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Vortrag von Prof. Dr. M. Böck über das - Institut für Klinische ...

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Abteilung <strong>für</strong> Transfusionsmedizin und Immunhämatologie<br />

Leiter: <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. M. <strong>Böck</strong><br />

<strong>Vortrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. M. <strong>Böck</strong> <strong>über</strong> <strong>das</strong> Leben und Werk Karl Landsteiners anlässlich der Vorlesungsreihe<br />

„Uni <strong>für</strong> alle“ der Universität Würzburg am 09.01.2007<br />

[Hauptquelle <strong>für</strong> diesen <strong>Vortrag</strong> war „Karl Landsteiner“, eine Biographie <strong>von</strong> Paul Speiser und Ferdinand G. Smekal aus dem Jahre<br />

1974 (Verlag Brüder Hollinek, Wien)]<br />

Aller guten Dinge sind 4 – die Blutgruppen und ihr Entdecker<br />

Sehr verehrten Damen und Herren,<br />

es ist heute Abend meine Aufgabe – die ich übrigens sehr gerne erfülle -, Ihnen <strong>über</strong><br />

einen der großen Pioniere der Medizin zu berichten, einen der 13 Nobelpreisträger, welche<br />

in Würzburg hier an unserer Universität gearbeitet und gewirkt haben. Die Vorbereitung<br />

auf diesen <strong>Vortrag</strong> war nicht einfach, da Karl Landsteiner ein sehr zurückhaltender,<br />

ruhiger und bescheidener Mensch gewesen war, dem an Publicity und pressewirksamer<br />

Öffentlichkeitsarbeit nur wenig gelegen schien und <strong>über</strong> den es daher auch nur wenige<br />

wirklich verlässliche Quellen gibt. Wie wenig Wert Karl Landsteiner auf persönlichen<br />

Ruhm und Ansehen in der Öffentlichkeit gelegt hat, mag aus einer Antwort <strong>von</strong> ihm auf<br />

die Frage eines Journalisten an den frisch gebackenen Nobelpreisträger am 8. November<br />

1930 hervorgehen: „Möchten Sie nicht unseren Lesern einiges <strong>über</strong> die Wiener Medizinische<br />

Schule sagen?“. Landsteiners Antwort: „Nein. Um Gottes willen, nicht. Das<br />

wäre eine Anmaßung <strong>von</strong> mir. Ich selbst bin doch aus der Wiener Medizinischen Schule<br />

hervorgegangen und was immer ich auch dar<strong>über</strong> sagen könnte, müsste wie Eigenlob<br />

klingen“.<br />

Wer also war jener Wissenschaftler, der nicht nur mit dem Nobelpreis <strong>für</strong> Medizin geehrt<br />

wurde, sondern der auch die Ehrendoktorwürde <strong>von</strong> Cambridge, Havard und der Universität<br />

Brüssel erhielt, der 1941 in die Royal Society in London aufgenommen wurde,<br />

der Träger der Goldenen Paul-Ehrlich-Medaille und der Goldenen Medaille der Niederländischen<br />

Gesellschaft vom Roten Kreuz war, der als Ehrenmitglied in die Gesellschaft<br />

der Ärzte Wiens aufgenommen wurde, mit dessen Konterfei die verschiedensten Geldscheine<br />

und Briefmarken unterschiedlicher Länder versehen wurden und der selbst so<br />

wenig öffentliches Aufhebens um seine Person gemacht hat?<br />

Karl Landsteiner wurde am 14. Juni 1868 in Baden bei Wien in der Neugasse 531 geboren.<br />

Die Eltern Landsteiners, der bekannte österreichische Publizist <strong>Dr</strong>. Leopold<br />

Landsteiner, Begründer der Österreichischen Reichszeitung und der Wiener Morgenpost<br />

und seine 18 Jahre jüngere Frau, Fanny Landsteiner verbrachten wie viele gutbürgerli-


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che Familien aus dem damaligen Wien ihre Sommerferien im malerischen Baden an<br />

den Hängen des Wienerwaldes. Das Haus gehörte dem Industriellen Josef Hesky, einem<br />

Freund der Familie und Vizepräsidenten einer großen Papierfabrik. Interessant ist,<br />

<strong>das</strong>s Landsteiner selbst später in öffentlichen Dokumenten niemals Baden, sondern immer<br />

Wien als seinen Geburtsort angab. Warum es <strong>das</strong> tat, ist weitgehend unklar. Es<br />

kann nur vermutet werden, <strong>das</strong>s der Grund in einer Flucht vor dem offensichtlich auch<br />

damals schon wütenden bürokratischen Amtsschimmel lag. Leopold Landsteiner gehörte<br />

dem mosaischen Glauben, also dem Judentum an. Da es im Jahre 1868 in Baden<br />

noch keine jüdische Kultusgemeinde gab, musste man mit dem Neugeborenen kurz<br />

nach der Geburt nach Wien zurückkehren, wo am 21. Juni 1868 die Beschneidung stattfand.<br />

Daher gibt es als Geburtsurkunde nur einen Eintrag im Matrikel der Wiener Israelitischen<br />

Kultusgemeinde, <strong>von</strong> Baden ist in keinem offiziellen Dokument die Rede Um<br />

dauernden Fragen und langwierigen Erklärungen aus dem Weg zu gehen, hat Landsteiner<br />

dann später wohl immer nur Wien als seinen Geburtsort angegeben.<br />

Im Februar 1875 erlag Landsteiners Vater mit nur 57 Jahren einer unerwarteten Herzattacke.<br />

Für Fanny Landsteiner und ihren gerade einmal 7 Jahre alten Sohn muss der<br />

plötzliche Tod ihres Ernährers ein harter Schicksalsschlag gewesen sein. Die Vormundschaft<br />

<strong>über</strong> den kleinen Karl <strong>über</strong>nahm der langjährige Freund der Familie Josef Hesky,<br />

in dessen Haus Karl Landsteiner ja auch geboren worden war.<br />

Über die Schulzeit <strong>von</strong> Karl Landsteiner gibt es wenig zu sagen. Aus den spärlichen Unterlagen<br />

lässt sich rekonstruieren, <strong>das</strong>s Landsteiner im Schuljahr 1873/74 eingeschult<br />

wurde und im Schuljahr 1877/78 an <strong>das</strong> k.k. Maximilian-Staatsgymnasium in der Wasagasse<br />

10, dem heutigen Wasagymnasium wechselte. Seine schulischen Leistungen<br />

müssen wohl recht gut gewesen sein. Im Mai 1885 legte er die schriftliche Matura ab.<br />

Selten spiegelt ein Zeugnis eines jungen Menschen so eindeutig dessen Begabungen<br />

wieder wie bei Karl Landsteiner: Griechisch befriedigend, Deutsch befriedigend, Propädeutik<br />

befriedigend, Geschichte und Geographie lobenswert, Mathematik lobenswert<br />

und Physik und Naturgeschichte vorzüglich.<br />

Im Herbst 1885 begann Karl Landsteiner <strong>das</strong> Studium der Humanmedizin an der Alma<br />

Mater Rudolfina der Universität Wien, <strong>das</strong> er 6 Jahre später mit dem dritten Rigorosum<br />

am 18. Februar 1891 abschloss. 3 Tage nach seiner Abschlussprüfung erfolgte am 21.<br />

