufrufen soll, sichan die von ihm vorgeschlagenenMaßnahmen zu halten, wobei dieseMaßnahmen keine Partei in ihrenRechten verletzen dürfen; dass er imnächsten Schritt Sanktionen verhängenkann: „Sie können die vollständigeoder teilweise Unterbrechungder Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-,See- und Luftverkehrs,der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungensowie sonstiger Verkehrsmöglichkeitenund den Abbruchder diplomatischen Beziehungen einschließen“;als letzte Maßnahme erlaubtArtikel 42 dem Sicherheitsrat,„mit Luft-, See- oder Landstreitkräftendie zur Wahrung oder Wiederherstellungdes Weltfriedens und der internationalenSicherheit erforderlichenMaßnahmen durch[zu]führen. Siekönnen Demonstrationen, Blockadenund sonstige Einsätze der Luft-,See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedernder Vereinten Nationen einschließen.“Weit und breit steht hier nichts voneiner Befugnis zur Einrichtung einesStrafgerichtshofs – und anders kannes auch gar nicht sein, denn das würdedie Grundsätze und den Aufbauder UNO verletzen, die Charta widersprächesich mithin selbst. DieTatsache, dass das Statut des ICTYZuständigkeit nicht nur für jugoslawischeStaatsbürger, sondern für Bürgeraller Staaten der Welt beanspruchtund die SR-Resolution 827 alle UNO-Mitglieder zur Zusammenarbeit auffordert,bedeutet, dass alle Staatender Welt ihrer Justizhoheit beraubtwurden, was dem oben zitierten siebtenGrundsatz der UNO offen widerspricht!Was aber ist von der inzwischen zueinem Allgemeinplatz gewordenenBehauptung zu halten, die Errichtungdes ICTY stehe „in der Tradition vonNürnberg“?Bekanntlich hatte Jugoslawien kei- In Deutschland wurde im Jahr 2000 durchden Bundestag kurzerhand das im Grundgesetzfestgeschriebene Auslieferungsverboteingeschränkt, um diesen Skandal nicht soskandalös aussehen zu lassen.nen Raubkrieg gegen seine Nachbarländerund die ganze Welt vom Zaungebrochen. Der Krieg, der sehr irreführendals „jugoslawischer Bürgerkrieg“bezeichnet wird, war im Gegenteilein Angriffskrieg der NATOgegen diesen Staat. Es wurde die divide-et-impera-BalkanpolitikHitlersund Mussolinis wiederbelebt, diedarin bestand, den Nichtserben, vornehmlichKroaten und Albanern, Honigums Maul zu schmieren und sieals Verbündete gegen die serbischen„Untermenschen“ zu gewinnen. ImZweiten Weltkrieg hatte es einen „UnabhängigenStaat Kroatien“ gegeben,regiert von der Ustaša, die HunderttausendeSerben, Juden und Romaermordete. Es hatte kroatische, bosnisch-muslimischeund kosovo-albanischeSS-Divisionen gegeben.1991 erklärten die TeilrepublikenSlowenien, Kroatien, Mazedonienund Bosnien-Herzegowina mit starkerwestlicher Unterstützung einseitigihre Unabhängigkeit von Jugoslawien.Die Sezession Mazedoniens verliefvöllig reibungslos; auch Slowenienwurde fast ungehindert ziehen gelassen,obwohl slowenische SeparatistenGrenzsoldaten der JugoslawischenVolksarmee ermordet hatten. In Kroa-35


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Bild: flickr/pingnewstien und Bosnien-Herzegowina gab esallerdings große zusammenhängendeserbische Siedlungsgebiete, und diedort lebenden Serben hatten den berechtigtenWunsch, weiterhin zu Jugoslawienzu gehören. Als ihnen diesgewaltsam verwehrt wurde, griffen sie,unterstützt von Serbien, zu den Waffen,um ihr Recht zu verteidigen. DieNATO-Länder, die eben noch die UnabhängigkeitKroatiens und Bosnien-Herzegowinas ohne Wenn und Aberanerkannt hatten, verteufelten daraufhindie Serben als Monster, dieein „Großserbien“ schaffen wollten,und griffen auf Seite der Separatistenin den Krieg ein.Hätte das ICTY tatsächlich „in derTradition von Nürnberg“ gestanden,dann hätte sein Statut das Verbrechengegen den Frieden ebenfalls an ersteStelle gesetzt. Aber von einem Verbrechengegen den Frieden oder einemvergleichbaren Verbrechen ist im Statutdes ICTY nicht die Rede.Die Rechtsauffassung des ICTY enthältgenau, was das IMT ausschließensollte: Eine willkürliche Verfolgungeinzelner – angeblicher! – Kriegsverbrechen,die von der grundlegendenSituation, der Frage, wer der Aggressorist und wer sein Selbstverteidigungsrechtausübt, absieht.Nein, das ICTY hatte von Anfangan nicht das geringste mit Nürnbergzu tun, sondern es stellt gerade dasGegenteil dar: Hier wird nicht überdie Aggressoren zu Gericht gesessen,sondern die Aggressoren selbst verurteilenihre Opfer als „Kriegsverbrecher“!Das vom Sicherheitsrat beschlosseneStatut des ICTY wurde übrigensvom damaligen UNO-GeneralsekretärBoutros Boutros Ghali verfaßt.Was den grundlegenden Aufbau unddie Rechtsgrundsätze des ICTY betrifft,folgt dieses Statut dem „Entwurfeines Statuts“, den die damaligeUS-Botschafterin bei der UNO undspätere Außenministerin MadeleineAlbright an den UNO-Generalsekretärgeschickt hatte.Auch durfte im Statut des ICTYder Straftatbestand des Völkermordesnicht fehlen. Denn dass die VerleumdungJugoslawiens als eines „Völkergefängnisses“bald den gegen dieSerben gerichteten Vorwurf des „Völkermords“nach sich ziehen würde,war bereits kalkuliert. Hier konnteman es sich schon wiederholt zunutzemachen, dass die Definition desVölkermordes in der internationalen„Konvention zur Verhütung und Bestrafungdes Völkermords“ von 1948geradezu zum Missbrauch auffordert.Es wird nämlich eine Tat (wie Tötung,Deportation, Sterilisation und andere),selbst im Falle, dass sie nur an einereinzigen Person verübt wird, alsVölkermord bezeichnet, sobald sie „inder Absicht begangen wird, eine nationale,ethnische, rassische oder religiöseGruppe als solche ganz oder teilweisezu zerstören“. Hier soll also dasTatmotiv das entscheidende Kriteriumfür den Straftatbestand des Völkermordesbilden – nicht die physischbegangene Tat. Abgesehen von derEinzigartigkeit einer solchen Straftatsdefinitionzeigt sich doch bei geringerÜberlegung, dass diese Definitiondas Gegenteil von dem enthält,was der gesunde Menschenverstandunter Völkermord verstehen sollte,nämlich dass es dabei auf die Radikalitätund Systematik der Tat ankommtund nicht auf das subjektiveTatelement.Überragende Bedeutung bei der Fabrikationvon Urteilen kommt der Zurechnungstheoriedes „gemeinschaftlichenkriminellen Unternehmens“(Joint Criminal Enterprise, JCE) zu,die zwar nicht im Statut des ICTYvertreten, aber von Anklägern undRichtern wie selbstverständlich angewandtwird. Teilnehmer am JCE sindPersonen, die ein gemeinsames kriminellesZiel verfolgen. (Zum Beispiel:Ethnische Säuberung zwecks Errichtungeines „Großserbien“.). Damitsind sie für alle Taten verantwortlich,die zur Erreichung dieses Ziels begangenwerden.Die Rolle des ICTY bestand vonAnfang an nicht nur darin, der GoebbelsschenKriegspropaganda derNATO ein richterliches Siegel zuverpassen, sondern auch in der moralischenUnterstützung laufenderpolitischer und militärischer Kampagnen.36


Herbst 2008InternationalesDer spektakulärste ICTY-Prozessfand bekanntlich gegen den jugoslawischenPräsidenten SlobodanMilošević statt. Milošević war imOktober 2000 nach dem Bombenkrieg,unter dem Druck von Sanktionenund erneuter direkter militärischerBedrohung durch die NATOvon der desillusionierten jugoslawischenBevölkerung abgewählt worden.Am 28. Juni 2001, dem höchstenserbischen Feiertag, an dem derSchlacht auf dem Amselfeld gedachtwird, wurde Milošević nach DenHaag verschleppt – die nationale Demütigunghätte nicht vollkommenersein können. Der Prozeß zog sich übervier Jahre hin, und der sich selbst verteidigendeund aller Mittel beraubte„Angeklagte“ brachte den hoch-organisiertenNATO-Propagandisteneine Niederlage nach der anderen bei –während der Beweisaufnahme der Anklagedurch vernichtende Kreuzverhöre,dann durch die von ihm selbstgeladenen Zeugen. Nach Ablauf derAnklagezeit mussten die Richter bereitsdie propagandistisch so wichtigeVölkermordanklage aus der Anklageschriftstreichen, später musstedie Anklage den Vorwurf zurückziehen,Milošević habe die Errichtungeines „Großserbien“ angestrebt, wasdoch seit Jahren der Dreh- und Angelpunktaller Anschuldigungen gegenihn gewesen war. Bevor Miloševićseine wichtigsten Zeugen laden konnte,starb er unter ungeklärten Umständen.2. Der Internationale Strafgerichtshof(ICC)1998 wurde in Rom das Statut überdie Einrichtung des InternationalenStrafgerichtshofs (International CriminalCourt, ICC) unterzeichnet, das2002 in Kraft trat. Der ICC hat seineArbeit in Den Haag aufgenommen.Inzwischen haben 105 Länder dieseninternationalen Vertrag ratifiziert. DieseArt des Zustandekommens gibtdem ICC den Anschein einer höherenLegitimität als ICTY und ICTR (ähnlicheTribunale, mit Zuständigkeit fürRuanda) sie besitzen.Natürlich kann das nichts daranändern, dass der ICC, indem er eininternationales Organ darstellt, andas die Mitgliedsstaaten (wie „freiwillig“auch immer) teilweise ihre Justizhoheitauf ihrem Territorium abgeben,sich damit im Gegensatz zum 7.Grundsatz der UNO befindet, und,indem er so das Prinzip der Staatssouveränitätuntergräbt, mindestenseine Hintertür für die Wiederherstellungdes imperialistischen Rechts desStärkeren bildet.Sehen wir uns diese Hintertür genaueran.Das Statut führt wie das ICTY unddas ICTR in der Liste der zu ahndendenVerbrechen an erster StelleVölkermord auf – nach der zumMissbrauch einladenden Definitionvon 1948. Dann folgen die dreiVerbrechen, die den Verbrechen derLondoner IMT-Charter entsprechen– allerdings in genau umgekehrter Reihenfolge:Verbrechen gegen die Humanität,Kriegsverbrechen und dasAggressionsverbrechen.Das Aggressionsverbrechen entspricht,wenn auch unvollständig,dem Verbrechen gegen den Frieden,das in Nürnberg nicht nur an obersterStelle stand, sondern auch von denRichtern als „das oberste Verbrechenzwischen Völkern“ aufgefasst wurde.Es bildet in Den Haag das Schlusslicht.Aber damit nicht genug. DieRechtsprechung über das Aggressionsverbrechenbleibt am ICC so langeausgesetzt, bis sich die Mitgliedsstaatenauf eine Definition dieses Verbrechensgeeinigt haben – das habensie nämlich noch nicht getan. Unddieser Umstand ist wiederum höchstbemerkenswert, da es doch, im ErstenTeil bereits zitiert, seit 1974 einevon der UNO-Generalversammlungbeschlossene Definition des Aggressionsverbrechensgibt, die in ihrerEinfachheit und Klarheit nichts zuwünschen übrig lässt. Es wurde eineArbeitsgruppe damit betraut, eine Definitiondes Aggressionsverbrechenszur Aufnahme ins Statut auszuarbeiten,der die Mitgliedsstaaten zustimmenkönnen. Sollte diese Arbeitsgruppetatsächlich irgendwann einmal zueinem Ergebnis kommen, dann würdees zwei unterschiedliche internationaleDefinitionen einer und derselbenSache geben. Schon an diesemFall wird überdeutlich, dass der ICCkeineswegs nur eine harmlose „Ergänzung“des bestehenden Völkerrechtsdarstellt, sondern es dreist ignoriert.Als oberstes Kontrollorgan des ICCfungiert die Versammlung der Staaten,die das Statut von Rom unterzeichnethaben (Assembly of States Parties,ASP). In der ASP sitzen also Länderwie Burundi, Liberia, Niger oder Malawi,deren jedes bis heute wenigerals 300 Euro zum Budget des ICCbeitragen konnte, mit Deutschland,das bis Ende 2006 41 Millionen Eurobeisteuerte, oder England und Frankreich,die beide jeweils 28 MillionenEuro gezahlt haben. Die 25 westlichenMitgliedsländer kamen insgesamt für88 % aller bisher gezahlten Beiträge auf,die 29 afrikanischen Mitgliedsländerfür weniger als 1 %. Ländern, die mitihren Zahlungen im Rückstand sind,wird automatisch das Stimmrecht entzogen.Die Vertreter der ärmsten Länderkönnen übrigens nur dank freiwilligerSpenden überhaupt zu denASP-Sitzungen in Den Haag undNew York anreisen. Von den ohnehinbestehenden politischen Abhängigkeitsverhältnissenganz zu schweigen.Man kann sich die von vielenGelehrten gerühmte „demokratischeStruktur“ des ICC also leicht vorstellen:Differenzen werden innerhalb einerkleinen Clique mächtiger Staatenausgetragen, die übrigen dienen ihrenHerren nur als Stimmvieh.Diese ASP entscheidet über die Einsetzungund Abberufung von Richternund Anklägern, Definition einzelnerVerbrechen, Aufstellung undÄnderung der Prozeßordnung, Finanzen,Öffentlichkeitsarbeit. Das heißt:Die ASP kann alle Aktivitäten desICC so steuern, daß Richtern undAnklägern nur noch eine ausführendeRolle zukommt.Das vom Statut vorgesehene Prozessrechtdes ICC öffnet der politischenManipulation Tür und Tor:Als wichtigste „Innovation“ mussdie Abschaffung der Anklageschriftbetrachtet werden. Prozesse am ICCwerden auf Grundlage von „Vorwürfen“geführt, die sich im Wesentlichenauf den Haftbefehl stützen, aber offenbarjederzeit nach Belieben ergänzt,fallengelassen oder verändert werdenkönnen. Hatte Milošević im drittenJahr seines Prozesses am ICTY S. Art. 61 des Statuts37


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>es noch als Farce gebrandmarkt, daßdie Ankläger selbst nicht mehr wissen,was sie ihm eigentlich vorwerfen,soll dies am ICC wohl der Normalzustandsein.Es wird auch die Möglichkeit geboten,dass die Richter selber vorläufigeÄnderungen der Prozessordnung beschließen.Judikative und Legislativehaben wieder zueinander gefunden.Das im Statut verbriefte Recht einesAngeklagten, sich durch einen Verteidiger„seiner Wahl“ vertreten zu lassen,wird durch die Prozessordnungkonterkariert, die nur die Wahl auseiner vom Obersten Rechtspfleger desICC genehmigten Liste von Anwältenzulässt.Man darf sich also von vornhereinkeine Illusionen über den ICCmachen. Ein abhängiges Land, dasihm beitritt, unterschreibt, dass imFalle eines bewaffneten Konflikts dieRechtsprechung über die beteiligtenpolitischen und militärischen Führeran einen von imperialistischenMächten beherrschten Gerichtshofübergeht, der mit allen in Jugoslawien,Ruanda und Sierra Leone erprobtenWassern gewaschen ist, undan dem kein einziger fairer Prozessgeführt werden wird, sowie die Verpflichtungzur Auslieferung jeglicherauf seinem Territorium befindlicherPersonen, gegen die der ICC Haftbefehlerlassen hat – es unterschreibt alsonichts anderes als die Aufgabe seinernationalen Souveränität.Drei ICC-Mitgliedsländer – die„Demokratische Republik“ Kongo,die Zentralafrikanische Republikund Uganda, alle derzeit von treuenVerbündeten des Westens regiert– haben den Ankläger selber ersucht,gegen Führer von in ihrem Land operierendenRebellengruppen zu ermitteln.Im Fall der DR Kongo begannbereits der erste Prozess am ICC gegenThomas Lubanga Dyilo, und imFall Ugandas sind Haftbefehle erlassenworden. Im Fall der ZentralafrikanischenRepublik wurde kürzlichder kongolesische OppositionsführerJean Pierre Bemba in Brüssel verhaftetund an den ICC überstellt. FünfWochen später wurde die Freilassungdes Thomas Lubanga Dyilo angeordnet,angeblich, weil die Anklagebehördedie Prozessordnung verletzt hätte.Man darf wohl eher vermuten, dassso verhindert werden sollte, dass dereine dem anderen als wichtiger Zeugedient.Vom UNO-Sicherheitsrat wurdeder Ankläger ersucht, Ermittlungenbezüglich der Ereignisse in Darfur imSudan einzuleiten. Der Rat forderteden Sudan, der kein ICC-Mitgliedist, auf, mit dem ICC zusammenzuarbeiten,was natürlich die Ausführungvon Haftbefehlen einschließt. Damitist das einzige Argument für die Legitimitätdes ICC – freiwillige Anerkennungdurch die Mitgliedsstaaten– auch schon wieder hinfällig. Tatsächlicherließ der ICC 2007 einenHaftbefehl gegen zwei sudanesischeStaatsbürger, darunter den Innenminister.Am 14. Juli 2008, drei Tage vordem zehnjährigen Gründungsjubiläumdes ICC, beantragte der ChefanklägerLuis Moreno-Ocampo denHaftbefehl „wegen Völkermordes“ gegenden sudanesischen PräsidentenUmar al-Bashir. Die politische Rolledes ICC trat damit so offen zutage,dass selbst UNO-Generalsekretär BanKi Mun und der erste Präsident desICTY, der italienische RechtsprofessorAntonio Cassese, Moreno-Ocamposcharf kritisierten.Wie man sieht, führt der ICC derzeitnur auf einem ganz bestimmtenFleckchen der Erde Ermittlungendurch: Im wegen seiner Bodenschätzevon den Imperialisten begehrtenKongo und in dreien seiner Nachbarländer.Sonst gibt es nach Ansicht desChefanklägers nirgendwo auf derWelt schwere Kriegsverbrechen großenAusmaßes, oder wenn es sie gibt,dann tun die verantwortlichen Staatenschon alles, um sie zu verfolgen, sodass der ICC nicht tätig werden muss.So hat das Büro des Anklägers nacheigenen Angaben bis zum 1. Februar2006 1732 Hinweise aus 103 Ländernauf Kriegsverbrechen erhalten. Keineinziger dieser Hinweise führte zuErmittlungen. Da es sehr viele Hinweiseauf Kriegsverbrechen der Koalitionstruppenim Irak gab, hat Moreno-Ocampo dazu im Februar 2006 eineStellungnahme veröffentlicht, worines allen Ernstes heißt: „Die derzeit verfügbarenInformationen bieten einevernünftige Grundlage für die Schätzung,daß es vier bis zwölf Opfer vorsätzlicherTötung und eine begrenzteZahl von Opfern unmenschlicher Behandlunggab, alles in allem wenigerals 20 Personen.“ Weil aber keine Hinweiseauf einen groß angelegten undsystematischen Angriff auf die Zivilbevölkerungvorlägen, sei die Zuständigkeitdes ICC nicht gegeben.Der Autor wagt die Prophezeiung,dass wir auch keine Ermittlungen imICC-Mitgliedsland Georgien wegendes mörderischen Blitzkriegs der georgischenStreitkräfte gegen die südossetischeZivilbevölkerung im August2008 erleben werden.Der ICC muss wegen aller dieserTatsachen als ein oberstes Kolonialstrafgerichtcharakterisiert werden,wo die herrschenden Mächte antikolonialistischeBestrebungen in denKolonien ahnden. Alles im Namender Menschenrechte und unter demDeckmantel demokratischer Strukturen,damit fortschrittliche Kräfteauf der ganzen Welt, die sich gegenKolonialismus und Krieg wenden,getäuscht werden und dieses Organnicht nur nicht bekämpfen sondernsogar gutgläubig unterstützen.3. Das Verhältnis der USA zumICCZur Sicherstellung dieser gutgläubigenUnterstützung wäre es kontraproduktivgewesen, wenn die USA alsaggressivste imperialistische Machtsich offen am ICC beteiligt hätten.Die angebliche Ablehnung des ICCdurch die USA ist in erster Linie einminutiös inszeniertes Theaterstück,das einzig und allein dem Ziel dient,dem ICC mehr Glaubwürdigkeit beifortschrittlich denkenden Menschenzu verleihen.Das Konzept der InternationalenStrafgerichtsbarkeit als Werkzeugzur Aushebelung des Völkerrechts istmaßgeblich in den USA entwickeltworden. Die USA üben die meisteKontrolle über die Arbeit des ICTY,ICTR und SCSL aus, (wie auch überdie Arbeit des „Sondertribunals fürden Libanon“ und der „AußerordentlichenKammern am Gerichtshof vonKambodscha“, von denen hier wegenihrer Besonderheiten nicht dieRede war).Am 31. Dezember 2000 unterzeich-38


