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Fachartikel Ars Medici - Praxis Dr. med. Luzi Dubs

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Schweizer Zeitschrift für Hausarzt<strong>med</strong>izinDie arthroskopische Gelenksäuberungbei KniearthroseVon <strong>Luzi</strong> <strong>Dubs</strong>Der Nutzen einer arthroskopischen Gelenksäuberung wird bis heute kontrovers be -urteilt. Liegt der Gewinn womöglich eher beim Operateur als beim Patienten? In dieserArbeit werden Mythen, Fakten und vielleicht etwas Neuland aus der Sicht der evidenz -basierten Medizin in 5 Folgen vorgestellt:Teil 1: Einleitung und Literatur: Spreu oder Weizen?Teil 2: Ist die Kniearthrose eine Folge der Meniskusoperation?Teil 3: Was versteht man unter der Diagnostik mit der Sherlock-Holmes-Methode?Teil 4: Wie viel Informationen bringen Anamnese und klinische Tests?Teil 5: Röntgen oder MRI? Beides oder keines?Sonderdruck


EditorialEvidenzbasiert – dieses Wort hat Karriere im <strong>med</strong>i -zinischen Betrieb gemacht. Wer immer ein dia gnos -ti sches Verfahren, eine therapeutischeMassnahme begründen oderveredeln will, kommt nicht mehr ohnedieses Etikett aus. «Evidenz basiert»erscheint zuweilen wie ein Gütesiegel,das nicht hinterfragt werden kann.Wer es vorweisen kann, hat irgendwieschon recht. Dass dies eine verengteSicht darstellt, dürfte sich mitt lerweile herum gesprochenhaben.Engstirnig sind jedoch die zuweilen immer noch offenoder unterschwellig vernehmbaren Vor behalte gegendie evidenzbasierte Medizin (EbM) an sich. Diese ist alsKalte Erkenntnistechnologie,oder was?kalte Erkenntnistechnologie denunziert worden, gut fürTechnokraten, schlecht für eine patientenzentrierteHeilkunde. Manche Fundamentalkritiker sehen in ihrdas Schreckgespenst einer schematisierten Medizin;sie wähnen einen dirigistischen Angriff auf Therapiefreiheitund Autonomie des Arztes, der – entmündigtund fremdbestimmt – genötigt wird, den Konkurs seinereigenen Urteilskraft anzumelden und sich fortan einerArt Kochbuch<strong>med</strong>izin zu verschreiben. Beim Röhrenblickauf Zahlen, Normen und Wahrscheinlichkeitenverschwindet der Patient in seiner je eigenen und unvergleichlichenSituation und Befindlichkeit im totenWinkel.Derartige Kritiken und Polemiken beruhen vermutlichnicht selten auf Missverständnissen, jedenfalls verfehlensie grandios die Lage wie auch den Sinn und dasunter anderem als «Integration individueller Expertisemit der bestmöglichen Evidenz systematischer Forschung»beschrieben hat. Ärztliche Erfahrung undIntuition werden also nicht etwa ersetzt, sondern ergänzt.Der Zugriff auf «externe Evidenz», auf kontrollierteklinische Erfahrungen (keineswegs nur auf randomisierte,kontrollierte Studien und Meta analysen!)leistet einen wichtigen, wenn auch begrenzten Beitragfür die stets individuell (und mit dem Patienten) zu treffendenEntscheidungen. Fürwahr: Es gibt Therapiestandards,aber keinen standardisierten Patienten.Evidenzbasierte Medizin ist keine Revolution und keinneues Paradigma, sehr wohl bietet sie aber ein sinn -volles Instrumentarium, mit dessen Hilfe letztlich dieVersorgungsqualität bei den Patienten verbessert werdenkann. Ein Motor von Innovation ist EbM ihrer Anlagenach jedoch nicht. «Sie schafft keinen Fortschritt, sondernsie sichert ihn! ... Ihre Obsession ist die Vermeidungfalsch-positiver Beurteilungen von Wirksamkeitund Nutzen alter und neuer Methoden», schrieb voreinigen Jahren der deutsche Sozial<strong>med</strong>iziner HeinerRaspe. EbM ist eine Instanz zur Verzögerung von Fortschrittund dem, was irrtümlich dafür gehalten wird.Dass die Instrumente der evidenzbasierten Medizinauch im praktischen Alltag mit Gewinn eingesetztwerden können, das demonstriert uns der Orthopäde<strong>Luzi</strong> <strong>Dubs</strong> am Beispiel der arthroskopischen Gelenksäuberungbei Patienten mit Kniearthrose. Man mussnur bereit sein, sich darauf einzulassen.Uwe BeiseAnliegen der EbM, die ihr Protagonist David L. SacketSONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011 3


Die arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseDie arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseEinleitung und Literatur:Spreu oder Weizen?Teil 1Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit derFrage, inwieweit die therapeutischen Konzepte beider operativen Behandlung der Kniearthrose vomzugrunde gelegten Heilungsverständnis abhängigsind. Zudem wird diskutiert, ob der Stellenwert derarthroskopischen Gelenksäuberung in der verfüg -baren Literatur abgesichert ist.LUZI DUBSDer Stellenwert der arthroskopischen Gelenksäuberung beiKniearthrose wird weiterhin kontrovers diskutiert, der Nutzeneiner «Gelenktoilette» wird mancherorts angezweifelt,und der Profit wird gelegentlich einzig dem Operateur zu -geschrieben. Somit muss zuerst die Frage des eigentlichenPatientennutzens beantwortet werden. Dieser misst sich anden möglichen Behandlungsalternativen, speziell, wenn esauch um die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses geht. Inder Regel sind die konservativen Massnahmen wie Medikamenteoder Physiotherapie weniger aufwendig und günstiger,sie stehen in der Behandlungskette in der Regel bei einerbeginnenden Arthrose an erster Stelle. Wirkung und Nebenwirkungenvon Medikamenten erfordern eine periodischeÜberprüfung, bei einem Missverhältnis sind die nächstenAlter nativen zu prüfen. Auf der aufwendigeren und teurerenSeite der arthroskopischen Säuberung kennen wir eine ganzeReihe von Operationen. Dazu gehören einerseits die gelenk -rekonstruktiven Eingriffe wie arthroskopisches Micro-Fracturing, Mosaikplastiken und autologe Chondrozytentransplantationenaller Art, anderseits die gelenkmodifi -zierenden Operationen wie Korrektur osteo tomien und dieKunstgelenkvarianten. Wann welche Therapie zur Anwendungkommen soll, hängt von verschiedenen Faktoren