Februar 1891die feierliche Promotion zum Doktor der gesamten Heilkunde.<br />

Nach einer kurzen Hospitation in der Innerer Medizin an der 2ten Medizinischen Klinik<br />

an der Universität Wien folgten 3 Jahre der wissenschaftlichen Ausbildung im Ausland,<br />

Wanderjahre (wenn man es so nennen mag), welche zunächst im Sommersemester<br />

1892 hier in Würzburg bei dem damaligen Ordinarius <strong>für</strong> Chemie, Emil Hermann Fischer<br />

begannen. Fischer, der im Jahre 1902 selbst den Nobelpreis erhalten sollte, stand kurz<br />

vor seiner Berufung nach Berlin, als Landsteiner in Würzburg zu ihm stieß. Dass<br />

Landsteiner nicht nur passiver Zuhörer Fischers war, sondern rasch zu dessen aktivem<br />

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Mitarbeiter wurde, zeigt eine Arbeit <strong>über</strong> den Glycolaldehyd, welche beide gemeinsam<br />

im Jahre 1892 veröffentlichten. Auf die Zusammenarbeit mit dem berühmten Chemiker<br />

und die daraus resultierende Publikation soll Landsteiner Zeit seines Lebens sehr stolz<br />

gewesen sein.<br />

Landsteiner wohnte damals in einem Haus in der Eichhorngasse 32. Es handelt sich um<br />

<strong>das</strong> Eckhaus gegen<strong>über</strong> dem Bürgerspital, in dem heute <strong>das</strong> Kaufhaus Quelle untergebracht<br />

ist. Manche <strong>von</strong> Ihnen mögen jene Medaille vielleicht schon einmal gesehen haben,<br />

welche die Stadt Würzburg im Jahre 1965 zu Ehren dieses großen Forschers an<br />

seinem ehemaligen Wohnhaus angebracht hat. Sie ist allerdings sehr diskret an einer<br />

der Säulen vor dem Haus platziert, so <strong>das</strong>s sie beim flüchtigen Vorbeigehen nur schwer<br />

wahrzunehmen ist.<br />

Nach kurzer Zeit, im Wintersemester 1892/93, wechselte Landsteiner nach München in<br />

die Akademie der Wissenschaften zu Eugen <strong>von</strong> Bamberger. Auch hier kam es wieder<br />

sehr rasch zu einer gemeinsamen Publikation <strong>von</strong> Lehrer und Schüler, welche den Titel<br />

trug: „Das Verhalten des Diazobenzols gegen<strong>über</strong> Kaliumpermangat“. Doch auch in<br />

München hielt es Landsteiner nicht lange. Es zog ihn nach Zürich an <strong>das</strong> eidgenössische<br />

Polytechnikum zu dem Chemiker Arthur Hantzsch, wo er die wissenschaftlichen<br />

Grundlagen <strong>für</strong> seine siebente Publikation „Reduktion der Pseudonitrole zu Ketoximen“<br />

(die allerdings erst einige Jahre später veröffentlicht wurde) legte.<br />

Im Jahre 1894 endeten Landsteiners wissenschaftliche Lehrjahre im Ausland. Er kehrte<br />

als sog. „Operationszögling“ (<strong>das</strong> entspricht dem heutigen Assistenzarzt) an <strong>das</strong> Allgemeine<br />

Krankenhaus in Wien zurück. Man muss wissen, <strong>das</strong>s Wien zum damaligen Zeitpunkt<br />

als „Mekka“ der Chirurgie in Europa galt. Die II. Chirurgische Klinik wurde <strong>von</strong><br />

dem (wenn man so will) Begründer der modernen Chirurgie, Theodor Billroth, geleitet,<br />

welcher sie im Jahre 1867 <strong>über</strong>nommen und ihr inzwischen einen solchen Ruf verliehen<br />

hatte, <strong>das</strong>s viele Patienten auch aus den entlegensten Winkeln der österreich-ungarischen<br />

Monarchie nach Wien kamen um sich hier behandeln zu lassen. Landsteiner arbeitete<br />

allerdings nicht in der Zweiten, sondern in der Ersten Chirurgischen Klinik des<br />

Allgemeinen Krankenhauses unter der Leitung <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. Alberts. An dieser Klinik war<br />

zur gleichen Zeit auch Adolf Lorenz tätig, welcher als sog. „Gipsdoktor“ zunächst <strong>von</strong><br />

vielen belächelt worden war (er hatte die Ruhigstellung per Gipsverband als Alternative<br />

zu Operation in die Frakturbehandlung eingeführt, was zum damaligen Zeitpunkt <strong>von</strong><br />

vielen Chirurgen mit Vehemenz abgelehnt wurde), der aber heute gerade wegen dieser<br />

konservativen Einstellung als Vater der modernen Orthopädie gilt. Aus vielen noch erhaltenen<br />

Krankengeschichten, welche die Unterschrift Landsteiners tragen, wissen wir,<br />

<strong>das</strong>s er wohl sehr eng mit diesem Pionier der Orthopädie und Inhaber der ersten <strong>Prof</strong>essur<br />

dieses Fachgebietes weltweit zusammengearbeitet haben muss.<br />

Allerdings schien die praktische Tätigkeit am Patientenbett Landsteiner nie wirklich befriedigt<br />

zu haben. Es war Wissenschaftler durch und durch und an <strong>das</strong> exakte Denken<br />

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der Grundlagenwissenschaften gewöhnt. Es fiel ihm wohl schwer, zu akzeptieren, <strong>das</strong>s<br />

vieles, was man damals in der Medizin getan hat, zu einem großen Teil auf persönliche<br />

Erfahrung, Intuition und Gespür des Arztes basierte und nicht durch exakte, wissenschaftlich<br />

fundierte Erkenntnisse belegbar war – eine Tatsache, die übrigens heute trotz<br />

aller unbestreitbar vorhandenen modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht viel<br />

anders ist als vor 150 Jahren. Hinzu mag eine gewisse Enttäuschung Landsteiners gekommen<br />

sein, wenn er seine Erfolge im Reagenzglas mit denen am Patientenbett verglich.<br />

Tödliche Narkosezwischenfälle waren damals die Regel (es war die Zeit des Chloroforms<br />

gewesen), viele Patienten verbluteten (Bluttransfusionen wurden zum damaligen<br />

Zeitpunkt noch kaum angewandt, nur wenige mutige Chirurgen wagten <strong>das</strong> enorme<br />

Risiko dieses Eingriffes), bei vielen Krankheiten konnte man nur tatenlos dem natürlichen<br />

Verlauf zusehen. Dies alles dürfte nicht unwesentlich zu Landsteiners Entschluss<br />

beigetragen haben, der praktischen Medizin den Rücken zu kehren und wieder zu seiner<br />

geliebten „Theorie“ zurückzukehren. Landsteiner war 27 Jahre alt, als er die Chirurgische<br />

Klinik verließ.<br />

Mit Datum vom 18. Oktober 1895 ist ein Schriftstück <strong>von</strong> Max <strong>von</strong> Gruber, dem damaligen<br />

Vorstand des Hygiene-<strong>Institut</strong>es in Wien <strong>über</strong>liefert, in dem er <strong>das</strong> „löbliche <strong>Prof</strong>essoren-Collegium<br />

der Medizinischen Fakultät Wien“ bittet, die vom Kultusministerium bewilligte<br />

zweite Assistentenstelle seines <strong>Institut</strong>es einem gewissen <strong>Dr</strong>. Karl Landsteiner<br />