Herbst 2008Internationalesneten die USA noch unter der PräsidentschaftClintons das Statut vonRom. Clinton veröffentlichte am gleichenTag eine Erklärung, in der esheißt:„Mit der Unterschrift sind wir inder Lage, die Herausbildung des Gerichtshofszu beeinflussen, ohne Unterschriftwären wir es nicht. (...) Ichwerde meinem Nachfolger nicht empfehlen,den Vertrag dem Senat zur Beratungund Abstimmung vorzulegen,solange unsere grundlegenden Bedenkennicht ausgeräumt sind.“ Diese Bedenkenbestünden angeblich darin,dass der ICC amerikanische Soldaten,die sich in Auslandseinsätzen befinden,anklagen könnte. Nachdem dieStruktur und Funktion des ICC dargestelltworden ist, muss man fragen,ob Clinton wirklich so blöd gewesensein kann, zu glauben, dass dieses Organjemals gegen den Willen der US-Regierung handeln könnte, egal obdie USA das Statut ratifiziert habenoder nicht! Wir können sicher sein,dass weder Clinton noch sein NachfolgerBush den ICC derart falsch eingeschätzthaben.Am 6. Mai 2002 zog Präsident Bushöffentlich die amerikanische Unterschriftunter das ICC-Statut zurück.Ein pflichtschuldiger „Aufschrei“ gingdurch die Leitartikelspalten der Weltpresse.Niemandem fiel auf, dass Bushnur dem Rat seines Vorgängers gefolgtwar.Am 30. Juli 2003 verabschiedete derUS-Kongress das „Gesetz zum Schutzamerikanischer Truppenangehöriger“(American Service-Members’ ProtectionAct, ASPA), in dem beschlossen wird,die militärische Unterstützung fürLänder, die dem ICC beigetreten sind,sofern es sich nicht um enge Verbündetehandelt, einzufrieren, sowie „BilateraleImmunitäts-Vereinbarungen“(Bilateral Immunity Agreements, BIA)mit ICC-Mitgliedsländern zu schließen,in denen sich diese Länder allerdingshöchst unilateral verpflichten,keine US-Bürger an den ICCauszuliefern. Da das Gesetz den Präsidentenwörtlich ermächtigt, „jedesnotwendige Mittel anzuwenden, umdie Freilassung jedweder Person herbeizuführen,(...) die durch den InternationalenStrafgerichtshof, in seinemNamen oder auf sein Verlangen festgehaltenoder gefangen gehalten wird“,hat es den Spottnamen „Gesetz zurInvasion in Den Haag“ erhalten. ZurBegründung dieser Maßnahmen wirdim Gesetzestext unverhohlen ausgesprochen,dass amerikanische Truppenmitgliederdurchaus als Kriegsverbrecherangeklagt werden könnten,sowie allen Ernstes die Befürchtunggeäußert, dass der Präsident und anderehohe US-Politiker Ziel der Strafverfolgungdurch den ICC werdenkönnten. Wenn die Kongressabgeordneten,die das Gesetz ausgearbeitetund verabschiedet haben, daranwirklich glaubten, dann würde dieGesetzgebung der USA in der Handvon Hirntoten liegen. Dieses Gesetzist in Wahrheit nicht gegen den ICCgerichtet, sondern es hilft ihm vielmehr,seine Glaubwürdigkeit zu wahren,indem es ihm ein bequemes Alibifür seine Untätigkeit gegenüber denUSA verschafft.Nur sekundär können als Gründefür die vehemente US-amerikanischeAblehnung des ICC noch angeführtwerden:Erstens, dass die juristischen Strippenzieherder ICTY-, ICTR,- undSCSL-Prozesse aus den USA wieDavid Scheffer, Michael Scharfund William Schabas besonders imMilošević-Prozeß die Tücken dieserimperialistischen „InternationalenStrafjustiz“ kennen lernten, und einedirekte koloniale Strafjustiz forderten,wie sie mit dem „Irakischen Sondertribunal“Wirklichkeit wurde.Bild: flickr/Michael GalkovskyZweitens, dass durch die Nichtbeteiligungtatsächlich die direkte Kontrolleüber den ICC aus der Handgegeben und allein der EU überlassenwurde, was gewisse Konkurrenzängstenähren dürfte; insofern stellendie BIA, die schon mit mehr als 100Ländern abgeschlossen worden sind,vielleicht – abgesehen von ihrer Alibi-Funktion für den ICC – eine Art symbolischeLoyalitätsbekundung dar.Jedenfalls muss dem Glauben anBushs zur Schau gestellte „Angst“ vordem ICC als einem geschickten Täuschungsmanöverentgegengetretenwerden, das den Blick vom imperialistischenund kolonialistischen Wesendes ICC ablenkt.Das ICC-Statut ist die Keimzelleeiner globalen faschistischen„Rechts“ordnung, die sich hinter demRücken des bestehenden Völkerrechtsherausbildet. Der ICC muss daherenergisch bekämpft werden, genausowie das Konzept der „InternationalenStrafgerichtsbarkeit“ und die ganze„Menschenrechts“-Ideologie, die keinMenschenrecht auf Brot, Kleidung,Wohnung, Arbeit, Bildung und Kulturgelten lässt, sondern nur als propagandistischerDeckmantel für die räuberischenMächte dient, die uns vonTag zu Tag dem Dritten Weltkrieg einStück näher bringen.Sebastian Bahlo39


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Harte ZeitenDer Einbruch der WeltwirtschaftNachdem der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre an der Mehrheitder Bevölkerung vorbeigegangen ist, folgen nun erst Inflation, dannhöhere Arbeitslosigkeit. Die Weltwirtschaft befindet sich in einem deutlichenEinbruch.Vor einem Jahr, kurz nach dem Ausbruchder Finanzkrise im Sommer2007 haben wir, damals noch in denbruchlinien, erklärt, dass eine Rezessionunausweichlich wäre. Zumindestin den USA. Nach einem Jahr hiernun der erneute Versuch den Zustandder Weltwirtschaft aufzurollen:Nach der kurzen US-Rezession Anfangdes Jahrtausends ist die Weltwirtschaftin eine Phase sehr rascherExpansion eingetreten. Gerade dieletzten drei Jahre waren von außergewöhnlichhohen Wachstumsratengekennzeichnet (jeweils über fünf %),Werte, die seit 30 Jahren nicht mehrzu beobachten waren. Dieser Eindruckverstärkt sich noch, wenn manbedenkt, dass die Schwerpunkte derExpansion, Indien und China, in derSpätphase des Zyklus auch Russlandund die Erdöl produzierenden Länderwaren, die ein verhältnismäßig geringesGewicht in der Weltwirtschaftaufweisen, wenn ihre Wirtschaftsleistungin Dollar berechnet wird. (Chinaentspricht dann in etwa Deutschland,Indien und Russland in etwa Kanada).Ein solches Maß täuscht ein wenig:China verbraucht ein Drittel derWeltproduktion an Stahl und 40 %des Zements.Die Expansion hat zu einer nachhaltigenHausse der Rohstoffpreisegeführt, am auffälligsten wohl beimÖl, das sich 2005 von der Marke von25 Dollar gelöst hat und im Frühjahr2008 in der Spitze auf 147 Dollargestiegen ist (getrieben wohl auchvon exzessiver Spekulation). AndereRohstoffe sind gefolgt: Agrarprodukte,Stahl, Industriemetalle, zuletzt auchdie Kohle – und haben auch damitverbundene Produkte in die Höhe gerissen,etwa Frachtraten für den Roherztransport,oder die Charterratenfür Schiffe für die Erdölexploration. Stefan Hirsch, Das Wachstum der Oligarchen,Zum Zustand der kapitalistischenWeltwirtschaft bruchlinien 2007, Nr. 21.(Die Ölindustrie investiert heute etwadoppelt so viel in das Auffinden neuerÖlfelder wie noch 2003, weil dieKapazität der spezialisierten Schiffeund geologischen Teams aber nicht soschnell erweitert werden kann, wirdkaum mehr nach Öl gesucht als vorfünf Jahren. Nur die Preise der entsprechendenDienstleister haben sichverdoppelt.)Noch im Frühjahr 2008 kann manbei oberflächlicher Betrachtung derZahlen glauben, dass die Weltwirtschaftnach einem seit Jahrzehntenbeispiellosen Boom eher mit einerÜberhitzung zu kämpfen hat, als miteiner Rezession: Chinas Wachstumliegt 2007 über elf %, und Russlandrevidiert seine Wachstumsprognosennach oben. Ein scharfer Anstiegder Inflation wird von den Rohstoffpreisenbefeuert, Richtung vier % inden Industriestaaten, in den USA einbisschen mehr, und Richtung 10 % inden Schwellenländern. Es fehlen auchnicht die typischen Zeichen der Hybrisin der Spätphase einer solchenÜberhitzung: Etwa größenwahnsinnigeTourismus- und Airlineprojektein Dubai (die angeblich der Diversifizierungder Wirtschaft dienen undtatsächlich am Tropf der Petrodollarshängen). Oder die Idee, das höchsteGebäude der Welt in Riad zu errichten(wo die wirtschaftliche Rechtfertigungeines Hochhauses einzig im hohenBodenpreis liegen kann – dennPlatz gibt es in der arabischen Wüsteeigentlich reichlich). Dazu eine aufden ersten Blick extrem lockere Geldpolitik:Die US-amerikanische Notenbankverschenkt Geld, ihr Leitzinssatzliegt mehr als 2 % unter derInflationsrate, negative Realzinsengibt es aber auch in Ländern Osteuropas(Tschechien), in Lateinamerikaund Asien. In der Eurozone beträgtder Leitzinssatz real etwa einen Viertel%punkt. Noch einmal: oberflächlichesBetrachten dieser Zahlen deutetauf eine überhitzte Weltwirtschaft,mit einer Inflationsrate, die möglicherweisegleich außer Kontrolle gerät– weil die Notenbanken nicht gegensteuern.Tatsächlich ist der Boom allerdingszu Ende: Seine Grundlagen brecheneine nach der anderen zusammen wieDominosteine. Die Rezession in denUSA ist mittlerweile Realität, weitereLänder werden folgen.Boom and BustWenn man sich ein etwas vereinfachtesBild der Weltwirtschaft bis indas Frühjahr 2007 ansieht, dann ergibtsich folgender Eindruck: Ein wesentlicherTeil der weltweiten Nachfragekommt aus einer US-amerikanischenKreditblase – aus der in der Folge dieLuft entweichen wird.1. Eine Immobilienblase aus hoherKreditvergabe, steigenden Hauspreisenund in der Folge weiter steigendenHauspreisen und neuenKrediten treibt den Konsum rasendvoran, natürlich auf Kosten der Ärmeren,die keine Häuser besitzen.Die Hauspreise in den USA sind seit1997 etwa um das 2,5-fache gestiegen,in Großbritannien um das dreifache.Seit dem Jahr 2000 sind die Kreditean Private (also die Schulden privaterHaushalte) in den USA um 80 % gestiegen,in Großbritannien um 125 %und in Spanien um mehr als 250 %.Bereinigt um steigende Einkommenund Geldentwertung sind die Zahlenzumindest für die USA weniger schockierend,aber es bleibt ein deutlicherAufbau privater Verschuldung. In denUSA (aber auch in Großbritannienoder Spanien) expandiert der privateKonsum praktisch hemmungslos undkreditgestützt. Bei einer Sparquotevon null bis ein % müssen gigantischeMengen Kapital importiert werden,um Investitionen zu tätigen und Immobilienkreditezu geben. Interessantist dabei allerdings der Hintergrundder Kreditblase, das billige Geld. Dieletzten Jahre waren eine Phase außergewöhnlichniedriger Zinssätze, welchewiederum durch äußerst niedrigeInflationsraten ermöglicht wurden.40


Herbst 2008Bild: flickr/François-RocheInternationalesUnd deren Hintergrund ist wiederumeine praktisch global sinkendeLohnquote, der Angriff auf den Lebensstandardbreiter Massen. SinkendeLöhne ermöglichen niedrige Preise.Niedrige Preise ermöglichen niedrigeZinsen. Niedrige Zinsen führen zurKreditexpansion – was freilich dannzum Problem wird, wenn die Überschuldungeintritt.Der rasch steigende Privatkonsum,gemeinsam mit der Verlagerungindustrieller Arbeitsplätze in dieSchwellenländer, hat dann für einengewaltigen Importsog gesorgt. EinUS-Leistungsbilanzdefizit von zuletztüber 700 Milliarden Dollar ist die Folge– doppelt so hoch wie zu Beginndes Booms im Jahr 2003.2. China (und mit ihm eine Reiheanderer Schwellenländer) kann denamerikanischen Konsum voll nützen,exportiert am Ende etwa zehn % seinesBIP direkt in die USA, ein großerTeil des Rests wird von gigantischenInvestitionen getragen (welche, ähnlichwie der US-Konsum, auch aufsehr billigem Geld beruhen.) Das Exportwachstumist die Lokomotive derrasenden chinesischen Konjunktur,die ihrerseits die Rohstoffpreise in dieHöhe treibt und damit rohstoffproduzierendeVolkswirtschaften mit in dieHochkonjunktur reißt.3. 2006, relativ spät und auf Grundder restriktiven rot-grünen Finanzpolitikausschließlich vom Außenhandelgetragen, erreicht der Aufschwungdann Deutschland. Deutschland bautdie Maschinen, die das Zeug produzieren,das die Amerikaner konsumieren.Sehr vereinfacht. Der japanischeFall ist übrigens ähnlich.Das konnte so nicht ewig gut gehenund bald ist der Zeitpunkt gekommen,als die ersten Investorenob der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerim US-Immobilienmarkt und derNachhaltigkeit der explosiven HauspreisentwicklungSorgen bekamen.Die ersten Mittel fließen ab, und diesteigenden Hauspreise, einer der wesentlichenGründe für die Kreditexpansionin den USA, beginnen schon2006 zu stagnieren, um dann langsamzu sinken. Im Sommer 2007 lassenZahlungsausfälle und sinkende Preisedann den Markt für Anleihen ausUS-Hypothekarkrediten zusammenbrechen.Dabei sind die tatsächlichenZahlungsausfälle gar nicht das Hauptproblem(diese summieren sich bisjetzt auf 50 bis 80 Milliarden Dollar),sondern die zusammengebrochenenSekundärmärkte für Kreditderivate.Die Risikoneigung der Investorenschlägt um, Kredite verknappen sich,Anschlussfinanzierungen für auslaufendekurzfristige Schuldpapiere sindnicht mehr verfügbar.Im Juli 2008 war Merrill Lynch gezwungen,einem Hedgefonds ein Kreditpaketzu verkaufen, für das man22 Cent für den Dollar erhalten hat.Das ist die Finanzkrise: Nachdem ineine überhitzte Wirtschaft BillionenDollar Kredit getrieben wurden (wasden überhitzten Privatkonsum erstermöglicht hat), wird einer sich rapideabkühlenden Wirtschaft genaudann die Kreditlinie entzogen, wennsie am nötigsten wäre. Eigentlich einalter Hut: Finanzmärkte verstärkenkonjunkturelle Trends. Global deregulierteFinanzmärkte offensichtlichnoch mehr.Der US-Konsum sinkt seit Ende2007, weil keiner mehr Geld borgtund im vierten Quartal 2007 ist dieUS-Wirtschaft geschrumpft. Im Restder Welt hatte die Expansion genugImpuls, um noch eine Zeit lang alleinezu laufen, während haufenweiseüberschüssige Liquidität (die Kreditmärktewaren ja wegen fallenderPreise keine besonders attraktive Investitionsgelegenheit)in die Rohstoffmärktegeflossen ist, um eine letzte,aber um so massivere Rallye einzuleiten.Die US-Wirtschaft konntesich durch massiv expandierende Exporte(wegen des gefallenen Dollarauf monatlicher Basis etwa 30 Milliardenmehr, bei gleichzeitig schrumpfendenImporten) über Wasser halten.Es war die Rede vom de-coupling, vomAbkoppeln der Weltwirtschaft vonder US-Konjunktur, vom Ende desDollars als Weltreservewährung undimmerwährender kontinentaleuropäischerProsperität unter der weisenFührung Angela Merkels. Irgendwannim Juni 2008 hatte die Weltwirtschafteinen Jack Coyote-Moment: Ähnlichdem dümmlichen Wolf, der einerEnte namens „Roadrunner“ über eineSchlucht hinterherläuft, stellt sie fest,dass sie eigentlich keinen Boden unterden Füßen mehr hat – und fällt. OhneUS-Konsum keine Weltkonjunktur:Die chinesischen Exporte sinken be-41


