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Europäische Park - Jenischpark

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<strong>Europäische</strong> <strong>Park</strong>- und Gartenanlagen<br />

in politischer, sozialer, ästhetischer und poetischer<br />

Anschauung<br />

Eine Literatur- und Zitatensammlung von Arkadien über den Renaissance-,<br />

Barock- und Landschaftsgarten bis zum Volks- bzw. Stadtpark<br />

(Mit gesonderten Kapiteln zum Gartenreich Dessau-Wörlitz des Fürsten<br />

Franz von Anhalt-Dessau, zum „<strong>Park</strong> von Ermenonville“ des Marquis<br />

de Girardin bei Paris, zum „Mustergut“ des Barons Caspar Voght in<br />

Hamburg sowie zur Geschichte der Hamburger <strong>Park</strong>- und<br />

Gartenkultur)<br />

Zusammengestellt von Dr. habil. Reinhard Crusius, Hamburg<br />

für das „Loki-Schmidt-Haus“ in Hamburg<br />

(Achtung: Nur für den privaten Gebrauch!)<br />

Hamburg, im Januar 2010<br />

© für die Idee, die Zusammenstellung und die Betitelungen<br />

bei Reinhard Crusius, Hamburg,<br />

für die Zitat-Texte bei den einzelnen Verlagen<br />

1


Zum Geleit<br />

Am Anfang schuf Gott einen Garten, das Paradies auf Erden. Der Garten<br />

Eden ist Sinnbild für die menschliche Sehnsucht nach der perfekten Natur,<br />

nach einem Ort der Ruhe, des Wohlbefindens, der Schönheit und Fülle. Seit<br />

der Vertreibung von Adam und Eva versucht der Mensch, diesen<br />

Mikrokosmos wiederauferstehen zu lassen. Der Ursprung im Göttlichen<br />

könnte der Grund sein, weshalb Gärten in der Menschheitsgeschichte eine<br />

so große Rolle spielen.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 18)<br />

Welche Flut schöner Vorstellungen erwacht beim Blick auf die Entwicklung<br />

der Gartenkunst! Vom Gehege zum Hof, vom Zartgärtlein zum <strong>Park</strong>, von<br />

der Terrassen der Semiramis zum Lustgarten des poetischen Ratsherrn<br />

Brockes, vom Schnurgarten zu freien Landschaftsanpassung. Soweit die<br />

unabsehbare Gartenfülle bis ins Dunkel des Altertums zu verfolgen ist, geht<br />

wellenförmig der Wechsel zwischen Enge und Weite, Strenge und<br />

Lockerung, Regelmäßigkeit und Landschaftlichkeit, Architektonik und <strong>Park</strong>.<br />

Kunst, Mode, Weltanschauung und Regierungsformen laufen dem parallel.<br />

(…) Auf einer Schlangenlinie bewegt sich der kulturelle Fortschritt im<br />

Kreise.<br />

(Hans Leip [1893-1983], Hamburgischer Dichter, Die unaufhörliche Gartenlust. Ein<br />

Hamburger Brevier, Hamburg 1953, Neuauflage 2004, S. 22)<br />

Jede Pflanze hat einen Engel, der sich über sie beugt und unentwegt<br />

flüstert: Wachse, wachse!<br />

(Unbekannt)<br />

Blumen sind das Lächeln der Erde.<br />

(Ralph Waldo Emerson [1803-1882], amerikanischer Philosoph und Dichter)<br />

Kinder weinen<br />

Narren warten<br />

Dumme wissen<br />

Kleine meinen<br />

Weise gehen in den Garten<br />

(Joachim Ringelnatz [1863 – 1934], zit. n.: Hans Leip [1893-1983], Hamburgischer<br />

Dichter, Die unaufhörliche Gartenlust. Ein Hamburger Brevier, Hamburg 1953,<br />

Neuauflage 2004,S. 161f)<br />

2


Vorbemerkungen<br />

Bei meinen vielen Reisen, vor allem aber bei der Arbeit an dem Buch „Der<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>“ (zusammen mit Paul Ziegler und Prof. Dr. Peter Klein) habe ich<br />

mich intensiv mit der Rolle von <strong>Park</strong>s und Gartenanlagen in der politischen,<br />

sozialen und kulturellen Entwicklung Europas befasst – und tue das bis heute. Da<br />

Vielen, die sich an den <strong>Park</strong>s und Gartenanlagen erfreuen, die Hintergründe oft<br />

nicht bekannt sind, Andere wohl Einiges wissen, aber mehr erfahren möchten, oft<br />

jedoch weder Zeit noch Muße aufbringen können, ungezählte Bücher zu<br />

studieren, habe ich diese „Zitatensammlung“ zusammengestellt.<br />

Sie befaßt sich im Schwergewicht mit der Entwicklung von (französischen)<br />

Barock-Gärten zu (englischen) Landschaftsparks, umgreift aber auch deren Vorund<br />

Nachgeschichte. Dabei werden griechische, römische, orientalische Gärten<br />

nur als Ideengeber für den eigentlichen Start der europäischen Gartenkultur, den<br />

Renaissance-Garten, gestreift. Der mittelalterliche Kloster-, Bauern-, Burg- und<br />

Stadtgarten in Europa wird ausgelassen. Die maurischen, chinesischen und<br />

japanischen Entwicklungen werden angerissen. Dabei werden vielfältigste, auch<br />

widersprüchliche Äußerungen zu diesen Entwicklungen und garten- bzw.<br />

parkarchitektonischen Manifestationen vorgetragen – wie ja auch die<br />

Bezeichnung „Französischer Barockgarten“ oder „Englischer Landschaftspark“<br />

nur eine Typisierung von Vielfalt ist.<br />

An drei Personen verdeutlicht sich der Akt der <strong>Park</strong>gestaltung als nicht nur<br />

repräsentative, sondern vor allem als kulturelle, soziale, ästhetische,<br />

pädagogische, politisch-aufklärerische und praktisch-nützliche Unternehmung in<br />

Übertragung der englischen Entwicklung auf den Kontinent in all seinen Facetten<br />

besonders klar: an dem Fürsten Franz von Anhalt-Dessau, an dem französischen<br />

Adligen Marquis de Girardin und an dem Hamburger Kaufmann Caspar Voght<br />

(später geadelt). Vor allem den Letzteren würdige ich hier, da er in allen<br />

Darstellungen über den „Englischen Landschaftspark“ in Deutschland kaum oder<br />

gar nicht vorkommt, obwohl er das Konzept der „ornamented farm“ in Deutschland<br />

am kongenialsten realisierte und dazu auch noch durchaus lesenswerte Schriften<br />

darüber hinterließ – aber <strong>Park</strong> und (klassischer) Adel gehören wohl in den Augen<br />

der meisten Betrachter in Deutschland zu eng zusammen! Diese drei „Pioniere“<br />

erhalten je ein eigenes Kapitel in Teil B, ergänzt durch einige Aspekte der<br />

Hamburger <strong>Park</strong>entwicklung bis heute.<br />

Das Inhaltsverzeichnis führt zu gezielten Themenbereichen. Man kann in dieser<br />

Sammlung aber auch einfach nur herumschmökern. In einigen wenigen Fällen<br />

habe ich Zitate in zwei verschiedenen Kapiteln untergebracht, um die thematische<br />

Verengung, die jede Katalogisierung in Themenblöcke mit sich bringt, etwas<br />

aufzubrechen. Eine Fülle weiterer historischer Zitate zu den angeschnittenen<br />

Themen finden sich in dem Aufsatz „Ein Bild von einem <strong>Park</strong>“ von Paul Ziegler,<br />

in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 50ff.<br />

(Natürlich muss ich hier noch einmal auf die allgemeinen Copyright-Vorschriften<br />

hinweisen! Die Texte dürfen ausschließlich privat genutzt werden! Gelegentlich<br />

unterschiedliche Zitierweisen entstanden durch Copyright-Wünsche bzw.<br />

-Auflagen der entsprechenden Verlage.)<br />

3


INHALTSVERZEICHNIS<br />

VORSPANN: Historische <strong>Park</strong>s und Gärten als schützenswerte Denkmäler S. 6<br />

Teil A: <strong>Europäische</strong> Garten- und <strong>Park</strong>kultur im Wandel der<br />

Jahrtausende<br />

4<br />

(1-14)<br />

I. Ländliche Natur, <strong>Park</strong>s und Gärten als Nutzen, als Kunst und als seelischer<br />

Empfindungsraum S. 10<br />

1. Horaz, Vergil und andere Römer: Vom glückseligen Landleben (15-24)<br />

2. Seelenfrieden und Verzückung, Genießen und Erinnern (25-55)<br />

3. Gärten, Kunst und die Künstler (56-69)<br />

4. Goethe und andere: Pflanzen und Bäume, Gärten und Gärtner (70-79)<br />

5. Zu einigen anderen Aspekten von Natur und Gartenkunst –<br />

unter anderem zu historischen Aspekten (80-100)<br />

II. Die Begründung des (englischen) Landschaftsparks als politischem und S. 32<br />

ästhetischem Gegenentwurf zum (französischen) Barockgarten<br />

1. Der italienische Renaissance-Garten als Anreger für Französische Gärten und<br />

Englische Landschaftsparks (101-122)<br />

2. Der französische Barockgarten (123-143)<br />

3. Englischer Landschaftspark gegen Französischen Barockgarten:<br />

Ein politisches Programm (in England und Frankreich) (144-184)<br />

4. Englischer Landschaftspark gegen Französischen Barockgarten:<br />

Eine ästhetische Revolution (185-208)<br />

5. Exkurs: Außereuropäische Einflüsse: Islam, China, Japan (209-221)<br />

III. Der Landschaftspark (einschließlich ornamented farm) als künstlerisches S. 72<br />

Gestaltungsprinzip<br />

1. Zurück zur Natur! Aber was ist für den <strong>Park</strong>gestalter Natur? (222-235)<br />

2. Das Grundproblem des Englischen Landschaftsparks:<br />

Wie viel Natur, wie viel Gestaltung? (236-252)<br />

3. Gestaltungs“regeln“ des Englischen Landschaftsparks (253-288)<br />

4. <strong>Park</strong>architektur und Architektur im <strong>Park</strong> (289-316)<br />

5. Landschaftspark als „ornamented farm“ (317-333)<br />

6. Die Weiterentwicklung des Landschaftsparks: Stil-Pluralismus und Volksgärten (334-345)


Teil B: Drei Beispiele für die Übertragung des Englischen<br />

Landschaftsparks als „ornamented farm“ auf den Kontinent sowie<br />

die Weiterentwicklung zu Reformgärten und Stadtparks<br />

I. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau S.109<br />

1. Statt einer Vorbemerkung: Grundsätzliche Zitate zum Schöpfer<br />

und zu seinem Werk (346-357)<br />

2. Die <strong>Park</strong>schöpfung Dessau-Wörlitz als Akt der politischen Aufklärung (358-369)<br />

3. Die <strong>Park</strong>schöpfung Dessau-Wörlitz als Variation der englischen<br />

„ornamented farm“ (370-381)<br />

4. Das Lob der Anderen (382-394)<br />

II. Der Marquis René-Louis de Girardin und der <strong>Park</strong> von Ermenonville (395-405) S.126<br />

III. Caspar Voght: Sein <strong>Park</strong>werk / Seine Landwirtschaft / Seine Armenpolitik –<br />

Sein Wirken und Erbe S. 132<br />

Vorbemerkung (406)<br />

1. Voght und Andere über die Anlage speziell des Süderparks, des heutigen<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>s (407-435)<br />

2. Voght und Andere über seine landwirtschaftlichen Bestrebungen und Erfolge (436-454)<br />

3. Voght und Andere über sein Leben, sein Wirken, seine Wirkung, sein Erbe –<br />

und dessen Gefährdung (455-483)<br />

4. Aus Caspar Voghts „Lebensgeschichte“ (484-513)<br />

5. Zusammenfassend zu Voghts Werk und Wirkung: Flottbeks geistes- und<br />

sozialgeschichtliche Bedeutung (514)<br />

AUSKLANG: Zur Entwicklung der Hamburgischen Garten- und S.172<br />

<strong>Park</strong>kultur: Von Barockgärten über Reformgärten<br />

zum Volks- und Stadtpark (515-541)<br />

Was bleiben sollte S. 182<br />

5


VORSPANN:<br />

Historische <strong>Park</strong>s und Gärten als schützenswerte<br />

Denkmäler<br />

Aus der „Charta der historischen Gärten“ von 1981 1<br />

Ein historischer Garten ist ein mit baulichen und pflanzlichen Mitteln geschaffenes<br />

Werk, an dem aus historischen oder künstlerischen Gründen öffentliches Interesse<br />

besteht. Als solches steht er im Rang eines Denkmals.<br />

(Artikel 1 der Charta von Florenz – der Charta der historischen Gärten – vom<br />

15. Dezember 1981)<br />

Das Interesse an historischen Gärten muss durch alles geweckt werden, was<br />

geeignet ist, dieses Erbe zur Gestaltung zu bringen, es bekannter zu machen und<br />

ihm zu besserer Würdigung zu verhelfen: Förderung wissenschaftlicher Forschung,<br />

internationaler Austausch und Verbreitung von Informationen,<br />

wissenschaftliche Veröffentlichungen und populäre Darstellungen, Ansporn zu<br />

geregelter Öffnung der Gärten für das Publikum, Sensibilisierung für natürliche<br />

und kulturelle Werte mit Hilfe der Massenmedien.<br />

(Artikel 25 der Charta von Florenz – der Charta der historischen Gärten – vom<br />

15. Dezember 1981)<br />

Der historische Garten als historisches Zeugnis 2<br />

Im historischen Garten finden die verschiedensten geistigen Strömungen einer<br />

Epoche ihren Ausdruck. Jeder historische Garten ist einmalig und nicht wiederholbar.<br />

Seine Besonderheiten und Geheimnisse sind in seiner Substanz eingeschlossen<br />

und in erster Linie aus ihr heraus zu interpretieren, unter Hinzuziehung<br />

von schriftlichen und bildlichen Quellen und Archivalien.<br />

(M. Seiler, Über den Umgang mit historischen Gärten, in: Gartenlust / Lustgarten. Die<br />

schönsten historischen Gärten in Deutschland, Regensburg 2003, S. 10)<br />

Der historische Garten als zu interpretierendes 3<br />

Gesamtkunstwerk<br />

Ein historischer Garten ist ein in sich abgeschlossenes Gesamtkunstwerk, das<br />

zwar aus unterschiedlich intensiv gestalteten, nacheinander zu erlebenden Teilen<br />

besteht. Es enthält gleichwohl keine zu vernachlässigenden, unwichtigen oder gar<br />

abzutrennenden Arealen. Auftraggeber und Schöpfer der Gärten wollten mit ihrer<br />

Inszenierung aus Natur und Kunst dem Besucher eine Botschaft vermitteln. Insofern<br />

haben die historischen Gärten aus sich heraus eine eindringliche Sprache.<br />

Man muss diese jedoch zu verstehen lernen, und kann aus dem Dialog mehr<br />

Erkenntnisse gewinnen, als die Schöpfer dieser Gärten in sie hineinlegten. Dazu<br />

bedarf es einer Vermittlung zwischen der Botschaft der Gärten und dem heutigen<br />

realen oder potentiellen Besucher.<br />

(M. Seiler, Über den Umgang mit historischen Gärten, in: Gartenlust / Lustgarten. Die<br />

schönsten historischen Gärten in Deutschland, Regensburg 2003, S. 10)<br />

Historische Gärten als kulturelle Erlebnisräume 4<br />

Der historische Garten ist eine einzigartige Bereicherung der Lebensqualität,<br />

bietet er doch die Möglichkeit, gefühlsmäßig und in verschiedenen Graden des<br />

Verständnisses erholsam und vergnüglich den künstlerischen und geistigen<br />

6


Reichtum vergangener Epochen zu erfahren. Dabei ist die Wahrnehmung aus<br />

einem ganz anderen Lebensgefühl heraus bewußtseinsbildend und erlebnistief<br />

und kann durchaus auch antagonistisch sein. Dies gilt z.B. für das Lebens- und<br />

Raumgefühl eines modernen Menschen, für den das Lustwandeln in einem<br />

barocken Parterre ein unbewußtes, dialektisches Vergnügen bereitet.<br />

(M. Seiler, Über den Umgang mit historischen Gärten, in: Gartenlust / Lustgarten. Die<br />

schönsten historischen Gärten in Deutschland, Regensburg 2003, S. 10 f)<br />

Historische Gärten bedürfen der ständigen Pflege 5<br />

Historische Gärten sind immer ein Dialog mit der Natur, wobei der Umgang mit ihr<br />

und das Verständnis von ihr zwischen Renaissance-, Barock- und Landschaftsgarten<br />

von höchst unterschiedlichem Wesen sind. Die historischen Gärten sind<br />

natur- oder geistesgeschichtliche Zeugnisse ihrer Zeit oder auch einzelner Persönlichkeiten,<br />

mit einem dichten Beziehungsgeflecht zu anderen Künsten, wie der<br />

Literatur, der Malerei, der Bildhauerei, der Architektur und der Philosophie. Aus<br />

ihrem Wesen als Raumstruktur auf der Erdoberfläche werden sie durch Bewegung,<br />

durch Gehen im Garten, und damit durch die zeitlich aufeinander folgende<br />

Sammlung von Eindrücken erschlossen. Das Arbeiten mit den Mitteln der Natur,<br />

mit den wachsenden Pflanzen, mit Erde und Wasser, den wechselnden Tagesund<br />

Jahreszeiten, gibt dem Gartenkünstler und dem Gartenkunstwerk eine über<br />

das eigene Vermögen weit hinausreichende Vielschichtigkeit. Darin liegt zugleich<br />

auch das Potential zur natürlichen Auflösung des Gestalteten, das heißt, dass die<br />

Natur das ausgewogene Spiel von Raumproportionen, Vielfalt und Kontrast durch<br />

Wachstum und Verfall ständig zu sprengen sucht. Der historische Garten braucht<br />

daher zu seinem Fortbestand Aufsicht und Pflege der in sein Wesen eingeweihten<br />

Gärtner.<br />

(M. Seiler, Über den Umgang mit historischen Gärten, in: Gartenlust / Lustgarten.<br />

Die schönsten historischen Gärten in Deutschland, Regensburg 2003, S. 10)<br />

Der historische Garten: Keine „location“ für „events“ 6<br />

Der historische Garten darf niemals als Kulisse für Großveranstaltungen missbraucht<br />

werden, für die er nicht geschaffen wurde, wie Festivals, GroßEvents,<br />

Reitturniere, Sportveranstaltungen, Verkaufs- und Werbeveranstaltungen – mit<br />

einem Wort, die falschen Feste am falschen Ort. Grundsätzlich, dies sei festgestellt,<br />

bedarf ein historischer Garten keines Events und keiner Animation, die<br />

seinem Wesen fremd sind.<br />

(M. Seiler, Über den Umgang mit historischen Gärten, in: Gartenlust / Lustgarten. Die<br />

schönsten historischen Gärten in Deutschland, Regensburg 2003, S. 11)<br />

Lenné: Nichts gedeiht ohne Pflege 7<br />

Nichts gedeiht ohne Pflege; und die vortrefflichsten Dinge verlieren durch<br />

unzweckmäßige Behandlung ihren Wert.<br />

(Peter Joseph Lenné [1789-1866], preussischer Gartenarchitekt / <strong>Park</strong>gestalter,<br />

zit. n.: Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich<br />

Dessau-Wörlitz“, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.19)<br />

Der historische Garten: Bewahren heißt pflegen und 8<br />

aktiv „vererben“<br />

Die Verwaltungen der Schlösser und Gärten sehen ihre historischen Gärten durch<br />

Übernutzung, Fehlnutzung und fehlende Unterhaltungsmittel von Zerstörung und<br />

Untergang bedroht. (…) Da die historischen Gärten ein nachhältiges Verständnis<br />

zu ihrer Erhaltung brauchen und nicht den schnellen und vergänglichen konjunk-<br />

7


turellen Erfolg, ist die Bemühung um die folgenden Generationen ein entscheidendes<br />

Ziel. Das bedeutet, Lehrern die einmalige Chance eines lebendigen<br />

Unterrichts durch Einbeziehung der historischen Gärten in die Fächer Kulturgeschichte,<br />

Geschichte, Naturkunde, Bildende Kunst und Literatur nahe zu<br />

bringen.<br />

(M. Seiler, Über den Umgang mit historischen Gärten, in: Gartenlust / Lustgarten. Die<br />

schönsten historischen Gärten in Deutschland, Regensburg 2003, S. 11)<br />

<strong>Park</strong>s, Gärten und Areale als neueres Objekt der 9<br />

Denkmalspflege<br />

Daß sich die Denkmalspflege überhaupt mit unbebauten Flächen befaßt, ist<br />

einem prinzipiell entgrenzten Denkmalbegriff zu danken, den die Diskussion um<br />

die Stadtunwirtlichkeit und sanierungsbedingte flächenhafte Zerstörung der Städte<br />

zu Beginn der 70er Jahre entwickelt hat. Dieser Denkmalbegriff scheint ja in<br />

mancher seiner Argumentationen denen von „Denkmalpflege und Heimatschutz“<br />

um die Jahrhundertwende nicht unähnlich. Gegenstand der Denkmalpflege sind<br />

schon lange nicht mehr nur monumentale Einzelobjekte, sondern auch Gruppen<br />

von Denkmalen, die in einem räumlichen Zusammenhang stehen. Der Begriff des<br />

Ensembles ist nicht neu, wenngleich seine Wurzeln weniger in historisch-struktureller<br />

als vielmehr in ästhetischer Betrachtungsweise liegen. Über ihn sind<br />

geschichtliche Inhalte – und damit Denkmalinhalte – erst vermittelt, in dem „im<br />

Malerischen selbst das Altern der Gegenstände, ihre Vergänglichkeit, insbesondere<br />

die Vergänglichkeit geschichtlicher Größe anschaulich wird. (…) Es lässt<br />

sich hier die geschichtliche Aussage vernehmen, die in der Zusammengehörigkeit<br />

von Dingen liegt.“ *<br />

(Frank Pieter Hesse, Die Denkmallandschaft von Klein Flottbek. Ein konservatorischer<br />

Streifzug durch das ehemalige Mustergut von Caspar Voght, in: Sabine Blumenröder,<br />

Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen, Ausstellungskatalog der<br />

gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990, Altonaer Museum (Hg.),<br />

Hamburg 1990, S. 16)<br />

* (Tilmann Breuer, Ensemble. Konzeption und Problematik eines Begriffs des<br />

Bayerischen Denkmalschutzgesetzes, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, Jg. 34<br />

1976, H. 1/2, S. 22)<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s als geistiges Potential 10<br />

Als Orte der Erholung werden Gärten und <strong>Park</strong>s jeden Tag von Tausenden<br />

von Menschen gerne aufgesucht. Inwieweit diese Beispiele der Landschaftskunst<br />

über die rein materielle Realität hinaus durch ihr geistiges<br />

Potential möglicherweise Ansätze zu einer besseren Bewältigung der<br />

drängenden Gegenwartsfragen geben können, wird die Zukunft zeigen.<br />

Auch wenn der Erhalt des Kulturerbes Bestandteil der Menschenrechte ist,<br />

werden wir es nur bewahren können, wenn die Erkenntnis seiner Würde,<br />

Unvergleichlichkeit und Unersetzbarkeit Allgemeingut geworden ist.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.19)<br />

Wissen um Geschichte erhöht den Eindruck 11<br />

„Der Eindruck eines großen Landschaftsgemäldes erhöht sich für den<br />

Denkenden, wenn er es mit Geschichte zu verbinden weiß“. In Abwandlung<br />

dieses Zitats von Ferdinand Gregorovius [1821-1897], trifft dies ebenso für<br />

8


eine über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft zu, um deren<br />

historische Hintergründe man weiß.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.16)<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s – Spätentdeckung der Kunstwissenschaft<br />

und der Denkmalspflege 12<br />

Die Gartenkunst als Disziplin der Kunstgeschichte entwickelte ihre Stile durch alle<br />

Epochen der europäischen Geschichte. Während man jedoch in Hochschulen und<br />

Museen sammelnd, bewahrend, forschend und vermittelnd Gedächtnisse für die<br />

klassischen Disziplinen der bildenden Kunst schuf, blieb die kunstwissenschaftliche<br />

Bearbeitung der Gartenkunst weitgehend vernachlässigt. … In Zeiten<br />

eines radikalen Verlustes sinnstiftender Instanzen, der umfassenden Besetzung<br />

der Lebenswelt durch moderne technische Medien und der zunehmenden<br />

Künstlichkeit von Welt nimmt die Hinwendung zur Natur wieder zu. Verbunden<br />

hiermit ist ein wachsendes Interesse an Gartenkunst und ihren Schöpfungen: den<br />

Gärten. Als Mittler zwischen ungestalteter Natur und dem Menschen bedürfen sie<br />

seit jeher besonderer Aufmerksamkeit und behutsamer Pflege, die nur in der<br />

Zusammenarbeit aller mit Gartenkunst befasster Disziplinen effektiv sein kann.<br />

(Gabriele Uerscheln, Michaela Kalusok: Kleines Wörterbuch der europäischen<br />

Gartenkunst, Stuttgart 2003,Vorwort, S. 7)<br />

9


TEIL A:<br />

<strong>Europäische</strong> Garten- und <strong>Park</strong>kultur im Wandel<br />

der Jahrtausende<br />

I. Ländliche Natur, <strong>Park</strong>s und Gärten als Nutzen, als<br />

Kunst und als seelischer Empfindungsraum<br />

1. Horaz, Vergil und andere Römer: Vom glückseligen<br />

Landleben<br />

Horaz: „Freu Dich des Lebens“ – auf dem Lande 15<br />

Denk’ stets in schweren Zeiten den Gleichmut dir<br />

Zu wahren, wie in guten ein Herz, das klug<br />

Die übermüt’ge Freude meistert,<br />

Dellius, mußt du doch erstmals sterben,<br />

Ob du nun allzeit traurigen Sinns gelebt,<br />

Ob du, auf stillem Rasen dahingestreckt,<br />

Dich an Falerner bess’rer Marke<br />

Labtest in ewigen Feiertagen.<br />

Wozu verschlingt die mächtige Fichte dort<br />

Denn mit der Silberpappel ihr dicht Geäst<br />

Zum gastlich schatt’gen Dach? Was plätschert<br />

Flüchtig in sanftem Gefäll das Bächlein?<br />

Hierher schaff Wein und Salben und nur zu schnell<br />

Verwelkte Blüten lieblicher Rosen auch,<br />

Da Alter, Glück und der drei Schwestern<br />

Düstere Fäden es noch gestatten.<br />

Du scheidest vom Palast und den Triften all,<br />

Vom Landhaus, das der gelbliche Tiber netzt,<br />

Du scheidest einst, und deine Schätze,<br />

Die du gehäuft, sie gewinnt ein Erbe.<br />

Ob du vom alten Inachus stammst und reich,<br />

Ob arm und aus der Tiefe des Volkes du<br />

Im Freien lagerst, nichts verschlägt es:<br />

Bleibst doch ein Opfer des harten Orcus. (…)<br />

(Quintus Horatius [Horaz, 65 v.-8 n. Chr.], Oden)<br />

Horaz: Das Nützliche und das Schöne 16<br />

Omne tulit punctum, qui miscuit utili dulci.<br />

(Jeglichen Beifall errang, wer Nützliches mischt mit dem Schönen).<br />

(Quintus Horatius [Horaz, 65 v. - 8 n. Chr.], Ars poetica, Vers 343)<br />

Vergils „Arkadien“ – Landvillen in Roms „Goldener Zeit“ 17<br />

Die Idealisierung des mit Arkadien gleichgeordneten Landlebens, so wie es uns in<br />

den „Georgica“ und den „Bucolica“ Vergils begegnet, muß aus römischem Geist<br />

hergeleitet werden. „Amoenus“ – anmutig, lieblich – ist Vergils ständiges Attribut<br />

seiner Traumlandschaften. Der bukolische „locus amoenus“, ein durch einen<br />

Mischwald abgeschlossener und von einer Quelle belebter schattiger Hain mit<br />

10


grünem Rasen, wurde erstmals durch Ernst Robert Curtius als festumrissener<br />

rhetorisch-poetischer Topos erkannt. Der „locus amoenus“ wurde zum Hauptmotiv<br />

aller Naturschilderung in der europäischen Kunst bis ins 18. Jahrhundert. Solch<br />

ein „lieblicher“ Ort ist bei Vergil auch ein Ort der Liebe, ein Ort, der so wie ein<br />

paradiesischer Garten nicht dem Nutzen, sondern allen dem Genuß dient. Die<br />

vornehme Gesellschaft der ausufernden Weltstadt Rom, deren heilige Wälder<br />

damals längst der Urbanisation zum Opfer gefallen waren, träumte mit Vergil in<br />

den Gärten ihrer Landvillen von der „Goldenen Zeit“, von arkadischem Glück.<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im Spiegel<br />

der Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001,<br />

S. 252f)<br />

Vergil: Vertrautheit mit den ländlichen Göttern = Glück 18<br />

Glücklich, wer den Urgrund allen Geschehens zu ergründen vermochte und sich<br />

alle Ängste, ja selbst das unerbitterliche Schicksal und das Tosen des gierigen<br />

Acheron unterwarf. Beglückt aber auch der, dem die ländlichen Götter vertraut<br />

sind, Pan, der alte Silvanus und die schwesterlichen Nymphen. Ihn beugen weder<br />

die Rutenbündel des Volkes noch der Könige Purpur, noch Zwietracht, die treulose<br />

Brüder aufreizt, (…). Ihn quält nicht Jammer um den Armen oder Missgunst<br />

auf die Reichen. Früchte, die ihm Äste, ja die Fluren selbst willig eintragen, pflückt<br />

er, sieht nicht das eiserne Recht, das heillose Forum oder das Archiv des Volkes.<br />

(Vergilius Maro [Vergil, 70-19 v. Chr. ], Georgica. Vom Landbau, Zweites Buch [37-29 v.<br />

Chr.])<br />

Vergil: Die unglücklichen „Landfernen“ 19<br />

Andere wühlen mit Rudern unbekannte Meere auf und stürzen ins Eisen, drängen<br />

zu Höfen und Toren der Tyrannen; dieser droht seine Stadt und arme Penaten zu<br />

vernichten, um aus Edelstein zu trinken und auf Tyrischem Purpur zu ruhen; jener<br />

verbirgt Schätze und brütet auf dem verscharrten Gold; wieder einer bestaunt wie<br />

verzückt die Rednerbühne, noch einen fasst Gier nach dem Beifall der Sitzreihen<br />

im Theater (der zweifach aufrauscht, vom Volk nämlich und von den Vätern);<br />

manche frohlocken, bespritzt mit Bruderblut, tauschen ihr Haus und die liebgewordene<br />

Schwelle um die Fremde und suchen eine Heimat unter fremder Sonne.<br />

(Vergilius Maro [Vergil, 70-19 v. Chr. ], Georgica. Vom Landbau, Zweites Buch [37-29 v.<br />

Chr.])<br />

Vergil: … und das glückliche Gegenteil – der Landmann 20<br />

Der Bauer hingegen furcht die Erde mit dem krummen Pflug; von ihr kommt seine<br />

Jahresarbeit, von ihr erhält er seine Heimat und das kleine Haus, von ihr die<br />

Viehherden und die Pflugochsen, seine verdienten Helfer. Auch säumt das Jahr<br />

nie ganz, trägt Obst in Fülle, bringt Nachwuchs in der Herde, oder es belastet die<br />

Furchen mit dem Eintrag der Getreideähren in den Farben und sprengt die<br />

Scheuern. Naht der Winter, quetscht man Sicyons Ölfrucht in der Presse, die<br />

Schweine kommen, fett von der Eichelmast, nach Hause, und die Wälder<br />

spenden Erdbeerfrüchte. Mancherlei Obst häuft auch der Herbst, und hoch am<br />

sonnigen Felshang reift die Weinernte. Indes hängen süße Kinder küssend am<br />

Hals, im Haus herrschen Zucht und Sittenreinheit, milchschwer hängen die Euter<br />

der Kühe, und fette Böcke stoßen einander mit den Hörnern im üppigen Gras. Der<br />

Bauer selbst begeht festliche Tage, und auf Rasen gelagert, wo Feuer in der Mitte<br />

brennt und die Gefährten den Mischkrug kränzen, ruft er dich, Lenaeus, Trank<br />

spendend an und stellt den Viehhirten eine Wettkampfscheibe für ihre raschen<br />

Spieße an die Ulme, und die Männer entblößen ihre gestählten Leiber zum länd-<br />

11


lichen Ringkampf. So lebten vor Zeiten die alten Sabiner, so Remus und sein<br />

Bruder; so wuchs das tapfere Etrurien und so, wahrhaftig, wurde Rom zur Krone<br />

der Welt. (…).<br />

(Vergilius Maro [Vergil, 70-19 v. Chr. ], Georgica. Vom Landbau, Zweites Buch [37-29 v.<br />

Chr.])<br />

Virgil: Landidyll 21<br />

Oh glücklicher Greis, dahier an den Flüssen der Heimat,<br />

Hier an den heiligen Quellen erquickt dich fürder der Schatten!<br />

Über dem Nachbars-Rain ertönt das blühende Weidicht<br />

Immer, tagein, tagaus, von honigsuchenden Bienen,<br />

Deren Gesumme dich sanft und süß zum Schlummer beredet.<br />

Hier unterm Laube versteckt, am Felshang wird dir der Buchfink schmettern, die<br />

Täublein im Hof, die deinigen, schweigen dir nimmer. Nimmer im Ulmbaum<br />

droben der Turtel gurrendes Locken.<br />

(Vergilius Maro [Vergil, 70-19 v. Chr.], Erste Ekloge, aus: Bucolica [42-35 v. Chr.])<br />

Columella: Gärten und Blumen 22<br />

In Columellas Handbuch der Acker- und Viehwirtschaft ist das zehnte Buch dem<br />

Gartenbau gewidmet. Hier bricht der römische Autor mit seinem eher nüchternen<br />

Stil und setzt den Hexameter als poetische Form ein, um den seelischen<br />

Regungen angesichts eines Gartens gerecht zu werden:<br />

„Aber sobald nun gekämmt und sauber gescheitelt die Erde<br />

Nicht mehr roh liegt und wüst und strotzend nach Samen verlanget,<br />

Dann malt sie mit mancherlei Blumen, den irdischen Sternen,<br />

Pflanzet weiße Livkojen und die goldenen Leuchten der Calta,<br />

Pflanzet Narzissengefieder, das Maul des grimmigen Löwen<br />

Grässlich klaffend, zu weißlichen Kelchen aufsprossende Lilien,<br />

Auch Hyazinthen, schneeweiß schimmernd, himmelblau strahlend.<br />

Setztet Violen – blassblütig kriecht eine, die andere wächst aufrecht<br />

Grünend im purpurnen Gold – und die allzu schämige Rose.“ *<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 15)<br />

* (Lucius Junius Moderatus Columella [1. Jh. n. Chr.], Bd. 10 seines „Lehr- und<br />

Handbuchs der Acker- und Viehwirtschaft“)<br />

Martial: Landleben als purer Genuss 23<br />

Fragt man mich, was ich auf dem Land tue, antworte ich: Nur wenig, frühstücken,<br />

trinken und singen; spielen, baden und essen; ruhen, lesen so dann. Apoll weck’<br />

ich und necke die Musen.<br />

(Marcus Valerius Martialis, gen. Martial [um 40-100 n. Chr.], zit. n.: Ehrenfried Kluckert,<br />

Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart, Königswinter 2007, S. 40)<br />

12


2. Seelenfrieden und Verzückung, Genießen<br />

und Erinnern<br />

Eine historische Galerie berühmter Gartenfreunde 25<br />

(…) Dies sind also die Verlockungen, welche die Seele der Denker aller Epochen<br />

gefesselt haben, wenn sie dem Keimen, dem Blühen, dem Reifen der Früchte in<br />

den Gärten zusahen. Denken Sie an Pythagoras, der seinen Jüngern das weise<br />

Gebot auferlegte, in den ländlichen Gegenden „das Echo anzubeten“! An Scipio in<br />

Liternum! An Diokletian, der auf ein Weltreich verzichtet, um in seinen Gärten von<br />

Salona Lattich zu pflanzen! An Horaz in Tibur (später Tivoli genannt, R. C.)! An<br />

Cicero unter seinen gaetanischen Orangenbäumen! An Plinius, der seine mit<br />

Buchsbaum eingefaßten Alleen für die Nachwelt beschrieb und ein Verzeichnis<br />

seiner zu Pflanzenstatuen zurechtgeschnittenen Bäume erstellte! An den alten<br />

Homer, der zweifellos an sein väterliches Besitztum dachte, als er den kleinen<br />

Garten von Laertes beschrieb, in dem dreizehn Birnbäume gepflanzt worden<br />

waren, die ihn beschatteten! An Petrarca in Fontaine-de-Vaucluse oder auf<br />

seinem Hügel in Arquà! An Theokrit unter seinen sizilianischen Kastanienbäumen!<br />

An Gessner unter seinen Zürcher Tannen! An Madame des Sévigné in ihrem<br />

Schlossgarten von Les Rochers oder in ihrem <strong>Park</strong> der Abtei von Livry, als sie mit<br />

jenen ergreifenden Worten, die allein für sich ein Mausoleum aufwiegen, in einem<br />

ihrer Briefe ihren Gärtner unsterblich machte: „Monsieur Paul, mein Gärtner, ist<br />

tot; meine Bäume sind deshalb sehr traurig!“ Und an Montesquieu, der, weniger<br />

weit von uns entfernt, in den breiten Alleen seines Schlosses Brède die Schatten<br />

der Kaiserreiche und den Geist der Gesetze heraufbeschwor wie vor ihm – uns<br />

größer als er – Machiavelli in seiner ländlichen Einsiedelei von San Miniato auf<br />

den Hügeln der Toskana! An Voltaire, der sich abwechslungsweise in Les Délices<br />

oder in Ferney aufhielt und mit dem Horizont seiner Gärten den Genfer See und<br />

die italienischen Alpen einfasste! An Buffon in Montbard, der es wie Plinius in<br />

Rom verstand, die Größe der von ihm beschriebenen Natur in den großartigen<br />

lebenden Museen seines <strong>Park</strong>es zu genießen! Denken Sie schließlich an<br />

Rousseau, den ich fast vergessen hätte und der wollte, daß seine Asche auf einer<br />

Insel inmitten des letzten Gartens unter einer Pappel ruhen möge! Oh ja, dieser<br />

Mensch, im Arbeiterstand geboren und in einer fast sklavischen Umgebung<br />

aufgewachsen, spürte zweifellos stärker als andere die Andacht und den Trost,<br />

welche die Einsamkeit und die Natur spendet! (…)<br />

(Alphonse de Lamartine [1790-1869], Worte an die Gärtner. Aus dem Französischen<br />

von Lislott Pfaff, aus: Gärten. Texte aus der Weltliteratur. Hrsg. von Anne<br />

Marie Fröhlich. © 1993 by Manesse-Verlag, Zürich, in der Verlagsgruppe Random<br />

House GmbH, München, S. 394/95)<br />

Chateaubriand: Natur, Duft, Erinnerung 26<br />

Von seiner Reise nach Amerika, zu Gast beim Gouverneur von Saint-Pierre,<br />

berichtet Chateaubriand:<br />

„Aus einem kleinen, blühenden Bohnenbeet entwich ein delikater und anmutiger<br />

Heliotropfenduft; keine heimatliche Brise trug ihn heran, sondern ein stürmischer<br />

Neufundlandwind, der zu dieser Pflanze im Exil keinerlei Beziehung hatte, ihr<br />

keine freudig erinnernde Sympathie entgegenbrachte. Diesen Duft hatte die<br />

Schönheit nicht geatmet, nicht an ihrem Busen verfeinert und über ihren Spuren<br />

schweben lassen. Aber er weckte in mir Erinnerungen an Morgenröte, an Kultur<br />

und vornehme Welt; er trug die Melancholie der Sehnsucht in sich, der Trennung<br />

und der verlorenen Jugend.“<br />

13


(Francois-Renée, Vicomte de Chateaubriand [1768-1848], zit. n.: Michael Saudan, Sylvia<br />

Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck Köln 1997, S. 6)<br />

Marcel Proust: Zauber des <strong>Park</strong>s (Kindheitserinnerung) 27<br />

Und Proust in Combray am Beginn seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“:<br />

„Und gewiß, wenn sie lange betrachtet wurden von dem bescheidenen Wanderer,<br />

von dem seinen Tränen nachhängenden Kind – so wie ein König von einem in der<br />

Menge verlorenen Chronisten unbemerkt begleitet wird – hat dies Eckchen hier<br />

der Natur, jener Gartenwinkel dort nicht geahnt, daß sie es ihm zu danken haben,<br />

wenn sie dazu berufen sind, in ihren flüchtigsten Eigentümlichkeiten die Zeiten zu<br />

überdauern; und doch hat meine gesteigerte Aufnahmebereitschaft damals den<br />

Duft des Weißdorns, der über den Hecken schwebte, wo die Heiderosen ihn bald<br />

schon ablösen würden, das gedämpfte Geräusch von Schritten auf dem Kies<br />

einer Gartenallee, eine Blase, die das Wasser des Flusses am Stengel einer<br />

Seerose nach oben steigen und zerplatzen ließ, durch so viele aufeinanderfolgende<br />

Jahre hindurch mit sich weitergetragen, während ringsum die Wege<br />

verschwunden und die Menschen gestorben sind, die darauf wandelten.“<br />

(Marcel Proust [1881-1922], zit. n.: Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der<br />

Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck Köln 1997, S. 6)<br />

Lamartine: Gärten – Orte der Kinderseeligkeit und der<br />

Paradieshoffnung 28<br />

Wie gesagt, ich werde an diesem Zufluchtsort meiner Kindheit Verlockungen<br />

wiederfinden, die für Sie, für uns alle stärker sind als die reichste und wohlriechendste<br />

Blütenpracht Ihrer Ausstellungen: den Duft der Erinnerungen, den<br />

Geruch der Vergangenheit (Ergriffenheit), die eigentlichen Wonnen jener Melancholie,<br />

welche die herbstliche Blume des Menschenlebens ist (starke Erregung);<br />

alles Dinge, meine Herren, die uns wie Ausdünstungen des Bodens vorkommen,<br />

wie ferne Wohlgerüche, wie ein Vorgeschmack auf jene Elysien, auf jene Gärten<br />

Eden, auf jene ewigen Gärten, wo wir alle die Personen glücklich anzutreffen<br />

hoffen, die wir geliebt und in Tränen gebadet verlassen haben … alles Dinge, die<br />

dem naturnahen Menschen – wie weit weg, wie tief hinab oder wie hoch hinauf<br />

das Schicksal ihn auch geschleudert haben mag – den Wunsch einflößen, seine<br />

Tage auf dem Stück Erde zu beenden, auf dem er geboren wurde, und zumindest<br />

in dem Garten begraben zu sein, in welchem seine Wiege stand! (Einhellige<br />

Ergriffenheit und Rührung.)<br />

(Alphonse de Lamartine [1790-1869], Worte an die Gärtner. Aus dem Französischen<br />

von Lislott Pfaff, aus: Gärten. Texte aus der Weltliteratur. Hrsg. von Anne<br />

Marie Fröhlich. © 1993 by Manesse-Verlag, Zürich, in der Verlagsgruppe Random<br />

House GmbH, München, S. 398)<br />

Goethe: Natur und Seelenleben („Der Morgen“) 29<br />

Der Morgen kam; es scheuchten seine Tritte<br />

Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing,<br />

Dass ich, erwacht, aus meiner stillen Hütte<br />

Den Berg hinauf mit frischer Seele ging;<br />

Ich freute mich bei einem jeden Schritte<br />

Der neuen Blume, die voll Tropfen hing;<br />

Der junge Tag erhob sich mit Entzücken,<br />

Und alles war erquickt, mich zu erquicken.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], „Der Morgen kam“, in: Goethe, Über Rosen<br />

lässt sich dichten, Franziska Günther-Herold (Hg.), Berlin 2000, S. 103)<br />

14


Paul Gerhardt: Geh aus mein Herz und suche Freud 30<br />

Geh aus mein Herz und suche Freud<br />

In dieser lieben Sommerzeit<br />

An deines Gottes Gaben:<br />

Schau an der schönen Gärten Zier<br />

Und siehe, wie sie mir und dir<br />

Sich ausgeschmücket haben.<br />

Die Bäume stehen voller Laub<br />

Das Erdreich decke seinen Staub<br />

Mit einem grünen Kleide<br />

Narcissus und die Tulipan<br />

Die ziehen sich viel schöner an<br />

Als Salomonis Seyde. (…)<br />

(Paul Gerhardt [1607-1676], in: Paul Gerhardt, Ich bin ein Gast auf Erden, Zürich 1998,<br />

S. 50)<br />

Goethe über Seelenruhe, Natur und Einsamkeit 31<br />

Auch Goethe deutet einen Zusammenhang von Kontemplation, gefühlter Einheit<br />

mit der Natur und englische Gärten an, wenn er schreibt: „Da laß ich mir von den<br />

Vögelein etwas vorsingen, und zeichne Rasenbänke, die ich will anlegen lassen,<br />

damit Ruhe über meine Seele kommt. Es geht gegen elf und ich habe gesessen<br />

und einen englischen Garten gezeichnet. Es ist eine herrliche Empfindung dahausen<br />

im Feld allein zu sitzen (…)“. *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 21)<br />

* (Johann Wolfgang von Goethe [1759-1832] an Frau von Stein, zit. n.: Frank Maier-<br />

Solgk, Andrea Greuter, ebenda, S. 21)<br />

Goethe: Raum – Liebe – Ort 32<br />

Immer war mir das Feld und der Wald und der Fels und die Gärten nur ein Raum,<br />

und du machst sie, Geliebte, zum Ort.<br />

(J. W. v. Goethe [1749-1832 ], Brief an Knebel vom 17.09.1799)<br />

Robert Walser: Empfindungen im Landschaftspark 33<br />

Wie die Sonne so scheinen mag, so für gar nichts. Sie küsst die Bäume und das<br />

Wasser des künstlich angelegten Sees, ich betrachte ein altes Geländer und<br />

lache, weil es mit gefällt. (…) Eine Brücke! Wie das Wasser unter der Sonne<br />

glitzert und schimmert, so zauberhaft. Aber es fährt hier niemand im Kahn, das<br />

gibt dem See etwas Verschlafenes, es ist, als ob er nur gemalt daläge. Junge<br />

Leute kommen. (…) Ich gehe ziemlich rasch, und plötzlich bleibe ich stehen: Wie<br />

schön und still ist so ein <strong>Park</strong>, er versetzt einen in die abgelegenste Landschaft,<br />

man ist in England oder in Schlesien, man ist Gutsherr und gar nichts. Am schönsten<br />

ist es, wenn man scheinbar das Schöne gar nicht empfindet und nur so ist<br />

wie anderes auch ist. Ich blicke ein wenig zum stillen, halb grünen Fluß hinunter.<br />

(…) Diese wundervolle Langeweile, die in allem ist, diese sonnige Zurückgezogenheit,<br />

diese Halbheit und Schläfrigkeit unter Grün, diese Melancholie (…).<br />

(Robert Walser [1878-1956], Der <strong>Park</strong>. Aus: Gärten. Texte aus der Weltliteratur.<br />

Hrsg. von Anne Marie Fröhlich. © 1993 by Manesse-Verlag, Zürich, in der Verlagsgruppe<br />

Random House GmbH, München, S. 284/85)<br />

15


Rilke über einen „wilden“ <strong>Park</strong> 34<br />

(…) Der große <strong>Park</strong> um das Schloss ist nicht zu gepflegt und wirkt vor allem durch<br />

seine Riesenbäume. Es gibt Linden und Kastanien wie Berge; Bäume mit dunkelroten<br />

Blättern (ich weiß nicht, wie sie heißen), die wie Träume sind, und Nadelhölzer<br />

irgendwelcher fremdländischen Art, mit langen zottig hängenden Zweigen,<br />

die an das Fell unweltlicher Urtiere erinnern. Und das Blühen all dieser großen,<br />

alten Azaleenbüsche und ganzer hoher Hänge von Jasmin! Pfingstrosen brennen<br />

irgendwo im Dunkel von Bäumen wie Lagerfeuer, und der Goldregen fällt aus<br />

einer Höhe nieder, als käme er aus dem lichten Sommerhimmel. (…)<br />

(R. M. Rilke [1875-1926], Brief an Otto Modersohn, Schloss Haseldorf [in Holstein], am<br />

25.06.1902, in: Rainer Maria Rilke, Verschollene <strong>Park</strong>s und Gärten, Antje Erdmann-<br />

Degenhardt (Hg.), Husum, 2005, S. 25)<br />

Der Garten im Wandel seiner Funktionen 35<br />

Der Garten als Verheißung der Glückseeligkeit, als Ort religiöser Inbrunst und<br />

philosophischer Einkehr, als Zeichen für finanzielle, gesellschaftliche und politische<br />

Macht, als Ernährungsgrundlage für vielköpfige Familien oder als schnell<br />

erreichbares Ziel für gestreßte Metropolenbewohner des ausgehenden 20. Jahrhunderts<br />

– das sind nur einige der Funktionen und Bedeutungen, die Gärten und<br />

<strong>Park</strong>s seit den frühen Hochkulturen erlangt haben.<br />

(H. Sarkowicz, Vorwort zu: Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, H. Sarkowicz (Hg.),<br />

Frankfurt 2001, S. 10)<br />

Gärten als Paradiese oder Elysische Gefilde 36<br />

Der Garten aller Gärten liegt in der unerreichbaren Ferne eines Wunschraumes,<br />

in dem die Sehnsüchte und Hoffnungen, aber auch die Nöte der Menschen Zuflucht<br />

finden. Da die Erfüllung der letzten Wünsche im Diesseits nicht zu erlangen<br />

ist, wird sie – Not macht erfinderisch – im Jenseits angesiedelt. Dessen Abbild<br />

aber wird auf Erden ausgemalt und gestaltet, damit der Wunschraum niemals<br />

vergessen würde: Die Rede ist vom Goldenen Zeitalter, von den Elysischen<br />

Gefilden, von Arkadien und schließlich vom locus amoenus. Der Garten oder das<br />

Paradies ist den uralten Vorstellungen von einer verlorenen, aber verheißungsvoll<br />

zu erwartenden Glückseligkeit der Menschen gemeinsam.<br />

Diese Projektionen haben in einer ganz entscheidenden Weise die Struktur und<br />

die Thematik der abendländischen Gartenkultur geprägt.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 8)<br />

Gärten: Bürgen der Vergangenheit 37<br />

Ein Garten ist ein Glaubensbeweis. Er verbindet uns mit allen im Nebel<br />

verschwundenen Gestalten der Vergangenheit, die ihn ebenfalls<br />

anpflanzten und sich von den Früchten ihrer Pflanzarbeit nährten.<br />

(Gladys Taber, US-Schriftstellerin [20. Jhd.], zit. n.: Michelle Heller [Hrg.],<br />

Erleuchtung für die Badewanne. Spirituelle Weisheiten für jeden Tag des Jahres,<br />

Stuttgart, 2005, S. 56)<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s: fast himmlische Seelennahrung 38<br />

Komm,<br />

süße Gartenlust,<br />

mit deinen Freuden,<br />

tränk mich, entfremdete Natur!<br />

16


Alles Wunderbare dieser Welt verblasst neben dem Vormarsch des<br />

Lieblichen, neben der unaufhaltsamen, stillen, gewaltlosen Ausbreitung der<br />

Gärten. Auch die Technik ist wunderbar, aber sie ist ein Vamp, so blendend<br />

als oberflächlich, so kostspielig als gefährlich. Man sagt, die Seele<br />

verhungert dabei. Aber die Gärten werden die Seele nähren. Denn die<br />

Urspeise der Natur ist den meisten von uns entrückt, so weit wie das<br />

Paradies. Und bedeutet Paradies fürs Abendland den himmlischen Garten,<br />

so ist der irdische die Vorstufe dazu.<br />

(Hans Leip [1893-1983], Hamburgischer Dichter, Die unaufhörliche Gartenlust. Ein<br />

Hamburger Brevier. Hamburg 1953, Neuauflage 2004, S. 5)<br />

Das Heilige und Profane: religiöse Inspirationen 39<br />

Das Heilige und das Profane finden so häufig einen Modus Vivendi und<br />

beeinflussen einander, im Orient wie im Okzident, im positiven Sinn.<br />

Typisch für den Barockgarten sind neben spielerischen Elementen, wie dem<br />

Irrgarten und dem grünen Amphitheater, auch kleine Tempel und<br />

Gebetskapellen. Auf der ganzen Welt wird die Gartenkultur von der Religion<br />

inspiriert. Der islamische Garten Eden liegt im Quellgebiet von vier Flüssen,<br />

die ihn begrenzen und in denen Wasser, Milch, Wein und Honig fließen.<br />

Blumen, Früchte, Vögel und alles, was den Sinnen schmeichelt, gibt es dort<br />

im Überfluss. Die Beschreibungen des christlichen Paradieses sind nicht so<br />

genau, doch auch dieser Garten ist ein perfekter Ort im Grünen. Ein<br />

Urbedürfnis des Menschen ist es, Gottheiten oder Verblichene in der Nähe<br />

des Hauses oder eben im Garten zu wissen.<br />

(Ovidio Guita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 534 f.)<br />

Hirschfeld: Natur und Gartenkunst bedürfen<br />

unterschiedlicher „Sensoren“ 40<br />

Die Natur hatte den Menschen gebildet, die Freuden der schönen Jahreszeiten zu<br />

genießen, und die Vorteile des Landlebens mussten sich ihm bald zum frühen<br />

Gruße ankündigen. Aber die Spuren der Gartenkunst sind nur erst in den Zeiten<br />

des Lichts, der Ruhe und der gemilderten Sitten aufzusuchen.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, © 2004 Deutscher<br />

Taschenbuch Verlag, München, S. 156)<br />

Landschaftsparks als Orte der „Einsamkeit“, des Rückzugs 41<br />

Deutlich wird dabei, dass das Naturerlebnis zunehmend nicht mehr in Gesellschaft<br />

wie im Barock und Rokoko, sondern allein gesucht wird. So schreibt<br />

Herzog Karl August, der gelegentlich in seinem Weimarer <strong>Park</strong> übernachtete, eine<br />

ganz private Stimmung, die ihm der Aufenthalt im <strong>Park</strong> vermittelt: „Ich war so ganz<br />

in der Schöpfung und so weit von dem Erdentreiben. Der Mensch ist doch nicht zu<br />

der elenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt; es ist einem ja nicht größer<br />

zu Mute, als wenn man doch die Sonne so untergehen, die Sterne aufgehen, es<br />

kühl werden sieht und fühlt, und all das allein so für sich.“ *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 20f)<br />

* (Herzog Carl August, Weimarer Briefe, zit. n.: Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter,<br />

ebenda, S. 21)<br />

17


Gärten: „Harmonisierung“, „Beruhigung“ der Natur 42<br />

Der Diätetik des Gemüts kommen Gärten entgegen. Der reinen Natur geht der<br />

besänftigende Zug, den Gärten an sich haben, ab. Schauspiele der Erhabenheit,<br />

wie sie Hochgebirge und Meer bieten, erzeugen Staunen und Bewunderung, im<br />

Garten, der domestizierten Natur, in dem die Kunst sich der Natur anfreundet,<br />

begegnet der Mensch sich selbst, gleichsam in harmonischer und veredelter<br />

Form. Das Ziel, durch Lage, Anordnung und Gestaltung der Gärten eine wohltemperierte<br />

