MEDIAkompakt Ausgabe 18
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30<br />
GEFÜHLE<br />
mediakompakt<br />
Schutzlos in der Angstfalle<br />
Angst ist ein natürlicher<br />
Schutzmechanismus. Wenn<br />
diese Funktion gestört ist,<br />
schlägt sie schneller an und<br />
tritt heftiger auf. Ein<br />
Betroffener spricht über die<br />
Schutzlosigkeit und seinen<br />
gesuchten Ausweg.<br />
VON MAXIMILIAN MÜNZER<br />
Johannes Müller (Name v. d. Red. geändert)<br />
befindet sich in Psychotherapie. Er arbeitet<br />
seit Jahren mit seinem Therapeuten gegen<br />
die Angst, die lange sein ständiger Begleiter<br />
war.<br />
„Man kann sich eine Panikattacke wie einen<br />
Tsunami vorstellen.“, erzählt er. „Erschütterungen<br />
werden zu einer Kaskade“, fährt er fort. „Bis<br />
schließlich alles über einem zusammenbricht“.<br />
Johannes M. ist krank. Er leidet unter einer Angststörung<br />
im Rahmen einer depressiven Erkrankung.<br />
Das bedeutet, dass er in Bezug auf bestimmte<br />
Situationen Panikattacken bekommt. „Emotionaler<br />
Stress wird bei mir schnell zu einem Gefühl<br />
der Angst“, erklärt er. „Dann bin ich schutzlos und<br />
überwältigt. Die Angst lähmt mich, etwas daran<br />
zu ändern“. Da er seinen Alltag inzwischen wieder<br />
bewältigen kann, betont er, dass er sich aber als<br />
funktionierendes Mitglied der Gesellschaft sieht.<br />
„Ich vergleiche das oft mit Diabetikern. Sie reagieren<br />
empfindlich auf einen Reiz auf den Körper“,<br />
erzählt er.<br />
Pathologische Anzeichen dafür sind unter Anderem<br />
Hitze am Rücken, Empfindlichkeit gegenüber<br />
Bewegungen, Kopfschmerzen, Übelkeit. Dies<br />
kann bis zum schieren Unvermögen sich zu bewegen<br />
eskalieren. Gewissermaßen ist eine Panikattacke<br />
ein gewaltiges Ereignis für jeden Betroffenen.<br />
„Überwältigend trifft es sehr gut.“, erklärt Johannes<br />
M.. Ein ganz spezieller Aspekt einer Panikattacke<br />
sei die Ohnmacht. Ohnmacht im psychologischen<br />
Sinne ist ein Gefühl der Hilflosigkeit, oft gepaart<br />
mit einem subjektiven Mangel an Einflussmöglichkeiten.<br />
„Genau das ist das Problem“, führt<br />
er fort. Wie kann ich mich selbst wieder aufbauen,<br />
wenn ich keine Möglichkeit mehr sehe? Die erste<br />
Attacke war die schlimmste. Ich wusste nicht was<br />
das ist. Und ob es wieder geht!“<br />
Oft helfe nur noch der Aus-Schalter in Form einer<br />
Tablette, meint Johannes M. „Die knipst dir<br />
die Lichter aus. In diesem Moment ist das eine<br />
kurzfristige Befriedigung. Eigentlich ist es eine<br />
Pause, bis der nächste Tag beginnt und man sich<br />
wieder gegen die Angst stemmt.“ Tabletten lösen<br />
das Problem also nur kurzfristig. Es gibt auch Medikamente,<br />
die regelmäßig genommen werden<br />
sollen. Sie stabilisieren Botenstoffe und Hormone,<br />
Bild: pixabay<br />
die unter anderem für solche Attacken verantwortlich<br />
sind.<br />
Um dem Ganzen langfristig entgegenzuwirken<br />
ist eine Therapie nötig. Dies bestätigt heutzutage<br />
im Gegensatz zu früheren Ansätzen beinahe<br />
jeder seriöse Mediziner. Eine Therapie soll helfen<br />
die Typologie der Angst und ganz speziell die der<br />
eigenen Angst und Ohnmacht zu verstehen.<br />
Grundsätzlich gibt es alle möglichen Gründe<br />
Angst zu haben. Angst lässt sich jedoch kategorisieren,<br />
z.B. in Angst vor Tieren oder äußere Einflüsse<br />