ab,zu einem wesentlichen Teil auch vom jeweiligen Heilungs -verständnis.Mechanistisches versusbiologisches HeilungsverständnisIn den Diskussionen unter den Orthopäden lassen sich Vertreterzweier verschiedener Denkweisen erkennen. Solche,die mechanistische Denkmodelle bevorzugen und nach demVorbild einer Autoreparaturwerkstätte davon ausgehen, dasseine Heilung nur dank der rekonstruktiven Operation möglichist und somit auch erst nach dem durchgeführten Eingriffbeginnt. Unter diesen finden sich die Förderer der KnorpelundMeniskusrekonstruktionen. Grossen Gefallen findenauch die ope rativen Korrekturen von Beinachsen, wenn diesevon der mechanischen Achse abweichen.Die Vertreter des biologischen Denkmodells gehen davon aus,dass die Heilung bereits zum Zeitpunkt der Schädigung beginntund danach jeden Tag auf wundersame Weise statt findet. Ammeisten prädiktiv wären sodann der Schweregrad der Schädigungeinerseits, die salutogenetischen Faktoren der Gesundwerdungandererseits. Die «Säuberer» erkennen einenSinn in der bedarfsgerechten Entfernung des devitalisiertenGewebes (Débridement-Philosophie), um die Voraussetzungenfür eine Rehabilitation zu verbessern. Die Beurteilungeiner Achsfehlstellung richtet sich in erster Linie nach derAchse auf der Gegenseite.Die nachfolgenden Überlegungen gehen nun der Frage nach,wann und inwieweit das biologische Heilungsverständnis mitder Philosophie des Débridements bei der arthroskopischenBehandlung der Kniearthrose eine Berechtigung hat und obdiese bestehen kann.Literatur und «individuelle Wirklichkeit»Jeder hat seine Erfahrungen mit Einzelfällen. Jeder kann überFälle berichten, bei welchen nach gutem Eingriffsverlaufdurch Meniskus- und Knorpelchirurgie hohe Erwartungengehegt werden konnten, jedoch der postoperative Heilungsverlaufeine rasche Entwicklung in eine Arthrose oder garOsteo nekrose gezeigt hat. Auch gibt es ältere Patienten,welche anlässlich des Eingriffs bereits erhebliche KnorpelundMenis kusschäden aufgewiesen und den nachfolgendenRat zur Schonung nicht befolgt haben, jedoch über mehr alszehn Jahre weiterhin erstaunlich sportlich geblieben sind.Etwas Unvorhersehbares bleibt in der «individuellen Wirklichkeit»haften. Aus diesen Gründen ist die Literatur entsprechendkritisch unter die Lupe zu nehmen, und speziellesAugenmerk ist auf die Vergleichsstudien zu richten.In der grossen Anzahl der Publikationen dominieren die Fallseriestudien,welche methodisch gesehen keine Rückschlüsseauf den Nutzennachweis erlauben. Die Frage, ob es trotzoder wegen der Therapie besser oder schlechter verlaufen ist,kann nicht beantwortet werden. Sie sind in der Regel mehroder weniger reich gesegnet mit systematischen Denkfehlern(Bias) und müssen eher als Spreu betrachtet werden. Auf derSuche nach Weizen sind gute Vergleichsstudien gefragt. Eineaussagekräftige amerikanische, randomisierte Studie vonMoseley et al. (1) erschien 2002 und erregte auch in derPresse Aufsehen. Die Patienten wurden in drei GruppenFazit❖ Das Heilungsverständnis ist heute kontrovers: Eine mechanis -tische Denkweise steht einer biologischen Denkweise gegenüber.Dadurch bestehen verschiedene therapeutische Ansätze.❖ Die heute bestangelegte Studie zum Stellenwert der arthroskopischenSäuberung bei Kniegelenkarthrose enthält eine nicht nachvollziehbareAussage und erlaubt eher die gegenteilige Schluss -folgerung: Die arthroskopische Behandlung zeigt im Vergleich zuralleinigen Physiotherapie und Medikation einen klinisch relevantenNutzen in der Beobachtungsdauer von 2 Jahren.randomisiert: Die erste Gruppe unterzog sich säuberndenMassnahmen, die zweite Gruppe bekam lediglich eine Spülung,und die dritte Gruppe unterzog sich einer arthroskopischenScheinoperation. Es fand sich kein Ergebnisunterschiedinnerhalb der drei Gruppen.Die Studie wurde jedoch trotz einer erfolgtenPatientenverblindung, aufgrundihrer hohen internen Validität (nur Männerim Veteranenalter), der unklarenMeniskuschirurgie und der nicht validiertenFragebogen als nicht ganz befriedigendbetrachtet. Die heute am bestenangelegte, verfügbare randomisierteStudie zu diesem Thema erschien 2008im hochkarätigen «NEJM» und entstandin Kanada (Kirkley et al.) (Abbildung[2]). Ein Kol lektiv von 172 Patientenmit radiologisch dokumentiertemArthrosegrad 2, 3 oder 4 nach Kellgren-Lawrence wurde in zwei Gruppen à je86 Personen randomisiert. Die eineGruppe wurde arthroskopisch bestmöglichvon geschädigtem Knorpel- und277 188Meniskusgewebe gesäubert, gleichzeitig aber auch physiotherapeutischund <strong>med</strong>ikamentös bestmöglich behandelt.Die andere Gruppe erhielt nur die bestmög liche Physiotherapieund Medikamente. Das Patientenspektrum war breit, undmehrere Operateure waren beteiligt (hohe externe Vali dität).Die primäre Outcomevariable mit dem WOMAC-Fragebogen(0 Punkte für die beste, 2400 Punkte für die schlechtesteSituation) gilt als validiert. Explizit wurde eine Veränderungvon 200 Punkten als klinisch relevant angesehen. Aufgrundihrer Resultate zwei Jahre nach der Behandlung schlossen dieAutoren, dass die arthroskopische Gelenksäuberung keinenNutzen gegenüber der konservativen Behandlung mit Medikamentenund Physiotherapie gebracht habe.Diese Mitteilung hat in der Weltpresse zu erheblichem Auf -sehen geführt, und die Studie gilt bis heute als unübertroffen.Die Meinung scheint gemacht. Somit müssen sich diejenigen,welche seit Jahrzehnten arthroskopische Chirurgie bei Vorliegenvon Knorpelschäden betreiben, den Vorwurf machen,sie hätten höchstens im Sinne eines persönlichen Nutzens alsOperateur gehandelt.Die Goldstandardstudie unter der LupeGetrieben von einer mit diesen Aussagen nicht übereinstimmenden,persönlichen Erfahrung nimmt man sich leichter dieMühe, die Studie etwas genauer zu betrachten. Dabei entdecktman wunderliche Dinge. Die Ausgangswerte im WOMAC-Fragebogen dieser Studie liegen aus nicht erklärten