Harmonie der Seelenkraft im Menschen hervorzuzaubern, ist ein<br />

Grundzug der Gartenkunst seit der Antike.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 8)<br />

Gärten: Orte der Vertrautheit, des Geschütztseins 43<br />

So verschieden Gärten im Laufe der Jahrhunderte auch gestaltet worden sind,<br />

gemeinsam ist ihnen allen, dass sie einen Raum bilden, in dem die Atmosphäre<br />

kultureller Vertrautheit sich im Natürlichen wiederholt, sich vom geschützten Haus<br />

gleichsam ausdehnt und in der umgebenden Natur in neuer Weise Gestalt<br />

gewinnt.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 8)<br />

Landschaftsparks als Träger von Ideen / Werten 44<br />

Die konkreten Inhalte, die im Landschaftsgarten darüber hinaus symbolisch zur<br />

Sprache gebracht werden, kreisen um Werte, die dem aufgeklärten Humanitätsdenken<br />

der Zeit angehören: Toleranz, Bildung und eine Moralität, die sich in<br />

edler Hilfsbereitschaft manifestiert.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 48)<br />

Hirschfeld: Gärten als „Ersatznatur“ 45<br />

Gärten sind Plätze, auf welchen der Mensch alle Vortheile des Landlebens, alle<br />

Annehmlichkeiten der Jahreszeiten mit Bequemlichkeit, mit Ruhe genießen kann.<br />

So viele Vortheile und Ergötzungen die Natur ihrem empfindsamen Freunde aufbewahret,<br />

so viel kann er im Umfang eines ausgebreiteten, wohl angelegten<br />

Gartens finden.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Band 1)<br />

Goethe wider Kunst und Zwang in <strong>Park</strong> und Garten 46<br />

Niemand glaubt sich in einem Garten behaglich, der nicht einem freien Land<br />

ähnlich sieht; an Kunst und Zwang soll nichts erinnern, wir wollen völlig frei<br />

und unbedingt Atem schöpfen.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], in: Die Wahlverwandtschaften)<br />

Gärten als Rückzugsräume: Stille und Schönheit 47<br />

„Je künstlicher und virtueller unsere Umwelt wird, desto mehr suchen wir nach<br />

Rückzugsräumen vor Streß und Lärm. Die wahren und raren Luxusgüter sind<br />

heute Stille, Weite, Langsamkeit und Schönheit“, schreibt Heiko Ernst in einem<br />

Heft von „Psychologie heute“.<br />

(Zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, © 2004 Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag, München, S. 10)<br />

18


Bacon: Gärten – die reinste menschliche Freude 48<br />

Gott pflanzte zuerst einen Garten; und in der Tat sind Gärten die reinste aller<br />

menschlichen Freuden, die größte Erfrischung für unseren Geist, ohne welche<br />

alle Gebäude und Paläste nur rohe Machwerke sind.<br />

(Francis Bacon: [1561-1626] englischer Staatsmann, Philosoph und Gartengestalter:<br />

Essay „On Gardens“, London 1625)<br />

Gärten – Verwirklichung einer Sehnsucht 49<br />

Der Mensch schafft Gärten, um zu verwirklichen, dauernd und vergänglich, was<br />

ihm als unstillbare Sehnsucht vorschwebt – eine versagte Welt.<br />

(Rudolf Borchardt, österreichischer Schriftsteller und Dichter [1877-1945])<br />

Gärten: Glücksversuche 50<br />

Gärten sind Glücksversuche, verzweifelte Bemühungen, der Grobheit und<br />

Hässlichkeit, der Unsinnlichkeit, dem Lärm und der Lächerlichkeit des<br />

Menschengetues mit einem Gegenentwurf zu begegnen.<br />

(André Heller)<br />

Zitate heutiger Besitzer von florentinischen Gärten 51<br />

- Diesen Garten zu betreten, ist, wie auf einen Schlag vom Fegefeuer in das<br />

Paradies transportiert worden zu sein.<br />

- Am Anfang ist ein Garten nicht mehr als ein Raum voller Träume.<br />

- Ein Garten ist eine Metapher für das Leben. Wir können fast alles wachsen und<br />

werden lassen, was wir wollen. Und wenn wir ihn nicht pflegen, können wir ihn<br />

töten.<br />

- Der Garten und die Villa bedeuten für mich die Kontinuität meines Lebens und<br />

Tuns. Es ist die Möglichkeit, ein besonderes Erbe zu hinterlassen, denn nichts<br />

kann den kostbaren Stempel ersetzen, den uns so etwas Lebendiges wie ein<br />

Garten und ein altes Gemäuer aufgedrückt hat.<br />

- Der Garten bringt Friede, Vertrautheit und Schutz.<br />

(zit.n.: Die Gärten von Florenz, Bayerischer Rundfunk, TV-Sendung vom 07.11.2009)<br />

Zitate heutiger Besitzer von römischen Gärten 52<br />

- Es ist die Harmonie von Kunst, Natur und Spieltrieb, die hier bezaubert.<br />

- Gärten spiegeln die Persönlichkeit der Besitzer und ihre Träume wider.<br />

- Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.Der kreischende Lärm moderner<br />

Gartentechnik hat noch nicht Einzug gehalten.<br />

- Sind die Gärten Schatten, die der Paradiesgarten auf die Erde wirft? Wir wissen<br />

es nicht. Wir wissen nur, dass Gärten unsere Fähigkeiten offenbaren, uns das<br />

Paradies vorzustellen und von ihm zu träumen.<br />

- Es ist ein Ort wie nicht von dieser Welt. Wer hier eintaucht, vergisst die Zeit,<br />

gerät ins Träumen.<br />

- Natur entfaltet ihre wilde Schönheit. Doch hinter dem Idyll waltet eine geschickt<br />

gestaltende Hand.<br />

- Wir haben es verstanden, den Charakter der Natürlichkeit und Zufälligkeit zu<br />

bewahren. … Es ist das Wissen und die Erfahrung, vor allem aber die Liebe zum<br />

Garten, die macht, dass er so natürlich wirkt. Aber dahinter steckt eine sehr<br />

komplexe Arbeit, denn zu versuchen, die Natürlichkeit der Natur zu schaffen, ist<br />

sehr schwierig.<br />

(zit.n.: Römische Gärten – Paradiese auf Erden, Bayrischer Rundfunk alpha,TV-<br />

Sendung vom 21.11.2009)<br />

19


3. Gärten: Kultur, Philosophie, Kunst und die Künstler<br />

Gärten: Zeitgebundene, zeitlose Sehnsucht<br />

(vor allem der Künstler) 56<br />

Gärten haben die Macht, uns durch Zeit und Raum zu tragen, von Italien nach<br />

England, von Deutschland nach Frankreich, von der Renaissance ins 19. Jahrhundert,<br />

von kunstvollen Beeten in weite Landschaften. Und immer haben sie in<br />

den Künstlern eine besondere Saite zum Klingen gebracht: in den Malern und<br />

Komponisten, den Dramatikern und natürlich den Dichtern. Den Garten fanden wir<br />

überall. Zu allen Zeiten sehnten sich die Menschen danach, in den Garten Eden<br />

zurückzukehren. Francis Bacon fasst die Sehnsucht in Worte: „Am Anfang legte<br />

der allmächtige Gott einen Garten an. So ist der Garten denn auch die reinste<br />

aller menschlichen Freuden.“ (s. Zitat 48)<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S. 8)<br />

Gartenkunst = Dichtkunst 57<br />

Die Gartenkunst hat viel mit der Dichtkunst gemeinsam. Nicht nur, weil das Auswählen<br />

und Zusammenstellen von Wörtern etwas Ähnliches ist wie das Auswählen<br />

von Pflanzen, das Zurechtscheiden von Bäumen und Hecken und das Anlegen<br />

von Wegen. Der Garten gibt der Natur eine neue Form und verwandelt sie, er<br />

macht aus ihr mehr als die Summe ihrer Teile. Auf die gleiche Weise verwandelt<br />

die Dichtkunst die Sprache, aus der sie hervorgegangen ist. Kunst wird zur Ethik,<br />

und Ethik wird zur Kunst.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S. 8)<br />

Gärten: Paradiese der Dichter 58<br />

Gärten sind vor allem Gärten von Dichtern. Für den Dichter ist der Garten etwas,<br />

womit er die Mauer der Vernunft durchbrechen und zum Kern der wesentlichen<br />

Dinge vordringen kann: der Welt der Kindheit, dem Zauber der Liebe, der unaufhaltsam<br />

fliehenden Zeit, dem stechenden Schmerz des Kummers, dem plötzlichen,<br />

wunderbaren und doch wehmütig stimmenden Duft der Erinnerung, dem<br />

wieder und wieder verlorenen Glück, dem Schatten des Todes.<br />

Über allen Gärten schwebt derselbe unsagbare und unveränderliche Duft. Der<br />

Duft, dem Ronsard und Hölderlin nachjagten, Musset, Heine, Nerval, Verlaine,<br />

Rilke. Alle waren fasziniert von dem Garten, zu dem nur sie den Schlüssel<br />

besaßen.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S. 7)<br />

„Die Harmonie der Dinge“ in Garten und <strong>Park</strong> 59<br />

„Die Harmonie der Dinge zu fühlen, aus denen ein Garten zusammengesetzt<br />

ist: daß sie einander etwas zu sagen haben, daß in ihrem<br />

Miteinander eine Seele ist, so wie die Worte des Gedichtes und die Farben<br />

des Bildes einander anglühen, eines das andere schwingen und leben<br />

machen“, war sein Wunsch.<br />

(Hugo von Hofmannsthal [1874-1929], „Es werden Gärten sein“, in: Hugo von<br />

Hofmannsthal, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Rudolf Hirsch (Hg.), Bd. 2,<br />

Frankfurt a. M. 1957, S. 115)<br />

20


Goethe: Die Stille des Gartens als Element des<br />

Schöpferischen 60<br />

... denn dabei bleibt es nun einmal: dass ich ohne absolute Einsamkeit nicht das<br />

Mindeste hervorbringen kann. Die Stille des Gartens ist mir auch dabei vorzüglich<br />

schätzbar.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832 ], Brief an F. A. Wolf vom 28.09.1811)<br />

Pückler über <strong>Park</strong>gestaltung als Kunst I 61<br />

Kunst ist das Höchste und Edelste im Leben, denn es ist Schaffen zum Nutzen<br />

der Menschheit. Nach Kräften habe ich dies mein langes Leben hindurch im<br />

Reiche der Natur geübt.<br />

(Hermann Fürst von Pückler-Muskau [1789-1871], Briefwechsel und Tagebücher, zit. n.:<br />

H. H. Krönert (Hg.), Fürst Pücklers Sprüche, Cottbus o.J. [2004], S. 44)<br />

Pückler über <strong>Park</strong>gestaltung als Kunst II 62<br />

Eine Idee im höhern Sinne liegt der Garten-Landschafts-Kunst im Allgemeinen<br />

auch unter, nämlich die: aus dem Ganzen der landschaftlichen Natur ein konzentriertes<br />

Bild, eine solche Natur im Kleinen als poetisches Ideal zu schaffen,<br />

dieselbe Idee, welche auch in andern Sphären jedem wahren Kunstwerk das<br />

Dasein gibt und aus dem Menschen selbst einen Mikrokosmos, eine Welt im<br />

Kleinen, gemacht hat.<br />

(Hermann Fürst von Pückler-Muskau [1789-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

zit. n.: H. H. Krönert (Hg), Fürst Pücklers Sprüche, Cottbus o.J. [2004], S. 45)<br />

Pückler über <strong>Park</strong>gestaltung als lebensinhaltliche und<br />

nachruhmspendende Tätigkeit 63<br />

Bedenke, was ohne diese (Muskauer <strong>Park</strong>anlagen, R. C.) mein Leben gewesen<br />

wäre und zurückließe – ein Nichts – während ich jetzt schon, und noch mehr bei<br />

weiterer Vollendung in späterer Zeit, mit dem beruhigenden Gedanken sterben<br />

kann, nicht wie ein Kohlstrunk vegetiert zu haben, sondern zurückzulassen, was<br />

meinen Namen Jahrhunderte lang vielleicht mit Ehre und Liebe nennen lassen<br />

wird. Das gleicht gar viele Irrtümer aus; denn die erste aller Pflichten ist Tätigkeit,<br />

nach Gottes Ebenbilde etwas zu wollen, etwas zu schaffen.<br />

(Hermann Fürst von Pückler-Muskau [1789-1871], Briefwechsel und Tagebücher,<br />

zit. n.: H. H. Krönert (Hg.), Fürst Pücklers Sprüche, Cottbus o.J. (2004), S. 46)<br />

Gartenkultur: Teil der europäischen Gesamtkultur 64<br />

Die Gärten sind Teil der europäischen Kultur. Die Gartenkunst steht den anderen<br />

Kunstrichtungen in nichts nach, sie steht auf einer Stufe mit den Konzerten Vivaldis<br />

und den Suiten Bachs, den Dichtungen Popes, den Skulpturen Thorvaldsens,<br />

Canovas oder Rodins. Wie die Töne des Komponisten und die Worte des<br />

Dichters, der Stein des Bildhauers und die Leinwand des Malers, so verschönern<br />

auch die Gärten unsere Welt.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S. 7)<br />

Gartenkunst: Naturphilosophie 65<br />

Ist der Garten nur ein Symbol der Weisheit oder der spielerischen Narrheit?<br />

Wo wir zunächst nur ein vergnügliches Gebilde der Phantasie sehen, in dem wir<br />

uns nach Lust und Laune bewegen können, erkennen wir bei näherem Hinsehen,<br />

dass hinter den Kulissen ein Wille am Werk ist. Der Garten ist ein Weg, den wir<br />

21


gehen sollen – und nicht immer ein bequemer. (…) So nimmt alles Gestalt an.<br />

Schritt für Schritt enthüllt sich uns die Absicht, die sich hinter der Gartenkunst<br />

verbirgt, ein subtiles Lebenssystem, eine allgemeine Naturphilosophie. Und<br />

langsam, wie ein Wrack, das aus den Tiefen des Meeres gehoben wird, enthüllt<br />

sich uns der Sinn des Gartens.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S. 7)<br />

Kultur als Beweger der Gartenkunst 66<br />

Der größte Gärtner heißt Kultur. Die tätige Neigung zu Geistigkeit und Kunst<br />

zeigt sich immer verbunden mit einem Aufblühen der Gärten. Vormals<br />

beruhte beides auf privatem Vermögen, heute auf staatlicher Beweglichkeit.<br />

(Hans Leip [1893-1983], Hamburgischer Dichter, Die unaufhörliche Gartenlust. Ein<br />

Hamburger Brevier. Hamburg 1953, Neuauflage 2004, S. 58)<br />

22


4. Goethe und andere: Pflanzen und Bäume, Gärten und<br />

Gärtner<br />

Über die Metamorphosen der Pflanzen (Auszug) 70<br />

Immer staunst du auf’s neue, sobald sich am<br />

Stengel die Blume<br />

Über dem schlanken Gerüst wechselnder<br />

Blätter bewegt.<br />

Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens<br />

Verkündung;<br />

Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand. (…)<br />

Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige<br />

Keime,<br />

Hold in den Mutterschoß schwellender<br />

Früchte gehüllt.<br />

Und hier schließt die Natur den Ring der<br />

ewigen Kräfte;<br />

Doch ein neuen sogleich fasset den vorigen<br />

an,<br />

Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten<br />

verschlänge<br />

Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne,<br />

sei.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], in: Goethe - Über Rosen lässt sich dichten,<br />

Franziska Günther-Herold (Hg.), Berlin 2000, S. 100, 101)<br />

Über den Umgang mit Pflanzen: der Gärtner 71<br />

So wenig der Gärtner sich durch andere Liebhabereien und Neigungen zerstreuen<br />

darf, so wenig darf der ruhige Gang unterbrochen werden, den die Pflanze zur<br />

dauernden Vollendung nimmt. Die Pflanze gleicht den eigensinnigen Menschen,<br />

von denen man alles erhalten kann, wenn man sie nach ihrer Art behandelt. Ein<br />

ruhiger Blick, eine stille Konsequenz, in jeder Jahreszeit, in jeder Stunde das ganz<br />

Gehörige zu tun, wird vielleicht von niemand mehr als vom Gärtner verlangt.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], in:.Goethe - Über Rosen lässt sich dichten,<br />

Franziska Günther-Herold (Hg.), Berlin 2000, S. 67)<br />

Gartenkunst als Leidenschaft 72<br />

Gartenkunst – Wer von dieser Leidenschaft hingerissen wird, der einzigen, die mit<br />

dem Alter zunimmt, legt von Tage zu Tage diejenigen immer mehr ab, welche die<br />

Ruhe der Seele oder die Ordnung der Gesellschaft stören.<br />

(Charles-Joseph Fürst de Ligne, Coup d’œil du Bolœil, 1781)<br />

Johann Wolfgang von Goethe: Gingko Biloba 73<br />

Dieses Baumes Blatt, der von Osten<br />

Meinem Garten anvertraut,<br />

Gibt geheimen Sinn zu kosten,<br />

Wie’s den Wissenden erbaut.<br />

Ist es ein lebendig Wesen,<br />

Das sich in sich selbst getrennt?<br />

Sind es zwei, die sich erlesen,<br />

23


Daß man sie als eines kennt?<br />

Solche Fragen zu erwidern,<br />

Fand ich wohl den rechten Sinn;<br />

Fühlst du nicht an meinen Liedern,<br />

Daß ich ein uns doppelt bin?<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], in:.Goethe - Über Rosen lässt sich dichten,<br />

Franziska Günther-Herold (Hg.), Berlin 2000, S. 89)<br />

(Im Pleasureground des Jenisch-<strong>Park</strong>s in Hamburg stehen ein männlicher und ein<br />

weiblicher Gingko Biloba)<br />

Goethe: Tagebuchnotizen über seinen Garten 74<br />

War das Grün in vollkommener Fülle.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe, Tagebuch 07.07.1830)<br />

Wunderschöne Beleuchtung bei großer Stille des Grüns.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe, Tagebuch 28.07.1830)<br />

Die Bäume voll blinkenden Dufts im Mondschein.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe, Tagebuch 17.02.1777)<br />

Im Garten geschlafen, in herrlichem Mondschein aufgewacht. Herrliche<br />

Mischung des Mondlichts und anbrechenden Tags.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe, Tagebuch 24.07.1777)<br />

Nach Tische die Tour vom <strong>Park</strong> im Regen. Wie das Vorüberschweben<br />

eines leisen Traumbilds.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe, Tagebuch 13.05.1778)<br />

Die Veränderungen, die ich nach und nach drin gemacht habe, ließen mich<br />

über die Veränderung meiner Sinnesart nachdenken. Es ward mir viel<br />

lebendig.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], Tagebuch 04.03.1780, alles zit. n.: Mit Goethe<br />

durch den Garten, Claudia Schmölders (Hg.), Frankfurt 1989, S. 112, 113, 116)<br />

Bringt mich nach Hause! Was hat ein Gärtner zu reisen?<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749 - 1832])<br />

Goethe zur Wirkung von Natur / Pflanzen auf die<br />

menschliche Entwicklung 75<br />

Und gewiß! wer sein Lebenlang von hohen ernsten Eichen umgeben wäre,<br />

müsste ein anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen Birken sich<br />

erginge.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832],in: Goethe - Über Rosen läßt sich dichten,<br />

Franziska Günther-Herold (Hg.), Berlin 2000, S. 19)<br />

Strabo: Über den Gartenbau 76<br />

Unter sehr vielen Zeichen des ruhigen Lebens ist es nicht das geringste, wenn<br />

sich einer der Kunst von Paestum weiht und es versteht, die sorgsame Gartenpflege<br />

des garstigen Gottes Priapus zu üben. Denn wie auch immer dein Landbesitz<br />

geachtet ist, mag der Boden schlecht und von Sand und Kies starren, oder<br />

mag er aus fetter, feuchter Erde schwere Früchte hervorbringen, mag er hoch auf<br />

ragenden Hügeln liegen oder, leicht zu bearbeiten, im ebenen Feld, oder mag er<br />

mit Steilhang und Graben sich sperren, nie weigert er sich, die Früchte einheimischer<br />

Pflanzen zu tragen, wenn nur deine Sorgfalt nicht in lähmender Trägheit<br />

ermattet und du dich nicht in törichtem Leichtsinn gewöhnst, die Schätze des<br />

24


Gärtners zu missachten, dich nicht scheust, die schwieligen Hände in scharfer<br />

Luft sich bräunen zu lassen, und dich nicht davor drückst, Mist aus vollen Körben<br />

auf dürres Erdreich zu streuen. Dies lehrte mich nicht bloßes Meinen auf Grund<br />

landläufiger Rede, auch nicht Lektüre, geschöpft aus Bücher der Alten, sondern<br />

Arbeit und eifrige Mühe, die ich an manchen Tagen langem Nichtstun vorzog,<br />

lehrten es mich, da ich alles erprobte und Erfahrung gewann.<br />

(Walahfrid Strabo [808-849], Über den Gartenbau [De cultura hortorum], Stuttgart 2002,<br />

S. 5)<br />

Gärten: das Werk von Generationen 77<br />

Mit neuen Farben ist geschmückt der Gärten Breite,<br />

Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühen gelinget,<br />

Was er mit Tugend schafft, und was er hoch volbringet,<br />

Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.<br />

(Friedrich Hölderlin [1770-1843], aus dem Gedicht „Der Sommer“)<br />

25


5. Zu einigen anderen Aspekten von Natur und<br />

Gartenkunst – unter anderem zu historischen<br />

Aspekten<br />

Die „Grand Tour“ im 18. Jahrhundert 80<br />

Reisen zu den wichtigsten kulturellen und politischen Zentren West- und<br />

Südeuropas gehörten seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zu den<br />

Höhepunkten der Bildung und Erziehung europäischer Adliger. Im Ausland<br />

sollten sie ihre Sprachkenntnisse erweitern, ihre Umgangsformen<br />

vervollkommnen und erste Erfahrungen auf dem diplomatischen <strong>Park</strong>ett<br />

machen. Für diese Art der Bildungsreisen wurde der Begriff „Grand Tour“<br />

geprägt. Vorrangiges Ziel waren über lange Zeit Paris und der Hof Ludwig<br />

XIV., dessen Zeremoniell als beispielhaft für alle absolutistischen Herrscher<br />

betrachtet wurde. Ab dem 18. Jahrhundert rückte zunehmend Rom in den<br />

Mittelpunkt des Interesses.<br />

Die ursprünglich politischen und religiösen Inhalte der Reisen verloren<br />

jedoch nach und nach ihre Bedeutung zu Gunsten der Beschäftigung mit<br />

der reichen Kunst- und Kulturtradition Italiens. Die Architektur der<br />

Renaissance und der Antike erweckten die Aufmerksamkeit der Grand<br />

Touristen ebenso wie die großen privaten Kunst- und Antikensammlungen<br />

der italienischen Aristokratie. Das Dilettieren in Zeichnen und Modellieren,<br />

in Dichten und Musizieren, aber auch das Studium der Antike und der<br />

Erwerb von Kunstwerken bestimmten nun den Reiseinhalt. Während der<br />

meist mehrmonatigen Aufenthalte besichtigte man unter Anleitung die<br />

wichtigsten Sammlungen und Palazzi der Stadt, besuchte Künstlerateliers<br />

und Theateraufführungen. Dem britischen Vorbild folgten etwa ab 1760<br />

auch deutsche Prinzen und zum Ende des 18. Jahrhunderts auch Vertreter<br />

des Bürgertums. Eine Fortsetzung der Tour über Frankreich nach England,<br />

wie sie Fürst Franz machte, stellte für deutsche Fürsten eine Neuheit und<br />

lange Zeit eine Ausnahme dar.<br />

(Ingo Pfeifer, Die Grand Tour, in: Unendlich schön, Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.104)<br />

(Der Marquis von Girardin und Caspar Voght waren die nächsten, die im Rahmen<br />

einer Grand Tour nach England reisten. Anm.: R. C.)<br />

Schöne Gestaltung, nicht Größe ist wichtig 81<br />

Es ist ganz gleich, ob ein Garten klein oder groß ist, was die Möglichkeiten<br />

seiner Schönheit betrifft; so, wie es gleichgültig ist, ob ein Bild groß oder<br />

klein, ob ein Gedicht zehn oder eintausend Zeilen lang ist.<br />

(Hugo von Hoffmanstahl [1874 - 1929 ], österreichischer Dichter)<br />

Gartenkunst – immer auch „gesetzmäßig“ 82<br />

Um etwa den Stoizismus oder den Puritanismus zu verstehen, müssen wir daran<br />

denken, dass Sprache nur dann Lebenskraft und Freiheit erlangt, wenn sie eingegrenzt,<br />

unterworfen wird: durch das Metrum, den Rhythmus und den Reim.<br />

Zweckorientierte Geister sehen darin eine verrückte Extravaganz, Anarchisten<br />

und Freidenker ein Sich-Beugen vor willkürlichen Gesetzen. So seltsam es jedoch<br />

klingen mag, nichts, was in der Geschichte des menschlichen Denkens, der Poli-<br />

26


tik, der Künste oder der Ethik von bahnbrechender Wirkung gewesen ist, hat sich<br />

ohne die Tyrannei dieser willkürlichen Gesetze entwickelt.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S. 8)<br />

Zu Peter Klein: Die Naturferne der Naturwissenschaften 83<br />

Denn dass sich ein gelernter Naturwissenschaftlicher (Peter Klein, R. C.) auf<br />

diese Weise mit der Natur beschäftigt, ist ganz und gar ungewöhnlich, weil in der<br />

modernen Natur-wissenschaft, wie der Philosoph Georg Picht anmerkt, von der<br />

Natur gar keine Rede mehr ist und sie sich infolgedessen auch herzlich wenig<br />

dafür interessiert, dass der Mensch, so Picht, „selbst Teil der Natur und diese<br />

Inbegriff des Lebens ist.“ *<br />

(Wolfgang Legler, Universität Hamburg, Rede zu einer Photoausstellung von Peter Klein<br />

in der Universität Hamburg am 17.01.07)<br />

* (Georg Picht, Der Begriff der Natur und seine Geschichte, Stuttgart 1989, S. 135f)<br />

Gartenkunst und Wissenschaft 84<br />

Von jeher sind Gärten die Kontaktstellen zur Wissenschaft ihrer Zeit gewesen.<br />

Sie sind dazu da, die neuesten Theorien künstlerisch zu interpretieren und<br />

dadurch sinnlich erlebbar zu machen. Im Garten sollen Menschen dem Universum<br />

begegnen.<br />

(Der zeitgenössische amerikanische Landschaftsarchitekt Charles Jenks zu seinem <strong>Park</strong><br />

der Gallery of Modern Art in Edinburgh)<br />

Wissen um Geschichte erhöht den Eindruck 85<br />

„Der Eindruck eines großen Landschaftsgemäldes erhöht sich für den<br />

Denkenden, wenn er es mit Geschichte zu verbinden weiß“. In Abwandlung<br />

dieses Zitats von Ferdinand Gregorovius (1821-1897, R. C.), trifft dies<br />

ebenso für eine über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft zu, um<br />

deren historische Hintergründe man weiß.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.16)<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s als Orte der Kontemplation über<br />

Geschichte und sich selbst 86<br />

Was uns in unserer privilegierten Beziehung zum Garten am meisten<br />

fasziniert, ist die Fähigkeit, unsere Identität gegenüber den ständigen<br />

Veränderungen zu bewahren. Uns ist sogar die Fähigkeit gegeben, uns<br />

vollkommen in die Geschichte zu versenken, um in ihrer Zeiten<br />

übergreifenden Dauer Ruhe zu finden. Während man schon beim kleinsten<br />

Windstoß zusammenzuckt, kann man sich beim Schlendern durch einen<br />

Garten ganz dem Bild Italiens zu Zeiten der Medici, dem Bild Frankreichs zu<br />

Zeiten des Sonnenkönigs oder dem Bild Roms zur Kaiserzeit hingeben, das<br />

jene Gärten in uns entstehen lassen können. Dieses imaginäre Bild wieder<br />

zu finden ist eine intellektuelle Freude, die unseren Eindrücken als Tourist<br />

Tiefe verleiht und unsere Reiseerinnerungen bereichert. Ein Garten liest<br />

sich wie ein offenes Buch, und seine tiefere Bedeutung erschließt sich dem,<br />

der seine Geschichte kennt.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser<br />

[Text], Die schönsten Garten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 12)<br />

27


Erlebnis der Schönheit als Schutz vor „Vandalismus“? 87<br />

So schreibt Charles Perrault, der große französische Märchenerzähler – und<br />

gleichen die Gärten im Grunde nicht den Märchen – folgendes:<br />

„Nachdem der Tuileriengarten neu angelegt worden war, so wie wir ihn heute<br />

kennen, sagte Monsieur Colbert zu mir: ‚Laßt uns in die Tuilerien gehen, um die<br />

Tore zu schließen. Der Garten muß dem König vorbehalten bleiben; man darf<br />

nicht zulassen, daß ihn das Volk zertrampelt und binnen Kürze dem Erdboden<br />

gleichmacht.’ Seine Entscheidung erschien mir sehr unfreundlich und ärgerlich für<br />

ganz Paris. Als wir in die große Allee einbogen, sagte ich zu ihm: ‚Monsieur, Ihr<br />

würdet nicht für möglich halten, welche Achtung jedermann bis hin zum geringsten<br />

Bürger diesem Garten entgegenbringt; nicht nur, daß Frauen und Kinder<br />

niemals auf den Gedanken kämen, auch nur eine einzige Blume zu pflücken, sie<br />

wagen es nicht einmal, sie zu berühren. Alle verhalten sich so, wie es verständigen<br />

Bürgern geziemt; die Gärtner können es Euch bezeugen; alle Welt fände es<br />

höchst betrüblich, wenn der Garten der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich<br />

wäre.’“<br />

(Charles Perrault, zit. n.: Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt,<br />

Genf 1987, Nachdruck Köln 1997, S. 6 – [schön wär’s, R.C.])<br />

Labyrinthe als Bestandteile der Garten- und<br />

<strong>Park</strong>gestaltung 88<br />

Ein Ort, an dem man sich verirrt, um gefunden zu werden. Ein Initiationsweg,<br />

gespickt mit Fallen und Versuchungen, ein Ort des Spiels. Metapher<br />

für das Leben und die Suche nach Erkenntnis und Perfektion, das Wissen<br />

und die Welt. Ein Weg, den jeder einmal gehen sollte. Der Dädalus-Mythos<br />

wird im Trecento in Klöstern, Königshöfen, Burgen und Schlössern<br />

wiedergeboren und entwickelt sich zu einem profanen und spielerischen<br />

Element bis hin zum „Liebeslabyrinth“. Mannshohe Hecken beschützen das<br />

kecke Versteckspiel der Liebenden und schirmen sie von der Außenwelt ab.<br />

Der Weg führt zu einer Mitte, einem Ziel, einem Zweck. Dort werden<br />

diejenigen belohnt, die das Spiel gewagt und das Ziel erreicht haben.<br />

Zielpunkt kann eine Säule, ein Baum, ein Belvedere oder ein einfacher Sitz<br />

sein. Doch die starke symbolische Bedeutung des Zentrums ist stets<br />

gegenwärtig. Die Bauweise der ersten Labyrinthe folgt einer Wegführung,<br />

die das Spiel mit Wahlmöglichkeiten und die Herausforderung das Glücks<br />

nicht nur für Liebende, sondern auch auf intellektueller Ebene betreibt und<br />

die Poetik des Scheidewegs, der Unsicherheit mit einbezieht. … Doch erst<br />

im Barockgarten kommt das Labyrinth zur Blüte und ist schließlich nichts<br />

anderes als ein kunstvoll beschwerlicher Weg ans Ziel. Ob geheimnisvolle<br />

Prüfung, Mittel zur Befriedigung des Spieltriebs weniger Privilegierter oder<br />

Bühnenbild für barocke Feste – die Maison Dedalus, wie das Labyrinth in<br />

Frankreich genannt wurde, hat jahrhundertelang die schönsten Gärten<br />

bereichert.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 444ff)<br />

Pückler über Pflege und Zerstörung bei der<br />

<strong>Park</strong>gestaltung 89<br />

Nur zu wahr ist es: furchtbar und schnell ist die Macht des Menschen im Zerstören,<br />

schwach und gebrechlich im Aufbauen! Ein alter Baum sei Dir, freund-<br />

28


licher Leser, der Du die Natur mit frommer Liebe umfaßt, ein hohes Heiligtum;<br />

dennoch aber weiche das Einzelne, wo es not tut, auch hier immer dem Ganzen.<br />

(Hermann Fürst von Pückler-Muskau [1789-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

zit. n.: H. H. Krönert [Hg.], Fürst Pücklers Sprüche, Cottbus o.J. [2004], S. 45)<br />

<strong>Europäische</strong> Garten- und <strong>Park</strong>geschichte im Galopp 90<br />

Den Römern und Griechen ist es zu verdanken, dass der Garten zu einem<br />

kleinen Stück Natur wird, das die Menschen nach ihren Bedürfnissen<br />

gestalten: wo Pflanzen nicht nur zum Verzehr, sondern auch aus<br />

ästhetischen Gründen angebaut werden. Im antiken Rom gibt es erste<br />

architektonisch angelegte Gärten. Die Wiederentdeckung des Gartens im<br />

Mittelalter ist sicher der Kirche zuzuschreiben, seine Weiterentwicklung ist<br />

jedoch hauptsächlich weltliches Verdienst, wie aus dem Capitulare de Villis<br />

- einem Regelwerk von Karl dem Großen zur Gestaltung der kaiserlichen<br />

Besitztümer - deutlich wird. Diese prächtigen Anlagen werden bald in ganz<br />

Italien bekannt, doch nur in der Toskana wird die neue Tendenz auch<br />

umgesetzt. Im frühen Quattrocento entwickelt sich der italienische Gartenstil<br />

und wird ab dem Cinquecento an den führenden europäischen Höfen<br />

aufgegriffen. Man lässt sich besonders durch die florentinischen<br />

Renaissance-Gärten inspirieren, wobei für Wasserspiele die maurischen<br />

Gärten Andalusiens eine wichtige Vorbildfunktion haben. War der Garten in<br />

der Renaissance ein Ort der Stille und Kontemplation, wird er im Barock<br />

zum prunkvollen Rahmen für Feste und repräsentative Anlässe. Die<br />

Gartenarchitektur erstreckt sich auf schier endlos weiten Flächen und wird<br />

jetzt hauptsächlich von den französischen Meistern vorangetrieben.<br />

Während Gärten „im italienischen Stil“ das Verhältnis zwischen Mensch und<br />

Natur ausloten, versucht die französische Gartenkunst, des Menschen<br />

Allmacht über die Natur auszudrücken. Jenseits des Ärmelkanals kam es<br />

mit dem englischen Landschaftsgarten zu einer Wiederentdeckung der<br />

Natur in ihrer Ursprünglichkeit. In den heutigen Gärten entsteht aus Revival<br />

und Remake eine Flut von Tendenzen, deren einziger roter Faden die<br />

Leidenschaft für eine planmäßig angelegte Grünfläche ist.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 20ff)<br />

Durchgängige Stilelemente von den Persern über die<br />

Griechen, Römer, Mauren, die mittelalterlichen Klostergärten<br />

bis zum Barock-Garten – und weiter 91<br />

Der Sprung von antiken Vorstellungen, die als Gartentopoi tradiert wurden,<br />

zum Renaissancegarten oder zum Landschaftsgarten des späten 18. und<br />

frühen 19. Jahrhunderts ist groß. Zu groß, um damit die Frage befriedigend<br />

zu beantworten, in wie fern diese antiken Garten- und Paradiesesvorstellungen<br />

auf die Ausprägung realer Gärten gewirkt haben könnten. (…)<br />

Zum einen war es die hellenistisch-römische Tradition, die zur Übernahme<br />

des in Persien und im vorderen Orient ausgebildeten kreuzförmig angelegten<br />

Gartens beitrug, zum anderen waren es maurisch-sarazenische Gärten, die<br />

als Varianten orientalischer Vier-Quartier-Gärten die Grundstruktur der frühen<br />

christlichen Kloster- und Domänengärten prägten. Die Betrachtung antiker<br />

Gärten macht uns sowohl mit diesem Grundmodell und dessen Varianten<br />

bekannt als auch mit der motivischen Verarbeitung der<br />

Paradiesesvorstellung von Elysien, locus amoenus oder Arkadien.<br />

29


In diesem Sinne lässt sich eine Brücke schlagen von den ersten gärtnerischen<br />

Anfängen in der Antike bis zum Garten der Empfindsamkeit in der Zeit um 1800.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 11)<br />

Der mittelalterliche Garten 92<br />

Für das frühmittelalterliche Nordeuropa kann von einer Fortsetzung der antiken<br />

Tradition einerseits und einem Neubeginn unter dem Einfluß arabischorientalischer<br />

Gartenkultur andererseits ausgegangen werden, die durch tradierte<br />

Schriften antiker Autoren zum Gartenbau und durch die Beziehungen zu Byzanz<br />

getragen wurden. Obwohl zahlreiche Schrift- und Bildquellen Hinweise auf<br />

Aussehen und Zusammensetzung mittelalterlicher Gärten geben, gelingt die<br />

Rekonstruktion und damit die genaue Vorstellung von Gartenanlagen im<br />

Mittelalter nur schwer, zumal – wie auch beim antiken Garten – originale Anlagen<br />

nicht mehr bestehen. Selbstverständlich kann man davon ausgehen, dass u. a.<br />

die landwirtschaftlichen Nutzgärten nach antik-römischen Vorgaben kontinuierlich<br />

weitergeführt wurden.<br />

(Gabriele Uerscheln, Michaela Kalusok, Kleines Wörterbuch der europäischen<br />

Gartenkunst, Stuttgart 2003, Vorwort, S. 15)<br />

Geschichte der Gartenkunst als Geschichte der Gartentheorie 93<br />

Die Geschichte der Gartenkunst hängt eng mit der Geschichte ihrer Theorien.<br />

Dieser Kontext ist interessant und zugleich problematisch. Gartentheorien beziehen<br />

sich sowohl auf die Kunst als auch auf die Natur. In diesem Spektrum entfaltet<br />

sich der Spannungsreichtum von Natur- und Kunstbetrachtung, der schließlich<br />

zur Anlage eines Gartens führen soll. Architekten, Künstler, Philosophen,<br />

Theologen und, wenn man so will, pragmatisch orientierte Gärtner waren es, die<br />

ihre gärtnerischen Kenntnisse und Visionen zu formulieren versuchten. Dabei<br />

waren sie von verschiedenen Grundgedanken geleitet: Sollte der Garten als<br />

irdisches Paradies oder als Nutzgarten vorgestellt werden? Ging es vorrangig um<br />

die Verbildlichung einer Idee oder um die Erfüllung landwirtschaftlicher Aufgaben?<br />

War es sogar möglich, beide Aspekte in einem Garten miteinander zu<br />

vereinen?<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 40)<br />

Gärten: Von mystischer Sehnsucht zum aktuellen<br />

Zeitgeistthema 94<br />

Ein Garten ist mehr als eine gebrauchsfähige Grün- und Zierfläche. Er ist<br />

Ausdruck der großen Sehnsucht nach jenem einen mystischen Garten Eden, in<br />

dem sich die Natur und der Mensch in Harmonie zusammenfinden. Der Garten ist<br />

eine Zwischenwelt, weder gänzlich weltlicher noch göttlicher Natur. Dabei ist er<br />

ein Paradox par excellence, denn er ist zugleich natürlich und künstlich, idyllisch<br />

und utopisch, göttlich und irdisch. In gleichem Maße, wie die Wirklichkeit immer<br />

mehr durch virtuelle Scheinwelten ersetzt wird, gewinnt der Garten an Bedeutung<br />

und ist am Beginn des 3. Jahrtausends zu einem aktuellen Zeitgeistthema<br />

geworden.<br />

(Periodische Veröffentlichung des Kunstvereins in Bremen: Punkt. Kunst im Nordwesten,<br />

Winter 07/08, Hinweis auf die Ausstellung „Garten Eden – der Garten in der Kunst seit<br />

1900“ in der Kunsthalle Emden, S. 20)<br />

30


Der Garten im kulturellen Pantheon der<br />

Menschheitsgeschichte 95<br />

Der Garten gehört zu den ältesten Schöpfungen des Menschen. Die Bibel<br />

zeigt ihn uns als Wiege der Menschheit, und die meisten Religionen haben<br />

ihm einen Platz in ihren Schöpfungsmythen zuerkannt. Aufgrund seines<br />

hohen Alters könnte er einen Ehrenplatz in unserem kulturellen Pantheon<br />

beanspruchen – aber er tut nichts dergleichen, denn prätentiös zu sein ist<br />

nicht seine Stärke. Er kann sich am Rande eines Hofes befinden, wo er uns<br />

mit ein paar Margeriten erfreut, oder neben einem kleinen Bauernhaus in<br />

Form eines quadratischen Gemüsebeets, doch das hindert ihn keineswegs<br />

daran, sich mit prachtvollen Rabatten zu schmücken, um einen Palast in<br />

seiner Mitte aufzunehmen. Als wahrer Proteus überrascht er uns durch<br />

seine ständigen Verwandlungen, und dennoch hält er immer an seiner Rolle<br />

fest, die darin besteht, uns dazu aufzufordern, Kontakt mit der Natur<br />

aufzunehmen und uns dem reinen Vergnügen hinzugeben, in seiner<br />

Gesellschaft sein zu dürfen.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text],<br />

Die schönsten Garten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 9)<br />

Huldigung an einen Gartenkünstler – der Bayerische<br />

König Max Joseph zu Friederich Ludwig von Sckell 96<br />

(Inschrift auf dem Denkmal, dass der Bayerische König Max Joseph für seinen<br />

Gartenmeister Friedrich Ludwig von Sckell 1824 im Englischen Garten in München<br />

errichten ließ; Foto R. Crusius)<br />

31


II. Die Begründung des (Englischen) Landschaftsparks<br />

als politischem und ästhetischem Gegenentwurf zum<br />

(Französischen) Barockgarten<br />

1. Der italienische Renaissance-Garten als Anreger für<br />

Französische Gärten und Englische Landschaftsparks<br />

Der antike römische Garten 101<br />

Im Gegensatz zu dem durch wenige Zeugnisse bekannten griechischen Garten<br />

vermitteln zahlreiche Quellen ein etwas genaueres Bild der römischen Gartenkunst.<br />

Darunter sind insbesondere die Schilderungen von Gärten in den Briefen<br />

des Plinius d.J. (61 oder 62 – um 113 n. Chr.) und im Traktat über den Landbau<br />

des Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.) hervorzuheben. Der Typus des<br />

römischen Stadtgartens war als Gartenhof (Peristyl) ausgebildet, in dem sich um<br />

ein zentrales Wasserbecken Beete und Kübelpflanzen gruppierten. Diese<br />

Peristylgärten im Atrium eines römischen Hauses waren der griechischen<br />

Baukunst entlehnt. … Für die europäische Gartenkunst der nachantiken Zeit war<br />

insbesondere die römische Villenkultur vorbildhaft. Die detaillierten<br />

Beschreibungen in den Briefen Plinius’ d. J. ermöglichen eine Rekonstruktion der<br />

römischen Villa und ihrer Gärten. Bei der Anlage einer Villa kamen der Aussicht,<br />

erreicht durch eine Hanglange, und einer klimatisch günstigen Ausrichtung<br />

entscheidende Bedeutung zu. Die Villenanlage bestand aus einem Gebäudekomplex<br />

mit Sonnenterrassen und überdachten Wandelgängen, umgeben von<br />

Nutz- und Lustgärten, die mit Kunstwerken und kleinen Lustbauten geschmückt<br />

waren. Die Gärten, die aus verschiedenen, gegeneinander abgegrenzten Teilen<br />

bestanden, waren kunstvoll bepflanzt und gestaltet.<br />

(Gabriele Uerscheln, Michaela Kalusok, Kleines Wörterbuch der europäischen<br />

Gartenkunst, Stuttgart 2003, Vorwort, S. 10f)<br />

Italien: Geburtsland der europäischen Gartenkultur 102<br />

Es war unstreitig in den schönen und von einem so milden Himmel beglückten<br />

Gefilden Italiens, wo in den neuern Zeiten Europa die ersten Gärten wieder<br />

aufblühen sah. Hier erwachte zuerst das Gefühl für das Schöne, und weckte<br />

zugleich die edlern Künste aus ihrem langen Schlummer auf. Man weiß, daß<br />

diese wichtige Revolution sich besonders ins Toscana durch die großmüthigen<br />

Bemühungen des Geschlechts Medici erhob. Und hier scheint auch mit der Liebe<br />

des Ackerbaus die Gartencultur in Italien wieder erweckt zu seyn.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Bd. 5, Leipzig<br />

1780)<br />

Von römischen zu Renaissance-Gärten 103<br />

Die Geschichte eines Gartens verläuft nicht immer linear, wie man etwa in<br />

Sanspareil und Schwetzingen sehen kann. In Europa ist sie von zwei<br />

Traditionen geprägt, die auf die Antike zurückgehen. Die Römer haben<br />

schon immer den hortus gekannt, den abgeschlossenen Garten aus ihrer<br />

heroischen Epoche, und sie stellten ihn dem <strong>Park</strong> gegenüber, den ihre<br />

Generäle in Mode gebracht hatten, als sie von ihren Feldzügen aus dem<br />

Orient zurückkehrten. Cicero, Plinius und viele andere haben diese beiden<br />

Traditionen erfolgreich miteinander verbunden und eine ganz neue Form<br />

der Gartenkunst hervorgebracht, deren Grundlage darin bestand, den<br />

32


ländlichen Charakter ihrer Güter zu bewahren und sie gleichzeitig mit<br />

Statuen und in Form geschnittenen Pflanzen zu verschönern. Für diese<br />

Aufgabe war der topiarius zuständig, ein Meister jener Kunst, die wir heute<br />

mit dem Begriff der Pflanzenskulptur verbinden. Darüber hinaus sorgte er<br />

dafür, dass die Aussicht auf die umgebende Landschaft von den Gebäuden<br />

und Wandelhallen aus unverstellt blieb. Diese drei Charakteristika finden<br />

sich auch in der wunderbaren Ausgewogenheit wieder, wie sie der<br />

italienische Renaissancegarten in sich birgt und wie wir sie noch heute etwa<br />

in den Gärten des Castello Ruspoli und der Villa Gamberaia sehen können,<br />

aber auch in den französischen Gärten, die daraus hervorgegangen sind,<br />

wie zum Beispiel in Ambleville.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text],<br />

Die schönsten Garten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 13)<br />

Der italienische Renaissance-Garten – Äußerungsform<br />

des Individualismus 104<br />

Selbstverständlich begünstigten das milde Klima und die abwechslungsreiche<br />

Landschaft die Entstehung der ersten neuzeitlichen Gärten im Abendland. Dafür<br />

aber, daß diese Gärten am Ende des Mittelalters gerade in Italien angelegt<br />

wurden, gibt es noch einen anderen, und, wie es scheint, sehr wichtigen Grund.<br />

Kunstvolle Gärten befanden sich zunächst nur in der Nähe von Städten; sie<br />

wurden von Stadtbewohnern angelegt. (…) Stadt und Garten sind begrenzt, Dorf<br />

und Wildnis sind es nicht. Nach außen abgegrenzte, im weitesten Sinne private<br />

Bereiche konnten sich gerade dort entwickeln, wo Menschen individuelle Privatpersonen<br />

sein wollten, sich also zwar weltoffen gaben, aber doch ihre Privatsphäre<br />

vor der Öffentlichkeit abschirmen wollten.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 136, 137)<br />

Der italienische Renaissance-Garten: Symbol des neuen<br />

Reichtums und Anleihe beim alten – römischen – Reichtum 105<br />

Einige Bewohner der italienischen Stadtrepubliken waren durch Handel und<br />

Gewerbe zu großem Reichtum gelangt. Im Zeitalter der Renaissance besannen<br />

sie sich auf die kulturelle Vergangenheit des Landes zur Zeit der Antike, auf die<br />

klassischen Lebensformen der Reichen im alten Rom. Die Bildungsbürger dieser<br />

Städte hatten natürlich Plinius und Cicero gelesen; sie wollten es ihren klassischen<br />

Vorbildern gleichtun und als wohlhabende Stadtbürger ebenfalls eine Villa<br />

mit Garten besitzen. Man konnte sich dank der detaillierten antiken Beschreibungen<br />

ein genaues Bild davon machen, wie das urban geprägte ländliche Leben<br />

vor der Stadt auszusehen hatte. Das Leben in der Stadt hatte gerade in Italien<br />

keineswegs nur positive Seiten.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 137)<br />

Gestaltungsprinzipien des italienischen Renaissance-<br />

Gartens I 106<br />

Dieser besitzt nicht nur eine Grundfläche, sondern ist ein dreidimensionaler<br />

Raum. Er hat Haupt- und Nebenachsen, aus denen sich ein orthogonaler Grundriß<br />

ergibt. Die Wege, die entlang der Achsen laufen, haben ein klares Ziel, die<br />

Villa, den Aussichtspunkt, ein Kunstwerk oder einen Brunnen. Die Zielpunkte<br />

können, ja sollen sehr verschieden sein. Beim Durchschreiten des Gartens soll<br />

33


man aus der düsteren und feuchten Grotte ins gleißende Sonnenlicht treten, um<br />

dabei den Gegensatz der vier Elemente wahrzunehmen, von Erde und Wasser in<br />

der Grotte und am Brunnen zu Feuer und Luft auf der Terrasse. Auf dem orthogonalen<br />

Grundriß entstand der Raum durch steinerne Mauern und lebende Hecken<br />

aus den immergrünen Gehölzen Steineiche und Buchsbaum oder aus den schlanken<br />

Zypressen und den schirmförmig geschnittenen Pinien.<br />

Am besten lassen sich die Prinzipien des italienischen Gartens dort erkennen, wo<br />

eine Villa mir ihrem Garten am Hang errichtet wurde.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 142)<br />

Gestaltungsprinzipien des italienischen Renaissance-<br />

Gartens II 107<br />

Obgleich der italienische Garten der Renaissance mannigfaltige Formen ausgebildet hat,<br />

können doch verallgemeinernd folgende Merkmale festgehalten werden: Die Parterres<br />

sind in mindestens vier gleich große Teile aufgegliedert, die in der Regel auch<br />

Wasserbecken umfassen. Unter Berücksichtigung der Zentralperspektive sind Wege und<br />

Blickpunkte konstruiert. Eine dynamisch-räumliche Treppen- bzw. Terrassenführung<br />

betont die zum Haus hinleitende Achse. Die Wege werden gesäumt und hervorgehoben<br />

von exakt geschnittenen Hecken: Pergolen aus Holz oder Stein, überwachsen mit Wein,<br />

Glyzinien oder Geißblatt, spenden dem Lustwandelnden Schatten. Antike Skulpturen,<br />

wiedergefundene Originale wie Kopien, verweisen auf die Vergangenheit. Zudem wird ein<br />

eigenständiges, für die Gartenkunst in Europa wegweisendes Skulpturenprogramm<br />

entwickelt.<br />

(Gabriele Uerscheln, Michaela Kalusok, Kleines Wörterbuch der europäischen<br />

Gartenkunst, Stuttgart 2003, Vorwort, S. 21)<br />

Wasser – das Gestaltungselement des italienischen<br />

Renaissance-Gartens 108<br />

Das Wasser bekam hier eine überragende Bedeutung für die Gartenanlage. Die<br />

Wirkung der so verschiedenen Wasserkünste ist in einem Land besonders groß,<br />

in dem es während des Sommers lange Trockenperioden geben kann; im Garten<br />

versiegt das lebensspendende und lebenserhaltende Wasser dennoch nicht.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 148)<br />

(P.S.: Hier muss natürlich der Einfluss der maurischen Gartenkunst erwähnt<br />

werden! Anm. R. C.)<br />

Der toskanische Renaissance-Garten 109<br />

Der Charme der toskanischen Gärten spricht die Europäer des 21. Jahrhunderts<br />

ebenso an wie die Menschen vor 500 Jahren. An der klug<br />

kalkulierten Gestaltung der Gärten sind Himmel, Erde und Wasser gleichermaßen<br />

beteiligt. Die Wirkung auf den Betrachter ist wohldurchdacht, aber<br />

die Gestaltung der Natur erreicht nicht das französische Ausmaß, die Natur<br />

bleibt bis zu einem gewissen Grad „naturbelassen“. Die toskanischen<br />

Gärten sind Kunstwerke, kultiviert zum reinen Vergnügen und Genuss der<br />

Menschen.<br />

(Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt,<br />

Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 61)<br />

34


Selbstdarstellung und Lebensfreude im italienischen<br />

Renaissance-Garten 110<br />

Besonders reizvoll im wahrsten Sonne des Wortes ist es, die Treppen hinauf und<br />

hinab zu steigen, von jeder Stufe aus festzustellen, wie sich der Blick auf die Umgebung<br />

wandelt. Dabei verändert sich nicht nur die Sicht auf den Garten, sondern<br />

auch die Beziehung zu anderen Menschen, die sich auf der Treppe und im Garten<br />

bewegen. Gerade die Treppen regen die Gartenbesucher dazu an, sich selbst zu<br />

inszenieren, ein wenig Theater zu spielen wie auf einer Bühne. Die verschiedenen<br />

Empfindungen, die man beim ruhigen Gehen in einem Italienischen Garten hat,<br />

sollen Freude hervorrufen; jeder Mensch will einem eintönigen Alltagsleben entfliehen<br />

und Vielfältigkeit in seiner Umgebung wahrnehmen. Der Italienische Garten<br />

kann ihm diesen Abwechslungsreichtum bieten. Diese Lebensfreude, die<br />

dabei entsteht, inspiriert die Menschen; offenbar ist dies nicht nur den Managern<br />

moderner Industriebebetriebe bekannt, sondern auch schon die Gartenarchitekten<br />

der Renaissance in Italien hatten eine Ahnung davon.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 150)<br />

„Abgeschlossenheit“ als historisches Signum des<br />

italienischen Renaissance-Gartens 111<br />

Bis heute blieb für den Italienischen Garten seine private Abgeschlossenheit<br />

charakteristisch. Im Unterschied zu den später entworfenen <strong>Park</strong>s ist der Italienische<br />

Garten von einem Zaun, einer Mauer oder einer Hecke umgeben, also<br />

abgetrennt von seiner Umgebung. Der Italienische Garten ist damit ein Garten im<br />

wahrsten Sinne des Wortes, bei dem es ja nicht auf seine Anlage an sich ankam,<br />

sondern auf das Abgegrenzt-Sein. Alle späteren <strong>Park</strong>s gaben dieses Prinzip auf.<br />

Sie öffneten sich gegenüber ihrer Umgebung ebenso wie die Städte, die über ihre<br />

mittelalterlichen und frühzeitlichen Befestigungsringe hinauswuchsen.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 153)<br />

Hadrians Villa in Tivoli als Anregung für den italienischen<br />

Renaissance-Garten 112<br />

Eines ihrer großen Meisterwerke schuf die „ars topiaria“, die Gartenkunst, in dem<br />

universalen Programm einer „Weltlandschaft“ um die Villa Kaiser Hadrians in<br />