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>reits, die Aufträge der deutschen Kapitalgüterindustriebrechen ein, dieArbeitsmärkte drehen, Rohstoffpreisekorrigieren massiv nach unten. Undschließlich wird die US-Exportindustriefeststellen, dass die Handelspartnerkaum noch wachsen. Dann fälltdie letzte Stütze der US-Wirtschaftund wir haben eine volle Rezession –falls es diese nicht sowieso schon gibt.Die US-Arbeitsmärkte sind bereits inder Rezession, die Hauspreise von ihremHöchststand real um etwa 20 %gefallen, das BIP Ende 2007 schongeschrumpft. Die aktuellen (besseren)Wachstumsraten sollte man erstglauben, wenn sie in einigen Monatennach unten revidiert werden.Überschuldung und Deflation?Wie tief wird der Fall? Das lässt sichnatürlich nicht mit Sicherheit beantworten,aber: Eher tief. Ein möglichesSzenario ist eine ganze Reihevon wichtigen Volkswirtschaften(USA, Großbritannien, Spanien, Irland,aber auch eine Reihe osteuropäischeLänder) in einer Falle aus Überschuldungund Deflation, ähnlich derjapanischen seit dem Anfang der 90erJahre. Wie ist das zu verstehen? Diegesteigerte Kreditvergabe der letztenJahre wurde durch steigende Vermögenswertemehr als aufgewogen. Ein200 000 Euro Kredit stellt kein sogroßes Problem dar, wenn das damitgekaufte Haus 300 000 Euro wert ist– im Gegenteil, man kann sogar argumentieren,dass steigende Vermögenspreisemehr Geld und Kredit erforderlichmachen, um die Vermögenswertehandelbar zu halten. Der 200 000Euro Kredit wird aber zu einem Problem,wenn die Vermögenswerte zusinken beginnen, und gleichzeitig dasEinkommen fällt. „Negative Equity“heißt das dann, die Schulden übersteigendas Vermögen. Ein Teufelskreiskann entstehen: Sinkende Vermögenspreise,Überschuldung, ausfallendeKredite, Banken in Schwierigkeitenund daher weitere Kreditverknappung,Notverkäufe zu einem Zeitpunkt,zu dem niemand kaufen will,und damit weiter sinkende Vermögenspreise.Die Kreditverknappungstürzt dann nicht nur die Finanz-,sondern auch die Realwirtschaft inZahlungsprobleme, zum fehlendenPrivatkonsum kommen dann nochUnternehmenszusammenbrüche undInvestitionszurückhaltung. Die Gesamtnachfragekontrahiert, die Preisefallen (Deflation). Sollten die Preisebeginnen nachzugeben, ist auchdie Notenbank nur mehr schwer inder Lage, die Geldpolitik weiter zu lockern(mehr Kredite in die Wirtschaftzu pumpen, um Nachfrage und Vermögenspreisezu stabilisieren), weil siedie Leitzinsen nicht unter die Markevon null Prozent senken kann.Angesichts derzeit hoher Inflationsratenerscheint die Idee einer Deflationetwas abwegig. Man kann aberdurchaus argumentieren, dass fürdiesen Fall nicht die allgemeine Inflationsrate,sondern eher die Kerninflationsrate(ohne Energie und Lebensmittel)relevant ist. Diese zeigtdie Preissetzungsmacht inländischerAnbieter und ist viel niedriger. Einechter Kollaps der US-Wirtschaftwürde übrigens die Rohstoffpreiseebenfalls kollabieren lassen.Oder doch kein Zusammenbruch?Wie wahrscheinlich ist dieses Überschuldungs-Deflations-Szenario?EineSammlung der Gegenargumente:Erstens: Blicken wir zuerst auf denAusgangspunkt, auf die Finanzkriseund den Immobiliensektor. Bisherwurden mehr als 500 Milliarden DollarVerluste der Finanzwirtschaft gemeldet(nicht nur in den USA), derGroßteil auf Derivate aus US-Hypothekarkrediten,aber auch auf Unternehmens-und Kreditkartenschulden.Nämliches findet in Großbritannienstatt, dessen Fall sehr ähnlich gelagertist, nur kleiner. Die tatsächlichen Zahlungsausfälleliegen aber bei nur maximal80 Milliarden. (Zahlungsausfällebei Unternehmen hat es noch kaumgegeben, weder in den USA, noch inEuropa, allerdings werden wohl zumindestein paar Fluglinien und wenigstenseiner der drei US-Autobauerzusammenbrechen.) Die gigantischenVerluste des Finanzsystems entsprechenbisher also erwarteten Zahlungsausfällen(nicht tatsächlichen) und einerallgemeinen Kreditverknappung(der man durch mehr Zentralbankgeldbegegnen könnte).Wichtig ist obendrein, wie weit dieImmobilienpreise noch fallen werden.Ohne Zweifel kann man sagen, dassdie japanische Immobilienblase vomEnde der 80er Jahre bis zu ihrem Platzenweit irrationalere Bewertungen erzeugthatte (mit einem durchschnittlichenJahreseinkommen konnte manin Tokio gerade vier QuadratmeterWohnraum kaufen) und von einerBlase am Aktienmarkt begleitet war.Demgegenüber ist die Bewertungamerikanischer Immobilien sehr moderat.(Für Spanien oder Irland lässtsich das nicht sagen, dort wird eine katastrophaleRezession nicht zu vermeidensein.) Nach einer überschlagsmäßigenRechnung wäre nach weiteren15 % Preisverfall (20 % sind die Preiseschon zurückgefallen) ungefähr dasNiveau von 1997 – vor dem Boom –erreicht (modifiziert um Wirtschaftswachstumund Geldentwertung). Dasentspricht nicht ganz den 16 Jahrenfallender Immobilienpreise in Japan.Es kann aber eintreten, dass die Preisenach unten überschießen – wir sindnicht in der Lage, die genauen Auswirkungenauf die entsprechendenKreditpakete vorherzusehen.Von großer Wichtigkeit ist aber einweiterer Unterschied zu Japan: Demjapanischen Bankensystem wurdenalle Rettungslinien entzogen – dieUSA ist jedoch das Zentrum der Welt.Das Bankensystem hat Kapitalerhöhungenvon mehr als 400 MilliardenDollar durchgebracht (europäischeBanken sind hier mitgerechnet).Staatsfonds aus Kuwait, Singapur undDubai, Versicherungen aus China …sie alle pumpen Geld hinein. Die FinancialTimes hält sie deshalb für etwasnaiv, aber es ist wohl gefehlt, demultraprofessionellen Staatfonds ausSingapur derartigen Kretinismus zuunterstellen, nicht zu wissen, dassman hier Geld verlieren wird. Es isteine politische Entscheidung, die US-Banken zu retten. Ein völliger Zusammenbruchdes Finanzsystems mussverhindert werden und es ist keine zugewagte Annahme, dass China, wennnötig, auch seine gigantischen Dollarreserven(1,3 Billionen) einsetzen wird.Wenn der Dollar völlig zusammenbricht,wären sie ohnehin wertlos.Ebenso auffällig ist der feste Willeder Regierungen, keine einzige wesentlicheBank zusammenbrechen zu42


Herbst 2008Internationaleslassen. Die britische Northern Rockwurde samt ihrer Schulden verstaatlicht(womit natürlich die Allgemeinheitfür die Exzesse der Spekulantenbezahlen muss), die amerikanischenHypothekenfinanzierer Fannie Maeund Freddie Mac werden wohl ebenfallsverstaatlicht oder mit Hilfe gigantischerstaatlicher Garantien gerettet.Man kann davon ausgehen: der aufgeblähteBankapparat wird schrumpfen,das Bonanza in der LondonerInnenstadt ist vorüber, aber das Finanzsystemwird überleben und inder Lage sein, eine neue Kreditexpansionabzuwickeln. Ob das schnellgenug passiert, um Überschuldungund Deflation abzufangen, ist natürlichfraglich. Gerade die EuropäischeZentralbank macht wenig Anstaltendie Geldpolitik zu lockern, durch dieKreditverknappung sind die Zinsenfür Haushalte und Unternehmen sogardeutlich gestiegen – für die spanischeoder irische Volkswirtschaftist das der Todesstoß und der Beginneiner jahrelangen Rezession. Für dieWeltkonjunktur sind Spanien oder Irlandallerdings nebensächlich.Zweitens, US-Leistungsbilanz: SeitEnde 2006 steigt der Wert der US-Importe real nicht mehr, währenddie Ausfuhren zulegen, das Leistungsbilanzdefizitschrumpft, wenn auchlangsam. Das Defizit der Handelsbilanzliegt im zweiten Quartal 2008 immernoch bei etwa 60 Milliarden proMonat, statt bis zu 75 vor zwei Jahren.Die Inflation mitbedacht, ist das immerhinetwa ein knappes Viertel weniger.Allerdings hat sich die Strukturdes Leistungsbilanzdefizits geändert:Im Juni hat die Erdölrechnung 44Milliarden ausgemacht, zu (viel niedrigeren)Ölpreisen von 2005 wäre dasDefizit daher nur mehr knapp 30 Milliardenpro Monat und zu Preisen vonMitte August 2008 etwa 50 Milliarden.Immer noch sehr viel, vor allem in einerRezession. Aber nach Jahrzehntender Deindustrialisierung braucht esauch Zeit die Exportindustrie neu aufzubauen.Insgesamt kann man mit gewisserVorsicht davon ausgehen, dassder Dollar nicht völlig verfallen wird.Einzelne Stimmen hatten ja von Euro/Dollarkursen von 2,50 Dollar für denEuro gesprochen, was einem Zusammenbruchder Weltwirtschaft gleichkommenwürde.Drittens: Als nächstes Element sehenwir mittlerweile einen Rückfall derRohstoffpreise, typisches Zeichen einerRezession, aber auch ein stabilisierendesElement, weil mittelfristig dieInflation gebremst und der Privatkonsumgestärkt wird. Und sollte sich dasErdöl bei 80 bis 120 US-Dollar stabilisieren,ist auch nicht damit zu rechen,dass die Nachfrageimpulse aus denÖlexportländern zurückgehen. Solltendie Energiepreise tatsächlich wegeneiner schwerwiegenden Angebotsverknappungso hoch sein (was einigeglauben), dann kehrt sich dieses Argumentum. (Ölpreise von 200 Dollarkönnen von Saudi-Arabien ohneInflationsgefahr nicht mehr aufgenommenwerden. Die Gesamtnachfrageder Weltwirtschaft verschiebtsich nicht an den Golf, oder nach Russland,sie bricht einfach weg, weil denÖlkonsumenten das Geld fehlt, unddie Produzenten nicht wissen wohindamit.) Uns scheinen die Preissteigerungenallerdings zu großen Teilennachfragegetrieben – als Resultateines jahrelangen Booms. Dafürspricht der Gleichschritt der Preissteigerungenaller Rohmaterialien. DieÖlverknappung kann höhere Kohlepreiseoder steigende Lebensmittelpreiseerklären (über die Biotreibstoffe),nicht aber teureres Roherz oderBauxit.Viertens: China. Deregulierte globaleFinanzmärkte wirken prozyklischund werden den Abschwung verstärken.Nur, Chinas Finanzmarktist nicht dereguliert und die Bankenwurden in den letzten Jahren zu hoherReservehaltung gezwungen. Voneiner Überschuldung der Privathaushaltekann man keineswegs sprechen,die Staatsbetriebe sind überschuldet,aber das staatliche Bankensystem wirdniemals mitten in der Krise die Kreditlinienkappen. Bei einem deutlichenAbschwung wird der Staat im Gegenteilanweisen, die Kreditvergabe zuverstärken und das eigene Budgetdefizitausweiten. Schon während derAsienkrise hat China die Überlegenheitrobuster Staatsintervention überdie Rezepte liberaler Dogmatiker bewiesen.Ein Zusammenbruch der chinesischenWirtschaft steht daher nichtauf der Tagesordnung.Fünftens und am wichtigsten: Profitratenwie Unternehmensgewinnekommen zurück, sind aber nach wievor sehr hoch. Ein Jahr nach dem Ausbruchder Finanzkrise hat es außerhalbdes Finanzsektors noch keineneinzigen größeren Unternehmenszusammenbruchgegeben, Unternehmenwie Wal Mart melden sogar Rekordgewinne.Ungewöhnlich für eineWeltwirtschaft, die aus einer Situationder Überhitzung recht frontal gegendie Wand gefahren ist, auch wenndie Zusammenbrüche sicher nochkommen werden. Weiters fehlen diegroßen Überkapazitäten, die etwa denBeginn der großen Weltwirtschaftskrisegekennzeichnet haben. Diesesind sektoral, etwa im Finanz- undim Bausektor (nicht überall), in derAutomobilindustrie (nicht überall)oder vielleicht bei Halbleitern. AndereBereiche haben aber immer nochKapazitätsengpässe – etwa die Energiewirtschaft.Die wirkliche Grundlageder Expansion der kapitalistischenWeltwirtschaft seit dem Beginn der90er Jahre scheint nach wie vor aufrecht:eine auf dem Rücken der Beschäftigtenwieder gewonnene Profitabilität.Der Aufschwung ist an derMasse der Bevölkerung vorbeigegangen,der Abschwung wird jetzt doppelttreffen.Das ergibt unter dem Strich ein vorläufigesFazit: Die Folgen der Kreditkrisesind gewaltig und keinesfalls bewältigt.Den totalen Zusammenbruchhalten wir aber für unwahrscheinlich.Auf der Grundlage der in den letztenJahrzehnten gewaltig gesteigerter Ausbeutungwird sich die Weltwirtschaftfrüher oder später in die nächste Kreditblaseretten können.Stefan Hirsch43


Internationales Intifada Nr. <strong>26</strong>Wo soll das alles hinführen?Eine Skizze der globalisierten WeltwirtschaftWir treffen ein paar Annahmen: global vollständig integrierte Industriegüter-und Agrarmärkte ohne Schranken (weder Zölle, noch Transportkosten,noch sonstige Hindernisse für das Zusammenwachsen von Märkten),sowie das Fehlen von Gewerkschaften oder staatlicher Regelung des Arbeitsmarktes.Das entspricht zwar nicht der Realität, aber der Bewegungsrichtungder Globalisierung, sowie den Träumen ihrer wirtschaftsliberalenEinpeitscher. Es entspricht den Zielen der neoliberalen „Reformer“.Es gibt mehr als 6 Milliarden Menschen.Knapp die Hälfte ist bäuerlicheBevölkerung, von diesen arbeiten nur10 % mit Hilfsmitteln der industrialisiertenLandwirtschaft, oder zumindestmit einfachen Maschinen. 60 %– mit Familien also vielleicht 1,5 Milliarden,bestellen ihre Felder in Handarbeit,wodurch sie nicht mehr alseinen Hektar pro Arbeiter bearbeitenkönnen. Ihre Erträge sind damitnach oben begrenzt, ihr Verdienst inden letzten Jahrzehnten, ungeachtetjüngster Preisanstiege, aber gesunken.Das, weil sie mit einer Agroindustriekonkurrieren müssen, in der ein Arbeiter300 Hektar bestellen kann undobendrein viel höhere Hektarerträgeerzielt. Diese Bauern leben in absoluterArmut. Wann werden sie ihrenBetrieb aufgeben, nach anderer Arbeitsuchen und in ein städtisches Elendsviertelumziehen? In dem Moment, indem man mit unqualifizierter Arbeitin der Stadt mehr verdienen kann.Etwa eine Milliarde hat diesen Schrittbisher unternommen und lebt in städtischenSlums.Wir hätten jetzt den Verdienst fürunqualifizierte Arbeit in unserer globalisiertenWelt gefunden: Er entsprichteinem bäuerlichen Kleinstbetrieb,ohne Maschinen, mit etwaeinem Hektar pro Beschäftigtem.Würde er längerfristig über diese Markesteigen, werden so lange zusätzlicheBauern aufgeben und das Arbeitsangeboterhöhen, bis die Einkommenwieder gefallen sind.Höher qualifizierte Arbeit (etwain der Industrie) wird natürlich besserbezahlt, aber es wird eine gewisseAufwärtsmobilität der Arbeitskräftegeben. Der Verdienst eines Industriearbeiterskann sich nur dann deutlichund dauerhaft von jenem einesarmen Bauern abkoppeln, wenn dieeinfachen Industriebeschäftigten vorKonkurrenz durch ehemals bäuerlicheArme geschützt werden (durch Gewerkschaftenoder staatliche Eingriffe,die wir aber zuvor ausgeschlossen haben),oder wenn der Industriesektorin solcher Geschwindigkeit wächst,dass die Möglichkeit der nicht Qualifiziertengewisse Basisfähigkeiten zuerwerben, überfordert wird. (DieserFall ist gerade in China eingetreten,die Löhne an der Küste steigen jetztdeutlich – allerdings flüchten die Betriebein das Landesinnere oder nachVietnam). Ein solches Wachstum wirdnicht dauerhaft möglich sein.Selbiges Modell kann man jetzt fürjede weitere Stufe der Qualifikationannehmen. Geringer Qualifiziertekönnen sich höher qualifizieren unddamit für zusätzliches Angebot aufden jeweiligen Arbeitsmärkten sorgen.Ein indischer Programmierer verdientweniger als ein amerikanischer.Es wäre lächerlich anzunehmen, dasssich der Markt qualifizierter Arbeitskräftevöllig vom Einkommensniveauder nicht Qualifizierten abkoppelnkann. Wenn man sich dieses Modellam Beispiel Indien durchdenkt, dannwird klar, warum Lohnabhängige –auch bei höherer Qualifikation – soschlecht verdienen. Im WesentlichenBild: flickr/Vredeseilanden44


Herbst 2008Internationaleshaben Entwicklungstheorien schonin den 60er und 70er Jahren diesesModell für die Erklärung niedrigerEinkommen etwa in Lateinamerikaverwendet.Wir gehen einen Schritt weiterzu den global integrierten Märktenfür Industriegüter und handelbareDienstleistungen (call-center, Buchhaltungfür große Firmen, Softwareentwicklung…): Auch ohne jedeWanderungsbewegung, nur über dieExportindustrie, werden jetzt Preiseinternational vereinheitlicht, handelbareGüter müssen in China dasgleiche kosten wie in Österreich.Modifiziert um unterschiedliche Produktivitätmüssen sich daher auch dieEinkommen der Beschäftigten im Bereichhandelbarer Güter angleichen(oder nach unten anpassen) – undvon dort wird das Lohnniveau aufdie restliche Wirtschaft weitergegeben(die nicht handelbare Güter herstellt,etwa Lehrer oder Friseure), daLohnunterschiede Beschäftigte dazubewegen werden, sich einen anderenJob zu suchen. Ein Friseur kann aufDauer nicht mehr verdienen als einIndustriearbeiter.Was ist die Aussage dieses Modells?Was ist der Referenzpunkt auch desLohnniveaus eines österreichischenLehrers bei vollständig integriertenMärkten? Was ist das unterste Niveau,das ein auf einem völlig freienMarkt ermittelter Lohn annehmenkann? Das ist der ärmste Bauerin Afrika, der gerade überlegt, ob ernicht doch unqualifizierte Arbeit inder Stadt annehmen sollte. Das giltso lange, bis etwa 1,5 Milliarden Bauernihre Existenz verloren haben, plusetwa 1 Milliarde Bewohner städtischerElendsviertel einen besseren Job gefundenhaben.Die getroffenen Annahmen sind inder Realität nicht zu halten, Märktesind nicht völlig integriert. Dagegenstehen nicht nur staatliche Regelungen,sondern auch andere Hindernisse wieTransport- oder Logistikkosten, kulturelleProbleme... Und ein österreichischerLehrer verdient mehr als einKleinstbauer im Tschad. Das Beispielzeigt nicht die Realität, es zeigt dieschreckliche Kraft der Globalisierung,es zeigt den Traum der Oligarchie– denn die niedrigeren Lohnkostensind die höheren Profite der Kapitalbesitzer.Ist unser Beispiel vereinbarmit kapitalistischer Prosperität undWachstum? Sicher! Wachstum, beidem die Inflationsgefahr nur von derSeite der Kapazitäten der Rohstoffindustrieund der Transportsektorenkommt, nicht von Seiten der Lohnentwicklung.Und Wachstum, dessenNachfrageimpulse von der Seite derInvestitionsgüter und dem Luxuskonsumder Oligarchie kommt. Und seitensder einen oder anderen Kreditblase:die relativ sinkenden Lohnkostenhalten die Inflation niedrig, ermöglichenniedrige Zinsen, die ein um dasandere Mal neue Kreditexpansion anstoßenwerden.Das erinnert an die letzten Jahre:Der Aufschwung, der bei den Menschennicht ankommt. Die Inflation,die ihren Ausgangspunkt im Ölpreisfindet, nicht in der steigenden Lohnquote,und die EZB, die vor „Zweitrundeneffekten“warnt, die verlangt,dass die höheren Energiepreise ebenohne Lohnausgleich hingenommenwerden. Die Prosperität der deutschenMaschinenbauer, sowie der Luxuskonzerne– von Ferrari bis zu denSchweizer Luxusuhren. Und die amerikanische(und britische) Kreditblase,die durch die niedrigen Zinsen ermöglichtwurde.Die globalisierte Prosperität derOligarchie ist störungsanfällig, weilein Teil der Gesamtnachfrage von einerständigen Kreditexpansion abhängigist, die immer wieder ins Stockengeraten wird. Die globalisierte Prosperitätist krisenanfällig, aber möglich.Nur wären wir gerne nicht dabei.Der totale Freihandel geht auf Kostender Lohnabhängigen – die Interessender Mehrheit gebieten eineWirtschaft, in der völliger Freihandelnur zwischen Ländern von sehrähnlichem Entwicklungsstand stattfindet.Statt völlig freiem Handel benötigenwir die freie Weitergabe vonTechnologie und Wissen. In der heutigenForm dient das Patentwesen nurden Monopolen der Großkonzerne.Statt einer entfesselten Agrarindustriebedarf es einer Landwirtschaftspolitik,die sich für die Einkommenund die Entwicklung der Kleinbauernund der Familienbetriebe einsetzt– in aller Welt. Und statt deregulierterund globaler Finanzmärkte und zyklischerSpekulationsblasen brauchtes ein staatliches Finanzsystem, dasExzesse verhindert und in Krisenzeitendie Finanzierung sichert unddas durch entsprechende KapitalverkehrskontrollenabsichertDas wäre ein reformistisches Minimalprogramm,die Pläne der Oligarchiegehen freilich in die andereRichtung: Totaler Freihandel. MehrPatentschutz (die USA sind geradedabei diesen auf 40 Jahre zu erhöhen).Agrarindustrie als Antwort auf die Ernährungskrise.Offene Finanzmärkte(im Augenblick wird hier Druck aufChina ausgeübt). Diese Forderungenkommen nicht von ungefähr, sie entsprechenden Interessen der globalenOligarchie. Um den oben dargestelltenAlptraum zu verhindern, wirdman dieser entgegentreten müssen.Stefan Hirsch45