<strong>für</strong> die Zeit vom ersten Januar 1896 bis zum 31. Dezmeber 1897 zu geben. Der Bitte<br />

wurde entsprochen und so konnte Landsteiner wieder seine wissenschaftlichen Arbeiten<br />

aufnehmen. Allerdings änderte sich die Thematik seiner Forschungsrichtung grundlegend.<br />

Waren bisher seine Arbeiten nahezu ausschließlich chemischer Natur gewesen,<br />

wurde nun die bakteriologische Serologie sein Thema, eine Forschungsrichtung, der er<br />

zeitlebens treu bleiben sollte. Aus dieser Zeit stammen Arbeiten <strong>über</strong> die „Einverleibung<br />

sterilisierter Bacterienkulturen“, die „Bakteriendichtigkeit der Darmwand“ oder die „Wirkung<br />

des Choleraserums außerhalb des Tierkörpers“.<br />

Allerdings waren die Arbeitsbedingungen am Hygieneinstitut nicht gerade berauschend.<br />

Das <strong>Institut</strong> war damals in der sog. alten Gewehrfabrik in Wien untergebracht, einem<br />

relativ kleinen Gebäude, <strong>das</strong> neben der Hygiene noch die Anatomie, die Physiologie und<br />

die Embryologie beherbergte. Die Räumlichkeiten waren beengt, die Ausstattung<br />

schlecht und veraltet. Deshalb wechselte Landsteiner noch vor Ablauf seines Vertrages<br />

am 1. Juli 1897 in <strong>das</strong> pathologisch-anatomische <strong>Institut</strong> der Universität Wien. Für Anton<br />

Weichselbaum, den damaligen Direktor des <strong>Institut</strong>es, war Landsteiner wohl vor allem<br />

wegen seiner Kenntnisse der Mikrobiologie ein wertvoller Assistent, der <strong>von</strong> ihm sehr<br />

gefördert und auch später habilitiert wurde.<br />

Diese Zeit war wohl eine der, wenn nicht die intensivste Schaffensperiode Landsteiners<br />

<strong>über</strong>haupt. In seiner Zeit am Pathologisch-anatomischen <strong>Institut</strong> veröffentlichte er insgesamt<br />

75 hochkarätige wissenschaftliche Arbeiten (darunter jene, <strong>für</strong> die er 1930 den Nobelpreis<br />

erhielt). Daneben ist sein Fleiß aber auch daraus ersichtlich, <strong>das</strong>s Landsteiner<br />

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in den Jahren 1898 bis 1908 insgesamt 3639 Obduktionen eigenhändig durchführte –<br />

<strong>das</strong> ist etwa ein Fünftel aller Leichenöffnungen des <strong>Institut</strong>es in dieser Zeit. Seine schon<br />

sprichwörtliche Arbeitswut zeigt sich in einer Episode, die sein damaliger Schüler und<br />

späterer Primarius des Ospedale Maggiore in Triest, Adriano Sturli, in einem Brief vom<br />

26. September 1961 plastisch schilderte:<br />

„…….Ich muss noch erwähnen, <strong>das</strong>s die letzten Arbeitsstunden am Nachmittag des 31.<br />

Dezember 1901 anfingen und ununterbrochen bis halb neun Uhr abends dauerten. Nur<br />

wir zwei waren ganz allein in dem stillen, öden, <strong>von</strong> allen verlassenen pathologischen<br />

<strong>Institut</strong>! Diese Stunden waren komisch-tragisch <strong>für</strong> mich: ich wäre gern schon viel früher<br />

mit meinen Freunden da<strong>von</strong>gelaufen, um den Silvesterabend lustig zu verbringen.<br />

Landsteiner aber war freundlichst unerbittlich und so musste ich, nach seinen Weisungen,<br />

weiter Blutkörperchen waschen und verschiedene Seren vermischen, abzentrifugieren<br />

usw., musste Tierkohlenpulver mit Farbe sättigen und ähnliches, so wie eben die<br />

Experimente in der Publikation erklärt werden, mit Resultaten, die mich in Verwunderung<br />

versetzten und Landsteiner als selbstverständlich erwartete. Zuletzt verabschiedeten<br />

wir uns, müde aber ganz freundlich, uns ein glückliches neues Jahr wünschend!“<br />

Soweit Adriano Sturli zum Silvesterabend 1901.<br />

In diese Zeit fällt auch Landsteiners Habilitation. 1902 wurde er als Mitglied der k.k. Gesellschaft<br />

der Ärzte in Wien aufgenommen. Im selben Jahr reichte er seine kumulative<br />

Habilitation ein, welche <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>essoren Weichselbaum (seinem Chef) und <strong>Prof</strong>. Ludwig<br />

(einem Chemiker, dem damaligen Dekan) begutachtet wurden. Am 19. Mai 1903 wurde<br />

Landsteiner mit einem Schreiben des Ministers <strong>für</strong> Kultus und Unterricht als Privatdozent<br />

<strong>für</strong> pathologische Anatomie bestätigt.<br />

5 Jahre später, am 1. Januar 1908 <strong>über</strong>nahm Landsteiner als 39-Jähriger die sog. Prosektur,<br />

d.h. die Abteilung <strong>für</strong> Pathologie des Wilhelminenspitals in Wien. Nachdem <strong>das</strong><br />

<strong>Prof</strong>essorenkollegium der Universität Wien am 16. Juni 1909 seine Ernennung zum <strong>Prof</strong>essor<br />

mit 25 gegen 1 Stimme vorgeschlagen hatte, erfolgte am 9. Jänner 1911 (man<br />

beachte: fast 2 Jahre später) die Ernennung zum unbesoldeten <strong>Prof</strong>essor <strong>für</strong> pathologische<br />

Anatomie. Am Wilhelminenspital blieb Landsteiner bis zum Zusammenbruch der<br />

Donaumonarchie Ende 1918.<br />

Nach dem frühen Tod seines Vaters hing Landsteiner mit großer Liebe an seiner Mutter.<br />

Ihr Tod am 6. April 1908, kurz nach Übernahme der Prosektur am Wilhelminenspital traf<br />

in offenbar sehr. Die Jahre nach dem Tod seiner Mutter waren erfüllt mit einem enormen<br />

Pensum an Arbeit. Landsteiner, der schon immer viel und gern gearbeitet hatte, wurde<br />

in der Folge nahezu unermüdlich. Seine Tage waren mehr als ausgefüllt einerseits<br />

durch seine Tätigkeit am Wilhelminenspital, andererseits durch seine Forschungsaufgaben<br />

als <strong>Prof</strong>essor <strong>für</strong> pathologische Anatomie an der Universität Wien. Aus dieser Zeit<br />

resultiert eine Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen <strong>über</strong> die unterschiedlichsten<br />

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Themen, die meisten <strong>von</strong> ihnen mit wirklich hochkarätigem Inhalt. Viel Platz <strong>für</strong> ein Privatleben<br />

blieb da offensichtlich nicht.<br />

Mitten im ersten Weltkrieg, im Jahre 1916 heiratete er relativ spät, im Alter <strong>von</strong> 48 Jahren,<br />

seine langjährige Verlobte Leopoldine Wlasto, 5 Monate später wurde ihr Sohn<br />