Tivoli. Ähnlich großzügig ist die vom Paul-Getty-Museum im kalifornischen Malibu<br />

rekonstruierte Villa dei Papiri gewesen. Solche von Vorbildern aus dem hellenistischen<br />

Orient abzuleitenden Landvillen müssen auch als Machtdemonstration<br />

ihrer Erbauer verstanden werden. In solchen allein von ihrer dominierenden Lage<br />

her imposanten Anlagen mit Bibliothek, Bädern und Nymphäum erscheinen die<br />

Grenzen zwischen Villa, Garten und freier Landschaft aufgehoben.<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im Spiegel der<br />

Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S.<br />

252)<br />

Der italienische Renaissance-Garten: Baukunst und<br />

Gartenkunst 113<br />

Die italienischen Architekten der Renaissance waren richtungweisend für die neue<br />

geräumige, mit der Architektur korrespondierende Gartenkunst. Die italienische<br />

Gartenkunst der Renaissance ist eine Schwester der Baukunst. Die Gärten des<br />

Jüngeren Plinius nahm sich Leon Battista Alberti, der große Florentiner Architekt<br />

35


der Frührenaissance, in seinen „Zehn Büchern über die Baukunst“ zum Vorbild.<br />

Der von hohen Mauern umgeben italienische Garten der Renaissance gehört zur<br />

neuen Villen-Kultur auf dem Land. In der geometrischen Anlage – das ist antikes<br />

Erbe –, aber auch in der beherrschenden Lage an Abhängen mit weitem Ausblick<br />

triumphieren der klare Verstand und das Machtgefühl des Italieners der<br />

Renaissance.<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im Spiegel der<br />

Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S.<br />

259)<br />

Der italienische Renaissance-Garten: Unterschiede<br />

zwischen der Toscana und dem Veneto 114<br />

Der rational-perspektivisch konstruierte toskanische Garten entgeht nicht immer<br />

der Gefahr, die Natur ihrer Sinnlichkeit zu entkleiden, sie als gesetzmäßiges Beziehungsgeflecht,<br />

als „Ordnung“ zu begreifen. Der ausgeprägte Sensualismus der<br />

Venezianer dagegen fördert auch in der Gartenkunst den Sinn für malerischbildhafte<br />

Wirkungen, wobei das weiche Licht der Lagune zu Hilfe kommt, das die<br />

klare Umgrenzung der Form auflöst. Venetien war in Renaissance und Barock<br />

das klassische Land der „villeggiatura“, der ländlichen Sommerfrische. Berühmt<br />

sind bis heute die an der Brenta und an den Hängen der voralpinen Hügellandschaft<br />

gelegenen Landhäuser, allen voran die 1561/62 für die Humanisten<br />

Daniele und Marcantonio Barbaro von Andrea Palladio erbaute Villa Maser mit<br />

den kongenialen Garten- und Landschaftsfresken von Paolo Veronese. Im<br />

Gegensatz zu dem blockartig geschlossenen Villentypus der Toskana sind<br />

Palladios Villen mit ihren Loggien und ihrer gruppenförmigen Anlage aufgelockerter<br />

und geöffneter. Der harmonische Austausch von Innen-, Garten- und<br />

Landschaftsraum der Villen im Veneto ist überzeugend mit der Vorstellung von<br />

Arkadien und der „Goldenen Zeit“ in Verbindung gebracht worden.<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im Spiegel der<br />

Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt)<br />

Humanismus: Individuum / Kunst / Bildung und Sinneslust 115<br />

Im Humanismus des 14. und 15. Jahrhunderts begannen Gelehrte, die Welt neu<br />

zu durchdenken. Es galt, das Erbe der Antike mit den Erfordernissen neuerer<br />

Staats- und Glaubensideen zu verbinden. Dabei ging auch um ästhetische<br />

Aspekte, die nicht mehr unbedingt dem Glauben, wohl aber den Interessen und<br />

Bedürfnissen des Individuums zuzuordnen waren. Ein Kunstwerk diente sowohl<br />

der Sinnenlust als auch der geistigen Bildung und geistlichen Erbauung.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 40)<br />

Alberti: Gärten dienen der Gesundheit und dem Genuss 116<br />

Leon Battista Alberti, Humanist und Architekt, schrieb zwischen 1443 und 1453<br />

die „Zehn Bücher über die Architektur“. (…) Im neunten Buch handelt Alberti die<br />

Privatbauten ab und geht in diesem Zusammenhang auch auf die Gestaltung von<br />

Gärten ein. (…) Es geht um antike Villen und ihre Gärten, die er zum Vorbild für<br />

den Garten seiner Zeit nimmt. Dabei unterscheidet er zwischen dem Stadthaus,<br />

dem Landhaus und der Villa in der Nähe der Stadt. Seiner Meinung nach – hier ist<br />

Cicero sein Gewährsmann – ist die stadtnahe Villa mit Garten allen anderen<br />

Villentypen vorzuziehen. Wenn auch die Abgeschiedenheit des einsamen Landhauses<br />

verlockend erscheint, so „… ist die Nähe der Stadt von Vorteil und ein<br />

36


leicht erreichbarer Schlupfwinkel, wo man nach Belieben tun kann, was man<br />

will.“ *<br />

Die Erfüllung individueller Bedürfnisse steht im Vordergrund. Deswegen, so<br />

Alberti, soll der Garten der Gesundheit und dem Genuss dienen.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 40)<br />

* (Leon Battista Alberti [1404-1472], Zehn Bücher über die Architektur [„De re<br />

aedificatoria“, 1443-1453, Erstdruck 1485], Bd. 9)<br />

Der italienische Renaissance-Garten als Anreger des<br />

Französischen Barockgartens 117<br />

Italien behielt seine Vorrangstellung in der Gartenkunst bis zum Beginn des 17.<br />

Jahrhunderts. Palladio und Bernini wandten sich mehr der „reinen“ Architektur zu<br />

und schufen glanzvolle Bauwerke, aber keine neuen Gartenkonzepte. Anderswo<br />

in Europa griff man die in Italien entwickelten Leitlinien der Gartenarchitektur auf.<br />

In Frankreich, Deutschland, Belgien und anderen Ländern legte man Italienische<br />

Gärten mit hohen Hecken, dem Parterre, einer Grotte und einer Terrasse an.<br />

Nicht alle Pflanzen des Mittelmeergebietes konnten darin wachsen; man mußte<br />

sie im Winter in der Orangerie vor dem Frost schützen. Im 17. Jahrhundert gingen<br />

die wichtigsten Impulse der Gartenkunst dann von Frankreich aus. Bei der Gestaltung<br />

eines Französischen Gartens diente der Italienische Garten als Vorbild, besonders<br />

bei der Anlage des Parterres mit seinen Beeteinteilungen und Rabatten<br />

mit Buchsbaumhecken. Der Französische Garten war aber nie der in sich abgeschlossene<br />

Besitz des Privatmannes, sondern der <strong>Park</strong> des absolutistischen<br />

Herrschers. Die Achsen des Französisches <strong>Park</strong>s enden nicht an einem Zaun,<br />

sondern führen im Idealfall ohne Ende in das gesamte Land hinein.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 152f)<br />

Die Entwicklung vom Renaissance- zum Barockgarten 118<br />

Das in der Renaissance wiederauflebende Interesse an der Biologie,<br />

botanische Neuheiten aus der neuen Welt und die Diskussion über das<br />

Verhältnis zwischen Mensch und Natur beflügeln die Entstehung der Ars<br />

Topiaria, des Formschnitts, der es ermöglicht, Wände und ganze Bühnen<br />

aus Pflanzen zu gestalten. Im 16. und 17. Jahrhundert werden die<br />

fruchttragenden Pflanzen aus den Gärten verbannt und die Geometrie, die<br />

antike „Kunst der Landvermessung“, erlangt eine bisher unerreichte<br />

Wichtigkeit. Die regelmäßige Architektur der Gebäude kann nun auch auf<br />

der Grünflache abgebildet werden. Ausgehend vom Herrschaftssitz werden<br />

entlang unterschiedlicher Blickachsen geometrische Kompartimente<br />

eingeteilt. Die zentrale Sichtachse geht meist vom Haupteingang der Villa<br />

zu einem Belvedere (oder einem Bassin oder einer Skulptur) und wird von<br />

mehreren Querachsen gekreuzt. Seitlich der Hauptachse liegen<br />

quadratische oder rechteckige Beete, die von niedrigen Buchsbaumhecken<br />

oder Baumreihen (meistens Zypressen) begrenzt werden. Auf diesen<br />

Parterre genannten Flächen wird der Buchs streng geometrisch<br />

geschnitten. Neben Brunnen, Wasserketten und Grotten sind sie das<br />

auffälligste Merkmal italienischer Gärten. Durch die ständige Suche nach<br />

dem besten Blickwinkel mussten ansteigende oder erhöhte Flächen<br />

geschaffen werden, was zu einer terrassenförmigen Anlage der Gärten<br />

führte. Um die verschiedenen Niveaus miteinander zu verbinden, entstehen<br />

Treppenanlagen. Waren sie zuerst rein funktionaler Art, werden<br />

37


monumentale Treppen schnell zu zentralen gestalterischen Elementen.<br />

Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts hatte Italien die Führungsrolle in der<br />

Gartenkunst an das barocke Frankreich abtreten müssen. In Italien steht<br />

der Mensch im Mittelpunkt des Universums und die Gärten sollen dieses<br />

Weltbild wiedergeben. Die französische Gartenkunst hingegen drückt den<br />

Drang des Menschen aus, die Natur zu beherrschen. Die endlosen<br />

Parterres in Vaux-Le-Vicomte und später auch in Versailles sind Ausdruck<br />

der wahnwitzigen Utopie von Louis XIV., dem Sonnenkönig, einem Mann,<br />

der glaubte, die ganze Welt bezwingen zu können.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 304ff)<br />

Übergang Renaissance- / Barockgarten fließend 119<br />

Der Übergang vom Renaissance- zum Barockgarten ist auch in Italien nicht<br />

eindeutig zu bestimmten. Viele typische Elemente des Renaissancegartens, wie<br />

beispielsweise die zu theatralischen Schauspielen gesteigerten Wasserkünste,<br />

die weiträumig in die Landschaft eingefügten Terrassenanlagen oder die Kunst<br />

der symmetrischen Beet-Ornamentierung, wurden vom barocken Garten übernommen,<br />

in ihrer Ausdruckskraft gesteigert und schließlich, im französischen<br />

Garten, ins Monumentale vergrößert.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 144)<br />

Der italienische Renaissance-Garten als Anreger des<br />

Englischen Landschaftsparks 120<br />

Andere Elemente des Italienischen Gartens griffen die Engländer auf, die im 18.<br />

Jahrhundert in der Gartengestaltung führend wurden. Sie übernahmen vor allem<br />

Züge der Villenarchitektur. Manche Englischen Gärten waren oder sind auch<br />

heute noch private Gärten, in ihnen soll man aber von Architektur auf den ersten<br />

Blick nichts sehen; sie wirken daher völlig anders als die Italienischen Gärten.<br />

(Hansjörg Küster, Italienische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 153)<br />

38


2. Der französische Barock-Garten<br />

Gartenkunst = Ordnung = Barockgarten = Architektur 123<br />

Pietro de Crescenzi, der als einer der ersten von einer Gartenkunst im weitesten<br />

Sinne des Wortes sprach, nannte sie: „… eine Methode, mit deren Hilfe sich ein<br />

Geschenk der Natur vervollkommnen lässt, indem man es durch mehr Ordnung,<br />

mehr Freude und mehr Nützlichkeit veredelt.“ * Der Garten verließ das Reich der<br />

Sinne, um sich in die Welt der Vernunft zu begeben. Durch die Ordnung, die der<br />

Mensch hier der Natur auferlegte, wandelte sich der Garten zum Gradmesser der<br />

Macht des Menschen über seine Umwelt und, in der Folge, zum Ausdruck seiner<br />

Macht schlechthin.In seiner neuen Rolle war der Garten zwangsläufig von der<br />

Architektur abhängig, von jener Kunst, die sich der sinnlichen Wahrnehmung am<br />

meisten entzieht und den Wissenschaften nahesteht. Das 16. Jahrhundert übertrug<br />

die wichtigsten Regeln der Architektur – Axialität, Symmetrie, das richtige<br />

Verhältnis der einzelnen Teile zum Ganzen – auf die Gartengestaltung. Diese<br />

übernahm gleichzeitig auch die architektonische Formensprache, die in Kolonnaden,<br />

Terrassen, großen Treppenfluchten und, als einem der wesentlichen<br />

Elemente, in Skulpturen ihren Ausdruck fand.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.169)<br />

* (zit. n.: Pietro de Crescenzi [1233-1321], Ruralia Commodora, zit. n.: J. Starobinski,<br />

L’invention de la liberté, Genf 1964)<br />

Rilke: Imagination in einem Barock-Garten 124<br />

(…) Denn Gärten sind, – von Königen gebaut,<br />

die eine kleine Zeit sich drin vergnügten<br />

mit jungen Frauen, welche Blumen fügten<br />

zu ihres Lachens wunderlichem Laut.<br />

Sie hielten diese müden <strong>Park</strong>e wach;<br />

sie flüsterten wie Lüfte in den Büschen,<br />

sie leuchteten in Pelzen und in Plüschen,<br />

und ihrer Morgenkleider Seidenrüschen<br />

erklangen auf dem Kiesweg wie ein Bach. (…)<br />

(Rainer Maria Rilke [1875-1926], In einem fremden <strong>Park</strong>, in: Rainer Maria Rilke,<br />

Verschollene <strong>Park</strong>s und Gärten, Antje Erdmann-Degenhardt (Hg.), Husum, 2005, S. 74)<br />

Rilke über einen „französischen Garten“ 125<br />

(…) Soweit das Haus. Aber der Garten! Liebe Frau, da muss ich ernst werden.<br />

Auch dort besteht natürlich recht viel Aussicht auf Gespensterei. Denken Sie, der<br />

alte, erhaltene französische Garten; drei Terrassen, bis an die Bergmatten hinan,<br />

jede um etwa vier verwitterte Steinstufen über die andere erhöht, eingefasst, eine<br />

jede, von den alten leicht behauenen Steinrändern, – Sonnenblumen darüber,<br />

ganz unbändige Sonnenblumen, aber im Rahmenwerk von traditionell zugeschnittenem<br />

Buchs, der gründichte Ränder bildet, gründichte Wände, gründichte<br />

Säulen an der alten Mauer hinauf und große gründichte Kugeln an den Boskett-<br />

Eingängen. Kein Begriff, wie klein dieser Garten ist und doch wie abgewandelt,<br />

wie offen und doch wieder voller Verstecke, wie einfach und ländlich und doch wie<br />

höflich zugleich. (…)<br />

(Rainer Maria Rilke [1875-1926], Brief an Lotte Trounier-Funder, Soglio [Bergell], Pension<br />

Willy, am 05.08.1919, in: Rainer Maria Rilke, Verschollene <strong>Park</strong>s und Gärten, Antje<br />

Erdmann-Degenhardt (Hg.), Husum, 2005, S. 84)<br />

39


Der Französische Garten als Schlüsselelement der<br />

französischen Kultur 126<br />

Im Frankreich des 17. Jahrhunderts gewann die Gartenkunst eine Schlüsselrolle<br />

in der nationalen Kultur. Damit erreichte sie, erstmals in der europäischen Geschichte,<br />

eine Gleichstellung mit den traditionellen Kunstgattungen, wenn nicht<br />

gar eine vorrangige Stellung. Was als der Französische Garten zum Begriff<br />

wurde, spiegelt vielleicht am vollkommensten die Ideals des „Grand Siècle“<br />

wieder. Der Genius dieser Schöpfung ist der Gärtner André Le Nôtre (1613-1700,<br />

R. C.), der es verdiente, gleichrangig neben den größten Barock-Künstlern wie<br />

Nicolas Poussin, Claude Lorrain, Gianlorenzo Bernini oder Peter Paul Rubens<br />

genannt zu werden. Der Ruhm von Versailles überstrahlt alle anderen Gärten Le<br />

Nôtres. Aber sein vollkommenstes Werk ist Vaux-le-Vicomte. Hier wurden<br />

Grundlagen für den Stil des „Grand Siècle“ geschaffen.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 160)<br />

André le Nôtres Versailles 127<br />

Die großen Gärten Le Nôtres (1613-1700, R. C.), geometrisch organisierte<br />

Freiräume mit zwingenden Blickachsen bis zum Horizont, setzen bei aller<br />

Faszination dem Verständnis einige Hürden entgegen. In Versailles erlebt man<br />

das Paradox, daß die kalten Materialien der Skulpturen, Marmor und Bronze,<br />

weicher und lebendiger wirken, als die Naturelemente in ihrer strengen<br />

Interpretation.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 154)<br />

André le Nôtres Gartengestaltung: Symmetrie und<br />

Asymmetrie als philosophische Komposition 128<br />

Erst nach längerem Umherwandern im Garten bemerkt man, nicht ohne Irritation,<br />

daß im Bereich der Plattform die Hauptachse von Querachsen durchkreuzt wird,<br />

die asymmetrisch ausgelegt sind; die wichtigste, dem Schloß vorgelagerte Querachse<br />

sehr betont asymmetrisch. Die Gratwanderung von Symmetrie und Abweichungen<br />

davon ist ein Hauptthema Le Nôtres (1613-1700, R. C.), das die<br />

Rede von der tyrannischen Geometrie seiner Gärten Lügen straft; auch in<br />

Versailles ist dieses Thema gewichtig behandelt. Die individuellen Teile des<br />

Gartens formieren sich zu einer großen Ordnung, aber sie darf sich nicht einfach,<br />

schon gar nicht schematisch darstellen. War doch die Naturphilosophie des 17.<br />

Jahrhunderts, von der auch Le Nôtre Kenntnis gehabt haben muß, beherrscht von<br />

einem Prinzip: Die Welt ist komponiert aus gegensätzlichen Elementen, und ohne<br />

deren Widerstreit gäbe es kein Leben. Grundmodell dieser Vorstellung ist die<br />

Koexistenz der vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer. Der Mensch soll in<br />

seinen Werken die Gegensätze und Missklänge der Natur nicht unterdrücken,<br />

sondern durch Kunst regulieren.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 162f)<br />

André le Nôtres Ablösung des Renaissancegartens: Von der<br />

geometrischen Perfektion zur perspektivischen „Zauberei“ 129<br />

Ein weiteres Hauptthema Le Nôtres (1613-1700, R. C.) sind optische Kunstgriffe,<br />

ja Täuschungsmanöver, mit denen er seine Vision vom Paradies in Szene setzt.<br />

Ihr Nachvollzug kann dem Besucher noch heute zu einem ästhetischen Erlebnis<br />

40


esonderer Art werden. (…) Hier zeigt sich ein bedeutsamer Unterschied zur<br />

Kunst der Renaissance, für die beispielhaft das große Parterre der Villa Lante in<br />

seiner ursprünglichen Form genannt sei. (…) Der Gartenraum ist nach den<br />

Regeln vollkommener Perfektion gestaltet, bezogen auf den Maßtstab der<br />

Menschen. Das Bild im Auge des Betrachters ist zwar perspektivisch verzerrt,<br />

aber es kann kein Zweifel an der tatsächlichen Reinheit der Grundformen Quadrat<br />

und Kreis aufkommen. Diese wahren ihre Autonomie gegenüber dem Betrachter.<br />

In den Gärten Le Nôtres ist es umgekehrt. Die Formen sind auf das<br />

perspektivische Sehen zugeschnitten, häufig gestreckt und gedehnt, um ein<br />

unverzerrtes Bild zu ergeben.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 163, 164)<br />

Die optische Täuschung als Gestaltungselement Le Nôtres 130<br />

Alle großen Gärten Le Nôtres (1613-1700, R. C.) sind auf der Grundlage des<br />

Wissens um die optischen Gesetze der Verkürzungen, der Verzerrungen und<br />

Spiegelungen konzipiert. Damit hat sich dieser Gartenkünstler einem Problem<br />

gestellt, das die Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts so intensiv beschäftigte.<br />

René Descartes etwas verfaßte seine „Discours de la Dioptrique“, Abhandlungen<br />

über die Lehre von der Brechung der Lichtstrahlen, und dabei interessierten ihn<br />

besonders Probleme der optischen Täuschung. Le Nôtre nutzte solches Wissen<br />

zu künstlerischen Zwecken: zur Schaffung von Harmonie, die jedoch – im<br />

Unterschied zur Kunst der Renaissance – auf Illusionen beruht. Illusionismus aber<br />

gehört definitorisch zu Kunst des Barockzeitalters.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 163, 164)<br />

André le Nôtres Beherrschung der „Tiefbau“-Technik 131<br />

Bei den gewaltigen Erdverschiebungen und Geländemodellierungen, die mit der<br />

Anlage seiner Gärten einhergingen, griff Le Nôtre (1613-1700, R. C.) auf<br />

Erfahrungen zurück, die man bereits seit einem Jahrhundert im Festungsbau<br />

gesammelt hatte. Dem Festungsbaumeister Vauban stellte sich ein ähnliches<br />

Problem wie dem Gartenkünstler: die Kontrolle des Raumes; hier nach der<br />

Reichweite der Feuerwaffen, dort nach der Reichweite des Blicks. –<br />

Unübersehbar sind in Le Nôtres Gärten die Bezüge zu den großen<br />

Verkehrsprojekten, insbesondere zu den Kanälen, die als neue Handelswege das<br />

Königreich durchzogen und ein Fundament merkantilistischer Politik unter Louis<br />

XIV. bildeten.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 170)<br />

André le Nôtre: Fläche und Weite statt Raum und Höhe 132<br />

Le Nôtres (1613-1700, R. C.) Gründe waren einzig und allein sachlich begründet:<br />

Die wunderbaren Gärten Italiens waren dem Raum und damit auch der Höhe<br />

verpflichtet und nicht allein der Fläche und Weite, wie man es in Frankreich hielt.<br />

Dort versuchte Le Nôtre, so etwas wie ein monumentales Naturgemälde zu<br />

entwerfen, das allenfalls Züge eine Reliefs aufwies.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 186)<br />

41


Die Rolle des Wassers im Barock-Garten 133<br />

Wasser ist eines der wichtigsten Elemente des Barockgartens. Es fließt und<br />

plätschert in Bassins, Teichen und Rinnsälen, über Buffets, um Theater, an<br />

Laubbögen und Spalieren vorbei, steigt in Fontänen auf, erzeugt<br />

Wasserspiele oder tröpfelt leise über künstliche Grotten.<br />

(Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt,<br />

Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 47)<br />

Der Französische Garten: „Konstruktion von Ordnung“ 134<br />

Natürlich spiegelt der Französische Garten den Stand der Naturbeherrschung im<br />

17. Jahrhundert, nicht zu trennen von den gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen.<br />

Die Strukturen, die Le Nôtre aufprägte, haben ihre Entsprechungen im<br />

streng reglementierten höfischen Zeremoniell mit seinen Mechanismen der<br />

Kontrolle und Bändigung. Im Garten wie in der Gesellschaft bezieht sich die<br />

Modellierung der Formen auf das zentrale Problem des Barockzeitalters: die<br />

Konstruktion von Ordnung. Diese auch in der Natur zu erkennen gehört zu den<br />

großen Wunschbildern der Epoche. René Descartes schreibt in einem Brief an<br />

Mersenne über die mathematischen Gesetze, „daß es Gott ist, der diese Gesetze<br />

in der Natur erlassen hat, so wie ein König Gesetze in seinem Reich erlässt.“ Als<br />

Kunstwerk konkretisiert der Garten das Wunschbild, das keineswegs nur dem<br />

König vorschwebte. Der Französische Garten zeigt eine offene Formensprache<br />

bezüglich der damals angestrebten beziehungsweise erreichten Herrschaftsverhältnisse.<br />

Der Englische Garten wird darauf mit einem Gegenmodell antworten.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 169)<br />

Barockgarten auch als Ausfluss der rationalistischen<br />

Philosophie in Frankreich 135<br />

Das im literarischen Klassizismus enthaltene rationalistische Prinzip offenbart sich<br />

auch in den Werken des Philosophen und Naturwissenschaftlers Descartes und<br />

zeitigt seit mehr als drei Jahrhunderten seine Auswirkungen auf die französische<br />

Denkart; schon sehr früh werden die Schüler in Frankreich mit der „heiligen Einheit“<br />

von These, Antithese und Synthese konfrontiert.<br />

Natürlich hält dieser Hang zur strengen Regel in der Gedankenformulierung und<br />

zur Analyse die Tendenz, nur dem Geist Genüge zu leisten und die Wirklichkeit zu<br />

verfehlen oder eine konstruierte Welt neben die Wirklichkeit zu setzen. In diesem<br />

Sinn bilden die Gärten „à la française“, wie sie Le Nôtre zur Zufriedenheit von<br />

Ludwig XIV. entworfen hat, über ihre Epoche hinaus ein deutliches Symbol dieser<br />

auf die Spitze getriebenen Art Logik. Als Gegensatz dazu kann etwa der englische<br />

Garten mit seiner naturähnlichen Anlage gelten<br />

(Guy Gouëzel, in: B. und C. Desjeux, G. Gouëzel, „Frankreich“, Stuttgart 1984)<br />

Der Französische Garten: Nachfolger der Französischen<br />

Kathedralen als technische Meisterleistung 136<br />

Für das Weltbild des Barockzeitalters ist der Französische Garten, nicht ablösbar<br />

von den Anlagen des Schlosses, ähnlich aussagekräftig wie die Französische<br />

Kathedrale für das Weltbild des Hochmittelalters. Der Vergleich erscheint gewagt,<br />

weil nach traditionellen Maßstäben die Gartenkunst weit unter der Baukunst<br />

rangierte, aber dieses Werfgefälle beginnt fraglich zu werden. (…) Die Kathedrale<br />

wie der Französische Garten repräsentieren jeweils für ihre Epoche Spitzenleist-<br />

42


ungen der Technik, basierend auf dem Stand der Wissenschaft. Vaux-le-Vicomte<br />

und Versailles ließen sich in ihren Dimensionen nicht mehr auf die Grundlage von<br />

Anschauung und traditioneller Handwerkstechnik realisieren. Modernste Methoden<br />

der Vermessung (und der Erdarbeit, R. C.) kamen zum Einsatz.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 169, 170)<br />

Frankreich: Barockgärten als Kunst und Wissenschaft 137<br />

Mit der Entstehung des französischen Gartens wurde die Gartenkunst als<br />

eigenständige Kunstgattung anerkannt – sie wurde zu einer Wissenschaft.<br />

Die grüne Architektur des Außenraumes entwickelte sich damit zum<br />

Kunstwerk, dessen Raumgerüst im Inneren der Anlage durch Parterres,<br />

Bosketts, Alleen, Kanäle und bauliches Schmuckwerk gegliedert war. Die<br />

barocke Allee führte die Gärten jener Zeit in die Landschaft und Wälder der<br />

Umgebung hinaus, erweiterte also den Garten auf das Land. Der Garten<br />

selbst sollte Ebenen erzeugen und insbesondere durch seine linearen<br />

Strukturen und langen Wasserachsen mit dem Himmel korrespondieren.<br />

Der Spiegelungseffekt und die Illusion der Verbindung der Hauptsymmetrieachse<br />

mit der Horizontlinie rufen diesen Effekt hervor.<br />

Französische Barockanlagen sind deshalb vom Schloss ausgehend über<br />

diese, ins „Unendliche“ führende Hauptachse im Wesentlichen in einer<br />

Richtung orientiert. Der Einfluss Frankreichs auf die europäischen Gärten<br />

des 17. und 18. Jahrhunderts kann nicht verleugnet werden, trotzdem<br />

entwickelten sich barocke Gärten in allen europäischen Ländern<br />

entsprechend der dort vorhandenen Bedingungen in abweichender<br />

Gestaltungsweise.<br />

(Ludwig Trauzettel, Barocke Gartenkunst, in: Unendlich schön, Das Gartenreich<br />

Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S. 59)<br />

Unterschiede zwischen italienischem Renaissance-<br />

Garten und französischem Barockgarten:<br />

statt Höhen und Tiefen „Oberflächen“ 138<br />

Zum Vergleich seien noch einmal Eindrücke aus italienischen Renaissance-<br />

Gärten – Villa d’Este, Villa Lante, Bomarzo – in Erinnerung gerufen: die Stimmung<br />

der schattigen Wäldchen, das Getöse oder Gurgeln des Wassers, auch das<br />

Eigenleben der Skulpturen, in denen sich Natur-Mythen verkörpern. Diese Orte<br />

scheinen verzaubert zu sein. In Vaux-le-Vicomte und Versailles ist die Natur<br />

entzaubert. Nichts mehr erinnert an ihre Urgewalten, ihre dunkeln Seiten, an ihre<br />

mythische Tiefe. Der Wald hat alles Wilde verloren. Gebändigt auch das Element<br />

des Wassers, stillgestellt als lichtreflektierende Spiegelflächen. Sie offenbaren am<br />

deutlichsten den Sinn der rigorosen Betonung der Oberflächen: Der Garten soll<br />

mit dem Himmel kommunizieren. In Versailles regiert der griechische Sonnengott<br />

Apollo, aber dieser Mythos erscheint gezähmt, säkularisiert durch die allzu offenkundige<br />

Instrumentalisierung zum Lob de Herrschers Louis XIV. Apollo repräsentiert<br />

die lichte, auch die vernunftmäßige Seite der Natur.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 172)<br />

43


Unterschiede zwischen italienischem Renaissance-<br />

Garten und französischem Barockgarten: Unterschiede in<br />

den Proportionen 139<br />

Aber der Französische Garten hat nicht nur diese strahlende Seite, er hat auch<br />

eine melancholische Kehrseite. Seine expansive Räumlichkeit machte nämlich<br />

den Menschen klein bis zu dem Grad, dass er auf die Größenordnung eines<br />

Punktes schrumpfte. Welch ein Unterschied zur Kunst der italienischen Renaissance,<br />

etwas zum großen Parterre der Villa Lante, in sich ruhend in seiner<br />

wahrhaft maßvollen Staffelung der Volumen. Im Französischen Garten ist das<br />

humanistische Proportionsideal aufgekündigt, und ihn an den Regeln eines Alberti<br />

(italienischer Gartenbaumeister der Renaissance, [1404-1472] R. C.) zu messen,<br />

bedeutet ein fundamentales Mißverständnis.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 172)<br />

Ludwig Börne: Trotz Hirschfeld finde ich die Tuilerien<br />

schön! (Auch Barockgärten sind Kunstwerke!) 140<br />

Mit so großer Mühe lernt und lehrt der Mensch so vieles und mancherlei zu<br />

keinem andern Zweck, als um sich und andern tausend Freuden zu verderben!<br />

Die Wissenschaft gleicht einer Chaussee, die ein schmales und ein langes Gefängnis<br />

ist, das man nicht verlassen darf, und rechts und links liegen die schönsten<br />

Felder und Blumenwiesen. Jede Kunstregel ist eine Kette, jedes Buch ein<br />

Tor – auch im anderen Sinne des Worts –, das sich hinter den Eingetretenen<br />

zuschlägt. Glücklich, die nichts wissen und nichts lesen! Wäre mir Hirschfelds<br />

Theorie der schönen Gartenkunst * bekannt, würde mir der Tuileriengarten<br />

wahrscheinlich abgeschmackt erscheinen; jetzt aber gefällt er mir, und ich werde<br />

ihn sehr loben. Er ist zweckmäßig eingerichtet, und die Zweckmäßigkeit zur<br />

Schönheitsregel zu erheben ist so bequem und wirtschaftlich, daß sie gewiß in<br />

vielen Kompendien der Ästhetik als solche aufgestellt sein wird. (Und dann eine<br />

interessante Beobachtung zum „Englischen Garten“, R.C.:) Engländern, die das<br />

Reisen lieben und also auch gern das Bild des Geliebten vor Augen haben, ist ein<br />

Garten ein Miniatureuropa, in dessen Zügen sie einen kleinen Schaffhauser<br />

Wasserfall, ein kleines Chamonixtal, einen kleinen Golf von Neapel mit Wohlgefühlen<br />

erblicken.<br />

(Ludwig Börne [1786-1837], Der Garten der Tuilerien. Aus: Gärten. Texte aus der<br />

Weltliteratur. Hrsg. von Anne Marie Fröhlich. © 1993 by Manesse-Verlag, Zürich, in<br />

der Verlagsgruppe Random House GmbH, München, S. 290)<br />

* (Christian Laurenz Hirschfeld [1742-1792]. „Apostel“ der Gartenkunst für Deutschland.<br />

Seine „Theorie der Gartenkunst“ erschien 1779-1785. Er propagierte im Gegensatz<br />

zum regelmäßigen französischen Stil die „gesunde Entwicklung“ des Englischen<br />

Gartens.)<br />

Die Ars Topiaria als Exzess des Barocks 141<br />

Hecken in Form Kugeln, Pyramiden, Bögen, später sogar in Tierform. Die<br />

Ars Topiaria ist ein Beweis für die Kunstfertigkeit der Gärtner; vor allen<br />

Dingen bezeugt sie den Triumph des Menschen über die Natur. Weil er sie<br />

unterwirft, kann der Mensch sie nach seinem Willen formen und gestalten.<br />

Gärten mit Topiaria haben eine deutliche Botschaft: Dieser Ort wird nicht<br />

der wilden Natur überlassen, der Mensch hat sie gezähmt. Unter Ars<br />

Topiaria versteht man den gezielten Formschnitt immergrüner Pflanzen zu<br />

vorgegebenen geometrischen Formen, Spiralen und so weiter, wie sie in<br />

der Natur nicht vorkommen. Von den einfachen Formen der Renaissance<br />

44


wie Kubus, Rombe oder Kugel, auf die man von der Beletage der Villen<br />

hinabsah, ist man schnell zu den Exzessen des Barock übergegangen und<br />

schnitt den Buchs in Tierformen oder noch gewagtere Gebilde. Die ersten<br />

Abbildungen von Topiaria erschienen 1499 in Venedig im<br />

„Hypnerotomachia Poliphili“, einem illustrierten Roman mit vielen<br />

Holzschnitten des Renaissancegartens. Hier werden Bäumchen in<br />

Kugelform, als Halbkugeln, Ringe oder Ovale vorgestellt. Ein bizzarer<br />

Formenkatalog, der zum Leitfaden für den italienischen Renaissancegarten<br />

wird. Diese Mustervorlagen waren das Markenzeichen der italienischen<br />

Gartenkünstler, bis sie von den monumentalen Pflanzenskulpturen der<br />

Franzosen verdrängt wurden. Schlussendlich wurden Pflanzen nur noch als<br />

grünes Baumaterial genutzt, was auf die Anfänge der architektonischen<br />

Ordnung zurückverweist, als es darum ging, die Natur in Stein<br />

wiederzugeben und Beispielsweise eine Säule nichts anderes darstellte als<br />

einen steingewordenen Baumstamm.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 372ff)<br />

Erste Integrationsversuche der Landschaft in die barocke<br />

Gartenarchitektur: A. J. Dézallier d’Argenville 142<br />

„Hingegen ist nichts Lustigers und Angenehmers in einem Garten als ein guter<br />

Prospect oder Aussicht nach einer schönen Landschafft. Die Lust zu Ende einer<br />

Allée oder von einem aufgeworffenen Erdreich, einer Terrasse auf die vier bis fünf<br />

Meilen in der Runde viele Dörffer, Wälder, Flüsse, Hügel, Wiesen und andere<br />

Dinge zu erblicken, so zu einer schönen Landschafft zu gehören, übertrifft alles<br />

dasjenige, was man allhier davon sagen könnte, und es sind solche Sachen,<br />

welche man selbst sehen muss, wenn man von ihrer Schönheit urtheilen will.“ *<br />

Diese Zeilen stammen von Antoine Joseph Dézallier d’Argenville, einem französischen<br />

Privatgelehrten, der sich aus Liebhaberei der Gartenkunst widmete. (…)<br />

Insgesamt nennt er fünf Punkte, die für die Anlage eines Gartens seiner Meinung<br />

nach grundlegend seien: 1. gesunde Exposition, 2. Bodengüte, 3. Wasser, 4.<br />

landschaftliche Aussicht und 5. Bequemlichkeit. Die oben zitierte Feststellung<br />

betraf natürlich den vierten Gestaltungspunkt. (…)<br />

Seine Empfehlungen und Begründungen zielen in mancher Hinsicht schon auf<br />

den Landschaftsgarten ab, wenngleich die freie Landschaft selbst noch nicht<br />

gestaltet, aber doch wenigstens bereits als sichtbarer Bereich in den Entwurf<br />

integriert werden sollte. (…)<br />

„Wenn man einen Garten anlegen will, so muß man betrachten, dass man sich<br />

mehr an die Natur als an die Kunst zu halten hat, von welcher letztern nichts mehr<br />

zu entlehnen, als was zur Verstärkung der Natur erreichen kann.“ *<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 228, 229)<br />

* (Antoine Joseph Dézallier d’Argenville [1680-1765], „La Théorie et le Pratique de<br />

Jardinage“ [1709-1713])<br />

45


3. Landschaftspark gegen Barockgarten: Ein politisches<br />

Programm (in England und Frankreich)<br />

Der Französische Barockgarten als Symbol französischer<br />

Adelsherrschaft 144<br />

Barocke Gärten werden auch als französische Gärten bezeichnet, denn das<br />

bekannteste Beispiel feudalabsolutistischer Gartenkunst wurde einst unter<br />

Frankreichs König Ludwig XIV. (1638-1715) in Versailles errichtet. Es<br />

handelt sich um formale Gärten, charakterisiert durch regelmäßige,<br />

geometrisch gegliederte Außenräume, die in der Regel auf das fürstliche<br />

Schloss ausgerichtet sind. Die Gestaltungsformen im Garten wurden bereits<br />

seit dem Mittelalter von geometrischen Prinzipien beherrscht, die in der<br />

Barockphase darin gipfelten, dass der Garten mit seinen Gestaltungselementen<br />

den strengen Architekturformen angepasst wurde. Die<br />

Außenanlage wurde als Erweiterung der Architektur des Schlossbaus<br />

aufgefasst. Nach damaligem Verständnis entwickelte sich der Pflanzenwuchs<br />

dafür zu frei und zu eigenständig, folglich wurden Bäume und<br />

Hecken beschnitten und den Formen der Architektur unterworfen. Das<br />

natürlich fließende Wasser wurde nach dem Willen des Gestalters in<br />

geometrisch begrenzte Becken gezwängt. Auf diese Weise sollte dem<br />

absoluten Herrschaftssystem, also auch der Herrschaft über die Natur<br />

Ausdruck verliehen werden.<br />

(Ludwig Trauzettel, Barocke Gartenkunst, in: Unendlich schön, Das Gartenreich<br />

Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S. 59)<br />

Der Französische Garten in der – ökologischen – Kritik 145<br />

Schon früh war der Französische Garten der Kritik ausgesetzt, am heftigsten und<br />

nicht selten haßerfüllt später von seiten der Verfechter des Englischen Gartens.<br />

Aber den einen gegen den anderen Gartentyp auszuspielen wurde schließlich<br />

zum Klischee, das sich bis in die jüngste Literatur hartnäckig behauptet. So konfrontiert<br />

beispielsweise der Philosoph Gernot Böhme in seinem Buch „Für eine<br />

ökologische Naturästhetik“ noch einmal den englischen Gartentyp als zukunftsweisendes<br />

Modell mit dem französischen: „Dieser entsprach nämlich genau der<br />

Naturbeziehung, die in Europa bis heute vorherrschend ist“, darauf gerichtet, „die<br />

Folgen der Selbsttätigkeit der Natur zu vernichten.“ (…) Böhmes Urteil beruht auf<br />

einer Projektion, insofern dem Barockzeitalter eine ursächliche Schuld an unserem<br />

gegenwärtigen ökologischen Desaster zugewiesen wird.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 154f)<br />

Gegen absolutistische Herrschaft und ihre künstlerischen<br />

Auswüchse 146<br />

Wenn Pope formuliert, „a tree is a nobler object than a prince in his coronation<br />

robe“ (der frei sich entfaltende Baum sei edler als ein Monarch in seinem Königsornat)<br />

* –, so artikuliert er damit eine Überzeugung, die in der Zwischenzeit Gemeingut<br />

geworden war. Die Aversion gegen die geradezu als pervertiert eingeschätzten<br />

künstlerischen Auswüchse absolutistischer Herrschaft war damit nicht<br />

nur eine Geschmacksfrage. Sie entsprach vielmehr dem Selbstverständnis einer<br />

sich aufgrund seiner parlamentarischen Verfassung als frei und daher überlegen<br />

46


empfindenden Nation. Die englische Vorliebe für das antike Rom fügte sich<br />

diesem Selbstverständnis gut ein.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 14)<br />

* (Alexander Pope [1688-1744], zit. n.: Frank Maier-Solgk, ebenda, S. 14)<br />

Französischer Barockgarten contra Englischer Landschaftspark:<br />

auch ein politisches Programm 147<br />

Die Abkehr des Landschaftsgartens von der „Unnatur“ des Barockgartens war<br />

demnach nicht nur eine ästhetische Frage, sondern mindestens ebensosehr auch<br />

von politisch-weltanschaulichen Gesichtspunkten motiviert. Im Sinne der alten<br />

Analogie von Garten und staatlicher Ordnung galt der barocke <strong>Park</strong> französischer<br />

Provenienz als Symbol verwerflicher absolutistischer Willkürherrschaft, das geometrische<br />

Raster, mit dem er die Natur überzog – nicht zuletzt auch die Praxis<br />

des Bäumestutzens –, als Exempel der Vergewaltigung von Natur und damit<br />

zugleich als Symbol politischer Unterdrückung. Versailles war das bekannteste<br />

Beispiel. Nirgendwo sonst war der Zusammenhang von Gartenkunst und Staatsform<br />

so augenscheinlich.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 11)<br />

Kritik an Versailles: Konflikt zwischen „Landadel“<br />

(z.B. Saint-Simon) und Zentralmacht 148<br />

Nachdem König Louis XIV 1682 seine Residenz von Paris nach Versailles verlegt<br />

hatte, gewann auch der Garten eine erhöhte Bedeutung als Schauplatz höfischer<br />

Repräsentation. Seine politische Botschaft wurde sofort begriffen; am klarsten<br />

vom Herzog von Saint-Simon, dessen Polemik noch heute von manchem Kritiker<br />

des Französischen Gartens wie ein Trumph gegen diesen ausgespielt wird. In der<br />

Sicht des Herzogs offenbaren die Anlagen den Despotismus des Königs: „Es<br />

gefiel ihm, die Natur zu tyrannisieren, sie mit dem Aufgebot der Kunst und der<br />

Staatskasse zu zähmen. (…) Die Gewalt, die hier überall der Natur angetan ist,<br />

wirkt abstoßend und erweckt Widerwillen.“ Die heftige Kritik des Herzogs ist indirekt<br />

auf die zentralistische Politik des Königs gemünzt, die ja nicht zuletzt auf die<br />

Entmachtung des französischen Adels zielte. Als Angehöriger dieser Klasse begriff<br />

sich Saint-Simon als ein Opfer, er war voreingenommen. Unsere heutige,<br />

historische Sicht kann nicht dieselbe sein.<br />

(Michael Brix, Französische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 168f)<br />

Versailles als das Beispiel für die Kritik 149<br />

In der Folgezeit entzündeten sich Diskussionen um gartenkünstlerische Gestaltungen in<br />

Frankreich und an feudalabsolutistisch regierten Höfen Europas stets am Beispiel von<br />

Versailles. Versailles wurde Synonym für den Typus des barocken Architekturgartens und<br />

ideologischer Gradmesser für Nähe oder Entfernung von absolutistischer Staatsführung.<br />

Abgelöst wurde er vom Rokokogarten, der in ganz Europa, zunächst ebenfalls nach<br />

französischem Vorbild, eigene Formen entwickelte. Das Rokoko als Stil von verspielter<br />

Heiterkeit, Sehnsucht nach Idylle und Intimität fiel in die Regierungszeit Ludwigs XV.<br />

(1723-1774).<br />

(Gabriele Uerscheln, Michaela Kalusok, Kleines Wörterbuch der europäischen<br />

Gartenkunst, Stuttgart 2003, Vorwort, S. 25)<br />

47


Landschaftsgarten = Natur = Freiheit 150<br />

Freiheit und Natur sind die sich ergänzenden Schlüsselbegriffe der Philosophie<br />

des neuen Landschaftsgartens. Denn gleich einem Urfaktum wurde dem menschlichen<br />

Geist die Abneigung gegen jede Einschränkung gewissermaßen als angeboren<br />

unterstellt. “The mind of man naturally hates everything that looks like a<br />

restraint upon it.” (Der Geist der Menschheit hasst natürlicherweise alles, das wie<br />

eine Einschränkung auf ihn aussieht) *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 14)<br />

* (Joseph Addison [1672-1744], The Spectator, London 1712, Nr. 412)<br />

Demokratisierung / Bürgertum in England: Der Wandel 151<br />

In einem Zeitalter zunehmender bürgerlicher Freiheiten empfanden die Betrachter<br />

die streng symmetrischen Anlagen, die schon Milton abgelehnt hatte, immer mehr<br />

als Ausdruck der Unfreiheit und Beschränkung. Vor seiner Thronbesteigung hatte<br />

schließlich auch der König eine Bill of Rights ratifizieren müssen, die die Autorität<br />

des Parlaments sowie die Rede- und die Wahlfreiheit garantierte. Als 1702 Anne,<br />

die zweite Tochter Jakobs II., die Nachfolge Williams III. antrat, sah man in ihrem<br />

strikt anglikanisch orientierten Nationalismus keineswegs einen Anlass zur Kritik –<br />

ganz im Gegenteil. Gleich nach ihrer Thronbesteigung ordnete sie an, dass ihre<br />

Gärten von allem befreit wurden, was als Import vom Kontinent gewertet werden<br />

konnte, wie etwa die übertrieben kunstvollen Blumenrabatten und komplizierten<br />

Heckenschnitte. (…) Der Garten wurde zum Symbol dieser neuen Freiheit, ein<br />

„durch Suche nach Harmonie privilegierter Ort, derart, dass im Menschen die<br />

kreative Kraft seiner Natur mit der striktesten Anwendung der Vernunft zusammenfällt,<br />

dass Überfluß und scheinbare Unordnung der Natur mit all ihren Launen<br />

und Geheimnissen sich mit der menschlichen Erfindungskraft paaren.“ *<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.170, 171)<br />

* (Michel le Bris, Journal du Romanticisme, Genf 1981)<br />

Soziale und politische Aspekte der englischen Gartenrevolution:<br />

Gegen Absolutismus, nicht unbedingt gegen<br />

Le Nôtre und seine Kunst 152<br />

Zunächst sollte man die sozialen und politischen Umstände näher betrachten. Ab<br />

Ende des 17. Jahrhunderts versuchte der englische Landadel, den Folgen des<br />

Bürgerkriegs und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Niedergang durch<br />

Landerwerb und Kultivierung von Brachland zu begegnen. So entstanden große<br />

Güter, die landwirtschaftlich intensiv genutzt werden konnten. Ziel war es, eine<br />

Landschaft zu gestalten, die den Lebensstandard des Volkes qualitativ verbesserte.<br />

Daraus erwuchs eine neue Einstellung gegenüber der Natur. (…)<br />

Von da an änderten viele Engländer ihre Einstellung zum französischen Garten,<br />

der diese Wohlstand verheißende Natur gestutzt und begradigt, kurz: vergewaltigt<br />

hatte. Der französische Garten als Symbol des Absolutismus konnte in England<br />

auf keine Zustimmung stoßen. (…)<br />

Die Blickrichtung englischer Gartenkünstler war anders ausgerichtet. Sie zielte auf<br />

den dynamischen Prozess der Natur, den es zu kultivieren, nicht aber zu organisieren<br />

und zu geometrisieren galt. In John Miltons Epos „Paradise Lost“ von 1667<br />

wird das Urbild eines Gartens als das Idealbild der Welt vorgestellt. Er trägt Züge<br />

48


eines Landschaftsparks, dessen Wesen in der sich selbst offenbarenden Natur zu<br />

erkennen ist.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 354)<br />

Entwicklungsantriebe für den Englischen Landschaftspark 153<br />

Der Begriff „englischer Garten“ wird im verallgemeinernden Sinne verwendet für<br />

Gärten, die nach englischen Vorbildern des 18. Jahrhunderts gestaltet sind. Die<br />

Geschichte des sogenannten englischen Gartens beginnt Ende des 17.<br />

Jahrhunderts mit einem Zusammentreffen von neuem Naturgefühl, neuer<br />

Naturästhetik, geändertem Gesellschaftsverständnis und ausgeprägten<br />

ökonomischen Interessen der Landbesitzer. Mit der Verdrängung des Ackerbaus<br />

durch die Schafweidewirtschaft, die Landbesitzern einen höheren Gewinn<br />

versprach, wandelte sich das Gesicht der englischen Landschaft deutlich: die<br />

Einhegung führte zu zusammenhängenden, großflächigen Ländereien, der<br />

Holzmangel zur Neuanpflanzung von Alleen, einzelnen Bäumen und<br />

Baumgruppen. Liberale, von freimaurerischem Gedankengut mitbeeinflußte<br />

Anschauungen des Landadels (Whigs) und aufklärerische bzw. liberale Ideen<br />

einzelner Persönlichkeiten aus dem Hochadel (Torys) trafen sich in dem<br />

gemeinsamen Wunsch, den gezirkelten Gärten französischen Typs etwas Neues<br />

entgegenzusetzen. Streng formale Gärten wurden als Ausdruck feudal-autoritärer<br />

Herrschaft interpretiert; ihm wurde der an Natürlichkeit und Erhabenheit orientierte<br />

Gartenentwurf als Ausdruck aufklärerischen, liberalen Denkens entgegengesetzt.<br />

Jedoch vollzog sich die Entwicklung des englischen Gartentyps nicht linear und<br />

programmatisch.<br />

(Gabriele Uerscheln, Michaela Kalusok, Kleines Wörterbuch der europäischen<br />

Gartenkunst, Stuttgart 2003, Vorwort, S. 26f)<br />

Der Englische Landschaftspark als Ort symbolischer<br />

„Gegenregierung“ 154<br />

Die country party wollte dagegen ihre Landsitze als den symbolischen Ort einer<br />

liberalen Gegenregierung verstanden wissen, als Rückzugsort für die besten<br />

Männer des Landes: „There, my retreat, the best companions grace, Chiefs out of<br />

war, and Statesmen out of place.“ (Dort, mein Rückzug, edle Gefährten, Führer<br />

ohne Krieg, und Staatsmänner ohne Herrschaftsgebiet)* Zur oppositionellen<br />

Gruppe gehörten neben Pope als geistigem Mittelpunkt Schriftsteller wie Jonathan<br />

Swift und John Gray, die Herausgeber der moralischen Wochenschriften Joseph<br />

Addison und Richard Steele, Politiker wie George Littleton, William Pitt und<br />

Richard Cobham, Bauherren wie Henry Pembroke und der Earl of Burlington und<br />

Architekten wie Charles Brigdeman und William Kent.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 14)<br />

* (Alexander Pope [1688-1744], Satiren II, 1733, zit. n.: Frank Maier-Solgk,<br />

ebenda, S. 14)<br />

Englands Aufschwung und die „neue Gartenkunst“ 155<br />

„Eine neue Gartenkunst hat sich gerade durchgesetzt: Sie ist so unglaublich<br />

erfolgreich …, dass man sämtliche großen <strong>Park</strong>s des Königreichs, die einst<br />

nach den Vorstellungen von Monsieur Kent angelegt wurden, neu gestaltet“.<br />

Diese Bemerkung aus dem Jahr 1734 von Sir Thomas Robinson, dem<br />

Diplomaten und großen Gartenliebhaber, illustriert die Erschütterung<br />

angesichts der neuen Gartengestaltung in England. 1704 hatte das<br />

49


Königreich Ludwig XIV. in Blindheim besiegt, die Agrarreform begann<br />

Früchte zu tragen, das Land gewann rasch an Reichtum, öffnete sich<br />

bereits der Industrie, eroberte riesige Territorien in Afrika, Amerika, Asien<br />

und Ozeanien und wurde so zur vorherrschenden Macht in Europa.<br />

Während der Kontinent noch unter dem Joch des Absolutismus stöhnte,<br />

sollte Großbritannien als parlamentarische Demokratie schon bald die<br />

Vorzüge des Liberalismus kennen lernen, für den sich Adam Smith<br />

einsetzte. Im Bereich der Wissenschaften erkannte John Locke Erhellendes<br />

über die Wahrnehmung, Carl von Linné stellte sein System der Natur vor<br />

und eröffnete mit seinen Genera plantarum neue Wege für die moderne<br />

Botanik. In diesem Kontext wird verständlich, dass der französische Garten<br />

mit seinen raffinierten Verzierungen, seinen Sandwegen und seinen irrealen<br />

Pflanzenskulpturen eine aufgeklärte englische Gesellschaft nicht mehr<br />

verführen konnte.<br />

(Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt,<br />

Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 122)<br />

Englischer Landschaftspark und englische Freimaurerei 156<br />

In England, wo 1717 die Londoner Großloge gegründet wurde, gehörte eine<br />

große Zahl der Bauherren und Architekten Freimaurerbünden an, und hier ist der<br />

Zusammenhang von freimaurerischem Gedankengut und der symbolischen Architektur<br />

des Landschaftsgartens wohl auch besonders eng. Brüderliche Menschenliebe,<br />

Freundschaft, Weisheit, Wahrheit und Tugendhaftigkeit, auf solchen Grundsätzen<br />

der spekulativen Freimaurerei gründete das Humanitätsideal, das in den<br />

Gesamtkunstwerken der englischen Landsitze Gestalt annahm.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 49f)<br />

Der Englische Landschaftspark als politische<br />

und künstlerische Manifestation 157<br />

Einst debattierten die führenden Köpfe unserer Nation über die Gestaltung der<br />

grünen Räume rings um ein Haus. Englische Landschaftsgärten galt es zu „lesen“<br />

als Manifeste gegen die Pflanzendressur des französischen Absolutismus. Die<br />

Kurve eine Weges, die Bucht eines Sees, die inszenierte Zwanglosigkeit einer<br />

Baumgruppe illustrierten damals politische Standpunkte: Der Essayist Alexander<br />

Pope pflanzte in seinem Garten in Twickenham ein „Abbild einer idealen Gesellschaft“.<br />

Auch heutige Gärten sollten Stellung beziehen, Ideen ausdrücken, Denkanstöße<br />

geben – sie sollten Gegenwartskunst sein, gleichberechtigt neben Malerei,<br />

Dichtung, Theater, Musik.<br />

(Stephen Anderton, Gartenkorrespondent der Londoner „Times“ und Gründungsmitglied<br />

der englischen Gärtner-Avantgarde „ThinkinGardens“)<br />

Englische Politik und englische Landschaft als<br />

Geburtshelfer des Landschaftsparks 158<br />

Die revolutionären Neuerungen in der Gartenkunst am Beginn des 18.<br />

Jahrhunderts waren Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen<br />

zwischen dem Handels- und Finanzbürgertum, den Whigs, und der<br />

britischen Feudal-Aristokratie, den Tories. Für die den Ideen der Aufklärung<br />

verbundenen Whigs war die freie Natur Ausdruck freiheitlicher Gedanken,<br />

und so bildete sich in Ablehnung der strengen Regeln unterworfenen<br />

barocken Bau- und Gartenkunst ein völlig neues Naturgefühl heraus.<br />

50


Zunächst entstanden in der Umgebung Londons und dann im ganzen Land<br />

der Natur nachempfundene Gärten mit Bauwerken in klarer, einfacher<br />

Architektur nach Vorbildern der Antike und der Renaissance. Die durch<br />

jahrhundertelange Schafbeweidung und Entwaldung mit Solitärbäumen<br />

bestandene grüne Insel bot für die Anlage der neuen Landschaftsgärten, in<br />

die die Herrensitze eingebettet schienen, ideale Voraussetzungen.<br />

(Ludwig Trauzettel, Der englische Landschaftsgarten, in: Unendlich schön, Das<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.<br />