Gründen(sogar statistisch signifikant) um 144 Punkte zuungunsten deroperativen Gruppe höher. Nach drei Monaten gewinnt dieoperative Gruppe 444 Punkte, die konservative 219, das heisst,beide Gruppen verbessern sich klinisch relevant. Nach zweiJahren profitiert die operative Gruppe von 313 Punkten Verbesserung(klinisch relevant), die konservative Gruppe von16➞RSurg/Med/PT8686Med/PT3 6 12 18 24 MonateWOMAC: 0 (Bestwert) bis 2400 (schlechtester Wert),klinisch relevant: Differenz von 200 PunktenAbbildung: Übersichtsdiagramm zur Studie von A. Kirkley et al. Einzelheiten imText.146 Punkten (klinisch nicht relevant). Die Schlussfolgerungmüsste somit lauten: Die arthroskopisch behandelten Patientenprofitieren über zwei Jahre hinweg klinisch relevant, diekonservative Gruppe jedoch nicht. War diese Falschinformationder Autoren fahrlässig oder beabsichtigt? Die Studie istwohl gut gemacht und überzeugt als heutige «Goldstandard»-Studie, muss aber wegen der nicht nachvollziehbaren Schlussfolge rung als «Falsch-Negativ-Studie» gewertet werden. ❖1. Moseley JB et al.: A controlled trial of arthroscopic surgery for osteoarthritis of theknee. N Engl J Med 2002; 347: 81—88.2. Kirkley A et al.: A randomised trial of arthroscopic surgery for osteoarthritis of theknee. N Engl J Med 2008; 359: 1097—1107.4 SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011 5


Die arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseDie arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseIst die Kniearthrose eine Folgeder Meniskusoperation?Teil 2SportfähigkeitArbeitsfähigkeitAlltagsfähigkeitSelbständigkeitSelbstständigkeitAbhängigkeitLD 2010Im zweiten Teil wird gezeigt, warum es falsch seinkann, anzunehmen, die Kniegelenkarthrose entsteheinfolge einer Meniskusoperation. Es geht vielmehrdarum, diejenigen Faktoren zu finden, diesowohl zum Meniskusschaden als auch zum Knorpelschadenführen können.LUZI DUBSIm Volksmund hält sich das hartnäckige Gerücht: Lass dirkeinen Meniskus operieren, sonst bekommst du eine Arthrose.Die Begründung liegt darin, dass in der Regel dieMeniskusschädigung mit allfälliger MeniskusentfernungAlterTraumaÜberbelastungKonstitutionExpositionGenetikXY20 30 40 50 60 70 80 90 100Abbildung 2: Confounding BiasMeniskusArthroseMeniskusschadenMeniskusoperationArthroseMARALD 2010Abbildung 1: MARA-Kurve (durchschnittlicher altersabhängiger Fähigkeitsverlust);MARA = mean age related abilityzeitlich vor der Arthrose klinisch manifest wird. Diesem Klassikereines Post-hoc-propter-hoc-Bias oder eines Confounding-Biassollen die folgenden Gedanken gewidmet sein.Wenn man sich die MARA-Kurve (mean age related ability)vor Augen führt (1), welche modellartig den mittleren,altersabhängigen Fähigkeitsverlust als Normwert der natürlichenAlterung angibt, treten Meniskusschädigungen nichtnur früher, sondern logischerweise auch bei höheren Leistungsfähigkeitenauf (Abbildung 1).Bei den jüngeren Patienten sind Unfälle von grösserer Bedeutung,die Meniskusrisse sind eher in einem gesunden Gewebeentstanden. Mit zunehmender Alterung zeigen diese «Stossdämpfer»jedoch eine grössere Rissanfälligkeit, sodass schonminimale Traumatisierungen eine störende Meniskusschädigungerzeugen können. Sehr oft finden sich zum Zeitpunkteiner arthroskopischen Meniskusoperation die Zeichen einerbeginnenden, bis anhin eher asymptomatischen Knorpelschädigung,was die Frage aufwirft, ab welchem Moment derBegiff Arthrose gerechtfertigt ist.Wann spricht man von einer Arthrose?Soll man von einer Arthrose sprechen, sobald Knorpelschädigungenerkennbar sind? Oder bedeutet ein schmerzhaftesKnie bei über Fünfzigjährigen eine Arthrose? Gehört derMeniskus mit seinen Abnutzungen und Zerreissungen auchzur Arthrose? Das häufige Nebeneinander von MeniskusundKnorpelschädigungen erschwert oftmals die Zuordnung.Somit dürfte es empfehlenswert sein, bei der Beurteilungdes Schweregrades einer Kniegelenksschädigung nicht in ersterLinie eine Arthroseklassifikation anzustreben, sondernseparat von Schweregraden der Meniskus- beziehungsweiseKnorpelschädigung zu sprechen. Ob es sich dabei eher umRisse (durch Zug) oder Quetschungen (durch <strong>Dr</strong>uck) des jeweiligen Gewebes handelt, ist sekundär.Da die Knorpelschädigung jedoch zu Recht als Hauptkriteriumfür die Diagnose einer Arthrose aufgeführt wird, soll imFolgenden der Begriff der Arthrose im Zusammenhang mitder Knorpelschädigung weiterhin Anwendung finden. Wiebereits beschrieben, wird der Knorpelschaden (Arthrose)eher später als die Meniskusschädigung manifest. Da vielenArthrosen eine Meniskusoperation vorangegangen ist, geniesstder Eingriff am Meniskus nicht unbedingt einen gutenRuf. Er wird als Vorläufer oder Wegbereiter der Arthrose angesehen.Hierzu ist zu bedenken, dass die heute übliche Teilmeniskusentfernungmit Beschränkung auf die Entfernungvon irreversibel geschädigtem Meniskusgewebe, das keineFunktion mehr hat und eher zu EntzündungsreaktionenFazit❖ Da die Meniskusschädigung mit konsekutiver Meniskusoperationin der Regel vor einer Arthrose manifest wird, darf man nichtzwingend den Rückschluss ziehen, dass die Arthrose wegen einerMeniskusoperation entstehe. Die Hintergrundfaktoren, welche sowohlzur Meniskusschädigung als auch zur Knorpelschädigungführen, sind zu eruieren.❖ Die Definition der Arthrose darf sich nicht nur auf die Wahrnehmungeiner Knorpelschädigung beschränken.