Ernst-Karl geboren. Kurz vor der Geburt hatte die junge Familie Landsteiner ein kleines<br />

Häuschen in Pukersdorf bei Wien gemietet, wo sie nun etwas außerhalb Wiens im Grünen<br />

lebte und sich offensichtlich auch recht wohl fühlte. Als Landsteiner wegen der Installation<br />

<strong>von</strong> elektrischem Licht in seinem neuen Haus beim Betriebsleiter des örtlichen<br />

Elektriziätswerks vorsprach, lernte er auch dessen 15-jährigen Sohn Karl Jagersberger<br />

kennen. Dieser junge Mann beschreibt in einem Brief aus dem Jahre 1970 die Persönlichkeit<br />

Landsteiners mit folgenden Worten: „Wenn ich heute dar<strong>über</strong> nachdenke, weshalb<br />

ich mit <strong>Dr</strong>. Landsteiner trotz des erheblichen Alterunterschiedes (nota bene: Jagersberger<br />

war damals 15) ein fast vertrauliches Verhältnis hatte, so mag <strong>das</strong> daran<br />

gelegen sein, <strong>das</strong>s er als leidenschaftlicher Arzt, ausgeprägter Wissenschaftler und Entdecker<br />

seiner Zeit so weit voraus war, <strong>das</strong>s er auch in Fachkreisen geachtet, aber nicht<br />

gleich verstanden wurde und deshalb, <strong>das</strong> ist meine Beobachtung, wohl einsam war. In<br />

meiner Person fand er nicht nur einen aufgeschlossenen Gesprächspartner, sondern<br />

was <strong>für</strong> ihn ausschlaggebend gewesen sein dürfte, einen aufmerksamen Zuhörer….“.<br />

Ganz offensichtlich schien Landsteiner ein sehr ruhiger, eher bescheidener Mensch gewesen<br />

zu sein, der nur wenig Aufhebens um seine Person machte. Von Kollegen wurde<br />

er eher als scheu beschreiben, der nie <strong>von</strong> sich aus eine Diskussion begann, aber immer<br />

aufgeschlossen und hilfreich gegen<strong>über</strong> Fragen und Bitten war.<br />

Das Jahr 1919 war wohl <strong>das</strong> bitterste Jahr nach dem verlorenen Krieg <strong>über</strong>haupt. Die<br />

Donaumonarchie war zusammen gebrochen, in Österreich herrschte Hunger und Not.<br />

Brennmaterial war knapp, die Menschen froren. An ein wissenschaftliches Arbeiten in<br />

den ungeheizten Räumen des <strong>Institut</strong>es war nicht mehr zu denken. Auch privat schien<br />

<strong>für</strong> Landsteiner die Situation ausweglos. Landsteiners finanzielle Verhältnisse waren ja<br />

schon vorher nicht die besten gewesen – aber nun war die Situation unerträglich geworden.<br />

Der letzte Anstoß, Österreich den Rücken zu kehren, war wohl die Tatsche gewesen,<br />

<strong>das</strong>s eines Tages Holzsammler in ihrer Not, Brennmaterial zu finden, Teile des<br />

Zaunes <strong>von</strong> Landsteiners Haus in Pukersdorf abrissen und mitnahmen. Dies hat ihn offenbar<br />

sehr getroffen. Zudem war ihm <strong>von</strong> der vorgesetzten Behörde mitgeteilt worden,<br />

<strong>das</strong>s er seine Arbeit als Prosektor am Wilhelminenspital weiterhin ohne Anspruch auf<br />

Entlohnung zu erfüllen habe. Der bereits erwähnte Karl Jagersberger schreibt <strong>über</strong> diese<br />

Zeit: „Die Verhältnisse nach Kriegsende wurden <strong>für</strong> <strong>Dr</strong>. Landsteiner wirtschaftlich und<br />

persönlich unerträglich. Er ist mit Recht <strong>über</strong> die Behandlung, die man ihm angedeihen<br />

ließ, verbittert. Wir haben in dieser Zeit oft <strong>über</strong> Auswanderung gesprochen.“<br />

Eines Tages ist es dann soweit. Landsteiner (51-jährig) erhält durch Vermittlung seines<br />

Assistenten Hans Lampl 1919 eine Stellung am Katholischen Krankenhaus in Den<br />

Haag, wo er die Prosektur, d.h. die Pathologie <strong>über</strong>nahm. Er verließ Wien und zog mit<br />

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seiner Frau und seinem Sohn in ein kleines Haus am Meer in Scheveningen bei Den<br />

Haag. Obwohl Landsteiners sich dort offensichtlich sehr wohl fühlten, war die Zeit alles<br />

andere als glücklich. Zwar waren die Lebensbedingungen in Holland besser als in Österreich,<br />

aber der Gehalt Landsteiners reichte auch hier nicht aus, um seine Familie ernähren<br />

zu können. So nahm Landsteiner notgedrungen noch einen Nebenjob an und arbeitete<br />

in einer kleinen Firma an der Herstellung <strong>von</strong> Tuberkulin. Auch in wissenschaftlicher<br />

Hinsicht war es <strong>für</strong> ihn schwierig. Die Räume waren winzig, die Ausstattung offenbar<br />

ungenügend und Landsteiner durch die tägliche Routine in der Pathologie wohl vollständig<br />

ausgelastet. Für wirklich wissenschaftliche Arbeit blieb nur wenig Raum. Deutlich<br />

wird dies aus einer Beschreibung <strong>von</strong> Peyton Rous, einem späteren Kollegen <strong>von</strong> Karl<br />

Landsteiner am Rockefeller <strong>Institut</strong> in New York: „He did the routine work of a clinical<br />

laboratory, examining urines and blood, making Wasserman tests, performing postmortems<br />

and scrutinizing the tissues microscopically – all this in a single room, with a<br />

nun and a man-servant as his only assistants.” Und weiter heißt es: “The room ist used<br />

for several other purposes, every doctor, who wants to examine a urine or who wants to<br />

have a cup of coffee or who wants to have a talk with Landsteiner comes to that room”.<br />

Man kann sich gut vorstellen, wie effektiv wissenschaftliches Arbeiten unter solchen Bedingungen<br />

sein konnte. Trotzdem gelang es Landsteiner, auch in seiner holländischen<br />

Zeit mehrere wissenschaftliche Arbeiten zu publizieren, was sicherlich nur mit eiserner<br />

Disziplin und wissenschaftlichem Fanatismus zu bewerkstelligen war.<br />

4 Jahre später (er war inzwischen 55 Jahre alt) erhielt Landsteiner einen Ruf an <strong>das</strong> Rockefeller<br />

<strong>Institut</strong>e for Medical Research in New York. Es war die Zeit als die Rockefeller<br />

Foundation die Forschung in Europa massiv unterstützte. Viele europäische Wissenschaftler<br />

wurden als Gäste an amerikanische Universitäten und Forschungseinrichtungen<br />

eingeladen, andere erhielten Berufungen an Rockefeller-<strong>Institut</strong>e. Als Landsteiner<br />

im Frühjahr 1923 mit seiner Familie in New York ankam, soll er auf die Frage, welche<br />

Art der Unterbringung er denn brauche, geantwortet haben: „Ich möchte ein kleines<br />