173)<br />

Chr. F. Weiße 1781: Der Englische Landschaftspark als<br />

Gegenentwurf zum Barockgarten 159<br />

In neun Strophen feierte er (C. F. Weiße, R. C.) den englischen Garten und<br />

verdammte jede Form der „eitlen Pracht“:<br />

„Nein, nein; ich will in Tal und Wald,<br />

Auf Hügeln und beblümten Auen<br />

Sie in der freiesten Gestalt,<br />

In ihrer wilden Anmut schauen“ usw.<br />

Daß von Weiße so heftig polemisiert und geworben wurde, hatte natürlich tiefere<br />

Gründe: stand der französische Garten doch für das absolutistische System,<br />

während die englische Art, mit der Natur umzugehen, das aufgeklärte Denken<br />

repräsentierte. Gärten und <strong>Park</strong>s waren zum politischen Symbol geworden.<br />

(H. Sarkowicz, Vorwort zu: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s,<br />

Frankfurt 2001, S. 10)<br />

Bürgerlicher (und adliger!) Antiabsolutismus in England als<br />

Entwicklungselement des Englischen Landschaftsparks 160<br />

Der Landschaftsgarten entstand ab 1720 im Umkreis Londons, wo Dichter, Handelsherren,<br />

Militärs und Politiker Landhäuser, stadtnahe Villen und Gärten anzulegen<br />

begannen. Eine antiabsolutistische Haltung führte zur strikten Ablehnung des<br />

formalen Gartens im französischen oder holländischen Geschmack: „Fürstliche<br />

Laune hat all das erfunden, und höfische Sklaverei und Abhängigkeit hält es am<br />

Leben“, schrieb schon 1711 der Naturphilosoph Shaftesbury, der sich als erster<br />

über die „formal mockers of princely gardens“ – das eitle Gehabe der Fürstengärten<br />

– lustig machte und damit gegen das allgegenwärtige Vorbild vom<br />

Versailles protestierte. Wo individuelle Freiheit aus dem Naturrecht begründet<br />

wurde, konnte umgekehrt unberührte Natur zum Freiheitssymbol werden.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 176)<br />

Französische Barockgärten = Gartenarchitekt –<br />

Englische Landschaftsparks = Landschaftsgärtner 161<br />

Das Wort „gestalten“ bringt uns auf den Architekten. Es erinnert uns daran,<br />

dass es lange Zeit die Baumeister waren, die die Gärten angelegt haben,<br />

und noch heute wird der Titel des Landschaftsarchitekten denjenigen<br />

zuerkannt, die sich in ihrem Studium mit der Gartengestaltung befasst<br />

haben. Man beachte aber, dass das Wort „Landschaftsgärtner“, landscape<br />

gardener, aus dem Englischen kommt und man dort nicht<br />

„Landschaftsarchitekt“ sagt, worin die Unterschiede in der Auffassung<br />

beider Länder bezüglich ihrer großen Gartentraditionen deutlich werden.<br />

Die eine Richtung ist eng angelegt an André le Nôtre und seinen klar<br />

51


strukturierten Garten, der andere an Capability Brown, der Popes Lehre<br />

befolgte. Doch Brown und mit ihm alle Landschaftsgärtner des 18.<br />

Jahrhunderts haben ihre Gärten ebenfalls weitgehend gestaltet. Da sie die<br />

geometrischen Formen aufs Schärfste verurteilten, haben sie Flüsse<br />

gestaut, um Seen anzulegen, Wälder gerodet und ausgelichtet, Felsen an<br />

andere Stellen versetzt, Wasserfälle geschaffen – und all das, damit die<br />

Natur endlich „sie selbst“ sei.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser<br />

[Text], Die schönsten Gärten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 10f)<br />

Englischer Landschaftspark contra Französischer<br />

Barockgarten: „Garten der Freiheit“ 162<br />

War das der Natur geradezu entgegengesetzte und sorgfältig aus ihr ausgegrenzte<br />

barocke Gartenkunstwerk Symbol mathematisch-kosmischer Gesetzlichkeit<br />

und hierarchischer Staats- und Weltordnung, so sollte der neue Landschaftsgarten<br />

gerade umgekehrt die Grenzen zur freien Landschaft vergessen<br />

machen und all ihre Naturschönheiten – Hügel, Täler, Wiesen, Bäche, Bäume,<br />

Teiche und Waldstücke – in sich aufnehmen: Als Kunstwerk zugleich konzentriertes<br />

und idealisiertes Abbild der Schöpfung und Ausdruck einer neuen,<br />

liberalen Paradies-Vorstellung.<br />

So bekam der Landschaftsgarten – nicht nur in England, sondern bald in ganz<br />

Europa – mehr oder minder die Bedeutung eine „Gartens der Freiheit“.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 176f)<br />

Gegensatz Französischer Barockgarten und Englischer<br />

Landschaftspark 163<br />

Die vielschichtigen Bedeutungen und sinnhaften Bezüge, die der Garten als Motiv<br />

in der Literatur in zunehmendem Maße entwickelte, waren die logische Folge der<br />

politischen und sozialen Realität. Sie nährten und erklärten sich aus dem spannungsgeladenen<br />

Verhältnis zwischen dem Französischen und dem Englischen<br />

Garten oder auch Landschaftspark, der sich seit 1720 als oppositionelle Haltung<br />

zu jenem durchzusetzen begann. Während die geometrisch beschnitte Vegetation,<br />

die geraden Linien und die Ausbreitung auf der Ebene, die das französische<br />

Modell charakterisieren, zum Symbol mathematisch-kosmischer Gesetzlichkeit<br />

und schließlich auch zum Sinnbild des absolutistisch-autoritären Herrschaftssystems<br />

wurden, war der Englische Garten der Gegenentwurf einer sich langsam<br />

aufklärenden Welt. Das die freie, ungestaltete Natur nachahmende Modell aus<br />

England assoziierte entsprechend die die Befreiung des Menschen aus den<br />

Zwängen von Herrschaftswillkür und Unterdrückung und wurde für eine liberaldemokratische<br />

Staatsauffassung mit individuellen Entfaltungsmöglichkeiten in<br />

Anspruch genommen.<br />

(Martin Maria Schwarz, Tugendbrunnen, Wahnbild und Disneyland – Englischer und<br />

Französischer Garten in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, in: H. Sarkowicz<br />

(Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 234)<br />

Stowe und Palladio: Ein nationaler Aufbruch (England) 164<br />

Die arkadischen Landschaften in Stowe waren nicht ausschließlich für jene gedacht,<br />

die die Freuden des Landlebens genießen wollten, sondern riefen auch die<br />

Größe Englands ins Bewusstsein und suchten, sie zu verewigen. Vielleicht war<br />

einer der Gründe für das hohe Ansehen, das Palladios Architektur bei den Großgrundbesitzern<br />

jener Zeit genoß, die Tatsache, dass sie sich mit den venezia-<br />

52


nischen Adligen des 16. Jahrhunderts identifizieren konnten. Diese waren nicht<br />

nur bemüht, ihre Gärten zu verschönern, sondern hatten sich der Aufgabe verschrieben,<br />

Venedig zur größter Seemacht der Welt zu machen.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.174)<br />

England: Palladio (= Einfachheit) contra Barock 165<br />

Wiederum war es dann aber Burlington selbst, der bei der Verbreitung des Stils in<br />

England eine Hauptrolle spielte. Seiner Variation von Palladios berühmter Villa<br />

rotonda (1725) in Chiswick folgte eine große Zahl von Bauwerken im Geiste<br />

klassischer Einfachheit. Der Stil entsprach dem Wunsch nach Schlichtheit und<br />

Dezenz und war in seiner nüchternen Strenge der barocken Pracht in ihrem<br />

zügellosen Überfluß entgegengesetzt. Wie in seiner Art der <strong>Park</strong> brachte er die<br />

gewünschte antimonarchische Grundtendenz zum Ausdruck und galt in seiner<br />

Klarheit und Einfachheit als Muster von Natürlichkeit. Darüber hinaus war der Stil<br />

durch den antiken Ursprung gerechtfertigt.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 15)<br />

England „übersprang“ Barock und Rokoko 166<br />

Während in Italien, Spanien, Österreich, Frankreich und auch in<br />

Deutschland der Barock bzw. das Rokoko kräftig Fuß fassen konnten,<br />

wurde in den Niederlanden, vor allem aber in England diese Epoche<br />

weitgehend übersprungen. Dort bekannte man sich bereits zu einem<br />

Klassizismus, der an die Baukunst der Renaissance, namentlich des<br />

Baumeisters Andrea Palladio, anknüpft. Die einfache, klare und<br />

unkomplizierte Formensprache des palladianischen Klassizismus entsprach<br />

am ehesten der rationalistischen, „vernünftigen“ Denkweise des<br />

Bürgertums.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 6)<br />

Palladianismus in England als „politischer“ Stil 167<br />

Wie einleitend bemerkt, wird zum bevorzugten Stil der Landvillen der aus England<br />

importierte Neopalladianismus in seiner in Deutschland von Erdmannsdorff, Friedrich<br />

Gilly, Langhans, später von Schinkel und Klenze weiterentwickelten klassizistischen<br />

Form. Es ist der Stil, der in seinem nüchternen, einfachen und zugleich<br />

würdevollen Charakter der Weltanschauung und dem Selbstverständnis der aufgeklärt-liberalen<br />

Bauherren in England am meisten entsprach. Insofern war er das<br />

Muster eines „moralischen“ Architekturstils, der der „unmoralischen“ verschwenderischen<br />

Opulenz des Barock entgegen gesetzt war.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 45)<br />

Auch in Frankreich: Ende des Barockgartens (Laugier) 168<br />

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich die Meinung durch, dass<br />

die Gartengestaltung nicht länger an Ideen eines Dézallier d’Argenville festhalten<br />

müsse. In seinem Essai sur l’Architecture von 1755 zeigte sich Abbé Laugier besorgt<br />

darüber, dass die Gartenkunst zu sehr von der Architektur abhängig sei und<br />

die Spaziergänger nun endlich wieder „den Schatten, die Rasenflächen und die<br />

53


Bäche, die verschiedenen Aussichtspunkte und die unterschiedlichen Panoramen<br />

mit ihrem naturbelassenen Ambiente genießen“ können sollte.*<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.198)<br />

* (Marc-Antoine Laugier [1713-1769], Essai sur l’architecture, Paris 1775)<br />

Ende des Barockgartens in Frankreich: Viel Verfall 169<br />

Denn die meisten großen Anwesen jener Zeit verfügen immer noch über<br />

traditionelle Gärten, die zunehmend vernachlässigt wurden.<br />

„Alles in ihnen ist schön, und das Auge ist entzückt; aber dieses Entzücken<br />

verfliegt rasch. … Die Bäume sehen müde aus, die Hecken sind ermattet, die<br />

Wege sind zu zerfurcht, als dass man auf ihnen spazieren gehen könnte, das<br />

Gras ist krank, hochgeschossenes Heu statt saubere Rasenflächen, … lächerliche<br />

Pflanzen, traurige Hecken ohne Sinn und Zweck, und drum herum Mauern,<br />

die den Blick auf umliegende Landschaften verstellen.“ *<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.201)<br />

* (Charles Joseph Fürst de Ligne [1735-1814], Coup d’œil du Belœil 1781)<br />

Die Überbauung und Zerstörung der Barock-Gärten 170<br />

Jahrzehnte vor der die damalige gesamte zivilisierte Welt erschütternden Französischen<br />

Revolution, die 1789 mit dem Sturm auf die Bastille ihren Anfang nahm,<br />

fand die Revolution in den Gärten statt. Vielleicht weniger grausam, aber nicht<br />

weniger verlustreich! Ein barocker Garten nach dem anderen wurden „überformt“,<br />

wie wir es heute verharmlosend nennen – beides, die Zerstörung und den<br />

Neuaufbau in einen Begriff fassend. Manchmal überstehen diesen Neugestaltungseifer<br />

eine Allee, ein Kanal, aber meist gehen die „Revoluzzer“ so radikal vor,<br />

dass die alten Geometrien nur noch Archäologen nachvollziehen können.<br />

Wie konnte das geschehen? Großen Revolutionen pflegen kleine vorauszugehen,<br />

und eine solche hatten wohl einige Maler (genannt werden im weiteren Text<br />

Claude Lorrain [1600-1682], sowie die Holländer Saloman [1600-1670] und Jakob<br />

Isaac van Ruisdael [1619-1682], R.C.) der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts<br />

angezettelt, also mitten im Barock, als die Gärten noch abgeschirmt waren vom<br />

äußeren, feindlichen Umfeld mit Mauer oder Graben, geplant mit Zirkel und<br />

Lineal, mit Reißschiene und Kurvenschablonen, ausgeführt und aufwändig<br />

gepflegt mit Heckenschere und Leitergerüsten. (…)<br />

Den Malern folgen die Literaten, die Philosophen, allen voran die Franzosen. Da<br />

ist Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), der einen „Erziehungsroman“ * schreibt,<br />

um den Eltern dieser Generation zu sagen, wie die Jugend zum Gebrauch des<br />

Verstandes unterwiesen werden, wie Freiheit gegenüber dem Staat, Aufgeklärtheit<br />

gegenüber der Religion und Gleichheit vor dem Gesetz als natürliche Grundlage<br />

jeden Denkens vermittelt werden kann.<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 194, 194f)<br />

* (Jean-Jacques Rousseau, Emile oder über Erziehung, 1762)<br />

Schillers Attacke gegen den Barock-Garten 171<br />

Die Frage der Gartengestaltung – ob artifizieller französischer oder natürlicher<br />

englischer Stil – erhielt geradezu fundamentalen Charakter; der Garten wurde zu<br />

einem Sinnbild, das zur Beschreibung der unterschiedlichsten Lebensbereiche<br />

54


geeignet schien: „Darum stört uns jede sich aufdringende Spur der despotischen<br />

Menschenhand in einer freien Naturgegend, darum jeder Tanzmeisterzwang im<br />

Gange und in den Stellungen, darum jede Künstelei in den Sitten und Manieren,<br />

darum alles Eckige im Umgang, darum jede Beleidigung der Naturfreiheit in<br />

Verfassungen, Gewohnheiten und Gesetzen.“ *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 19f)<br />

*(Friedrich Schiller [1759-1805], Kallios oder über die Schönheit, 1753, zit. n.: Frank<br />

Maier-Solgk, Andrea Greuter, ebenda, S. 19f)<br />

Fußnote von Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, ebenda, S. 207:<br />

Auch die Parallelität von Gartenkunst und Dichtkunst hat Schiller hervorgehoben:<br />

„Die Gartenkunst und die dramatische Dichtkunst haben in neuern Zeiten ziemlich<br />

dasselbe Schicksal (…) Dieselbe Tyrannei der Regeln in den französischen<br />

Gärten und in den französischen Tragödien; dieselbe bunte und wilde Regellosigkeit<br />

in den <strong>Park</strong>s der Engländer und in ihrem Shakespeare (…)“ *<br />

*(Friedrich Schiller [1759-1805], Zerstreute Betrachtungen über verschiedene aestetische<br />

Gegenstände, Werke und Briefe, Bd. 8, S. 487, Frankfurt/M. 1992)<br />

Schiller gegen den Barock-Garten 172<br />

Die Kritik am herrschenden Despotismus tritt schon zu Beginn in der Wahl des<br />

Gartenstils unmissverständlich zutage. Schiller läßt die Königin über die „prächtige<br />

Verstümmelung der Werke Gottes“ in den gerühmten Gärten von Aranjuez<br />

klagen. Zum Marquis Posa sagt sie:<br />

„Bewundern sie die glatten Buchenwände<br />

der Bäume banges Zeremoniell<br />

die starr und steif, und zierlich wie sein Hof<br />

in trauriger Parade um mich gähnen.“<br />

Der regelmäßige Garten als Sinnbild für ein abgelebtes politisches System ist in<br />

diesem Historienstück ein Kunstgriff Schillers, da er ein Bild des 18. Jahrhunderts<br />

in das im 16. Jahrhundert spielende Stück einbaut, in dem derartige Empfindungen<br />

nicht zu erwarten waren.<br />

(Martin Maria Schwarz, Tugendbrunnen, Wahnbild und Disneyland – Englischer und<br />

Französischer Garten in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, in: H. Sarkowicz<br />

(Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 239)<br />

Industrialisierung: Gärten als ästhetisierende Sichtblende? 173<br />

Der intensive Landbau, wie er seit 1750 betrieben wurde, begann das ohnedies<br />

bereits gefährdete Gleichgewicht zwischen Stadt und Land zu erschüttern, nachdem<br />

neue Gesetze in Kraft getreten waren, die es den Großgrundbesitzern erlaubten,<br />

Gemeindegrund einzuzäunen und zu bewirtschaften. Daher standen<br />

diese großen Gärten, in denen der Zauber der Illusion Platz machte, vielleicht in<br />

Verbindung mit „den höllischen Flammen der Schmieden von Coalbrookdale, den<br />

Slums, der Prostitution und den Verbrechen“ *, wie Michel Le Bris bemerkte. Sie<br />

konnten als Versuch gewertet werden, die Risse in der britischen Gesellschaft zu<br />

übertünchen, die Disraeli (1804-1881, R. C.) bald dazu führen würden, von „zwei<br />

englischen Nationen“ zu sprechen.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.177)<br />

* (zit. n.: Thomas Whately, Observations on Modern Gardening, London 1770)<br />

55


Der Englische Landschaftspark verdrängt auch in England<br />

den Barockgarten nicht ganz 174<br />

Die so genannte Gartenrevolution in England war nicht ganz so spektakulär wie<br />

häufig behauptet. Der englische Landschaftsgarten war auch nicht Folge des<br />

vermeintlich aussterbenden Barockgartens, der teilweise noch lange erhalten<br />

blieb und parallel zum Landschaftsgarten gepflegt und gefördert wurde. Der von<br />

Bridgeman gezeichnete Plan von Stowe, 1739 publiziert, zeigt noch die axialgeordnete<br />

Struktur mit geometrischen Parterres, die vom Herrenhaus ausgehen.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 352)<br />

Englischer Klassizismus springt auf Frankreich und<br />

Deutschland über 175<br />

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts reagierte auch das Bürgertum in<br />

anderen Ländern. Voltaire, Diderot und Rousseau waren es in Frankreich,<br />

Kant, Lessing, Herder und Goethe in Deutschland, die forderten, die Kunst<br />

solle groß, wahr, ideenreich und natürlich sein. Der in Stendal geborene<br />

Johann Joachim Winckelmann erhob die Forderung nach „edler Einfalt und<br />

stiller Größe“ auch in Beziehung auf die neue Baukunst. … Winckelmann<br />

forderte die Baumeister seiner Zeit auf, die Bauten der klassischen Epoche<br />

nachzuahmen, nicht zu kopieren. Nur die besten Baumeister konnten<br />

diesem hohen Anspruch an Schöpfertum gerecht werden. …<br />

In Deutschland war es Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf, der die frühe,<br />

die erste Phase des Klassizismus mit ebenso vornehmen wie kühlen<br />

Bauten einleitete. Carl Gottfried Langhans (1732-1808) und Friedrich Gilly<br />

(1772-1800) bauten schon monumentaler. Im Werk Karl Friedrich Schinkels<br />

(1781-1841), der selber nicht mehr die Misere der 48er Revolution<br />

miterleben musste, kulminiert dann der deutsche Klassizismus mit fast<br />

heiteren, weltoffenen Bauten.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 6)<br />

Der Siegeszug des Englischen Landschaftsparks in<br />

Deutschland 176<br />

Mehr noch als in Frankreich, das seiner hochentwickelten formalen Gartenkultur<br />

am längsten treu blieb, verfiel der deutschsprachige Kulturraum einer regelrechten<br />

Anglomanie. Die aufgeklärten deutschen Kleinfürsten seien die geeigneten Erben<br />

der englischen Landschaftsgartenidee, hatte schon der erste Chronist des englischen<br />

Stils, Horace Walpole, um 1770 in seinem Werk „On Modern Gardening“<br />

vermutet. Tatsächlich breitete sich in den kleineren, aber auch in manch größeren<br />

Residenzen Deutschlands der englische Gartentypus in den 1770er Jahren wie<br />

ein Lauffeuer aus.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 186)<br />

Leopold Franz, Fürst von Dessau: seine politische England-<br />

Schwärmerei 177<br />

Als ein zweites Vaterland, wo er (Leopold Franz, Fürst von Dessau, R. C.) von<br />

neuem geboren worden sei, bezeichnet er folglich England, das Land, da man ein<br />

ordentlicher Mensch werden könne. Kein Wunder, offenbarte sich Großbritannien<br />

den deutschen Anglophilen in seiner parlamentarischen Tradition um ein gutes<br />

56


Jahrhundert voraus, mit den zwei begehrtesten Exportartikeln, wie es treffend der<br />

renommierte Landschaftsgärtner Humphrey Repton vermerkt, der Verfassung und<br />

der Landschaftskunst. Bürgerliche Grundrechte, wie Gleichheit vor dem Gesetz,<br />

religiöse Toleranz, Meinungsfreiheit und Schutz des Privateigentums, wurden<br />

dem jungen Fürsten zu Wegweisern für seinen elend vor sich hindämmernden<br />

Kleinstaat.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 206)<br />

Die „gebrochene“ Übernahme des Englischen<br />

Landschaftsparks in Deutschland 178<br />

Weder in ihrer sentimentalen noch in ihrer klassischen Form sind die englischen<br />

Gärten in Deutschland einfach eine Kopie des Originals. Dies ist jedoch keine<br />

Überraschung. Selten zeigt sich die Übernahme eines Stils in einem anderen<br />

Land vollkommen konform mit dem Vorbild, vor allem dann nicht, wenn sie eine<br />

Generation später erfolgt. Modifikationen der ursprünglichen Vorlage sind zu<br />

erwarten, deren Hauptgrund in den – verglichen mit England – gesellschaftspolitisch<br />

rückständigeren Voraussetzungen zu sehen ist. Die Hausherren und<br />

Besitzer der <strong>Park</strong>anlagen in Deutschland waren – ganz anders als in England, wo<br />

sie zu einer bürgerlichen Schicht vermögender Landbesitzer gehörten, die ihre<br />

Landvillen ursprünglich als Entwürfe eines liberalen Weltentwurfs verstanden<br />

wissen wollten – zumeinst Fürsten, die ihre Kleinstaaten aller Aufklärung zum<br />

Trotz noch mehr oder weniger absolutistisch regierten. Deutschland fehlte weitgehend<br />

das in England wichtige politische Motiv, das die Freiheitssymbolik des<br />

natürlichen <strong>Park</strong>s auf eine entsprechende staatliche und gesellschaftliche Realität<br />

bezog. Es fehlte wohl auch das Selbstbewusstsein, das sich aus dem Gefühl der<br />

Zugehörigkeit zu einer Nation speiste, die sich politisch und ästhetisch auf der<br />

Höhe der Zeit wusste.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 19)<br />

Die adlige „Teiladaption“ des Englischen Landschaftsparks<br />

in Deutschland 179<br />

Da die Fürsten zunächst vielfach noch vom Selbstverständnis des Ancien régime<br />

geprägt waren und auf ihren Repräsentationsanspruch nicht völlig verzichten<br />

mochten, kam es etwa in Kassel, Schwetzingen, Charlottenburg, Nymphenburg<br />

und Sanssouci zu originellen Mischformen. Man fragte sich, „ob es denn unumgängliche<br />

nöthig [sei], wegen der Annehmlichkeiten, die ein englischer Garten<br />

bietet, die französischen ganz zu verwerfen“ (Freiherr von Racknitz, 1792).<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 186f)<br />

Deutsche Landschaftsparks: eher private „Idyllen“ 180<br />

Dagegen verweisen die deutschen sentimentalen Gärten in ihrem eher idyllischen<br />

Charakter auf die empfindsame Literatur der Zeit. In den Bildern der Naturidylle,<br />

die sie von dort übernahmen, war keine konkrete politische Freiheit gemeint. Freiheit<br />

meinte hier nun die des fühlenden, von gesellschaftlichen Rollenzwängen<br />

befreiten Individuums. Das Gefühl, die angemutete Stimmung war Selbstzweck,<br />

der keine Handlungsaufforderung zur Veränderung gesellschaftspolitischer Realitäten<br />

folgte. Dagegen besaßen die frühen Gärten in England (beispielsweise<br />

vermittels der Büsten von oppositionellen Politikern) eine deutlich politische,<br />

57


geradezu tagespolitische Stoßrichtung. Die in den empfindsamen deutschen<br />

Gärten angemuteten Philosophien und Dichtungen spiegelten dagegen zuallererst<br />

den privaten Bildungshorizont, die durch Büsten vergegenwärtigten Persönlichkeiten<br />

das ethische Ideal der Bauherren wieder.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 19)<br />

58


4. Englischer Landschaftspark gegen Französischer<br />

Barockgarten: Eine ästhetische Revolution<br />

Französisch und/oder Englisch:<br />

Das 18. Jh. als Jahrhundert der Gartenkunst 185<br />

Das 18. Jahrhundert kann man mit gutem Recht als Jahrhundert der Gartenkunst<br />

bezeichnen. Gartenlandschaft überflügelte damals sogar die traditionelle „Bauwut“.<br />

Gerade die glanzvolle Spätzeit des Ancien régime und die Morgendämmerung<br />

des aufgeklärten bürgerlichen Zeitalters führten die Gartenkunst im<br />

Diskurs um das Schlagwort „Natur“ zu Höchstleistungen. Im Widerstreit zweier<br />

weltanschaulich konkurrierender Modell, des streng formalisierten Barockgartens<br />

französischer Provenienz und des in idealen Bildfolgen frei komponierten englischen<br />

Landschaftsgartens, erhob sich Gartengestaltung zum Rang einer Kunst,<br />

die nicht mehr nur die traditionellen Ansprüche glanzvoller Repräsentation und<br />

höfischen Spiels, sondern auch die neuen utopischen Sehnsüchte und sentimentalen<br />

Bedürfnisse der Epoche zu befriedigen vermochte.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 175)<br />

Der „Englische Landschaftspark“ als Nachfolger des<br />

(erhaltenswerten) „Französischen Gartens“ 186<br />

Vier Hefte, vom 10. bis zum 31. März 1781, widmete „Der Kinderfreund“ diesem<br />

Thema, bis der Autor und Herausgeber Christian Felix Weiße endlich zu dem<br />

kam, was er wirklich auf dem Herzen hatte. Denn der aufgeklärte Dramatiker und<br />

Lyriker, dem das Lob des Landlebens immer leicht über die Zunge gegangen war,<br />

wollte seine jungen Leser für einen neuen Typus des <strong>Park</strong>s gewinnen. Die französischen<br />

Gärten nach dem Vorbild von Versailles oder Chantilly entsprachen nicht<br />

mehr dem Zeitgeist<br />

„Man sollte“, so Weiße, „diese großen prächtigen Gärten, die Fürstentümer<br />

gekostet haben, als Muster symmetrischer Gärten zu erhalten suchen, wenn man<br />

auch keine neuen nach ihren Mustern anlegen wollte.“ Was der „Kinderfreund“<br />

empfahl, war ein <strong>Park</strong>, der „die Natur zum Meister und Vorbilde“ nahm. Nicht nur<br />

die Menschen, auch Bäume, Sträucher und Blumen sollten als autonome Individuen<br />

erkannt und behandelt werden. Dem entsprach am ehesten der englische<br />

<strong>Park</strong>, wo „der Gartenkünstler auch solche Gegenstände, wie er sie in der Natur<br />

findet, zum besten Vorteile nützen, sie durch die Kunst verschönern, ihnen eine<br />

glückliche Richtung geben und aus so verschiedenen Dingen, unter allen möglichen<br />

Abänderungen, ein Ganzes herzustellen wissen“ soll.<br />

(H. Sarkowicz, Vorwort zu: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s,<br />

Frankfurt 2001, S. 9)<br />

Der Englische Landschaftspark als gestalterische<br />

Negation des Französischen Barockgartens 187<br />

Ihrer Entstehung nach sind die Kompositionsregeln des Landschaftsgartens<br />

zunächst die Negation dessen, was in den Gärten des Barock als maßgeblich<br />

galt. Elementare Grundmuster barocker Anlagen sind das noch aus der Renaissance<br />

übernommene Rechteck, das Quadrat oder gelegentlich auch der<br />

Kreis. Das Prinzip der Gesamtanlagen war das der Symmetrie. In Opposition<br />

dazu suchte der Landschaftsgarten die Mannigfaltigkeit und die Abwechslung und<br />

59


zeigt sich entsprechend unsymmetrisch, bewusst unübersichtlich, bewegt und<br />

vielfältig.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 36)<br />

Frühe Kritik am Französischen Barockgarten in England 188<br />

Schon lange vor der Jahrhundertwende hatte der Diplomat Sir William Temple<br />

1685 in seinem Buch Upon the Gardens of Epicurus die englischen (Barock-, R.<br />

C.) Gärten kritisiert, weil die Natur dort in ihrer Freiheit und damit ihrer Authentizität<br />

beraubt werde. Er wollte Gärten sehen, die die Beschreibung von Epikurs<br />

Garten zum Leben erweckten, in dem „die Süße der Luft, der Duft der Blumen und<br />

das Grün der Pflanzen … eine vollkommene Hilfe darstellen, um Geist und Gesundheit<br />

zu besänftigen, die Sinne und die Phantasie zu beleben und Körper und<br />

Geist in süße und angenehme Ruhe zu versetzen“. *<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.170, 171)<br />

* (Sir William Tempel, Upon the Gardens of Epicurus…, Works, Bd. 2, London 1720)<br />

Rousseau: Ende des Barockgartens als Programm 189<br />

Einige Jahre später, 1761, verkündet Jean-Jacques Rousseau die bevorstehende<br />

Befreiung der französischen Gärten und ihre Rückkehr zur Natur. In seiner „Julie<br />

oder Die neue Héloïse“ lässt er Monsieur de Wolmar, der Saint-Preux gerade<br />

seinen berühmten Garten in Clarens zeigt, sagen: „Sie sehen nichts Begradigtes,<br />

nichts Eingeebnetes; niemals kam eine Meßschnur an diesen Ort; die Natur<br />

pflanzt nichts nach der Schnur. Die Krümmungen mir ihrer scheinbaren Unregelmäßigkeit<br />

sind kunstvoll angebracht, um die Promenade zu verlängern, die Ufer<br />

der Insel zu verbergen, ihren scheinbaren Umfang zu vergrößern, ohne dass man<br />

jedoch unbequeme und allzu häufige Umwege nehmen müsste.“ *<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.198)<br />

* (Jean-Jaques Rousseau [1712-1778], Lettres de deux amants… [Julie ou la<br />

Nouvelle Héloïse], Amsterdam 1761)<br />

Renaissance-Gärten als Anregung für William Kent und<br />

Stourhead 190<br />

Die Palladio-Anhänger Englands beeinflussten auch die Entwicklung der<br />

Gartenbaukunst. Der Trend verlief in Richtung der Betonung der<br />

urwüchsigen Schönheit der Natur. Der eigentliche Schöpfer des englischen<br />

Landschaftsparks war der Maler William Kent (1685-1748), der entdeckt<br />

hatte, dass bereits die italienischen Renaissance-Gärten „wie gewachsen“<br />

in der Landschaft lagen. Im Englischen Garten versuchte er diesen<br />

Anspruch dadurch zu verwirklichen, dass er malerische Wäldchen bzw.<br />

Baumgruppen im Wechsel mit Wiesen- und Wasserflächen in die<br />

Landschaft komponierte, wobei verschlungene Wege stets neue,<br />

überraschende Ansichten erschlossen. In den Gehölzwänden wurden<br />

Statuen, Grotten und künstlich errichtete Ruinen verborgen. Der<br />

Landschaftspark von Stourhead, den auch die fürstliche Reisegesellschaft<br />

Anhalt-Dessaus besuchte, gehörte zu diesen frühen englischen<br />

Gartenschöpfungen.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 8)<br />

60


Die englische <strong>Park</strong>architektur und ihre Anregungen aus der<br />

alten chinesischen Gartenkultur 191<br />

Aber bald widersetzte sich der Geschmack der Aufklärung nicht nur dem domestizierten<br />

Barockgarten, sondern auch dem gekünstelten, maskierten Treiben auf<br />

den Liebesinseln im Rokoko. Das erstarkte Bürgertum mit Jean-Jacques<br />

Rousseau bediente sich auch in der Gartenkunst eigener Sprachformen. Unter<br />

dem Einfluß der alten chinesischen Gartenkultur entstand etwa um 1720 der<br />

„Englische Garten“, der dem liberalen Lebensgefühl der Angelsachsen entspricht.<br />

(…)<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im Spiegel der<br />

Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S.<br />

262f)<br />

Die englische <strong>Park</strong>architektur und ihre Anregungen aus der<br />

venezianischen „villeggiatura“ („ornamented farm“) 192<br />

Der Englische Garten entstand in enger Verbindung mit der Landwirtschaft und<br />

erinnert somit an die Kontakte mit der „villeggiatura“ im Veneto. Die Villen Andrea<br />

Palladios wurden in England vorbildlich. Das 1564 erschienene Buch „Le dieci<br />

giorante dell vera agricoltura“ von Agostino Gallo wurde in England aufmerksam<br />

studiert. Grundlegend waren die von William Kent (1684-1748) verwirklichten<br />

Vorstellungen eines „Englischen Garten“ in Claremont, Chiswick und Stowe. Zu<br />

den exemplarischen und am besten erhaltenen Landschaftsgärten zählt der <strong>Park</strong><br />

von Stourhead in Wiltshire, der aus einem baumlosen Wiesental mit zwei Quellen<br />

und einigen Fischtümpeln entstanden ist und mit seinen wohlproportionierten<br />

Baumgruppen und unauffällig verteilten Tempeln an klassisch-pastorale Landschaften<br />

von Claude Lorrain im 17. Jahrhundert erinnert. Der Dichter William<br />

Shenstone (1714-1763) prägte durchaus sinnvoll nach dem Vorbild des „Landschaftsmalers“<br />

den Begriff „Landschaftsgärtner“.<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im Spiegel der<br />

Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S.<br />

262f)<br />

Torquato Tassos „Zaubergarten” – ein Landschaftspark 193<br />

Und wie sie nun dem Labyrinth entwallen,<br />

Wird gleich der schönste Garten offenbart:<br />

Hier stille Seen, bewegliche Krystallen,<br />

Dort Bäume, Blumen, Kräuter aller Art,<br />

Besonnte Höhen und schatt’ge Thaleshallen,<br />

Und Grott’ und Wald, von einem Blick gewahrt;<br />

Und, was die Schönheit mehrt so holden Werken,<br />

Die Kunst, die alles schafft, ist nie zu merken.<br />

Es scheint – so mischt sich Künstliches dem Wilden –<br />

Als ob Natur den Garten angelegt,<br />

Und sich bestrebt, der Kunst ihn nachzubilden,<br />

die immer sonst ihr nachzubilden pflegt.<br />

(Schilderung von „Armidas Zaubergarten“ in Torquato Tassos [1544-1595] „Das befreite<br />

Jerusalem“ [1582]), zit. n.: Norbert Miller, William Beckford und sein Fonthill, in: H.<br />

Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 198)<br />

61


Frankreich: Programm gegen den Barockgarten –<br />

Romantik, Malerei, „Theater“ 194<br />

Für den Theoretiker Jean-Marie Morel, der den Umbruch in der Gartenkunst vorantrieb,<br />

sollte „… diese Kunst die Natur nicht künstlich wiedergeben, sondern die<br />

Gärten entsprechend den von der Natur selbst festgelegten Regeln gestalten“.*<br />

Für den Maler Claude-Henri Watelet hingegen bedeutete die Nachahmung der<br />

Natur immer noch, sie der Kunst zu unterwerfen. In seinem 1774 publizierten<br />

Essai sur le jardins nannte der Künstler drei Merkmale, auf denen jede Anlage<br />

beruhen sollte: das Malerische, das Poetische und das Romantische. Der Gärtner<br />

schafft das Malerische, indem er jeden Anblick in einem Garten angenehm gestaltet:<br />

„Er wird alle Möglichkeiten seiner Kunst ausschöpfen, um Spazierwege in<br />

einer intelligenten, attraktiven Art und Weise anzulegen. Er wird diese Wege hinund<br />

herwinden lassen, um Abstand zwischen Garten und Betrachter zu schaffen<br />

oder sie einander näher zu bringen – je nach der Absicht seines Entwurfes. Und<br />

er wird dafür Sorge tragen, dass der Wanderer Ruhe und Entspannung dort findet,<br />

wo sein Werk sich von der schönsten Seite zeigt.“ ** (…) Während die Kunst<br />

der Malerei die Komposition des Gartens beherrscht und die Poesie durch die<br />

Verwendung architektonischer Anspielungen bestimmte Szenen in Erinnerung<br />

ruft, appelliert das Romantische besonders an die Welt der Gefühle. (…)<br />

Diese malerische, poetische und romantische Sicht ermöglichte es, die Gärten<br />

nach englischem Vorbild zu gestalten, wobei eine weitere Neuerung eingeführt<br />

wurde. Die Neigung zur Emotion und Empfindsamkeit ließ die Illusion ohne Rückgriff<br />

auf allzu konkrete Elemente wirken. Im Garten spielte jeder seine Rolle auf<br />

einer ewig ländlichen Buhne, weil „… man mehr Grund hat, die wohlüberlegte<br />

Anlage eines <strong>Park</strong>s mit einer Theaterinszenierung zu vergleichen als mit einem<br />

Gemälde“ ***, schrieb sogar Watelet.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.201)<br />

* (Jean-Marie Mosel, Théorie des jardins, Paris 1776)<br />

** (Claude-Henri Watelet [1718-1786], Essai sur les jardins, 1774)<br />

*** (ebenda)<br />

England: Von Dichtern, Malern, Philosophen zu<br />

Landschaftsgärtnern 195<br />

Programmatische Aussagen bestimmten bald den Charakter der<br />

Gartenbilder, die entlang der Wege und Gartenräume inszeniert wurden.<br />

Der Betrachter sollte gezielt durch kunstvoll komponierte Landschaftsräume<br />

geleitet werden, die durch Sichtbeziehungen miteinander verbunden<br />

wurden. Waren dir frühen Gärten von Dichtern, Malern, Philosophen und<br />

dem Landadel selbst initiiert worden, so entwickelte sich nun der Beruf des<br />

Landschaftsgärtners. William Kent (1684-1748) und Lancelot „Capability“<br />

Brown (1716-1783) zählten zu den herausragenden Vertretern dieses<br />

Berufsstandes. Als Gegenströmung zu Browns sehr frei gestalteten<br />

Landschaften plädierte William Chambers (1723-1796) für einen erhabenen<br />

Garten, wandte sich gegen die wie natürlich ausgebildete Landschaft, die<br />

„sehr wenig von gemeinen Feldern verschieden“ ist und befürwortete mit<br />

seinem Mythos chinesischer Gartenkunst rasche Wechsel gegensätzlicher<br />

Stimmungsbilder.<br />

(Ludwig Trauzettel, Der englische Landschaftsgarten, in: Unendlich schön, Das<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.<br />

173)<br />

62


Schopenauer: Stourhead und der Traum von Arkadien 196<br />

„In Arkadien geboren sind wir alle, das heißt, wir treten in die Welt voll<br />

Ansprüche auf Glück und Genuss, und bewahren die törichte Hoffnung,<br />

solche durchzusetzen“. Dies schrieb Arthur Schopenhauer in seinem<br />

bekannten Werk Parerga und Paralipomena *. Wir alle streben nach Glück,<br />

und wir benötigen viele Jahre, um zu begreifen, dass dieser Begriff ein<br />

höchst zerbrechlicher ist. Doch selbst wenn wir das erkannt haben, geben<br />

wir uns immer noch alle Mühe, dieses Ideal zu erreichen. Das war gewiss<br />

auch der Traum von Henry Hoare, der begeistert von seiner großen<br />

Italienreise zurückkehrte und zum ideenreichen Schöpfer von Stourhead<br />

wurde, einem der wundervollsten englischen <strong>Park</strong>s des 18. Jahrhunderts.<br />

(Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt,<br />

Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 120)<br />

* (Arthur Schopenhauer [1788-1860], deutscher Philosoph)<br />

Kunst, Konversation und Müßiggang in Stourhead 197<br />

Für eine aristokratische Gesellschaft, die meist nur dem Müßiggang frönte,<br />

gehörte der Spaziergang im <strong>Park</strong> zu den großen Augenblicken eines<br />

Besuches oder eines Aufenthalts in einem country house. Es standen alle<br />

Möglichkeiten offen, den Weg zu Fuß, zu Pferde oder in der Kutsche<br />

zurückzulegen. William Kents Zeichnungen, mit denen er seine<br />

Auftraggeber beeindrucken wollte, zeigen fantasievoll ausgemalte Szenen<br />

dieser Art. So lauschen die Gäste beispielsweise einem Konzert in einem<br />

Miniaturtempel, nehmen eine Mahlzeit auf einer Insel ein, zu der sie in<br />

einem Boot übersetzen, erfreuen sich an der Tätigkeit des Angelns oder<br />

planschen in einem Badehaus im römischen Stil – vor allem aber kommen<br />

sie zusammen, um sich der Kunst der Konversation hinzugeben, was nicht<br />

heißt, dass sie sich nicht auch allein unter eine Pagode, in eine Rotunde,<br />

auf eine Steinbank oder in eine schattige Grotte zurückziehen, um zu lesen<br />

oder sich zu erfrischen. … Zwischen Kunst und gestalteter Landschaft<br />

bestehen enge Bande. Das Pantheon, das Flitcroft für Stourhead zeichnete,<br />

bezog seine Anregung aus Claude Lorrains Gemälde Aeneas an der Küste<br />

von Delos, und Henry Hoare selbst, der ein großer Liebhaber von<br />

Gemälden im italienischen Stil war, bezeichnete die Sicht vom Pantheon<br />

auf das Dorf, das er selbst erbauen ließ, als „bezauberndes Gemälde im Stil<br />

von Gaspar (Dughet)“. Auch die Literatur hatte ihren Platz im <strong>Park</strong> erhalten,<br />

denn es gab zahlreiche Anspielungen auf den Trojanischen Krieg, vor allem<br />

in Form von Inschriften auf diversen Monumenten.<br />

(Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt,<br />

Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 126)<br />

Der Englische Landschaftspark: Gefühl und Innerlichkeit<br />

als Ausgleich für Vernunft und ökonomische Effektivität 198<br />

Die Herrschaft bürgerlicher Vernunft und ökonomischer Effektivität brachte –<br />

namentlich in Kunst und Literatur – bald auch ihre Kehrseite hervor: die Entdeckung<br />

des Gefühls, der Affekte, der Innerlichkeit. Das empfindsame Zeitalter,<br />

die sentimentale Natursehnsucht, aber auch die Ästhetik des Schrecklichen und<br />

Erhabenen, die romantische Flucht ins Mittelalter, Neugotik und Schauerroman –<br />

all dies sind englische Exportartikel des 18. Jahrhunderts. Neben Italien wurde<br />

England nun wichtigstes Reiseziel. Der „bestseller“ des englischen Kulturexports<br />

– zugleich Schmelztiegel all dieser Ideen und Strömungen – war zweifellos der<br />

Landschaftsgarten, der nach seinem Mutterland auch „englischer Garten“ genannt<br />

63


wird. Der englische Gartenstil prägte die europäischen und nordamerikanischen<br />

<strong>Park</strong>s und Gärten fast zweihundert Jahre lang.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 175f)<br />

Naturreligiöses und freimaurerisches Gedankengut im<br />

Englischen Landschaftspark 199<br />

Unmittelbar mit der Freiheitsmetapher verbunden ist die naturreligiöse Dimension<br />

des Landschaftsgartens im Geiste des Deismus, so daß man die Gärten gleichsam<br />

als „Kathedralen der göttlichen Kultur“ im Zeitalter von Aufklärung und<br />

Empfindsamkeit verstehen kann. Nicht mehr aus der Bibel und dem Evangelium<br />

offenbare sich Gott. Der Große Baumeister aller Welten, wie er nun häufig heißt,<br />

werde vielmehr in der mit allen Sinnen aufgenommenen Schönheit seiner Schöpfung<br />

erfahrbar. Sie wird nicht nur über den Verstand, sondern auch durch Gefühl<br />

und Empfindung wahrgenommen. Entsprechend der sensualistischen Wirkungsästhetik,<br />

wie sie Edmund Burke in seiner Abhandlung über den Ursprung unserer<br />

Ideen vom Schönen und Erhabenen (1756) formulierte, galt es nun, in der Gartengestaltung<br />

das ganze Spektrum menschlicher Empfindungen angesichts der „göttlichen<br />

Natur“ hervorzurufen. Übrigens waren viele Bauherrn und Auftraggeber Mitglieder<br />

von Freimaurerlogen, jenen Bruderschaften, die sich 1717 in London zu<br />

einem Bund der Humanität zusammenfanden, um sich auf der Grundlage der<br />

neuen moralischen Werte der deistischen Naturphilosophie der Arbeit an der<br />

ethischen Selbstvervollkommnung des einzelnen und der Gemeinschaft zu widmen.<br />

So können etwa Freundschafts- und Tugendtempel, Altäre der Wahrheit,<br />

Einsiedeleien, Höhlen, Gräber und Scheidewege auf freimaurerische Vorstellungen<br />

hindeuten.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 181f)<br />

Rousseaus Kritik am Barock-Garten 200<br />

Man könnte glauben, die Natur sei in Frankreich anders beschaffen als in der<br />

ganzen übrigen Welt: So viel Mühe gibt man sich hier, sie zu entstellen.<br />

(St. Preux in Jean-Jaques Rousseau [1712-1778], Jolie ou la nouvelle Heloïse, 1761, zit.<br />

n.: Martin Maria Schwarz, Tugendbrunnen, Wahnbild und Disneyland – Englischer und<br />

Französischer Garten in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, in: H. Sarkowicz<br />

(Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 236)<br />

Hirschfeld gegen den Barock-Garten: Ermüdung, Langeweile 201<br />

Auf die Gartenkunst bezogen hat Hirschfeld den grundsätzlichen Gegensatz<br />

formuliert: „Noch eine widrige Wirkung der Symmetrie ist die Einförmigkeit und<br />

Langeweile, die von ihr unzertrennlich ist, und die der Bestimmung der Gärten<br />

gerade entgegen steht. Alles, natürliche und künstliche Gegenstände, alles sieht<br />

sich so gleich; keine Mannigfaltigkeit, keine angenehme Unterbrechung; alles ist<br />

auf einmal überschaut, auf einmal begriffen. Wir fühlen es, dass die Eindrücke<br />

bald ermatten, alle Kraft verlieren; wir wollen beschäftigt sein, und finden nichts,<br />

das uns mehr rührt; wir entwinden uns der Langeweile, indem wir hinaus in die<br />

freien Gefilde wandern, wo die Natur uns wieder mit der ihr eigenen Mannigfaltigkeit<br />

reizender Szenen ergötzt.“ *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 20)<br />

* (Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Bd. 1, S. 139)<br />

64


Stimmen gegen den Barock-Garten, für den Landschaftspark 202<br />

Die politische Interpretation der gegensätzlichen Gartenstile findet sich in zahlreichen<br />

literarischen Quellen. James Thomson dichtete in seinem Politepos „Die<br />

Freiheit“ (1736) über Versailles: „Verhaßte Formen!, die dem Auge aufgezwungen,<br />

das ganze Zeitalter verwirren, verrohen und korrumpieren.“ Im gleichen<br />

Sinne sprach der Maler Wilhelm von Kobell noch um 1800 vom französischen<br />

Schloßpark Nymphenburg bei München als dem „garstigen französischen Bankert.“<br />

Umgekehrt traute der Plöner Amtmann August von Hennings 1797 den<br />

idealen Naturbildern des Landschaftsgartens politische und moralische Kraft zu,<br />

die jeder Revolution vorzuziehen sei.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 177)<br />

Von Sckell gegen „Barock-Pflanzen“ 203<br />

„Welchen niedrigen Eindruck mussten nicht die widersinnig geschnörkelten Bux-<br />

Parterre, die wie Mauern geschnittenen Hecken, mit den verstümmelten Bäumen,<br />

denen die Schere nie vergönnte, ihre Blüthen hervorzubringen, im Vergleiche mit<br />

jenen Bäumen erwecken, die sich ihres freien Wuchses und de Entwicklung ihrer<br />

schönen malerischen Formen, ihrer Blüthen und Früchte erfreuen durften“ *<br />

schrieb Sckell noch 1825 in seinen „Beiträgen zur bildenden Gartenkunst“.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 54)<br />

*(Friedrich Ludwig von Sckell [1750-1823], Beiträge zur technischen Gartenkunst…,<br />

1818, 1825, Nachdruck Worms 1982, S. 4)<br />

William Kent: Der Maler als Gärtner 204<br />

Weil Kent, der begnadete Landschaftskünstler, auf dessen Ideen und Inspirationen<br />

die bedeutendsten Gärten wie Stowe in Buckinghamshire, Rousham in<br />

Oxfordshire oder Stourhead in Wiltshire basieren, ursprünglich Maler war, vermochte<br />

er müheloser als ein wahrhaftiger Gärtner mit seinen Arkadien Gemäldepanoramen<br />

eines Claude Lorrain zu verzaubern.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 207)<br />

John Milton, Ideengeber für den Englischen<br />

Landschaftspark 205<br />

Die Blickrichtung englischer Gartenkünstler war anders ausgerichtet. Sie zielte auf<br />

den dynamischen Prozess der Natur, den es zu kultivieren, nicht aber zu organisieren<br />

und zu geometrisieren galt. In John Miltons Epos „Paradise Lost“ von 1667<br />

* wird das Urbild eines Gartens als das Idealbild der Welt vorgestellt. Er trägt<br />

Züge eines Landschaftsparks, dessen Wesen in der sich selbst offenbarenden<br />

Natur zu erkennen ist.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 354)<br />

* (John Milton [1608-1674], Paradise Lost [1667])<br />

65


Mensch und Natur als ästhetisches „Umwelt“programm –<br />

oder: „Ästhetische Natur“ gegen „Instrumentalisierung“ –<br />

ein humaner Auftrag 206<br />

Es geht in meinem Verständnis um einen erweiterten Blick auf die Natur, der sie<br />

nicht nur als Objekt naturwissenschaftlicher Forschung und als ökonomische<br />

Ressource wahrnimmt. Selbst in ökologischer Perspektive wird Natur als unersetzliche<br />

Lebensbedingung instrumentell begriffen. Nur in ästhetischer Warte tritt<br />

die Natur, wie Martin Seel formuliert hat, „als unersetzliche Lebens-möglichkeit<br />

des Menschen auf den Plan. Die Ästhetik handelt von der Natur als einer ausgezeichneten<br />

Dimension selbstgenügsamer menschlicher Praxis. Ästhetisch wertvolle<br />

Natur ist nicht gut für die Erfüllung anderer Zwecke, sie ist ein Ort, wo es gut<br />

ist, zu sein. Darum ist die Erhaltung ästhetisch wertvoller Natur mehr als eine<br />

Erhaltung gedeihlicher Lebensdingungen, sie ist Erhaltung einer einzigartigen<br />

Form guten Lebens.“ * Das hat nichts mit romantischer Weltflucht zu tun.<br />

„Die Natur des Naturschönen“, resümiert Seel an anderer Stelle, „besteht in einem<br />

Wechsel seiner ästhetischen Attraktionen, der den Betrachter zum steten Wechsel<br />

seiner Einstellung gegenüber der Wirklichkeit verlockt.“ ** Die Schönheit der<br />

Natur ist also „unausweichlich an die Kontingenz, die Zufälligkeit, die von keiner<br />

Intention gelenkte Varietät ihrer Erscheinungen gebunden.“ *** Und eben dies<br />

macht deutlich, dass Naturbeherrschung als “Kontingenz-überwindung“ keine<br />

Voraussetzung für die Freiheit des Menschen in der von ihm geschaffenen Kultur<br />

sein kann auf Kosten einer freien Natur, „dass eine freie Kultur nur im Verzicht auf<br />

umfassende Weltaneignung gelingen kann.“ ****<br />

(Wolfgang Legler, Universität Hamburg, Rede zu einer Photoausstellung von Peter Klein<br />

in der Universität Hamburg am 17.01.07)<br />

* (Martin Seel, Ethisch-ästhetische Studien, Frankfurt/M. 1996; S. 203)<br />

** (Martin Seel, ebenda, S. 207)<br />

*** (Martin Seel, ebenda, S. 207)<br />

**** (Martin Seel, ebenda, S. 209)<br />

66


5. Exkurs: Außereuropäische Einflüsse: Islam,<br />

China, Japan<br />

Weltweite Befruchtung der Garten- und <strong>Park</strong>gestaltung 209<br />

Menschen haben die Fähigkeit, aus einer Idee ein Kunstwerk zu machen.<br />

So sind im Lauf der Jahrhunderte in Europa und Asien viele kunstvolle<br />

private <strong>Park</strong>anlagen entstanden, in jüngerer Vergangenheit auch in der<br />

neuen Welt. Meisterwerke von Menschenhand, geschaffen, um die Natur<br />

nachzuahmen und manchmal sogar zu verbessern. Es ist eine Erscheinung<br />

der Neuzeit, Gärten und <strong>Park</strong>s als Gestaltungsräume für herrschaftliche<br />

Residenzen zu nutzen, doch bewundernswerte Gartenanlagen gab es<br />

schon sehr viel früher. Die spanischen Eroberer berichteten beispielsweise<br />

von den sagenhaften schwimmenden Chinampas der Azteken, den<br />

einzigen bekannten präkolumbischen Gärten auf dem amerikanischen<br />

Kontinent. Die späteren Gartenkonzepte in der neuen Welt sind eine<br />

Mischung aus den landschaftlichen Gegebenheiten und aus Europa<br />

importierten Vorstellungen und Moden: Ein Schmelztiegel der Formen und<br />

Zitate. In Europa lebt die abendländische Gartenkunst mit dem<br />

florentinischen Humanismus und der Rückbesinnung auf die klassischen<br />

Ideale der römischen Antike wieder auf. Die meisterhaften Brunnenanlagen<br />

und Bewässerungssysteme der andalusischen Mauren treten einen<br />

Siegeszug um die ganze Welt an. Auch die Reisen vieler Künstler und<br />

Gartenarchitekten führen dazu, dass man sich weltweit wieder mit dem<br />

Thema „Garten“ beschäftigt. Seit dem 16. Jahrhundert ist Europa<br />

federführend in der Entwicklung der Landschaftsarchitektur, nur im nahen<br />

Osten und in den Ländern unter japanischem oder chinesischem Einfluss<br />

entwickelte sich eine eigenständige Tradition.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 34ff)<br />

