Arbeitsrecht 3/15
Newsletter zu Entwicklungen im Arbeitsrecht
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ArbR<br />
<strong>Arbeitsrecht</strong><br />
Newsletter zu Entwicklungen im <strong>Arbeitsrecht</strong> 3/<strong>15</strong><br />
Inhaltsübersicht<br />
BETRIEBLICHES EINGLIEDERUNGSMANAGEMENT<br />
Seite<br />
I. Einleitung 2<br />
II. Betriebliches Eingliederungsmanagement 2<br />
III. Fazit 6<br />
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG<br />
Befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Erreichen<br />
des Renteneintrittsalters 6<br />
Betriebsbedingte Kündigung und anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
7<br />
Keine nachträgliche Kürzung des Urlaubsanspruches wegen<br />
Elternzeit 8<br />
Lockerung der Aufzeichnungspflichten und Klarstellung zur<br />
Auftraggeberhaftung (MiLoG) 8<br />
Projektbefristung als sachlicher Befristungsgrund 9<br />
Ungekündigtes Arbeitsverhältnis als Voraussetzung für Gewährung<br />
von Urlaubsgeld 9<br />
Fristlose Kündigung wegen Raubkopien auf dem Firmen-Rechner 10<br />
Strenge Anforderungen an eine Verdachtskündigung 11<br />
AKTUELLES AUS UNSEREM HAUS 12<br />
.<br />
.<br />
wir freuen uns, Ihnen unsere dritte<br />
Ausgabe des Newsletters <strong>Arbeitsrecht</strong><br />
im diesem Jahr zu übersenden. Diese<br />
Ausgabe befasst sich im Schwerpunkt<br />
mit dem in der Praxis immer wichtiger<br />
werdenden Betrieblichen Eingliederungsmanagement<br />
und den damit<br />
zusammenhängenden Problemen.<br />
Daneben haben wir wie immer aktuelle Gerichtsentscheidungen<br />
im <strong>Arbeitsrecht</strong> prägnant aufbereitet und mit kurzen Praxishinweisen<br />
versehen.<br />
Eine interessante Lektüre<br />
wünscht Ihnen<br />
Ihr<br />
Dr. Volker Vogt, LL.M.<br />
Rechtsanwalt<br />
Fachanwalt für <strong>Arbeitsrecht</strong><br />
volker.vogt@schomerus.de<br />
Tel. Sekretariat:<br />
040 / 37 601 2348<br />
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ArbR 3/<strong>15</strong> 1
BETRIEBLICHES EINGLIEDERUNGSMANAGEMENT<br />
I. Einleitung<br />
Die deutsche Volkswirtschaft verliert jährlich bis zu 225 Milliarden EUR durch kranke<br />
Arbeitnehmer, sodass sich jeder Euro, der in eine betriebliche Prävention investiert wird,<br />
für die Volkswirtschaft mit 5 bis 16 EUR wieder auszahlt (vgl. Studie aus dem Jahr 2011<br />
der Strategieberatung booz&co für die Felix Burda Stiftung).<br />
Eine solche betriebliche Prävention stellt u.a. das Betriebliche Eingliederungsmanagement<br />
(BEM) dar. Seit 2011 schon sind Arbeitgeber verpflichtet, länger erkrankten<br />
Beschäftigten ein BEM anzubieten. Gesetzlich verankert ist das BEM in § 84 Abs. 2 SGB IX.<br />
Dort ist festgelegt, dass ein Arbeitgeber allen Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres<br />
länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, ein BEM<br />
anzubieten hat. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber klären muss, „wie die Arbeitsunfähigkeit<br />
möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter<br />
Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.“ Wie diese<br />
Klärung im Detail auszusehen hat, gibt § 84 Abs. 2 SGB IX bewusst nicht vor. Dadurch<br />
stellt sich in der Praxis oft die Frage, wie ein solches Verfahren sinnvoll umzusetzen ist.<br />
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in den letzten Jahren drei neue Entscheidungen<br />
zum BEM getroffen, die u.a. die Voraussetzungen des BEM (BAGE 141, 42), die Mitbestimmungsrechte<br />
bei der Durchführung des BEM (BAG, NZA 2012, 744) und die Schnittstelle<br />
zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) (BAG, ArbRAktuell 2011, 409)<br />
weiter ausgestaltet haben.<br />
Der folgende Beitrag setzt sich daher mit der Problematik der Umsetzung des BEM in der<br />
Praxis und den Neuerungen in der Rechtsprechung auseinander.<br />
II. Betriebliches Eingliederungsmanagement<br />
1. Voraussetzungen<br />
BEM ist erforderlich, wenn ein<br />
Arbeitnehmer mehr als sechs<br />
Wochen innerhalb eines Jahres<br />
erkrankt ist.<br />
Durchzuführen ist ein BEM bei einem Beschäftigten, der innerhalb des „letzten Jahres“<br />
länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war. Beschäftigte meint dabei alle Arbeitnehmer<br />
und Beamte. Auf eine Behinderung oder eine Gleichstellung kommt es dabei ebenso<br />
wenig an wie auf eine bestimmte Betriebsgröße (vgl. BAG, NZA 2008, 173). Der in § 84<br />
Abs. 2 SGB IX angegebene Zeitraum meint dabei nicht das letzte Kalenderjahr, sondern<br />
vielmehr die letzten 365 Tage (vgl. ErfK/Rolfs SGB IX § 84 Rn. 5). Die Grundlage für ein<br />
solches Verfahren ergibt sich zwar aus § 84 Abs. 2 SGB IX, jedoch schreibt dieser weder<br />
vor, in welcher Form dieses Verfahren durchzuführen ist, noch ob eine denkbare Mitbestimmungspflicht<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht. Die Durchführung des BEM ist<br />
daher sehr frei zu gestalten, was wiederum zu Unsicherheiten in der Umsetzung führt.<br />
Beteiligte des Verfahrens sind grundsätzlich:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Arbeitgeber,<br />