Häuschen am Meer wie in Scheveningen. Es soll nicht mehr kosten als ich dort zahlte,<br />

warten Sie ….. etwa 50 Dollar im Monat“. Man kann sich leicht vorstellen, <strong>das</strong>s solche<br />

Forderungen auf die New Yorker Weltstadtbürger etwas befremdlich wirken mussten.<br />

Letztendlich nahm sich die Familie Landsteiner eine Wohnung, die nicht am Meer lag<br />

sondern mitten in Zentrum New Yorks, in der lärmenden, lauten Madison Avenue, im<br />

ersten Stock <strong>über</strong> einem Metzger – und die sicherlich ein Vielfaches des Preises seines<br />

Häuschens in Scheveningen gekostet haben mag. Verständlich, <strong>das</strong>s sich Landsteiner,<br />

der die Ruhe und die Abgeschiedenheit liebte und Lärm verabscheute, nie so ganz an<br />

dieses Leben in Amerika gewöhnen konnte. Es wird erzählt, <strong>das</strong>s Landsteiner eines Tages<br />

sein Klavier verkauft hat, weil er die dauernden Klagen des Nachbarn nicht mehr<br />

ertragen konnte. Dieser beschwerte sich nicht etwa <strong>über</strong> schlechtes Klavierspiel oder<br />

häufiges Üben, sondern dar<strong>über</strong>, <strong>das</strong>s ihn der Lärm des Landsteiner-Pianos beim Radiohören<br />

stören würde.<br />

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Obwohl Landsteiner vor dem Erhalt des Nobelpreises nur wenige Räume zu Verfügung<br />

standen und er immer wieder auf typische Wienerische Art dar<strong>über</strong> „gegrantelt“ haben<br />

soll, waren die Arbeitsbedingungen am Rockefeller <strong>Institut</strong>e gut – zumindest um vieles<br />

besser als in Europa. Landsteiners Arbeiten galten <strong>von</strong> nun an vorwiegend der Immunologie<br />

des Blutes; er arbeitete und publizierte viel. 1926 erhielt er den Jahrespreis der<br />

Hans-Aaronson-Stiftung Berlin, ein Jahr später wurde ihm die Ehrendoktorwürde der<br />

Universität Chicago verliehen und 1929 wurde er zum Präsidenten der American Association<br />

of Immunologists gewählt (eine ungewöhnliche Ehre, wenn man bedenkt, <strong>das</strong>s<br />

Landsteiner zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 7 Jahre in America war).<br />

Wie schon in Wien und Den Haag so verstand es Landseiner auch in New York, Kollegen,<br />

Schüler und Mitarbeiter <strong>für</strong> seine Arbeit zu begeistern. Bald zählte sein Labor zu<br />

einer der begehrtesten Plätze <strong>für</strong> Wissenschaftler weltweit. Zu seinen Schülern gehörten<br />

Namen wie Phillip Levine und Alexander Wiener, die mit ihm zusammen <strong>das</strong> Rhesus-<br />

System entdeckten und viele andere mehr. Landsteiner war bekannt als <strong>über</strong>aus kritischer<br />

Wissenschaftler, der alles immer und <strong>über</strong>all in Frage stellte. Jedes Experiment<br />

seiner Assistenten musste vor seinen Augen wiederholt werden, alle wesentlichen Experimente<br />

wurden letztendlich immer nochmals <strong>von</strong> ihm persönlich durchgeführt, nichts<br />

wurde dem Zufall <strong>über</strong>lassen. In der Öffentlichkeit war Landsteiner jedoch eher ein zurückhaltender<br />

Mensch. Er verzichtete auf Auto, Radio und Telefon, um lieber abends<br />

zuhause ungestört lesen und arbeiten zu können. Am liebsten zog er sich wohl auf seinen<br />

Landsitz zurück, eine verlassene Farm in den riesigen Wäldern <strong>von</strong> Vermont, die er<br />

<strong>für</strong> seine Familie als Erholungsort gekauft hatte, wo er sich – wann immer ihm die Zeit<br />

blieb - mit viel Liebe um seinen Garten und seine Obstbäume kümmerte.<br />

Die Krönung seines Lebenswerkes war die Verleihung des Nobelpreises <strong>für</strong> Medizin. Er<br />

erhielt ihn im Jahre 1930 im Alter <strong>von</strong> 62 Jahren <strong>für</strong> die Entdeckung der Blutgruppen, die<br />

er im Jahre 1901 publiziert hatte. Interessant war seine Reaktion, als er erfuhr, <strong>das</strong>s er<br />

den Nobelpreis erhalten hatte. Als ein Freund am Abend der Verkündungstages bei ihm<br />

vorbeigekommen war, um ihm zu gratulieren, fand er die Familie Landsteiner ganz normal<br />

zusammensitzen wie jeden Tag. Es stellte sich heraus, <strong>das</strong>s Landsteiner am Abend<br />

nach Hause gekommen war und weder seiner Frau noch seinem Sohn etwas <strong>von</strong> dem<br />

Nobelpreis erzählt hatte.<br />

Im Jahre 1939, mit 71 Jahren, endete Landsteiners aktive Mitgliedschaft im Rockefeller<br />

<strong>Institut</strong>. Obwohl üblicherweise Emeriti am Rockefeller-<strong>Institut</strong> nicht weiterarbeiteten, erhielt<br />

Landsteiner – als wohl große Ausnahme – auch nach seinem Ausscheiden ein kleines<br />

Labor zugeteilt, in dem er trotz seines hohen Alters unermüdlich weiter arbeitete. 28<br />

Publikationen sind <strong>das</strong> Ergebnis aus jener Zeit; eine da<strong>von</strong> war die Entdeckung des<br />

Rhesus-Blutgruppen-Systems. Linus Pauling, der spätere Nobelpreisträger <strong>für</strong> Chemie,<br />

sagte <strong>von</strong> Landsteiner (den er in dieser Zeit kennen gelernt hatte), <strong>das</strong>s er bei ihm den<br />

„besten Vier-Tage-Kurs in Immunologie in der Menschheitsgeschichte“ besucht habe.<br />

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Die letzten Jahre Landsteiners wurden durch die Krankheit seiner geliebten Frau getrübt.<br />

Leopoldine Landsteiner litt an einem Malignom der Schilddrüse. Aber wie<br />

Landsteiner eben war – eine kampflose Kapitalution kam <strong>für</strong> ihn nicht in Frage. So widmete<br />

er sich die letzten Monate seines Lebens mit ganzer Energie dem Studium bösartiger<br />

Geschwülste, bis hin zur absoluten körperlichen Erschöpfung. Am 24. Juni 1943<br />

erlitt er in seinem Labor einen schweren Herzanfall. Zwei Tage später, am 26. Juni<br />

1943, 2 Wochen nach seinem 75ten Geburtstag, verstarb Karl Landsteiner, ein halbes<br />

Jahr vor seine Frau. Beide liegen auf einem kleinen, unbekannten Friedhof in Nantucket<br />

begraben.<br />

Lassen Sie mich nun noch ein paar Sätze zum wissenschaftlichen Werk Karl Landsteiners<br />

sagen. Es ist so ungewöhnlich, wie es Landsteiner wohl selbst war. Es ist gekennzeichnet<br />

durch 346 Publikationen, viele da<strong>von</strong> hoch- und höchstkarätig. Es ist kennzeichnet<br />

durch eine Vielzahl <strong>von</strong> Themen, <strong>von</strong> chemischen Arbeiten <strong>über</strong> Arbeiten zur<br />