Der spanisch-arabische Garten 210<br />

Ohne gesichert nachweisbaren Bezug auf etwa noch vorhandene Anlagen aus<br />

römischer oder westgotischer Zeit brachten islamische Eroberer aus dem Orient<br />

und Nordafrika die hochentwickelte Kultur ihrer Gartenkunst um 880 nach<br />

Spanien, wo sie sich insbesondere im zentralen Süden und Nordosten der<br />

Iberischen Halbinsel ihre grünen Paradiese anlegen ließen. Auf der Grundlage<br />

von umfassenden botanischen und damit verbundenen agrarischen Kenntnissen<br />

sowie fundierter Ingenieurskunst entwickelte sich eine landwirtschaftliche Kultur,<br />

die weite Flächen des Landes in fruchtbare Oasen verwandelte. Zum Teil aus<br />

römischer Zeit stammend, wurde eine Vielzahl von Nutz- und Zierpflanzen<br />

rekultiviert. Zu ebenso hoher Blüte reifte die Gartenkunst in herrschaftlichen<br />

Palästen und Stadthäusern hochrangiger Persönlichkeiten. Gemeinsames<br />

Merkmal dieser Anlagen war ihr urbaner Charakater. Selbst auf größeren Flächen<br />

wurden keine Gärten geschaffen, die als Ganzes zu übersehen waren, sondern<br />

ein Verbund kleiner geschlossener Anlagen. Als Modul für die Konzeption der<br />

einzelnen Gartenabschnitte diente in der Regel das Quadrat. Hiermit entsprachen<br />

die Gartenanlagen der aus dem Orient importierten städtischen Garten- bzw.<br />

Hofarchitektur, die gemäß der sozialen Struktur in islamischen Gesellschaften<br />

zum Hausinnern orientiert und nach außen, stadtwärts, deutlich abgeschlossen<br />

ist. Anders als in den Gärten beispielsweise der Mogule in Persien wurden analog<br />

zu den einzelnen Gartenabschnitten keine großdimensionierten Wasserbassins<br />

gebaut, sondern Brunnen und Kanäle. Ein weiteres Merkmal der Anlagen in<br />

67


Spanien war ihre häufige Einbindung in eine Terrassenarchitektur, die eine<br />

besonders reizvolle Aussicht auf die meist in den niedrigeren Terrassenabschnitten<br />

gelegenen Gärten gewährte. … Für das 10. Jahrhundert wird von<br />

Tausenden von Gärten in der Umgebung von Cordoba berichtet.<br />

(Gabriele Uerscheln, Michaela Kalusok, Kleines Wörterbuch der europäischen<br />

Gartenkunst, Stuttgart 2003, Vorwort, S. 12ff)<br />

Chinesische Anregungen: Schmuckelemente für die Natur 211<br />

Hier ist in erster Linie China zu nennen. Reiseberichte aus der ersten Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts erzählten von wunderbaren Gärten, die sich mit ihren Menagerien,<br />

gewundenen Pfaden, künstlichen Hügeln und Wasserläufen mit zierlichen<br />

Bogenbrücken wie Miniaturlandschaften ausnahmen. Diese chinesische Variante<br />

des englischen Gartens wurde bald zum Grundmotiv vieler europäischern<br />

Landschaftsgärten um 1800.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 354f )<br />

Die englische <strong>Park</strong>architektur und ihre Anregungen aus der<br />

alten chinesischen Gartenkultur 212<br />

Aber bald widersetzte sich der Geschmack der Aufklärung nicht nur dem domestizierten<br />

Barockgarten, sondern auch dem gekünstelten, maskierten Treiben auf<br />

den Liebesinseln im Rokoko. Das erstarkte Bürgertum mit Jean-Jacques<br />

Rousseau bediente sich auch in der Gartenkunst eigener Sprachformen. Unter<br />

dem Einfluß der alten chinesischen Gartenkultur entstand etwa um 1720 der<br />

„Englische Garten“, der dem liberalen Lebensgefühl der Angelsachsen entspricht.<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im Spiegel der<br />

Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S.<br />

262f)<br />

China-Nachahmung im 17. und 18. Jahrhundert 213<br />

Der seit dem Rokoko in Frankreich verwendete Begriff „Chinoiserie“<br />

bezeichnet eine Dekorationsform im „Chinageschmack“, die im<br />

ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert sehr beliebt war. Allerdings blieben<br />

viele künstlerische Zeugnisse dieser Chinamode aufgrund fehlender<br />

Auseinandersetzung mit der chinesischen Kultur rein formale Reflexe. Als<br />

im 16. Jahrhundert Seewege nach Asien entdeckt wurden, trat das ferne<br />

Land erstmals in das Blickfeld der Europäer. Chinesische Erzeugnisse<br />

gelangten auf den Kontinent, und Reisebeschreibungen vermittelten eine<br />

Vorstellung von China als dem Land des heiteren, spielerischen Lebensgenusses<br />

und hoch entwickelter Kulturleistungen. … Besonders das<br />

Rokoko entwickelte einen ausgeprägten Sinn für die fremdartige Motivwelt,<br />

und so wurden Chinoiserien im 18. Jahrhundert in Frankreich, Deutschland<br />

und England immer beliebter. … In der Architektur dieser Zeit fand die<br />

Chinoiserie ihren Niederschlag in zahllosen Pagoden wie im Chinesischen<br />

Teehaus in Potsdam-Sanssouci oder im Schloss Pillnitz. Vorlagen für die<br />

Chinoiserien boten den Künstlern zahlreiche Musterbücher. So hatte<br />

Thomas Chippendale in England das erste grundlegende Werk mit<br />

Möbelentwürfen herausgegeben, das eine Fülle chinesischer Motive<br />

enthielt. Eine Kompilation von Zeichnungen enthält das Werk des<br />

Architekten Sir William Chambers, das nach unmittelbarer eigner<br />

Anschauung nach dessen Chinareisen entstanden war und unter anderem<br />

68


im Gartenbereich, so in Oranienbaum, den wesentlichen Grundstock für die<br />

getreue China-Nachahmung des späten 18. Jahrhunderts bildete.<br />

(Wolfgang Savelsberg, Chinoiserie, in: Unendlich schön, Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.91)<br />

Gestaltungsregeln des japanischen Gartens 214<br />

Die japanischen Gärten, die lange Zeit unter dem Einfluss Chinas standen,<br />

erlebten ihre kreativste Phase vom 8. bis 16. Jahrhundert. In der zweiten<br />

Hälfte des 11. Jahrhunderts erschien ein Handbuch über die Gartenkunst,<br />

Sakutei-ki, in dem die grundlegenden Regeln vermittelt werden, wie etwa<br />

ein Garten zur Belebung der Natur führe, wie der Wunsch der Dinge –<br />

Wasserläufe, Inseln, Stein, Holz – respektiert und die Asymmetrie der Natur<br />

im Verhältnis zu den Gebäuden herausgehoben und wie der Geist des<br />

Ortes sowohl durch den persönlichen Geschmack als auch durch natürliche<br />

oder künstliche Elemente zur Geltung gebracht werde.<br />

(Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt,<br />

Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 202)<br />

Der japanische Garten - überall Sinn und Symbolik 215<br />

Beim Besuch eines japanischen Gartens ist es sinnvoll, sich bestimmte<br />

historische Ereignisse und Gepflogenheiten zu vergegenwärtigen. So sind<br />

die kaiserlichen oder aristokratischen Gärten aus dem 12. bis 16.<br />

Jahrhundert meist in einer Abfolge von Bildern komponiert, die von einem<br />

bestimmten Standpunkt aus betrachtet werden müssen, um richtig<br />

gewürdigt werden zu können. Dadurch entsteht ein ganz anderer Eindruck,<br />

als etwa ein Rundgang in den englischen <strong>Park</strong>s des 18. Jahrhunderts mit<br />

seinen wechselnden Perspektiven vermittelt. Die symbolische Bedeutung,<br />

die grundlegend und in allen Elementen des Gartens wiederzufinden ist,<br />

kann im Grunde nur von den Gebildeten entschlüsselt werden. Sie mag in<br />

der Anspielung auf eine besondere Landschaft, eine religiöse Thematik,<br />

eine alte Legende oder auf das Leben Buddhas bestehen. So stellt etwa der<br />

Schnitt eines Baumes – der Vorschrift der Kunst des o-karikomi folgend –<br />

von einem bestimmten Blickwinkel aus betrachtet das Wellenspiel des<br />

Meeres dar; oftmals bildet der ganze Garten ein eigenes kleines Universum,<br />

das eine berühmte Landschaft oder einen Naturabschnitt im Miniaturmaßstab<br />

wiedergibt. Diese „geborgte Aussicht“ wurde gerne von den<br />

Landschaftsmalern übernommen, die mit Vorliebe Panoramen eines fernen<br />

Gebirges oder Meeres in ihre Gemälde aufnahmen. Das Zurechstutzen der<br />

Pflanzen hatte aber auch noch einen anderen Effekt: Die Größe der Bäume<br />

konnte in der vorgesehenen Dimension gehalten, ihre Entwicklung<br />

kontrolliert und so die ursprünglich beabsichtigte Harmonie über Jahre<br />

hinweg bewahrt werden.<br />

(Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt,<br />

Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 211)<br />

China, Japan und der Islam – eigene Gartenkulturen 216<br />

Aber nicht nur die Europäer haben Gärten gestaltet. Wir reisen heute viel<br />

und sehen dabei Anlagen, die mit Rom und dem alten Griechenland nicht<br />

viel zu tun haben. China, Japan und der Islam haben ihre eigenen, kulturell<br />

bedingten Formen entwickelt. Der Islam ist dabei nicht so weit vom<br />

griechisch-römischen Erbe entfernt, wie man meinen könnte;<br />

Übersetzungen, die die Kalifen von Bagdad im 9., 10. und 11. Jahrhundert<br />

69


angefertigt haben, machten die Gelehrten jener Zeit mit den griechischen<br />

Landvermessern und den römischen Agronomen bekannt. Die strengen<br />

Formen des islamischen Gartens, die komplizierten Berechnungen für das<br />

Gefälle des Bodens, um das Wasser zum Rauschen zu bringen, die<br />

transparente Architektur der herrlichen Pavillons, wie man sie in Granada,<br />

in Nordindien oder Persien sieht, zum Beispiel im Bagh-e Fin, all das geht<br />

auch auf Euklid, Thales und Vitruv zurück, und die Europäer fühlen sich hier<br />

gleichsam zu Hause.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser<br />

[Text], Die schönsten Gärten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 13f)<br />

Das Wesen chinesischer und japanischer Gärten 217<br />

China und Japan hingegen verlangen uns eine stärkere intellektuelle<br />

Auseinandersetzung ab. Wir befinden uns hier in einer zugleich sehr<br />

modernen und sehr alten Welt. Sehr alt, weil die Geomantik in diesen<br />

Breiten einen sehr großen Raum einnimmt und die Allmacht der Geometrie<br />

dort nicht spürbar ist; aus demselben Grund ist diese Welt aber zugleich<br />

sehr modern. Die Ökologie, die uns für einen feineren, empfindsameren<br />

Zugang zum Kreislauf der Natur sensibilisiert, die uns mit den Ökosystemen<br />

vertraut macht, bringt uns dazu, die Natur nicht als ein beliebiges Material<br />

zu betrachten, das uns untergeordnet ist und vom Bulldozer mit voller<br />

Wucht niedergewalzt werden kann. Die Land-Art mit ihren subtilen<br />

mineralischen Konstruktionen hat letztlich mit der Gartenkunst des Fernen<br />

Ostens sehr viel gemeinsam, denn der fernöstliche Garten lässt<br />

beispielsweise die Wurzeln eines sehr alten Baumes das Wegenetz<br />

bestimmen, das somit aleatorisch den Garten durchzieht. Man muss nur in<br />

Suzhou oder Kyoto spazieren gehen, um sich davon zu überzeugen, dass<br />

wir noch sehr viel zu lernen haben von dieser Art, die Natur sprechen zu<br />

lassen – und mit ihr in einen Dialog zu treten.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser<br />

[Text}, Die schönsten Gärten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 14)<br />

Geschichtslinien der asiatischen Gartenkunst 218<br />

Die chinesische Gartenkunst hat ihren Ursprung im 3.Jahrhundert v. Chr.,<br />

gelangt aber erst im 1. Jahrhundert n. Chr. zu einem reifen Stil. Er wird in<br />

den kommenden Jahrhunderten die Traditionen vieler Länder beeinflussen,<br />

darunter Korea und Japan, die sich aber bald eigenständig weiterentwickeln.<br />

Die asiatischen Gartenarchitekten waren oftmals Dichter und<br />

Maler, auch sie betonen die enge Verbindung zwischen Landschaftsgestaltung<br />

und Kunst. Häufig findet man in diesen Gärten Gebäude inmitten<br />

von Bassins und kleinen Seen. Das Wasser ist hier Sinnbild der Ruhe. …<br />

Die älteste Abhandlung über japanische Gartenkunst beschreibt<br />

systematisch die Regeln zur Gartenanlage und -Pflege. Die Natur soll in all<br />

ihren Aspekten nachgebildet werden, der Garten soll die Persönlichkeit<br />

seines Schöpfers widerspiegeln und sich harmonisch in die Landschaft<br />

einfügen. Zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert schreibt der buddhistische<br />

Mönch Kenko das Tsurezuregusa (Betrachtungen aus der Stille), einen<br />

Klassiker der japanischen Literatur, in dem ein Kernaspekt die<br />

Wandelbarkeit der Natur ist und ebenso wandelbar ist der asiatische<br />

Garten: Die Natur wird zur Miniatur und Abstraktion, Synthese und<br />

Vereinfachung.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 136f)<br />

70


Japanische und chinesische Naturlyrik 219<br />

Ein bewölkter Tag - / statt der Sonne leuchten heut /<br />

Kirschenblüten nur.<br />

(Vollmond und Zikadenklänge – Japanische Verse und Farben, Gütersloh 1955, S. 26)<br />

Wer offenen Mundes / den fallenden Blüten nachschaut: /<br />

dies Kind ist Buddha.<br />

(Im Schnee die Fähre. Japanische Gedichte der neueren Zeit, München 1955, S. 36)<br />

Grün, grün hängen die Zweige der Weide bis aufs Wasser.<br />

Vom Fluß her hör ich des Liebsten Gesang.<br />

Im Osten geht die Sonne auf, im Westen fällt der Regen.<br />

Ich sag, es ist kein heiterer Tag und ist doch voller Wärme.<br />

(Lin Yuxi [772-842], in: Gedichte aus der Tang Dynastie, übertragen von Barbara Maag,<br />

Erftstadt 2003, S. 137)<br />

Mitten in dem kleinen Teiche / steht ein Pavillion aus grünem /<br />

und aus weißem Porzellan.<br />

Wie der Rücken eines Tigers / wölbt die Brücke sich aus Jade /<br />

zu dem Pavillion hinüber.<br />

In dem Häuschen sitzen Freunde / schön gekleidet, trinken, plaudern, - /<br />

manche schreiben Verse nieder.<br />

(Li Tai-Bo (701-762])<br />

71


III. Der Landschaftspark (einschließlich ornamented<br />

farm) als künstlerisches Gestaltungsprinzip<br />

1. Zurück zur Natur! Aber was ist für den <strong>Park</strong>gestalter<br />

Natur?<br />

Gestaltungsprinzipien des Barock-Gartens und des<br />

Landschaftsparks 222<br />

Im Barock waren die Gärten nicht selten als komplexe ikonographische<br />

Programme inszeniert worden, in denen Gebäude, Wegführung und einzelne<br />

Elemente wie Brunnen, Embleme oder Statuen innerhalb eines umfassenden<br />

Bedeutungsgefüges, das auch noch das Schloßinnere umfasste, ihren exakt<br />

kalkulierten Platz einnahmen. Ein solch geschlossenes, bis in die Ausgestaltung<br />

der Details erkennbares und auf ein einzelnes Thema ausgerichtetes<br />

symbolisches Gesamtsystem bietet der Landschaftsgarten nicht mehr.<br />

Thematische Klammer ist grundsätzlich nur noch die Natur selbst als Symbol von<br />

Freiheit.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 48)<br />

Pope: Natur als einheitliches System (frühe Ökologie) 223<br />

Wie hoch geht Leben, Fortschritt wohl hinauf?<br />

Wie weit ringsum? Wo hört es unten auf?<br />

Der Wesen Kette, die mit Gold begann,<br />

ätherisch hohe Wesen, Engel, Mann,<br />

Tier, Vögel, Fisch, Insekt, was Augen hier<br />

Nicht sehen: vom Unendlichen zu Dir,<br />

von Dir zum Nichts; (…)<br />

Blieb’ eine Stelle in der Schöpfung leer,<br />

zerbrochen auch die große Leiter wär.<br />

Entfernst Du aus der Kette nur ein Glied –<br />

Das zehnte, tausendste – ein Bruch geschieht.<br />

Wenn jed’ System gemessen sich bewegt<br />

Und gleichsam seinen Teil zum Ganzen trägt,<br />

die kleinste Störung schon allein befällt<br />

nicht das System nur – nein, die ganze Welt<br />

(Alexander Pope [1688-1744], Essay on Man, Epistel I, London 1733)<br />

Frühe Engländer zum „parkpflegerischen“ Umgang<br />

mit der Natur 224<br />

This happy region was inhabited by the ‘Goddess of liberty’<br />

(Diese glückliche Gegend war bewohnt von der „Göttin der Freiheit“)<br />

(Joseph Addison [1672-1719], in der Zeitschrift „The Tatler“, April 1790, Nr. 161)<br />

72


All are but parts of one stupendous whole,<br />

Whose body nature is and god the soul.<br />

(Alle sind nur Teile eines gewaltigen Ganzen,<br />

dessen Körper die Natur ist und dessen Gott die Seele)<br />

(Alexander Pope [1688-1744], Essay on Man, 1783)<br />

Where neither art, nor the conceit or caprice of Man has spoiled their genuine<br />

Order, by braking in upon that prinmitive state.<br />

(Wo weder die Kunst noch das Concetto [engl.: Geistreicher Einfall] noch die<br />

Laune des Menschen ihre echte [wahrhaftige] Ordnung verdorben hat)<br />

(Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury [1671-1713], The Moralists, Teil 3, 1709)<br />

Those rules of old discovered not devised,<br />

Are nature still but mature methodized.<br />

(Jene Regeln von einst entdeckt, nicht ausgedacht [ausgeklügelt],<br />

sind doch Natur, jedoch systematisierte [evtl. idealisierte] Natur)<br />

(Alexander Pope [1688-1744], Essay on Criticism, Verse 88/89, 1711)<br />

Nature like Liberty is but restrained<br />

by the same laws which first herself ordained.<br />

(Die Natur ist wie die Freiheit nur gezügelt von denselben Gesetzen, die sie [die<br />

Natur] von Anfang an bestimmte)<br />

(Alexander Pope [1688-1744], Essay on Criticism, Verse 90/91, 1711)<br />

Addison: Kunst und Natur als „Wirkungsbund“ 225<br />

Addison erkannte: „We find the Works of Nature still more pleasant, the more they<br />

resemble those of Art“<br />

(Die Werke der Natur sprechen uns desto mehr an, je mehr sie denen der Kunst<br />

ähneln)<br />

(Joseph Addison [1672-1719], Über die Freuden der Einbildungskraft, zit. n.: Paul Ziegler,<br />

Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 128)<br />

Ramdor zu Flottbek: Kunst als Gehilfin der Natur 226<br />

Alles in Flodbeck ist in einem Geiste gedacht, ein Ganzes. Die Kunst hat nichts<br />

weiter verschönert, als in so fern sie den gütigen Absichten der Natur für diesen<br />

Ort zu Hülfe gekommen ist.<br />

(Wilhelm von Ramdor, Studien zur Kenntnis der schönen Natur…, Hannover 1792, zit. n.:<br />

Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg<br />

1990, S. 67)<br />

Whatley: Natur als Lehrmeisterin der Gartenkunst 227<br />

Der enge Kontakt zur Landschaftsmalerei wurde erstmals von Thomas Whatley,<br />

einem Tory-Parlamentarier … thematisiert. Er pries den Wert der Gartenkunst, da<br />

sie der Landschaftsmalerei überlegen sei, so wie das Original immer der Kopie<br />

vorgezogen werde. (…)<br />

Whatley, ein ausgesprochener Ästhet, sah in der Gärtnerei weniger ein Handwerk,<br />

als vielmehr eine Kunst, die der Inspiration bedarf. Aus diesem Grunde ging<br />

es ihm auch nicht um die Aufzählung von Aufgaben, die der Gärtner zu berücksichtigen<br />

und zu erfüllen hat, sondern um die Integration der Gartenkunst in das<br />

weite Feld der freien Künste. Ein Gemälde sollte also niemals Vorbild für einen<br />

Gartenentwurf sein, da der Gartenkünstler nach eigenen ästhetischen Regeln<br />

73


arbeitet, zu denen er durch das Studium der Natur gelangt. Stowe, Stourhead<br />

oder Gärten Lancelot Browns waren die Vorbilder für Whatley. In ihnen entdeckte<br />

er die ästhetischen Strukturen, die er in seinen Schriften* ordnete und zusammenfasste.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 392f)<br />

* (Thomas Whatley [1728-1772], „Observation on Modern Gardening, Illustrated by<br />

Descriptions“, London 1770)<br />

Der Stoff des <strong>Park</strong>gestalters: sich verändernde Natur 228<br />

Die Natur, das große Wort, das nicht recht fassbar ist, eben jener Begriff,<br />

der den Landschaftsgestalter vom Maler und Architekten grundlegend<br />

unterscheidet. Der Garten erneuert sich unablässig im Lauf der Jahreszeiten;<br />

er gedeiht unter freiem Himmel und ist verwandt mit der Landschaft;<br />

er versteht sich nur mit jenen gut, die seinen Boden kennen, seine Lage zur<br />

Sonne, seine Wasserversorgung und die Pflanzen, die in ihm heimisch<br />

werden; er verlangt, dass man jetzt schon weiß, wie er in einem Jahr, in<br />

zwei, zehn, zwanzig Jahren einmal aussehen soll. Im Gegenzug für so viele<br />

Erwartungen bietet er an, ein Ort wie kein anderer zu sein, ein Ort, wo man<br />

draußen und dennoch bei sich sein kann, ein Ort der Einsamkeit und der<br />

Geselligkeit, ein Ort, der sich unablässig verändert, aber dabei doch er<br />

selbst bleibt, kurz gesagt, ein Ort, der uns ähnlich ist. In den Garten<br />

hinausgehen heißt, in uns selbst einzutreten.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text],<br />

Die schönsten Gärten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 11)<br />

Goethe: Das freie Feld als Begegnung mit Gott 229<br />

Die frische Luft des freien Feldes ist der eigentliche Ort, wo wir hingehören; es ist,<br />

als ob der Geist Gottes dort den Menschen unmittelbar anwehte und eine göttliche<br />

Kraft ihren Einfluß ausübte.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832 ], zit. n.: Mit Goethe durch den Garten,<br />

Claudia Schmölders (Hg.), Frankfurt 1989, S. 69)<br />

Victor Hugo: Nur freie Natur schafft Freiheit 230<br />

Victor Hugo (1802-1885, R. C.) empfand jeden Versuch, die Natur ordnend zu<br />

gestalten, als eine Bedrohung, alles, was sich nicht naturhaft entwickelte, als<br />

Krankheit:<br />

„Es träumt sich nicht gut hinter Gittern und Toren,<br />

Die Freiheit wird auf den Feldern geboren<br />

Und singt auf den Wiesen des blauen Himmels Pracht;<br />

Der Mensch hat die Gärten, die Felder hat Gott gemacht.“<br />

(Zit. n.: Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987,<br />

Nachdruck Köln 1997, S. 9)<br />

Novalis: Blühendes Land königlicher als ein <strong>Park</strong> 231<br />

Ein blühendes Land ist wohl doch ein königlicheres Kunstwerk als ein <strong>Park</strong>.<br />

Ein geschmackvoller <strong>Park</strong> ist eine englische Erfindung. Ein Land das Herz<br />

und Geist befriedigt, dürfte eine deutsche Erfindung werden; und der<br />

Erfinder wäre doch wohl der König aller Erfinder.<br />

(Novalis [1772-1807], zit. n.: H.-J. Sinn (Hg.), Glückliche Einfälle, Frankfurt 2008)<br />

74


Claude Monet: Natur malt 232<br />

„Eine vorüberziehende Wolke, eine erfrischende Brise, ein Regenschauer,<br />

der aufzieht und schließlich niedergeht, ein Wind, der bläst und sich<br />

unvermittelt legt, das Licht, das abnimmt und wiederersteht, so viele<br />

Ereignisse – für das Auge des Laien kaum fassbar –, die sowohl die Farben<br />

verändern als auch der Oberfläche des Wassers eine andere Gestalt<br />

verleihen.“<br />

(Claude Monet [1840-1926], franz. impressionistischer Maler), zit. n.: Alain Le<br />

Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text], Die schönsten Gärten der Welt, Weltbild<br />

Ausgabe, Augsburg 2008, S. 3)<br />

Natur und/oder Zivilisation 233<br />

Die Frage, was denn Natur heute sei, scheint in unserer Zeit kaum mehr<br />

beantwortbar zu sein. Die Natur wandelt sich und unsere Wahrnehmung<br />

davon mit ihr. Dieser Prozess, der fast unmerklich vor sich geht, provoziert<br />

natürlich auch die Frage, inwieweit wir endlich damit aufhören sollten, uns in<br />

den westlichen Industrieländern die Natur als Gegenpol zur Zivilisation<br />

vorzustellen. Sie ist – das Beispiel des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs zeigt<br />

es – seit Jahrhunderten gestaltet.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz“, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.19)<br />

75


2. Das Grundproblem des „Landschaftsparks“:<br />

Wieviel Natur, wieviel Gestaltung?<br />

Hirschfeld: Der Natur „zu Hilfe kommen“ 236<br />

Viele glauben, daß sie erst alles wegräumen müssen, was die Natur wachsen<br />

ließ, ehe sie ihre Anpflanzungen anfangen können; und die Erfahrung zeigt, daß<br />

sie weit früher und glücklicher ihre Absicht erreicht hätten, wenn sie der Natur mit<br />

mäßigen Abänderungen und Zusätzen zu Hilfe gekommen wären.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine<br />

Gartenglück, © 2004 Deutscher Taschenbuch Verlag, München, S. 31)<br />

Hirschfeld: (Garten-)Kunst als Harmonieprinzip und<br />

Konzentration („malerisch“) 237<br />

„Kunst bedeutet hier, dasjenige was die Natur Angenehmes und Interessantes<br />

hat, auf eben die Art, durch eben die Mittel, deren sie sich bedient, vereinigen,<br />

und die Schönheiten, die sie in ihren Landschaften verstreuet, auf einen Platz<br />

sammeln zu wissen; ein neues Ganzes, dem weder Harmonie noch Einheit fehlt,<br />

hervorzubringen; durch Verbindung und Anordnung zu schaffen, und doch nicht<br />

von der Natur abzuweichen.“ * In diesem Sinne ist der Landschaftsgarten ein<br />

Stück idealisierte Natur, in dem die malerischen Facetten der natürlichen Landschaft<br />

gesteigert und in konzentrierter Form zusammengefasst sind.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 36)<br />

* (Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig<br />

1779-1785, Bd. 1, S. 31)<br />

Goethe: Ein Garten ohne Zwang 238<br />

Niemand glaubt sich in einem Garten behaglich, der nicht einem freien Lande<br />

ähnlich sieht; an Kunst, an Zwang soll nichts erinnern, wir wollen völlig frei und<br />

unbedingt Atem schöpfen.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832 ], aus: Die Wahlverwandschaften, zit. n.: Mit<br />

Goethe durch den Garten, Claudia Schmölders (Hg.), Frankfurt 1989, S. 51)<br />

Rousseau: Natur nicht 1:1 reproduzieren 239<br />

Wer sie (die Natur) liebt und doch nicht so weit gehen kann, um sie aufzusuchen,<br />

ist genötigt, ihr Gewalt anzutun, sie gewissermaßen zu zwingen, daß sie komme<br />

und bei ihm wohne. Das alles aber läßt sich ohne ein wenig Vortäuschung nicht<br />

erreichen.<br />

(St. Preux in Jean-Jaques Rousseau [1712-1778], Jolie ou la nouvelle Heloïse, 1761, zit.<br />

n.: Martin Maria Schwarz, Tugendbrunnen, Wahnbild und Disneyland – Englischer und<br />

Französischer Garten in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, in: H. Sarkowicz<br />

(Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 238)<br />

Goethe: Natur? Kunst? Gestaltung? 240<br />

Gedanken an die neumodische <strong>Park</strong>sucht. … Der Natur nachzuhelfen, wenn man<br />

schöne Motive hat, ist in jeder Gegend lobenswürdig; aber wie bedenklich es sei,<br />

gewisse Imaginationen realisieren zu wollen, da die größten Phänomene der<br />

Natur selbst hinter der Idee zurückbleiben.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], Tagebuch 28.09.1797, zit. n.: Mit Goethe<br />

durch den Garten, Claudia Schmölders (Hg.), Frankfurt 1989, S. 113)<br />

76


Goethe wider Kunst und Zwang in <strong>Park</strong> und Garten 241<br />

Niemand glaubt sich in einem Garten behaglich, der nicht einem freien Land<br />

ähnlich sieht; an Kunst und Zwang soll nichts erinnern, wir wollen völlig frei<br />

und unbedingt Atem schöpfen.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749 – 1832], in: Die Wahlverwandtschaften)<br />

Addison: Natur und Kunst im Garten 242<br />

Der Anblick eines Horizonts, der sich bin ins Unendliche erstreckt, befreit den<br />

Geist des Menschen und erweckt seine Phantasie; die einer Landschaft innewohnende<br />

Harmonie zeigt ihm, wo er Schönheit finden kann, und die Vielfalt von<br />

Gestalten, die die Natur annimmt, beflügelt die schöpferischen Kräfte des<br />

Künstlers.<br />

Addison wollte eine vollkommene Harmonie zwischen Kunst und Natur:<br />

„Obwohl die Szenerien, die die Natur bietet, im allgemeinen anregender sind als<br />

jede künstlerische Darstellung, finden wir dennoch umso mehr Gefallen an ihnen,<br />

je mehr Kunst und Natur eine Einheit eingehen, denn unsere Freude entspringt<br />

dem doppelten Prinzip, das heißt, der augenfälligen eigenen Schönheit von Gegenständen<br />

wie auch ihrer Ähnlichkeit mit anderen. Wir erfreuen uns an ihnen<br />

gleichermaßen, ob wir eine gemeinsame Schönheit zwischen ihnen finden oder<br />

sie getrennt sehen. Wir können sie entweder als Kopien oder als Originale betrachten.“<br />

*<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S. 171)<br />

* (Joseph Addison [1672-1719], in: The Spectator, London, Juni-Juli 1712,<br />

Nr. 411-412)<br />

Hirschfeld: Gartenkunst als die schönste aller Künste 243<br />

In gewisser Absicht kann die Gartenkunst sich mir Recht eines merklichen Vorzugs<br />

vor den übrigen schönen Künsten rühmen. Sie ist Kunst, und doch ist keine<br />

ihrer Geschwister gleichsam mehr in der Natur selbst eingeflochten, als eben sie.<br />

Sie gibt das mannigfaltige und große Vergnügen ländlicher Szenen ganz, was die<br />

Landschaftsmalerei nur teilweise gewährt; sie gibt es auf einmal, was die schildernde<br />

Poesie nur durch eine fortschreitende Folge ihrer Bilder nach und nach<br />

erweckt. Sie rührt nicht durch eine entfernte Nachahmung; sie ergreift unmittelbar<br />

die Sinne, schlägt geradezu an die Organe unserer Empfindung, durch die Gegenwart<br />

wirklicher Gegenstände, ohne sie erst durch Hilfe der Wiedererinnerungskraft<br />

und der Imagination wahrnehmen oder fühlen zu lassen. Sie gibt selbst ein<br />

längeres und dauerhafteres Vergnügen der Jahreszeiten und der Witterung, durch<br />

die Bewegungen der Wolken und des Wassers, durch die Dazwischenkunft der<br />

Vögel und Insekten immer eine Mannigfaltigkeit der Erscheinungen.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig<br />

1779-1785, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, © 2004 Deutscher<br />

Taschenbuch Verlag, München, S. 152)<br />

Pückler: Gartenkunst und Schauspielkunst 244<br />

Der höchste Grad der landschaftlichen Gartenkunst ist nur da erreicht, wo sie<br />

wieder freie Natur, jedoch in ihrer edelsten Form, zu sein scheint. Es ist dies eine<br />

eigentümliche Affinität, welche die Naturmalerei mit der dramatischen ausübenden<br />

Kunst hat, da beide allein unter allen Künsten die Natur selbst zum Material<br />

und zugleich zum Gegenstande ihrer Darstellung wählen, der Schauspieler, indem<br />

er mit seiner eigenen Person ideale Menschen von neuem zu verwirklichen<br />

sucht, der Gartenkünstler, indem er die rohen ungeregelten Naturstoffe und Bilder<br />

77


zu einer poetischen Landschaft vereinigt und erhebt. Leider geht die Ähnlichkeit<br />

noch weiter, denn beider Schöpfungen sind sehr prekär, wiewohl der Vorteil hier<br />

wenigstens noch auf des Naturmalens Seite bleibt.<br />

Ebenso könnte man vielleicht die höhere Gartenkunst mit der Musik vergleichen,<br />

und wenigstens ebenso passend, als man die Architektur eine gefrorne Musik<br />

genannt hat, sie eine vegetierende Musik nennen. – Sie hat auch ihre Symphonien,<br />

Adagios und Allegros, die das Gemüt gleich tief ergreifen.<br />

(Hermann Fürst Pückler-Muskau [1785-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

1834, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, © 2004<br />

Deutscher Taschenbuch Verlag, München, S. 159f)<br />

Landschaftspark: Das künstliche Natürliche 245<br />

Das Künstliche des pittoresken Gartens durfte nicht mehr aufscheinen, die Herkunft<br />

der An- und Aussichten aus der Sphäre der Literatur und Malerei sollte nun<br />

nicht mehr kenntlich sein. Das Produkt der Verständigung über Natur wurde nun<br />

als Naturprodukt ausgegeben.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

Vorabdruck in der Zeitschrift „Die Gartenkunst“, Heft 1/1989, S. 150)<br />

Natur als, nicht Natur und Kunst: Brown statt Chambers 246<br />

Während Poeten die Reflexe der Kunst suchten, indem sie in den Spiegel der<br />

Natur blickten, schöpften die Landschaftsgärtner alle Möglichkeiten aus, die das<br />

Verhältnis zwischen Natur und Kunst bot, indem sie aus ihren Gärten sämtliche<br />

Spuren menschlichen Tuns, wie etwa Gartenpavillons, Tempel oder Lustschlösschen,<br />

verbannten. Deshalb wurde für die Gestaltung der Gärten in der zweiten<br />

Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht die Exotik Chambers (1723-1796, R. Cr.) als<br />

vorbildhaft erachtet, sondern die großen Kreationen seines Rivalen Lancelot<br />

Brown, einem Schüler Kents. Obwohl zwischen ihren Werken vollkommene<br />

Kontinuität zu herrschen schien, führte ihre höchst unterschiedliche Zielsetzung<br />

zum Verlust der Idee, dass Gärten einen Zauber ausstrahlen sollten.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.176)<br />

Brown und Repton: Sieg der Natur (?) 247<br />

In seinen Gärten schrieb Lancelot Brown (1716-1783, R. C.) keinen symbolischen<br />

Pfad vor. Seine Anlagen hielten sich an keine vorgefassten Ideen oder<br />

Theorien, ihre einzige Funktion bestand darin, Freude zu spenden. Brown sah in<br />

der Natur eine endlose Reihe von Gelegenheiten, den Garten noch angenehmer<br />

zu gestalten – woher sein Spitzname „Capability Brown“ rührt, unter dem er in der<br />

Geschichte einging.<br />

In seiner Hommage an den Meister der englischen Landschaftsgärtner zeigte<br />

Horace Walpole die Sackgasse, in die sich Capability Brown unaufhaltsam hineinmanövrierte:<br />

„Sein großer und schöner Genius bleibt unübertroffen. … Man kann<br />

mit Fug und Recht behaupten, dass sein Sinn für die Synthese und Eleganz niemals<br />

trog. Aber – und darin liegt sein Genie – je schöner seine Erfolge waren, um<br />

so leichter wurden sie übersehen; seine Darstellungen der Natur sind so lebensecht,<br />

dass sie Gefahr laufen, unerkannt zu bleiben.“ *<br />

Indem sie sämtliche Spuren Ihres Wirkens verwischten und den Anschein erweckten,<br />

die Natur habe den Menschen in ihrem ewigen Kampf bezwungen, erreichten<br />

Capability Brown und sein Nachfolger, Humphrey Repton (1752-1818, R. Cr.),<br />

genau das Gegenteil: Sie hatten die Natur aller Macht, die man ihr seit Jahrhun-<br />

78


derten zuschrieb, beraubt. Sie besaß keine verborgenen Geheimnisse mehr, war<br />

nicht länger die Hüterin der Quelle des Wissens und des Gefühls.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.177)<br />

* (Horace Walpole [1717-1797], zit. n.: William Mason, The English Garden, Bd. 2, Dublin<br />

1782)<br />

Shenstones Versuch einer Symbiose von Kunst und Natur 248<br />

Er betonte, dass dieser Gartenteil (bzw. <strong>Park</strong>) die Besucher mit seiner Großzügigkeit,<br />

Schönheit und Vielfalt überraschen solle. Die Anlage verfügte über eine abwechslungsreiche<br />

Topographie mit bewaldeten Tälern, rauschenden Bächen,<br />

Bogenbrücken, Kaskaden und sogar den Ruinen einer alten Abtei. Aussichtspunkte<br />

bezogen das umliegende Land mit den markanten Mittelgebirgszügen, wie<br />

Clint Hills oder Frankley Beeches, visuell in das idyllische Szenarium mit ein.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 369)<br />

„Natürlichkeit der Natur“ als Gestaltungsproblem 249<br />

Wir haben es verstanden, den Charakter der Natürlichkeit und Zufälligkeit<br />

zubewahren. … Es ist das Wissen und die Erfahrung, vor allem aber die Liebe<br />

zum Garten, die macht, dass er so natürlich wirkt. Aber dahinter steckt eine sehr<br />

komplexe Arbeit, denn zu versuchen, die Natürlichkeit der Natur zu schaffen, ist<br />

sehr schwierig.<br />

(Ein römischer Gartenbesitzer, zit.n.: Römische Gärten – Paradiese auf Erden,<br />

Bayrischer Rundfunk, BR alpha, TV-Sendung vom 21.11.2009)<br />

Hirschfelds Credo zum Landschaftspark 250<br />

So beendet Hirschfeld sein 5-bändiges Werk „Theorie der Gartenkunst“: „Gott<br />

schuf die Welt und der Mensch verschönert sie.“<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, 5 Bände, Leipzig<br />

1779-1785, Bd. 5, 1785)<br />

79


3. Gestaltungs“regeln“ des Landschaftsparks<br />

Meyers Enzyklopädie über „Landschafts-Gartenkunst“ 253<br />

Die bildende Garten- oder die Landschaftsgartenkunst befaßt sich mit den rein<br />

ästhetischen Zielen des Gartenbaues. Ihre Betätigung bildet ein Mittel zur Landesverschönerung<br />

sowie zur Verschönerung der nächsten Umgebung der Wohnungen.<br />

Sie schafft unter Berücksichtigung der Naturgesetze den zivilisierten<br />

Menschen eine idealisierte Naturszenerie gewöhnlich an Stellen, wo eine<br />

derartige Häufung von schönen Naturbildern von selbst nie entstehen würde. Sie<br />

bringt oft auf sehr beschränkter Fläche dem dafür empfänglichen Menschen die<br />

mannig-faltigsten und reizvollsten Naturgenüsse nahe.<br />

(Meyers Enzyklopädie, von 1908, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, ©<br />

2004 Deutscher Taschenbuch Verlag, München, S. 150)<br />

Pope: Perspektiven der Malerei, nicht der Architektur 254<br />

Nachdem die Gärten von den Regeln der Architektur befreit waren, mussten<br />

Gartenkünstler andere Mittel finden, um die Natur nachzuahmen. Deshalb<br />

wandten sie sich der Malerei, der Kunst der Illusion, zu. „Die ganze Gartenkunst“,<br />

sagte Pope, „muß vom Landschaftsmaler kommen.“ * So wurden lineare Perspektiven<br />

durch Luftperspektiven ersetzt, in denen das Zusammenspiel von Farben<br />

in den verschiedenen Teilen des Gartens dazu genutzt wurde, Tiefe anzudeuten<br />

und endliche Entfernungen zu schaffen, die unmerklich mit dem Himmel verschmolzen.<br />

Eindrucksvolle und raffinierte Effekte wurden hingegen durch das<br />

Wechselspiel zwischen dem dunkeln Braun des Laubs, dem hellen Grün der<br />

Rasenflächen und dem tiefen Blau des Wassers von Flüssen, Seen und Teichen<br />

erzielt.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.175)<br />

* (Alexander Pope [1688-1744], Epistle IV to Lord Burlington, 1731)<br />

Gestaltungselemente des „Englischen Gartens“: Malerei,<br />

Wegführung, Inschriften 255<br />

Der Garten wird von nun an in sanft ineinandergleitenden begehbaren „Bildern“<br />

gestaltet, die sich in programmatischer Abfolge vor dem Blick des Betrachters<br />

entfalten. Kent orientierte seine klassisch-arkadischen Gartenzonen an den<br />

großen Vorbildern der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts – Claude Lorrain,<br />

Gaspard und Nicolas Poussin. Wildere Partien erinnerten an die rauen Waldszenen<br />

des Neapolitaners Salvatore Rosa oder des Holländers Jakob von Ruisdael.<br />

Fortan nutzten die Gartengestalter alle malerischen Kunstgriffe, etwa<br />

rahmende Repoussoirs zur Begrenzung der Szene, asymmetrisch gestaffelte<br />

Bildgründe, akzentuierte Baumgruppen, sorgsam berechnete Licht- und Farbperspektiven.<br />

Die Lenkung des Betrachterblicks ist von einer genau kalkulierten<br />

Wegeführung abhängig. „Der Fuß sollte niemals dem Weg folgen, den das Auge<br />

zuvor gegangen ist“, sagt eine alte Regel der Landschaftsgärtner. Doch muß die<br />

Inszenierung der Natur stets wie zufällig wirken.<br />

Poetische Inschriften aus antiker und moderner Dichtung konnten die bildlichen<br />

Assoziationen des idyllischen Schäferstaates Arkadien und anderer mythologischer<br />

Schauplätze, des Elysiums oder des „Verlorenen Paradieses“, wie es<br />

80


John Milton poetisch beschrieben hatte, verstärken, den Betrachter gleichsam<br />

programmieren.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 180)<br />

Die unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien von<br />

Barock-Garten und Landschaftspark 256<br />

Das frühere komplexe System architektonischer Elemente mit Treppen, Statuen,<br />

Hecken, Kanälen und Bassins ebenso wie das weit gefächerte Muster der einzelnen<br />

Parterregärten, das dem architektonischen Zentrum des <strong>Park</strong>s, dem Schloß,<br />

in seinen formalen Strukturen angeglichen war, ersetzt der Landschaftsgarten<br />

durch die vergleichsweise zwanglose Aneinanderreihung einzelner Gartenräume.<br />

Die Grundelemente des Landschaftsgartens – Land, Wasser, Vegetation und<br />

Architektur – sind dabei in ihrer Anordnung nicht mehr am Schloß, im Prinzip<br />

überhaupt nicht mehr an der Kunstgattung Architektur als der im Barock wichtigsten<br />

der Künste ausgerichtet, sondern statt dessen nun an der Malerei. Gartenkunst<br />

wird – bis zu einem gewissen Grad jedenfalls – zur dreidimensionalen Landschaftsmalerei,<br />

der <strong>Park</strong> zur begehbaren Gemäldegalerie.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 36)<br />

Addison: Das „malerische Prinzip“ beim Englischen<br />

Landschaftspark 257<br />

Joseph Addison hatte wenige Jahre zuvor in einem Aufsatz „Über die Freuden der<br />

Einbildungskraft“ geschrieben, dass ein Kunstwerk uns um so mehr gefalle, je<br />

perfekter es die Natur nachahme, die Natur aber, je mehr sie einem Kunstwerk,<br />

genauer: einem Gemälde gleiche. Dieses malerische Prinzip ist – wie wir sehen<br />

werden – der Schlüssel zu Gestaltung und Wahrnehmung des Landschaftsgartens,<br />

zum Verständnis seiner ästhetischen Qualitäten und subtilen Bedeutungsgeschichten.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 178)<br />

Französische Landschaftsmalerei als Anregung 258<br />

Vorbilder dafür lieferte auch die Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts<br />

mit den arkadischen Ideallandschaften eines Claude Lorrain, Gaspard<br />

Poussin oder Salvatore Rosa. Sie wurden zu räumlichen dreidimensionalen<br />

Gartenbildern, glichen großen Theaterkulissen in der Umgebung der<br />

Landhäuser. William Mason fordert in seinem Lehrgedicht Der Englische<br />

Garten: „Sieh solch glühende Szenen, die einst Claude gelehrt die<br />

Leinwand mit südlichem Pinsel zu zieren! Und solche Szenen eingegraben<br />

in Erinnerung bring heim nach England. Gib dort den Motiven heimische<br />

Form, um, wenn Natur die Mittel hat, für Katarakte, Felsen, Schattenzonen<br />

manches neue Tivoli zu schaffen“. Die verwachsenen Renaissancegärten<br />

des Mittelmeerraumes und chinesische Gartengestaltung dienten als<br />

weitere Anregungen.<br />

(Ludwig Trauzettel, Der englische Landschaftsgarten, in: Unendlich schön, Das<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.<br />

173)<br />

81


Hirschfeld zum Unterschied von Architektur und<br />

<strong>Park</strong>gestaltung 259<br />

Hirschfeld fand also einen gerade erst von einem Architekten fertig gestellten<br />

Garten ganz gegen seinen Geschmack vor und plädiert bei einem seiner Besuche<br />

folgerichtig für eine Trennung der beiden Berufe Haus- und Gartenarchitekt:<br />

„Durch Regelmäßigkeit und Symmetrie erhält der Architekt die Wirkung, nach der<br />

er suchen sollte, aber auf eben diesem Weg verfehlt der Gartenkünstler diejenige,<br />

wonach er streben soll… . Der Gartenkünstler arbeitet (daher) am glücklichsten,<br />

wenn er fast überall das Gegenteil von dem tut, was der Baumeister beachte.“ *<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 209f)<br />

* (Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, 5 Bände,<br />

Leipzig 1779-1785, Bd. 1, 1779, S. 138)<br />

Kent: Gartenkunst und Malerei 260<br />

William Kent (1685-1748, R. C.) verfuhr hier genauso wie in Stowe. Er arbeitete<br />

nicht nach einem vorgefaßten Plan, sondern wanderte umher, suchte die Stellen,<br />

die seinem Malerauge am reizvollsten erschienen, und hielt sie in einer Reihe von<br />

Tuscheskizzen fest. Er gestaltete die neuen Gärten so, dass sie vollkommen mit<br />

der ausgedehnten Landschaft harmonierten. Wegen des Gefälles schienen die<br />

umliegenden Felder, Dörfer und Wälder selbst Teil des Gartens zu sein. Vor allem<br />

aber wollte er die Gärten dem Bild anpassen, das er sich von ihnen gemacht<br />

hatte. Deshalb dienten ihm neben seinen eigenen Skizzen auch Bilder von<br />

Nicolas Poussin (1594-1655, R. C.), Gaspard Dughet (1613-1675, R. C.), Claude<br />

Lorrain (1600-1682, R. C.) und Salvatore Rosa (1615-1673, R. C.) als Inspiration,<br />

die er durch die Gesellschaft Burlingtons schätzen gelernt hatte.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.174)<br />

<strong>Park</strong>gestaltung und Malerei 261<br />

Die Landschaftsgärten, die sich überall in Europa ausbreiteten, spiegelten<br />

die Malerei auf ganz besondere Weise. „Malen Sie, wenn Sie pflanzen!“,<br />

sagte Alexander Pope*, der vielleicht eloquenteste Verfechter eines damals<br />

neuen Stils.<br />

(Michel Baridon, Einführung, in: Alain Le Toquin [Fotos], Jacques Bosser [Text],<br />

Die schönsten Gärten der Welt, Weltbild-Ausgabe, Augsburg 2008, S. 10)<br />

* (Alexander Pope [1688-1744], Englischer Dichter)<br />

Shenstone: Landschaft als Malerei 262<br />

Shenstone präzisierte: “Landskip should contain variety enough to form a picture<br />

upon a canvas.”<br />

(Landschaft sollte genug Varietät enthalten, um ein Bild auf einer Leinwand zu<br />

formen)<br />

(William Shenstone [1714-1763], Unconnected Thoughts on Gardening, 1764)<br />

Kent: „Gartenfähigkeit“ der Landschaft als Grundlage der<br />

inszenierten Ikonografie 263<br />

Entscheidend für das Gelingen einer Gestaltung war die Ausnutzung der<br />

natürlichen Gegebenheiten, die „Gartenfähigkeit“ eines Geländes. Wie<br />

82


schon Pope forderte, verstanden es dann Kent und seine Nachahmer, die<br />

vorgefundene Landschaft als Grundlage der Gestaltung eines in<br />

aufeinanderfolgenden Einzelbildern gedachten Raumgefüges zu nutzen.<br />

Kent versuchte nicht, irgendein Schema auf das Gelände zu übertragen,<br />

sondern ging von der konkreten Gartensituation aus. Er inszeniert hier ein<br />

ikonographisches Bildprogramm, das der Spaziergänger „durchleben“<br />

sollte. Sehr deutlich ist das noch heute in Rousham ablesbar, einer optimal<br />

erhaltenen Anlage William Kents. Gleichermaßen arbeitete Henry Hoare in<br />

Stourhead. Hier sind um einen angestauten See die malerischen<br />

<strong>Park</strong>szenen entlang einem Gürtel- oder Umgangsweg, dem Belt-walk,<br />

aneinandergereiht. Der Belt-walk war eine weitere Neuerung dieser Zeit,<br />

wichtig für die Erlebbarkeit einer Anlage. Durch ihn wurde der Betrachter<br />

auf einem Gartenrundgang von Bild zu Bild geführt. Mit jeder<br />

Richtungsänderung des Weges ergab sich eine neue Blickrichtung, eine<br />

neue Szene.<br />

(Trauzettel, Ludwig, Die Wörlitzer Anlagen – Geschichte und Gegenwart in: Ross,<br />

Hartmut, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch / Ross /<br />

Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen, Berlin-<br />

München 1994, S. 164)<br />

* (Kent, William, 1685-1748, Englischer Maler und <strong>Park</strong>gestalter)<br />

Voght: <strong>Park</strong>gestaltung und „Gemüth“ 264<br />

Der Besitzer und, er darf es wohl in mancher Hinsicht sagen, der Schöpfer<br />

Flottbeks (Voght spricht hier von sich selbst in der 3. Person, R.C.), hat von jeher<br />

geglaubt, dass die Kunst der Gartenanlage es hauptsächlich erfordere, eine Reihe<br />

von Landschaften zu bilden, deren malerische Beleuchtung für gewisse Tageswie<br />

für die Jahreszeiten berechnet den dafür empfänglichen Gemüthern nicht<br />

allein Natur und Kunstgenuss zugleich verschaffe; sondern, dass es ihr noch<br />

höherer Beruf sey, jeder dieser Landschaften den Charakter abzulauschen, den<br />

die Natur ihr verlieh; diesen mit sorgsam schüchterner Hand auszubilden, und<br />

dem Beschauer zu verdeutlichen; glücklicher noch wenn es ihr gelingt, durch den<br />

Gesammteindruck das Gemüth zu beruhigen oder zu bewegen im Zauber des,<br />

alles zu neuer Kraft weckenden Frühlings, leise Hoffnungen und frohe Ahnungen<br />

im klopfenden Herzen zu erregen, oder beym sanftern Eindruck des bei seinem<br />

Scheiden sich verschönernden Herbstes, den Nachklang lieber Erinnerungen zu<br />

erwecken, und dadurch das Gemüth in stille Wehmuth zu versenken, durch das<br />

Zusammenfassen vieler gleichzeitigen Eindrücke, endlich eine Idee, oder ein<br />

Gefühl hervorzubringen, welches dem lebendigen Gemählde Sinn und Seele<br />

giebt.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 11f) (siehe dazu ergänzend Fußnoten zu Zitat 409)<br />

Voght zum Charakter seiner <strong>Park</strong>gestaltung 265<br />

Die schönen Bäume,<br />

die liebliche Abwechslung von Hügel und Thal,<br />

die mannigfaltigen Baumgruppen,<br />

die so verschiedenen Land-, Strom-, An- und Aussichten<br />

suchte ich zu benutzen, um auf den<br />

durch die (mit solchem Fleiß bestellten) Felder geführten Wegen,<br />

eine Reihe wechselnder,<br />

in ihrem Character von einander verschiedener Landschaften<br />

dem Auge des Wandelnden der Reihe nach darzustellen<br />

83


– dabey alles Kleinliche sorgfältig zu vermeiden,<br />

die Hand der Kunst allenthalben zu verstecken,<br />

und nur große Massen zu bilden,<br />

die des Pinsels würdig wären.<br />

(Aus einem Brief vom 25.04.1828 an seinen Nachfolger Martin Johan Jenisch, zit. n.:<br />

Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg,<br />

2006, S. 50)<br />

Pückler: Bildgestaltung im <strong>Park</strong> – das „Ahnenlassen“ 266<br />

Das effektvolle Verbergen und Ahnenlassen ist schwerer als das offne Zeigen.<br />

Wenn die Beschauer eine Aussicht überraschend schön finden, und nachher bei<br />

längerer Verweilung äußern: Schade, daß der große Baum da noch davor steht,<br />

wie viel herrlicher noch würde sich alles entfalten, wenn der auch weg wäre –<br />

dann eben hat man es gewöhnlich richtig getroffen, und die guten Leute würden<br />

sich sehr wundern, wenn man ihnen den Gefallen täte, den kondemmnierten<br />

Baum wirklich wegzuhauen, und sie nun mit einem Male gar kein Bild mehr vor<br />

sich hätten – denn ein Garten im großen Stile ist eben nur eine Bildergalerie, und<br />

Bilder verlangen ihren Rahmen.<br />

(Hermann Fürst Pückler-Muskau [1785-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

1834, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, © 2004<br />

Deutscher Taschenbuch Verlag, München, S. 157)<br />

Pückler: Leitende Hand und Korrekturen bei der<br />

<strong>Park</strong>gestaltung („lebendes Material“) 267<br />

„Eine große landschaftliche Gartenanlage in meinem Sinne muß auf einer Grundidee<br />

beruhen“, so beginnen Pückler-Muskaus „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“.<br />

Und er plädiert dafür, daß diese „wenn sie ein gediegenes Kunstwerk<br />

werden soll, so viel als möglich nur von einer leitenden Hand angefangen und<br />

beendet werden soll.“ Was nicht heißt, daß die individuelle Prägung durch den<br />