Arbeitnehmer,<br />
Betriebsrat, soweit es einen gibt (§ 84 Abs. 2 SGB IX sieht die Klärung mit den zuständigen<br />
Interessenvertretungen „unter Beteiligung des Arbeitnehmers“ vor. Ein BEM<br />
ist aber auch dann durchzuführen, wenn es gar keinen Betriebsrat gibt – vgl. BAG,<br />
NZA 2011, 39),<br />
bei Schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern die Schwerbehindertenvertretung<br />
und<br />
soweit erforderlich der Betriebsarzt.<br />
ArbR 3/<strong>15</strong> 2
Praxis-Tipp<br />
Regelmäßig bietet sich die Kontaktaufnahme und Einschaltung des Integrationsamts<br />
bzw. Integrationsfachdienstes sowie die Beteiligung der Fachkraft für<br />
Arbeitssicherheit oder des Betriebsarztes – allein schon wegen deren Erfahrungen<br />
und besonderen Kenntnisse – an.<br />
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ein BEM nicht erzwingbar ist. Das bedeutet,<br />
dass ein Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet werden kann, an einem BEM teilzunehmen.<br />
Ebenso gilt, dass er eine bereits erteilte Zustimmung jederzeit zurückziehen kann.<br />
Praxis-Tipp<br />
Daher sollte aus Beweissicherungsgründen die bereits erteilte Zustimmung<br />
eines Arbeitnehmers schriftlich dokumentiert werden. Der Arbeitgeber muss<br />
um diese ordnungsgemäß nachsuchen oder zu dieser gesondert auffordern.<br />
2. Verfahren<br />
Sind die Voraussetzungen erfüllt, ist die Durchführung des BEM für den Arbeitgeber<br />
verpflichtend. D.h. für ihn ist entscheidend, dass das Verfahren auf seine Initiative hin<br />
durchgeführt wird (vgl. BAG, NZA 2011, 992). Das BEM ist ein rechtlich regulierter „Suchprozess“,<br />
der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit<br />
ermitteln soll (vgl. BAG, NZA 2010, 398). Im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen<br />
die Wiederherstellung, der Erhalt und die Förderung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit<br />
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.<br />
Praxis-Tipp<br />
In der Praxis empfiehlt sich folgender Verfahrensablauf:<br />
a) Vorliegen der BEM-Voraussetzungen prüfen.<br />
b) Erstkontakt mit dem Arbeitnehmer aufnehmen und das Gespräch mit diesem<br />
suchen (über Ziele des BEM sowie über Art und Umfang der hierfür erhobenen<br />
und notwendigen Daten aufklären und Zustimmungserklärung einholen<br />
– vgl. BAG, NZA 2010, 398).<br />
c) Eingliederungsgespräch führen und ggf. Eingliederungsplan erstellen<br />
(SMART-Formel für die Ziele des BEM: Spezifisch, Messbar, Akzeptabel, Realistisch<br />
und Terminiert – vgl. ArbRAktuell 20<strong>15</strong>, 169)<br />
d) Maßnahmen durchführen, kontrollieren und dokumentieren.<br />
e) Abschlussgespräch führen.<br />
3. Maßnahmen<br />
Wie bereits angesprochen, ist der Ablauf des BEM ganz den Parteien überlassen, so dass<br />
die Maßnahmen für jeden Einzelfall bestimmt werden können und auch bestimmt werden<br />
müssen. Maßnahmen könnten dabei u.a. sein (vgl. ArbRAktuell 20<strong>15</strong>, 169):<br />
Ablauf des BEM ist den Parteien<br />
überlassen<br />
<br />
<br />
Die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens oder die Durchführung einer<br />
Gefährdungsbeurteilung.<br />
Die nähere arbeitstechnische Untersuchung z.B. durch Sicherheitsfachkräfte oder<br />
Arbeitspsychologen sowie Durchführung erforderlicher Arbeitsschutzmaßnahmen,<br />
z.B. Hebe-/Tragehilfen (vgl. LAG Hessen, BeckRS 2000, 16140).<br />
ArbR 3/<strong>15</strong> 3
Wiedereingliede-<br />
Stufenweise<br />
rung gängig<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Die technisch/organisatorische Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder Arbeitsablaufs<br />
(vgl. Stück, AuA 2007, 200).<br />
Die Versetzung auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz (vgl. Stück, AuA<br />
2007, 200).<br />
Die Arbeitsreduzierung bzw. Arbeitsänderung (zur Schonarbeit vgl. Stück, AuA<br />
2007, 594).<br />
Die Ermöglichung von muskulären Trainingseinheiten.<br />
Die von Krankenkassen bzw. sonstigen Sozialversicherungsträgern geförderte stufenweise<br />
Wiedereingliederung (vgl. Nebe, DB 2008, 1801).<br />
<br />
Die Durchführung einer (Sucht-)Therapie bei Therapiewilligkeit (vgl. BAG, NZA 2014,<br />
602).<br />
Praxis-Tipp<br />
Bei Langzeiterkrankten bietet sich eine stufenweise Wiedereingliederung auch<br />
dafür an, um die Wiederbelastung und ihre Auswirkungen auf den Arbeitnehmer<br />
zu erproben. Nach dem sog. Hamburger Modell wird dabei die Arbeitszeit stufenweise<br />
erhöht, z.B. von vier auf sechs Stunden pro Tag und dann auf die normalen<br />
acht Stunden.<br />
4. Ergebnisse und Konsequenzen<br />
a) Positives Ergebnis<br />
Führt das BEM zu dem Ergebnis, dass es Maßnahmen gibt, die die Arbeitsunfähigkeit<br />
vermeiden können, sind diese als milderes Mittel vor einer krankheitsbedingten Kündigung<br />
umzusetzen. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, trägt er die Darlegungslast<br />
dafür, warum die Maßnahme nicht zu einer Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit geführt<br />
hätte (ErfK/Rolfs SGB IX § 84 Rn. 8).<br />