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>Die EU in der KriseDas Scheitern des Lissabon-VertragesDie Europäische Union befindet sich heute in einer schweren Krise. Das„Nein“ der Iren zum Reformvertrag von Lissabon ist dafür vielleicht dasdeutlichste, aber keineswegs das einzige Zeichen.Dänemark 1994 – das stellt so etwaswie einen Wendepunkt dar. Damalswurde in einer Volksabstimmungder Vertrag von Maastricht von einerMehrheit der Dänen abgelehnt,was natürlich nicht verhindern konnte,dass nach ein paar Korrekturenund erneuter Abstimmung doch allesdurchgesetzt werden konnte. Dennochwar Dänemark 1994 das ersteMal, dass ein Schritt der EU-Integration,hinter dem sich die gesamtenEliten versammelt hatten, bei einerVolksabstimmung durchgefallen ist.Seither bedeutet jede weitere Rundeder Vertiefung ziemliche Schwierigkeitenfür die Regierungen: DieEuro-Einführung ist in Dänemarkund Schweden bei Volksabstimmungengescheitert. Abstimmung über dieEuro-Einführung in Großbritannien– von Labour versprochen, mangelsErfolgsaussicht niemals durchgeführt.EU-Verfassung – 2005 an den französischenund niederländischen Wähler/innen gescheitert. Modifizierte EU-Verfassung (Lissabon) – in Irland hängengeblieben.Erste Reaktion war es, auf Abstimmungenso weit wie möglich zu verzichten,oder wichtige Dinge in nurJuristen verständlichen Texten zuverstecken und auf diese Weise ohneBeachtung der Öffentlichkeit durchzumogeln.Das geht auf die Dauernicht gut, weil keine Hegemonie inder öffentlichen Meinung hergestelltwerden kann, und erntete auch beständigeGegenstimmen aus dem Establishment:„Die Politiker mögensich endlich offen zu Europa bekennen“.Am Beispiel Österreich: Fastheimlich wurde schon in den 90erJahren ein Paragraph in die Verfassungaufgenommen (§23f), der Kampfeinsätzedes Bundesheers im Rahmenvon EU-Militärmissionen ermöglicht.In der Realität fällt der Bundesregierungjeder Militäreinsatz politischschwer. Um Soldaten in den Tschadzu schicken, musste gelogen werden,dass sich die Balken biegen (Flüchtlingeschützen, humanitäre Aufgaben…),ein offener Kampfeinsatz ist– zum Glück – noch nicht durchsetzbar.In diesem Frühjahr hat schließlichdie Ratifizierung des Vertrags vonLissabon ohne Volksabstimmung fürerhebliche Schwierigkeiten gesorgt:Abertausende Demonstranten, eineöffentliche Meinung, die völlig gegendie EU gekippt ist – und schließlichein sozialdemokratischer Bundeskanzler,der der Anti-EU-Stimmunggewisse Zugeständnisse machenmusste und eine Volksabstimmungversprochen hat. Natürlich nur für das„nächste Mal“, hoffend, dass sich bisdahin ein Hintertürchen auftun wirdAber immerhin war das der Auslöser,über den die Regierung gestürzt ist.Die Situation ist offensichtlich: DieEU wird mehr und mehr zu einemProjekt der Eliten, große Teile der Bevölkerunglehnen jede weitere Integrationab. Mehr noch, sie haben jedesVertrauen in das Establishmentverloren. Die irische Ja-Kampagne(Regierung, praktisch alle Parteien,Gewerkschaften, Bauernverbände…Bild: pixelio.de/Schmutteltatsächlich das gesamte Establishment)erklärte, dass der Vertrag vonLissabon sehr kompliziert sei, aber dieExperten sich ihn angesehen und fürgut befunden haben. Wer dagegenist, ist nicht nur politisch im Unrecht,sondern ein Vollidiot, der die Wahrheitnicht erkennen will, die sich inBesitz der Eliten befindet. Und der seinengewählten Repräsentanten nichtvertrauen will.Die Nein-Kampagne hat mit demSlogan “If you don’t know, vote no”gewonnen. Nichts unterschreiben,wenn man sich nicht auskennt, keinVertrauen in die Eliten. Etwas gewählterausgedrückt, aber im Wesentlichenist das ein „geht’s alle scheißen“ andie Adresse des politischen Establishments.Mit Nationalismus hat dasganze wenig zu tun. Die österreichischeBevölkerung ist nicht gegenLissabon, weil sie Krieg mit Italienwill, sondern weil sie sich von derRegierung in Wien und Brüssel bevormundetfühlt und die EU (richtigerweise)mit einer Globalisierungverbindet, die der Mehrheit bis jetztwenig Vorteile brachte.Das ist der wesentliche Befund derVorgänge in diesem Frühjahr: Eineechte Hegemoniekrise der Eliten. EinVertrauensverlust in ein Projekt, dassoziale Kälte und Entdemokratisierungvermittelt. Ein bürokratischesMonster, dessen Entscheidungen völligundurchsichtig getroffen werdenund dessen Ziele nicht zu überzeugenvermögen. Vor großen Erschütterungenhat man dabei allerdings auchAngst. Ein Austritt aus der EU wirdvon großen Mehrheiten abgelehnt.Stefan Hirsch46


Herbst 2008EuropaOptionen für eine Opposition?Über das Linksprojekt in ÖsterreichMit Blick auf die Erfolge der deutschen Linkspartei hat sich in Österreichein Linksbündnis gebildet, das bei den vorgezogenen Nationalratswahlenam 28. September kandidiert hat. Hat sich auch in Österreich ein Fensterfür eine gesellschaftlich relevante Opposition angesichts der Krise derGroßparteien geöffnet?Sowohl SPÖ als auch ÖVP musstenbei den vorgezogenen Neuwahlendeutliche Verluste hinnehmen. DieSPÖ erhielt nur 29,71% der Wählerstimmen,die ÖVP sogar nur mehr25,61 %. Damit fuhren die beiden Parteienjeweils ihre schlechtesten Wahlergebnissein der gesamten ZweitenRepublik ein. Verschiedene Kommentatorenrechneten vor der Wahl damit,dass die Unzufriedenheit der Bevölkerungmit der großkoalitionärenPerformance unter Gusenbauer-Moltererdiesmal den Kleinparteien zugutekommen werde. Neben den vorhandenenParlamentsparteien tratenunter anderem der ehemalige Präsidentder Arbeiterkammer Tirol FritzDinkhauser, das Liberale Forum, dieKPÖ, die EU-kritische UnabhängigeBürgerbewegung „Rettet Österreich“und das Bündnis Linke an.Im Gegensatz zu den Wahlen in Italien,wo das Scheitern der MehrparteienkoalitionProdis zu einem deutlichemVotum für „klare Mehrheiten“zugunsten der dominanten Gruppender Mitte-Rechten (Berlusconis„Volk der Freiheit“) und der Mitte-Linken(Veltronis „DemokratischePartei“) führte und die „Regenbogenlinke“um Rifondazione Comunistaaus dem Parlament verbannte, hoffteman in Österreich, dass die Unzufriedenheitder Bevölkerung das politischeSpektrum erweitern werde. Aufden ersten Blick scheint dieses Szenariofür die Neupositionierung einerOpposition, welche die Isolation derLinken überwindet, also günstig undspricht für die Richtigkeit des Versuchs,sich im wahlpolitischen Spektrumzu positionieren.PessimismusZweifellos lassen sich – jenseits derneoliberalen Kritik des „Reformstaus“an der Gusenbauer-Regierung – einigekonjunkturelle und strukturelleSchwierigkeiten des kapitalistischenProjekts ausmachen.Schon Gusenbauers Regierungsantrittwar ein Schlag gegen die Glaubwürdigkeitdes politischen Establishments.Zu rasch und von einemmachttrunkenen Drang zur Regierungsbildungum jeden Preis getrieben,verkaufte die SPÖ alle Wahlversprechungen.Der Bevölkerung wurdein aller Deutlichkeit vor Augen geführt,dass die demokratische Stimmabgabein keiner Weise mehr ein Mittelzur Gestaltung des Landes darstellt,sondern nur zur Legitimation einerabgehobenen Elite, deren Souveränschon lange nicht mehr der Wählerist, sondern die kapitalistischen Sachzwängeund die Absicherung der eigenenPosition im erlauchten Kreis derneoliberalen Familie. Eine Art Camorraaus Politik und Wirtschaft.Mit der Durchpeitschung des EU-Reformvertrages und dem neutralitätswidrigenTschad-Einsatz desBundesheers zog sich die sozialdemokratischeSpitze bei zwei sensiblenThemen erneut den Unmut derBevölkerung zu. Das irische Nein-Votumzum Lissabon-Vertrag gab derbreiten sozialen Bewegung für eineVolksabstimmung in Österreich zusätzlichepolitische Relevanz. Um dieErosion der eigenen Wählerbasis zurFPÖ, der einzigen EU-kritischen Parlamentspartei,zu stoppen, versuchtenGusenbauer-Faymann über ihren offenenBrief in der Kronen-Zeitung imJuni die Notbremse zu ziehen. DasManöver dürfte jedoch nicht aufgegangensein. Zu unglaubwürdig undoffensichtlich durch Stimmenfangmotiviert war der Versuch, der ProfilierungStraches als EU-Oppositionetwas entgegenzuhalten.Der Anstieg der Lebenshaltungskostendurch den hohen Ölpreis begleitetvon überproportionalen Preissteigerungendurch den Handel verschärfteden Druck auf die unteren Einkommensschichten,die ohnedies schonüber Jahre zu den Verlierern der Entwicklungzählen und selbst in denZeiten der guten Konjunktur keineAussicht auf Besserung mehr haben.Die negativen Wachstumsprognosenverallgemeinerten den sozialen undwirtschaftlichen Pessimismus, sodass74 % der Österreicher 2009 mit einerweiteren Verschlechterung ihrer persönlichenSituation rechnen.… oder Krise?Der unübersehbare Unmut über daspolitische Establishment, der mehrheitlicheZukunftspessimismus undder soziale Abstieg von Teilen der Bevölkerungstellen das Szenario dar, indem sich das im Juli neu formierteLinksbündnis Chancen ausrechnet,eine soziale Alternative zu positionieren.Die Hoffnung gründet sich aufein Paradigma aus den Elementen„wirtschaftliche Krise“, „sozialer Protestder Arbeitenden“ und dem darausresultierenden Platz für eine linkeund sozialistische Kraft. „Die beginnendeKrise der Weltwirtschaft zeigtsich bereits in den Ankündigungen vonPersonalabbau. (…). Wir wollen nichtfür ihre Krise zahlen und müssen daherunsere Lebensgrundlage aktiv verteidigen.“(Wiener Programmentwurfder Linken).Die Frage, die sich unabhängig vonder Notwendigkeit des Linksprojektesund des zweifellos richtigen Versuchesseiner Positionierung als Alternativezu den Systemparteien bei Wahlenstellt, ist nun, ob dieses Paradigmastimmt, um so die Erwartungen, aberauch die politischen und organisatorischenAusrichtungen eines neuenProjektes richtig zu kalibrieren.Es lassen sich ohne Zweifel statistischeDaten sammeln, die zeigen, dassder österreichische Kapitalismus heuteungerechter geworden ist. So fiel derLohnanteil am Bruttoinlandsproduktvon einem Höchststand bei etwa 73 %Ende der 70er Jahre auf 60 % 2005,47


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>wobei der Fall zwischen 1995 und 2005in Österreich sogar signifikant höherwar als im OECD-Durchschnitt.Dies zeigt die Aufkündigung des sozialenKompromisses zwischen Kapitalund Arbeit, der den europäischenNachkriegskapitalismus besonders abden späten 60er Jahren prägte. Nichtmehr eine nach Ausgleich und Umverteilungstrebende soziale Marktwirtschaftist gesellschaftliche Zielstellung,sondern das Bestehen imglobalisierten Standortwettbewerbbei ständiger Drohung des Arbeitsplatzverlustes,Rückschraubung staatlicherSozialleistungen und Sicherheitenund dem daraus resultierendenenormen Druck auf den/die einzelne/n Arbeitnehmer/in.Bedeutet jedoch diese Amerikanisierungdes europäischen Kapitalismusmit Tendenz zur Zweidrittelgesellschafteine Rückkehr der Klassenkonfrontation,wie sie Westeuropa zumindestbis in die 50er gekennzeichnethat? Ist es eine Krise, welche die kapitalistischeNormalität und Stabilitätin absehbarer Zukunft durchbrechenwird (wie etwa während der argentinischenKrise von 1998 bis 2002, inder das wirtschaftliche Scheitern ineine tiefe politische Hegemoniekrisemündete)? Nein. Und zwar in ersterLinie deshalb nicht, da das ÜberrollenEuropas durch Neoliberalismus undGlobalisierung einher geht mit einer„amerikanistischen“ Umwälzung derpolitisch-kulturellen Verhältnisse undder Art und Weise, wie sich das kapitalistischeEstablishment seine Hegemonieüber die Gesellschaft absichert.Wäre Österreich von einer kleinen Elitean Superreichen beherrscht, deneneine Masse an Ausgeschlossenen gegenübersteht,beide Seiten in klarersozialer, kultureller, politischer undsogar territorialer Trennung – wiees die Arbeiterviertel der Zwischenkriegszeit,die Slums der Dritten Weltoder die Banlieues Frankreichs sind– so wäre die Aufgabenstellung füreine soziale Opposition eine leichtere.Es ginge ausschließlich darum, denobjektiven sozialen Gegensatz, vielleichtsogar seine bereits sichtbarenspontanen Ausbrüche auf der Straßeund in den Betrieben, zu organisieren.Doch die Wirklichkeit für einlinksoppositionelles Projekt ist leiderschwieriger.Klassengegensatz ohne kämpfendesSubjektDer soziale Absturz bringt sozialenZerfall statt Solidarität, individualistischeund perspektivlose Brutalisierungstatt gemeinschaftliches Bewusstsein.Auf der anderen Seite ist die Herrschaftdes Kapitals mehr als repressiveAbsicherung eines oligarchischenRegimes. Zwar ist das politisch-ökonomischeEstablishment – wie inden USA – mittlerweile eine „andereWelt“, völlig abgetrennt von der einfachenBevölkerung und trotz demokratischerWahlen entkoppelt von denBedürfnissen und Forderungen desVolkssouveräns. Die Führungsspitzendes neoliberalen Projekts, einer Kombinationvon Marktradikalismus und„westlicher Werteordnung“, sind eineOligarchie im wahrsten Sinne, die sichihre Vorherrschaft auch gegen Verfassungs-,Bürger- und Menschenrechtemit ausufernden Überwachungs- undpolizeilichen Befugnissen abzusichernbereit sind. Dennoch ist ihre Herrschaftsausübungkeine oligarchische,sondern trotz allem eine „demokratisch-hegemoniale“.Der Konsensder Alternativlosigkeit, die Angst vornoch weiterem Abstieg, der individualistisch-konsumistischeHoffnungsankerfür die Mittelschicht und diekulturellen Ersatzdrogen aus sinnentleertenEvents, Spaß oder Esoterik:Sie vermitteln die Dominanz eines bewusstneoliberalen und unbewusst neoliberalisiertenMehrklassen-Blocks.Diese weit verzweigte Herrschaft zudurchbrechen ist für eine neue systemoppositionelleBewegung eine wesentlichschwierigere Aufgabenstellungals es die bloße Organisierungund Weiterentwicklung eines permanentenWiderspruches zwischen derprofitierenden Oberschicht und denunterdrückten Unterklassen wäre. Esgeht um mehr als die „organische“ Politisierungeines „zugerechneten“ sozialenBewusstseins der Lohnabhängigen,das sie in objektiven Gegensatzzum Kapital stellt. Leider ist der gordischeKnoten kapitalistischer Herrschaftnicht so leicht zu durchtrennen.Es geht um die schwierige Aufgabeder Entwicklung einer Oppositionaus einer sozial, politisch und kulturellamerikanisierten Gesellschaft, mitMenschen, deren Bewusstsein unweigerlichvon den herrschenden Denkschematageprägt ist. Unter den Verlierernder neoliberalen Gesellschaftkönnen gleichzeitig immer wiederMomente des Ausbruchs aus dem hegemonialenBlock auftreten. „Seienwir realistisch, versuchen wir das Unmögliche“.So könnte man mit CheGuevara dieses Paradox benennen, dienotwendige Überwindung des menschenfeindlichenKapitalismus miteinem Subjekt zustande zu bringen,dessen Bewusstsein in ungeahntemMaße von den verkommenen, brutalisierendenund egoistischen Vorstellungender amerikanisierten Gesellschaftdeformiert ist.Soziale und politische FrageIst nun die „soziale Frage“ jener Bereich,in dem sich die meiste Sprengkraftverbirgt? Es läge nahe anzunehmen,dass die von jedem spürbarensozialen Verschlechterungen jenerKatalysator sind, der die Massen bewegt.Oder aber ist in der „sozialenFrage“, die immer die ökonomischeund Eigentumsfrage impliziert, derherrschende Konsens stark genug, umüber das Empfinden der Alternativlosigkeitunter den Betroffenen jede oppositionelleRegung zu ersticken? Istdamit die Idee der „sozialen Frage“ alsZentrum oppositioneller Arbeit mehrideologische Annahme – im Sinnevon Marx’ falscher Sicht auf die Realität– als konkrete Wirklichkeit gesellschaftlichenDissenses?Die traditionell-marxistische Annahmeder Organisierung der Oppositionausgehend vom Sozialen wird inmehrerer Hinsicht der heutigen Realitätnicht mehr in dem Maße gerechtwie zu den Hochzeiten der Arbeiterbewegung:zum Ersten ignoriert siedie erwähnte „amerikanisierte“ Formder entstehenden Zweidrittelgesellschaft,die kaum kollektives Widerstandsbewusstseinproduziert. ZumZweiten ist es nicht die Hoffnung aufsoziale Besserstellung, die Menschenzu einer Stimmabgabe für eine radikal-oppositionelleMinderheit bewegt,sondern die Glaubwürdigkeit ihresumfassenden Gegensatzes zum bestehendenSystem. Zum Dritten artikulierensich die unterschiedlichen48