Landschaftskünstler nicht immerwährender Überarbeitung bedarf, arbeitet doch<br />

gerade die Landschaftsgärtnerei, im Gegensatz zur Landschaftsmalerei, mit<br />

lebendigen Materialien wie Baumbeständen, Wasserläufen, Wiesenstücken,<br />

Strauchgewächsen etc., die obendrein abhängig sind vom Wechsel der<br />

Jahreszeiten. Demzufolge gehören Korrekturen von Entwurf, Plan und<br />

Ausführungsarbeit zum Gestaltungsprozeß der landschaftlichen Strukturen.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 230)<br />

Hirschfeld: Charakteristische Szenen, Bilder und Partien 268<br />

Größere <strong>Park</strong>s waren – durch die Art der Bepflanzung und die Bodenmodellierung<br />

– in unterschiedliche, mehr oder weniger deutlich voneinander unterschiedene<br />

Gartenräume, einzelne „Scenen“, „Bilder“ und „Partien“ unterteilt.<br />

Hirschfeld wollte diese einzelnen Bereich zusätzlich durch verschiedene<br />

Charaktere und Stimmungen voneinander unterscheiden, die „entweder einsam,<br />

ernsthaft, melancholisch, feierlich, lebhaft, lachend, romantisch, wild, traurig,<br />

fruchtbar, öde, frei, versperrt usw. sein können. (…) Man merke sodann auf die<br />

natürlichen Abtheilungen dieses Charakters, um darnach die die nöthigen<br />

Ausbildungen und die Anlegung der Scenen an ihrem Orte so zu treffen, dass<br />

eine jede mit dem Charakter des Platzes, wo sie sich befindet, vollkommen<br />

übereinstimmen.“*<br />

84


(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 40)<br />

*(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Bd. 2, S. 10)<br />

Shenstones Programm einer „ornamented farm“ 269<br />

Den Belt-walk findet man auch in den Leasowes, dem Wohnsitz des<br />

Dichters William Shenstone (1714-1753). Mit Shenstones „ornamented<br />

farm“ gewinnt eine mehr landschaftliche Gartenauffassung an Bedeutung,<br />

aus der Absicht geboren, eine parkartig idealisierte Landschaft zu schaffen,<br />

ohne auf den wirtschaftlichen Nutzen und die landwirtschaftlichen Funktionen<br />

des Besitzes zu verzichten. Shenstone folgte einem Beispiel von<br />

Philip Southcote, der in Woburn farm ein ähnliches Beispiel geschaffen<br />

hatte, und verhalf so dieser Gartenauffassung, der gerühmten <strong>Park</strong>landschaft,<br />

zum Durchbruch. Shenstone komponierte seine Anlage als Folge<br />

von malerischen Einzelbildern an einem Belt-walk, wobei die einzelnen<br />

Szenen und Sichten einen unterschiedlichen Stimmungsgehalt ausdrücken<br />

sollten. Entsprechend der von ihm aufgestellten Theorie unterschied er<br />

erhabene, schöne, melancholische und nachdenkliche Gartenbilder, die auf<br />

dem Führungsweg durch Bänke und Inschriftentafeln markiert und erklärt<br />

wurden.<br />

(Trauzettel, Ludwig, Die Wörlitzer Anlagen – Geschichte und Gegenwart in: Ross,<br />

Hartmut, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch / Ross /<br />

Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen, Berlin-<br />

München 1994, S. 164)<br />

Pückler über Licht und Schatten bei der Gartengestaltung 270<br />

„Man verteile überall in dem Gemälde Licht und Schatten zweckmäßig, so wird<br />

dadurch die Gruppierung im Großen in der Hauptsache gelungen sein“, empfiehlt<br />

Fürst Pückler, „denn Rasen, Wasser und Fluren, als selbst keine Schatten werfend,<br />

sondern solche nur von anderen Gegenständen aufnehmend, sind das<br />

LICHT des Landschaftsgärtners, Bäume, Wald und Häuser dagegen (auch Felsen,<br />

wo sie benutzt werden können) müssen ihm als Schatten dienen“.<br />

(Hermann Fürst von Pückler-Muskau [1789-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

zit. n.: Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die<br />

Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 223)<br />

Bridgeman: Gärten als Teil der Landschaft 271<br />

Bridgemans (Charles Bridgeman, 1690-1738, R. C.) erster Auftrag war die Anlage<br />

des Gartens von Claremont für den Duke of Newcastle. Seine völlig neue<br />

Methode beschrieb Stephen Switzer als „schlichte und unaffektierte Art, Gärten so<br />

zu umfrieden, dass die Landschaft, in die sich eingebettet sind, so aussieht, als<br />

sei sie Teil des Gartens.“ * An den Grenzen des Anwesens hob er breite Gräben<br />

aus, deren Böden mit Steinen gepflastert wurden. Diese Gräben, die wegen des<br />

Überraschungseffektes Ha-has genannt wurden, hielten unter anderem Tiere<br />

davon ab, auf den Rasenflächen des Gartens herumzustreunen, ohne dabei die<br />

Sicht zu beeinträchtigen.<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.172)<br />

*(zit. n.: Christopher Hussey, English Gardens and Landscapes, 1700-1750, London<br />

1967)<br />

85


Landschaftspark: Teil der ungebundenen Natur 272<br />

Im Verlauf der Entwicklung des Landschaftsgartens gehen <strong>Park</strong> und freie<br />

Landschaft eine immer engere Verbindung ein; der <strong>Park</strong> wird mehr und mehr in<br />

die umgebende Landschaft einbezogen: „You must call in the country“ (Du must<br />

das Land einfordern), hatte schon Alexander Pope gefordert, und wenig später<br />

vollbrachte Kent die revolutionäre Tat, mit der dies erreicht wurde. Es war, wie<br />

Walpole ein wenig poetisch umschrieb, Kents Sprung über den Zaun, der die<br />

Erkenntnis vermittelte, dass schon die Natur ein Garten ist: „He leaped the fence<br />

and saw that all nature was a garden“ (Er sprang über den Zaun und sah, dass<br />

die ganze Natur ein Garten war) *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 40)<br />

*(Horace Walpole, On Modern Gardening, 1770, S. 44)<br />

Unterschiedliche Gestaltungsprinzipien: Übersicht (eben)<br />

contra Überraschung (hügelig) 273<br />

Der im Barockgarten erreichte, von einem Punkt aus mögliche Überblick über den<br />

gesamten Garten wird im Landschaftsgarten vermieden. Man will sich beim<br />

Durchwandern des <strong>Park</strong>s durch plötzlich bietende Aussichten überraschen<br />

lassen. Sanfte Übergänge werden bevorzugt, ideal ist eine mittlere, hügelige<br />

Landschaft, die die Extreme vermeidet.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 37)<br />

Latium und England: „undulating ground“ 274<br />

Dem Vorbild einer freien Naturlandschaft folgend, wie man sie in Latium, teilweise<br />

auch in England vorfand, bemühten sich die Landschaftsgärtner um eine Physiognomie,<br />

bei der Bodenerhebungen und Senkungen, Freiflächen und Anpflanzungen<br />

sich abwechselten. Auch die Bodenoberfläche ist in Nachahmung des<br />

Brownschen Stilprinzips des undulating ground möglichst gewellt. Ein in dieser<br />

Weise vielförmiges Landschaftsbild „bietet in den beständigen Ungleichheiten,<br />

Krümmungen und Senkungen des Bodens mehr Abwechslung, in den Aussichten<br />

mehr Größe und Mannichfaltigkeit (…)“ *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 37)<br />

*(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Bd. 2, S. 7)<br />

„Variety“ = Mindestgröße und „optische“ Vergrößerung 275<br />

Das Ziel größtmöglicher Mannigfaltigkeit und Unüberschaubarkeit ließ sich<br />

natürlich um so eher erreichen, je ausgedehnter das zur Verfügung stehende<br />

Gelände war. Eine ausreichende Größe war daher stets ein wichtiges Kriterium<br />

der Gestaltung. Deshalb galten überall dort, wo nur begrenzter Raum zur Verfügung<br />

stand, die Veränderungen zuerst der Verschleierung seiner Begrenzung.<br />

„Nicht wie er ist, sondern wie er uns erscheint“ *, ist nach Pückler maßgebend<br />

(…).<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 37)<br />

*(Hermann Fürst Pückler-Muskau [1785-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

1834, S. 28)<br />

86


Landschaftsgarten: Abwechslung / „Variety“ 276<br />

Anders ist es auf der Höhe, anders in der Tiefe; jeder Schritt führt auf eine neue<br />

Lage, auf ein neues Gemälde, bey aller Unbeweglichkeit der Gegenstände. Die<br />

Szenen verschwinden und kommen wieder hervor; neue verhüllen die alten; die<br />

Situationen ändern sich unaufhörlich ab.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Bd. 2, S. 7)<br />

Landschaftsgarten: die Wege! 277<br />

Ein Grundprinzip des Landschaftsgartens besteht darin, dass sich der <strong>Park</strong> und<br />

seine Schönheiten dem Besucher sukzessive erschließen; Wege sind hierbei „die<br />

stummen Führer des Spazierengehenden“,* die sich so weit wie möglich den<br />

natürlichen Gegebenheiten anpassen sollten. Die Natur aber, so lautet das Credo<br />

schon bei Kent, vermeidet die gerade Linie.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 40)<br />

*(Hermann Fürst Pückler-Muskau [1785-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

1834, S. 106)<br />

Landschaftsgarten: die Wege als „serpentine“ 278<br />

In Abgrenzung des Landschaftsgartens gegenüber der formalen Struktur des<br />

Barockgartens und seinen schnurgeraden Alleen wurde dann der Wegführung<br />

bewusst eine der Natur angepaßtere Form gegeben. Vorbild war zunächst die<br />

berühmte Schlangenlinie, die in der Nachfolge William Hogarths („The Analysis of<br />

Beauty“, 1753) als Paradigma von Schönheit schlechthin galt.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 40f)<br />

Hirschfeld gegen die „reguläre Schlangenlinie“ 279<br />

Die gemeine reguläre Schlangenlinie enthält fast eben so viele Einförmigkeit, als<br />

die gerade Linie. Dagegen verdient die sich ohne Regelmäßigkeit frei krümmende<br />

und mit Abwechslung schlängelnde Manier unstreitig den Vorzug. Wir wollen sie<br />

die Naturlinie nennen.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Bd. 2, S. 12)<br />

Pückler zur Gestaltung der Wege im Landschaftsgarten 280<br />

Der bedeutende deutsche <strong>Park</strong>gestalter Hermann Fürst Pückler-Muskau beschrieb<br />

im 19. Jahrhundert fünf Punkte für die Anlage von Wegen in Gärten und<br />

<strong>Park</strong>s: Sie sind so zu führen,<br />

Ä „dass sie auf den besten Aussichtspunkte ungezwungen leiten,<br />

Ä dass sie an sich eine gefällige und zweckmäßige Linie bilden,<br />

Ä dass sie auch die übersehbaren Flächen, durch die sie führen, nur in<br />

malerischen Formen abschneiden,<br />

Ä dass sie nie ohne Hindernis uns sichtlichen Grund sich wenden,<br />

Ä endlich, dass sie technisch gut gemacht werden, immer hart, eben und trocken<br />

sind.“<br />

(Hermann Fürst Pückler-Muskau [1785-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

1834, zit. n.: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 40)<br />

87


Pückler für einheimische Pflanzen 281<br />

(…) gab Pückler den einheimischen Pflanzen aufgrund ihrer natürlichen Erscheinung<br />

im <strong>Park</strong> entschieden den Vorzug. Er fürchtete die „höchst widrige affektierte<br />

Wirkung“ der fremdländischen Pflanze, denn „auch die idealisierte Natur muß<br />

dennoch immer den Charakter der Landes und Klimas tragen, wo sich die Anlage<br />

befindet, damit sie wie von selbst so erwachsen erscheinen könne, und nicht die<br />

Gewalt verrate, die ihr angetan ward.“ *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 59)<br />

* (Hermann Fürst Pückler-Muskau [1785-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

1834, S. 87)<br />

Kent: Vielfalt, aber Harmonie (Ordnung) 282<br />

So beschrieb Samuel Boys in seinem Gedicht The Triumph of Nature, wie in<br />

diesen Gärten die Natur über die Kunst und die Tugend über die Verderbnis<br />

triumphierte. Da die Tugend nicht aus der Unordnung entstehen kann, konnte die<br />

große Vielfalt von Szenen, die Kent in seinen Elysian Fields schuf, nur von einer<br />

überlegenen Harmonie kontrolliert werden: „Hier sehen Sie Ordnung in der Vielfalt,<br />

denn alle Dinge sind verschieden und befinden sich dennoch in Harmonie.“ *<br />

Auch William Gilpin betonte die Harmonie, die Kent und Gibbs zwischen der<br />

Vielfalt der visuellen Effekte schufen, die einerseits die Empfindungen und die<br />

Phantasie anregten, und den Tempeln und Rotunden, die andererseits das menschliche<br />

Denke befruchteten: „… Und wenn jemand sagt, die Gärten neigten in<br />

einigen Teilen zu sehr zur Liebe für das Ungezügelte, das Sinnliche, so kann doch<br />

andererseits nicht geleugnet werden, dass sie überaus edle Anregungen zu<br />

Tugend und Ehre vermitteln.“ **<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.174)<br />

* (zit. n.: William Gilpin [1724-1801], A Dialogue upon the Gardens… of Stowe in<br />

Buckinghamshire, London 1749)<br />

** (ebenda)<br />

Chambers: „Immer einerley Charakter“ 283<br />

Bei der Garten- bzw. <strong>Park</strong>gestaltung forderte William Chambers, „immer<br />

einerley Charakter durch Theile der Composition walten zu lassen“.<br />

(William Chambers [1723-1796], englischer <strong>Park</strong>architekt)<br />

Pückler: Pflanzen und Bäume brauchen unterschiedlich<br />

Licht und Luft 284<br />

Zur freien Entwicklung nach allen Seiten bedarf jede Pflanze etwas Luft und Licht,<br />

das ihr gerade so weit gewährt werden muß, als zur Gesundheit, Dichtigkeit und<br />

Fülle alle nötig ist. Es ist dies die Freiheit der Bäume, nach der wir uns ebenfalls<br />

so sehr sehnen.<br />

(Hermann Fürst von Pückler-Muskau [1789-1871], Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,<br />

zit. n.: H. H. Krönert [Hg.], Fürst Pücklers Sprüche, Cottbus o.J. [2004], S. 32)<br />

Repton: Bequemlichkeit vor pittoresker Wirkung 285<br />

So sehr Repton mit diesen Beispielen den Gemäldecharakter von <strong>Park</strong>, Garten<br />

und Haus herausstellte, ging es ihm offensichtlich nicht ausschließlich um die<br />

pittoreske Wirkung. In den „Sketches“ schrieb er: „Die Gartenkunst muss die<br />

beiden gegenseitigen Merkmale ursprüngliche Wildnis und künstlichen Komfort<br />

einschließen, jedes dem Genius und dem Charakter des Ortes angepasst; jedoch<br />

88


eingedenk, dass nahe dem Sitz des Menschen Bequemlichkeit und nicht pittoreske<br />

Wirkung den Vorrang haben muss, wo immer auch sie im gegenseitigen<br />

Wettbewerb eingesetzt werden.“ *<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 394)<br />

*(Humphrey Repton [1752-1818], Sketches and Hints on Landscape Gardening, London<br />

1795)<br />

Maler und Italienreisen als Inspiration:<br />

Idyllische Landschaften und erhabene Antike 286<br />

Dafür konnten sie in den Gemälden Claude Lorrains, Nicolas Poussins oder<br />

Gaspard Dughets in der römischen Galeria Doria Pamphili oder daheim in der<br />

Londoner National Gallery diese einfühlsamen und fast meditativen Landschaften<br />

betrachten. Dort wurde der Bogen geschlagen von der konkret erlebten Landschaft<br />

Kampaniens zur Vision einer vermeintlich paradiesischen Lebensweise.<br />

Ganz direkt aber wurde mit diesen utopischen Landschaften ein Modell vorgeführt,<br />

dass die Verbindung von idyllischer Landschaft und erhabener Antike<br />

anschaulich machte. Dieses Modell mußte nun im Landschaftspark umgesetzt<br />

werden. Anders als bei Le Nôtre (1613-1700, R. C.), der in seinen Gärten die<br />

Fernwirkung einer gemalten Landschaft suggerieren wollten, war es jetzt der<br />

begrenzte Landschafts-ausschnitt, ein für Maler besonders attraktives Motiv, das<br />

als Maßstab für die Gartenanlage galt.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 358)<br />

89


4. <strong>Park</strong>architektur und Architektur im <strong>Park</strong><br />

Goethe: Bauarchitektur und Gartenarchitektur 289<br />

Las im Globe die Geschichte der Kunst- und Naturgärten. Recht einsichtig durchgeführt<br />

und am Ende meine alte, immer genährte Ansicht ausgesprochen, dass<br />

von einer bedeutenden Architektur auch ein architektonischer Übergang zu einer<br />

Gartenanlage bestehen müsse.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe, Tagebuch 02.09.1828, zit. n.: Mit Goethe durch den<br />

Garten, Claudia Schmölders (Hg.), Frankfurt 1989, S. 115)<br />

Staffagearchitektur im Landschaftsgarten 290<br />

(…) Staffagearchitekturen, mit denen das <strong>Park</strong>gelände durchsetzt war. Als<br />

Staffagebauten wurde eine manchmal geradezu phantastisch anmutende Vielfalt<br />

an Gebäude- und Stilformen entwickelt. So halten ganz unterschiedlichen Zeiten<br />

und Länder Einzug in den <strong>Park</strong>: Chinesische Architektur steht neben dem gotisch<br />

Mittelalter, antikes Ebenmaß kontrastiert mit wildromantischer Urwüchsigkeit.<br />

Exotische Formen und Motive, ägyptische Pyramiden und Obelisken, chinesische<br />

Teehäuser und Pagoden sowie arabische Moscheen sollten den Respekt vor den<br />

jeweiligen Weltanschauungen artikulieren, während Gedenksteine und Urnen an<br />

bedeutungsvolle Begebenheiten und Personen erinnerten. Tempel, die antiken<br />

Vorbildern nachempfunden oder kopiert wurden, sind sicherlich in der Überzahl.<br />

Klassische Formen und die Huldigung der Antike behielten im Landschaftsgarten<br />

insgesamt das Übergewicht. Daneben aber artikulierte sich beispielsweise in<br />

Grotten, einem der wenigen Elemente, das aus den Renaissancegärten übernommen<br />

wurde, in Einsiedeleien und Ruinen (…) ein ganz anders gelagerter,<br />

naturfrommer Geschichtsbezug.<br />

(Frank Maier-Solgk, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997, S. 45)<br />

Hirschfeld: Steigerung der Empfindsamkeit durch Natur,<br />

Gärten und Kunstgebilde 291<br />

Gärten sind Plätze, auf welchen der Mensch alle Vorteile des Landlebens, alle<br />

Annehmlichkeiten der Jahreszeiten mit Bequemlichkeit, mit Ruhe genießen kann.<br />

Die Gegenstände der Gärten sind zunächst keine anderen, als Gegenstände der<br />

schönen ländlichen Natur selbst. Der Gartenkünstler muß daher zuvörderst solche<br />

Gegenstände der schönen Natur sammeln und auswählen, die eine vorzügliche<br />

Einwirkung auf das Empfindungsvermögen und die Einbildungskraft haben; er<br />

muß diesen Gegenständen eine solche Ausbildung geben, und sie in eine solche<br />

Verbindung und Anordnung bringen, daß dadurch ihr Eindruck verstärkt werde.<br />

Dadurch verändert ein Platz die Natur einer bloß sich selbst überlassenen<br />

Gegend, und fängt schon an, in einen Garten überzugehen. Dies ist das erste<br />

allgemeine Gesetz der Gartenkunst.<br />

Weil aber der Garten, als ein Werk des Fleißes und des Genies, die Phantasie<br />

und die Empfindung stärker bewegen soll, als eine bloß natürliche Gegend, so soll<br />

der Künstler den Eindruck der Gegenstände der Natur, die er mit Überlegung und<br />

Geschmack gesammelt, ausgebildet und miteinander verbunden hat, dadurch zu<br />

heben suchen, daß er übereinstimmende Gegenstände der Kunst darunter<br />

mische und mit dem Ganzen verknüpfte. Dies ist das zweite allgemeine Gesetz<br />

der Gartenkunst.<br />

(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig<br />

1779-1785, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, © 2004 Deutscher<br />

Taschenbuch Verlag, München, S. 151f)<br />

90


Bedeutung und Begrenzung von Architektur im<br />

Landschaftspark 292<br />

Die wichtigste Funktion der <strong>Park</strong>bauten ist, zur optischen Bereicherung des <strong>Park</strong>bildes<br />

beizutragen: „Gebäude (…) dienen zuvörderst der Belebung einer Gegend<br />

überhaupt; sie nehmen ihr das Einförmige und Oede“. ... „Außerdem“, so Hirschfeld<br />

weiter, „wird ihre Wichtigkeit dadurch noch näher erleuchtend, dass sie sich<br />

theils als Mittel zur Bezeichnung und Verstärkung der Charaktere der Gegenden,<br />

theils als Denkmäler betrachten lassen.“ * Die wichtigste Regel für Architektur im<br />

Landschaftsgarten aber ist: Das aus dem Barock übernommene Schloß oder die<br />

neu errichtete Landvilla sind nicht mehr der von überall sichtbare zentrale Punkt,<br />

auf den die <strong>Park</strong>anlage zugeordnet ist; ihre Bedeutung ist reduziert auf die eines<br />

optisch markanten Höhepunkts unter mehreren. Das Schloß wird nun zum Bestandteil<br />

einer von mehreren Gartenszenen, in die es sich als Blickfang einfügt.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 44)<br />

*(Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Bd. 3, S. 41f)<br />

Staffagen im Landschaftspark 293<br />

Die Staffagen des Landschaftsgartens sollen nicht nur vielfältige Assoziationen<br />

und Gedanken wecken, sondern auch im Gemüt des Betrachters bestimmte<br />

Empfindungen und Gefühle erregen. Ihre Rolle als Motiv in einem dreidimensionalen<br />

Gemälde führte im Extremfall dazu, daß nur eine zweidimensionale<br />

Kulissenarchitektur, ein sogenannter „eyecatcher“ oder Blickfang errichtet wurde.<br />

(Adrian von Buttlar, Englische Gärten, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten<br />

und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 178f)<br />

Die englischen Vorbilder für Wörlitz – und Goethes Lob 294<br />

Vom Genius loci ausgehend, vermochten in jeder weiteren Konzeption die<br />

englischen Landschaften von William Chambers oder Lancelot Brown Vorbilder zu<br />

geben: real als räumliche Kunstwerke nachempfunden, erst im Gehen zu verstehen,<br />

mit ihrem Wegesystem hinführend zu Zierat und Architekturzitat, nicht zuletzt<br />

ja auch pädagogisch als ein kunsthistorischer Lehrpfad gedacht, angereichert mit<br />

Stimmungsbildern, mythologischen Hinweisen, Allegorien, nicht zuletzt Inschriften<br />

wie „Hier wird die Wahl schwer, aber entscheidend“ und zu beiden Seiten Sitzgelegenheiten.<br />

Geht der geneigte Wanderer der Verführung einer Venus oder doch<br />

lieber der Weisheit entgegen? Goethe jedenfalls, der Freund und vielfache<br />

Besucher des Fürsten Franz, hat sich in dieses Arkadien wie in einen Traum<br />

versetzt gefühlt: „Es ist, wenn man so durchzieht, wie ein Märchen, das einem<br />

vorgetragen wird, und hat ganz den Charakter der elysischen Gefilde“, schrieb er<br />

Charlotte von Stein.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 211f)<br />

Staffagen im Landschaftspark als freimaurerischer Ausdruck 295<br />

Ägyptische Sphinge und Götterfiguren, elysische Landschaftskompositionen,<br />

dreigesichtige Götterembleme, auffallend sprechende Namen, wie Freundschaftstempel<br />

und Philosophenhaus – auch in diesen für den Landschaftsgarten<br />

typischen Beispielen einer offenbar symbolischen Architektur kommt die Vorliebe<br />

der Zeit für Exotisches zum Ausdruck. Immer wieder hat man in solchen Motiven<br />

darüber hinaus auch einen freimaurerischen Hintergrund sehen wollen. Wie der<br />

Landschaftsgarten selbst, so stammt auch die Freimaurerei aus England (free-<br />

91


masons war ursprünglich die Bezeichnung für die nicht zunftgebundenen, freien<br />

Steinbildhauer und Steinmetzen), deren Bedeutung für die Formierung der<br />

bürgerlichen Gesellschaft in der Bildung einer sozialen Gruppe gesehen wird, die<br />

sich in Abgrenzung zum Staat durch einen moralischen Anspruch begründete.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 49)<br />

Vitruv und Palladio in England 296<br />

1715 waren in England zwei wichtige Werke erschienen; zum einen die<br />

englische Ausgabe der Schriften Palladios „Vier Bücher zur Architektur“, zum<br />

anderen das von dem Architekten Colin Campbell herausgegebene Werk<br />

„Vitruvius Britannicus“, die beide zur Verbreitung Palladios und der vitruvianischen<br />

Architekturtradition in England beitrugen.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 15)<br />

„Palladianismus“ – von Veneto nach England 297<br />

Die als Palladianismus bezeichnete klassizistische Architekturströmung in Europa<br />

vom 16. bis zum 18. Jahrhundert geht auf die Bauwerke und Publikationen des<br />

italienischen Renaissance-Architekten Andrea Palladio (1508-1580) zurück. Der<br />

vor allem in Veneto tätige Baumeister hatte sich intensiv mit der antiken römischen<br />

Architektur und deren Proportionslehren auseinandergesetzt. Ausgehend von den<br />

Schriften des Vitruv, dessen zehnbändiges Werk De architectura als einziges<br />

antikes Architekturtraktat enthalten ist, veröffentlichte er 1570 die Quattro libri dell’<br />

archittetura, mit denen nicht nur seine zahlreichen Villenbauten und Stadtpaläste<br />

einem breiten Publikum bekannt wurden, sondern auch die Proportionslehre und<br />

damit die Maßvorstellungen der Antike wieder ins Bewusstsein der Architekten<br />

gelangten. … Vor allem im protestantischen Nordeuropa, zunächst in den Niederlanden<br />

und in England, wurde diese Architekturströmung als Gegenentwurf zum<br />

katholischen, römischen Barock aufgegriffen. … Anfang des 18. Jahrhunderts<br />

entdeckte die englische Aristokratie den Palladianismus für sich erneut. Politische<br />

Oppositionelle, die gegen die Aushöhlung liberaler Prinzipien durch die Hannoveraner<br />

Könige antraten, sahen in der Villenkultur und der Verherrlichung des<br />

Landlebens eine adäquate Entsprechung ihrer sozialen Ideale. Ihre noch<br />

barocken, regulären Gartenanlagen außerhalb Londons verwandelten sie<br />

in Landschaftsgärten, die mit Villenarchitekturen nach dem Vorbild Palladios<br />

geschmückt wurden. Die Architekten William Kent (um 1685-1748) und Colen<br />

Campbell (um 1675-1729) schufen eine Vielzahl von Landsitzen im palladianischen<br />

Stil, in denen sie unter Wahrung der antiken Proportionen einen zentralen<br />

Wohntrakt mit den notwendigen Wirtschaftseinrichtungen in den Seitenflügeln<br />

verbanden. Bequemlichkeit und Eleganz waren hier mehr gefragt als höfischer<br />

Prunk und zeremonielles Gehabe. … Schon bald avancierte der Palladianismus<br />

zur vorherrschenden Architekturströmung im England des 18. Jahrhunderts und<br />

fand von hier aus auch Verbreitung auf dem Kontinent.<br />

(Ingo Pfeifer, Palladianismus, in: Unendlich schön, Das Gartenreich Dessau-Wörlitz“,<br />

Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.121)<br />

92


Pope: Antike Architekturregeln = Naturregeln 298<br />

„Lern nur die Regeln der Alten wahrhaft achten / Denn sie nachahmend, ahmst<br />

Du die Natur nach“, so hat Pope den Zusammenhang von antiken Architekturregeln<br />

und den Regeln der Natur formuliert.<br />

(Alexander Pope [1688-1744], Essay on Critizism, zit. n.: Frank Maier-Solgk, Andrea<br />

Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997, S. 15)<br />

Voght: Natürliche Konstruktionen im <strong>Park</strong> 299<br />

Hütten und Sitze aus den Aesten der Bäume, welche sie beschatten, und dem in<br />

diesem Schatten wachsenden Moose zusammen gesetzt; Ruheplätze, welche die<br />

Landschaft bezeichnen, auf welche man aufmerksam machen wollte, schienen<br />

ihm allein sich der Gattung anzupassen, welche die Engländer ornamented farm<br />

nennen. (Voght spricht hier von sich selbst in der 3. Person, R. C.)<br />

(Caspar Voght [1752-1839], Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte<br />

Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990, S. 13)<br />

Pückler zum „gotischen Stil“: deutsch, aber unzeitgemäß 300<br />

In der „steinernen Vegetation“ der Gotik scheint der Stein, schreibt er in den<br />

„Briefen eines Verstorbenen“, „gleich einer Pflanze emporgewachsen“ zu sein.<br />

„Mir ist sie immer wie die echt romantische, d.h. echt deutsche, Bauart<br />

vorgekommen, aus unserem eigensten Gemüt entsprossen. Doch, glaube ich,<br />

sind wir jetzt entfremdet, da eine mehr schwärmerische Zeit dazu gehört. Wie<br />

können sie wohl noch einzeln bewundern und lieben, aber nichts mehr in der Art<br />

schaffen, was nicht den nüchternsten Stempel der Nachahmung trüge.<br />

Dampfmaschinen und Konstitutionen geraten dagegen jetzt besser als überhaupt<br />

alle Kunst. Jedem Zeitalter das Seine.“<br />

(Hermann Fürst Pückler-Muskau [1785-1871], Briefe eines Verstorbenen, 1828-30,<br />

zit. n.: Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland,<br />

Stuttgart 1997, S. 48)<br />

Landschaftsparks: Stilvielfalt als individueller Ausdruck<br />

(des Bauherren) 301<br />

Dass sich kein verbindlicher Stil mehr in den Landschaftsgärten herausbildete, lag<br />

nicht zuletzt daran, dass die Frage des architektonischen Stils zu einer Frage des<br />

persönlichen Geschmacks geworden war. Man wählte den Stil entsprechend der<br />

Vorliebe des Bauherrn, der den Garten zunächst als sein privates Refugium ansah,<br />

in dem auch stilistisch eine individuelle Beliebigkeit herrschte. Darüber hinaus<br />

war das Nebeneinander der Stile Ergebnis der Absicht, verschiedene<br />

Stimmungen zu erzeugen. Diese ließe sich außer durch landschaftliche Szenen<br />

auch durch unterschiedliche Architekturen hervorrufen, die in erster Linie als<br />

Bedeutungsträger aufgefasst wurden. Der Rundbau einer Synagoge in Wörlitz<br />

war daher als Ausdruck für die religiöse Toleranz des Bauherrn zu verstehen.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 45)<br />

Hirschfeld zum „Denkmalkult“ als „Pädagogik“ 302<br />

Im Zuge der Aufgabe emblematischer Bezüge sind auch die freimaurerischen<br />

Motive mehr und mehr verschwunden. In den späteren expressiven und romantischen<br />

Landschaftsgärten ist in erster Linie die Natur Träger des gedanklichen<br />

Gehalts. Beibehalten wurden jedoch auch in den späten Landschaftsgärten<br />

Denkmäler, Statuen und Gedenksteine, die oft mit Inschriften versehen wurden.<br />

93


Der Denkmalkult, der im Verlauf den 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht,<br />

hat im Landschaftsgarten eine seiner Quellen. Warum sie dort so beliebt waren,<br />

steht wiederum bei Hirschfeld: „Sie (sc. Denkmäler und Inschriften) halten oft den<br />

flüchtigen Lustwandler an; sie reizen das Nachdenken zu einer Zeit, da man sich<br />

blos den sinnlichen Bewegungen überlässt, sie unterhalten in der Einsamkeit,<br />

beleben die Einbildungskraft, wecken die Empfindlichkeit, oder streuen nützliche<br />

Erinnerungen über den Pfad des Vergnügens oder über den Sitz der Ruhe aus;<br />

und fast immer sind sie doch wichtig als Veranlassung zu einer Folge von Ideen<br />

und Empfindungen, welchen sich die Seele vielleicht ohne sie nicht so leicht<br />

überlassen hätte.“ *<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 53)<br />

* (Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, Leipzig 1779-<br />

1785, Bd. 3, S. 155)<br />

Repton zur Cottage-Architektur 303<br />

I think a covered seat at the gable end of a neat thatched cottage will be the best<br />

mode of producing the object here required, and the idea to be excited is „la<br />

simplicité soignée”.<br />

(Ich meine, ein überdachter Sitzplatz am Giebel-Ende einer schmucken Reetdach-Kate<br />

wird am besten die gewünschte Wirkung erzeugen, und zwar soll die<br />

Vorstellung „gepflegter Schlichtheit” geweckt werden.)<br />

(Humphrey Repton [1752-1818], 1796, zit. n.: Paul Ziegler, in: Reinhard Crusius, Der<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 152)<br />

Chinesische Anregung: Schmuckelemente für die Natur 304<br />

Hier ist in erster Linie China zu nennen. Reiseberichte aus der ersten Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts erzählten von wunderbaren Gärten, die sich mit ihren Menagerien,<br />

gewundenen Pfaden, künstlichen Hügeln und Wasserläufen mit zierlichen<br />

Bogenbrücken wie Miniaturlandschaften ausnahmen. Diese chinesische Variante<br />

des englischen Gartens wurde bald zum Grundmotiv vieler europäischern<br />

Landschaftsgärten um 1800. (…)<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 354 )<br />

Römische Anregung: Schmuckelemente für die Natur 305<br />

Neben den von China exportierten Exotica waren die Engländer auf ihrer Grand<br />

Tour in Italien auch von der Römischen Antike begeistert. Sie reisten über die<br />

Toskana nach Rom, um dort das antike Erbe zu bestaunen. Weiter ging es durch<br />

Latium an den Golf von Neapel und an der amalfitanischen Küste entlang bis<br />

nach Paestum. Italien galt als Sehnsuchtsland für aufgeklärte Geister. (…)<br />

Durch die von Inigo Jones zuvor schon rezipierte Palladio-Architektur an den<br />

italienischen Gustus gewöhnt, begannen die Gartenarchitekten auf dringende<br />

Empfehlung ihrer Auftraggeber hin, kleine Rundtempelchen oder Tempelfassaden,<br />

antike Büsten und Statuen zusammen mit chinesischen Pagoden,<br />

Pavillons und Bogenbrücken wie theatralische Versatzstücke in verschiedenen<br />

Gartenbereichen zu platzieren.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 358)<br />

94


Statuen und bauliche „Schmeichelelemente“ als<br />

Bestandteile der Garten- und <strong>Park</strong>gestaltung 306<br />

Über Kunst und Schönheit lässt sich trefflich streiten, doch die Gartenarchitektur<br />

bringt sie miteinander in Einklang. Ein wichtiges Gartenelement<br />

sind von jeher die Skulpturen. In Verbindung mit der Rückbesinnung auf die<br />

Antike und der Sammelleidenschaft im Renaissance-Humanismus lebt auch<br />

die Passion für Statuen wieder auf. Bereits die alten Ägypter schmückten<br />

ihre Gärten mit Gottheiten und Sphinxen, die Griechen stellen Statuen ihrer<br />

Götter auf, die Römer ihrer göttergleichen Imperatoren; alle waren aber<br />

sehr darauf bedacht, dass die Figuren sich in ein stimmiges Gesamtkonzept<br />

oder Gartenambiente einfügten. So kommt es, dass Marmorstatuen ab dem<br />

16. Jahrhundert wieder zu wichtigen Gestaltungselementen für die Architektur<br />

werden. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang<br />

ebenso die zumeist abstrakte Gegenwartskunst, wie sie in einigen modernen,<br />

aber auch in alten Gärten zu finden ist. Hierbei sind wahre Freiluftmuseen<br />

entstanden, in denen die Künstler ihre Plastiken gestalten und<br />

später ausstellen. Allein für diese Orte geschaffen, bilden diese Werke mit<br />

der Landschaft und der Natur, die sie umgibt, eine unauflösliche Einheit.<br />

Die Gartenarchitekten der englischen Landschaftsparks träumten davon,<br />

Gartenstile aller Epochen in einem einzigen Entwurf zu vereinen. Daher<br />

findet man hier chinesische Teehäuser neben griechisch-römischen Ruinen,<br />

Obelisken und Pyramiden, Vasen, Urnen, Kugeln und Kenotaphe.<br />

Englische Gärten sind der Triumph des Eklektizismus, der kreativen<br />

Kombination aller Stilelemente, des raffinierten und gebildeten Zitats. Ihre<br />

wichtigste Quelle ist der Renaissancegarten.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 552f)<br />

Zur Rolle der baulichen Versatzstücke im Wörlitzer <strong>Park</strong> 307<br />

In den Hundstagen trat ich … eine Reise nach Dessau und Wörlitz an.<br />

Der dortige schöne Garten, von einem der kunstgebildetsten Fürsten<br />

Deutschlands angelegt, mit trefflichen landschaftlichen Partien, ist oft sehr<br />

falsch beurteilt worden, weil man ihn aus einem ganz andern Gesichtspunkt<br />

betrachtete als sein Schöpfer. Man findet die Bauwerke kleinlich, die<br />

Bildsäulen von gewöhnlicher Arbeit, viele Spielerei usf.; aber man tut<br />

unrecht, den modernen Maßstab anzulegen. Es war nicht die Absicht,<br />

prächtige Werke zu erbauen, die als solche sich Geltung verschaffen,<br />

sondern man wollte Phantasien daran knüpfen und dem Naturgenusse<br />

durch den menschlichen Gedanken eine höhere Weihe geben. War Material<br />

und Ausführung nicht gerade störend, leisteten sie, was man von ihnen<br />

forderte, so war dies gerade recht; sie dienten nur als Mittel zum Zweck und<br />

sollten nichts anderes sein. Fand man zum Beispiel auf einem von hohen<br />

Tannen ernst umschatteten Platz die Büsten einiger unserer großen<br />

Dichter, wenn auch nur aus Sandstein gemeißelt und mit ihren Namen<br />

versehen, so war dies eine Aufforderung, sich mit ihnen zu beschäftigen,<br />

sich ihrer zu erinnern oder, wenn man Lust und Zeit hatte, schöne Stellen<br />

ihrer Werke ins Gedächtnis zurückzurufen. Es war nicht die Absicht,<br />

plastische Kunstwerke aufzustellen, die als solche durch Material und<br />

Ausführung die ganze Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahmen und<br />

von dem beabsichtigten Ziele vielleicht gerade ablenkten. Das Verdienst<br />

lang einzig und allein in der Harmonie des symbolisch dargestellten<br />

Gedankens mit der Örtlichkeit und ihrem Charakter. Kleine Tempel, Büsten<br />

und allegorische Figuren reichten dazu aus, nicht sowohl um den Gedanken<br />

95


zu verkörpern, sondern nur um ihn anzuregen, und die Umgebung oder<br />

auch wohl eine Inschrift hatte ihn weiter auszuspinnen. Man brachte so bald<br />

berühmten Dichtern eine Huldigung, bald stellte man den Weg der Tugend<br />

und des Lasters, ein Elysium und einen Tartarus dar, bald die Reste eines<br />

römischen Amphitheaters oder eine andere Ruine, um an die versunkene<br />

Welt der Griechen und Römer zu erinnern, bald einen feuerspeienden Berg,<br />

um an Italien und das zu mahnen, was es eigentlich charakterisiert. Man<br />

wies der Phantasie, der süßen Träumerei, der Erinnerung, der Schwärmerei<br />

gewisse Bahnen an, auf welchen sie in Gemeinschaft mit dem Genusse<br />

schöner Natur der edelsten und beseligendsten Empfindungen teilhaftig<br />

wurde. Das wurde angestrebt, und das ist dem edlen, geistvollen Fürsten<br />

oft bewundernswürdig gelungen. Diesen Gesichtspunkt muß man<br />

festhalten, um Gärten aus jener Zeit nicht falsch zu beurteilen und den<br />

dargestellten Gegenständen nicht eine Geltung beizulegen, die sie an und<br />

für sich nicht hatten.<br />

(Karl Friedrich von Klöden [1786-1856], preußischer Pädagoge, zit.n: Hartmut<br />

Ross, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch / Ross /<br />

Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen, Berlin-<br />

München 1994, S. 148 f)<br />

Girardins strenge Handhabung des literarischen und<br />

architektonischen Dekors: Sinn, nicht nur Schmuck 308<br />

„Alle Sprachen zugelassen“ (…) Die Vielfalt der verwendeten Sprachen macht<br />

den Reichtum des Gartens aus und spiegelt den Wissensdurst seines Besitzers<br />

wider.<br />

Hier Latein, dort Griechisch, Deutsch auf dem Grab des Malers Mayer, anderswo<br />

Englisch oder auch Italienisch. Im Übrigen ist der universale Charakter auch in<br />

den angedeuteten Epochen gegenwärtig: Die arkadische Weidenlandschaft ist ein<br />

antiker Traum, der Turm der Gabrielle ruft das feudale Zeitalter wach, und der<br />

Tempel der Philosophie (oft mit dem Zusatz der „modernen“ Philosophie) wirkt wie<br />

eine Trophäe der Modernität. Diese Vielfalt wollte der Marquis (René-Louis de<br />

Gairardin [1735-1808], R. C.) in einer gewissen Reihenfolge erhalten und mit<br />

einem gewissen Anspruch auf Sinnzusammenhang. Er selbst kritisierte Gärten mit<br />

unzusammenhängenden Elementen. Er fasst das so zusammen: „Man glaubte<br />

eine große Vielfalt erzeugen zu können, indem man die Hervorbringungen aller<br />

Klimate, die Denkmäler aller Zeiten aufhäufte und auf kleinstem Raum,<br />

sozusagen, einsperrte.“<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Ausstellungselemente für die Nutzung (Licht, Schatten,<br />

Schutz usw.) 309<br />

Der Garten als Saal verlangt nach einer Einrichtung. Ein Gartensaal bietet<br />

Gestaltungsmöglichkeiten für den persönlichen Geschmack und die<br />

individuellen Bedürfnisse. Egal, ob der Garten Ort der Ruhe und Erholung,<br />

der Kontemplation und Meditation, der Zerstreuung und des Vergnügens<br />

sein soll – es wird eine Ausstattung benötigt, Gegenstände, um diesen Ort<br />

im Grünen entsprechend zu nutzen. So findet man Stühle und Bänke,<br />

Pergolen, Belvederes, Pavillons, Brücken, Laternen, Zäune, Tore und vieles<br />

mehr. Und weil es in jedem Garten Ruheplätze gibt, spielen Stühle und<br />

Bänke eine besondere, eher praktische als künstlerische Rolle.<br />

Gartenplaner der viktorianischen Epoche haben einen ausgefeilten Blick für<br />

96


Bequemlichkeit und praktische Nützlichkeit. … Auch die Beleuchtung des<br />

Gartens, von der einfachen Fackel über Laternen für Kerzen, Gas- oder<br />

Ölbetrieb bis hin zum modernen elektrischen Leuchtkörper, hat die Fantasie<br />

der Gartenarchitekten beflügelt. Illumination im Garten ist eine Synthese<br />

aus dem Nutzen und dem Geschmack der jeweiligen Zeit und stellt ein<br />

wichtiges dekoratives Element dar. Die kunstvolle Gestaltung von<br />

Einfriedungen, Zäunen oder Toren – allesamt Ausdruck des menschlichen<br />

Bedürfnisses nach Abgrenzung des eigenen Raums und Reglementierung<br />

nach außen – ist ebenfalls ein wesentlicher Gestaltungsfaktor. Es geht<br />

darum, die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum zu markieren<br />

und gleichzeitig die Privatsphäre der Hausbewohner zu schützen. Egal ob<br />

materielle oder virtuelle Natur – diese Barrieren dienen der Trennung zweier<br />

Welten und ihre künstlerische Aufwertung durch Ornamente und<br />

Verzierungen ist unverzichtbar.<br />

(Ovidio Guaita, Gärten, Cube-Book, Wiesbaden 2008, S. 638ff)<br />

Goethes ambivalente Haltung zum „empfindsamen,<br />

dekorativen“ Garten 310<br />

(…) wenig später konnte Goethe in der Dramensatire „Triumph der Empfindsamkeit“<br />

(1777) den verbreiteten Gefühlskult verspotten, der in den mit<br />

Staffagebauten durchsetzten ersten Anlagen zu einer geradezu musealen<br />

Erinnerungskunst geführt hatte.<br />

(Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland, Stuttgart 1997,<br />

S. 18)<br />

Fußnote von Frank Maier-Solgk, Andrea Greuter, Landschaftsgärten in Deutschland,<br />

Stuttgart 1997,S. 206 und S. 16:<br />

Goethe hat – seiner Kritik an der empfindsamen Gartenkunst zum Trotz – den<br />

Weimarer <strong>Park</strong> an der Ilm freilich selbst in empfindsamer Manier begonnen.<br />

Hingegen deutet sich aus den »Wahlverwandtschaften« Goethes späte Skepsis<br />

gegenüber einer sich ganz der Freiheit der Natur hingebenden Stimmung an:<br />

„Niemand glaubt sich in einem Garten behaglich, der nicht einem freien Leben<br />

ähnlich sieht; an Kunst, an Zwang soll nichts erinnern, wir wollen völlig frei und<br />

unbedingt Atem schöpfen.“ *<br />

* (Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832],in: Die Wahlverwandtschaften)<br />

Goethe: Spott über die verspielten „Enkel“ der<br />

englischen Gartenarchitektur 311<br />

… Denn notabene! in einem <strong>Park</strong><br />

Muß alles ideal sein<br />

Und salva venia jeden Quark<br />

Wickeln wir in eine schöne Schal’ ein.<br />

So verstecken wir zum Exempel<br />

Einen Schweinstall hinter einem Tempel;<br />

Und wieder ein Stall – versteht mich schon –<br />

Wird geradewegs ein Pantheon.<br />

Die Sach’ ist, wenn ein Fremder drin spaziert,<br />

Daß alles wohl sich präsentiert …<br />

Freilich der Herr vom Haus<br />

Weiß meistens, wo es stinkt.<br />

Was ich sagen wollte: zum vollkommnen <strong>Park</strong><br />

Wird uns wenig mehr abgehn.<br />

97


Wir haben Tiefen und Höhn,<br />

Eine Musterkate von allem Gesträuche,<br />

Krumme Gänge, Wasserfälle, Teiche,<br />

Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felsen und Klüfte,<br />

Eine Menge Reseda und andres Gedüfte,<br />

Weimutsfichten, babylonische Weiden, Ruinen,<br />

Einsiedler in Löchern, Schäfer im Grünen,<br />

Moscheen und Türme mit Kabinetten,<br />

Von Moos sehr unbequeme Betten,<br />

Obelisken, Labyrinthe, Triumphbogen, Arkaden,<br />

Fischerhütten, Pavillons zum Baden,<br />

Chinesisch-gotische Grotten, Kiosken, Tings,<br />

Maurische Tempel und Monumente,<br />

Gräber, ob wir gleich niemand begraben –<br />

Man muß es alles zum Ganzen haben.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832 ], aus der Dramensatire „Triumph der<br />

Empfindsamkeit“ [1777], zit. n.: Mit Goethe durch den Garten, Claudia Schmölders (Hg.),<br />

Frankfurt 1989, S. 60)<br />

Voght: Gegen künstliche Dekorationen 312<br />

So wie dem Besitzer (Baron Caspar Voght, R.C.) von jeher, selbst die<br />

gelungenste künstliche Nachahmung großer Naturscenen, geschmacklos und<br />

kleinlich vorgekommen ist, so haben die Überladungen in Stow west wycomb<br />

und andern berühmten <strong>Park</strong>s ihm einen frühen Ekel für die sinnlose Zusammenstellung<br />

von griechischen Tempeln und gothischen Kirchen, Chinesischen<br />

Pagoden und altdeutschen Burgen, türkischen Bädern und Klausnerhütten,<br />

beygebracht.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 13) (siehe dazu ergänzend Fußnoten zu Zitat 413)<br />

Tiecks „Jahrmarkt“: Persiflierende Kritik an den<br />

verspielten „Enkeln“ des Englischen Landschaftsparks 313<br />

Für eine Gruppe von Biedermännern, bestehend aus Amtmann, Pfarrersfamilie<br />

und einem Bildungsparvenü, in Tiecks „Jahrmarkt“ ist der Mythos vom Programmgarten<br />

immer noch lebendig genug, um unerschütterlich am Glauben an seine<br />

veredelnde Wirkung festzuhalten. Auf groteske Weise führt Tieck das peinliche<br />

Bemühen eines nach Ansehen strebenden Kleinbürgertums vor, das sich selbstgefällig<br />

an Scheinhaftigkeiten ergötzt. So entpuppt sich die Fahrt zu den „weltberühmten“<br />

Gärten des Barons in Schönhof als oberflächliche Bildungsreise in<br />

eine Anlage, die wie ein Vorläufer eines modernen Freizeitparks anmutet. In ihr<br />

soll so viel zu sehen sein, „daß es kaum auszuhalten ist“. Die angetroffene<br />

Ausführung, bestehend aus „alte(n) Ritterburgen, dann wieder Ruinen; Labyrinthe(n)<br />

Höhlen, ja selbst ein feuerspeiender Berg, groß wie der Ätna selber“, ist<br />

das mit blasiertem Stolz vorgeführte Werk eines kleinkarierten Duodezfürsten. Es<br />

reicht aus, um die Gäste zu beeindrucken, die die geistige Leere in unreflektiert<br />

angeeigneten Redensarten widerspiegeln: „Das hätte ich mir niemals gedacht,<br />

daß ein Garten so erbaulich sein könne. Wahrlich, das nenne ich Philosophie!<br />

Und so innig mit der Kunst vermählt! Und diese Kunst wieder eins und dasselbe<br />

mit der Natur“, kommentiert der Pfarrer das vermeintliche Kunstwerk.<br />

Der bizarre Schnellkursus in Sachen Bildung und Wissenschaft gipfelt schließlich<br />

in dem per Klingelzeichen auftauchenden Eremiten, der die Aufgabe hat, die<br />

Gartenbesucher zu segnen. Der betrunkene Gottesmann gibt sich später der<br />

98


irritierten Reisegesellschaft als Tagelöhner zu erkennen, den der Baron, um der<br />

Illusion willen, gegen einen Hungerlohn für sich arbeiten läßt. Tieck legte durch<br />

diese schon reichlich ausgehöhlte Spielart des sentimentalen Gartens den erbärmlichen<br />

Traum der bürgerlichen Klasse bloß, durch Erwerb rein äußerlicher<br />

kultureller Zeichen jahrhundertelang gewachsene Unterschiede ausgleichen zu<br />

können.<br />

(Martin Maria Schwarz, Tugendbrunnen, Wahnbild und Disneyland – Englischer und<br />

Französischer Garten in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, in: H. Sarkowicz<br />

(Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 246f)<br />

99


5. Landschaftspark als „ornamented farm“<br />

Horaz: Das Nützliche und das Schöne 317<br />

Omne tulit punctum, qui miscuit utili dulci.<br />

(Jeglichen Beifall errang, wer Nützliches mischt mit dem Schönen).<br />

(Quintus Horatius [Horaz, 65 v. - 8 n. Chr.], Ars poetica, Vers 343)<br />

Antike und Veneto: Arbeit und Muße im Landgut 318<br />

Den Erbauern bedeutete diese villa suburbana aber noch weit mehr als ein<br />

modernes Sommerhaus auf dem Lande. Sowohl in der Antike als auch in<br />

Palladios Venetien war damit das gesamte agrarische Umfeld gemeint, in<br />

dem das Herrenhaus als administratives Zentrum fungierte. Denn erst das<br />

Leben auf dem Lande machte es auf der Basis der Landwirtschaft und als<br />

Gegenpol zur höfischen Repräsentationskultur in der Stadt möglich, dass<br />

Körper und Geist durch Muße und intellektuelle Freuden gesunden und sich<br />

vervollkommnen konnten. So beriefen sich Fürst Franz (von Anhalt-Dessau,<br />

R. C.) und sein Architekt (F. W. v. Erdmannsdorff, R. C.) auf antike Tradition<br />

und deren Fortführung in der Renaissance. Sie mögen auf deren Auferstehung<br />

im Gartenreich gehofft haben, indem sie die Schöpfungen der<br />

Vergangenheit stilistisch paraphrasierten. Nicht zuletzt, um damit ihre<br />

subjektive Vision einer aufgeklärten Gesellschaft zu komplettieren.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S. 18)<br />

Die englische <strong>Park</strong>architektur und ihre Anregungen aus<br />

der venezianischen „villeggiatura“ („ornamented farm“) 319<br />

Der Englische Garten entstand in enger Verbindung mit der Landwirtschaft und<br />

erinnert somit an die Kontakte mit der „villeggiatura“ im Veneto. Die Villen Andrea<br />

Palladios wurden in England vorbildlich. Das 1564 erschienene Buch „Le dieci<br />

giorante dell vera agricoltura“ von Agostino Gallo wurde in England aufmerksam<br />

studiert. Grundlegend waren die von William Kent (1684-1748) verwirklichten<br />

Vorstellungen eines „Englischen Garten“ in Claremont, Chiswick und Stowe. Zu<br />

den exemplarischen und am besten erhaltenen Landschaftsgärten zählt der <strong>Park</strong><br />

von Stourhead in Wiltshire, der aus einem baumlosen Wiesental mit zwei Quellen<br />

und einigen Fischtümpeln entstanden ist und mit seinen wohlproportionierten<br />

Baumgruppen und unauffällig verteilten Tempeln an klassisch-pastorale Landschaften<br />

von Claude Lorrain im 17. Jahrhundert erinnert. Der Dichter William<br />

Shenstone (1714-1763) prägte durchaus sinnvoll nach dem Vorbild des „Landschaftsmalers“<br />

den Begriff „Landschaftsgärtner“.<br />

(Erich Steingräber, Erinnerungen an das verlorene Paradies – Alte Gärten im<br />

Spiegel der Kunst, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s,<br />

Frankfurt 2001, S. 262f)<br />

Die ferme ornée / ornamented farm: Landleben als<br />

Dekoration? (Watelet und Shenstone) 320<br />

Das Land draußen vor der Stadt wurde nicht mehr nur als Landschaft angesehen,<br />

auch die mit dem Landleben verbundenen Aktivitäten galt es, als Modell<br />

einer idealen Lebensführung zu imitieren. Tatsächlich aber hütete sich jedermann<br />

davor, die Realität des Landlebens, das Elend, das dort herrschte, zur Kenntnis<br />

zu nehmen.<br />

100


Kleine Weiler und Schäfereien tauchten von nun an im Dekor der fürstlichen<br />

<strong>Park</strong>s auf. Watelet (1718-1786, R. Cr.) selbst hatte seine Abhandlung mit einem<br />

Kapitel über die „nützlichen Einrichtungen“ begonnen und der Ausstattung sowie<br />

der Anlage der verschiedenen Gebäude eines Bauerngehöfts große Bedeutung<br />

beigemessen: Ställe, Kornkammern, Molkereien und Bienenhäuser waren allesamt<br />

dazu bestimmt, „die Wohltaten der Natur zur Entfaltung zu bringen, denn die<br />