b) Negatives Ergebnis<br />
Führt das BEM hingegen zu dem Ergebnis, dass es keine Möglichkeit gibt, die Arbeitsunfähigkeit<br />
des Beschäftigten zu mindern, genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast,<br />
indem er sich darauf beruft (ErfK/Rolfs SGB IX § 84 Rn. 9).<br />
5. Rechtsfolgen eines nicht durchgeführten BEM<br />
Kommt es zu einer krankheitsbedingten Kündigung, ist Folgendes zu beachten:<br />
Nach dem BAG ist die Durchführung des BEM zwar keine formelle Voraussetzung für die<br />
Wirksamkeit einer Kündigung (BAG, NZA 2010, 398). Dennoch hat eine fehlende Durchführung<br />
durchaus Konsequenzen. In einem Kündigungsrechtsstreit wirkt sich ein nicht<br />
durchgeführtes BEM auf die Darlegungs- und Beweislast aus. Der Arbeitgeber hat dann<br />
zu beweisen, dass eine entsprechend ungünstige Prognose auch bei einem ordnungsgemäß<br />
durchgeführten BEM vorgelegen hätte.<br />
Dies ist in der Praxis äußerst schwierig, da nachgewiesen werden müsste, dass das BEM<br />
zu keinem positiven Ergebnis geführt hätte (BAG, NZA 2010, 398).<br />
Praxis-Tipp<br />
Ohne den Nachweis eines erfolglosen Versuchs eines BEM oder eines gescheiterten<br />
tatsächlichen Arbeitsversuchs zu geänderten Arbeitsbedingungen, liegt<br />
die Beweislast regelmäßig beim Arbeitgeber. Da dieser Beweis nur sehr schwer<br />
ArbR 3/<strong>15</strong> 4
zu führen ist, werden die Kündigungsschutzprozesse oft zu Lasten des Arbeitgebers<br />
entschieden. Damit verbunden sind erhebliche rechtliche und wirtschaftliche<br />
Risiken. Daher sollten Arbeitgeber stets darauf achten, ein ordnungsgemäßes<br />
BEM durchzuführen.<br />
6. Datenschutz und Mitbestimmung<br />
a) Datenschutz<br />
Die im Rahmen eines BEM erhobenen Daten unterliegen dem Bundesdatenschutzgesetz<br />
(BDSG). Sensible Gesundheitsdaten sind beispielsweise besonders zu schützen,<br />
z.B. mittels eines besonderen Kuverts in der Personalakte (BAG, NZA 2007, 269) oder<br />
bei einer elektronischen Personalakte durch gestufte Berechtigungskonzepte. Dabei<br />
kommt dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung eine Überwachungsaufgabe<br />
gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bzw. § 95 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX i.V.m. § 84 Abs. 2<br />
S. 7 SGB IX zu. Das BAG hat zu dieser Aufgabe ausgeführt, dass der Arbeitgeber gegenüber<br />
dem Betriebsrat dazu verpflichtet ist, die Arbeitnehmer zu benennen, die die Voraussetzungen<br />
für ein BEM erfüllen – soweit die namentliche Benennung der Arbeitnehmer<br />
weder gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen noch gegen das Unionsrecht<br />
verstößt (vgl. BAG, NZA 2012, 744).<br />
b) Mitbestimmung<br />
Umstritten und noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt ist, ob bei der Aufstellung<br />
eines formalisierten Verfahrens für das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX ein Mitbestimmungsrecht<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 oder Nr. 7 BetrVG gegeben ist. Da formalisierte<br />
Kranken- und Rückkehrgespräche, wie das aus der Automobilindustrie bekannte<br />
Ampel- und Stufenmodell gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, mitbestimmungspflichtig<br />
sind (BAG, NZA 1995, 857; LAG München, AUR 2014, 4402) und § 84 Abs. 2 SGB IX eine<br />
Rahmenvorschrift i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist (BAG, NZA 2012, 748), spricht einiges<br />
für eine Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats. Deswegen ist eine Einigungsstelle<br />
zum Thema BEM auch nicht offensichtlich unzuständig (LAG Hamm, BeckRs 2014,<br />
67178; LAG Düsseldorf, BeckRs 2013, 67335; LAG Nürnberg, ArbRAktuell 2013, 136; LAG<br />
Berlin-Brandenburg, ArbRAktuell 2011,178; LAG Hamm, BeckRs 2010, 66756).<br />
Allerdings bleibt der pauschale und umfassende Antrag eines Betriebsrats auf Feststellung<br />
eines Mitbestimmungsrechts bei der „Durchführung des BEM gemäß § 84 Abs. 2<br />
SGB IX“ weiterhin unzulässig, da er gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht hinreichend<br />
bestimmt ist (vgl. BAG, BeckRs 2011, 72408).<br />
Praxis-Tipp<br />
Erwägt der Arbeitgeber die Aufstellung eines formalisierten Verfahrens für das<br />
BEM, sollte er ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht von vornherein<br />
ausschließen.<br />
7. Diskriminierung und Schadensersatz<br />
a) Diskriminierung<br />
Verstößt der Arbeitgeber gegen die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX, die das Angebot<br />
und die Durchführung eines ordnungsgemäßen BEM vorschreibt, stellt das allein noch<br />
kein Indiz für eine unzulässige Benachteiligung des Beschäftigten wegen einer Behinderung<br />
gemäß § 22 AGG dar (vgl. BAG, NJW 2011, 2458).<br />
Nichtdurchführung des BEM<br />
rechtfertigt keine Diskriminierungsklage<br />
Praxis-Tipp<br />
Kommt es zu einer personenbedingten Kündigung eines behinderten Beschäftigten,<br />
ist es wichtig, dass der Arbeitgeber sich im Rahmen der Betriebsratsan-<br />
ArbR 3/<strong>15</strong> 5
hörung und des Kündigungsschreibens alleine auf eine erhebliche Beeinträchtigung<br />