Immunhämatologie bis hin zur Poliomyelitis und zur Syphilis. Es ist gekennzeichnet vom<br />

Humboldschen Ideal des universitären Gelehrten, dessen Ziel nicht die schnelle Umsetzung<br />

neu erworbenen Wissens in gewinnbringende Patente, sondern die Schaffung <strong>von</strong><br />

Wissen um des Wissens willen ist. Es würde zu weit führen, nun alle Arbeiten Landsteiners<br />

aufzulisten und zu beschreiben, Lassen Sie mich deshalb kurz auf jene Arbeit eingehen,<br />

welche die Medizin wohl am meisten beeinflusst hat und <strong>für</strong> die er letztendlich<br />

auch den Nobelpreis erhielt. Landsteiner war der Entdecker der ABO-Blutgruppen und<br />

gilt damit zu Recht als Vater der modernen Transfusionsmedizin, als Begründer des<br />

Fachgebietes, <strong>das</strong> viele Therapieformen unserer heutigen Medizin <strong>über</strong>haupt erst ermöglicht.<br />

Ohne Landsteiner wäre die Medizin heute sicherlich eine andere als die, die<br />

sie ist.<br />

Will man die Bedeutung der Entdeckung Landsteiners verstehen, so muss man in der<br />

Geschichte der Transfusionsmedizin einige Jahrhunderte zu den Anfängen der Bluttransfusion<br />

zurückgehen. Die Idee, Blut <strong>von</strong> einem Individuum auf ein anderes zu <strong>über</strong>tragen,<br />

war keineswegs neu, als Landsteiner seine Bahn brechenden Entdeckungen<br />

machte. Als erster soll ein englischer Landgeistlicher, Francis Potter bereits mehrere<br />

Jahrhunderte vorher, im 17ten Jahrhundert, dar<strong>über</strong> spekuliert haben.<br />

Die erste Transfusion <strong>von</strong> Tierblut auf den Menschen fand am 15. Juni 1667 in Paris<br />

statt. Es war der französische Mathematiker und spätere Leibarzt Ludwig des XIVten,<br />

Jean-Babtiste Denis, der als erster einem 15-jährigen Jungen <strong>das</strong> Blut eines Tieres <strong>über</strong>trug.<br />

Der Junge hatte eine fieberhafte Erkrankung und man hatte <strong>das</strong> gemacht, was<br />

man in jener Zeit therapeutisch immer machte (egal woran er Patient litt): Aderlässe.<br />

Das ging natürlich nur eine Weile gut - so lange, bis der Junge nahezu ausgeblutet war.<br />

Dann entschloss man sich zu dieser Transfusion.<br />

Interessant war die Begründung <strong>für</strong> die Wahl des Spender-Tieres. Es war der Charakter<br />

des Lammes, <strong>das</strong> den Ausschlag <strong>für</strong> diese Art der Transfusion gab. Das Lamm galt in<br />

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Aller guten Dinge sind 4: Die Blutgruppen und ihr Entdecker<br />

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der Mythologie als frommes und zahmes Tier, durch dessen Blut man nicht die Übertragung<br />

schlechter Charakter-Eigenschaften be<strong>für</strong>chten musste. Hätte man beispielsweise<br />

Hundeblut genommen, so hätte die große Gefahr bestanden, den Transfusionsempfänger<br />

„bissig“ zu machen. Der Junge <strong>über</strong>lebte – aus welchen Gründen auch immer. Dementsprechend<br />

verbreitet sich diese Therapiemethode innerhalb Europas wie ein Lauffeuer<br />

(auch ohne Radio, Fernsehen und Internet) und es wurde Mode, Patienten (was<br />

immer sie auch hatten) Lammblut zu transfundieren.<br />

Nun, wie nicht anders zu erwarten, ging diese Art der Transfusion nicht immer gut aus<br />

und es kam wie es kommen musste. Die sog. Chirurgia transfusioria (wie man damals<br />

die Transfusionsmedizin nannte) kam in Verruf und es dauerte nicht lange, bis sich die<br />

Juristen der Sache annahmen. So schränkte der französische Gerichtshof „Le Chatelet“<br />

durch einen Urteilsspruch am 17. April 1668 (also bereits ein Jahr nach der ersten<br />

Lammbluttransfusion) die ärztliche Therapiefreiheit in der Form ein, <strong>das</strong>s „es <strong>von</strong> nun an<br />

……keinem erlaubt sein solle, ohne die Einwilligung eines der Pariser Fakultät angehörenden<br />

Arztes die Transfusion anzustellen“.<br />

Trotz dieses Richterspruchs wurde die Transfusion <strong>von</strong> Schafsblut eine der beliebtesten<br />

Therapiemethoden <strong>über</strong> Jahrhunderte hinweg. Es dauerte immerhin bis in die zweite<br />

Hälfte des 19ten Jahrhunderts, bis sich – wie manche Spötter damals meinten – die Erkenntnis<br />

durchsetzte, <strong>das</strong>s man <strong>für</strong> eine solche Transfusion 3 Schafe benötigte: einmal<br />

<strong>das</strong> Schaf, <strong>das</strong> als Blutspender diente, einmal <strong>das</strong> Schaf, <strong>das</strong> eine solche Procedur <strong>über</strong><br />

sich ergehen ließ (gemeint war der Patient) und letztendlich <strong>das</strong> größte aller Schafe,<br />

nämlich <strong>das</strong>, welches eine solche Therapiemethode durchführte (gemeint natürlich der<br />

Arzt).<br />

Zu Begin des 19ten Jahrhunderts wurde <strong>von</strong> James Blundell, einem englischen Physiologen<br />

und Geburtshelfer eine neue Ära der Transfusionsmedizin eingeleitet. Er wagte<br />

als erster im Jahre 1818 (also 82 Jahre vor Landsteiners Entdeckung) eine Bluttransfusion<br />

<strong>von</strong> Mensch zu Mensch. Der Patient verstarb, allerdings nicht – wie die spätere<br />

Obduktion ergab – an den Folgen der Transfusion, sondern an den Folgen einer Blutleere.<br />

Damit glaubte man die Unschädlichkeit der Bluttransfusion als bewiesen. Den Ruf als<br />

Vater der modernen Transfusionsmedizin erwarb sich Blundell einige Jahre später im<br />

Jahre 1825, als er <strong>über</strong> die Rettung <strong>von</strong> 6 Frauen berichtete, die nach der Geburt zu<br />

verbluten drohten und die er durch eine Bluttransfusion am Leben erhalten konnte.<br />

Blundell nannte seinen Transfusionsapparat damals „The Gravitator“. Im Grunde war<br />

<strong>das</strong> nichts anderes als ein Trichter, <strong>über</strong> den <strong>das</strong> Spenderblut mit Hilfe eines Metallrohres<br />

per Schwerkraft in die Vene der Patientin geleitet wurde. Nach seinem Bericht in der<br />

Royal Society im Jahre 1828 <strong>über</strong> diese Transfusionserfolge entwickelte sich die Transfusion<br />