Freuden des Landlebens sollten ein Gefüge von ungezierten Wünschen sein,<br />

erfüllt von mühelosen Befriedigungen…“. *<br />

Die Idee eines ‚dekorativen’ Bauernhofs, der ferme ornée, stammte ebenfalls aus<br />

England. Zwischen 1732 und 1743 hatte sich der Dichter William Shenstone<br />

(1714-1763, R. Cr.) als erster auf seinen Besitz in Leasowes einen Modell-<br />

Bauernhof bauen lassen.<br />

Und auch Watelet hatte bereits 1754 seinen neu erworbenen Besitz, der unweit<br />

von Paris zwischen Colombes und Argenteuil gelegen war, mit rustikalen Bauten<br />

– einer Molkerei und einer kleinen Mühle, daher der Name Moulin-Joly – ausstatten<br />

lassen. Die Malerfreunde François Boucher und Hubert Robert, angelockt<br />

von den reizvollen Motiven dieser Idylle, zählten zu seinen regelmäßigen Gästen.<br />

Das Moulin-Joly war denn auch Ausdruck einer malerischen Vision und wirkte auf<br />

den Betrachter wie ein romantisches Gemälde. Selbst der Fürst de Ligne begeisterte<br />

sich für die Illusion dieser reizvollen, ästhetischen Freuden vermittelnden<br />

Komposition: „… wenn ihr kein verhärtetes Herz habt, so setzt Euch in Moulin-Joly<br />

an den Ufern des Baches unter die Zweige einer Weide. Lest, schaut und weint,<br />

aber nicht aus Traurigkeit, sondern vor Wonne. Und Ihr werdet das Bild Eurer<br />

Seele sehen …“. **<br />

(Michael Saudan, Sylvia Saudan-Skira, Zauber der Gartenwelt, Genf 1987, Nachdruck<br />

Köln 1997, S.203)<br />

* (Jean-François Marmontel, Conter moraux, Paris 1779)<br />

** (Charles-Joseph, Fürst de Ligne, zit. n.: Jean-François Marmontel, ebenda)<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz: Schöne <strong>Park</strong>s und<br />

moderne Landwirtschaft (ornamented farm) 321<br />

Das idealisierte Bild der Antike mit einer umfassenden Nutzung der<br />

ästhetisch verschönerten Welt hatte schon in England als Anregung bei der<br />

neu entstehenden freien und natürlichen Gartenkunst gedient. Der unter<br />

Horaz (65-8 v.Chr.) in der Ars poetica geprägte Leitspruch, „Jeglichen<br />

Beifall errang, wer Nützliches mischt mit dem Schönen“, wurde auch zur<br />

Lebens- und Gestaltungsmaxime für Fürst Franz (von Anhalt-Dessau) und<br />

Erdmannsdorff (seinen Architekten, R. C.)im Gartenreich. Das Nützliche der<br />

neuen (englischen) Ökonomie bildete mit dem Ästhetischen der<br />

verschönerten <strong>Park</strong>landschaft eine harmonische Einheit. Nichts war ohne<br />

Funktion, alles sollte nach den Intentionen der Schöpfer als lehrhaftes<br />

Programm verstanden und zudem auch von Landeskindern und Besuchern<br />

aufgenommen und nachgeahmt werden. Bis hinein in das Innere der<br />

Gartenanlagen gehörten Weide- und Ackernutzung, Obstpflanzungen und<br />

Tierherden sowie die landwirtschaftlichen Arbeiten zur Wirkung der<br />

kunstvoll angelegten Gartenbilder. … In Wörlitz entstand mit der durch den<br />

Kammerdirektor Georg Karl von Raumer geleiteten Domäne ein<br />

wirtschaftlicher Musterhof, ein Tempel der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres,<br />

welcher Architekten durch seine von Palladio beeinflusste Architektur in<br />

seiner Übereinstimmung von funktionellen und sozialen Aspekten<br />

begeisterte und den Landwirten anderer Länder als Vorbild dienen konnte.<br />

101


(Ludwig Trauzettel, Obstbau und Landwirtschaft: schön und nützlich, in: Unendlich<br />

schön. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin<br />

2006, S. 178)<br />

Moderne englische Landwirtschaft in Dessau-Wörlitz 322<br />

Zu Zeiten des Fürsten Franz (von Anhalt-Dessau, R. C.) war die Umgebung<br />

der Stadt durch Alleen und ästhetisch aufgewertete Ackerfluren charakterisiert,<br />

in der Weidetiere und Ackerbau den Fleiß der Bewohner belegen<br />

sollten und Obstgehölze das Landschaftsbild bestimmten. „Es wurde<br />

damals die sogenannte Englische Landwirtschaft eingeführt und durch<br />

tätige, einsichtsvolle Landwirthe unserem Lande angepasst; durch<br />

Veredlung der Pferde, Rinder und Schafe, durch verbesserten Fruchtwechsel<br />

und stärkeren Anbau von Futterkräutern zeichneten sich die<br />

Dessauischen Lande bald aus“. (Lindner 1833)<br />

(Ludwig Trauzettel, Das historische Dessau-Wörlitzer Gartenreich, DKV-<br />

Kunstführer Nr. 550/0, München-Berlin o.J. [2002], S. 11)<br />

<strong>Park</strong> und Landwirtschaft als gestalterische Einheit 323<br />

Ein wohldurchdachtes System von Sichtbeziehungen verbindet die<br />

Gartenbereiche miteinander und mit der umgebenden Landschaft.<br />

Zahlreiche Bauwerke, Skulpturen, Sitzplätze und Gehölzpflanzungen in<br />

dem peripher über 35 Jahre gewachsenen Garten bilden Blickpunkte in<br />

Sichtschneisen, die die Grenzen des inneren Gartens bewusst verwischen.<br />

Große Flächen des Gartens waren durch Landwirtschaft, Obstbau oder<br />

Fischerei genutzt, denn auch hier galt die pädagogische Prämisse, Schönes<br />

und Nützliches stets zu verbinden. Durch geschicktes Ineinandergreifen von<br />

Pflanzungen und Ackerflächen ist der Übergang in die ästhetisch<br />

aufgewertete Umgebung fließend gestaltet; es gab nie eine Grenze oder<br />

eine Umzäunung. Jedermann konnte und kann sich hier erholen und bilden.<br />

(Ludwig Trauzettel, Das historische Dessau-Wörlitzer Gartenreich, DKV<br />

Kunstführer Nr. 550/0, München-Berlin o.J. [2002], S. 30)<br />

Elemente der „ornamented farm“ in Ermenonville 324<br />

Erfüllt von einer wahren Ideologie der ländlichen Welt, wollte Girardin in seinem<br />

Garten überall Symbole der Arbeit aufscheinen lassen, etwa in der größeren<br />

Nordpartie. … Im 18 Jh. breitet sich die Landwirtschaft aus und ist, nach Meinung<br />

mancher Ökonomen (den „Physiokraten“, R. C.) der Epoche, die einzige<br />

einträgliche Tätigkeit, während die anderen Tätigkeiten unfruchtbar wären. Die<br />

Nutzung des Landgutes bestand im Wesentlichen aus Forstwirtschaft. Eine<br />

Mühle, eine Brauerei und ein Bauernhof waren dauernd in Betrieb. Man kann<br />

noch die Fischerhütte nennen, die Bude des Köhlers, das Haus des<br />

Jagdaufsehers. Ein Gemüsegarten am Wald-rand von Perthe produzierte<br />

Gemüse „in Harmonie mit der Lage des Landstrichs“. Der Marquis de Girardin<br />

bekundete großes Interesse an landwirtschaftlichen Arbeiten und schlug<br />

Reformen vor, um die großen Höfe aufzuteilen, die Zahl der Tagelöhner zu<br />

reduzieren. Er zahlte Prämien an die verdienstvollsten Bauern, auch verteilte er<br />

Ackerparzellen, die sie auf eigene Rechnung bestellen konnten.Im Südpark, der<br />

philosophischsten seiner Gartenpartien, waren auch Bauern und Schafe<br />

willkommen. Der „arkadische Wiesengrund“ war Weideland.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unauthorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

102


Addison zu Landwirtschaft und <strong>Park</strong> als Einheit 325<br />

Nun endlich war die Zeit reif, sich einer frühen Idee des Essayisten Joseph<br />

Addison zu entsinnen, die er in seiner Zeitschrift „The Spectator“ schon 1712<br />

geäußert hatte: „Kornfelder bieten einen angenehmen Anblick, und wenn man die<br />

Feldwege zwischen ihnen ein wenig pflegte, wenn man die natürlichen Schmuckbeete<br />

(…) mit kleinen Zutaten der Kunst unterstützte und verbesserte und die<br />

Knicks mit Bäumen und Blumen säumte, (…) dann könnte man aus seinem Besitz<br />

eine hübsche Landschaft machen. (…) Fields of Corn make a pleasant Prospect<br />

(…) a Man might make a pretty Landskip.” Addison ist der erste, der dazu anregt,<br />

eine „Landschaft zu machen“. *<br />

(Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg<br />

2006, S. 68f)<br />

* (Joseph Addison [1672-1719], in: The Spectator, London, Juni-Juli 1712,<br />

Nr. 411-412)<br />

Voghts Modell seiner „ornamented farm“ 326<br />

Voghts (1752-1839, R.C.) „ornamented farm“ selbst, der Landschaftspark, der<br />

zugleich als Mustergut geführt wurde, ist seinerseits geprägt von scheinbar<br />

unvereinbaren rationalen und ästhetischen Zwecken. Man muß allerdings<br />

vermuten, dass Voghts „ästhetische Liebhabereien“ und seine Leidenschaft für<br />

die rationale Landwirtschaft (vor allem die aus England übernommenen Methoden<br />

einer bis dahin in Deutschland unbe-kannten Intensivwirtschaft),<br />

zusammengehören wie zwei Seiten der selben Medaille.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 43)<br />

Voghts Flottbek: „Gemüth“, Ästhetik und Moderne –<br />

Versuch einer Einheit 327<br />

An dieser Stelle ist mir Händen zu greifen, warum das Gemüt in der ästhetischen<br />

Wahrnehmung seines Besitzes bei Voght (1752-1839, R.C.) eine so wichtige<br />

Funktion hat: Es ist der Zufluchtsort einer aus dem bäuerlichen Wirtschaften<br />

ausgetriebenen archaischen Ehrfurcht vor der Fruchtbarkeit des Bodens und<br />

eines religiösen Gefühls der Ab-hängigkeit von der Natur. Voghts Verhältnis zur<br />

Natur teilt sich in ein wissen-schaftlich-ökonomisches und in ein ästhetisches<br />

Interesse. Dasjenige der Bauern dagegen ist ungeteilt, und gerade diese Einheit<br />

wird von den Vertretern des neuen Wirtschaftens als Beschränktheit begriffen.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 60)<br />

Voght über die Einzigartigkeit seiner „ornamented farm“ 328<br />

Man könnte sagen, dass in Flottbek die „ornamented farm“ erst wirklich zu ihrer<br />

vollen Entfaltung kam, dass die Grundidee der Verbindung des Nutzens mit der<br />

Schönheit erst hier zur Gänze verwirklicht wurde. Und so ist Voght (1752-1839,<br />

R.C.) beizupflichten, wenn er an seinen Nachfolger schreibt: „Dieser Charakter<br />

der Ornamented Farm, den ich deutlicher noch in der Anlage selbst<br />

ausgesprochen, als hier angegeben habe – dieser, denke ich, muß beybehalten<br />

werden, wenn das Vorzüglichste nicht verlohren gehen soll – wenn Flotbeck nicht<br />

das Individuelle verlieren soll, das es von allen ähnlichen großen Anlagen<br />

unterscheidet und es auf dem Continent bisher Einzig gemacht hat.“ *<br />

103


(Charlotte Schoell-Glass, Caspar Voghts ornamented farm: „Reiche Kultur“ und „Lokale<br />

Schönheit“, in: Sabine Blumenröder, Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen,<br />

Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990,<br />

Altonaer Museum (Hg.), Hamburg 1990, S. 14)<br />

* (Caspar Voght, Brief an Senator Jenisch vom April 1828, zit. in.: Richard Ehrenberg,<br />

Aus der Vorzeit von Blankenese, Hamburg 1897, zit. n.: Paul Ziegler, in: Reinhard<br />

Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 138f)<br />

„Ornamented farm“ – eher eine Ausnahme 329<br />

Ornamented farm und ferme ornée blieben ein Nebenzweig in der Geschichte des<br />

Landschaftsgartens, und zwar wahrscheinlich gerade deswegen, weil sie das<br />

Angenehme mit dem Nützlichen verbanden, denn der Status des Landbesitzers<br />

wurde vor allem dadurch bekräftigt, dass er es sich leisten konnte, große Flächen<br />

seines Besitzes aus der unmittelbaren Verwertung herauszunehmen. Rundgänge,<br />

wie die von Voght (1733-1839, R. C.) beschrieben, waren kennzeichnend für alle<br />

ornamented farms, den Leasows, Woburn farm und Southcote. (…) Für Voght<br />

jedenfalls, dessen Leidenschaft für die Landwirtschaft gewiß der wichtigste Aspekt<br />

seiner Besitzung in Flottbek war, muß sich dieser »Nebenweg« als die ideale<br />

Lösung dargestellt haben.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 33)<br />

Shenstones „The Leasowes“ als „ornamented farm“ –<br />

außer bei Fürst Franz, Marquis de Girardin und Caspar<br />

Voght ein „Auslaufmodell” 330<br />

Dieser Garten gehört nicht nur eindeutig zum pittoresken oder romantischen<br />

Typus, sondern ist auch eine ferme ornée bzw. ornamental farm. Diese Typenbezeichnung<br />

verweist auf ein ähnliches Phänomen, wie wir es schon in Versailles im<br />

Hameau de Trianon kennen gelernt haben: auf das theatralisch inszenierte Landleben.<br />

In England und speziell in Leasowes sollte allerdings das landwirtschaftlich<br />

genutzte Areal in den Gartenbereich mit einbezogen werden – ein typisches<br />

Zeichen für die englische Naturauffassung und den an wirtschaftliche Rentabilität<br />

denkenden Gutsbesitzer.* Die Idee stammt von Stephen Switzer, der 1719 in<br />

seinem Traktat „The Nobleman, Gentleman, and Gardener’s Recreation“ schrieb,<br />

dass die nützlichen und profitablen Seiten des Gärtnerns innerhalb eines Gartenareals<br />

günstig und erfolgreich miteinander in Verbindung gebracht werden sollten.<br />

Offen blieb allerdings, in welche Richtung sich die ferme ornée entwickeln sollte,<br />

ob zum gartenkünstlerisch gestalteten Farmland oder zum landwirtschaftlich<br />

genutzten <strong>Park</strong>. So verschwand der Terminus auch bald wieder aus der Gartenliteratur,<br />

da nur sehr wenige Gartenbesitzer sich der Landwirtschaft in Verbindung<br />

mit der künstlerischen Gestaltung der <strong>Park</strong>landschaft widmen konnten und<br />

wollten.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 369)<br />

* (William Shenstone [1714-1763], Unconnected Thoughts of Gardening, 1764)<br />

(Anm. R.C.: Leider wird auch hier wieder deutlich, wie wenig in der Literatur über den<br />

Englischen Landschaftspark [in Deutschland] die wirklich genuine Voght’sche<br />

Realisierung einer „ornamented farm“ an den Geist des Neuhumanismus zur Kenntnis<br />

genommen wird.)<br />

104


6. Die Weiterentwicklung des Landschaftsparks: Stil-<br />

Pluralismus und Volksgärten<br />

Die von England ausgehende Weiterentwicklung des<br />

Englischen Landschaftsparks: Stil-Pluralismus 334<br />

Mit dem 19. Jahrhundert setzt sich, wiederum von England ausgehend, eine<br />

Über-windung der klassischen Landschaftsgärten durch. Als monoton und<br />

unzweckmäßig gilt nun das ehemals als revolutionär empfundene Postulat „to call<br />

the landscape in“, denn gar manch höfische Ordnung forderte inzwischen wieder<br />

ihr Terrain. Ungebärdige Naturnähe unterliegt demzufolge den Sitten der<br />

Zivilisation. Zur Synthese wird der von Humphrey Repton propagierte Garten mit<br />

dem Charakter eines wohlkomponierten Gesamtkunstwerks, gleichsam eine<br />

Collage mit fließenden Übergängen, darin der Pleasure-ground malerisch<br />

bepflanzt als Aus-gangspunkt die Hauptgebäude umschließt und mit durchaus<br />

sichtbarer Begrenzung übergeht in einen nach landschaftsgärtnerischen<br />

Prinzipien durchgestalteten <strong>Park</strong>. Stilpluralistische Tendenzen, wie sie den von<br />

Sckell geplanten Anlagen zumindest im Ansatz zugrunde lagen, prägen weiter<br />

deutsche Landschaftsgärten, so die besonders genial inszenierten Muskau und<br />

Branitz von dem leidenschaftlichen <strong>Park</strong>anleger Hermann Fürst von Pückler-<br />

Muskau (1785-1871, R. C.).<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz, (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 219f)<br />

Weiterentwicklung des Englischen Landschaftsparks:<br />

Stil-Pluralismus 335<br />

Das pluralistische Stilprinzip vereinte vielfach die seit dem Barock bestehende<br />

axiale Grundanlage mit ihren Wasserspiegeln, die sich anschließenden Wiesentäler,<br />

ausgedehnt in die durchforstete Natur. Humphrey Repton, seit 1788 in der<br />

Abfolge der renommierten englischen Gartenkünstler tätig, beschreibt in „Landscape<br />

gardening“ anschaulich, wie sich die ehemalige Landschaftsmalerei<br />

beispielsweise eines William Kent von der nun angewandten Landschaftsgärtnerei<br />

unterscheidet: durch den wechselnden Blick nach unten, durch den Wechsel des<br />

Lichts sowie den entbehrlichen Vordergrund.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz, (Hg.), Die Geschichte de r<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 220)<br />

Gestaltungsmerkmale des weiterentwickelten<br />

Englischen Landschaftsparks 336<br />

„Wer mit den Materialien der Landschaft selbst diese bilden will, muß nicht nur<br />

aufs genaueste mit ihnen bekannt sein, sondern auch überhaupt bei der Anlage<br />

wie bei der Ausführung, in gar vielen Dingen ganz anders zu Werke gehen, als<br />

der Maler auf der Leinwand“, rät Pückler-Muskau in seinem vielbeachteten<br />

Klassiker „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“. Die Landwirtschaft findet<br />

jedenfalls in der neuerlichen Landschaftsgärtnerei keinen Platz mehr, bestenfalls<br />

gibt es halbzahmes Wild im <strong>Park</strong>. Botanische Vielfalt ist gefragt, die Unterscheidung<br />

von Gartenbezirken, so am Pleasure-ground exotische Gehölze, ein<br />

Parterre mit Broderie-Ornamenten, des weiteren Gewächshäuser, Orangerien,<br />

Wintergärten, allenthalben der „Gardenesque Style“ nach John Claudius Loudon.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 220f)<br />

105


Meyers Enzyklopädie über den „Pleasureground“ 337<br />

Der Hausgarten, in seiner vornehmsten Form und reichsten Ausstattung gegenüber<br />

den übrigen Teilen eines <strong>Park</strong>s, mit einem vielgebrauchten englischen Wort<br />

auch „Pleasureground“ genannt, soll ein abgeschlossenes Bild gewähren voller<br />

Ruhe, Einheit und Harmonie, die durch zweckmäßige Verteilung von Licht und<br />

Schatten (durch die Bepflanzung) darzustellen sind. Man umgibt den Garten mit<br />

einer Grenzbepflanzung hochwachsender Gehölze, zwischen und vor denen<br />

schön blühende Sträucher zur Herstellung des Schlusses als Untergehölz zu<br />

verteilen sind, sie aber doch die Aussicht auf eine vielleicht vorhandene hübsche<br />

Partie der Nachbarschaft nicht verdecken sollen.<br />

(Meyers Enzyklopädie, von 1908, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, ©<br />

2004 Deutscher Taschenbuch Verlag, München, S. 11f)<br />

von Sckell über Aspekte des „Volksgartens“ 338<br />

Liebliche und trauliche Gebüsche aus mancherlei einheimischen und ausländischen<br />

Bäumen, und Sträucher malerisch zusammen gestellet, können sich nun<br />

an die erwähnte gesellige und freundliche Haine anschließen und den allmähligen<br />

harmonischen Übergang zu den Szenen des eigentlich Gartens der Natur bezeichnen.<br />

(Friedrich Ludwig von Sckell [1750-1823], zur Charakterisierung des Volksgartens,<br />

München 1815, zit. n.: Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.),<br />

Die Geschichte der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 219f)<br />

von Sckell: Der „Volksgarten“ als „Anstalt der bildenden<br />

Kunst“ 339<br />

Der Volksgarten ist demnach in doppelter Hinsicht die vernünftigste, die wohltätigste<br />

und die lehrreichste gymnastische Schule für den Geist und Körper, und<br />

gehört daher auch mit unter die nötigsten Anstalten der bildenden Kunst, die eine<br />

weise, humane Regierung gleichmäßig begünstigen und unter ihren Schutz<br />

nehmen sollte. (…)<br />

In jenen anmutigen, reichhaltigen Gefilden aber, wo man unter blühenden<br />

Gesträuchern hinwandelt, wo ein sammetähnlicher Rasen die Erde schmücket;<br />

wo ausgewählte Formen die Gebüsche umgürten und liebliche Farbentöne mit<br />

ihrem Helldunkel angenehm wechseln, da sind auch den Fußgängern viele<br />

wohlgehaltene Wege geöffnet, die ihnen die Wahl darbieten, bald in dunkle<br />

Gebüsche zum traulichen Gespräche, oder in lichte Partien zum Genusse der<br />

schönen Natur zu treten.<br />

(Friedrich Ludwig von Sckell [1750-1823], Zur Charakterisierung des Volksgartens,<br />

München 1815, zit. n.: Ingrid Bade (Hrsg.): Das kleine Gartenglück, © 2004 Deutscher<br />

Taschenbuch Verlag, München, S. 162/3)<br />

Loudon und Hibberd: Der Weg vom<br />

privilegierten Landschaftspark zum Hausgarten für<br />

„Jedermann“ – die Rückkehr der Geometrie 340<br />

Loudon (1783-1843, R. C.) ist konsequent den Weg vom englischen<br />

Landschaftsgarten zum historischen oder eklektizistischen Garten gegangen.<br />

Das Echo auf seine Vorstellungen war positiv, da er auch die sozial schwächer<br />

gestellten Bevölkerungsgruppen be-rücksichtigte und für sie den städtischen<br />

106


Hausgarten konzipierte, der nun wahrlich nicht als Landschaftsgarten angelegt<br />

werden konnte.<br />

Den entscheidenden vom Landschaftsgarten zum geometrischen Garten ging,<br />

zumindest in seinen theoretischen Äußerungen der Buchhändler und Buchbinder<br />

Shirley Hibberd (1825-1890). In seinen Schriften folgte er den von Loudon vorgezeichneten<br />

Wegen und erklärte das Ende des Landschaftsgartens. Hibberd<br />

schrieb ausdrücklich für die „plain people“, die Armen, und ging davon aus, dass<br />

jeder Mensch über Geschmack und damit auch über ein gewisses Maß an Kunstfertigkeit<br />

verfügt. So versuchte er, die Menschen in der Kunst des Gärtnerns zu<br />

unterweisen, damit sie ihre Seele wie die Blumen im Garten pflegen können. (…)<br />

Diese romantisch verklärte soziale Einstellung sollte dazu beitragen, die Sitten zu<br />

verbessern, da die für die Stadtbewohner unerreichbare Natur als Mikrokosmos<br />

im Wohnzimmer oder als kleine Parzelle vor der Haustür installiert werden konnte.<br />

(…)<br />

Dieses Gartenkonzept hat in den Jahrzehnten der Sozialutopien zweifellos seine<br />

Berechtigung gehabt. Wie aber konnte angesichts der zunehmenden Verstädterung<br />

und einer durch die Industrialisierung von der Natur entfremdeten Gesellschaft<br />

der Landschaftsgarten diffamiert werden? Für Hibberd war dieser Gartentypus<br />

ein Symbol für die Privilegien des Landadels, an dem der größte Teil der<br />

Bevölkerung nicht teilhaben konnte. Aus diesem Grunde mußte so etwas wie ein<br />

miniaturisierter Landschaftsgarten als Haus- oder Zimmergarten die Natur ersetzen.<br />

Die geometrische Form drängte sich gewissermaßen für diesen Typus<br />

auf.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 397)<br />

Alfred Lichtwark: Reformgärten und Volksparks 341<br />

Die Volksparkbewegung entstand in großem Umfang im beginnenden 20. Jahrhundert.<br />

Die Zeit der dazugehörigen Auseinandersetzungen ist in Zusammenhang<br />

mit der Entwicklung von städtischen Grünanlagen an vielen Stellen untersucht<br />

worden. Herausragend sind die Forderungen des Berliner Gartenarchitekten<br />

Ludwig Lesser, der bereits 1910 auf dem 33. Brandenburgischen Städtetag sehr<br />

ausführliche Leitsätze für das öffentliche Grün aufgestellt und damit das Neue des<br />

Volksparks, das in weiten Teilen heute noch Gültigkeit hat, charakterisiert.<br />

Die Volksparkbewegung ist ohne die zeitgleiche Reform in der Gartenkunst kaum<br />

denkbar. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten nicht nur Architekten, Künstler<br />

und Kunstgewerbler eine Hausgartenreform. (…)<br />

Die Reformbewegung hatte in Hamburg mit Alfred Lichtwark (1852-1914, R.C.),<br />

dem damaligen Direktor der Hamburger Kunsthalle, einen maßgeblichen<br />

theoretischen Begrün-der. Lichtwark sah im formalen Garten ein Vorbild für die<br />

Erneuerung der Garten-kunst und prangerte ihren künstlerischen Tiefstand um<br />

1900 an.<br />

(Heino Grunert, Hamburger Reformgärten – Volksparkbewegung und Gartenkunstreform<br />

im beginnenden 20. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen<br />

Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.)<br />

[Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S. 228)<br />

Alfred Lichtwark: Rückkehr zu strengen Formen 342<br />

In einem Schreiben vom Sommer 1902 machte Lichtwark (1852-1914, R. C.) nun<br />

dem Bausenator zum ersten Mal mit seinen Erwägungen bekannt: „Die<br />

Gartenkunst befindet sich in einer Krise, den noch herrscht der landschaftliche Stil<br />

uneingeschränkt bei allen Landschaftsgärtnern in Norddeutschland. Maler,<br />

107


Bildhauer, Kunstfreunde und die führenden deutschen Architekten fordern aber<br />

die Rückkehr der strengeren Formen. Wenn in dieser Zeit ein großer Stadtpark<br />

angelegt wird, so sollten die entscheidenden Behörden von dieser Strömung<br />

Kenntnis nehmen.“ *<br />

(Heino Grunert, Hamburger Reformgärten – Volksparkbewegung und Gartenkunstreform<br />

im beginnenden 20. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen<br />

Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.)<br />

[Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S. 235)<br />

* (Alfred Lichtwark [1852-1914],Direktor der Hamburger Kunsthalle, zit. in.: Michael<br />

Goecke, Stadtparkanlagen im Industriezeitalter. Das Beispiel Hamburg, in: Geschichte<br />

des Stadtgrüns, Band VI, Hannover/Berlin 1981)<br />

108


TEIL B:<br />

Drei Beispiele für die Übertragung des Englischen<br />

Landschaftsparks als „ornamented farm“ auf den<br />

Kontinent sowie die Weiterentwicklung zu<br />

Reformgärten und Stadtparks<br />

I. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz des Fürsten Franz von<br />

Anhalt-Dessau<br />

1. Statt einer Vorbemerkung: Grundsätzliche Zitate zum<br />

Schöpfer und zu seinem Werk<br />

Fürst Franz und Wilhelm von Erdmannsdorff 346<br />

Der Fürst (er lebte 1740-1817) unternahm den Versuch, nahezu das<br />

gesamte gesellschaftliche Leben in Anhalt-Dessau zu reformieren. Sein<br />

kleiner „Gartenstaat“ wurde eine bewusst gestaltete Alternative zum<br />

preußischen Militärstaat. In Anhalt-Dessau sollte „Reform von oben der<br />

Revolution von unten zuvor kommen“… (Michael Stürmer) … Nach dem<br />

Ende des Siebenjährigen Krieges konnte er sich dem friedlichen Aufbau<br />

seines Landes widmen. Dabei wurde der Fürst vor allem durch den<br />

gebildeten wie vornehmen Dresdner Adligen Friedrich Wilhelm von<br />

Erdmannsdorff (1736-1800) unterstützt, der hier eine ähnliche Wirkung<br />

ausübte wie zeitlich versetzt Goethe auf Herzog Carl August von Sachsen-<br />

Weimar. Bildend und inspirierend wirkte Erdmannsdorff auf den Fürsten ein,<br />

begleitete ihn maßgeblich auf den ausgedehnten europäischen<br />

Studienreisen und wurde zu dem Mann, der den ersten Abschnitt des<br />

deutschen Klassizismus einleitete, einer Bauweise, die sich fortan auf dem<br />

europäischen Kontinent verbreiten sollte.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 2)<br />

Dessau-Wörlitz als Teil der europäischen Aufklärung 347<br />

Vor dem Hintergrund seiner vielfältigen Beziehungen zu Vertretern der<br />

europäischen Aufklärung wurde Fürst Franz zu einer in ganz Europa<br />

geschätzten Persönlichkeit. Getragen vom Schwung der Debatten mit<br />

Gleichgesinnten über die Verbesserbarkeit der Welt und geprägt von<br />

enzyklopädischem Denken als der Einheit von Wissen, Politik und Moral,<br />

auch im Technischen und noch im Kleinsten, das die Grundlage einer<br />

funktionierenden Gesellschaft bilden sollte, taktierte er geschickt und mit<br />

politischem Weitblick. Auf der Suche nach Anregungen für seine geplante,<br />

praktisch-experimentell orientierte Reformtätigkeit unternahm Fürst Franz<br />

zahlreiche Reisen durch Europa.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.18)<br />

109


Dessau-Wörlitz: Erste Adaption Kent’scher Ideen 348<br />

Nach dem Plan des in Holland sowie England geschulten Hofgärtners Eyserbeck<br />

(1734-1818, R. C.) entstanden hier die ersten nennenswerten englischen Anlagen<br />

auf dem Kontinent (Gartenreich Dessau-Wörlitz, R. C.). Angeleitet von Fürst<br />

Franz und Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, vor deren geistigen Augen die<br />

kunstvoll angelegten Gartenreiche des Landschaftsgestalters William Kent (1685-<br />

1748, R. C.) wiederauflebten, gleichsam dreidimensionalen Gartenbildern, mit den<br />

Mitteln der Komposition geschaffen.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 207)<br />

<strong>Park</strong> und Landwirtschaft als Gesamtkunstwerk 349<br />

Wie ein grüner Gürtel umschließt eine einzigartige Natur- und Kulturlandschaft<br />

die einstige anhaltische Residenzstadt Dessau. Mit seinem Gartenreich<br />

wollte Fürst Leopold III. Friedrich Franz, den seine Untertanen „Vater<br />

Franz“ nannten, eine aufklärerische Ideallandschaft schaffen, die das<br />

Schöne mit dem Nützlichen und Lehrreichen verbindet. Während seiner fast<br />

60-jährigen Regentschaft entstand ab Mitte des 18. Jahrhunderts in den<br />

Elbauen ein durchgeformtes Ensemble von englischen Landschaftsparks,<br />

landwirtschaftlichen Mustergütern sowie Schlössern und Schlossbauten, die<br />

durch Sichts- und Funktionsachsen miteinander verbunden sind. Sie sind<br />

heute in ihrer Gesamtheit erhalten und laden zu immer neuen landschaftlichen<br />

und kulturhistorischen Entdeckungsreisen ein.<br />

(Aus dem Faltblatt „Kirchen im Gartenreich“, Hrg. Evangelische Landeskirche<br />

Anhalts, Dessau 2004)<br />

Dessau-Wörlitz als erste Adaption der „ornamented farm“<br />

auf dem Kontinent 350<br />

Die ab 1764 entstandenen Wörlitzer Anlagen werden heute als früheste<br />

noch erhaltene Schöpfung landschaftlichen Gartenstils auf dem<br />

europäischen Kontinent gewürdigt. Diese Einschränkung auf das Festland<br />

schließt England aus, das als wesentliche Anregung und Quelle der<br />

Wörlitzer Schöpfungen wie des Landschaftsgartens überhaupt gelten kann.<br />

Man spricht deshalb beim Landschaftsgarten oft vom englischen Gartenstil,<br />

obwohl dieser später in Europa eine ganz andere Entwicklung nahm als in<br />

seinem Ursprungsland.<br />

(Ludwig Trauzettel, Der englische Landschaftsgarten, in: Unendlich schön, Das<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.<br />

173)<br />

Dessau-Wörlitz als Vorreiter für Landschaftsparks und<br />

architektonischen Klassizismus in Deutschland 351<br />

In Wörlitz wurde die Natur geadelt durch den Eingriff der Kunst – und ein<br />

Abbild der humanistischen Utopie der Spätaufklärung, gebettet in eine<br />

Landschaft. Seit 1764, zwei Jahre zuvor hatte Jean-Jacques Rousseau<br />

(1712-1778, R. C.) seinen psychologischen Roman Emil oder Über die<br />

Erziehung veröffentlicht, war die ausgedehnte Gartenanlage entstanden,<br />

der erste bedeutsame Landschaftsgarten in Deutschland, mit dem<br />

Gründungsbauwerk des deutschen Klassizismus, Erdmannsdorffs<br />

palladianisch geprägtem Schloß (1769-73); gleich daneben standen die<br />

frühesten Beispiele der Neugotik. Geformt nach englischen Vorbildern,<br />

110


denen von Stourhead oder Stowe, durchgebildet nach dem Prinzip der<br />

Harmonie entwickelte sich nach den Visionen von Fürst Franz (1740-1817)<br />

und den Konzepten des Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff<br />

(1736-1800) ein Bild der Natur.<br />

(Christian Thomas, „Pflanzschule der Aufklärung“. Kulturlandschaft und Weltbild<br />

Wörlitz: ein Ereignis im Deutschen Architektur-Museum, in: Frankfurter Rundschau<br />

vom 23.03.1996)<br />

Dessau-Wörlitz: schön und sozial, ästhetisch und<br />

humanistisch 352<br />

Der Kunst kommt somit in Dessau-Wörlitz eine durchaus dienende Rolle zu.<br />

Wie auch die gesamte Landesverschönerung beweist, ging es in Wörlitz<br />

eben nicht um das Refugium eines spätfeudalen Fürsten, um einen bloßen<br />

Sommersitz etwa für eine elitäre Gesellschaftsschicht. Wörlitz war soweit<br />

wie nur irgend möglich gewissermaßen der ganzen Menschheit geöffnet. In<br />

beglückender Weise ist es „schön“, aber noch wichtiger: Es ist von Anfang<br />

an „sozial“. Das „Seid umschlungen Millionen“ der Zeit der Französischen<br />

Revolution, sozialreformerische Träume der Utopisten, Volksparkgedanken<br />

des 19. Jahrhunderts und vieles mehr schwingen im Wörlitzer Garen mit.<br />

Neben seiner gestalterischen Ästhetik darf sein humanistischer Inhalt nie<br />

vergessen werden.<br />

(Hartmut Ross, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch /<br />

Ross / Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen,<br />

Berlin-München 1994, S. 15)<br />

Emanzipatorischer „Erlebnispark“ als Gegenprogramm<br />

zum Barockgarten 353<br />

Wörlitz, das war ein früher Erlebnispark, mit Recht ein Beispiel glücklicher<br />

Harmonie in Goethes Wahlverwandtschaften, und, als Pflanzschule der<br />

Philantrophie, ein früher Aufenthaltsort der Emanzipation, worin der<br />

gewundene Weg und der sich frei entfaltende Baum zu Emblemen<br />

bürgerlicher Freiheit wurden. Wo der regelmäßige Barockgarten die<br />

Blickachse zum Weg erklärte, und die Wegstrecke zum Ziel des Blicks,<br />

war hier ein zielloses Wandern. Wenn der Barockgarten Ebenmaß und<br />

Proportion in die freie Natur zirkelte, erlaubte sich der freie Wille im<br />

englischen Landschaftsgarten weite Wege.<br />

(Christian Thomas, „Pflanzschule der Aufklärung“. Kulturlandschaft und Weltbild<br />

Wörlitz: ein Ereignis im Deutschen Architektur-Museum, in: Frankfurter Rundschau<br />

vom 23.03.1996)<br />

Bewahrung eines reformpolitischen Ensembles 354<br />

Die Suche des Fürsten Franz (von Anhalt-Dessau, 1740-1817, R. C.) nach<br />

dem eigenen historischen Standort inmitten des von Kleinstaaterei und<br />

Absolutismus beherrschten Deutschlands, nach Selbstverwirklichung in<br />

einem menschenwürdigen Dasein – auch für das Volk – hat ihn ahnungsvoll<br />

die Zukunft vorwegnehmen, den rückständigen Kleinstaat zu einem<br />

Musterland führen lassen. Die Reformbestrebungen, die alle Bereiche des<br />

öffentlichen Lebens berührten, konnten die Gesellschaft nicht grundlegend<br />

erneuern, aber doch menschlicher gestalten. Auch aus der Erkenntnis um<br />

dieses Verdienst sollte die Achtung vor seiner Schöpfung erwachsen. Sie<br />

als wichtiges Zeitdokument und zugleich ständig neue Quelle ästhetischer<br />

Kunst- und Naturerlebens zu erhalten sollte zu unser aller Anliegen werden.<br />

111


(Ludwig Trauzettel, Die Wörlitzer Anlagen – Geschichte und Gegenwart in:<br />

Hartmut Ross, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch /<br />

Ross / Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen,<br />

Berlin-München 1994, S. 211)<br />

Dessau-Wörlitz: UNESCO-Weltkulturerbe im Jahre 2000 355<br />

Im Jahr 2000 nahm die UNESCO das Dessau-Wörlitzer Gartenreich in die<br />

Weltkulturerbeliste auf. Richtungweisend waren dabei nicht allein die<br />

Bedeutung einzelner historischer Bauwerke dieser Kulturlandschaft oder die<br />

abwechslungsreichen Gartenanlagen, sondern deren ideelle Basis: die<br />

Verknüpfung landschaftlicher Gegebenheiten mit einem weitreichenden<br />

philosophisch-ethischen und pädagogischen Reformprogramm von<br />

außergewöhnlichem, universellem Wert.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S. 13)<br />

112


2. Die <strong>Park</strong>schöpfung Dessau-Wörlitz als Akt der<br />

politischen Aufklärung<br />

Leopold Franz, Fürst von Dessau:<br />

seine politische England-Schwärmerei 358<br />

Als ein zweites Vaterland, wo er (Leopold Franz, Fürst von Dessau, 1740-1817,<br />

R. C.) von neuem geboren worden sei, bezeichnet er folglich England, das Land,<br />

da man ein ordentlicher Mensch werden könne. Kein Wunder, offenbarte sich<br />

Großbritannien den deutschen Anglophilen in seiner parlamentarischen Tradition<br />

um ein gutes Jahrhundert voraus, mit den zwei begehrtesten Exportartikeln, wie<br />

es treffend der renommierte Landschaftsgärtner Humphrey Repton vermerkt, der<br />

Verfassung und der Landschaftskunst. Bürgerliche Grundrechte, wie Gleichheit<br />

vor dem Gesetz, religiöse Toleranz, Meinungsfreiheit und Schutz des<br />

Privateigentums, wurden dem jungen Fürsten zu Wegweisern für seinen elend vor<br />

sich hindämmernden Kleinstaat.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 206)<br />

England als großer Anreger für Politik und Gestaltung 359<br />

Waren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die in Europa weitest<br />

entwickelten Niederlande der Ideenspender gewesen, so wurde es nun<br />

wieder der an der europäischen Spitze stehende Staat, das tolerante und<br />

demokratische England, das zum Vorbild wurde. Die Schweiz, Niederlande,<br />

nun England waren Staaten einer nach Revolutionen einsetzenden<br />

gemäßigt bürgerlichen Entwicklung; hinzu kamen die Antike mit ihren<br />

demokratischen Tendenzen und die Ideen der bürgerlichen französischen<br />

Aufklärung. Als Ergebnis entwickelte sich Wörlitz-Dessau zu einem von<br />

bürgerlich-modernen Gedanken bestimmten Gebilde unter einem Fürsten.<br />

Die deutschen Verhältnisse brachten es mit sich, dass die bürgerliche<br />

Entwicklung in Anhalt-Dessau nicht von Bürgern einem Fürsten abgetrotzt<br />

war, sondern von einem Absolutisten seinem Land und seinem Untertanen<br />

übergestülpt wurde.<br />

Aus England kamen die Anregungen zu den landwirtschaftlichen,<br />

gewerblichen und sozialpolitischen Reformen, die Vorbilder für die<br />

Landschaftsgärten und die klassizistischen Bauten Erdmannsdorffs. Die<br />

Vorliebe für die Neugotik stammt ebenso aus England wie die Einführung<br />

der Körperhygiene und einer modernen Medizin. England vermittelte<br />

Kenntnisse über Asien und die Bekanntschaft mit Georg Forster (1754-<br />

1794, R. C.). Engländer brachten Abbildungswerke über antike Bauwerke<br />

heraus und waren an der Renaissance interessiert. Die englische Nation<br />

praktizierte Demokratie, hatte ihren Adel verbürgerlicht und die Macht des<br />

Könige beschränkt. Shakespeare und die englischen Schriftsteller des 18.<br />

Jahrhunderts – allen voran Lawrence Sterne (1713-1768, R. C.), der gute<br />

Bekannte der Wörlitzer – beeinflussten das kontinental-europäische<br />

Denken.<br />

(Hartmut Ross, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch /<br />

Ross / Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen,<br />

Berlin-München 1994, S. 162 f)<br />

113


Fürst Franz: Bildungsreise als politische Raison 360<br />

Der dreiundzwanzigjährigen Fürst Franz begab sich also auf die britische<br />

Insel, in dieses Musterland der frühen Industrialisierung, und eben nicht wie<br />

viele zeitgenössische Vertreter der Hocharistokratie zunächst auf die<br />

obligatorische Bildungsreise nach Italien. Dies ist als eine bemerkenswerte<br />

Form von Staatsräson zu interpretieren, basierend auf einem ausgeprägten<br />

persönlichen Verantwortungsbewusstsein für seine etwa 30000 Untertanen.<br />

Die Eindrücke und Erfahrungen, die der Junge Fürst vor allem in England<br />

machte, wurden zu Leitbildern seines künftigen Lebens und zum Anstoß,<br />

seinem Land und dem künftigen Gartenreich eine eigene Gestalt zu geben.<br />

Auf seiner Reise wurde Fürst Franz von dem ihm geistig eng verbundenen,<br />

universal gebildeten sächsischen Baron Friedrich Wilhelm von<br />

Erdmannsdorff (1736-1800, R. C.) begleitet, der zu den Wegbereitern des<br />

Klassizismus in Deutschland zählt.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.18)<br />

Die „Grand Tour“ und das Erbe der Antike im Dessau-<br />

Wörlitzer Gartenreich 361<br />

„Was Wörlitz vor anderen Landschaftsgärten auszeichnet, ist der Rückgriff auf die<br />

Antike nicht nur als geistige Instanz, sondern als Form“, vermerkte Adrian von<br />

Buttlar in seinem umfassenden Kompendium „Der Landschaftsgarten“. Womit<br />

mehr als zwei Jahrhunderte später noch in einer architekturhistorischen Spurensuche<br />

deutlich wird: erst die bildungsbürgerliche „Grand tour“ nach dem Vorbild<br />

britischer Aristokraten des „Club Dilettanti“ hat das Wörlitzer Gartenland in seiner<br />

einzigartigen Kombination von Antikenzitaten und anglophilen Adaptionen entstehen<br />

lassen, gewissermaßen in einem pluralistischen Stil nach Reisebildern.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte<br />

der Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 209)<br />

Fürstentum Dessau-Wörlitz: Aufklärung auch als<br />

Bildungsreform 362<br />

Ganz der Aufklärung verpflichtet, sorgte Fürst Franz mit der Einrichtung<br />

des Philanthropinums (1774) für eine Revolutionierung im deutschen<br />

Schulwesen. Johann Bernhard Basedow (1723-1790) erhielt in Dessau die<br />

Chance, seinen pädagogischen Ideen praktische Gestalt zu verleihen. Den<br />

eigentlichen Durchbruch schaffte Carl Friedrich Neuendorf, der mit der<br />

Landesschulreform (1785) die Gleichberechtigung für die untersten<br />

Schichten des Volkes hinsichtlich ihres Bildungsanspruchs erstmalig<br />

praktizierte. Die Verbindung von Natur, Schule und Leben, die Erziehung<br />

zur Gemeinnützigkeit, kindgerechte Erziehungsmethoden und die<br />

Einführung des Schulsports gehörten zu den philanthropischen<br />

Grundprinzipien.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 4)<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz als Symbol für Toleranz 363<br />

Angeregt durch Lessings „Nathan der Weise“ (1779), sorgte der im Sinne<br />

der Toleranz aufgeklärte Fürst für die Emanzipation der Juden, denen er in<br />

Dessau eine eigene „Hauptschule“ einrichtete, die noch zu seinen<br />

114


Lebzeiten den Namen „Franzschule“ erhielt. Fürst Franz ließ es sich nicht<br />

nehmen, den öffentlichen Abschlussprüfungen persönlich beizuwohnen. In<br />

Wörlitz entstand in unmittelbarer Nähe von Schloss und christlicher Kirche<br />

der (klassizistische) Judentempel.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 4f)<br />

Fürst Franz als Landesherr: Revolution von oben 364<br />

In Kunst und Wissenschaften, der Reorganisation von Verwaltung,<br />

Finanzen und Rechtsprechung sowie im Aufbau bescheidener<br />

Manufakturen war das Fürstentum Anhalt-Dessau dank der klugen und<br />

maßvollen Regierung von Fürst Franz zu einem Musterstaat in Europa<br />

geworden. Zeit seines Lebens strebte der Fürst nach wahrer, präziser<br />

Erkenntnis und deren praktischer Anwendung zur stetigen Verbesserung<br />

der menschlichen Verhältnisse. Der Weitblick des Herrschers in der<br />

Förderung von Landwirtschaft und Landschaftspflege, seine Fürsorge für<br />

die Untertanen und seine Toleranz in Religionsfragen waren gleichsam eine<br />

Revolution von oben. Sie führte als ein Obrigkeitsweg der Modernität auch<br />

zu beeindruckenden Reformen auf dem Gebiet der Pädagogik und des<br />

Sozialwesens. So schuf Fürst Franz von Anhalt-Dessau Armenanstalten<br />

(die erste 1764 in Dessau) und verbesserte das Gesundheitswesen, seit er<br />

im Alter von 18 Jahren formell die Regierungsgeschäfte von seinem<br />

Vormund Fürst Dietrich übertragen bekam. Und es bedurfte nicht erst so<br />

eindrucksvoller und das moderne Schulwesen in ganz Europa<br />

revolutionierender, überkonfessioneller Bildungseinrichtungen, wie das von<br />

Johann Bernhard Basedow in Dessau im Jahre 1774 gegründete<br />

Philanthropinum, dass Wilhelm Ludwig Wekhrlin (der schreibt sich so, R.<br />

C.) begeistert feststellen konnte: „Nirgends findet man den<br />

Mittelpunkt des Einfachen und Erhabenen so sehr; niemals haben sich<br />

Philosophie und Künste in einem kleineren Raum vereinigt. Vielleicht giebt<br />

es auf der kultivirten Erde keinen Flek, welcher den Blick des denkenden<br />

und empfindsamen Reisenden so sehr verdient; welcher die<br />

Einbildungskraft mehr beschäftigt und viel Gegenstände der Bewunderung<br />

enthält“.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz“, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.18, f)<br />

Ein <strong>Park</strong> als Illustration der Aufklärung 365<br />

Inzwischen aber war auf dem Gebiet der Aufklärung viel geschehen. Sie<br />

hatte gewissermaßen schon eine beträchtliche Wegstrecke hinter sich<br />

gebracht. Was lag da näher als ein wenig Muße. Um aber nicht falsch<br />

verstanden zu werden, sollte natürlich das „Schöne mit dem Nützlichen“<br />

verbunden werden, wie das Motto damals schon lautete, denn die<br />

Aufklärung kannte ihren Horaz. Ein Aufenthalt des anmutigen<br />

Raissonements auf Erden, dessen Abdruck in der Natur – so sollte es sein.<br />

Und so geschah es, mannigfaltig und lieblich gar inmitten der Elbaue,<br />

zwischen Wald und See, siedelte die Aufklärung ihr Weltbild an. Beinahe<br />

lebenslässig und, wie Goethe schrieb, in „einer schönen, durch Kunst<br />

verherrlichten Gegend, in einem wohladministrierten und zugleich äußerlich<br />

geschmückten Land“.<br />

115


(Christian Thomas, „Pflanzschule der Aufklärung“. Kulturlandschaft und Weltbild<br />

Wörlitz: ein Ereignis im Deutschen Architektur-Museum, in: Frankfurter Rundschau<br />

vom 23.03.1996)<br />

Fürst Franz’ Reisen nach England als parkgestalterische<br />

Anregung 366<br />

Es waren insbesondere die Reisen, die Fürst Franz die nötige Weitsicht und<br />

Kenntnis für seine Reformabsichten vermittelten. In Italien lernte er unter<br />

der sachkundigen Anleitung Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768)<br />

die klassischen Altertümer kennen und studierte die Bauwerke Andrea<br />

Palladios (1508-1580), des großen Vermittlers der Renaissancezeit.<br />

England konnte ihm Einsicht in die ökonomischen Wurzeln des<br />

Frühkapitalismus bieten. Die klassische Baukunst war in diesem Land<br />

bereits in Form des (Neo-)Palladianismus aufgelebt – mit der dort nie<br />

abgestorbenen gotischen Bauweise hielt sie sich die Waage, besonders in<br />

den Landschaftsgärten, deren Grenzen fließend in die ausgedehnten<br />

Weideflächen übergingen.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 2)<br />

Von Vitruv bis Gotik: Niederschlag von<br />

Reiseeindrücken 367<br />

Das Gartenreich von Anhalt-Dessau, insbesondere aber Wörlitz, wurde zu<br />

einer Reflexion der in Italien und England, Frankreich und Holland<br />

gewonnenen Reiseeindrücke. Die Verehrung der Antike und der<br />

Renaissance insbesondere durch Erdmannsdorff führte zu einer<br />

Wiederaufnahme der Architekturtheorien des antiken Baumeisters Vitruv<br />

(um 84 bis 27 v. Chr.) und Andrea Palladios (1508-1580, R. C.).<br />

Erdmannsdorff (1736-1800, R. C.), im Baufach Autodidakt, wurde durch<br />

seine umfangreichen Kenntnisse und Begabungen zum Schöpfer der<br />

meisten klassizistischen Bauwerke im Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Die in<br />

englische Gärten eingebetteten Landhäuser Wörlitz, Georgium und Luisium,<br />

Tempel, Wallwachhäuser und Ruinenarchitekturen ließen den begeisterten<br />

Zeitgenossen ein „deutsches Arkadien“ entstehen. Fürst Franz ließ<br />

gleichzeitig neugotisch bauen. Er wollte dabei „keine als ideal erträumten<br />

Zustände des mittelalterlichen Rittertums, keine zunehmende Religiosität in<br />

klösterlicher Abgeschiedenheit, sondern Verständnis für die vaterländische<br />

Vergangenheit“ erwecken (E. Hirsch).<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 8f)<br />

Zur Rolle der baulichen Versatzstücke im Wörlitzer <strong>Park</strong> 368<br />

In den Hundstagen trat ich … eine Reise nach Dessau und Wörlitz an. Der<br />

dortige schöne Garten, von einem der kunstgebildetsten Fürsten<br />

Deutschlands angelegt, mit trefflichen landschaftlichen Partien, ist oft sehr<br />

falsch beurteilt worden, weil man ihn aus einem ganz andern Gesichtspunkt<br />

betrachtete als sein Schöpfer. Man findet die Bauwerke kleinlich, die<br />

Bildsäulen von gewöhnlicher Arbeit, viele Spielerei usf.; aber man tut<br />

unrecht, den modernen Maßstab anzulegen. Es war nicht die Absicht,<br />

prächtige Werke zu erbauen, die als solche sich Geltung verschaffen,<br />

sondern man wollte Phantasien daran knüpfen und dem Natrugenusse<br />

durch den menschlichen Gedanken eine höhere Weihe geben. War Material<br />

116


und Ausführung nicht gerade störend, leisteten sie, was man von ihnen<br />

forderte, so war dies gerade recht; sie dienten nur als Mittel zum Zweck und<br />

sollten nichts anderes sein. Fand man zum Beispiel auf einem von hohen<br />

Tannen ernst umschatteten Platz die Büsten einiger unserer großen<br />

Dichter, wenn auch nur aus Sandstein gemeißelt und mit ihren Namen<br />

versehen, so war dies eine Aufforderung, sich mit ihnen zu beschäftigen,<br />

sich ihrer zu erinnern oder, wenn man Lust und Zeit hatte, schöne Stellen<br />

ihrer Werke ins Gedächtnis zurückzurufen. Es war nicht die Absicht,<br />

plastische Kunstwerke aufzustellen, die als solche durch Material und<br />

Ausführung die ganze Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahmen und<br />

von dem beabsichtigten Ziele vielleicht gerade ablenkten. Das Verdienst<br />

lang einzig und allein in der Harmonie des symbolisch dargestellten<br />

Gedankens mit der Örtlichkeit und ihrem Charakter. Kleine Tempel, Büsten<br />

und allegorische Figuren reichten dazu aus, nicht sowohl um den Gedanken<br />

zu verkörpern, sondern nur um ihn anzuregen, und die Umgebung oder<br />

auch wohl eine Inschrift hatte ihn weiter auszuspinnen. Man brachte so bald<br />

berühmten Dichtern eine Huldigung, bald stellte man den Weg der Tugend<br />

und des Lasters, ein Elysium und einen Tartarus dar, bald die Reste eines<br />

römischen Amphitheaters oder eine andere Ruine, um an die versunkene<br />

Welt der Griechen und Römer zu erinnern, bald einen feuerspeienden Berg,<br />

um an Italien und das zu mahnen, was es eigentlich charakterisiert. Man<br />

wies der Phantasie, der süßen Träumerei, der Erinnerung, der Schwärmerei<br />

gewisse Bahnen an, auf welchen sie in Gemeinschaft mit dem Genusse<br />

schöner Natur der edelsten und beseligendsten Empfindungen teilhaftig<br />

wurde. Das wurde angestrebt, und das ist dem edlen, geistvollen Fürsten<br />

oft bewundernswürdig gelungen. Diesen Gesichtspunkt muß man<br />

festhalten, um Gärten aus jener Zeit nicht falsch zu beurteilen und den<br />

dargestellten Gegenständen nicht eine Geltung beizulegen, die sie an und<br />

für sich nicht hatten.<br />

(Karl Friedrich von Klöden [1786-1856], preußischer Pädagoge, zit.n: Hartmut<br />