der betrieblichen Interessen durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten<br />
stützt und deutlich macht, dass er – behinderungsunabhängig – bei Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />
in gleichem oder ähnlichem Umfang grundsätzlich eine Kündigung<br />
ausspricht. Die Kündigung erfolgt dann aus krankheitsbedingten Gründen<br />
und nicht wegen des Diskriminierungsmerkmals „Behinderung“, sodass eine<br />
Diskriminierung(-sentschädigung) ausscheidet.<br />
b) Schadensersatz<br />
Da der Arbeitgeber bei Vorliegen von bestimmten Voraussetzungen gesetzlich dazu<br />
verpflichtet ist ein BEM durchzuführen, kann ein schuldhaftes Unterlassen bzw. Verletzen<br />
der Vorschrift u.U. auch Schadensersatzsprüche des Arbeitnehmers begründen,<br />
wenn der Arbeitgeber – trotz vorhandener Möglichkeiten – den Arbeitnehmer nicht<br />
leidensgerecht beschäftigt und ihm keinen entsprechenden Arbeitsplatz im Rahmen<br />
seines Direktionsrechts zuweist (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. 241 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Das<br />
BAG nimmt eine Rechtspflicht des Arbeitgebers an, einem Arbeitnehmer auf Verlangen<br />
auch eine andere, rechtlich mögliche, zumutbare und geeignete leidensgerechte Tätigkeit<br />
zuzuweisen, wenn er die bisher ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausüben kann und<br />
billigt grundsätzlich zwei Wochen zu, um das Verlangen des Arbeitnehmers zu prüfen<br />
(vgl. BAG, NZA 2010, 1119). Trifft den Arbeitnehmer allerdings ein Verschulden hinsichtlich<br />
seines Unvermögens, die bisherige Tätigkeit auszuüben, kommt ein Mitverschulden<br />
nach § 254 BGB in Betracht.<br />
III. Fazit<br />
BEM-Verfahren sollte implementiert<br />
werden, sofern noch nicht<br />
vorhanden<br />
Aufgrund der Tatsache, dass der Arbeitgeber beim BEM die Initiativlast trägt, bedeutet<br />
ein solches Verfahren zunächst mehr Arbeit für die Arbeitgeber. Dennoch darf nicht<br />
übersehen werden, dass die Maßnahmen auch gerade dazu führen können, dass eine<br />
Arbeitsunfähigkeit verhindert werden kann und so erhebliche Kosten gespart werden.<br />
Letztlich überwiegen die Vorteile der Durchführung eines BEM die Nachteile bei weitem.<br />
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG<br />
Befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Erreichen des Renteneintrittsalters<br />
In seiner Entscheidung vom 11.2.20<strong>15</strong> (Az.: 7 AZR 17/13) hat das Bundesarbeitsgericht<br />
(BAG) entschieden, dass weder der Rentenbezug noch die Rentenberechtigung sachliche<br />
Gründe für eine nachträgliche Befristungsvereinbarung eines Arbeitsverhältnisses<br />
darstellen können.<br />
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war bei der Beklagten langjährig<br />
beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag war keine Vereinbarung über die Beendigung des<br />
Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalter gegeben. Nachdem<br />
der Kläger das 65. Lebensjahr vollendet hatte, bezog er eine gesetzliche Altersrente.<br />
Die Parteien vereinbarten kurze Zeit später, dass das Arbeitsverhältnis zum Ende<br />
des Jahres enden sollte, verlängerten dieses jedoch noch um weitere zwei Male. In dem<br />
Änderungsvertrag vom 29.7.2011 vereinbarten die Parteien, dass der Arbeitsvertrag ab<br />
dem 1.8.2011 mit veränderten Bedingungen weitergeführt werden und Ende des Jahres<br />
enden sollte - der Vertrag mithin befristet wird. Der Kläger begehrte nunmehr die<br />
Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2011 endet.<br />
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision hatte jedoch Erfolg. Nach<br />
Ansicht des BAG liege kein sachlicher Grund gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG für die<br />
ArbR 3/<strong>15</strong> 6
Befristung des Arbeitsverhältnisses vor. Dass der Kläger die gesetzliche Rente bezieht,<br />
rechtfertige eine solche Befristung gerade nicht, da dies keinen in der Person des<br />
Arbeitnehmers liegenden Grund darstellt. Vielmehr muss in einem solchem Fall hinzukommen,<br />
dass die Befristung der konkreten Nachwuchsplanung der Beklagten dient.<br />
Praxis-Tipp<br />
Allein durch das Erreichen des Rentenalters scheidet ein Arbeitnehmer nicht<br />
automatisch aus dem Arbeitsverhältnis aus. Daher sollte in Arbeitsverträgen<br />
unbedingt eine „Renteneintrittsaltersklausel“ aufgenommen werden, die besagt,<br />
dass ein Arbeitsverhältnis mit Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters<br />
endet. Eine Altersdiskriminierung ist hierbei nach der Rechtsprechung des BAG<br />
und des EuGH nicht anzunehmen. Die gesetzliche Neuregelung des § 41 S. 2<br />
SGB VI, nach der Altersbefristungen mit Rentnern zulässig sind, greift demgegenüber<br />
nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine befristete Verlängerung<br />
des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt der Regelaltersgrenze abschließen.<br />
Einer Vereinbarung nach Renteneintritt bleibt – wie hier – auch nach § 41 S. 2<br />
SGB VI der Weg versperrt.<br />
Arbeitsverträge darauf überprüfen,<br />