Herbst 2008EuropaBild: Sebastian Barylisozialen Stellungen und Interessenin der Gesellschaft nicht notwendigerweisein ihrem scheinbar nächstgelegenenBereich, dem Kampf umdie (Um)verteilung des gesellschaftlichenReichtums. Vielmehr sind eshäufig kulturell oder direkt politischeKonflikte und Konstellationen, überdie sich die entgegengesetzten gesellschaftlichenPole ausdrücken, auchwenn der „Volksblock“ noch meilenweitdavon entfernt sein mag, voneinem raunzenden „Nein danke“ zueinem klar sehenden und als Subjektagierendem Gegenpol zu den Herrschendenzu werden.Die Forderung nach einer EU-Volksabstimmung, der Unmut überdie US-amerikanische Raketenstationierungin Polen und Tschechien,das Schimpfen auf eine verlogene abgehobenePolitikerkaste, die instinktiveGegnerschaft zu Globalisierungund Freihandel. All diese Bereiche desAlltagsbewusstseins der sozialen Verliererdes Neoliberalismus beinhaltenAnforderungen an die Linke, Antwortenauf strategische Fragen der Souveränität,Demokratie, Wirtschaftspolitikoder des Antiimperialismus inihrem Gegenmodell zu entwickeln.Hier verbindet sich der strategischeGegensatz eines Linksprojektes zu jenemder neoliberalen Elite mit einerkonkret vorhandenen und bewusstempfundenen Trennlinie zwischenOben und Unten. Globaler Freihandel,EU, westliches Wertebündnis mitden USA – diese Schützengräben derheutigen kapitalistischen Herrschaftwerden quer zu allen Systemparteienbis zur letzten Kugel verteidigt, währendsie für die Mehrheit unverständlichund inakzeptabel sind. Denn wodie einen profitieren, da haben die anderennur zu verlieren. In diesen momentanenBrüchen im herrschendenKonsens zwischen Unten und Oben,die aus den Streitfragen der Tagespolitikentstehen, steckt heute mehr antagonistischerDynamik als in sozialenFragen im engen Sinne.Große und kleine PolitikGilt es für die politisch-ideologischenGruppierungen marxistischen Hintergrundesim Linksprojekt die traditionellenIdeen eines Arbeiterklasse-Subjekts, seiner Formierung über die„soziale Frage“ und ihrer „organischen“Verknüpfung mit dem sozialistischenZiel vor den aktuellen Realitäten desKapitalismus neu zu überdenken, sogeht es bei der anderen wichtigenKomponente des Bündnisses, jenerder zivilgesellschaftlichen sozialen Bewegungenaus dem ÖsterreichischenSozialforum, um Überzeugungsarbeitüber die generelle Notwendigkeiteines umfassenden Projekts, dassich der politischen Auseinandersetzungauf allen Ebenen, inklusive derstaatlich-wahlpolitischen, stellt. Geradehier scheint noch einiges an Arbeitnötig, insofern als bisher die Einbindungzivilgesellschaftlich-sozialer Initiativennur bedingt gelungen ist.Ein Grund dafür dürfte in der heutigenForm kapitalistischer Herrschaftselbst liegen. Die zementierte Trennungder politisch-ökonomischen Elitevon der Bevölkerung sowie die Versteinerungdes neoliberalen Dogmasan der Spitze der sozialen Pyramidebei gleichzeitiger Nichtexistenz starkergesellschaftlicher Alternativideenan ihrer Basis hat zu einer Entfernungder sozialen Bewegungen vonden Sphären der „großen Politik“ geführt.Kam früher, wo Sozialdemokratieund Bürgerliche noch zwei gegensätzlichePole repräsentierten, derKampf um die großen Fragen der Politikaus der Mitte der Gesellschaft, undstellte ein organisches Ganzes von denkleinen Scharmützeln am Fußballplatzbis hin zu den Auseinandersetzungenim Parlament dar, so herrschtheute in der breiten Mitte der Gesell-49


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>schaft Konsens. Die Infragestellungdesselben kommt von den isoliertenRändern. Selbst wenn der Protest Dimensionenerreicht wie die millionenstarkenMärsche gegen den Irakkrieg,bleibt das Establishment davon unbeeindrucktund der normale Lauf derGesellschaft wird nicht durchbrochen.Zumeist fehlt der sozialen Bewegungdie kritische Masse, in jedem Fall dermediale und institutionelle Transmissionsriemen,um ihre Themen undVorschläge auf die gesellschaftlicheTagesordnung zu bringen.Im derzeitigen Moment bringt daseine schwer zu überwindende Verurteilungder sozialen Bewegungenzur „kleinen Politik“ themenspezifischerInitiativen in und für einenbeschränkten Kreis von Interessenten.Aber diese Situation wurde auch insofern„internalisiert“, als das Eindringenin die „große Politik“ als nichtmehr erstrebenswert angesehen wird.Das zivilgesellschaftliche Engagementwird „anti-politisch“. Oberflächlichkönnte man dem sogar zustimmen,angesichts der sozialdemokratischenund auch kommunistischen Erfahrungen,wo einstige Revolutionäreeinmal an der staatlichen Macht nichtmehr diese transformierten, sondernvon ihr zu konventionellen Machtpolitikerntransformiert wurden. Es gehtjedoch heute nicht um die tatsächlichungelöste Frage der Aufhebungvon Berufspolitikertum und Staat.Vielmehr ist die unmittelbare Überlebensfragefür die Linke ein Ausbrechenaus der Isolation, das Erreichenvon Kommunikation mit jener Mehrheit,die abseits der Kultur zivilgesellschaftlicherZusammenhänge und derReichweite ihrer besonderen Interessensgebietesteht. Es geht um daspunktuelle Aufbrechen des hegemonialenKonsenses und des diesen tragendensozialen Blocks.Was tun vor der Nicht-Aktualitätder Revolution?Die zermürbende Zeit des fehlendenMassenaktivismus ist noch langenicht überstanden. In absehbarerZeit wird Aktivismus und Engagementaus den kleinen sozialen Bewegungenkommen, denen der Zugangzur politischen Relevanz versperrt ist.Die große gesellschaftliche Unzufriedenheit,das derbe systemoppositionelleMurren der Menschen gegen EUund Politikelite, wird noch lange passivund vereinzelt bleiben, ohne Bereitschaftsich dem Kampf gegen dasEstablishment zu stellen. Zumindestnicht in jenen Formen, welche dieLinke immer als die ihren gesehenhat: Streiks, Demonstrationen, Komitees.Vielleicht ist der gesellschaftlichePessimismus aber im Wahl-Septemberbereit, die über Jahre eingepeitschteIdee der kapitalistischen Stabilität alsWert an sich zugunsten einer deutlichenProteststimme für die Kleinparteienzu ignorieren. Es ist zu hoffen,dass davon auch die Linke profitiert,denn es wäre ohne Zweifel ein Vehikel,um wie in Deutschland, zu einem– unangenehmen – „Mitspieler“ inder großen Politik zu werden. DieWahlteilnahme ist damit mehr als nureine taktische Ergänzung des sozialenKampfes. Sie ist heute der wichtigsteKatalysator, um in der großen Politikfür die Menschen als oppositionellerPol sichtbar zu werden.Dieser Pol hat jedoch sein Lebenselixierim kollektiven politischen Engagement.War dies in der alten Arbeiterbewegungim Alltagslebenvorhanden, von Gewerkschaft undBetriebsrat in der täglichen Arbeitsrealitätbis zur Kultur- und Freizeitvereinigungim Wohnviertel spürbar,so ist es in der heutigen amerikanisierten,individualisierten Gesellschaftviel sprunghafter und kurzfristiger.Dies erschwert den Neuaufbaueines Linksprojekts aus den Protestbewegungen,denn trotz spektakulärerGröße (etwa der Anti-Bush-Protestein Wien) und politischer Sichtbarkeit(wie die EU-Volksabstimmungsbewegung)verschwinden sie nach ihremAuftreten wieder in der Anonymität,aus der sie gekommen sind. Übrigbleiben die wenigen Initiatoren undAktiven von eh und je. Dieses Minderheitenprogrammkollektiven undpermanenten politischen Einsatzes inder heutigen westlichen Welt kannund soll dennoch nicht durch millionenschwereFunktionärsapparate undmediale Inszenierungen ersetzen werden.Daher ist die Verbindung selbstmit der marginalsten sozialen Bewegung,Bürgerinitiative oder anderenkollektiven Artikulationsformen vonMenschen so entscheidend. Denn nurda überlebt heute die Permanenz desEngagements, die Bereitschaft zur Organisation,die für eine Systemoppositionpraktisch aber auch theoretischunersetzbar ist.Zuletzt soll eines nicht vergessenwerden. Die Glaubwürdigkeit des Neoliberalismusist im Sinken. Doch diesbedeutet noch keine einhergehendeRehabilitierung des historischen AlternativprojektsSozialismus. Denndas bisherige Scheitern aller sozialistischenVersuche ist mehr als einedurch die Zeit verheilende Wunde derGlaubwürdigkeit. Ein neues revolutionäresProjekt mag viel aus den positivenund negativen Erfahrungen desMarxismus entnehmen, aber es wäreein völlig unerklärlicher Irrglaube anzunehmen,dass nicht genauso viel neuzu formulieren ist. Die Linke brauchteine Politik für die Zeiten der Nicht-Aktualität der Revolution, die mehrist als ein gewerkschaftliches Minimalprogrammsozialer Forderungen.Doch dies hat der leninistische Marxismusnie ausreichend geleistet undin seiner Zeit revolutionärer Entscheidungsschlachtenauch nicht leistenmüssen. Zu lange haben die Revolutionäredieses Feld den fähigen Köpfender anti-revolutionären Sozialdemokratieüberlassen und sich damitzwar exzellent auf den geschichtlichenMoment der Machtübernahme, abervöllig unzureichend auf die langenPerioden der vorrevolutionären Gegenhegemonieund der nachrevolutionärenneuen Hegemonie vorbereitet.Es ist zu hoffen, dass die heutigenprekären Zeiten für die Linke auchdazu führen, diese strategischen Defiziteunserer Bewegung anzugehen,ohne ihre zukunftsorientierte revolutionäreEssenz zu verlieren. Dennan die kommenden „leninistischen“Zeiten des Sturms werden wir bereitsheute tagtäglich durch die antiimperialistischenWiderstandskämpfe jenseitsdes Westens erinnert.Gernot Bodner50


Herbst 2008EuropaGaza muss sprechen dürfenZur Schmutzkampagne des DÖW und der IKGIm Mai 2008 erreichte der propagandistische Vernichtungsfeldzug der österreichischenScharfmacher des Imperialismus gegen jede Opposition wiedereinmal neue Dimensionen, anhand derer sich auch zeigte, wie einflussreichdiese Gruppierungen mittlerweile sind.Einerseits wurde Anfang Mai auf derUniversität Wien die so genannte„Stop-the-bomb“-Konferenz, der vorläufigeHöhepunkt der gleichnamigen,von den primitiven Kulturkriegerndes „Café Critique“ initiierten antiiranischenKampagne, abgehalten.Auf dieser Veranstaltung wurde weitgehendunwidersprochen, großteilssogar unter begeistertem Applaus, einatomarer Erstschlag der USA und/oder Israels gegen den Iran gefordert.Dazu war ein Bedrohungsszenariokonstruiert worden, das in Wirklichkeitnicht existiert, nämlich einiranisches Programm zum Bau vonAtombomben (das sogar nach Angabender US-Geheimdienste schonseit Jahren eingestellt ist), und falschzitierte Aussagen des iranischen PräsidentenAhmadinežad wurden mutwilligzu Kriegsdrohungen gegen Israelumgedeutet. Das zeigt, dass esden Initiatoren keineswegs um denStopp von Atombomben geht, sondernvielmehr um deren Abwurf aufden Iran.Andererseits machten die IsraelitischeKultusgemeinde (IKG)und das so genannte „Dokumentationsarchivdes ÖsterreichischenWiderstandes“(DÖW) nur wenigeTage später mobil gegen die Veranstaltung„Gaza muss leben“, bei derauf die katastrophale, durch das völkermörderischeEmbargo und dieBlockade durch USA, EU und Israelverschuldete humanitäre Situationder Bevölkerung im Gazastreifenaufmerksam gemacht werden sollte.Zu der Veranstaltung waren als Redneru. a. Karin Resetarits (Abgeordnetedes Europaparlaments), FranzSieder (Pfarrer von Amstetten), ViolaRaheb (palästinensische Theologinund Friedensaktivistin), Peter Melvyn(Sprecher der Jüdischen Stimmefür einen gerechten Frieden in Nahost),Gamal Elkoudary (unabhängigerAbgeordneter des palästinensischenLegislativrates, Gaza) und Fritz Edlinger(Generalsekretär der Gesellschaftfür Österreichisch-Arabische Beziehungen)geladen. IKG und DÖWintervenierten – leider erfolgreich –bei der Geschäftsführung des als Veranstaltungsortvorgesehenen Albert-Schweitzer-Hauses und danach auchbei der Arbeiterkammer, deren Räumlichkeitenals Ersatzort gebucht wordenwaren. IKG und DÖW (die vonden Betreibern des Albert-Schweitzer-Hauses dezidiert als diejenigen, dieinterveniert hatten, genannt wurden)gingen dabei mit ihrer üblichen Mischungaus Halb- und Unwahrheitenvor: Die Antiimperialistische Koordination(AIK) „steckt hinter“ der Kampagne„Gaza muss leben“ und dergleichnamigen Veranstaltung und seieine antisemitische Organisation. BrigitteBailer-Galanda, „wissenschaftlicheLeiterin“ des DÖW, verstieg sichgegenüber der Austria Presse-Agentur(APA) gar zu der Behauptung, dieAIK würde Holocaust-Sympathienhegen – eine Unterstellung, die allerdingsnach zahlreichen Protestenwenige Tage später wieder zurückgenommenwurde, um nicht in rechtlicheTurbulenzen zu geraten. Auchwird die Kampagne „Gaza muss leben“in Wirklichkeit von mehreren Organisationenund Personen gemeinsamgetragen.Nachdem auch beim neben demAlbert-Schweitzer-Haus gelegenenWeltcafé mit Interventionen gerechnetwerden musste, wählte der KoordinatorLeo Gabriel eine Finte. Mangab das „Weltcafé“ an, doch lenktendie „Gaza-muss-leben“-Aktivisten dieTeilnehmer in ein nahe gelegenes Hotelum. Der Veranstaltung war schließlichgroßer Erfolg beschieden.Verhältnisse, in denen in Universitäts-Hörsälenoffen zum präventivenAtomkrieg gegen einen Staat, der niemalseinen Krieg begonnen oder angedrohthat, aufgerufen werden kann,während eine Veranstaltung, die aufeine humanitäre Katastrophe (die israelischeHistorikerin und JournalistinTanja Reinhart bezeichnet es alsschleichenden Völkermord) aufmerksammachen will, mit dreisten Verleumdungenüberhäuft und beinahetatsächlich verhindert wird, sind keinerdemokratischen Gesellschaft würdig.Und die Organisationen, die fürdiese Vorgänge verantwortlich sind,schon gar nicht.Gunnar BernhardBild: flickr/Hossam-el-Hamalawy51


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>Islamfeindlichkeit vereintAnti-Islam-Kongresse werden zum MainstreamVom 19. bis 21. September 2008 will die rechtspopulistische VereinigungPro Köln einen europaweiten „Anti-Islam-Kongress“ abhalten. Dazu sindVertreter ebensolcher Parteien aus ganz Europa eingeladen. Auf ihrer Webseitewerben sie mit Vertretern der FPÖ (Österreich), des Vlaams Belang(Belgien) und auch mit dem Front National (Frankreich). Darüber hinaussind Abtrünnige aus dem rechtskonservativen Milieu der CDU und derFDP angekündigt.Pro Köln selbst sitzt seit 2004 im KölnerStadtrat. Mit dem Bedienen vonRessentiments und antiislamischerPropaganda ist es Pro Köln gelungen,4,7 % der Stimmen zu gewinnen. ImRahmen der Kampagne gegen denKölner Moscheebau selbst gelang esPro Köln, Teile der CDU im StadtteilEhrenfeld zu gewinnen. Nun strebtdiese Gruppierung danach, sich mitder Gründung von Pro NRW im vergangenenJahr im ganzen Bundeslandauszubreiten. Über Anwohnerprotesteund Bürgerinitiativen versucht sie,vor allem in jenen Städten Gruppenund Organisationen aufzubauen, woähnliche Moscheebauprojekte angedachtsind. siehe „Antiislamischer Populismus“ (http://projekte.free.de/lotta/pdf/30/sp_antiislamischer_populismus.pdf) siehe „Rechtspopulismus in Gestalt einerDass Pro Köln und andere Vereinigungenerfolgreich ihre Propagandaunter das Volk bringen können,hängt ganz unmittelbar mit der erfolgreichin die Welt gesetzten Kampagne„Kampf der Kulturen“ zusammen.Ursprünglich von Huntingtonformuliert, wurde dieses Konzept vonall jenen politischen Strömungen inEuropa und in Deutschland übernommen,welche die Geschehnissedes 11. September 2001 nutzen wollten,um für Kriegsunterstützung imNahen und Mittleren Osten zu mobilisieren.Darüber hinaus liefert dieallgemeine Terrorhysterie den Anlass,Grundrechte einzuschränken und einneues Feindbild zu konstruieren. Seit2002 wird in allen Schichten und po-Bürgerbewegung“ (http://www.laga-nrw.de/data/expertise_rechtspopulismus_mit_anhang_ver2.pdf)litischen Lagern an dieser transversalen,also lagerübergreifenden Ideologiegearbeitet. Und genau dies ist derBoden, auf dem Rechtspopulisten wiePro Köln und auch faschistische Organisationenwie die NPD ihre chauvinistischenoder völkisch-nationalistischenKampagnen aufbauen können.Mainstream IslamfeindlichkeitWer die Berichterstattung zum ThemaIslam in Presse, Funk und Fernsehenin den letzten Jahren zur Kenntnisgenommen hat, dem wird kaumdie – mal mehr, mal weniger – islamophobeArt und Weise der Darstellungentgangen sein. Zwei Wissenschaftlerder Uni Erfurt untersuchten über einenZeitraum von zwei Jahren, in welcherWeise in ARD und ZDF über dasThema Islam berichtet wird. Im Januar2007 veröffentlichten sie dann dieErgebnisse ihrer Studie. Sie kamenzu dem Ergebnis, dass ARD/ZDFdie „Islam-Angst“ (Frankfurter Rundschau)stärkt. „Die Sender ließen sichoffenbar von einem simplifiziertenBild des Kampfes der Kulturen leiten.“(Frankfurter Rundschau) In der StudieBild: flickr/ la imagen52