<strong>von</strong> Menschblut zu einer recht anerkannten Therapiemaßnahme mit „nicht zu unterschätzendem<br />

Erfolg“. Jenes Zitat aus einer Publikation Mitte des 19 Jahrhunderts<br />

spricht Bände:<br />

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„Die Transfusion ist eine der sichersten chirurgischen Eingriffe. Die Sterberate liegt bei<br />

einem <strong>von</strong> drei Patienten. Damit ist sie noch niedriger als nach der Behandlung <strong>von</strong> Eingeweidebrüchen<br />

und entspricht etwa der Sterberate <strong>von</strong> Amputationen“.<br />

Auf eine wirklich wissenschaftliche Basis wurde die Blutransfusion allerdings erst durch<br />

die Entdeckung Karl Landsteiners gehoben, die ihm 30 Jahre später den Nobelpreis einbringen<br />

sollte. Was hatte Landsteiner gemacht?<br />

Wie zum damaligen Zeitpunkt nahezu jede Bahn brechende Erkenntnis war auch<br />

Landsteiners Versuchsaufbau denkbar simpel und einfach. Landsteiner entnahm <strong>von</strong><br />

sich selbst und 5 weiteren Mitarbeitern Blut und trennte dieses durch Zentrifugation in<br />

Blutserum (d.h. die Flüssigkeit des Blutes) und rote Blutkörperchen (Erythrozyten) auf.<br />

Anschließend mischte er sein Serum und die Blutkörperchen der einzelnen Mitarbeiter<br />

<strong>Dr</strong>. Sturli, <strong>Dr</strong>. Pleen, <strong>Dr</strong>. Störk, <strong>Dr</strong>. Erdheim, <strong>Dr</strong>. Zarisch untereinander und beobachtete<br />

was passierte. Gleiches tat dann er dann in einem weiteren Versuch auch mit den Seren<br />

aller anderen Mitarbeiter.<br />

Da gab es Mischungen, wo gar nichts passierte, beispielsweise wenn man <strong>das</strong> Serum<br />

Landsteiners mit den Erythrozyten <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. Pleen zusammen gab. Die Erythrozyten und<br />

des Plasma vermischten sich problemlos und die Mischung sah aus wie ganz normales<br />

Blut. Es gab aber auch eine ganz andere Situation, beispielsweise beim Zusammenmischen<br />

<strong>von</strong> Landsteiners Serum mit den Erythrozyten <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. Sturli. Hier entstanden<br />

merkwürdige Klumpen (die Landsteiner Agglutinate nannte), die ganz anders aussahen<br />

als normales Blut. Offensichtlich wurden hier die Erythrozyten durch irgendeine Eigenschaft<br />

des zugegebenen Serums zusammengeballt. Diese Ergebnisse publizierte<br />

Landsteiner am 14. November 1901 in der Wiener klinischen Wochenschrift unter dem<br />

Titel „Über Agglutinationserschienungen normalen menschlichen Blutes“.<br />

Landsteiner schloss daraus, <strong>das</strong>s es drei Blutgruppen geben müsse, nämlich A, B und<br />

O. Alle Menschen besitzen in ihrem Serum Antikörper gegen die jeweils fremde Eigenschaft,<br />

also Patienten der Blutgruppe A weisen anti-B auf, Patienten der B anti-A, Patienten<br />

der Blutgruppe 0 sowohl anti-A als auch anti-B. Die 4te Blutgruppe AB konnte<br />

Landsteiner nicht entdecken, da keiner seiner Mitarbeiter diese Blutgruppe aufwies (sie<br />

ist die seltenste). Sie wurde kurz danach <strong>von</strong> seinem Schüler Adriano Sturli entdeckt<br />

und definiert.<br />

Damit war er Grundstein <strong>für</strong> die moderne Transfusionsmedizin gelegt. Damit war auch<br />

erklärt, warum damals ein <strong>Dr</strong>ittel der Patienten bei der Bluttransfusion verstarben. Das<br />

waren nämlich all diejenigen Patienten, deren Blutflüssigkeit Antikörper gegen die Blutgruppen-Eigenschaften<br />

der transfundierten Erythrozyten des Spenders aufwiesen.<br />

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Heute wissen wir natürlich sehr viel mehr <strong>über</strong> die Blutgruppen als Landsteiner damals.<br />

Heute wissen wir, <strong>das</strong>s es nicht nur <strong>das</strong> ABO-Blutgruppensystem mit seinen 4 Blutgruppen<br />

gibt, sondern 28 weitere Blutgruppensysteme mit etwa 600 verschiedenen Antigenen<br />

(<strong>von</strong> denen übrigens <strong>das</strong> MN-System, <strong>das</strong> Rhesus-System und <strong>das</strong> P-System in<br />

den 40iger Jahren ebenfalls <strong>von</strong> Karl Landsteiner entdeckt und publiziert wurden); heute<br />

wissen wir <strong>von</strong> der Bedeutung und der klinischen Relevanz vieler Antikörper <strong>für</strong> die Bluttransfusion,<br />

<strong>für</strong> die Organtransplantation, <strong>für</strong> die Schwangerschaft und vieles mehr.<br />

Doch alles nahm seinen Ausgang <strong>von</strong> jener ebenso einfachen wie epochalen Erkenntnis<br />

Landsteiners <strong>über</strong> <strong>das</strong> Auftreten dieser Zellklumpen beim Zusammengeben <strong>von</strong> Serum<br />

und Erythrozyten verschiedener Menschen. Er legte den Grundstock, auf den die gesamte<br />

moderne Transfusionsmedizin aufbaut und nach dessen Prinzip wir auch heute,<br />

<strong>über</strong> 100 Jahre später, immer noch arbeiten.<br />

Wie ging es nun weiter mit jener Erkenntnis <strong>über</strong> die Blutgruppensysteme, nachdem sie<br />

im Jahre 1901 publiziert worden war? Eigentlich würde man erwarten, <strong>das</strong>s ein Aufschrei<br />

durch die Medizin gegangen wäre, <strong>das</strong>s angesichts der Lösung eines Jahrhunderte<br />

alten Problems nun der Fortschritt rasant seinen Lauf genommen hätte und <strong>das</strong>s<br />

ab dato viele Menschleben durch Bluttransfusionen hätten gerettet worden wären.<br />

Nichts wäre normaler gewesen, als <strong>das</strong>s Landsteiner – vergleichbar Konrad Röntgen,<br />

der seine Erkenntnis nur einige Jahre früher gemacht hatte und der dadurch innerhalb<br />

weniger Jahre weltberühmt wurde – <strong>über</strong>all bekannt und berühmt geworden wäre.<br />

Doch es passiert nichts – rein gar nichts. Landsteiners Erkenntnis <strong>über</strong> die Blutgruppen<br />

wurde schlichtweg <strong>von</strong> der medizinischen Wissenschaft der damaligen Zeit nicht zur<br />

Kenntnis genommen. Ja, viele unserer akademischen Kollegen belächelten leicht spöttisch<br />

die Erkenntnis jenes jungen Pathologen, ohne jemals einen ernsten Gedanken<br />

daran verschwendet zu haben.<br />

Obwohl Landsteiner eben jene, später Nobelpreis-gekrönte Arbeit mit den Worten<br />

schloss „ Endlich sei noch erwähnt, <strong>das</strong>s die angeführten Beobachtungen die wechselnden<br />