ob diese mit Renteneintritt<br />
automatisch enden!<br />
Betriebsbedingte Kündigung und anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 8.5.2014 (Az.: 2 AZR 1001/12)<br />
entschieden, dass die Verpflichtung zum Angebot geeigneter Umschulungen oder Fortbildungen<br />
einen geeigneten und freien Arbeitsplatz nach Ende dieser Zeit voraussetzt.<br />
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten darüber, ob eine<br />
ordentliche betriebsbedingte Kündigung wirksam ist. Die Beklagte ist ein Unternehmen<br />
in der Chemieindustrie. Aufgrund der Schließung von drei Laboren, in denen u.a.<br />
der Kläger beschäftigt war, teilte die Beklagte ihm mit, dass sein Arbeitsplatz entfalle<br />
und bot ihm eine Versetzung in das „QUEST-Center“ an. In diesem sollten auch andere<br />
Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze entfallen sind, weitergebildet und wenn möglich auf<br />
unbefristete Stellen vermittelt werden. Der Kläger lehnte diese Versetzung ab und forderte<br />
von der Beklagten eine vertragsgemäße Beschäftigung. Daraufhin kündigte die<br />
Beklagte ihm betriebsbedingt. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, weil<br />
er der Auffassung war, dass eine Änderungskündigung mit der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung<br />
in dem „QUEST-Center“ das mildere Mittel gegenüber der Beendigungskündigung<br />
sei.<br />
In den Vorinstanzen wurde der Klage stattgegeben. Dieser Auffassung schloss sich das<br />
BAG nicht an. Für das BAG sei vielmehr entscheidend, dass es sich bei den im „QUEST-<br />
Center“ geschaffenen Stellen gerade nicht um „andere Arbeitsplätze“ i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 2<br />
Nr. 1 b, Satz 3 KSchG handle, da diese außerhalb des von § 1 Abs. 2 S. 2 und S. 3 KSchG<br />
gewährleisteten Inhalts- und Bestandsschutzes liegen. Der Arbeitgeber könne zwar<br />
grundsätzlich dazu verpflichtet sein, Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten, jedoch<br />
sei er nicht dazu verpflichtet, wenn nicht erkennbar sei, „dass nach Abschluss der Maßnahme<br />
ein geeigneter freier Arbeitsplatz im Unternehmen vorhanden sein wird.“<br />
Praxis-Tipp<br />
Entscheidend ist, dass Arbeitgeber in einer solchen Situation prüfen, ob nach<br />
einer Umschulungs- oder Fortbildungsveranstaltung freie Arbeitsplätze zur Verfügung<br />
stehen könnten. Wenn dies ausgeschlossen werden kann oder jedenfalls<br />
nicht absehbar ist, kann von solchen Maßnahmen abgesehen werden.<br />
ArbR 3/<strong>15</strong> 7
Keine nachträgliche Kürzung des Urlaubsanspruches wegen Elternzeit<br />
In seiner Entscheidung vom 19.5.20<strong>15</strong> (Az.: 9 AZR 725/13) hat das Bundesarbeitsgericht<br />
(BAG) entschieden, dass eine Kürzung des Erholungsurlaubs wegen Elternzeit<br />
nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist.<br />
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin arbeitete fünf Tage die Woche<br />
als Ergotherapeutin bei der Beklagten. Anfang 2010 wurde sie schwanger und durfte<br />
aufgrund eines Beschäftigungsverbotes ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen. In dem<br />
Zeitraum von Mitte Februar bis Mitte Mai 2012 befand sie sich anschließend in Elternzeit.<br />
Ihr Arbeitsverhältnis endete mit der Elternzeit. Im Anschluss an die Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses forderte die Klägerin die Abrechnung und Abgeltung ihrer<br />
Urlaubsansprüche aus den Jahren 2010 bis 2012. Daraufhin erklärte der Arbeitgeber<br />
erstmalig, der Urlaubsanspruch sei aufgrund der Elternzeit gekürzt worden. Die Klägerin<br />
erhob daraufhin Klage.<br />
In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen. In zweiter Instanz hat das Landesarbeitsgericht<br />
Hamm das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die nachträgliche Kürzung<br />
des Erholungsurlaubs der Klägerin für unwirksam erachtet und dieser deshalb<br />
eine Urlaubsabgeltung i.H.v. 3.822,00 Euro brutto zugesprochen. Die darauf folgende<br />
Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Eine Kürzungserklärung nach Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses sei zu spät, denn ein Arbeitgeber könne einen Urlaubsanspruch<br />
nur dann kürzen, wenn ein solcher Anspruch überhaupt noch bestünde. Daraus<br />
folgt, dass eine Kürzung gerade nicht mehr möglich sei, wenn das Arbeitsverhältnis<br />
bereits beendet ist und der Urlaubs- in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt<br />
wurde. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG. Danach ist es<br />
dem Arbeitgeber zwar grundsätzlich erlaubt, den Erholungsurlaub während der Elternzeit<br />
zu kürzen, das könne aber nicht erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
beschlossen werden.<br />
Praxis-Tipp<br />
Kürzung von Urlaubansprüchen<br />
während der Elternzeit unbedingt<br />
im laufenden Arbeitsverhältnis<br />
veranlassen!<br />
Die Kürzungserklärung hinsichtlich bestehender Urlaubsansprüche ist arbeitgeberseitig<br />
unbedingt vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erklären, da<br />