Herbst 2008Europaselbst heißt es unter anderem:„Im Ergebnis zeigt sich, dass Terrorismusund Extremismus für deutscheMagazin- und Talk-Sendungen sowieDokumentationen/Reportagendas attraktivste und bedeutsamsteThema in der Auseinandersetzungmit dem Islam ist. In den letztenanderthalb Jahren hat sich etwa einViertel der Islam-Beiträge (23,31 %)mit diesem Themenfeld beschäftigt.Auffälliger noch als dieser Befundist die Tatsache, dass auch die restlicheIslam-Agenda ganz überwiegendvon konfliktorientierten Themenbeherrscht wird, die hier unterfolgenden Themenkategorien zusammengefasstwurden: InternationaleKonflikte (16,54 %), Integrationsprobleme(15,79 %), religiöseIntoleranz (9,77 %), Fundamentalismus/Islamisierung(7,52 %), Frauen/Unterdrückung/Emanzipation(4,51 %) und Menschenrechte/Demokratie(3,76 %). In diesen Themenfeldernenthalten sind gewaltfreiewie auch gewaltförmige Konfliktewie der Libanonkrieg oder der Karikaturenstreit,die Verfolgung vonChristen im Nahen Osten, Ehrenmordeund Vergewaltigungen vonFrauen, Widerstände gegen Moscheebauten,Asylprobleme oder Integrationswiderständejunger Türken.“Und weiter heißt es:„In der Gesamtschau lässt sich sagen,dass sich die Darstellung des Islamin den Magazin- und Talksendungensowie Dokumentationen/Reportagendes deutschen öffentlich-rechtlichenFernsehens zu über 80 % aneinem Bild orientiert, in dem dieseReligion als Gefahr und Problem inPolitik und Gesellschaft in Erscheinungtritt. Das Islambild dieser Formatebei ARD und ZDF ist ein zugespitztesGewalt- und Konfliktbild,das den Eindruck vermittelt, dass derIslam weniger eine Religion als vielmehreine politische Ideologie undeinen gesellschaftlichen Wertekodexdarstellt, der mit den Moralvorstellungendes Westens kollidiert. DerNachrichtenfaktor ‚Konflikt‘ dominiertganz eindeutig, d.h. Themenwerden begünstigt, die ein konflikthaftes,in weiten Teilen sogar einoffen gewaltsames Geschehen beinhalten.“Dass die Berichterstattung in denmeisten privaten Printmedien undden privaten Fernsehsendern dieseislamophobe Tendenz noch wesentlichübertrifft, muss hier nicht weiterausgeführt werden, ist dort doch dieTendenz zum Sensationsjournalismusnoch um einiges höher.Ein weiterer sehr guter Beleg dafür,wie in den Medien die Islamfeindlichkeitgefördert wird, zeigt eineStudie aus dem Juli 2007, die sichmit Printmedien auseinandersetzt.Im März 2007 veröffentlichte DerSpiegel eine Ausgabe unter dem Titel„Mekka Deutschland. Die stilleIslamisierung“. Der Autor zitiert u. a.die tageszeitung, in der es hieß:„Auf dem Spiegel-Titel sind Halbmondund Stern über dem BrandenburgerTor aufgezogen. Die Republikschläft – nur die Spiegel-Redaktionwacht und eilt zur Alarmglocke, umdie schlafmützigen Liberalen aufzuwecken,ehe die Muslime vollendsdie Macht im Staate übernommenhaben. (…) [D]as zählt zum festenRepertoire der Spiegel-Rezeptur: Esgibt die gefährlichen Fremden unddie naiven Liberalen, die kampflosaufgeben“.Weiter heißt es dann in der Studie:„Der Text auf dem Titelbild bestehtaus lediglich fünf Worten: „MekkaDeutschland – Die stille Islamisierung“.Bemerkenswert sindhier besonders die Worte: „Mekka“,„stille“ und „Islamisierung“:„Mekka“ ist die Geburtsstadt desPropheten der Muslime - Mohammed- und die heiligste Stadt derMuslime. Jedes Jahr pilgern Millionenvon Muslimen zu diesemWallfahrtsort. Die Formulierung„Mekka Deutschland“ suggeriert,dass Deutschland zu einem Ortwird, der für Millionen von Muslimenweltweit zu einem erstrebenswertenZiel des Besuches bzw. http://www2.kommunikationswissenschafterfurt.de/uploads/bericht_islam_in_ard_und_zdf_2005_2006.pdfder Einwanderung wird. Ähnlichdem Wallfahrtsort Mekka drohtDeutschland die Pilgerschaft, die‚Invasion‘ einer Masse von Muslimen.Das Wort „stille“ lässt sichassoziieren mit ‚schleichend‘, ‚versteckt‘,‚heimlich‘ (und somit ‚trügerisch‘),aber auch – in einer weitergedachten Assoziationskette– mit ‚Schläfer‘, der – so das Klischee– seit dem Terroranschlagauf das World Trade Center vom11. September 2001 aktuellen Metapherfür den im Untergrund verstecktlebenden Terroristen, derals unscheinbarer Mitbürger unter‚uns‘ lebt und der auf Kommandooder plötzlicher, fanatisch-religiöserEingebung zu einer tickendenZeitbombe, einem skrupellosenSelbstmordattentäter wird.Das Wort „stille“ suggeriert, dasssich der Prozess der Islamisierungstetig aber lautlos, im Verborgenenvollzieht. Deutschland – so eineLesart – wird aus langem Schlaf erwachenund sich über das bereitsvorhandene Ausmaß der Islamisierungwundern. Der Begriff „Islamisierung“meint – ähnlich denBegriffen ‚Germanisierung‘, ‚Amerikanisierung‘– den Prozess derHomogenisierung ganzer Bevölkerungsgruppenim Sinne einerWerthaltung, eines Lebensstils bzw.eines Weltbildes (hier: des Islam).In der derzeitigen Debatte überMigration und Integration wirdvon einigen Autoren die Positionvertreten, dass die IslamisierungEuropas nicht mehr aufzuhaltenist. So schreibt beispielsweise derIslamforscher Bernard Lewis:„Europa wird Teil des arabischenWestens sein, des Maghrebs. Dafürsprechen Migration und Demographie.Europäer heiraten spät undhaben keine oder nur wenige Kinder.Aber es gibt die starke Immigration:Türken in Deutschland, Araber inFrankreich und Pakistaner in England.Diese heiraten früh und habenviele Kinder. Nach den aktuellenTrends wird Europa spätestens Endedes 21. Jahrhunderts muslimischeMehrheiten in der Bevölkerung haben“.53


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>Das Spiegel-Titelbild greift diesenrechtskonservativen, apokalyptischenDiskurs sprachlich auf undreproduziert damit bereits bestehendeBefürchtungen drohender Vereinnahmungendes ‚christlichen Abendlandes‘durch ‚die‘ islamische Welt.Halten wir fest: Sowohl die bildhafteals auch die sprachliche Gestaltungdes Spiegeltitelbildes inszeniert dasdunkle Bedrohungsszenario einer IslamisierungDeutschlands bzw. Europasund reiht sich damit seinerseits indie apokalyptischen Befürchtungensämtlicher Autoren eines ‚Untergangesdes Abendlandes‘ ein.“ Resümierendstellt der Autor fest:„Islamfeindliche Einstellungen, dieszeigen die Studien des IKG, sindin der Bundesrepublik Deutschlandweit verbreitet. Ein bedeutender Beitragbei der Konstituierung und Reproduktionislamfeindlicher Einstellungenin der nichtmuslimischenBevölkerung leistet die in der Regeleindimensionale Berichterstattungin den Medien. Ausgangspunkt dieserAbhandlung war der Gedanke,durch die Analyse eines Spiegel-Titelbildsexemplarisch die Art der Konstituierungund Reproduktion islamfeindlicherBilder nachzuzeichnen,um damit die Mitverantwortungder Medien beispielhaft zu illustrieren.Resümierend sei erneut daranerinnert, dass die Medien über ihreForm der Berichterstattung Ängsteund Feindbilder schüren und damitmenschenverachtende Haltungenund gewalttätige Handlungen provozierenkönnen. In unserem Fallleistet Der Spiegel seinen Beitrag zurIslamophobie.“Erst seit Anfang 2002 haben auchSoziologen und Sozialwissenschaftlerdamit begonnen, die Einstellungender Bevölkerung in Deutschlandzum Thema Islam zu erforschen. Dabeiist es nur eine kleine Anzahl vonWissenschaftlern, die tatsächlich dasVorhandensein von islamfeindlichenEinstellungen untersucht. Hier stichtinsbesondere eine Untersuchung ausBielefeld heraus, welche als „Heitmeyer-Studie“Bekanntheit erlangt www.stoppt-die-hetze.dehat. Seit 2003, dem Beginn der Erhebung,kann Heitmeyer einen signifikantenAnstieg der Islamfeindlichkeitnachweisen, welche bis 2006weiter zunimmt. Die statistischen Datenzu einzelnen Syndromelementenwie Rassismus und Antisemitismussind stagnierend, aber immer nochalarmierend und beunruhigend. DieDaten zu Fremdenfeindlichkeit undIslamophobie sind hingegen in denvergangenen Jahren kontinuierlichangestiegen. So sind 2006 28,5 % derAuffassung, dass Muslimen die Zuwanderungnach Deutschland untersagtwerden sollte (zum Vergleich:2004 waren es 24 %) und 39,2 % der Befragtenfühlen sich durch die Muslimewie Fremde im eigenen Land (2004:35,1 %). Für 2007 wird ein Stagnierenauf hohem Niveau konstatiert.Überschneidenden Ziele„In Europa verbinden Medien, konservativePolitiker und Kirchenvertreterdie Debatte um den Islam seitdem 11.9.2001 mit politischen Fanatismus,Terrorismus, Zuwanderungund Integration. Moscheebauten stehensymbolisch für die vermeintlicheBedrohung des Abendlandes durchislamischen Fundamentalismus. Densogenannten Minarettstreit nutzenzunehmend rechte Bewegungen, diedas Feindbild instrumentalisieren“,schreibt Steffi Holz in der SozialistischeZeitung Juli/August 2008. Ineinem ansonsten gut recherchiertenArtikel lässt gerade eine Kölner Autorindie Instrumentalisierung desFeindbildes Islam von liberaler undauch linker Seite völlig außen vor. Obes Naivität, Unwissen oder doch Opportunismusist, wissen wir nicht. Jedenfallsfand Anfang Juni in Köln diesogenannte „Kritische Islamkonferenz“statt, wo neben Ralph Giordano,irakisch/iranischen Unterstützern derBesatzung des Irak (bekannt auch als„Zentralrat der Ex-Muslime“) und begeistertenVertretern der israelischenBesatzungspolitik gegenüber den Palästinensernalles anwesend war, wasmit der Beschreibung islamfeindlichzu fassen ist.Diese Konferenz fand rege Auf- www.uni-bielefeld.de/ikg/Feindseligkeit/Islamphobie.htmlmerksamkeit in der bürgerlichen Presse,was die Konferenzorganisatorenzum Anlass nahmen, dies auch entsprechendzu dokumentieren. Dabeisind zwei Dinge von besonderemInteresse. Zum einen die ebenfallsunter der genannten Adresse abrufbareAbschlusserklärung, zum anderendie Tatsache, dass auf der Konferenzein regelmäßiger Autor desneurechten Blattes Junge Freiheit seineVorstellungen vom Kampf gegendie Islamisierung Deutschland zumBesten geben konnte. Zum Letzterenmöchte wir gerne Werner Pirkerzitieren, welcher in junge Welt dazuFolgendes schrieb:„Die Junge Freiheit zeigte sich inihrer Konferenz-Berichterstattungrundum zufrieden: »Der jüdischeSchriftsteller und Journalist RalphGiordano hat am Wochenende voreiner immer stärker um sich greifenden›political correctness‹ gewarnt«,schrieb sie. Giordano, Hauptinitiatorund Starredner der Veranstaltung,hatte sich den Beifall aus derrechten Ecke redlich verdient. Aufden Vorwurf eingehend, dass die Islamophobiemit der Naziideologiekompatibel sei, sagte er: »Ich kennekeine schamlosere Ausbeutung desgenerationsüberhängenden Schulddrucksaus der Nazizeit an denschuldlosen Generationen von heute,als diese Chefanklage deutscherUmarmer, Gutmenschen vom Dienst,Multikulti-Illusionisten, xenophilerEinäugiger und unbelehrbarer Beschwichtigungsdogmatiker.«Natürlichbedeutet Beifall aus der falschenEcke noch lange nicht, dass das Gesagtedeshalb falsch sein muss. Docherhielt Giordano den Beifall ohnediesaus der richtigen Ecke. Dennwas er auf dem Xenophoben-Treffin Köln von sich gab, war den Jungsvon der Freiheit so richtig aus derSeele gesprochen.“Die Abschlusserklärung scheint aufden ersten Blick eine begeisterte Deklarationfür die Einhaltung der Menschenrechte,zur Verteidigung der demokratischenGrundrechte und für www.kritische-islamkonferenz.de Querfront, www.jungewelt.de/2008/06-07/006.php54


Herbst 2008EuropaBild: flickr/Nir-Nussbaumden Kampf gegen religiöse Intoleranzzu sein. Beim zweiten Blick wird aberklarer, worum es wirklich geht: IslamischeReligionsgemeinschaften sollenchristlichen, jüdischen und anderennicht gleichgestellt werden.Lehrerinnen, die das Kopftuch tragen,soll ein Berufsverbot erteilt werden.Islamfeindlichkeit gibt es nicht.Organisationen, die gegen die völkerrechtswidrigeBesatzung in Afghanistan,Irak oder Palästina Widerstandleisten und einen islamischen Hintergrundhaben, sollen kriminalisiertwerden usw. usw. Sie beinhaltet fernerdie Forderung, prowestliche Bewegungen(weil säkularer Hintergrund)in den Ländern des Nahen und MittlerenOstens zu unterstützen, ganzgleich, ob diese sich für die Menschenrechteoder doch eher für die Ausbeutungvon Bodenschätzen und die geostrategischenInteressen Euroamerikaseinsetzen.Dabei gehen die berechtigten Forderungenvon Migrantinnen undMigranten, die von islamischen Institutionenund Regierungen bedrohtund unterdrückt wurden und werden,unter. Ebenso die berechtigte Forderungnach politischem Asyl.Aber dies soll auch nicht die zentraleBotschaft der Konferenz sein. DieForderung nach Asyl soll die Konferenzvielmehr politisch gegen eine Kritikvon links panzern.War diese Konferenz der linksliberalenIslamfeinde noch nicht genug,soll Anfang September noch eine weiterenachgeschoben werden. Richtetesich die erste noch eher an ein etabliertesMilieu von Multiplikatorenund fand ihren entsprechenden Widerhallin links– wie rechtsliberalenMedien, so soll die kommende in Abgrenzungvon der Islamfeindlichkeitder rechten, konservativen und faschistischenKreise ausgerichtet werden.Dass dabei aber gleiche Inhaltepropagiert werden sollen, lässt sichu. a. an Organisatoren und Referatenfestmachen.So durfte Hartmut Krauss auf der„Kritischen Islamkonferenz“ über den„Islam als religiös-ideologische Grundlageeiner vormodernen Herrschaftskultur“referieren. Bis vor kurzem warer auf der kommenden Konferenznoch mit dem Workshop „Religionskritikversus Rassismus – Angriff desReligiösen“ angekündigt. Was das genauheißt, lässt sich an dem von ihmverfassten Artikel „99,9 % friedliebendeMuslime? Zur Unhaltbarkeiteiner selbstbetrügerischen Standardlegende“ablesen. Darin heißt es:„Als funktionsteilig organisierter undglobal vernetzter Tätigkeitskomplexist die islamistische Bewegung auswesteuropäischer Sicht nicht etwa Feel-the-Difference, http://september.webrepublic.de/September/wordpress/?page_id=69nur ein regional eingrenzbares außenpolitischesPhänomen, das nurim arabisch-muslimischen oder asiatisch-islamischenKulturkreis anzutreffenwäre. Vielmehr ist derIslamismus im Zuge der Einwanderungmuslimischer Migrantennach Mittel- und Westeuropa auchin westliche Länder importiert worden.Dabei ist dieser Migrationsimportislamistischer Mentalitäten,Strukturen und Tendenzen nicht einfachnur der spontane Effekt, ‚mitgebrachter‘Subjektivitätsmerkmalevon Teilen der eingewanderten Muslime,sondern auch als gezielte Expansionbzw. strategisch ausgerichteter‚Kulturexport‘ anzusehen. (...)Das vereinigende Ziel der islamistischenBewegung ist die Errichtungeines totalitären Gottesstaates. Angesichtsder aktuellen Kräfteverhältnissein Europa ist ein gewaltsamerWeg zu diesem Ziel auf längere Sichtausgeschlossen. Was bleibt, ist die Optioneiner allmählichen IslamisierungEuropas durch:a) eine im Vergleich zur einheimischenBevölkerung nachhaltig höhereGeburtenrate, was die Aufrechterhaltungislamisch-patriachalerKontrollmacht über Geist, Körperund Heiratsverhalten der unterworfenenFrauen unabdingbarmacht (‚die Wahrheit hinter demKopftuch‘) (...) Dabei erweisen sich55


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>Islamfeindliche Konferenzen verschiedenerCouleursKritische Islamkonferenzwww.kritische-islamkonferenz.deBei dieser Konferenz trafen sich rechts- wie linksliberale Islamfeinde. Organisatorenund Protagonisten waren u. a.: Ralph Giordano, Hintergrund-Redaktion; Zentralrat der Ex-Muslime, Aktion 3. Welt Saar etc. Der Hintergrund-Verlagwird geführt von Hartmut Krauss, welcher mit Autoren derneurechten Zeitung Junge Freiheit gemeinsam Texte veröffentlichen wird.Konferenz „Feel the diffence”http://september.web-republic.de/September/wordpress/?page_id=69Diese Konferenz richtet sich im wesentlichen an aktivistische Linke. IhreFinger im Spiel haben vor allem Kräfte wie Jungle World und Aktion 3. WeltSaar, die hinter der vermeintlichen Verteidigung der Aufklärung nur dieKriegs- und Besatzungspolitik der USA und Israels verteidigen. Offiziellsoll diese Konferenz einen Beitrag zum Thema „Rechtspopulismus und Islamkritik“leisten.die ‚Überalterung‘, Entdemokratisierungund geistig-kulturelle Dekadenzder deutschen Aufnahmegesellschaftsowie die politische undjuristische Willfährigkeit des formalistischenRechtsstaates als begünstigendeRahmenbedingungen dieserislamistischen Terraineroberung aufleisen Sohlen.“Die Muslime betreiben also aucheinen „strategisch ausgerichteten Kulturexport“.Da sie das nicht mittelsKrieg bewerkstelligen können, wirdes auf leisen Sohlen durch die Produktionvon möglichst vielen Kindernvollzogen. Da fragt man sich, warumdieser Referent auf dem Mobilisierungskongressgegen Pro Köln/ProNRW referieren soll, und nicht gleicham 20. September bei den Rechtspopulistenspricht. Da findet er mehrZuhörer und noch mehr, die seinerTheorie beipflichten werden. Wir wissennun, dass diese Erkenntnis die Organisatorender Antifakonferenz „Feelthe difference“ nicht zur Ausladungdes Referenten bewogen hat. Er wurdedeshalb ausgeladen, weil er demnächstgemeinsam mit Leuten desneurechten Blattes Junge Freiheit undanderen Neurechten ein Buch veröffentlichenwird.Selbsternannte Antifaschisten („An- http://september.web-republic.de/September/wordpress/?page_id=190tifa Ak Köln“) verteidigen heute alsoislamfeindliche Verschwörungstheorien.So weiß man, was einen erwartet,und recherchiert man ein wenigweiter, so sticht das Abschlusspodiumins Auge. Neben anderen Protagonistentrifft man auf Klaus Blees, Aktion 3.Welt Saar. War seine Organisation sogarMitausrichter der „Kritischen Islamkonferenz“,so hält man ihm aufder Antifakonferenz den Stuhl für diezentrale Diskussion warm: „Islamophobie?Islamkritik im Kreuzfeuer“.Was besagter Autor so zum Bestengibt, findet man direkt auf der Webseiteder Aktion 3. Welt Saar.Da heißt es unter den Überschriften„Mit Islamismus gegen die Aufklärung,Es gibt viele moderate Moslems, dochder Islam selber ist nicht moderat.“:„Die traditionelle Auffassung des Islam,dass die Unterwerfung unterGott und der Glaube im Mittelpunktdes Lebens stehen müsse, dass also diePflichten der Gläubigen Gott gegenüberPriorität haben und nicht dieFreiheiten und Rechte des Individuums,führt u. a. dazu, dass Aussagendes als Gottes Wort geltenden Koranswörtlich genommen werden. Darausfolgend hat dann die Aufforderungzum Jihad, zum ‚Heiligen Krieg‘ gegendie Ungläubigen, bis als einzigeReligion der Islam übrigbleibt (Sure www.a3wsaar.de, Flugschrift islamismus.pdf2, Vers 191 und 193) fatale Konsequenzen.Hier wird nicht nur derautoritäre Kern des Islam offenbar,sondern diese Auffassung verhindertauch, den Islam mit den Menschenrechtenund einer aufgeklärten Auffassungvon Politik und gesellschaftlichemZusammenleben in Einklangzu bringen.“(...)Nach dem Vorwurf, dass der Islam(laut Autor gibt es weder geographischenoch inhaltliche Unterschiede)mit Menschenrechtenunvereinbar sei – was wohl keinerseriösen Untersuchung standhaltenwürde -, soll der islamische Raum genaudieselbe Geschichte durchlaufenwie der Westen. Das heißt: Er mussden Kampf der Aufklärung gegen diedamals herrschende christliche Kircheund Religion dem okzidentalenModell entsprechend nachvollziehen.Dass die Beziehungen zwischen demarabischen Raum und dem Westenaber durch den Kolonialismus geprägtsind, der durch den heutigen Imperialismus(Kriegs- und Besatzungspolitik)fortgeführt wird, das lässt man geflissentlichunter den Tisch fallen.Weiter heißt es:„Islamisten propagieren und führenweltweit den ‚Heiligen Krieg“,den Jihad, gegen alle ‚Ungläubigen“,ob Juden, Christen oder Atheisten.Zweck des Jihad ist es, den Nichtmoslemsden Islam aufzuzwingenund die ganze Welt dem ‚einzig wahrenGlauben‘ zu unterwerfen. Dabeiermorden ‚Heilige Krieger“ gezieltauch unbeteiligte Zivilisten. Häufigtun sie dies mittels Selbstmordattentaten,ihr eigenes Leben bedeutetihnen nichts. Im Mittelpunkt ihrerMordaktionen steht die israelischeBevölkerung und seit der EntmachtungSaddam Husseins ebenfalls dieirakische. (...) Wichtigste Gemeinsamkeitaller islamistischen Strömungenist ihr unbändiger Antisemitismus,der sich vor allem alsAntizionismus äußert und auf dieVernichtung Israels ausgerichtet ist.Der ideologisch und terroristisch geführteJihad gegen Israel ist nichtdie Folge israelischer Besatzungspolitik,wie zur Rechtfertigung angeführtwird.“56


