evangelischer gemeindebote 3/2015
Berichte und Aktuelles aus der Pfarrgemeinde Voitsberg
Berichte und Aktuelles aus der Pfarrgemeinde Voitsberg
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Wir wollen auf Menschen zugehen, über das Evangelium reden und in Gemeinschaft am Glauben wachsen.<br />
<strong>evangelischer</strong> <strong>gemeindebote</strong> Seite 9<br />
Aus den Katakomben in die Welt – 6. Teil<br />
Vom Toleranzpatent ins 21. Jahrhundert.<br />
Nachdem die Evangelischen ihren Glauben nun<br />
öffentlich leben durften, Gemeinden gründeten<br />
und Bethäuser bauten, brauchten sie auch eine<br />
Verwaltung. Diese wurde durch die Personalunion<br />
geschaffen. Steiermark, Kärnten, Krain<br />
und Venetien wurden von der Superintendenz<br />
Wien und Niederösterreich aus verwaltet. Pro<br />
zehn Gemeinden sollte ein Senior unterstützend<br />
eingreifen; im Jahr 1847 gelang es, die Steiermark<br />
als eigenständiges Seniorat festzulegen,<br />
was bis 1946 Bestand hatte.<br />
1821 wurde die Gemeinde Graz als Vikariat<br />
von Wald am Schoberpass genehmigt. Viele der<br />
Gemeinden hatten auch konfessionelle Schulen,<br />
die ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor waren,<br />
der sich erst 1869 durch das Reichsvolksschulgesetz<br />
änderte.<br />
Nachdem die ersten Gemeinden gegründet waren,<br />
gab es immer noch keine eigene Kirchenverfassung,<br />
deshalb wurde unter Kaiser Franz<br />
Josef 1861 das Protestantenpatent beschlossen,<br />
was finanzielle und gesellschaftliche Vorteile<br />
brachte, zugleich auch eine Kirchenverfassung.<br />
Diese Kirchenverfassung wirkt bis heute und<br />
gliedert sich in einen vierstufigen Aufbau: Pfarrgemeinde,<br />
Seniorat, Diözese und Gesamtgemeinde.<br />
Los von Rom Bewegung<br />
Eine weitere Entwicklung brachte die „Los von<br />
Rom“ Bewegung, die um die Jahrhundertwende<br />
begann und viele Katholiken zunächst eher<br />
aus politischen denn aus theologischen Gründen<br />
evangelisch werden ließ. Jedenfalls stieg die<br />
Anzahl der Evangelischen enorm an, viele neue<br />
Predigtstationen entstanden, und dieses protestantenfreundliche<br />
Klima nutzten viele Gemeinden,<br />
um stattliche Kirchen mit Türmen zu<br />
errichten. Während die Gemeinden beim Bau<br />
vom Gustav-Adolf-Verein unterstützt wurden,<br />
unterstützte sie der Evangelische Bund beim<br />
Personal.<br />
Die Evangelischen in Voitsberg.<br />
Im 16. Jh. herrschte auch in Voitsberg reges protestantisches<br />
Leben, das durch die Vertreibung<br />
der Prediger, Aussiedlung der Evangelischen<br />
sowie dem Verbot des Glaubens zum Erliegen<br />
kam.<br />
Erst 1858 finden sich wieder Spuren evangelischen<br />
Lebens in Voitsberg. Moritz Ritter von<br />
Horstig, Besitzer der Papierfabrik in Voitsberg<br />
(besser bekannt als der Erbauer der Horstighäuser<br />
in der Bahnhofstrasse) schenkte der Kirche<br />
ein Grundstück für einen Friedhof in der Luthergasse.<br />
Horstigs Vater war übrigens Superintendent<br />
und Hofprediger in Weimar gewesen<br />
sowie ein persönlicher Freund J. W. Goethes.<br />
Der junge Unternehmer sammelte eine Anzahl<br />
evangelisch Gesinnter um sich, die hauptsächlich<br />
zugezogen und als Ingenieure, Arbeiter und<br />
Beamte im Bergbau und in der Glasindustrie<br />
beschäftigt waren. Da es ja noch keine Gemeinde<br />
gab, wurden sie von der Grazer Heilandskirche<br />
aus betreut. Wenn sie einen Gottesdienst<br />
besuchen wollten, mussten sie dazu nach Graz<br />
fahren, seit 1860 gab es schon die Eisenbahn. Zu<br />
Beerdigungen kam der Pfarrer aus Graz nach<br />
Voitsberg.<br />
Erster Gottesdienst in Voitsberg<br />
Weihnachten 1899 hielt Vikar Roehling aus<br />
Graz den ersten Gottesdienst in Voitsberg.<br />
Vorher gab es aber noch einige Schwierigkeiten<br />
zu überwinden, denn der Gottesdienst sollte im<br />
Saal der Bezirksvertretung stattfinden, dieser<br />
Saal jedoch gehörte einer bigotten katholischen<br />
Witwe, die sofort zum Dechant lief und den<br />
Gottesdienst verhindern wollte, was ihr aber<br />
nicht gelang. Bei diesem ersten Gottesdienst<br />
waren immerhin 80 Personen anwesend, viele<br />