diese Ansprüche sonst ungekürzt als Zahlungsansprüche nach Beendigung des<br />
Arbeitsverhältnisses fortbestehen.<br />
Lockerung der Aufzeichnungspflichten und Klarstellung zur Auftraggeberhaftung<br />
(MiLoG)<br />
Seit dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 1.1.20<strong>15</strong> sind mittlerweile sieben<br />
Monate vergangen. Erstmals hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)<br />
im Rahmen einer Bilanz zum Mindestlohngesetz (MiLoG) Nachbesserungs- und Verbesserungsbedarf<br />
eingeräumt.<br />
In diesem Zusammenhang wurden zunächst folgende Änderungen angekündigt:<br />
<br />
<br />
<br />
Die Pflicht zur Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit von Minijobbern<br />
und Beschäftigten nach § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes soll<br />
entfallen, wenn das regelmäßige Arbeitsentgelt mehr als 2.000 EUR brutto (zuvor<br />
2.958 EUR) beträgt und das sich hieraus ergebende Nettoentgelt jeweils für die letzten<br />
tatsächlich abgerechneten 12 Monate regelmäßig ausgezahlt worden ist.<br />
Die Aufzeichnung bei der Beschäftigung von Familienangehörigen soll für das<br />
BMAS künftig verzichtbar sein.<br />
Das BMAS und das Bundesfinanzministerium (BMF) wollen gegenüber den Behörden<br />
der Zollverwaltung rechtlich klarstellen, dass sowohl bei der zivilrechtlichen<br />
Haftungsfrage als auch bei der Anwendung der Bußgeldvorschriften ein „eingeschränkter“<br />
Unternehmerbegriff zugrunde gelegt wird - entsprechend dem wie ihn<br />
ArbR 3/<strong>15</strong> 8
das Bundesarbeitsgericht für die zivilrechtliche Haftung im Arbeitnehmerentsendegesetz<br />
entwickelt hat. Das heißt, dass ein Unternehmer nur die Verantwortung<br />
für beauftragte Unternehmen trägt, wenn eigene vertraglich übernommene Pflichten<br />
weitergegeben werden. Damit wird in den meisten Fällen einer Beauftragung<br />
eines anderen Unternehmens klargestellt, dass hier im Hinblick auf den Mindestlohn<br />
keine Auftraggeberhaftung besteht.<br />
Ein Praxisleitfaden für Hochschulen, Betriebe, Praktikanten, Auszubildende und Studierende<br />
zu Mindestlohn und Praktika soll zeitnah zur Verfügung gestellt werden.<br />
Hinsichtlich der durch das MiLoG ans Tageslicht gekommenen Probleme mit dem<br />
Arbeitszeitgesetz wies das BMAS auf die schon jetzt bestehende Möglichkeit zu Ausnahmebewilligungen<br />
hin.<br />
Diese Nachbesserungsversuche des BMAS zeigen, dass zum Thema Mindestlohn noch<br />
nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Daher halten wir Sie zu diesem aktuellen<br />
Thema selbstverständlich weiter auf dem Laufenden.<br />
Projektbefristung als sachlicher Befristungsgrund<br />
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 24.9.2014 (Az.: 7 AZR 987/12) erneut<br />
entschieden, dass ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrages nach<br />
§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG vorliegt, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung<br />
des Arbeitnehmers nur vorübergehend besteht.<br />
Zeitlich befristete Projekte sind<br />
ein Befristungsgrund und erlauben<br />
befristete Arbeitsverträge<br />
von mehr als zwei Jahren<br />
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten um die Wirksamkeit<br />
der Befristung eines Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin war auf der Grundlage von drei<br />
aufeinanderfolgenden schriftlichen Arbeitsverträgen bei der Beklagten beschäftigt.<br />
Auch in dem letzten Vertrag war eine Befristung auf 5 Jahre vereinbart. Als Grund dafür<br />
wurde jeweils die Mitarbeit in verschiedenen Forschungsgruppen angegeben. Gegen<br />
diese Befristung erhob die Klägerin eine Befristungskontrollklage. Diese blieb in allen<br />
Instanzen erfolglos.<br />
Laut BAG sei entscheidend, dass die Klägerin projektbezogen angestellt wurde. Auf<br />
eine solche Projektbefristung könne sich der Arbeitgeber dann berufen, wenn es sich<br />
im Rahmen des Projekts um eine auf vorübergehende Dauer angelegte und gegenüber<br />
den Daueraufgaben des Arbeitgebers abgrenzbare Zusatzaufgabe handele. Es<br />
komme folglich darauf an, dass es sich bei der Projektarbeit um den wesentlichen Teil<br />
der Arbeitsleistung handelt.<br />
Praxis-Tipp<br />
Zu beachten ist, dass es sich bei Projektbefristungen nicht um ständig anfallende<br />
Aufgaben des Arbeitgebers handeln darf, sondern um klar abgrenzbare Projekte.<br />
Darüber hinaus muss der Arbeitnehmer dort auch tatsächlich den wesentlichen<br />
Teil seiner Arbeit ableisten. Es muss zu erkennen sein, dass nur für diese Zeit ein<br />
höherer Bedarf an der Arbeitsleistung besteht.<br />
Ungekündigtes Arbeitsverhältnis als Voraussetzung für Gewährung von<br />
Urlaubsgeld<br />
Mit Urteil vom 22.7.2014 (Az.: 9 AZR 981/12) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden,<br />
dass Arbeitgeber die Zahlung von Urlaubsgeld von einem noch bestehenden<br />
Arbeitsverhältnis abhängig machen können.<br />
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten über die Zahlung von<br />
Urlaubsgeld. Arbeitsvertraglich wurde vereinbart, dass die Klägerin pro genommenen<br />