Folgen therapeutischer Menschbluttransfusionen zu erklären gestatten“ und spätestens<br />

mit diesem Satz die Bedeutung seiner Erkenntnis klar gewesen sein müsste, befand<br />

sich ein Jahrzehnt später, am Vorabend des ersten Weltkrieges, die Bluttransfusion<br />

noch immer im Experimentalstadium. Sie stellte <strong>das</strong> Steckenpferd einiger weniger, meist<br />

<strong>von</strong> den seriösen Kollegen nicht sehr ernst genommenen Sektierer dar und führte ein<br />

Schatten<strong>das</strong>ein in der medizinischen Wissenschaft.<br />

Als die Katastrophe im August 1914 dann mit ungeahnter Wucht <strong>über</strong> Europa hereinbrach<br />

konnten Bluttransfusionen allenfalls punktuell und nur ganz vereinzelt durchgeführt<br />

werden. Sie waren damals ein so seltenes Ereignis, <strong>das</strong>s jeder Fall einzeln publiziert<br />

wurde. So berichteter der Chirurg Coenen auf Seiten der Mittelmächte <strong>über</strong> 11 (!)<br />

Transfusionen auf den Hauptverbandsplätzen und den Feldlazaretten des ersten Welt-<br />

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krieges (zum Vergleich: heute transfundieren wir jährlich <strong>über</strong> 4 Millionen Erythrozytenkonzentrate<br />

alleine in Deutschland).<br />

Aber auch nach dem ersten Weltkrieg ist man <strong>über</strong>rascht <strong>über</strong> die Vorbehalte, die viele<br />

Ärzte der Bluttransfusion entgegenbrachten. Den meisten Ärzten war auch 20 Jahre danach<br />

nichts <strong>über</strong> die Entdeckung Landsteiners bekannt. Kaum einer wusste, <strong>das</strong>s durch<br />

eine einfache Bestimmung der ABO-Blutgruppen der Transfusion ein Großteil ihrer Gefährlichkeit<br />

hätte genommen werden können. Solche Pannen in der wissenschaftlichen<br />

Rezeption <strong>von</strong> Forschungsergebnissen in Europa waren es, die dazu führten, <strong>das</strong>s sich<br />

in den 20iger und 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Schwerpunkt der transfusionsmedizinischen<br />

Entwicklung zunehmend in die USA verlagerte und insbesondere<br />

Deutschland immer mehr ins Hintertreffen geriet.<br />

Mitte der 20iger, Anfang der 30iger Jahre – vor allem mit der Verleihung des Nobelpreises<br />

an Karl Landsteiner – begann sich seine Entdeckung dann jedoch in der medizinischen<br />

Fachwelt langsam durchzusetzen. Die ersten echten „Blutbanken“ in des Wortes<br />

heutiger Bedeutung entstanden 1937 in den USA am Cook County Hospital und etwas<br />

früher noch in Moskau am „Forschungsinstitut <strong>für</strong> Hämatologie und Bluttransfusionswesen“,<br />

<strong>das</strong> im Europa der 30iger Jahren auf diesem Gebiet als führend galt. An Deutschland<br />

ging die einsetzende Entwicklung der Transfusionsmedizin zunächst jedoch trotz<br />

des Nobelpreises weitgehend vorbei. Während sich in den dreißiger Jahren <strong>über</strong>all um<br />

uns herum ein blühendes Transfusionswesen etablierte, blieb in Deutschland diesbezüglich<br />

die Zeit einfach stehen. So kennen wir beispielsweise aus Spanien einen Bericht<br />

aus dem Jahre 1936, nach dem im Rahmen des Bürgerkrieges im Raum Madrid 4000<br />

und im Raum Barcelona 3000 Konserven transfundiert worden waren, während in<br />

Deutschland die Bluttransfusion noch immer eine Rarität darstellt. Volkmar Sachs, einer<br />

der Pioniere der Transfusionsmedizin zu Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts<br />

kommentierte diese Entwicklung mit folgenden Worten: „Warum ausgerechnet<br />

Deutschland, <strong>das</strong> Land, in dem ……besonders seit 1933 jede Tätigkeit organisiert wurde,<br />

die Organisation <strong>von</strong> Transfusionsdiensten unterlassen hat, wird ein unlösbares<br />

Rätsel bleiben. Offenbar war die Bedeutung nicht erkannt worden“.<br />

Erst der zweite Weltkrieg zwang Deutschland, langsam umzudenken. Bluttransfusionen<br />

waren dringend erforderlich geworden, sowohl an der Front wie auch zu Hause. Allerdings<br />

gab es kaum Blutspender. Die Soldaten waren im Feld, die Frauen zu Hause<br />

durch Bombenangriffe verletzt, umgekommen oder durch Arbeitseinsätze kaum verfügbar.<br />

So sollte es bis nach dem zweiten Weltkrieg dauern, bis Landsteiners Erkenntnis<br />

nicht nur im übrigen Europa und der Welt, sondern auch in Deutschland ihre volle Wirksamkeit<br />

zum Wohle der Patienten entfalten konnte.<br />

Und wie ist die Situation heute, im Jahre 2007?<br />

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Heute stehen uns eine Vielzahl der unterschiedlichsten Blutkonserven zur Verfügung<br />

Bluttransfusionen sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Ohne sie<br />

wären die meisten Operationen und auch viele anderen Therapieformen nicht durchführbar<br />

(man denke nur an die Stammzelltransplantation und viele andere). Blutgruppenantigene<br />

und ihre Antikörper (nicht nur 4 <strong>von</strong> Landsteiner, sondern dar<strong>über</strong> hinaus<br />

nahezu unzählige weitere) können mit modernsten Methoden sicher und rasch bestimmt<br />

werden. Die Bluttransfusion ist eine der sicherten Therapieverfahren in der gesamten<br />

Medizin <strong>über</strong>haupt. Sie ist mit einem weit geringeren Risiko verbunden als viele normale<br />

Tätigkeiten des täglichen Lebens aussetzen.<br />

Nur eines haben wir noch nicht geschafft: es gibt noch kein künstliches Blut, <strong>das</strong> in seiner<br />

Qualität menschlichem Blut vergleichbar wäre. Noch hat sich der liebe Gott nicht so<br />

weit in die Karten blicken lassen, <strong>das</strong>s es uns möglich wäre, den besonderen Saft problemlos<br />

durch ein Kunstprodukt zu ersetzen.<br />

Und so lange uns dies nicht möglich ist, werden wir die Erkenntnisse dieses großen<br />

Wissenschaftlers benötigen. Hermann Chiari, Vorstand jenes <strong>Institut</strong>es, in dem<br />

Landsteiner 1900 die ABO-Blutgruppen entdeckte, charakterisierte 1957 Landsteiner mit<br />

den Worten:<br />

„So ist Landsteiner durch seine in der Stille des Laboratoriums geleistete unermüdliche<br />

Forscherarbeit zu einem der größten Wohltäter der Menschheit geworden. Wo immer in<br />

der Welt heute eine Bluttransfusion durchgeführt wird, wo immer einer besorgten Mutter<br />

heute ihr höchst gefährdetes Kind erhalten wird, <strong>über</strong>all ist er unsichtbar zugegen“<br />

Vielen Dank <strong>für</strong> ihre Aufmerksamkeit.<br />

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