❖ Das MRI kann die klinische Relevanz einer Meniskusschädigungnicht zuverlässig darstellen.Anlass gibt, letztlich wegen der Meniskusschädigung erfolgtist. Somit ist der Schweregrad der eigentlichen Meniskusschädigungprädiktiv.Hintergrundfaktoren beachtenMan spricht von einem Hintergrundfaktor (Confounder), welcherstets bei der Prognosestellung mitberücksichtigt werdenmuss. Es gibt Confounder, welche sowohl zum Meniskusschadenals auch zum Knorpelschaden (Arthrose) führen können(Abbildung 2). Bedeutungsvoll ist sicher das Alter mit dernatürlichen Gewebsermüdung per se. Hintergrundfaktoren, welchemit der Entstehung von Menis kusschäden und Arthrosekorrelieren, sind neben dem einmaligen Trauma eine wiederholteoder chronische Trauma tisierung (z.B. durch belastendeSportarten), bestimmte berufliche Expositionen mit häufigemKauern (Bodenleger, Sanitärinstallateure), bestimmte Konstitutionenwie Varusachse für den <strong>med</strong>ialen, Valgusachse für denlateralen Menis kusschaden oder einfach der oft familiär gehäuftauftretende Faktor X, den wir nicht kennen. Wichtig ist,von einem monokausalen Denken wegzukommen und zu versuchen,mehr oder weniger starke Zusammenhänge (Korrelationen)mit den zahlreichen Faktoren zu eruieren.In der <strong>Praxis</strong> treffen wir also immer wieder Mischbilder einermeniskalen und chondralen Schädigung an. Die Heraus -forderung besteht nun darin, aufgrund der Anamnese undder klinischen Befunde eine Gewichtung der Symptome zuerstellen, um die Chancen einer operativen Verbesserung abzuwägen.Es darf als anerkannt vorausgesetzt werden, dassdie operativen Massnahmen am Meniskus bei entsprechenderGewichtung der Symptomatik eher einen besserenBehandlungseffekt ergeben als ein Knorpeldébridement beiweitgehend fehlenden Meniskuszeichen. In heutiger Zeitwird in solch unklaren Situationen bequemerweise gerne eineMRI-Abklärung in die Wege geleitet, wobei nicht erstaunenmag, dass dabei sehr häufig Meniskusläsionen diagnostiziertwerden, welche unter Umständen klinisch gar nicht von vorrangigerBedeutung sind.MRI nicht hundertprozentig treffsicherDas MRI hat wohl eine recht gute Sensitivität und Spezifitätvon mehr als 90 Prozent – es gibt dennoch falschpositive undfalschnegative Befunde: einerseits kleinere Risse, welche nichtdargestellt werden können, bei bestehender klinisch relevanterMeniskussymptomatik, andererseits Meniskusveränderungenohne klinische Manifestation. Aus diesen Gründengilt es, die anamnestischen und klinischen Befunde besonderszu beachten und diese bestmöglich den vorhandenen Schädigungenam Knorpel oder Meniskus zuzuordnen. Die «Sherlock-Holmes-Methode»ist ein bewährtes Instrument, dieklinisch relevanten Infor mationen zu bündeln und den Informationsgewinnauch zu berechnen, um die Entscheidungsschwellezu einer allenfalls sinnvollen arthroskopischen Operationzu überschreiten. In der nächsten Folge soll vertieft aufdiese Art der Diagnostik eingegangen werden.❖1. <strong>Dubs</strong>, L.: Der Patient als Experte – Einführung in eine evidenzbasierte Orthopädie.Z Orthop 2000; 138: 289–294Angaben über Grundlagentexte von Kursen und Lehrbücher über Evidence based <strong>Medici</strong>nebeim Verfasser.6 SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011 7


Die arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseDie arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseWas versteht man unter Diagnostiknach der Sherlock-Holmes-Methode?Teil 3In dieser Ausgabe soll gezeigt werden, wie man aufgrundvon Anamnese und klinischer Untersuchungauch ohne bildgebende Zusatzdiagnostik eine Entscheidungsschwellezur arthroskopischen Operationüberschreiten kann, wenn in der diagnostischenAbklärung nach der Sherlock-Holmes-Methode vorgegangenwird.LUZI DUBSSherlock Holmes ist bekannt dafür, dass er in seiner Verbrecherjagdstets verschiedene Indizien sorgfältig gesammeltund für den Informationsgewinn zusammengetragen hat,um letztlich die Entscheidungsschwelle zu überschreitenund die Täterschaft zu identifizieren. Seine Stärke war dergewissenhafte Umgang mit Wahrscheinlichkeiten. Es entziehtsich unserer Kenntnis, ob Sherlock Holmes beziehungsweisesein Autor Sir Arthur Conan Doyle seinen Ko-Patrioten, den Priester Thomas Bayes (1702–1761) vonTunbridge Wells, gekannt hat. Diesem ist jedenfalls dasBayes-Theorem, der rationale, mathematische Zugang zurIndizientechnik, zu verdanken, welches darauf beruht, dassder Wert eines Tests von der Wahrscheinlichkeit der gesuchtenKrankheit abhängt (1).Die VierfeldertafelUm die Sherlock-Holmes-Methode im klinischen Alltag anwendenzu können, benötigen wir zuerst einige Grundkenntnisse,einerseits über die Krankheitswahrscheinlichkeiten(Vor-, Nachtestwahrscheinlichkeit, Informationsgewinn,Entscheidungsschwelle), andererseits solche über die Test -eigenschaften (Sensitivität, Spezifität, Likelihood-Ratio).Wenn die Aussagekraft eines (dichotomen) Tests, wie etwaKniegelenkerguss Ja oder Nein, mit dem Vorliegen oder Fehleneines Meniskusschadens berechnet werden soll, bedienenwir uns mit Vorliebe der Vierfeldertafel, welche Auskunft sowohlüber die Krankheitswahrscheinlichkeiten als auch überdie Testeigenschaften geben kann. Die vier Felder geben dievier möglichen Zusammenhänge an (Abbildung 1).Daraus lassen sich alle weiteren Informationen über dieKrankheitswahrscheinlichkeiten und die Testeigenschaftenableiten.Krankheitswahrscheinlichkeiten1. Die Vortestwahrscheinlichkeit ist der Anteil der Personenmit der gesuchten Krankheit unter den untersuchten Personen(a+c/a+b+c+d). Wenn es sich um grosse Populationenhandelt, kann auch der Begriff der Prävalenz eingesetztwerden.2. Die positive Nachtestwahrscheinlichkeit (oder der positivprädiktive Wert) ist der Anteil der Erkrankten unter denTestpositiven (a/a+b). Dieser wichtige Wert gibt an, wiegross die Wahrscheinlichkeit der gesuchten Krankheitnach dem positiven Test geworden ist.3. Analog wäre die negative Nachtestwahrscheinlichkeit(oder der negativ prädiktive Wert) der Anteil der Gesundenunter den Testnegativen (d/c+d).4. Der numerische Informationsgewinn durch den Test ist dieDifferenz zwischen Nach- und Vortestwahrscheinlichkeit.Wenn ein Test sehr schwach ist, kann auch ein Informa -tionsverlust resultieren (Summe von Sensitivität und Spezifität< 100). Damit ist angedeutet, dass über die Aussagekrafteines Tests vordergründig die Testeigenschaften Sensitivitätund Spezifität entscheiden. Aus den beiden Wertenlässt sich dann das positive oder negative Wahrscheinlichkeitsverhältnis(Likelihood-Ratio) errechnen.5. Die Sensitivität erfasst die Anzahl der Testpositiven unterdenjenigen mit der gesuchten Krankheit (a/a+c).6. Die Spezifität eines Tests erfasst die Anzahl der Testnegativenunter denjenigen, welche die gesuchte Krankheit nichtaufweisen (d/b+d).