Urlaubstag ein Urlaubsgeld von 2,4 % des monatlichen Bruttogeldes erhält. Das<br />
Urlaubsgeld wird am Monatsende ausgezahlt. Voraussetzung des Urlaubsgeldes ist ein<br />
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ungekündigtes Arbeitsverhältnis. Nachdem das Arbeitsverhältnis durch einen Vergleich<br />
beendet wurde, begehrte die Klägerin die Zahlung des Urlaubsgeldes für 30 Urlaubstage.<br />
Die Klage wurde abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Zahlung,<br />
da die Voraussetzung eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses nicht gemäß § 307<br />
Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sei. Eine unangemessene Benachteiligung<br />
liege nach Ansicht des BAG nicht vor. Das Urlaubsgeld stelle gerade keine Zahlung<br />
für eine erbrachte Leistung dar, sondern diene als zusätzliches Geld dem Erholungszweck<br />
des Urlaubs. Der Geldzahlung stehe keine erbrachte Gegenleistung entgegen,<br />
sodass die Bindung mit einem ungekündigten Arbeitsverhältnis wirksam sei.<br />
Das zusätzliche Urlaubsgeld sei vorliegend als Prämie anzusehen. Der Arbeitnehmer<br />
könne dabei durchaus entscheiden, ob er einen Arbeitsplatzwechsel vorzieht oder das<br />
Urlaubsgeld in Anspruch nehmen möchte.<br />
Praxis-Tipp<br />
Die Gewährung von Urlaubsgeld kann mit der Bedingung eines ungekündigten<br />
Arbeitsverhältnisses gekoppelt werden, soweit das Urlaubsgeld keine Zahlung<br />
für eine bereits erbrachte Leistung darstellt, sondern nur als zusätzliches Geld<br />
dem Erholungszweck dient.<br />
Fristlose Kündigung wegen Raubkopien auf dem Firmen-Rechner<br />
Nutzung dienstlicher Ressourcen<br />
zur Herstellung von Raubkopien<br />
durch IT-Verantwortlichen<br />
begründet fristlose Kündigung<br />
Mit seiner Entscheidung vom 16.7.20<strong>15</strong> (Az.: 2 AZR 85/<strong>15</strong>) hat das Bundesarbeitsgericht<br />
(BAG) entschieden, dass die Nutzung dienstlicher Ressourcen zur Herstellung privater<br />
„Raubkopien“ einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen kann. Zu<br />
diesem Ergebnis kam das BAG unabhängig von der Frage, ob dadurch auch ein Verstoß<br />
gegen das Urheberrecht gegeben ist.<br />
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger war bei dem<br />
beklagten Land seit 1992 beschäftigt. Im Rahmen dieser Beschäftigung hatte er die<br />
Funktion des „IT-Verantwortlichen“ beim Oberlandesgericht Naumburg inne. Neben<br />
weiteren Aufgaben war er für die Bestellung des benötigten Zubehörs (wie z.B. CDs und<br />
DVDs) zuständig. Bei einer im März 2013 durchgeführten Geschäftsprüfung wurden<br />
auf den Festplatten eines von dem Kläger genutzten Rechners mehr als 6.400 E-Book-,<br />
Bild-, Audio- und Videodateien vorgefunden. Ebenso wurde ein Programm entdeckt,<br />
das geeignet ist, den Kopierschutz der Hersteller der Dateien zu umgehen. Von Oktober<br />
2010 bis März 2013 wurden mit diesem Programm etwa 1100 DVDs bearbeitet. In<br />
diesem Zeitraum wurden durch das Oberlandesgericht Naumburg etwa die gleiche<br />
Anzahl DVDs bestellt. Der Kläger räumte daraufhin ein, dass er das „gemacht habe“ und<br />
wies zunächst darauf hin, dass er auch für andere Mitarbeiter kopiert habe. Die letzt<br />
genannte Angabe nahm er jedoch zurück. Das beklagte Land kündigte ihm daraufhin<br />
fristlos. Der Kläger legte Kündigungsschutzklage ein, der das LAG Sachsen-Anhalt<br />
stattgab.<br />
Die Revision beim BAG hatte Erfolg. Die Klage wurde an eine andere Kammer des LAG<br />
zurückverwiesen. Danach sei es vor allem für eine außerordentliche Kündigung nicht<br />
entscheidend, dass der Kläger die Raubkopien gegebenenfalls mit anderen Bediensteten<br />
hergestellt und dadurch eventuell nicht alle Handlungen vorgenommen habe.<br />
Maßgeblich könne auch allein das Ermöglichen und Zusammenwirken sein. Auch aus<br />
einer Erlaubnis, den dienstlichen Rechner für private Zwecke nutzen zu dürfen, könne<br />
nicht geschlossen werden, dass auch die Herstellung von DVD-Kopien gestattet sei.<br />
Dass das beklagte Land die Ermittlungen zunächst selbst durchgeführt haben und es<br />
nicht zu einer sofortigen Weitergabe an die Strafverfolgungsbehörden kam, habe keine<br />
Auswirkungen auf eine fristlose Kündigung. Maßgeblich für eine Hemmung der Frist<br />
des § 626 Abs. 2 BGB sei lediglich eine zügige Durchführung der Ermittlungen.<br />
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Praxis-Tipp<br />
Zusammenfassend ist damit zu sagen, dass die Herstellung privater „Raubkopien“<br />
unter Verwendung dienstlicher Ressourcen eine außerordentliche Kündigung<br />
rechtfertigen könnte. Die genannten Gründe des LAG führen jedoch<br />
gerade nicht einer Unwirksamkeit der Kündigung. Über die Kündigungsschutzklage<br />
muss das LAG nun neu entscheiden.<br />
Strenge Anforderungen an eine Verdachtskündigung<br />
Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG Köln) hat in seiner Entscheidung vom 12.12.2013<br />
(Az.: 7 Sa 537/13) weiter verdeutlicht, dass an eine Verdachtskündigung strenge Anforderungen<br />
zu stellen sind.<br />
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist bei der Beklagten als Stammfahrer<br />
