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Zahlen und Gesichter eines Massenphänomens<br />
In einer technisierten, zunehmend beschleunigten<br />
Zeit ist ein 1000 Jahre alter, Hunderte von Kilome<br />
tern langer Fußweg offensichtlich genau das, was die<br />
Menschen brauchen. Anders ist der jüngste Pilger<br />
boom nicht zu erklären. Immer mehr nehmen sich<br />
eine Auszeit von Erfolgsdruck und Zukunftsangst,<br />
begeben sich auf die Suche nach sich selbst, nach<br />
�<br />
verschütteten seelischen und emotionalen Bedürfnis<br />
sen. Der ideale Partner dafür scheint der Jakobsweg<br />
zu sein. In nicht einmal zwei Jahrzehnten wandelte<br />
sich der nahezu verödete Pilgerweg zu einem, je nach<br />
Jahreszeit, wahre Massen transportierenden Strom.<br />
Jetzt bewegt der Jakobsweg wieder Menschen, Ge<br />
müter – und viel Geld.<br />
Der Jakobsweg bewegt wieder – Morgenstimmung<br />
bei Azofra.<br />
Der Pilgerboom zeigt Wirkung: Volle Herbergen<br />
sind zur Hochsaison immer öfter Alltag.<br />
Ein Weg hoch im Kurs<br />
Manch Aktienindex wünschte sich die steil<br />
nach oben zeigende Zuwachskurve des<br />
Jakobsweges. Abzulesen ist sie an der seit<br />
1985/86 vom Pilgerbüro der Erzdiözese<br />
von Santiago de Compostela geführten<br />
Statistik, basierend auf den ausgegebenen<br />
Pilgerbescheinigungen: Holten sich anfangs<br />
nur übersichtliche 2500 Pilger die »Compostela«<br />
ab, so werden inzwischen jährlich<br />
über 100.000 der Pilgernachweise ausgestellt.<br />
Zählt man auch die Pilger mit, die nur<br />
Teilstrecken gehen oder auf die Bescheinigung<br />
verzichten, so liegt die Zahl sogar<br />
noch höher (im Jahr 2007 etwa um 10.000).<br />
Die Popularität des Weges ist auch öffentlichen<br />
Förderungen zu verdanken.<br />
1987 kamen die fünf Regionen des Jakobsweges<br />
(Navarra, Aragón, La Rioja, Castilla y<br />
León und Galicien) überein, den Weg gemeinsam<br />
instand zu setzen. 1991 gründete<br />
die galicische Landesregierung (Xunta de<br />
Galicia) zur Förderung des Jakobsweges das<br />
bis heute bestehende öffentliche Unternehmen<br />
»Xacobeo«. Im Vorfeld des Heiligen<br />
Jahres 1993 war es u.a. mit der Entwicklung<br />
der touristischen und kulturellen Infrastruktur<br />
des galicischen Teils des Weges und seiner<br />
Promotion betraut. Mit großem finanziellem<br />
Aufwand entstanden Pilgerherbergen,<br />
wurden Streckenführungen verbessert, his<br />
torische Bauwerke saniert. Die anderen Regionen<br />
zogen nach, wenn auch in kleinerem<br />
Stil.<br />
Das Comeback der Pilgerstrecke gelang furios:<br />
Schon im Heiligen Jahr 1993 kamen<br />
100.000 Pilger nach Santiago de Compostela.<br />
Im Folgejahr sank die Zahl zwar auf<br />
»nur« 15.000 Pilger, doch wurde seither<br />
zwischen den Jubeljahren ein kontinuierlicher<br />
Zuwachs registriert. Mittlerweile hat<br />
sich die Zahl bei rund 100.000 Pilgern eingependelt.<br />
Das Año Santo 2004 vermeldete<br />
mit 180.000 Pilgern einen Rekord. Eine<br />
ähnliche, wenn nicht noch größere Pilgerschwemme<br />
wird für das kommende Heilige<br />
Jahr 2010 erwartet. Die globale Vermarktung<br />
des Pilgerweges brachte 2007 erstmals<br />
die spanischen Pilger in die Unterzahl.<br />
36 37<br />
Der Trend setzte sich 2008 fort: Von insgesamt<br />
125.141 Pilgern waren rund 64.000<br />
nicht spanischer Nationalität. Wie schon die<br />
Jahre zuvor stellten die deutschen Pilger<br />
(15.746) die größte Ausländergruppe, gefolgt<br />
von den Italienern (10.700) und Franzosen<br />
(6600; leichter Rückgang im Vergleich<br />
zum Vorjahr). Aus Portugal wurden<br />
4341 Pilger gezählt, aus den USA rund<br />
2200. Der Anteil der österreichischen und<br />
Schweizer Pilger stieg mit rund 1800 bzw.<br />
rund 1200 nur geringfügig an. Der »Rest<br />
der Welt« war mit knapp 10.000 Pilgern<br />
(vorwiegend Nord und Südamerika) eher<br />
schwach vertreten, doch auch er holt auf.<br />
Medienberichte über den Pilgerweg und<br />
die Übersetzung von Paulo Coelhos »Jakobsweg«<br />
mobilisieren z. B. verstärkt Pilger