+Test-Krankheit+ -falschpositivbdrichtignegativfalschnegativacrichtigpositiva = Der Test ist positiv, die gesuchte Krankheit ist vorhanden. Zu Recht hat derpositive Test die Krankheit erkannt (richtigpositiv).b = Der Test ist positiv, die gesuchte Krankheit ist jedoch nicht vorhanden.Der Test hat Fehlalarm geschlagen (falschpositiv).c = Der Test ist negativ, die gesuchte Krankheit ist jedoch vorhanden. Dem Testist es nicht gelungen, die Krankheit zu erkennen (falschnegativ).d = Der Test ist negativ, die gesuchte Krankheit ist nicht vorhanden. Zu Recht hatder negative Test die Krankheit ausgeschlossen (richtignegativ).Abbildung 1: Die VierfeldertafelFazit❖ Eine diagnostische Abklärung besteht aus verschiedenen Tests,Anamnesefragen und klinischen Untersuchungsbefunden, wobeijeder Test mit seiner Sensitivität und Spezifität einen eigenenBeitrag zum Informationsgewinn auf der Suche nach einer Krankheitliefert.❖ Ausgehend von einer Krankheitswahrscheinlichkeit vor demTest (Vortestwahrscheinlichkeit) erfolgt eine Umwandlung in eineKrankheitswahrscheinlichkeit nach dem Test (Nachtestwahrscheinlichkeit),die Differenz ist der numerische Informations -gewinn.❖ Die Berechnung der Likelihood-Ratio und die Anwendung desFagan-Nomogramms erleichtern die Erfassung des Infor mationsgewinnsund ermöglichen die praktische Anwendung einer Diagnostikin der Testserie.Die Likelihood-RatioDie «Einschlusskraft» mit einem positiven Test kann mit derpositiven Likelihood-Ratio (LR pos) bestimmt werden. DieRichtigpositiv-Rate (Sensitivität) wird geteilt durch dieFalschpositiv-Rate (100-Spezifität). Damit weiss man, wieviel Mal häufiger das Testresultat richtigpositiv als falsch positivist. Man weiss, wenn der Test positiv ist, wie viel Malhäufiger er bei den Kranken gegenüber den Gesunden vorkommt.Wenn diese Verhältniszahl über 10 liegt, darf manvon einem guten Test sprechen, die gesuchte Krankheit zuerkennen.Analog errechnet sich die «Ausschlusskraft» eines Tests.Man bestimmt die Falschnegativ-Rate (100-Sensitivität) undteilt diese durch die Richtignegativ-Rate (Spezifität). Manweiss, wenn der Test negativ ist, wie viel Mal seltener er beiden Kranken gegenüber den Gesunden vorkommt. Werte tieferals 0,1 zeugen von einem guten Test.Das Fagan-NomogrammDer grosse Vorteil der Likelihood-Ratio (LR) liegt in der Möglichkeit,den Zahlenwert mit der Vortestwahrscheinlichkeit zumultiplizieren, um direkt den Wert der Nachtestwahrscheinlichkeitzu errechnen. Diese Berechnung wird etwas erschwertdurch die Tatsache, dass sie in einer Odds-Einheit erfolgenmuss, worauf hier nicht näher eingegangen werden soll. Glücklicherweise verfügen wir über eine Nomo gramm-Tabelle nachFagan (Abbil dung 2), welche uns die Arbeit er leichtert. Wennzwei der drei Werte aus Vor-, Nachtestwahrschein lichkeit undLikelihood-Ratio bekannt sind, kann eine entsprechende Verbindungsliniezwischen den bekannten Wer ten gezogen unddadurch der dritte Wert ermittelt werden.Ein weiterer, grosser Vorteil der LR ist die Möglichkeit, wäh -rend einer Testserie die LR der einzelnen Tests zu multi -plizieren, was mit den Angaben der Sensitivität und Spezifitätallein nicht machbar ist. Die Gesamt-LR kann uns in derdiagnostischen Kette erheblich weiterbringen. Wichtig ist da -bei, dass die einzelnen Tests voneinander unabhängig sind. Esist nicht sinnvoll, den Test «Knieschmerz beim Fern sehen» mitdem Test «Knieschmerz beim Zeitunglesen» zu kombinieren.Leider ist in der <strong>med</strong>izinischen Nutzenforschung das Themader Testeigenschaften von einzelnen Anamnesefragen undklinischen Untersuchungsbefunden zur Pflege der Sherlock-Holmes-Methode bisher von den Entscheidungsträgern inder Medizin und in der Politik stiefmütterlich angegangenund kaum gefördert worden. Dies mag einerseits damitzusammenhängen, dass weiterhinder Irrglaube herrscht, nur einemaximale Bildgebung habe voreinem Richter Bestand, und andererseitsmit den ökonomischenAnreizen, die Hilfsmethoden ehereinzusetzen, als sie zu unterlassen.Der Internist Daniel Pewsner versuchtezusammen mit Kollegenund mit Unterstützung der SchweizerischenAkademie der Medizi -nischen Wissenschaften bereits vorzehn Jahren, analog zur CochraneCollaboration eine Art Bayes Collaborationins Leben zu rufen, eineDatenbank über Krankheitswahrscheinlichkeitenund Test eigen -schaften. Seine in einer sehr lesenswertenPublikation (1) mit demNomogram for interpretingdiagnostic test resultPre-test Likelihoodprobability ratioPost-testprobabilityTitel «Der Intuition auf der Spur? – Das Bayes’sche Theoremund die Diagnostik in der Grundversorgung» geäusserten Gedankenhaben trotz anhaltend hoher Aktualität und klinischerBedeutung bedauer licherweise bis heute noch keine weitereResonanz erfahren.Sherlock-Holmes-Methode am klinischen BeispielAusgehend von der Erfahrung im <strong>Praxis</strong>alltag, dass dasdegenerativ veränderte Kniegelenk in der Regel nicht nur einechondrale, sondern auch eine meniskale Schädigung aufweistund die jeweilige Symptomatik zugeordnet werden muss, befassenwir uns im Folgenden mit der spannenden Anwendungder Sherlock-Holmes-Methode, welche einen sinnvollenAblauf der Diagnostik aufgrund der Anamnese und derklinischen Befunde ermöglicht. Im Vordergrund stehen dieBemühungen, wegen der besseren arthroskopischen Behandlungsoptionenspeziell den Stellenwert der meniskalen Schädigungenzu erkennen. Zweifellos wäre es bequemer, nachder «Radarschirm-Methode» vorzugehen