eines Tankwagens eingestellt. Neben einer streitigen Versetzung des Klägers<br />
durch die Beklagte, die hier nicht thematisiert werden soll, geht es in dem Fall um eine<br />
außerordentliche Kündigung vom 10.1.2013, die die Beklagte als Verdachtskündigung<br />
ausgesprochen hat. Gegen diese Kündigung hat der Kläger Klage erhoben. Die Beklagte<br />
verdächtigte den Kläger, das Ergebnis einer Begutachtung durch den betriebsärztlichen<br />
Dienst zu verheimlichen. Dieser Verdacht rührt daher, dass der Kläger ihr lediglich<br />
den ärztlichen Untersuchungsbericht der kardiologischen Schwerpunktpraxis zur<br />
Verfügung gestellt hat. Die Beklagte ist jedoch der Meinung, dass daraus Folgeuntersuchungen<br />
resultierten, die belegen würden, dass der Kläger fahruntüchtig sei. Entgegen<br />
dieser Ansicht wendet der Kläger ein, er habe alle Unterlagen eingereicht.<br />
Bei einer Verdachtskündigung<br />
müssen Arbeitgeber zuvor sämtliche<br />
sich aufdrängenden Aufklärungsmaßnahmen<br />
ergriffen<br />
haben<br />
Die Vorinstanz hat der Klage stattgegeben. Ebenso blieb die Berufung der Beklagten<br />
erfolglos. Für eine außerordentliche Kündigung bestehe kein wichtiger Grund nach<br />
§ 626 Abs. 1 BGB. Das LAG hat nochmals verdeutlicht, dass an eine Verdachtskündigung<br />
hohe Anforderungen zu stellen sind. Das folge bereits aus dem Spannungsverhältnis<br />
zwischen der Möglichkeit einer Verdachtskündigung und dem Rechtsgrundsatz,<br />
dass niemand durch etwas, was nicht bewiesen ist, Rechtsnachteile erleiden soll. Die<br />
Beklagte habe es versäumt, den Kündigungssachverhalt vollständig aufzuklären. Daher<br />
sei ihr vorliegend nicht nur vorzuwerfen, dass sie keinerlei, ihr zumutbare, Anstrengungen<br />
für die Klärung des Sachverhalts ergriffen habe, sondern auch dass sie es unterlassen<br />
habe, geradezu naheliegende und sich aufdrängende Aufklärungsmaßnahmen zu<br />
ergreifen. So wäre es der Beklagten u.a. durchaus möglich gewesen, bei dem Kläger<br />
direkt nachzufragen, ob eine solche Bescheinigung überhaupt ausgestellt wurde. Laut<br />
dem LAG Köln bestand für die Beklagte auch ohne Weiteres die Möglichkeit aus den<br />
erhaltenen Unterlagen selbst Schlüsse zu ziehen. Es wäre der Beklagten möglich gewesen,<br />
unter Vorlage des Untersuchungsberichts selbst fachkundigen medizinischen Rat<br />
einzuholen.<br />
Praxis-Tipp<br />
Arbeitgeber sollten daher zunächst alle zumutbaren Anstrengungen für die<br />
Aufklärung des Sachverhaltes ergreifen und diese schriftlich zu Beweiszwecken<br />
dokumentieren, bevor sie eine Verdachtskündigung aussprechen. Stets ist auch<br />
eine vorherige – am besten schriftliche – Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung<br />
für eine Verdachtskündigung.<br />
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AKTUELLES AUS UNSEREM HAUS<br />
Zusammenarbeit mit WONG FLEMING<br />
SCHOMERUS kooperiert mit der US-amerikanischen<br />
Anwaltskanzlei WONG FLEMING, mit<br />
Hauptsitz in Princeton und weiteren Niederlassungen<br />
in den Vereinigten Staaten. WONG<br />
FLEMING bietet US-Rechtsbeistand für deutsche<br />
und europäische Mandanten mit geschäftlichen oder persönlichen Interessen<br />
in den Vereinigten Staaten an und berät in den USA ansässige Mandanten, die eine<br />
Geschäftstätigkeit in Deutschland und Europa aufnehmen möchten.<br />
Kontakt & Anfragen<br />
Dr. Volker Vogt, LL.M.<br />
Rechtsanwalt<br />
Fachanwalt für <strong>Arbeitsrecht</strong><br />
E-Mail:<br />
volker.vogt@schomerus.de<br />
Tel. Sekretariat:<br />
040 / 37 601 - 2348<br />
Sowohl SCHOMERUS als auch WONG FLEMING konzentrieren sich darauf, die Interessen<br />
von Unternehmen in allen wichtigen juristischen Feldern zu vertreten, beispielsweise<br />
im Gesellschafts- und Handelsrecht, bei Fusionen und Übernahmen und bei der<br />
Prozessführung.<br />
Mit dieser Kooperation ist SCHOMERUS in der Lage, seine deutschen und europäischen<br />
Mandanten in Angelegenheiten des US-amerikanischen Rechts zu beraten, ohne dass<br />
diese einen lokalen US-Anwalt beauftragen müssen. Die Abrechnung solcher Beratungsleistungen<br />
erfolgt über SCHOMERUS und die Mandanten sind in der Lage, das<br />
Know-how der erfahrenen Rechtsanwälte von WONG FLEMING und deren Mitarbeiter<br />
in Anspruch zu nehmen.<br />
SCHOMERUS bleibt Ansprechpartner und kümmert sich persönlich um die Belange seiner<br />
Mandanten und erarbeitet in Kooperation mit WONG FLEMING Lösungen in Fragen<br />
des US-amerikanischen Rechts, speziell bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten,<br />
einschließlich der Zolltarife, der Gründung von Unternehmen in den USA und anderen<br />
nordamerikanischen Märkten, sowie bei Exportkontrollfragen. Umgekehrt wird den<br />
Mandanten von WONG FLEMING der Zugriff auf das Know-how der Rechtsanwälte von<br />
SCHOMERUS ermöglicht.<br />
Schomerus & Partner<br />
Steuerberater · Rechtsanwälte<br />
Wirtschaftsprüfer<br />
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Stand: 21.07.20<strong>15</strong><br />
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