mussten stehen, da nur 40 Stühle vorhanden<br />
waren. Es kamen auch viele Leute aus der bäuerlichen<br />
Bevölkerung, und ein Mann sagte beim<br />
Fortgehen zu Vikar Roehling: „Hier bekommt<br />
auch der arme und geringe Mann etwas ab vom<br />
Evangelium“.<br />
Zuständig für Voitsberg war seit 1905 aber nicht<br />
mehr Graz, sondern Stainz, das seit 1905 Pfarrgemeinde<br />
war. Voitsberg und Köflach galten als<br />
Predigtstellen von Stainz. In Köflach wurden<br />
seit 1905 regelmäßig Gottesdienste im Gemeindesaal<br />
abgehalten.<br />
Nachdem der Pfarrer von Stainz sich nicht mehr<br />
in der Lage sah, dieses große Gebiet seelsorgerlich<br />
zu betreuen, bat er den Oberkirchenrat um<br />
Abhilfe. Dieser genehmigte daraufhin einen Vikar<br />
für den Voitsberger Raum.<br />
1921 nahm Vikar Perner seine Arbeit in Voitsberg<br />
auf. Perner, der ursprünglich Benediktiner<br />
im Stift Admont war und später viele Jahre<br />
katholischer Priester in Leoben, trat unter dem<br />
Einfluss des für die Steiermark zuständigen<br />
evangelischen Seniors Spanuth in die evangelische<br />
Kirche ein. Er studierte in Wien noch<br />
einige Semester evangelische Theologie, und begann<br />
dann mit seiner Arbeit in Voitsberg. Noch<br />
gab es keine richtige Kirche und kein Pfarrhaus.<br />
Als Gottesdienstraum diente der Gemeinde seit<br />
Weihnachten 1904 der alte Stadtturm, er wurde<br />
von der Firma Kranz zur Verfügung gestellt, die<br />
nun Besitzer der Papierfabrik war. Die Wohnung<br />
Perners und das Pfarramt allerdings befanden<br />
sich in einer richtigen Bruchbude.<br />
Auch wenn<br />
die Voitsberger<br />
Gemeindegründung<br />
noch etwas auf<br />
sich warten<br />
ließ, zählte der<br />
Bezirk im Jahr<br />
1918 bereits 50<br />
Evangelische.<br />
Am 15. Oktober<br />
1923 gab der<br />
Oberkirchenrat<br />
endlich die<br />
Postkarte des Bethauses in Voitsberg<br />
Genehmigung<br />
zur Errichtung einer eigenen Pfarrgemeinde<br />
Voitsberg, die Gründerversammlung einer<br />
kirchlichen Körperschaft fand in Köflach am 1.<br />
November im Gasthaus Paulinz statt.<br />
Die neu zu errichtende Pfarrgemeinde Voitsberg<br />
war eine eigene Predigtstation und nicht mehr<br />
von Stainz abhängig, es wurde ein Ausschuss<br />
eingesetzt, der im zukünftigen Voitsberger Presbyterium<br />
mit Sitz und Stimme vertreten sein<br />
sollte. Obmann wurde Ing. Otto Beidl. Einen<br />
Tag später fand die Gründungsversammlung in<br />
der Puntigamer Bierhalle in Voitsberg statt. Das<br />
Presbyterium wurde gewählt, Kurator wurde<br />
der Buchhalter der Papierfabrik, Eugen Rendl,<br />
als sein Stellvertreter Karl Fraiß und als Kassier<br />
Rudolf Pauer, der noch bis 1964 in verschiedenen<br />
Funktionen in der Gemeinde tätig war.<br />
Selbstständige Pfarrgemeinde<br />
Mit Wirkung vom 1. Jänner 1924 war Voitsberg<br />
selbständige Pfarrgemeinde und zählte 420 Seelen.<br />
Die Amtseinführung von Pfarrer Perner<br />
fand im Voitsberger Kinosaal statt und wieder<br />
wurde nachhaltig der Bau einer eigenen Kirche<br />
gefordert und vorbereitet. Das Jahr 1926 brachte<br />
jedoch einen Rückschlag, weil die Papierfabrik<br />
schloss und der Kurator berufsbedingt<br />
nach Kärnten ging. Mit Jahresende verließ auch<br />
Pfarrer Perner die Gemeinde, er ging nach Berlin.<br />
Die Administration hatte wieder der Pfarrer<br />
von Stainz.<br />
1929 wurde ein Grundstück zum Zwecke des<br />
Kirchenbaues in der Bahnhofstrasse gekauft,<br />
und im gleichen Jahr erwarb man von der Fa.<br />
Kranz den alten Stadtturm, um hier die Gottesdienste<br />
bis zur Fertigstellung der Kirche abzuhalten.<br />
Leider gab es nur 40 Sitzplätze und ungefähr<br />
30 Stehplätze. Es vergingen aber noch sechs<br />
weitere Jahre bis zur feierlichen Grundsteinlegung<br />
durch Senior Spanuth am 29. September<br />
1935.<br />
Astrid Perz<br />
Quellennachweise:<br />
Ernst Christian Gerhold, Hermann Miklas. Kurzgeschichte der evang. Kirche: Von den Anfängen bis heute<br />
Hermann Miklas. Voitsberg Porträt einer Stadt: Die evang. Kirche von 1936 bis jetzt.<br />
Ernst Burger. Protestantische Profile<br />
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