und jeden Patientenmit Knieschmerzen in die MR-Abklärung zu schicken. Esgilt jedoch in Erinnerung zu behalten, dass die MR-Bilder dieklinische Relevanz nicht schlüssig abbilden können, dass –wie bei jedem Test – falschpositive und falschnegative Befundeentstehen und letztlich aus ökonomischer Sicht einekritische Indikationsstellung für das MRI ein Gebot derStunde ist. Die Sherlock-Homes-Methode scheint verlässlichgenug, unnötige und somit teure Bilddiagnostik in der grossenMehrzahl der Fälle zu vermeiden (2).Informationsgewinn bei KniegelenkergussAm Beispiel einer Schwellung des Kniegelenks im Sinne einesGelenkergusses als Bestandteil der klinischen Diagnosestellungbei einem schmerzhaften Kniegelenk auf der Suche nacheiner Meniskusschädigung sollen die Begriffe praktischdurchexerziert werden.12512510203040506070809095991000500200100502010521.5.2.1.05.02.01.005.002.0019995908070605040302010521521Abbildung 2: DasFagan-Nomogramm8 SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011 9


Die arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseDie arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseGelenkerguss+-Meniskusschaden+ -5050100ac100bd300400150350500Abbildung 3: Die Vierfeldertafel – fiktive Modellrechnungbei 500 KnieschmerzpatientenDer Test soll dichotom sein, entweder ist ein Erguss vorhandenoder es ist kein Erguss vorhanden. Ein Gelenkergusskann auch aus anderen Gründen als bei einer Menikusschädigungvorliegen, zum Beispiel bei Knorpelschädigung, freienGelenkkörpern, rheumatoider Arthritis oder Borreliose.Auf der anderen Seite gibt es Meniskusschädigungen ohneGe lenk erguss. Welchen Informationsgewinn gibt uns nundas Vorliegen eines Ergusses hinsichtlich der Diagnoseeiner Meniskusschädigung? Das folgende Zahlenbeispiel inder Vierfeldertafel ist fiktiv unter der Modellrechnung von500 Knieschmerz patienten im Umfeld einer Hausarztsprechstundegedacht (Abbildung 3).Die Vortestwahrscheinlichkeit ist die Wahrscheinlichkeiteiner Meniskusschädigung bei einem Patienten mit Knieschmerzenbeim Eintritt ins Sprechzimmer, bevor er untersuchtwird. Gehen wir einmal davon aus, dass dieser Wert20 Prozent (100 von 500) beträgt. Die anderen 400 verteilensich auf andere Krankheitsbilder wie fortgeschritteneArthrose, entzündliche Gelenkerkrankungen, beginnendeOsteonekrose, ins Knie ausstrahlende Coxarthrose oderspondylogene Schmerzen, muskuläre Knieschmerzen und soweiter. Ein Kniegelenkerguss tritt in unserem Beispiel bei150 von 500 Personen mit Knieschmerzen (30%) auf. Unterdiesen 150 Testpositiven haben 50 einen Meniskusschaden,somit beträgt die gesuchte Nachtestwahrscheinlichkeit beziehunsgweiseder positiv prädiktive Wert 33 Prozent.Vor der Untersuchung betrug die Wahrscheinlichkeit einesMenis kus schadens 20 Prozent, der Informationsgewinn alsDifferenz der beiden Krankheitswahrscheinlichkeiten beträgtbei Vor liegen eines Ergusses somit 13 Pro zent. Dieser bescheideneWert erklärt sich durch die eher mässigen Test -eigenschaften. Es sind immer noch viele Falschnegative undFalsch positive vorhanden. Die Sensiti vität beträgt 50 Prozent,die Spezifität 75 Prozent. Die LR pos (Sensitivität/100-Spezifität)errechnet sich somit aus 50/25 = 2. Mit diesem Testallein kann man also noch keineEntscheidungsschwelle zur Arthroskopieüberschreiten. Im Fagan-Nomogramm lässt sich der Informationsgewinn von 13 Prozent beider LR pos von 2 sehr schön ab le sen(Abbildung 4).Nomogram for interpretingdiagnostic test resultPre-test Likelihoodprobability ratioPost-testprobabilityDie TestserieAuch bei einer Knieabklärunghaben jede anamnestische Frageund jeder Untersuchungsbefund,welche im diagnostischen Prozesszur Anwendung kommen, eineeigene Sensi tivität und Spezifität.In der Testserie lassen sich die LRder einzelnen Tests multiplizieren.Dadurch kann der Informa tions -gewinn erheblich gesteigert werden,um letztlich einmal die Entscheidungsschwellezu überschreiten. Das Ziel müsste sein,nach Erhebung der Anamnese, Durchführung der klinischenUntersuchung und even tuell nach konventionellem Röntgenbildeine Nachtestwahrscheinlichkeit von 90 Prozent odermehr zu erreichen, um die Indikation zur Arthroskopie zustellen, bevor man sich der Frage der MRI-Indikation stellt.In der nächsten Folge werden wir uns mit dieser Zielsetzungauseinandersetzen.❖Literatur:1. Pewsner D. et al.: Der Intuition auf der Spur? – Das Bayes’sche Theorem und die Diagnostikin der Grundversorgung. <strong>Praxis</strong> (Schweiz Med Forum) Nr. 3, 17. Januar 2001,41–52.2. <strong>Dubs</strong> L.: Die Entscheidung zur arthroskopischen Meniskusoperation mit der«Sherlock-Holmes-Methode». SAeZ 2003; 84: Nr. 12, 541–544.12512510203040506070809095991000500200100502010521.5.2.1.05.02.01.005.002.0019995908070605040302010521521Abbildung 4: Fagan-Nomogramm (Gelenkerguss)Wie viel Informationen bringenAnamnese und klinische Tests?Teil 41251251020304050607080909599Viele, insbesondere ältere Patienten haben gleichzeitigAnzeichen von Meniskus- und Knorpelschä digung.Welchen Informationsgewinn bringen hierAnamnese und klinische Tests für die Differenzial diagnoseund die Gewichtung der jeweiligen Schä digung?Diese Fragen werden im vorliegenden viertenTeil diskutiert.Nomogram for interpretingdiagnostic test result1000500200100502010521Pre-test Likelihoodprobability ratioLUZI DUBSWir haben in der letzten Folge gesehen, dass sich der Informationsgewinndurch einen diagnostischen Test berechnenlässt, abhängig von der Krankheitswahrscheinlichkeit vordem Test und den Testeigenschaften (Bayessches Theorem).Jeder Test ist also ein Wahrscheinlichkeitsumwandler mit deneigenen Testeigenschaften der Sensitivität und Spezifität. Erführt zu einer neuen (Nachtest-)Wahrscheinlichkeit, dass diegesuchte Krankheit vorliegt. Wenn wir nun üblicherweiseeine Serie von Tests einsetzen, welche auf eine Meniskusschädigunghinweisen, haben