wie Dunkelheit. „Die meisten Patienten haben<br />
Probleme mit der Angst auf psychosozialer<br />
Ebene“, erklärt der Psychoanalytiker Markus Pfeiffer.<br />
Vor allem gelte hier der Grundsatz, dass jeder<br />
Patient individuell betrachtet werden müsse, da<br />
jeder auch eine andere Geschichte in die Praxis<br />
mitbringe.<br />
Nach Siegbert A. Warwitz, Professor für Psychologie<br />
und Pädagogik, bringt jeder Mensch eine<br />
für ihn typische Angstdisposition mit. Diese lässt<br />
sich ab dem Kleinkindalter durch entsprechende<br />
Lernprozesse erheblich verändern. Sehr einfach<br />
ausgedrückt: Jede Art von Angst kann erlernt, aber<br />
auch verlernt werden.<br />
Ab einem bestimmten Punkt braucht ein<br />
Mensch professionelle Hilfe. „Hinter der Angst<br />
steckt oft ein Lernprozess.“, bestätigt Markus<br />
Pfeiffer. Ein Therapeut sei auch dazu da, den Patienten<br />
anzuleiten zu lernen mit seiner Situation<br />
umzugehen.<br />
Inzwischen weiß man, dass nicht nur Extremfälle<br />
sich professionelle Hilfe suchen. Es braucht<br />
nicht viel, um plötzlich große Angst zu haben. In<br />
einer schnelllebigen Gesellschaft geraten vor allem<br />
sensible Menschen unter Druck schnell an ihre<br />
Grenzen. Dabei ist gerade die Angst ein wertvoller<br />
Schutzmechanismus. Sie ist ein notwendiger<br />
Atavismus aus den Anfängen des Menschen. „Stellen<br />
sie sich vor, wenn die Steinzeitmenschen keine<br />
Angst vor Gewittern und Tieren gehabt hätten.<br />
Wer weiß, ob die Menschheit überlebt hätte“, erklärt<br />
Markus Pfeiffer die Funktion der Angst.<br />
„Ich habe die Angst gehasst, sie nimmt mir Lebensqualität.<br />
Es hat gedauert, bis ich die Angst<br />
als Alarmglocke begriffen habe. Das macht das<br />
Gefühl nicht angenehmer, aber hilft mir sie zu<br />
verstehen.“, fährt Johannes M. fort. Konkrete<br />
Strategien gegen oder viel mehr mit der Angst<br />
gibt es wenig, da sie individuell betrachtet werden<br />
muss. „In meinem Fall analysiere ich genau,<br />
was vor der Attacke geschehen ist. Daran muss<br />
ich mich orientieren“. In der Therapie wird besprochen,<br />
was zur Angst geführt hat. Damit lässt<br />
sich der Grund eingrenzen und mit der Zeit<br />
zeichnet sich ein Bild ab. „Die Gründe der Attacke<br />
bespreche ich dann in der Therapie. Inzwischen<br />
komme ich auch schon allein auf Lösungen,<br />
da mein Therapeut mir die richtigen Fragen<br />
stellt.“<br />
Konkreter möchte Johannes M. nicht werden.<br />
Er ist froh, sich vor drei Jahren für eine Therapie<br />
entschieden zu haben und möchte jeden ermutigen,<br />
nicht zu lange zu warten. Auch der Psyochoanalytiker<br />
Markus Pfeiffer warnt vor falscher<br />
Scham: Je länger man warte, desto mehr manifestieren<br />
sich oft zerstörerische Handlungen mit der<br />
Angst umzugehen. Ein typisches Bild sei das Überhäufen<br />
mit Arbeit oder Alkoholismus.<br />
Ein Fazit des Interviews lässt sich festhalten:<br />
Ein Besuch beim Arzt muss der erste Schritt sein,<br />
psychologische Beratungsstellen können aber<br />
auch helfen. Auch wenn es noch früh ist, schadet<br />
ein Besuch bei einem Therapeuten niemanden.<br />
Doch eine frühe Terminvereinbarung ist nötig,<br />
denn an schlechter Auftragslage leiden Therapeuten<br />
nicht. Oft gibt es lange Wartezeiten und wer<br />
dringend Hilfe braucht, kann nicht lange warten.