Herbst 2008EuropaDamit wären wir dann beim Kernder Sache angekommen, der da heißt,alle „Islamisten“ sind Faschisten undwollen eigentlich nur oder hauptsächlichJuden töten. Die Kriegs- und Besatzungsrealitätgibt es einfach nicht.Der „islamistische“ Mensch hat wederGefühle, noch kann er denken(„Ihr eigenes Leben bedeutet ihnennichts“). Warum das so sei, wirdim Text nicht erklärt. Genauso wenigwird zwischen Bewegungen islamischenHintergrundes im Nahenund Mittleren Osten und in Asienunterschieden. Differenzen in undzwischen sunnitischen, schiitischenund alawitischen Religionsgemeinschaften,um nur die bekanntesten zunennen, sucht man vergeblich. Aberauch die Unterschiede zwischen demwahhabitischen, prowestlichen Saudi-Arabienund dem schiitischen Irankommen nicht zur Sprache. Unterschiedezwischen der libanesischenschiitischen Hizbullah und dem, wasal-Qa‘ida genannt wird, gibt es nicht.Auch nicht zwischen Islam und Islamismus.Und genau darauf kommt es demAutor auch an. Es geht offensichtlichdarum, den Islam ähnlich wie dieRechtspopulisten, wenn auch nicht ingleich rassistischer Manier, so doch inchauvinistischer Art und Weise, alsWiedergänger der Barbarei und desdeutschen Faschismus zu diffamieren.Es geht vor allem darum, von den realenpolitischen Konflikten abzulenken,die Kriegs- und Besatzungspolitikzu negieren und al-Qa‘ida, Hamasund Hizbullah in einem Atemzug zunennen. Wollen die Konservativen,Rechtspopulisten und Faschisten dieVorherrschaft des „weißen Mannes“sichern, wollen westliche Linksliberaleà la Blees die Aufklärung verteidigen?Letztere landen dabei aber dochnur bei der Verteidigung der neuenWeltordnung mit chauvinistischer,rassistischer Begründung.Dass solch eine Broschüre in einerAuflage von 95 000 Exemplaren alsBeilage u. a. der tageszeitung gedrucktund verteilt wurde, ist zwar traurig,wundert aber nicht, wenn man bedenkt,dass das Machwerk des IslamhassersHendrik M. Broder „Hurra wirkapitulieren“ bei der Bundeszentralefür politische Bildung beworben undverkauft wird. Viel interessanter istdaher, dass Klaus Blees’ Kampfschriftmit EU-Geldern finanziert wurde. Sobefindet er sich in guter Gesellschaftmit den rechts- oder linksliberalenKriegstreibern, denen jede Art vonSäkularismus recht ist, um ihre innen-wie außenpolitischen Ziele zuerreichen.Wer also hofft, dass diese Konferenzeinen Beitrag zum „Thema Rechtspopulismusund Islamkritik“ (Steffi Holz,Neues Deutschland, 15. August 2008)zu leisten vermag, kann nicht einmalmehr als naiv bezeichnet werden.Die Gewichtung der einzelnen Konferenzbeiträgewiderlegt den Mythos,dass diese Linken noch in irgendeinerForm Kritiker des Phänomensislamische Bewegungen/Islamfeindlichkeitsein könnten. Im Gegenteil,ein gewichtiger Teil von ihnen machtsich offen und bewusst zum Sprachrohrder Islamfeindlichkeit.Die Geister, die ich rief...Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lassensich verschiedene Parolen, Argumentationsmusterund Theorien zur Islamfeindlichkeitdieser transversalen„neuen“ Ideologie herausdestillieren,ohne damit einen Anspruch auf Vollständigkeitzu erheben.1. Islamfeindlichkeit, antiislamischerRassismus oder Islamophobie gebees nicht, so behaupten die vermeintlichenIslamkritiker. DerVorwurf der Islamfeindlichkeit seientweder eine Waffe, um die „Kritiker“zu diffamieren (Linke undLinksliberale), oder nur der „berechtigte“Ausdruck der Bevölkerunggegen die Islamisierung Europas,so behaupten Rechtsliberale,Konservative und Faschisten.2. „Schleichende, stille oder verdeckteIslamisierung“ (rechts wie links)wird die Tatsache genannt, dass islamischeReligionsgemeinschaftengleiche politische und soziale Teilhabein Europa einfordern. Dasses sich um eine religiöse Minderheitin einem überwiegend christlichenEuropa handelt, wird überhauptnicht mehr benannt. Dieeinen verteidigen das christliche,die anderen das christlich-jüdischeAbendland, während die Drittendie Aufklärung und den Säkularismusin Europa in Gefahr sehen.3. Die Propagandamaschine der Neokonservativenund Kulturkriegerwird von allen Strömungen nachdem 11. September benutzt, umden barbarischen Charakter des Islam/Islamismusdarzustellen und/oder den Widerstand gegen dieBesatzungen im Nahen und MittlerenOsten zu diskreditieren. Ansonstenwird der Zusammenhangzwischen dem Aufstieg politischerStrömungen mit islamischemHintergrund und der westlichenKriegs- und Besatzungspolitik vonallen islamophoben Strömungengleichermaßen negiert. Das ist ihrgemeinsamer Nenner.Wie sich eine solche transversale Ideologiezu einer politischen Querfrontauswachsen kann, das beschreibtKnut Mellenthin:„Es ist nicht rational zu erklären undunverzeihlich, dass eine politischideologischeStrömung, deren zentralerDaseinszweck Kriegstreibereiist, und die in ihrer radikalen, undifferenziertenPolemik gegen den Islamsogar eine Figur wie Bush von rechtsüberholt, ausgerechnet in Deutschlandkaum auf öffentlichen Widerspruchstößt. Die deutsche Linke insbesondereist dabei, gegenüber einemneuen Rassismus zu versagen, dessenstrukturelle Ähnlichkeiten mitdem historischen Antisemitismus eigentlichnur jemand übersehen kann,der sich weder mit dem einen nochmit dem anderen wirklich beschäftigthat.“Thomas Zmrzly17. August 2008 „Mainstream – In antimoslemischen Internetforenentwickelt sich aus einer weitrechts stehenden Islamophobie eine radikaleUSA- und Israelfreundlichkeit. Die AlleanzaNazionale aus Italien zeigt, dass man soin den Klub international akzeptierter Parteienkommen kann Beispiel Italiens“ (www.jungewelt.de/2008/05-13/006.php)57


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>Fadi Madi zurück in DeutschlandEin Opfer des neuen Krieges nach innenVier Jahre nach seiner Abschiebung und nach mehreren erfolgreichen Gerichtsprozessenist Fadi Madi im Juni 2008 in die BRD zurückgekehrt. ImSeptember 2004 hatte der Berliner Polizeipräsident ein Verbot gegen denin seiner Stadt geplanten Ersten Arabisch-Islamischen Kongress erlassen.Fadi Madi war der maßgebliche Organisator des Kongresses.In der Begründung des Polizeipräsidentenhieß es, Ziel der Veranstaltungsei die Billigung von „schwerenStraftaten“. Das tatsächliche BestrebenFadi Madis war es, in Europaeinen Dialog über die Legitimitätarabischer Volksbewegungen gegenKrieg und Besatzung zu eröffnen. Wieim Nachhinein bekannt geworden ist,hatte das Simon Wiesenthal Centerdirekt beim damaligen BundesinnenministerSchily gegen den geplantenKongress interveniert.Kurz vor dem erwähnten Verbotwurde Fadi Madi in den Libanonabgeschoben und gegen ihn ein Ermittlungsverfahrennach §129B StGBeingeleitet. Dies wurde damit begründet,dass er in der Nähe „strafrechtlichrelevanter Vereinigungen“ stehe.Nur wenige Tage später mussteder Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahrenwieder einstellen – eindeutliches Eingeständnis dafür, dassnicht rechtstaatliche Normen, sondernmachtpolitische Interessen Herrdes Verfahrens waren. Insofern war eskonsequent, dass die BRD trotz Einstellungdes Ermittlungsverfahrensweiter am Einreiseverbot festhielt. Einvöllig willkürlicher Akt, bedenkt manauch, dass Fadi Madi mit einer deutschenStaatsbürgerin verheiratet ist.Im Oktober 2006 hat das VerwaltungsgerichtBerlin das Verbot desKongresses als rechtswidrig bezeichnet.Im Urteil heißt es: „Die generellepolitische Unterstützung selbst desgewaltsamen ‚Widerstands‘ von Teilender Bevölkerung in besetzten Gebietenwie im Westjordanland odervon Aufständischen wie im Irak – unabhängigvon der schwierigen undstrittigen völkerrechtlichen Beurteilungensolcher Handlungen – stelltkeine Billigung von Straftaten imSinne von §140 Nr. 2 StGB dar.“ (AktenzeichenVG 1 A 288.04.) Selbstnach diesem Gerichtsurteil verweigertendie Behörden weiterhin FadiMadi die Einreise.In einem langjährigen, mühseligenKampf ist es Fadis Ehefrau, RabiaMadi, schließlich gelungen, den entscheidendenEinreiseverweigerungsvermerkder Bundespolizei zu kippen.Die Bundespolizei hatte die Einreiseverweigerungmit Vorgaben des Bundesverfassungsschutzesbegründet,hierzu siehe weiter unten. Im Rahmeneiner Verhandlung vor dem VerwaltungsgerichtKoblenz zog die Bundespolizeiim März 2008 ihren Vermerkfreiwillig zurück – und gestand damitein, so die Koblenzer Richter, dass diejahrelange Verweigerung der Einreiseillegal war: „Der Beklagte (BRD,vertreten durch Innenministerium,vertreten durch den Präsidenten desBundespolizeipräsidiums), hat durchdie Aufhebung des angefochtenen Bescheides(Einreiseverweigerung) zu erkennengegeben, dass er selbst diesenfür rechtswidrig hält.“ (Aktenzeichen3 K 2073/07.KO)Ein weiteres Resultat der dargestelltenVorgänge ist, dass der Bundesverfassungsschutzam 28. März 2008eine schriftliche Stellungnahme abgebenmusste. In dem uns vorliegendenDokument heißt es, dass Fadi Madibereits durch die Werbung für denKongress „Israel und die USA angegriffen“habe. Hier stellt sich die einfacheFrage, was daran unzulässig seinkann, kriegsführende Staaten zu kritisierenund politisch anzugreifen? Inder BRD ist es zur bitteren Realität geworden,dass das Recht auf freie Meinungsäußerungabgeschafft ist, sobaldes darum geht, das Prestige der USAund Israels zu wahren.Den Gipfel des Zynismus erreichtder Bundesverfassungsschutz mit seinerBemerkung, Fadi Madi verfügesogar über Kontakte zu linken „Globalisierungsgegnern“in der BRD undin Österreich. Somit wird einem angeblichantiwestlichen Muslim ausgerechnetder Vorwurf gemacht, sichmit säkularen Europäern auszutauschen.Und um diese Verbindungirgendwie diffamieren zu können,werden im besagten Dokument die„Globalisierungsgegner“ als „linksextremistisch“eingestuft. Hier habenwir sie: Die islamisch-kommunistischfaschistischeFront – das Konstruktder imperialistischen Oligarchie, umjeglicher Opposition eine Berechtigungabzuerkennen.Fadi Madi war eines der ersten Opferdes neuen Krieges nach innen. AlsVerlierer gehen er und seine Sachenicht aus dem Spiel. Das oben erwähnteUrteil des Berliner Verwaltungsgerichtesund Fadis Rückkehr indie BRD erklären ihn zum Sieger, undverdeutlichen, dass Widerstand gegendie euroamerikanische Meinungsdiktaturmöglich und nötig ist.Dimitri Tsalos58


Herbst 2008EuropaBild: VGTDamoklesschwert für denAktivismus§ 278 als Instrument gegen die OppositionAm 21. Mai dieses Jahres stürmten Sonderkommandos der Polizei 23 Wohnungen,Büros und Häuser in Wien, Niederösterreich, der Steiermark,Salzburg und Tirol, deren Inhaber in Verbindung mit der Tierschutzszenestehen. Im Zuge dieser Hausdurchsuchungen wurden 10 Personen festgenommenund über sie die Untersuchungshaft verhängt.Das Vorgehen der Polizei war dabeiein äußerst brutales, von gerammtenTüren bis zu Schusswaffen im Anschlag.Die Hausdurchsuchungen galtendabei auch Organisationen, diesich, wie die Vegane Gesellschaft Österreichs(VGÖ), völlig apolitisch verhaltenund deren einzige Tätigkeit imVerbreiten von Informationen besteht,wo vegane Kost zu beziehen ist.Am folgenden Tag streuten die zuständigeStaatsanwaltschaft WienerNeustadt und das LandespolizeikommandoNiederösterreich die Information,dass die Festgenommenen imZusammenhang schwerster Straftatenverhaftet worden wären und nannten„Brandstiftung“ und „Gasanschläge“ -Vorwürfe die, wie sich weiter zeigenwird, zwischenzeitlich zurückgezogenwerden mussten, aber selbstverständlichihre Wirkung medial entfalteten.Einige der Betroffenen traten bisAnfang Juni in den Hungerstreik,konnten damit aber ihr Ziel einerEnthaftung nicht erreichen.Verhaftet wurden die zehn Betroffenenaufgrund des Paragraphen 278a.Absatz c und d dieses Paragraphen definieren„Bildung und Unterstützungeiner terroristischen Vereinigung“.Grundparagraph 278 und dessen Absätzea und b wurden bereits 1993 erlassenund stellen die „Bildung undTeilnahme an einer kriminellen Organisation“unter Strafe.Der Paragraph stellt Verhalten inFrage, das für sich alleine gesehenstraffrei bliebe. Der Gesetzgeber definierte1993 in Ziffer 1 „Suchtmittelhandel,Schlepperei und Waffenhandel“als besonderen Fokus.Die Gefahr des Paragraphen zeigtsich aber in den Ziffern 2 und 3. AuszugZiffer 2 „... Streben nach erheblichemEinfluss auf Politik und Wirtschaft“.Ziffer 3 erklärt „Abschirmunggegen Strafverfolgungsmaßnahmen“als strafbar, wobei die Judikatur seither„Gründung von Scheinfirmen“,„häufigen Wechsel von Wertkartenhandys“oder die „Verwendung vonCodes bei der internen Kommunikation“dazu zählt.Dass diese Bestimmungen nichtnur grotesk, sondern brandgefährlichsind, zeigt sich jetzt! Welchen anderenZweck sollte jegliche politischeArbeit verfolgen, als „erheblichen Einflussauf Politik und Wirtschaft“ zuerlangen?Die Informationen, die seit der Verhaftungder 10 Betroffenen in kleinenRandnotizen an die Öffentlichkeitgelangten, sprechen eine deutlicheSprache: Die Tageszeitung Der Standardberichtete Tage nach der Verhaftungswelle,dass von Seiten derPelz- und Kürschnerindustrie bzw. desHandels massiv Druck auf die StaatsanwaltschaftWiener Neustadt ausgeübtwurde, gegen die TierschutzaktivistInnenszenevorzugehen, da sichderen politische Arbeit geschäftsschädigendauswirke.Dies wurde am 29. August durchden Abgeordneten Peter Pilz bekräftigt.Pilz gibt an, dass Protokolle desBundeskriminalamts belegen, dass am5. April 2007 im Büro des Generaldirektorsfür Öffentliche Sicherheit einTreffen mit Spitzen von Innenministerium,Wiener Polizei sowie Peter undWerner Graf, Eigentümer der FirmaKleiderbauer, stattfand. GeneraldirektorErich Buxbaum wies dabei dendamaligen Wiener PolizeipräsidentenPeter Stiedl an, „alle Möglichkeitenauszuschöpfen, um die Demonstrationender Tierschützer vor den Filialender Firma Kleiderbauer zu verhindern“.Dass eine schlichte Verweigerungder Genehmigung unmöglich ist, warden Beamten bewusst, wie ein Protokollvom Dezember 2007 klarstellt:„Die Untersagung von Kundgebungen[wird] derzeit nicht für möglich erachtet.“Daher wählte man den Weg der Kriminalisierungder Tierschützer.Am 10. April 2007 wurde laut Pilzeine „Soko Bekleidung“ gegen dieTierschützer eingerichtet, ohne dass59