wir die Chance, durch Multiplikationder einzelnen Likelihood Ratios (LR) einen erheblichenInformationsgewinn über das Vorliegen der gesuchtenKrankheit zu berechnen. Im Modell einer gesuchten Meniskusschädigungbei Knieschmerzpatienten seien wiederumfiktive Zahlen genannt:.5.2.1.05.02.01.005.002.001Abbildung 1:Fagan-Nomo -gramm9995908070605040302010521521Post-testprobability❖plötzlicher Schmerzbeginn, LR pos 4,8❖umschriebener torsionsempfindlicher Gelenkspaltschmerz,LR pos 8,0❖episodenhafter Schmerzverlauf, LR pos 3,8❖Knieschwellung, LR pos 2,0.Wenn alle Merkmale positiv in Erscheinung treten,kommen wir durch Multiplikation der einzelnenLR-pos-Werte auf die Zahl von 291,8.Wird nun im FAGAN-Nomogramm dieserWert bei einer Vortestwahrscheinlichkeit von20 Pozent eingetragen, so erreicht man einenpositiv prädik tiven Wert von 99 Prozent (Abbildung1). Man fühlt sich der Wahrheit schonrecht nahe. Unter solchen Umständen müssteeigentlich weder ein Röntgenbild noch ein MRIverordnet werden. Die Frage nach einer Meniskusschädigungkann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeitbejaht werden.Krankheitswahrscheinlichkeit und klinische RelevanzDa es sich bekanntlich bei nicht mehr ganz jungen Patientenum Mischbilder mit den Merkmalen einer Knorpelschädigunghandelt, sind auch die Indizien der Arthrosediagnostikeinzubeziehen, welche den Wert der Meniskusschädigungrelativieren können.Die ursprüngliche <strong>Praxis</strong> des diagnostischen Informations -gewinns mit der Sherlock-Holmes-Methode wäre grund sätzlicheigentlich so zu verstehen, dass man das Vorhandenseineiner Meniskusschädigung dem Fehlen einer solchen gegenüberstellt.Man sucht nur eine einzige Krankheit. Die Diagnostikeiner Knorpelschädigung müsste eine zweite Gegenüberstellung(vorhanden oder nicht vorhanden) auslösen. Dader Patient in unserem Beispiel eine bunte Palette von verschiedenenBeschwerden angibt, muss jeder anamnestischeund später auch klinische Test dahingehend geprüft werden,ob er eher einer chondralen oder meniskalen Schädigung entspricht.Somit wäre es attraktiv, den Meniskusschaden direktder Knorpelschädigung gegenüberzustellen, indem wir imumgekehrten Sinn die Testserie aller Arthrosezeichen, welchenicht typisch sind für eine Meniskusschädigung, als Infor -mationsverlust (LR pos


Die arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseDie arthroskopische Gelenksäuberung bei KniearthroseFazit❖ Zur Bewertung der Bedeutung eines Röntgenbefundes an einemKniegelenk sollte standardmässig eine seitenvergleichende Aufnahmeanteroposterior im Einbeinstand und femoropatellär bei40 Grad Flexion erfolgen. Dadurch können viele Befunde relativiertund auf die individuelle Wirklichkeit bezogen werden.❖ Der Aufwand für einen Test in Relation zu dessen Informationsgewinnlässt sich abhängig von der Entscheidungsschwelle rechnerischin ein sinnvolles Verhältnis bringen (Number needed to test).❖ Ist die Entscheidungsschwelle einmal überschritten, sollte keineZusatzdiagnostik mehr betrieben werden.Abbildung 3: Patient Arthur G., 74-jährigIntensiver OL-Läufer. TME re. 2000,Knorpelschaden II <strong>med</strong> und fp,wieder 10 Jahre OL gemacht.Med Knieschmerz li. 2010, 2/10gleicher Befund, gleiche Massnahme,noch keine OL-Läufe 3 Mt. ab Op.Auch wenn im Röntgenbild der verschmälerte Gelenkspaltlinks als Surrogat-Parameter auf eine deutlichere Arthrosehindeutet, kommt dies klinisch nicht zum Ausdruck. Mankann an diesen beiden Beispielen lernen und davon ausgehen,dass das Knorpeldebridement zu einer synovialen Beruhigungund Beschwerdelinderung beigetragen haben dürfte.Der radiologisch festgestellte verschmälerte Gelenkspalt gibtüber einen Restknorpelbelag Auskunft, welcher während vielerJahre hinweg wohl verdünnt, jedoch stabil geblieben ist.Die Gelenkspaltbreite ist also nur bedingt ein Zeichen für denSchweregrad der Arthrose. Bei eng umschriebenen, tieferenKnorpelschäden kann eine noch intakte Umgebung eine ursprünglicheKnorpeldicke darstellen lassen und somit einenintakten Knorpelbelag vortäuschen.Gelegentlich hört man das Argument, eine femorotibialeKnorpelschädigung könne besser in einer in 40 Grad Beugungbelasteten Aufnahme dargestellt werden, da die deutlichenKnorpelschädigungen eher in einer halbbeugeseitig belastetenZone auftreten würden. Diese Erfahrung kann manwohl bestätigen, in der Regel belasten jedoch die Patientenhauptsächlich in streckungsnahen Winkeln, sodass die möglichstgestreckte Stellung des Kniegelenks anlässlich derap-Aufnahme klinisch relevanter sein dürfte.Die 69-jährige Frau E.K. (Abbildung 4) zeigt ein Schmerzproblemam rechten Knie auf der <strong>med</strong>ialen Seite. Radio -logisch findet man eher eine Tendenz zur Valgusverstärkungim Sinne einer Valgusarthrose. Vor einigen Monaten fandarthroskopisch eine <strong>med</strong>iale und laterale Teilmeniszektomiestatt, der Knorpel lateral zeigte kaum eine Auffälligkeit. Derstörende <strong>med</strong>iale Schmerz ist verschwunden.Daraus lässt sich lernen, dass es sich lohnt, im Einzelfall dieBeschwerden exakt mit den Untersuchungsbefunden in Einklangzu bringen.Beim 61-jährigen, arbeitsunfähig gewordenen Hauswart B.S.(Abbildung 5) stören starke Schmerzen links, wobei vorallem die Zeichen eines torsionsempfindlichen postero -<strong>med</strong>ialen Gelenkspaltschmerzes dominierten. Die im Valgusseitengleich belasteten Aufnahmen zeigten eine deutlicheGelenkspaltverschmälerung links <strong>med</strong>ial. Bei der Arthro -skopie war der femorale subchondrale Knochen freigelegt.