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>ein konkretes Verdachtsmoment vorgelegenhätte. Erich Zwettler, Leiterder Abteilung Ermittlungen, Organisierteund Allgemeine Kriminalitätim Bundeskriminalamt (BK), „hatgewusst, dass er nichts in der Handhat. Trotzdem wurden Hausdurchsuchungenund Verhaftungen vorbereitetund obwohl nicht Relevantesgefunden wurde, der Fall bei derStaatsanwaltschaft Wiener Neustadtangezeigt, die bereit ist, den GebrüdernGraf jeden Wunsch zu erfüllen“,so Pilz.Die Tierschützer seien in der Folgeobserviert, verdeckte Ermittler eingeschleust,Telefonüberwachungenvorgenommen und die Steuerfahndungeingeschaltet worden, wobei alles,was die Ermittlungen ergaben, dieKlärung des Delikts des Einschlagenseiner Fensterscheibe mit einem Stein,also eine Sachbeschädigung, war. Bemühtwurde dafür eine DNS-Untersuchung(Zellspuren, die vom Steinsichergestellt wurden.)Die Staatsanwaltschaft WienerNeustadt beruft sich auf eine Notwendigkeitzum Handeln, da „die Straftatenvon 2005 auf 2006 stark angestiegenseien“. Es handelt sich hierum einen Anstieg von 24 auf über 40.Nein, nicht Straftaten. Anzeigen!Und diese Anzeigen beziehen sich inder großen Mehrheit auf derart „kapitale“Delikte, wie• Verkleben von Autoschlössern vonRepräsentanten,• Beschädigung von Pelzen (Buttersäureanschlägen),• Demonstrationen auf der Straßevor Wohnhäusern von Tierfabriksrepräsentanten,• dem schnellen Betreten von Firmenbürosund Verteilen von Flugzetteln.Welche zutiefst gefährliche Groteskediese Rechtsanwendung in Österreichbewirken kann, von Strafrechtstatbeständen,die der Bevölkerung unterganz anderem Vorzeichen verkauftwurden, zeigt der Vorwurf derDemonstrationen vor Wohnhäusern.Diese wurden unter dem Titel von„Beharrlicher Verfolgung (Stalking)“angezeigt.Leider müssen wir zur Kenntnisnehmen, dass wir die massive Auswirkungdieses Paragraphen auf jeglichenpolitischen Aktivismus bei seiner Entstehung1993 unterschätzten. Wennden 10 Verhafteten keine einzige Straftatnachgewiesen werden kann, führtdas leider aufgrund der Gesetzeslagenicht zu deren Entlastung. Gelingtder Anklagebehörde der Nachweis,dass eine kriminelle (oder terroristischenach Absatz c und d) Vereinigungvorliegt, ist alleine die Teilnahmean der Vorbereitung dieser bereitsstrafbar.Das heißt, es geht nicht um Individuenzurechenbare Straftaten, seienes mutmaßlich begangene oder mutmaßlichgeplante, sondern um politischeIntention, die in Form vonZusammenschlüssen zum Ausdruckkommt. Mit dem §278 kehrt das Meinungsdeliktzurück.Wie sehr hier, in Fortschreibungdes „Islamistenprozesses“ gegen MohammedM. und Mona S. vergangenenHerbst, staatliche Organe Gesetzenach Gutdünken auslegen, umvor jeder außerparlamentarischer politischerArbeit abzuschrecken undwie sehr diese Richtung bereits in denGesetzen angelegt ist, zeigt der Umstand,dass die entstandene Judikaturauf Basis des §278 zwischen kriminellenOrganisationen mit weniger alszehn (mindestens drei) und zehn odermehr Angehörigen unterscheidet, wassich im weitaus höheren Strafrahmenim letzteren Fall ausdrückt.Man muss nicht Schelm sein, umnicht an Zufall zu glauben, dass haargenauzehn Personen verhaftet wurden.Seit der Verhaftung fanden imsechswöchigen Abstand Haftprüfungenstatt. Mit Ausnahme derletzten Haftprüfung verlängerte dasGericht dabei immer wieder die Untersuchungshaft.Bei der letzten Haftprüfung MitteAugust wurde einer der zehn verhaftetenTierschützer aus der Untersuchungshaftentlassen, da lautHaftrichter weder genügend Anhaltspunktefür entsprechende Straftatenvorliegen, noch Fluchtgefahr gegebenist.Aus der Sicht von außerparlamentarischenpolitischen AktivistInnen, alsdie wir uns verstehen, kann es daraufnur eine klare Antwort geben:• Volle Solidarität mit den Betroffenen• Brandmarkung des freizügigenUmgangs mit Untersuchungsmethoden,wie DNS-Analysen• Kampf mit allen politischen Mittelnzur Beseitigung dieses Unrechtsparagraphenals Versuch desAbbaus noch verbliebener Restevon Demokratie!Reinhard LoidlPostskriptum:Am 2. September 2009, am 110. Tagder Untersuchungshaft, wurden dieneun verbliebenen Inhaftierten auffreien Fuß gesetzt und auf Weisungder Oberstaatsanwaltschaft Wien dieUntersuchungshaft aufgehoben.Einer der Enthafteten, MartinBalluch vom VGT, sprach in Hinblickauf die ihm vorgeworfenen Straftatenvon „aus jedem Zusammenhang gerissenenZitaten, die elf Jahre alt sind“.Medienberichte über Buttersäureanschläge,die er auf seinem PC archivierthatte, wären als Beleg für seineVerstrickung in eine kriminelle Organisationgenommen worden.Es bestätigt sich umso mehr: Durchden §278 sind AktivistInnen permanentvon Kriminalisierung bedrohtund Spielball politischer Interessenslagender Eliten.Die Fakten drängen einen Seitenblickzum Verfahren gegen MohammedM. und Mona S. auf – dem„Wiener Terroristenprozess“, auf dessenUnregelmäßigkeiten in der letztenAusgabe der Intifada hingewiesenwurde.In beiden Fällen eine Blamage fürdie Republik. Jeglicher Jubel erscheintaber voreilig. Einerseits zeigte sich inbeiden Fällen, dass erst Höchstinstanzendes Rechtssystems den Rechtsstaatverteidigen und die Justiz alsGesamtes keineswegs entgegen politischenInteressen verfassungsmäßigeRechte garantiert.Der Kampf für eine restlose Beseitigungdes § 278 bleibt zentral undaktuell.60


Herbst 2008EuropaSerbenfreund H.-C. StracheNeue Konstellationen im dritten LagerAls Heinz Christian Strache anlässlich der völkerrechtswidrigen Sezessionder serbischen Provinz Kosovo für die serbische Seite Partei ergriff, verblüfftedies weite Teile der österreichischen Öffentlichkeit. Allzu sehr stehtdiese Position im Widerspruch zu der traditionell antiserbischen Haltungösterreichischer Rechtspopulisten und Deutschnationaler, die bisher eherden Standpunkt „Serbien muss sterbien“ vertraten.Doch nicht bloß Deutschnationaleund Rechtskonservative unterstelltender serbischen Politik der 1990er Jahreein „Großserbien“ anzustreben. Auchin linksliberalen Kreisen geisterte dasaus dem Ersten Weltkrieg bekannteSchreckgespenst serbischer Hegemoniebestrebungenumher und bereiteteder allgemeinen Kriegsbereitschaft gegenSerbien den Boden. Als die Nato1999 serbische Städte bombardierte, gabes in Österreich so gut wie keine Proteste.Die damalige österreichische Friedensbewegungbestand fast ausschließlichaus in Österreich lebenden Serben.Doch schon des Öfteren hat ein Feindbilddas andere abgelöst. Waren dies unlängstnoch die (slawischen) Kommunisten,so fürchtet man sich heute vorden fundamentalistischen Muslimen.Zwar reicht der österreichische Antislawismusweit hinter die kommunistischeVergangenheit zurück und ist nichtmit dem Antikommunismus gleichzusetzen,doch bezog dieser in Österreichseine Mobilisierungskraft sehr stark ausantislawischen Ressentiments – undumgekehrt.Da gegenwärtig die europäische Integrationoberste Priorität hat, sollteman meinen, dass alte Feindbilder ausgedienthätten. Auch Serbien soll möglichstbald der EU beitreten, Konfliktevergangener Tage vergessen werden.Doch es ist nun einmal keine zehn Jahreher, dass sich die Nato mit einemBombenkrieg gegen Serbien für die Kosovo-Albanerstark gemacht hatte. Zurnachträglichen Legitimierung westlicherInterventionspolitik am Balkanwurde das Kriegsverbrechertribunal inDen Haag ins Leben gerufen. Die (serbischen)Hauptverantwortlichen fürdie begangenen Verbrechen sollten dortmedienwirksam Buße tun, um – wiebehauptet wird – den Serben zumindestdie Last der Kollektivschuld zunehmen. Anders gesagt: Der Bombenkriegmusste als notwendiges Übel, umSchlimmeres zu verhindern, gerechtfertigtwerden. Da man Serbien in derEU sehen möchte, wird GoldhagensKollektivschuldthese (dieser hätte dieSerben gerne umerzogen) verworfenund die Verantwortung ausgemachten„finsteren Gestalten“ à la Milošević zugewiesen.Man ist bemüht eine „proeuropäische“Hegemonie in Serbien zuschaffen, was sich jedoch immer wiederals Drahtseilakt erweist, da das Dogmader serbischen Hauptverantwortungfür die Jugoslawienkriege bestehenbleiben muss. Es könnten sonstunerwünschte Fragen nach der Rolleder Nato aufkommen. Dies führt zurfortwährenden Ignorierung der die Serbenbetreffenden nationalen Fragen inBosnien und Kroatien, gipfelte in derAbtrennung des Kosovo und ist somitder „proeuropäischen“ Stimmung inSerbien eher abträglich. Erst mit demEU-Beitritt Serbiens wäre das Projektder Umgestaltung des Balkans vollendet,doch bedarf ein solcher der Zustimmunggroßer Teile der serbischenBevölkerung. Man darf gespannt sein,wie hier weiter verfahren wird.Islamfeindlichkeit von Links undRechtsSolche Sorgen liegen H. C. Strache fern.Er hat in den Serben die wahren Verteidigerdes christlichen Abendlandesvor der islamischen Expansion erkannt.Und tatsächlich finden derartige Interpretationenauch Anklang bei Serben,die sich von Europa und den USA betrogenfühlen. Man kann sich diesenDenkvorgang ungefähr so vorstellen:„Die Amis und die Europäer reden ständigüber islamischen Terrorismus, führenzu dessen Abwehr Krieg im NahenOsten etc. Wir Serben führen ihrenKampf vor unserer Haustür, doch derWesten unterstützt lieber die Terroristen.“Und tatsächlich stimmt dieses Argumentzum Teil, haben doch auch vomWesten als terroristisch bezeichnete islamischeOrganisationen im Bosnienkriegbei der Bewaffnung islamischerMilizen geholfen. Dem liegt jedoch einMissverständnis zugrunde. Zwar trifftes zu, dass nach dem Zusammenbruchdes Sozialismus der Islam zum Hauptfeindder „Freien Welt“ erklärt wurde,doch darf nicht übersehen werden, dasszumindest die USA keinerlei Bedenkenhaben, die rigidesten, fundamentalistisch-islamischenRegime zu stüt-Bild: flickr/nofrills61


Europa Intifada Nr. <strong>26</strong>zen. Während der Iran zum Inbegriffdes islamischen Fundamentalismus erklärtwird, darf sich Saudi Arabien derZuneigung Washingtons erfreuen. Entscheidendist hier allein die Parteinahmeim globalen Konflikt. Die bosnischmuslimischenEliten waren bereit, sichden Herren in Washington und Berlinunterzuordnen, während der Einflussarabischer Staaten auf Bosnien marginalblieb. Die Islamisierung des albanischenNationalismus ist ohnehin nicht zu befürchten,definieren sich die Albanerdoch entlang ethnischer, nicht religiöserKriterien. Die Solidarisierung mit densich im Krieg mit den USA befindlichenmuslimischen Ländern scheint ihnenvöllig fremd zu sein. Viel mehr kannman bei albanischen Kundgebungenregelmäßig ein US-amerikanisches Fahnenmeerbeobachten.Was will uns also Strache mit seinerserbienfreundlichen Orientierung sagen?Neben dem offensichtlichen Ringenum Wählerstimmen von österreichischenStaatsbürgern serbischerHerkunft, ist dies Ausdruck des Heranwachsenseiner neuen transversalen Ideologie.Die Zurückweisung des Islamals eine gewalttätige, frauenfeindliche,expansionistische usw. Religion, ist dasideologische Phänomen der Gegenwart.Die dem Islam zugeschriebenen Adjektivedeuten auf die ideologische Herkunftder Mehrheit der so genanntenIslamkritiker hin. Denn Strache und andererechte Einpeitscher sind nicht dieWortführer der antiislamischen Kampagne.Sie bewirten lediglich den vonliberalen Zeitgeistern bereiteten Boden.Die in linker Manier und Terminologievorgetragene „Kritik“ am Islamwird von Rechtspopulisten mit Kulturkampfparolenunterfüttert. Doch auchder Kulturkampf ist in der sich links gebendenRhetorik bereits angelegt, wiedas Gerede von den emanzipatorischenErrungenschaften, die vom „fundamentalistischenIslam“ in Frage gestellt werden,deutlich macht. Hier tun sich mitlinksradikaler Attitüde auftretende Akteureaus dem Umfeld der KPÖ, der ÖsterreichischenHochschülerschaft (ÖH)sowie diverse Antifa-Gruppen besondershervor. Mit feministischer Rhetorik,unreflektiertem Säkularismus undüber den Umweg der Solidarität mit Israelmanövrieren sie sich in ein gänzlichantagonistisches Verhältnis zu jeglicherForm arabischer Selbstbestimmung.Der „islamische Faschismus“ ist ihreErfindung, der antifaschistische „Abwehrkampf“ihr Marschbefehl, „USA– Antifa“ ihr Schlachtruf.Ein Feindbild löst das andere abDas Verständnis, das Strache plötzlichfür serbische Positionen aufbringt, istauch deshalb interessant, weil der Serbenhassim Österreich der ersten Hälftedes 20. Jahrhunderts in seiner allegesellschaftlichen Schichten und politischenLager übergreifenden Dimensionmit dem heutigen antiislamischenRessentiment und dem historischenAntisemitismus vergleichbar ist. Keinanderes Feindbild war in Österreichähnlich wirksam wie die angeführtendrei, obwohl eingeräumt werden muss,dass die Islamfeindlichkeit noch nichtdie Dimensionen der beiden anderengenannten Phänomene angenommenhat. Da die antiislamische Kampagnejedoch mit massivem Aufwand globalgeführt wird, ist eine Zuspitzung zu erwarten.Die Parteinahme Straches fürSerbien ist sehr aufschlussreich. Der slawischeSüden und Osten Europas ist fürihn ob seiner christlichen Tradition Teil„unserer Wertegemeinschaft“, vergessenscheint ihr rechtes Geschwätz von gestern.Straches Position reflektiert damitdurchaus die antiislamische Stimmunginnerhalb der Unterschichten.Zudem weist die von Politikern, Intellektuellenund Mainstream-Philosophenzuletzt häufig bemühte Redevon der „christlich-jüdischen“ Traditiondarauf hin, dass es auch eine antiislamischeKampagne von oben gibt. Alshätte es den europäischen Antisemitismusund seine unzähligen Exzesse nichtgegeben, wird das Judentum der abendländischenTradition zugerechnet. Derchristliche Antijudaismus und der säkulareAntisemitismus Europas gehenin der Islamfeindlichkeit auf.Welche Rolle spielt also Strache indiesem Schauspiel? Natürlich beruft ersich nicht auf die „christlich-jüdischeTradition“, klopft keine Antifa-Sprüche,und es liegt ihm auch fern, gegendas iranische Atomprogramm zu wettern.Strache bedient eine andere Klientel.Er kümmert sich um die Arbeiterschaft,die auf dem Arbeitsmarkteinem gnadenlosen Konkurrenzkampfausgeliefert ist. Die Zustände spitzensich zu. Strache möchte vor allem diegedemütigten Lohnabhängigen anrufenund sie gegen einen äußeren Feindin Stellung bringen. Auf den antiislamischenPropagandazug aufzuspringenbot sich ihm als einfachster Weg an.Doch kommt der antiislamische Chauvinismusmitten aus der politisch korrektenWertegemeinschaft, die abwechselnddie Menschenrechtsverletzungenislamischer Regierungen gegenüber derBevölkerung, die Aggressivität der islamischenBevölkerung gegenüber westlichenEinrichtungen und Symbolen unddie Irrationalität und Unmündigkeit islamischerpolitischer Führungspersönlichkeitenals Interventionsgründe anführt.Der Islam wird beschuldigt dieAufklärung verdrängt zu haben. WennFPÖ-Politiker den Islam als solchenangreifen (Mohammed sei ein Kinderschändergewesen etc.), liegen sie im allgemeinenTrend. Die inszenierte Empörungdes Mainstreams über die Hetzeder FPÖ ist nicht besonders glaubwürdig.Der liberale Intellektuelle mag Äußerungendieser Art vielleicht als geschmacklosempfinden. Das Klischeedes Frauen unterdrückenden, Judenhassenden, religiös verblendeten Muslimenentsprang jedoch bestimmt nichtdem politischen Umfeld der FPÖ.Es bleibt zu hoffen, dass sich inSerbien anstatt eines gegen die islamischeWelt gerichteten Chauvinismusals Aufnahmebedingung in diewestliche Wertegemeinschaft die Meinungdurchsetzt, dass man auch selbstzu einem Opfer der imperialen Politikgeworden ist. Straches Zugehen auf dieSerben möchte Ersteres bewirken, obwohlauch er Kritik am Imperialismusder EU und der USA nicht ausspart.Die Ablehnung der völkerrechtswidrigenKriege und Besatzungen im Irakund in Afghanistan geht der FPÖ zwarleicht über die Zunge, was sie jedochnicht daran hindert, gleichzeitig vor derIslamisierung Europas zu warnen. SerbiensNationalisten dürften dies ähnlichsehen, doch sie befinden sich tatsächlichin einem ernsthaften Konflikt mitdem westlichen Hegemonismus, wasvon den „freiheitlichen“ Maulheldennicht behauptet werden kann.Milan Obid62


AutorInnen und ÜbersetzerInnen:Mohammed AburousSebastian BahloMargarethe BergerGunnar BernhardGernot BodnerStefan HirschJost KaschubeWilhelm LangthalerReinhard Loidlgeboren 1976 in Palästina. Lebt derzeit in Österreich. Studierte technische Chemie an der TU-Wienund dissertierte an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Aktivist des Arabischen Palästina-Clubs (APC) und des Österreichisch-Arabischen Kulturzentrums (OKAZ) in Wien.geboren 1982, lebt in Frankfurt am Main. Er hat als Mitglied des Internationalen Komitees für die Verteidigungvon Slobodan Milošević am Jugoslawien-Tribunal in Den Haag gearbeitet. Er ist Mitherausgeberdes Buches „Die Zerstörung Jugoslawiens – Slobodan Milošević antwortet seinen Anklägern“, ZambonVerlag Frankfurt am Main, das in diesem Jahr in 3. Auflage erscheinen wird.geboren 1968 in Wien, studierte Slawistik an der Universität Wien, wiederholte Reisen in den arabischenRaum und Südamerika.geboren 1973 in Wien, arbeitet als Behindertenbetreuer. Aktivist der Antiimperialistischen Koordination.geboren 1974 in Bruck an der Mur, studierte an der Universität für Bodenkultur in Wien, große Reisetätigkeitvor allem nach Südamerika. Aktivist der Antiimperialistischen Koordination.geboren 1976 in Wien, studierte Geschichte und Geografie an der Universität Wien, arbeitet im Bildungsbereich.geboren 1942 in Bielitz, Diplommathematiker, bekennender 68er, arbeitete als Lehrer, Drehbuchautor,in der Datenverarbeitung und im Qualitätsmanagement. Asienreisender, jetzt Rentner.geboren 1969, arbeitet als technischer Angestellter in Wien, Aktivist der Antiimperialistischen Koordination.Zahlreiche Reisen zu den Zentren des Widerstands, insbesondere am Balkan, in den NahenOsten und auf dem indischen Subkontinent, Koautor des Buches Ami go home, erschienen im VerlagPro-Media.geboren 1961, Studium der Publizistik, Lektor der Universität Wien.Peter MelvynMilan ObidDimitri TsalosPetra WildThomas ZmrzlyStudien der Sozialwissenschaften und Geschichte in Paris, New York, Toronto und Montreal. Lektorfür Sozialgeschichte and der Université de Montréal. Hauptkarriere als höherer Beamter in derInternationalen Arbeitsorganisation, Genf. Mitte der 80er Jahre Übersiedlung nach Wien, als Konsulentfür internationale Organisationen tätig. Aktivist der Jüdischen Stimmen für einen gerechten Friedenin Nahost.geboren 1981 in Klagenfurt/Celovec, Student der Sozial- und Kulturanthropologie und Slawistik inWien, Vorsitzender des Klubs slowenischer StudentInnen in Wien / Klub slovenskih študentk in študentovna Dunaju.geboren 1972, Ausbildung zum Buchhändler in Stuttgart, derzeit kaufmännischer Angestellter in Köln.Ehemals Mitglied und Mandatsträger der PDS, heute aktiv in der Bewegung gegen Neoliberalismusund Krieg. Mitherausgeber von Naher und Mittlerer Osten – Krieg, Besatzung, Widerstand, Pahl RugensteinVerlag, 2007.geboren 1963, Islamwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Widerstand, Konflikte und Protestbewegungenin der arabisch-islamischen Welt. Lebt in Berlin.geboren 1969, arbeitet als Krankenpfleger in Düsseldorf.


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