<strong>Dr</strong>ei Monate nach der <strong>med</strong>ialen Teilmeniszektomie kann erwieder als Hauswart arbeiten, allerdings etwas langsamerund mit vorsichtigem Treppengehen.In solchen Situationen ist es wichtig, die Erwartungen andas Resultat vorsichtig und realistisch zu formulieren.Erfahrungsgemäss wirken sich die Bemühungen, den Kunstgelenkersatzmöglichst lange noch hinauszuzögern, positivaus auf die Motivation zahlreicher Kniepatienten mit deutlichsich abzeichnender Arthrose.Mit der Einführung der seitenvergleichenden Röntgen -aufnahmen des Kniegelenks in ap- und axial-Projektion alsGold-Standard scheint es zu gelingen, die Qualität der In dikationsstellungzum arthroskopischen Eingriff zwecksDebridement zu verbessern. Auf die Durchführung einerMR-Aufnahme kann somit in zahlreichen Fällen mit gutemGewissen verzichtet werden. Diese hätte ihren Platz vor allemin Situationen, wo zusätzliche Fragestellungen der knöchernenReaktionen hineinspielen, wie etwa eine beginnendeOsteonekrose, oder dann bei unklaren, anhaltenden In kongruenzenzwischen Anamnese, klinischen Befunden und konventionellenRöntgenbildern.Re. Knie eher <strong>med</strong>ialeKnieschmerzen bei Tendenzzur Valgusgonarthrose.<strong>med</strong> und lat TME 6-10,Knorpel lat nicht wesentlichgeschädigt, eher fp.<strong>med</strong> Knieschmerz wegAbbildung 4: Patientin Elisabeth K., 69-jährigAbbildung 5: Patient Bruno S., 61-jährigSeit 3/10 starke Schmerzen li.<strong>med</strong> mit pos. Meniskuszeichenpostero<strong>med</strong>ial. RX symm.Achse im Valgus5/10 <strong>med</strong> TME, femoralsubchondraler Knochen freiArbeitet wieder als HauswartEinen Spezialfall bildet der am Knie, speziell am Meniskusvoroperierte Patient. Auffallend häufig werden dabei im MRIRestschädigungen am Meniskus beschrieben, welche klinischnicht unbedingt ein eindeutiges Korrelat haben müssen.Die Entscheidungsschwelle, auch ökonomisch betrachtetDer Gold-Standard der intraartikulären Kniediagnostik mitder besten Sensitivität und Spezifität ist der diagnostische Teileines arthroskopischen Eingriffs. Er ist aufwendiger undteurer als alle anderen Tests. Der Vorteil liegt darin, dassgleichzeitig ein arthroskopischer Eingriff erfolgen kann.Das MRI steht in der Regel als letzte bildgebende Abklärungvor einer Arthroskopie zur Debatte. Eigentlich sollte nurdann davon Gebrauch gemacht werden, wenn dank dieserUntersuchung die Entscheidungsschwelle zur Arthroskopieüberschritten werden kann (1).Folgende Fragestellung wäre nun von Bedeutung: Bei welcherKrankheitswahrscheinlichkeit müsste die Entscheidungsschwellezur Arthroskopie liegen? Andersherum: WievielMRI-Abklärungen wären notwendig, um eine einzige unnötigediagnostische Arthroskopie zu vermeiden? Wäre die Entscheidungsschwellezur Arthroskopie bei 85 Prozent, bestündeein 15-prozentiges Risiko einer unnötigen Arthro -skopie. Somit müssten 7 MRI gemacht werden, um eineunnötige Arthroskopie zu vermeiden (Number needed totest: 100/15 ergibt aufgerundet 7). Wenn eine MRI-Abklärung700 Franken kostet, dann müsste man den Betrag von4900 Franken den Kosten für eine diagnostische Arthro -skopie (inkl. damit verbundenen Arbeitsausfalls) gegenüberstellen.Die Kosten für eine Arthroskopie dürften in der Regeljedoch deutlich tiefer liegen. Somit lässt sich selbst eine Entscheidungsschwellevon 75 Prozent Krankheitswahrscheinlichkeitoder noch tiefer diskutieren.Wem es jeweils gelingt, aufgrund von Anamnese und kli nischenBefunden die Wahrscheinlichkeit einer störenden Meniskusschädigungüber die Entscheidungsschwelle von85 Prozent einzuschätzen, der braucht im Prinzip keineweitere Diagnostik mehr zu betreiben. Fühlt man sich nurmässig sicher (d.h. Krankheitswahrscheinlichkeit von 50%),so gibt es drei Möglichkeiten:1. Test of Time: Man wartet, falls zumutbar, noch etwas zu,ohne den Patienten einem zusätzlichen Gesundheitsrisikoauszusetzen. Der Spontanverlauf (als diagnostischer Test)kann Informationsgewinn über die Entscheidungsschwellehinaus liefern, speziell bezüglich der klinischen Relevanzeiner Meniskusschädigung.2. Zuweisung an einen Knie spezialisten, welcher dank seinerErfahrung in den klinischen Tests bessere Testeigenschaftenmitbringen sollte.3. Eine MRI-Abklärung einleiten.Die Angaben über die Test -eigenschaften schwanken, hierzulandedürften sie in der Grössenordnungvon 90 ProzentSensitivität, 95 Prozent Spezifitätliegen. Mit einer LR pos von18 und einer Entscheidungsschwellevon 85 Prozent Krankheitswahrscheinlichkeitkannman sich eine Vortestwahrscheinlichkeitvon 23 Prozent«leisten» (Abbildung 6).Eine spannende Aufgabe für einenQualitätszirkel könnte durchauseinmal sein, eine Serie von Patientenmit Knieschmerzen – jedenfallsvor einem MRI – bezüglichder Wahrscheinlichkeit einer arthroskopiewürdigenMeniskusschädigung einzuschätzen und dannnach MRI oder Arthroskopie eine Auswertung vorzunehmen(2). Es würde nicht verwundern, wenn erfahrene Hausärzt -innen und Hausärzte aufgrund der Klinik in einer beachtlichenZahl der Fälle eine Krankheitswahrscheinlichkeit von mehr als85 Prozent erreichen. ❖Korrespondenzadresse:<strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. <strong>Luzi</strong> <strong>Dubs</strong>Facharzt für OrthopädischeChirurgie FMHWissenschaftlicher Beirat<strong>Ars</strong> <strong>Medici</strong>Merkurstrasse 128400 WinterthurE-Mail: dubs.luzi@bluewin.chNomogram for interpretingdiagnostic test resultPre-test Likelihoodprobability ratioPost-testprobabilityLiteratur:1. <strong>Dubs</strong>, L.: EBM-Kommentar zu: Treffsicherheit der Magnetresonanztomographie zumNachweis von Meniskusrissen. <strong>Praxis</strong> 2002: 91: 349–351.2. <strong>Dubs</strong>, L.: Die Entscheidung zur arthroskopischen Meniskusoperation mit der«Sherlock-Holmes-Methode». SAeZ 2003; 84: Nr12 541–544.Angaben über Grundlagentexte von Kursen und Lehrbüchern über Evidence Based<strong>Medici</strong>ne beim Verfasser.12512510203040506070809095991000500200100502010521.5.2.1.05.02.01.005.002.0019995908070605040302010521521Abbildung 6: Fagan-Nomogramm MRI14 SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011SONDERDRUCK AUS ARS MEDICI ■ 2011 15

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