Ross, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch / Ross /<br />

Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen, Berlin-<br />

München 1994, S. 148f)<br />

Gartenreich Dessau-Wörtlitz als bildgewordene<br />

Aufklärung 369<br />

Im Gartenreich Dessau-Wörlitz ist die Aufklärung Bild geworden und<br />

allgegenwärtig. Die erneuernden und zukunftsorientierten Kräfte dieser wohl<br />

frühesten Landeskultivierungsmaßnahme Mitteleuropas zu entdecken und<br />

vor allem die dem Genius loci innewohnende Energie für die Allgemeinheit<br />

produktiv zu erschließen, bleibt für jeden von uns künftig die individuelle<br />

Herausforderung.<br />

(Thomas Weiss, Unendlich schön, in: Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S. 19)<br />

117


3. Die <strong>Park</strong>schöpfung Dessau-Wörlitz als Variation<br />

der englischen „ornamented farm“<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz als Realisierung<br />

fortschrittlicher Geistesströmungen 370<br />

Es ist schließlich vor allem Wörlitz, das die „Reiseeindrücke“, die fortschrittlichen<br />

Geistesströmungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts<br />

bündelt und sie als gärtnerische Anlage, als symbolträchtige Architektur<br />

reflektiert. Die Übernahme moderner Landwirtschaftsmethoden aus dem<br />

bürgerlichen England führte zu einer ökonomischen Gesundung des kleinen<br />

Agrarlandes. Anhalt-Dessaus Musterwirtschaften erweckten das Interesse<br />

von Agrarökonomen und Verwaltungsfachleuten, die von weither anreisten.<br />

…Der Fürst begriff, dass er die soziale Lage seiner Bauern bessern musste,<br />

um von ihnen mehr Produktivität verlangen zu können. Dabei baute er nicht<br />

so sehr auf Administration, sondern auf die innere Einsicht der Untertanen.<br />

(Roland Krawulsky, Dessau-Wörlitz, Führer durch das Gartenreich, Edition RK,<br />

Dessau 2006, S. 3f)<br />

„Aufklärerischer Utilitarismus“: Landschaftsgestaltung<br />

und Ackerland in schöner Eintracht 371<br />

Beginnend im Jahre 1762 – noch während des Siebenjährigen Krieges –<br />

hatte Vater Franz im Laufe seiner langen Regierungszeit das Dessauer<br />

Land mit seinem ca. 700 Quadratkilometer in einen „einzigen Garten“<br />

verwandelt. Es wurde damals allgemein „das Gartenland“ oder „Gartenreich“<br />

genannt. Franz handelte nach der Devise „das Nützliche mit dem<br />

Schönen“, wobei er als der bemerkenswerteste Gartengestalter seiner Zeit<br />

dem Utilitarismus der Aufklärer entgegenkam. Kein Flecken Land blieb<br />

ungenutzt, und bei den rechtlich garantierten Arbeitskontrakten der Landarbeiter<br />

waren Motivation und Eigenverantwortung so ausgeprägt, dass<br />

selbst die Feldflur wie „gut bearbeitetes Gartenland“ aussah. Die großflächigen<br />

Landschaftsgestaltungen betrafen vor allem die landwirtschaftlich<br />

nicht nutzbaren Hochwassergebiete, so dass zur Bewunderung der Aufklärer<br />

kein Ackerland vergeudet wurde.<br />

(Erhard Hirsch / Annette Schtolka, Dessau und das Dessau-Wörlitzer Gartenreich,<br />

Steko-Kunstführer Nr. 33, Verlag Jonas Stekovics, Dößel 2008, S. 23)<br />

Fürst Franz als Landwirt, Aufklärer und Ökologe 372<br />

Die bäuerlichen Besucher konnten hier ihr Vieh von den Hochzuchttieren<br />

decken lassen, um den Viehbestand im ganzen Lande zu verbessern.<br />

Anbauwillige erhielten kostenlos Kleesamen, den Franz aus England<br />

kommen ließ. In vier Wellen verteilte er Äcker aus den fürstlichen Gütern<br />

an Landarme und bedachte dabei auch Juden: Nur wer dies weiß und<br />

bedenkt, begreift den nicht enden wollenden Enthusiasmus der aufgeklärten<br />

Zeitgenossen für „alles Dessauische“. „Der Fürst der Ökonomen“, wie man<br />

ihn nannte, mahnte auch am Warnungsaltar als erster Ökologe mit der<br />

Aufschrift WANDERER ACHTE NATVR VND KVNST VND SCHONE<br />

IHRER WERKE: Pädagogischer Garten in vollendeter Harmonie.<br />

(Erhard Hirsch / Annette Schtolka, Dessau und das Dessau-Wörlitzer Gartenreich,<br />

Steko-Kunstführer Nr. 33, Verlag Jonas Stekovics, Dößel 2008, S. 60)<br />

118


Die englischen Vorbilder für Dessau-Wörlitz 373<br />

Vom Genius loci ausgehend, vermochten in jeder weiteren Konzeption die englischen<br />

Landschaften von William Chambers (1723-1796, R. C.) oder Lancelot<br />

Brown (1716-1783, R. C.) Vorbilder zu geben: real als räumliche Kunstwerke<br />

nachempfunden, erst im Gehen zu verste-hen, mit ihrem Wegesystem hinführend<br />

zu Zierat und Architekturzitat, nicht zuletzt ja auch pädagogisch als ein kunsthistorischer<br />

Lehrpfad gedacht, angereichert mit Stimmungsbildern, mythologischen<br />

Hinweisen, Allegorien, nicht zuletzt Inschriften wie „Hier wird die Wahl<br />

schwer, aber entscheidend“ und zu beiden Seiten Sitzge-legenheiten. Geht der<br />

geneigte Wanderer der Verführung einer Venus oder doch lieber der Weisheit<br />

entgegen?<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 211f)<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz als „Apotheose“ englischer<br />

<strong>Park</strong>gestaltung I 374<br />

In England entwickelte sich also der neu entstandene Landschaftsgarten in<br />

sehr unterschiedliche Richtungen. Erdmannsdorff und Fürst Franz haben<br />

die unterschiedlichen Strömungen englischer Gestaltungsart studiert und in<br />

Anhalt-Dessau zu einer neuen Qualität von Garten als Gesamtkunstwerk<br />

komponiert. Sie brachten die Eindrücke ihrer Grand Tour wie die Umsetzung<br />

der Antikebegeisterung als Gartenthema nach Mitteleuropa und<br />

bezogen Erlebnisse aus Südeuropa in ihre gestalterischen Lösungen mit<br />

ein. Wenn heute englische Wissenschaftler bei ihrem Besuch im Dessau-<br />

Wörlitzer Gartenreich bemerken, der Eindruck englischer Gestaltungsart sei<br />

in den hiesigen Anlagen besser zu erleben und zu verstehen als auf der<br />

britischen Insel, so charakterisiert dies das Einfühlungsvermögen der<br />

Initiatoren in der Entstehungszeit.<br />

(Ludwig Trauzettel, Der englische Landschaftsgarten, in: Unendlich schön, Das<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz“, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006,<br />

S.173)<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz als „Apotheose“ englischer<br />

<strong>Park</strong>gestaltung II 375<br />

Boettiger hat es bereits 1797 in seinem Tagebuch zu erklären versucht:<br />

„Vielleicht versteht jetzt in England selbst kein Landschaftsgärtner so<br />

meisterhaft die Kunst, durch Mischung von hundertfachem Grün zu<br />

schattieren und grün in grün zu malen als Franz. Dies und die damit<br />

verbundene Geschicklichkeit, die clusters und clumps von Gebüschen und<br />

Bäumen angenehm zu gruppieren und die Grasmatte damit zu bestreuen,<br />

ist ein Höhepunkt, worauf man bei den so hundertfältig verschiedenen<br />

Ansichten zu sehn hat“.<br />

(Carl August Boettiger [1760-1835], Weimarer Archäologe, Tagebuchaufzeichnung<br />

eines Besuches in Dessau-Wörlitz, zit. in: Ludwig Trauzettel, Der englische<br />

Landschaftsgarten, in: Unendlich schön, Das Gartenreich Dessau-Wörlitz“,<br />

Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.173)<br />

119


Gartenreich Dessau-Wörlitz: Schöne <strong>Park</strong>s und moderne<br />

Landwirtschaft (ornamented form) 376<br />

Das idealisierte Bild der Antike mit einer umfassenden Nutzung der<br />

ästhetisch verschönerten Welt hatte schon in England als Anregung bei der<br />

neu entstehenden freien und natürlichen Gartenkunst gedient. Der unter<br />

Horaz (65-8 v.Chr.) in der Ars poetica geprägte Leitspruch „Jeglichen Beifall<br />

errang, wer Nützliches mischt mit dem Schönen“ wurde auch zur Lebensund<br />

Gestaltungsmaxime für Fürst Franz und Erdmannsdorff im Gartenreich.<br />

Das Nützliche der neuen (englischen) Ökonomie bildete mit dem<br />

Ästhetischen der verschönerten <strong>Park</strong>landschaft eine harmonische Einheit.<br />

Nichts war ohne Funktion, alles sollte nach den Intentionen der Schöpfer als<br />

lehrhaftes Programm verstanden und zudem auch von Landeskindern und<br />

Besuchern aufgenommen und nachgeahmt werden. Bis hinein in das Innere<br />

der Gartenanlagen gehörten Weide- und Ackernutzung, Obstpflanzungen<br />

und Tierherden sowie die landwirtschaftlichen Arbeiten zur Wirkung der<br />

kunstvoll angelegten Gartenbilder. … In Wörlitz entstand mit der durch den<br />

Kammerdirektor Georg Karl von Raumer geleiteten Domäne ein<br />

wirtschaftlicher Musterhof, ein Tempel der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres,<br />

welcher Architekten durch seine von Palladio (1508-1580, R. C.)<br />

beeinflusste Architektur in seiner Übereinstimmung von funktionellen und<br />

sozialen Aspekten begeisterte und den Landwirten anderer Länder als<br />

Vorbild dienen konnte.<br />

(Ludwig Trauzettel, Obstbau und Landwirtschaft: schön und nützlich, in: Unendlich<br />

schön. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin<br />

2006, S. 178)<br />

Landschaftsschutz in Dessau-Wörlitz 377<br />

Während der Regierungszeit des Fürsten Franz, wie auch in der seines<br />

Nachfolgers Leopold Friedrich stand die gestaltete Landschaft mit ihrer Tierund<br />

Pflanzenwelt unter einem strengen gesetzlichen Schutz. Die<br />

Gesetzgebungen und Akten dieser Zeit geben zahlreiche Hinweise, dass<br />

Franz zur Erhaltung seiner Straßen, Pflanzungen und Deichanlagen<br />

erzieherisch auf seine Landeskinder und Besucher einwirkte und bei<br />

Vergehen und Zerstörungen hohe Strafen aussprach. Der Fürst ließ<br />

beispielsweise bekannt machen, „…dass keiner sich unterstehen soll,<br />

frevelhafterweise einen gepflanzten Obst- oder anderen Baum, er gehöre<br />

wem er auch wolle, umzuhauen oder zu beschädigen, … und daß<br />

[derjenige, der diesem zuwiderhandelt], … miit einjähriger Karrenstrafe<br />

bestraft werden soll“ (Order Nr. 175 vom 19.04.1791). Es wurde u.a. auch<br />

verordnet, dass „derjenige, der auf seiner Wiese eine Eiche, oder einen<br />

anderen Baum … beschädigen würde, … 20 andere Bäume auf seine<br />

Kosten setzen soll … und für deren Fortkommen zu sehen hat“. (Anordnung<br />

Nr. 56 vom 30.03.1769).<br />

(Ludwig Trauzettel, Das historische Dessau-Wörlitzer Gartenreich, DKV-<br />

Kunstführer Nr. 550/0, München-Berlin o.J. [2002], S.10)<br />

Moderne englische Landwirtschaft in Dessau-Wörlitz 378<br />

Zu Zeiten des Fürsten Franz war die Umgebung der Stadt durch Alleen und<br />

ästhetisch aufgewertete Ackerfluren charakterisiert, in der Weidetiere und<br />

Ackerbau den Fleiß der Bewohner belegen sollten und Obstgehölze das<br />

Landschaftsbild bestimmten. „ Es wurde damals die sogenannte Englische<br />

Landwirtschaft eingeführt und durch tätige, einsichtsvolle Landwirthe<br />

120


unserem Lande angepasst; durch Veredlung der Pferde, Rinder und<br />

Schafe, durch verbesserten Fruchtwechsel und stärkeren Anbau von<br />

Futterkräutern zeichneten sich die Dessauischen Lande bald aus“. (Lindner<br />

1833)<br />

(Ludwig Trauzettel, Das historische Dessau-Wörlitzer Gartenreich, DKV-<br />

Kunstführer Nr. 550/0, München-Berlin o.J. [2002], S. 11)<br />

<strong>Park</strong> und Landwirtschaft als gestalterische Einheit 379<br />

Ein wohldurchdachtes System von Sichtbeziehungen verbindet die<br />

Gartenbereiche miteinander und mit der umgebenden Landschaft.<br />

Zahlreiche Bauwerke, Skulpturen, Sitzplätze und Gehölzpflanzungen in<br />

dem peripher über 35 Jahre gewachsenen Garten bilden Blickpunkte in<br />

Sichtschneisen, die die Grenzen des inneren Gartens bewusst verwischen.<br />

Große Flächen des Gartens waren durch Landwirtschaft, Obstbau oder<br />

Fischerei genutzt, denn auch hier galt die pädagogische Prämisse, Schönes<br />

und Nützliches stets zu verbinden. Durch geschicktes Ineinandergreifen von<br />

Pflanzungen und Ackerflächen ist der Übergang in die ästhetisch<br />

aufgewertete Umgebung fließend gestaltet; es gab nie eine Grenze oder<br />

eine Umzäunung. Jedermann konnte und kann sich hier erholen und bilden.<br />

(Ludwig Trauzettel, Das historische Dessau-Wörlitzer Gartenreich, DKV<br />

Kunstführer Nr. 550/0, München-Berlin o.J. [2002], S. 30)<br />

121


4. Das Lob der Anderen<br />

Goethes Lob 382<br />

Goethe (1749-1832, R. C.) jedenfalls, der Freund und vielfache Besucher des<br />

Fürsten Franz, hat<br />

sich in dieses Arkadien wie in einen Traum versetzt gefühlt: „Es ist, wenn man<br />

so durchzieht, wie ein Märchen, das einem vorgetragen wird, und hat ganz den<br />

Charakter der elysischen Gefilde“, schrieb er Charlotte von Stein.<br />

(Inge Krupp, Deutsche Gärten und <strong>Park</strong>s, in: H. Sarkowicz (Hg.), Die Geschichte der<br />

Gärten und <strong>Park</strong>s, Frankfurt 2001, S. 211f)<br />

Das Lob der Grossen – von Humboldt bis Goethe 383<br />

Die Stimmen der Zeitgenossen, der zahlreichen Verehrer, hatten Wörlitz in<br />

ganz Europa berühmt werden lassen: Man kam nach Wörlitz, um das neue<br />

„Paradies“ zu sehen, wie Humboldt (W. v., 1767-1838, R. C.) und Forster<br />

(1754-1794, R. C.) die Anlage bezeichneten. Man verließ Wörlitz unter<br />

Lobesworten, die wieder und wieder neue Besucher anlockten. Fürst<br />

Charles Joseph de Ligne (1735-1814, R. C.), selbst Gartengestalter,<br />

Schriftsteller und Gartentheoretiker, preist Wörlitz als „Krönung der<br />

Gartenkunst“, als „vollendetes Muster aller Gärten“, als einen „der<br />

schönsten Plätze der Welt“. Goethe äußert über den Fürsten Franz und<br />

dessen Garten: „Die Anlage eines damals einzigen <strong>Park</strong>s, der Geschmack<br />

der Baukunst, welchen von Erdmannsdorff durch seine Tätigkeit<br />

unterstützte, alles sprach zugunsten eines Fürsten, der, indem er durch sein<br />

Beispiel den übrigen vorleuchtete, Dienern und Untertanen ein goldenes<br />

Zeitalter versprach.“<br />

(Ludwig Trauzettel, Die Wörlitzer Anlagen – Geschichte und Gegenwart in:<br />

Hartmut Ross, Hartmut, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in:<br />

Roch / Ross / Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für<br />

Bauwesen, Berlin-München 1994, S. 210)<br />

* Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832], in: Dichtung und Wahrheit, 8. Buch.<br />

J.F. von Rachwitz: Dessau-Wörlitz – Sieg des<br />

englischen über den französischen Geschmack 384<br />

Die zeitgenössische Kunsttheorie kommentierte diesen grundlegenden<br />

Wandel als eine Stilrevolution: „Dieser von dem regierenden Fürsten Franz<br />

von Dessau nach seiner eigenen Zeichnung und Angabe angelegte Garten<br />

(zu Wörlitz) war in unsern Gegenden der erste in englischem Geschmack;<br />

und indem dadurch der Nachahmungsgeist geweckt wurde, war auch die<br />

Gewalt, die bisher der französische Geschmack über die Teutschen gehabt<br />

hatte, vernichtet. Auch das in jeder Rücksicht in gutem und edelem<br />

Geschmacke von dem Hr. von Erdmannsdorff (1736-1800, R. C.) daselbst<br />

erbaute und innerlich verzierte fürstliche Lustschloss war eines der ersten,<br />

das frei von Schnörkeln und groteskem Geschmack, als Muster eines<br />

reinern und edlern Geschmacks in Arabesken und andern innern<br />

Verzierungen diente. Bald folgte man allgemein diesem Beyspiele. So<br />

wirkten zwey Männer von Geist aus einer der minder großen aber ruhigen<br />

Provinzen auf den Geschmack der Nation.“<br />

(J. F. v. Rachwitz, Darstellung der Geschichte des Geschmacks der vorzüglichsten<br />

Völker, 1796, zit. .n: Erhard Hirsch / Annette Schtolka, Dessau und das Dessau-<br />

Wörlitzer Gartenreich, Steko-Kunstführer Nr. 33, Verlag Jonas Stekovics, Dößel<br />

2008, S. 7f)<br />

122


Probst Reil: Licht, Freude, Ordnung, Glück, und<br />

Fortschritt – ein Programm 385<br />

Unser bester Zeuge, Probst Friedrich Reil, berichtet aus seinen<br />

vertraulichen Gesprächen mit Fürst Franz eindeutig: „Der Fürst wollte nicht<br />

bloß ein modernes Hellas, oder ein neues Gotentum, oder nur einen großen<br />

englischen <strong>Park</strong> aus seinem Lande machen, nein: Sein Land sollte ein<br />

Schauplatz des Lichtes, der Ordnung, der Freude und des Genusses sein<br />

für alle Anderen, die es bewohnten und besuchten, wo jeder Befriedigung<br />

für Geist und Herz fände, wo jedem die Mittel, sein wahres Glück selbst zu<br />

schaffen, gezeigt und dargereicht würden, wo Allen der Weg des<br />

Fortschritts und der Entwicklung geebnet wäre, den sie wandeln sollten.“<br />

(Friedrich Reil [1772-18499], aufgeklärter Theologe, Probst in Wörlitz ab 1809,<br />

zit.n: Hartmut Ross, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch<br />

/ Ross / Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen,<br />

Berlin-München 1994, S. 150f)<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz:<br />

Der „Garten von Deutschland“ 386<br />

(Das Gartenreich von Dessau-Wörlitz), das Fremdlinge aus allen Gegenden<br />

der kultivierten Erde und selbst Weltumschiffer den Garten von Deutschland<br />

mit Recht nannten. Nachkommen, die ihr dies leset, blickt mit Ehrfurcht in<br />

das Jahrhundert zurück, welches einen solchen Fürsten hervorbrachte.<br />

(Friedrich von Matthisson, 1806, zit. n.: „Unendlich schön, Das Gartenreich<br />

Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S. 6)<br />

Gartenreich Dessau-Wörlitz über alles 387<br />

Die Gartengegend um Wörlitz ist über alles, was ich je gesehen habe. Die<br />

verschönte Natur in ihrer mannigfaltigen Wirkung thut sich hier auf, für alle,<br />

die es werth sind, sie zu lieben. Das schönste sind nicht die Statuen,<br />

Büsten, Tempel, der Garten ist das schönste.<br />

(Johann Friedrich Abegg, 1798, zit. n.: „Unendlich schön, Das Gartenreich<br />

Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.162)<br />

<strong>Park</strong> und Land(wirt)schaft als wohltuende Bilder 388<br />

Fürst Franz war bemüht, seiner poethischen Lebensanschauung eine auf<br />

das Volk wirkende, feste, dauerbare Gestalt zu geben … die herrlichen<br />

Baumgruppen, der frische Laubwuchs der großen Gartenanlagen, mit<br />

feinem Sinne künstlerisch angeordnet, bringt noch heute die edelsten,<br />

wohltuensten Bilder hervor. … Nach den Kompositionsprinzipien eines<br />

großen Künstlers ist die freie Landschaft behandelt. Auch hier im Felde, wo<br />

die Ökonomie scharf und gerade abschneidende Grenzen gewöhnlich zieht,<br />

ist man auf edlere Linien bedacht gewesen. Besonders bei den Übergängen<br />

der Eichenwälder in die freien Wiesenflächen ist dies der Fall; die Konturen<br />

der Waldsäume sind bewegt, und nicht selten springen einzelne Bäume<br />

oder Gruppen in die Wiese hinein, dem Auge das volle Bild des<br />

landschaftlichen Wechsels gewährend… .<br />

(Anonymus 1853, zit. n. Ludwig Trauzettel, Das historische Dessau-Wörlitzer<br />

Gartenreich, DKV Kunstführer Nr. 550/0, München-Berlin o.J. [2002], S. 4)<br />

123


Gartenreich Dessau-Wörlitz: Das große Vorbild 389<br />

Wenn noch lange, lange dieses Wörlitz, einst die Bewunderung<br />

Deutschlands und das erste Vorbild der Naturverschönernden Gartenkunst;<br />

wenn dieses trauliche Luisium; wenn jener der Besserung geweihte<br />

heiligschöne Ruhesitz an der Elbe; wenn schon so viele andere Anlagen<br />

noch in künftiger Zeit Wohlgefallen, Freude, Genuß erwecken: so ist Fürst<br />

Franz der Urheber dieser fortdauernden Freuden. Wenn noch künftigen<br />

Reisenden der Weg durch unser Land zur Lust gemacht wird; wenn von<br />

vielen, vielen Tausenden der Bäume, die Er gepflanzt hat, noch nach<br />

Jahrhunderten so mancher auf das Haupt späterer Urenkel kühlenden<br />

Schatten wirft: so ist es Fürst Franz, der ihnen, auch ohne daß sie es<br />

wissen, diese Wohlthat bereitete!<br />

(Johann Friedrich de Marées, 1817, zit. n.: „Unendlich schön. Das Gartenreich<br />

Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S. 301)<br />

Begeisterte Darstellung eines Reisenden 390<br />

„Sobald wir im Herzogthum Anhalt-Dessau angekommen sind, eröffnet sich<br />

unseren Blicken das Reich Silvans“. Nicht minder enthusiastisch fährt der<br />

unbekannte Autor fort. „Die ganze Gegend ist eine angenehme Wiesenaue<br />

mit Holz begränzt, und liegt wie ein weiter grüner Teppig vor unseren<br />

Augen, hier sehen wir die Bilder eines Horaz und Virgil, jene trefflichen<br />

Zeichner der Natur in ihrer Wirklichkeit; hier wadet der Stier durch die<br />

üppige Flur, hier sehen wir das junge Roß zügellos in jugendlicher Kraft,<br />

hier sehen wir des Landmanns Fleiß, und das schöne Waizenfeld wechselt<br />

mit tausend Frühlingsblumen schimmernden Wiesen ab.“<br />

(Unbekannter Autor, ca. 1850 (?), zit. n.: Thomas Weiss, Unendlich schön, in:<br />

Unendlich schön. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz, Kulturstiftung DessauWörlitz<br />

(Hg.), Berlin 2006, S.15)<br />

Goethes Schwärmen vom Gartenreich 391<br />

Hier ists iezt unendlich schön. Mich hats gestern Abend wie wir durch die<br />

Seen Canäle und Wäldgen schlichen sehr gerührt wie die Götter dem<br />

Fürsten erlaubt haben einen Traum um sich herum zu schaffen. Es ist wenn<br />

man so durchzieht wie ein Mährgen das einem vorgetragen wird und hat<br />

ganz den Charackter der Elisischen Felder in der sachtesten Mannigfaltigkeit<br />

fließt eins in das andre, keine Höhe zieht das Aug und das<br />

Verlangen auf einen einzigen Punckt, man streicht herum ohne zu fragen<br />

wo man ausgegangen ist und hinkommt. Das Buschwerk ist in seiner<br />

schönsten Jugend, und das ganze hat die reinste Lieblichkeit.<br />

(Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832] an Charlotte von Stein, Wörlitz,<br />

Donnerstag, 14. Mai 1778, zit. n.: „Unendlich schön, Das Gartenreich Dessau-<br />

Wörlitz“, Kulturstiftung DessauWörlitz (Hg.), Berlin 2006, S.12)<br />

Wilhelm van Kempen: Dessau-Wörlitz –<br />

Pulsschlag der Zeit 392<br />

Wilhelm van Kempen hat Wörlitz’ Stellung bereits 1925 unübertrefflich<br />

Ausdruck verliehen: „Was ist es, das diese hohe Bedeutung jener<br />

Schöpfung ausmacht?“ Es ist, dass hier in einzigartiger Weise auf kleinen<br />

Raum alles zusammengefasst, alles zum Ausdruck gebracht ist, was das<br />

ausklingende 18. Jahrhundert … beseelte. Nirgends in Deutschland – selbst<br />

in Weimar nicht – schlägt so deutlich der Pulsschlag jener Zeit wie in<br />

Wörlitz, das ganze unendlich vielseitige, vielfältige, aus den extremsten<br />

124


Disharmonien zu einem wundersamen Vollakkord sich zusammenfindende<br />

Bild der Kultur einer Jahrhundert-, nein, einer Weltenwende, hier in Wörlitz<br />

breitet es sich lückenlos und farbenprächtig aus.“<br />

(Wilhelm van Kempen, [1894-1968], deutscher Kunsthistoriker, zit. in: Hartmut<br />

Ross, August Rode und das Dessau-Wörlitzer Reformwerk, in: Roch / Ross /<br />

Trauzettel / Paul, Der Englische Garten zu Wörlitz, Verlag für Bauwesen, Berlin-<br />

München 1994, S. 164)<br />

Das „Gesamtkunstwerk“ Dessau-Wörlitz: Lob der<br />

zeitgenössischen Geistesgrößen bis zur Aufnahme als<br />

UNESCO-Weltkulturerbe 393<br />

Von der „Zierde und dem Inbegriff des XVIII. Jahrhunderts“ hat Christoph<br />

Martin Wieland (1733-1813, R. C.) gesprochen, als er von Dessau-Wörlitz<br />

redete. Auch Goethe (1749-1872, R. C.) hat die Gegend gelobt. Er sah im<br />

„wohladministrierten und zugleich äußerlich geschmückten Lande“ Ideen<br />

der Epoche mit ihren erzieherischen absichten verwirklicht. Dabei umfasst<br />

der Begriff des Dessau-Wörlitzer Kulturkreises weit mehr als nur den<br />

berühmten <strong>Park</strong> und die in ihm Gestalt gewordene Italiensehnsucht der<br />

deutschen Frühklassik. Immer wieder wird ein kleiner „Musterstaat“<br />

beschrieben, in dem eine bürgerliche Bildungsreform ihren Ort fand, in die<br />

auch ein neues Verständnis von Leibesübungen integriert war. Hier wurden<br />

ein neuer Klassizismus palladianisch-englischer Provenienz geschaffen, die<br />

Neugotik und ein neuer Gartenstil. Das Dessauer Erbe ist von<br />

übernationalem Rang. Es wurde aufgenommen ins UNESCO-<br />

Weltkulturerbe.<br />

(Erhard Hirsch / Annette Schtolka, Dessau und das Dessau-Wörlitzer Gartenreich,<br />

Steko-Kunstführer Nr. 33, Verlag Jonas Stekovics, Dößel 2008, S. 63)<br />

125


II. Der Marquis René-Louis de Girardin (1735-1808) und<br />

Ermenonville – Schüler von Shenstones „The Leasowes“<br />

und Anreger Voghts<br />

Vorbemerkung: Werk und Wirkung 395<br />

Voght (1756-1839, R. C.) besuchte sowohl „The Leasowes“ (zweimal) als auch<br />

den „Rousseau-<strong>Park</strong>“ in Ermenonville (1786 mit seinem Freund Piter Poel). Er<br />

bezieht sich als Vorbilder für seine Planungen zwar ausdrücklich auf „The<br />

Leasowes“ und Watelets „Moulin joly“, man kann allerdings auf Grund der<br />

Philosophie und der Anlage des <strong>Park</strong>s von Ermenonville, den Voght ja noch vor<br />

den „Veränderungen“ u.a. durch die Französische Revolution kennenlernte,<br />

schlussfolgern, dass Ermenonville einen ganz bedeutsamen Einfluss auf seine<br />

Vorstellungen und Planungen hatte. Auffallend ist, dass auch der Marquis de<br />

Girardin, der Schöpfer von Ermenonville, lange Jahre vor Voght ebenfalls „The<br />

Leasowes“ besuchte und sich dort inspirieren ließ (ähnlich wie auch Fürst Franz<br />

von Anhalt-Dessau (1740-1817, R. C.) für sein „Gartenreich Wörlitz“). Auffallend<br />

ist gleichfalls, dass den Marquis und den Kauf-mann, aber auch den Fürsten<br />

Franz ähnliche agrarpolitische Impulse beflügelten. Berücksichtigt man, das<br />

Ermenonville vor dem Mustergut in Flottbek angelegt wurde (1763-1776), also<br />

noch einer „Generation“ des englischen Landschaftsgartens zugehört, die sehr<br />

stark mit literarischen und baulichen Zitaten (vor allem aus der Antike) arbeitete,<br />

dass Voght also die „Staffage“ weniger, das Landwirtschaftliche mehr betonte als<br />

der Marquis, und dass der Marquis (vorrevolutionärer) Adeliger war, Voght aber<br />

Kaufmann, kann man sie durchaus als Brüder im Geiste bezeichnen. Dasselbe<br />

gilt für Fürst Franz.<br />

Die Zeugnisse über den Marquis kann man neben seinem in großen Zügen noch<br />

vorhandenen <strong>Park</strong> aus seiner Schrift „De la composition des paysages“ (Von der<br />

Gestaltung der Landschaften) entnehmen, deren voller Titel – und dann wird die<br />

oben angesprochene Geistesverwandtschaft deutlicher – heißt: „Von der Gestaltung<br />

der Landschaften – oder von den Mitteln, die Natur und die Siedlungen zu<br />

verschönern und dort das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, sowie<br />

von Überlegungen zu den Vorteilen der Nachbarschaft ländlicher Besitzungen,<br />

und von einer größeren Verbreitung kleiner Güter, um das Auskommen des<br />

Volkes zu verbessern und die unheilvollen Auswirkungen des Monopols einzudämmen“.<br />

Außerdem hat die Regierung (!) des Departements „Oise“ eine umfangreiche<br />

und fundierte Dokumentation herausgegeben: „Vers le parc Jean-Jaques<br />

Rousseau“ (Beauvais 2005); ich zitiere hier aus einer weitgehend sinngemäßen<br />

und unautorisierten Übersetzung Paul Zieglers. Fast alle Zitate können auch in<br />

den Kapiteln in Teil A zugeordnet werden. Mir scheint aber eine so geblockte<br />

Vorstellung dieses <strong>Park</strong>s, seines Schöpfers und des Zeithintergrundes sinnvoller,<br />

um deutlich zu machen, in welch doch verblüffend einheitlichem Geiste sowohl<br />

Fürst Franz, als auch der Marquis de Girardin und Caspar Voght in ihrer Zeit<br />

agierten, und wie weit sowohl „Bürger und Edelmann“ der kontinentaleuropäischen<br />

Entwicklung voraus waren.<br />

126


Landwirtschaft im vorrevolutionären Frankreich: Sully,<br />

Ludwig XIV., die Physiokraten, das englische Vorbild und<br />

Girardins Wollen 396<br />

Girardin verkörpert den Adligen, der sich um den Fortschritt der landwirtschaftlichen<br />

Techniken bemühte, der dem Land mehr Reichtum und dem Bauern<br />

weniger Mühen verschaffen wollten. Ludwig XIV. hatte die unsicheren Reichtümer<br />

des Handels denen der Landwirtschaft vorgezogen, und manche trauerten Sully<br />

nach, der in seiner Überzeugung, dass „Weideland und Ackerbau die Brüste sind,<br />

aus denen Frankreich sich nährt“, es verstanden hatte, dem Land Wohlstand zu<br />

bringen und ihm seine Würde wiederzugeben. In der Mitte des 18. Jhs entwickelte<br />

sich die physiokratische Bewegung, der zufolge der Reichtum und das wirtschaftliche<br />

Wachstum einzig auf der Landwirtschaft beruhte: „Die Nation redet (nur noch<br />

vom) Getreide“, spottete Voltaire. England hatte in seiner Landwirtschaft tiefgehende<br />

Veränderungen erfahren, für die sich Wissenschaftler wie Lavoisier und<br />

Großgrundbesitzer interessierten, die bereit waren, die Erfahrungen jenseits des<br />

Ärmelkanals ins Werk zu setzen. Der Marquis de Girardin hing zweifellos den<br />

Ideen der Physiokraten an.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Englische Landwirtschaft, Englische Landschaftsparks<br />

und die französische idealisierte „Pastorale“ – Girardins<br />

Distanz dazu 397<br />

Der Aufschwung der englischen Landwirtschaft hatte den neuen Gesellschaftsklassen<br />

erlaubt, sich zu bereichern und ihren sozialen Aufstieg sichtbar zu<br />

machen. Seither entwickelten sich unaufhaltsam englische Gärten in gewundenen<br />

Flusstälern und wichen dabei gelegentlich ab von ihren ästhetischen Ursprüngen.<br />

Der antike Mythos von Arkadien und die Begeisterung für eine durch Dichter wie<br />

Vergil oder Horaz wiederentdeckte Natur begründeten auf gewisse Weise diese<br />

neue Kunst. In Frankreich hatte sich der Mythos vom Goldenen Zeitalter in der<br />

Schäferdichtung verwurzelt, wie seit dem 16. Jahrhundert in L’Astrée, dem langen<br />

Roman, von dem die Hofdamen des folgenden Jahrhunderts, die der Verderbtheiten<br />

und der strengen Etikette müde waren, ganze Abschnitte auswendig<br />

lernten. Romane und Theaterstücke zeigen so Schäfer, die, wenn sie nicht das<br />

Glück der Geselligkeit feierten, sich in der Melancholie ihrer enttäuschten Liebe<br />

hingaben. Mit Seidenbändern geschmückte über grüne Rasenhänge hüpfende<br />

Schafe. (…) Wenn wir heute den Dekor solcher Schäferszenen belächeln, so<br />

entsprachen diese im Grunde doch einem idealisierten Naturzustand und der<br />

Suche nach einer besseren Welt. Der Marquis de Girardin, Träumer, der er auch<br />

war, wusste dennoch, dass diese Bilder, die Boucher unsterblich machte, nur eine<br />

neckische Galanterie spiegelten und keinerlei Beziehung hatten zur Wirklichkeit<br />

des Landlebens. Das Leben war tatsächlich hart.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Elemente der „ornamented farm“ in Ermenonville 398<br />

Erfüllt von einer wahren Ideologie der ländlichen Welt, wollte Girardin in seinem<br />

Garten überall Symbole der Arbeit aufscheinen lassen, etwa in der größeren<br />

Nordpartie. Dem Marquis lag viel daran, dass die Landarbeiter die Landschaft auf<br />

ihre Weise prägten. Im 18 Jh. breitet sich die Landwirtschaft aus und ist, nach<br />

Meinung mancher Ökonomen der Epoche, die einzige einträgliche Tätigkeit,<br />

127


während die anderen Tätigkeiten unfruchtbar wären. Die Nutzung des Landgutes<br />

bestand im Wesentlichen aus Forstwirtschaft. Eine Mühle, eine Brauerei und ein<br />

Bauernhof waren dauernd in Betrieb. Man kann noch die Fischerhütte nennen, die<br />

Bude des Köhlers, das Haus des Jagdaufsehers. Ein Gemüsegarten am Waldrand<br />

von Perthe produzierte Gemüse „in Harmonie mit der Lage des Landstrichs“.<br />

Der Marquis de Girardin bekundete großes Interesse an landwirtschaftlichen<br />

Arbeiten und schlug Reformen vor, um die großen Höfe aufzuteilen, die Zahl der<br />

Tagelöhner zu reduzieren. Er zahlte Prämien an die verdienstvollsten Bauern,<br />

auch verteilte er Ackerparzellen, die sie auf eigene Rechnung bestellen konnten.<br />

Im Südpark, der philosophischsten seiner Gartenpartien, waren auch Bauern und<br />

Schafe willkommen. Der „arkadische Wiesengrund“ war Weideland.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Girardins England-Reise: „The Leasowes“ als<br />

bewundertes Vorbild 399<br />

Unter allen Ländern, die er besuchte, war es England, wo es ihm gefiel, einen<br />

langen Aufenthalt einzulegen. England, das ist ihm die Offenbarung einer Revolution.<br />

Der neue Garten-Stil hat zahlreiche Franzosen beeinflusst, die aufbrachen,<br />

ihn kennen zu lernen, wie der Plan belegt, den der Prinz von Croy nach seiner<br />

Rückkehr aus London zeichnete. Die Wiederentdeckung des mittelalterlichen<br />

Erbes hatte der Epoche eine pittoresk und mystisch geprägten Literatur geboren.<br />

Man bemühte sich, die von Dichtern und Malern bewunderten gotischen Ruinen<br />

zu retten. Die reichen Großgrundbesitzer und das aufstrebende Bürgertum waren<br />

begierig, den Charakter der neuen Gesellschaft (auch nach außen hin) zu<br />

bestätigen, den sie in einem neuen Stil ausdrückten.<br />

Die großen Gärten waren, als Girardin sie besuchte, nicht mehr die ersten<br />

Schöpfungen der Landschaftsgärtner. Es waren die Anlagen von Leasowes, die<br />

auf ihn einen bleibenden Eindruck machten. Dieser Besitz des Dichters William<br />

Shenstone (1714-1763, R. C.) zeichnete sich durch den bukolischen Geschmack<br />

aus. Nach einer Reise von annähernd drei Jahren kehrte Girardin nach Frankreich<br />

zurück, wo in seinen zukünftigen Garten die Eindrücke einflossen, die er auf<br />

seinen Reisen gesammelt hatte.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Girardins „Adaption“ zeitgemäßer Philosophie und<br />

Kunstbetrachtung für seine <strong>Park</strong>gestaltung 400<br />

Die Künstler der 18. Jhdts, aber auch die Philosophen, suchten der Abwechslung<br />

und der Asymmetrie wieder einen Sinn zu geben. Die Epoche, welche die Romantik<br />

vorbereitete, sprach schon von „nebelhaften und unordentlichen“ Leidenschaften,<br />

die sich am besten in Krümmungen und Windungen ausdrückten. Obgleich<br />

die augenscheinliche Freiheit der Formen nicht die Strenge des Gedankens<br />

ausschloss, strebte man nicht mehr die leidenschaftslose Vollkommenheit an, die<br />

dem Klassizismus eigen war. Gewisse Intellektuelle des 18. Jahrhunderts hatten<br />

trotz der Versuche der Rationalisierung und der wissenschaftlichen Klassifizierungen<br />

auch die Grenzen und die Gefahren der Abschottung der Wissensgebiete<br />

erkannt. Durch diese Erfahrung übersetzten sich diese Wahrnehmungen fortschreitend<br />

in die Bereiche der Kunst. Unter der scheinbaren Unordnung hatten<br />

Künstler wie Girardin versucht, eine verborgene Ordnung aufzuspüren, nämliche<br />

diejenige der Kontemplation und der Meditation. Die Gärten von Ermenonville<br />

beschränkten sich daher nicht auf eine bloße Reaktion gegen den klassischen<br />

128


Gartenstil, sondern spiegelten vor allem die innere Notwendigkeit eines Menschen,<br />

für den die Landschaft die Farben dessen annimmt, der sie betrachtet.<br />

Das Malerische schloss zum ersten Mal die Subjektivität des Betrachters ein und<br />

bildete sich nach dem Geschmack seiner Erinnerungen (…), der „Rückwirkung<br />

auf die Seele“, wie Girardin sagte.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Gärten als Anregung für alle Sinne – Girardin und<br />

der (englische) philosophische Empirismus / Sensualismus<br />

(Locke / Hume) 401<br />

Während ein Werk der Malerei einzig vom Auge verstanden werden kann, erschließen<br />

die Gärten das Land auch anderen Sinne. Von den arabischen Gärten<br />

mit ihrer Betonung des Wohlgeruchs bis zu den barocken Anlagen, wo das<br />

Wasser der Brunnen und Fontänen ein wahres Universum der Musik schuf, ist der<br />

Garten das Zusammenspiel aller Sinne. Nicht einen einzigen Sinn gibt es, den die<br />

Gärten von Ermenonville nicht anregten, wie vom Ende des 18. Jahrhunderts an<br />

zahlreiche Beschreibungen der Pilgerfahrt zum Grabe Rousseaus (1712-1778,<br />

R. C.) bezeugen. Mit wachem Interesse für die neuen Theorien, war Girardin<br />

aufgeschlossen für eine philosophische Revolution, die sich am Ende des 17.<br />

Jahrhunderts Bahn brach: dies war der Sensualismus, auch Empirismus genannt.<br />

Diese von Locke (1632-1704, R. C.) angestellten und von Hume (1711-1776,<br />

R. C.) näher bestimmten Gedanken kamen aus England, dem Land, dem<br />

Girardins besonderes Interesse galt. Der Empirist deduziert seine Erkenntnisse<br />

aus dem, was seine Sinne ihm vermitteln, und die Entwicklung eines realen<br />

Wissens vollzieht sich auf dem Hintergrund unmittelbarer Wahrnehmung. John<br />

Locke räumte dem Erlebten den Vorrang ein und behauptete, im Gegensatz zu<br />

Descartes, dass die Seele ihre Ideen nur aus den Sinneswahrnehmungen<br />

bezieht. Girardin zufolge waren der Garten und die Landschaft der allgemein<br />

bevorzugte Bereich der sinnlichen Erfahrung, und man verspürt im Konzept von<br />

Ermenonville die Bedeutung des Sensualismus.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Girardin, auch ein Maler, als malerischer Gestalter<br />

seines <strong>Park</strong>s 402<br />

Warum stützte sich der Marquis des Girardin so sehr auf die umgebende Landschaft?<br />

Skizzieren wir seine Antwort auf diese Frage aus der Geschichte der<br />

Malerei:<br />

Lange wurde Landschaft als Bildhintergrund ohne Bedeutung betrachtet. Maler<br />

wie Lorrain oder Poussin waren die ersten, die der Landschaft ihre eigene Würde<br />

gaben. Von da an erlangte das Genre seine eigene Sprache und Kodierung.<br />

Zunehmend bot sich die Landschaftsmalerei als Gestaltungs-Vorbild für Gärten<br />

an. Vergessen wir dabei aber nicht, dass selbst das Wort „Landschaft“, bevor es<br />

einen Landstrich bedeutete, den der Blick umfasst, erst einmal allgemein die<br />

Darstellung eines Landstriches in einem Gemälde oder einer Zeichnung bezeichnete.<br />

René-Louis de Girardin verlor diese ursprüngliche malerische Bedeutung<br />

nicht aus dem Auge. Als Maler, auch weil eine Beherrschung der Perspektive<br />

unerlässlich war, erzeugte er die Wirkung von Tiefe und raumschaffender Bildrahmung,<br />

indem er Baumgruppen in den Vordergrund pflanzte. Weil das Tal im<br />

Verhältnis zu seiner Länge zu breit war, teilte er es und erreichte eine Einengung<br />

129


und Straffung, die der linken Partie große Tiefe verlieh und dem Turm von Montepilloy<br />

am Ende der schönen Achse als Rahmung / seitliche Abschirmung diente.<br />

Alle Bemührungen Girardins dienten der Steigerung des Pittoresken (Malerischen).<br />

Dieses war der wesentliche Begriff, denn er suchte überall bildhafte<br />

Wirkungen zu erzielen.<br />

Bei der Suche nach dem Pittoresken legte der Marquis des Girardin großen Wert<br />

auf die „fonds“, die man jedoch nicht bloß als einfache Leinwand-Hintergründe zu<br />

verstehen hat. Sie treten in Beziehung zur vorderen Ebene, die selbst vom<br />

Wohnhaus strukturiert war.<br />

Wenn die Vorderbühne in Beziehung zum Herrenhaus ausgebildet ist, so heißt<br />

das nicht, dass dieses die Mitte der Anlage einnähme, im Gegensatz zu<br />

Versailles, wo die Gärten das Schloß zur Geltung bringen. In gewisser Weise<br />

übernahmen manche englischen Gärten eine solche Anordnung und stellten das<br />

Landhaus in die Mitte der Komposition. Für Girardin war das Schloß eher ein Ort,<br />

von dem aus man schaute, als der Ort, auf den man blickte. Seine Lage in der<br />

Nord-Süd-Achse war günstig für ein weites Panorama. Er zog Nutzen aus diesem<br />

Unterschied, indem er sehr unterschiedliche Stile schuf. Der Süden es Besitzes ist<br />

im Sinne von Lorrain konzipiert, während der ländliche Stil des Nordens den<br />

Charakter Ruysdaels trägt. Es gibt keinen Zweifel, dass diese Maler die Quellen<br />

der Inspiration waren. Aber es war doch in erster Linie die Beschaffenheit des<br />

Ortes, die den Charakter seiner Schöpfung bestimmt. Im Gegensatz zu den<br />

englischen Gärten, wo das Gemälde der Natur vorausging, suchte Girardin eine<br />

Landschaft zu schaffen, die der Malerei Modell stehen könnte.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Girardins strenge Handhabung des literarischen und<br />

architektonischen Dekors: Sinn, nicht nur Schmuck 403<br />

„Alle Sprachen zugelassen“ (…) Die Vielfalt der verwendeten Sprachen macht<br />

den Reichtum des Gartens aus und spiegelt den Wissensdurst seines Besitzers<br />

wider.<br />

Hier Latein, dort Griechisch, Deutsch auf dem Grab des Malers Mayer, anderswo<br />

Englisch oder auch Italienisch. Im Übrigen ist der universale Charakter auch in<br />

den angedeuteten Epochen gegenwärtig: Die arkadische Weidenlandschaft ist ein<br />

antiker Traum, der Turm der Gabrielle ruft das feudale Zeitalter wach, und der<br />

Tempel der Philosophie (oft mit dem Zusatz der „modernen“ Philosophie) wirkt wie<br />

eine Trophäe der Modernität. Diese Vielfalt wollte der Marquis in einer gewissen<br />

Reihenfolge erhalten und mit einem gewissen Anspruch auf Sinnzusammenhang.<br />

Er selbst kritisierte Gärten mit unzusammenhängenden Elementen. Er fasst das<br />

so zusammen: „Man glaubte eine große Vielfalt erzeugen zu können, indem man<br />

die Hervorbringungen aller Klimate, die Denkmäler aller Zeiten aufhäufte und auf<br />

kleinstem Raum, sozusagen, einsperrte.“<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

Die Antike als Inspirationsquelle in Ermenonville 404<br />

Die Antike bleibt eine Inspirations-Quelle, die sich auch nach dem Ende des<br />

Mittelalters nicht erschöpfte. Sie ist keineswegs das Vorrecht des 18. Jahrhunderts,<br />

aber die Originalität (dieses Jahrhunderts) bestand in ihrer neuen Interpretation.<br />

Die im 17. Jahrhundert geschilderten mythologischen Episoden hatten<br />

sich verbraucht, und eine Auffrischung wurde nötig. Das Rokoko hatte schon das<br />

130


Ansehen der mythologischen Bilder geschwächt. In Ermenonville hatten nur die<br />

Freundschaft, die Natur und der Frieden noch Geltung. Weder die großen<br />

homerischen Schlachten noch die triumphierenden Helden haben hier Platz; man<br />

träumte inzwischen von reizenden Schäferszenen wie bei Vergil (70-19 v. Chr.,<br />

R. C.) oder Theokrit (300-260 v. Chr., R. C.).<br />

Das Altertum bedeutete Girardin weniger eine Epoche aus einem Geschichtsbuch<br />

als einen Seelenzustand. Dieser äußert sich unter anderem in künstlichen Ruinen,<br />

Symbolen der Abwesenheit, Metaphern des Verlustes. Mehrere Orte und Gartenbauten<br />

verkörperten das Goldene Zeitalter, die Epoche des Friedens, als die<br />

Menschen im Einklang mit der Natur lebten. Eine weite grüne Wiese erstreckt sich<br />

in der Tiefe des Südparks und ruft Arkadien wach, das ursprünglich eine Landschaft<br />

auf dem Peleponnes war, wo der römische Dichter Vergil seine Fabeln<br />

ansiedelte. Pan, der Schutzgott der Schäfer, verfolgte die schöne Najade Syrinx,<br />

die sich auf der Flucht vor ihm in Schilf verwandelte. Daraus schnitzte de Gott<br />

eine Flöte. Man trifft auf die Najaden-Grotte, der Girardin ein Gedicht von Shenstone<br />

weihte. Diese Nymphen brachten den Flüssen fruchtbares Wachstum.<br />

Mehrere Gottheiten oder Menschen sind mythologische Verkörperungen eines<br />

Wertes, der dem Marquis besonders am Herzen lag: Auf die Gastfreundschaft<br />

bezieht sich die Legende von Philemon und Baucis. An ihrer Hütten am Ende der<br />

arkadischen Wiese liest man ein Gedicht, das die Zeit verherrlicht, als noch die<br />

Werte des Herzens galten:<br />

Das Goldene Zeitalter war nicht bloß Fabel,<br />

es war auch nicht aus Gold. Es fehlte an nichts.<br />

In unserem Eisernen Zeitalter, nun ja,<br />

das hat man Gold, und wir sind umso ärmer.<br />

Der Reichste ist, wer ohne Angst und Sorge<br />

Am meisten genießt und am wenigsten braucht.<br />

Dazu gesellte sich die Ehrlichkeit, ein höchster Wert für Girardin, symbolisiert in<br />

der „Eiche des Palemon“:<br />

Palemon war ein echter Mann,<br />

er pflanzte diese Eiche:<br />

Dieser schöne Baum sei auf ewig geweiht<br />

der Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit!<br />

Mögen der Blitz und die bösen Menschen ihn verschonen.<br />

(Departement Oise (Hg.), Vers le parque Jean-Jaques Rousseau, Beauvais 2005, in<br />

einer unautorisierten Übersetzung von Paul Ziegler)<br />

131


III. Caspar Voght (1752-1839): Sein <strong>Park</strong>werk / Seine<br />

Landwirtschaft / Seine Armenpolitik – Sein Wirken<br />

und sein Erbe<br />

Vorbemerkung:<br />

Eine Kurz-Laudatio auf Caspar Voght – aus heutiger Sicht 406<br />

Dereinst wurde „Flottbeck in einem Geist erdacht“, der Straßenname erinnert<br />

noch an Caspar Voght, der in den Jahren 1785/86 in Klein Flottbek vier Höfe<br />

erwarb und sie später in ein Mustergut verwandelte. Voght setzte sein universelles<br />

Wissen und Organisationstalent, seine Leidenschaft und sein Vermögen<br />

dafür ein, in Klein Flottbek eine „ornamented farm“ einzurichten. (…)<br />

Das Auetal der Flottbek, die lieblichen Hügel, die sprudelnden Quellen, die klaren,<br />

schnell dahineilenden Bäche, Morast und Heide, alte Baumgruppen und Gebüsch<br />

– aber auch „Straßen- und Gassendung“ der nahen Städte Altona und Hamburg,<br />

„Heringsdünger-Compost“, „Knochenasche“ und Salpeterexperimente, all das<br />

wußte Voght vielseitig für seine Ziele einzusetzen. (…)<br />

Alles Kleinliche war ihm zuwider. Die großartigen Ausblicke, die Durchblicke, die<br />

Sichtbezüge, die Natur idealisiert erlebbar zu machen, das war sein ästhetisches<br />

Konzept. Er schuf eine Komposition von Landschaftsbildern, die „gleichsam der<br />

Natur abgelauscht“ waren. Die vorgefundene Topographie war Grundlage seiner<br />

Landschaftsplanung. Die Bodenwellen und die Beschaffenheit des Bodens wußte<br />

Voght in der Wirkung zu steigern und gerade erst dadurch sichtbar zu machen.<br />

Dennoch konnte er die „Hand der Kunst allenthalben verbergen“.<br />

Allerdings schuf Voght mehr als eine ästhetisch wohlkomponierte Felder-,<br />

Wiesen- und Weidewirtschaft, mehr als einen bloßen Lustgarten mit europäischem<br />

Bildungsanstrich. Zugleich war es Voght wichtig, seine sozialreformerischen<br />

und agrarökonomischen Ziele zu verwirklichen. Er sorgte vorbildlich für<br />

seine Landarbeiterfamilien. Arbeit statt Almosen, Versorgung der Kranken, Alten<br />

und Witwen, eine Schule für die Kinder, trockene Wohnung, etwas Land und<br />

Ersparnisse… In Klein Flottbek konnte Voght im kleinen Rahmen richtungsweisende<br />

Gedanken der Sozialpolitik verwirklichen, die er im größeren europäischen<br />

Rahmen zwar anzuregen, aber nicht durchzusetzen vermochte. Die Instenhäuser<br />

erinnern noch heute an den „Vater der Armen“, wie die Hamburger ihn damals<br />

nannten.<br />

Dem interessierten Landwirt wurde auf dem Mustergut eine Vielzahl von Anregungen<br />

geboten; die Wirkungen von neuentwickelten Fruchtfolgen, Bodenverbesserungen<br />

und modernen englischen Ackergeräten konnten hier studiert<br />

werden. Voght führte den Kartoffelanbau in Norddeutschland ein und bewahrte so<br />

in der bitteren Franzosenzeit viele vor dem Verhungern. Eine Landwirtschaftsschule<br />

und die berühmte Baumschule von James Booth, die erste in Norddeutschland,<br />

wurden von Voght gegründet.<br />

(Sylvia Borgmann, Caspar Voght und Klein Flottbek. Eine <strong>Park</strong>- und Stadtlandschaft<br />

unter Veränderungsdruck, in: F. P. Hesse, S. Borgmann, J. Haspel u.a., Was nützet mir<br />

ein schöner Garten … Historische <strong>Park</strong>s und Gärten in Hamburg, Patriotische Gesellschaft<br />

von 1765 und Verein der Freunde der Denkmalpflege e.V. (Hg.), Hamburg 1996,<br />

S. 37f)<br />

132


1. Voght und andere über die Anlage speziell des<br />

Süderparks, des heutigen Jenisch-<strong>Park</strong>s<br />

Voghts Vorbilder: Watelet und Shenstone 407<br />

Watelets moulin joli * und Shenstones leasowes ** haben ihm (Voght spricht hier<br />

von sich selbst in der dritten Person, R. C.) vorgeschwebt, wenn er die Thal und<br />

Hügel bedeckende reiche Kultur in Verbindung mit den lokalen Schönheiten jedes<br />

einzelnen Flecks zu bringen suchte.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 13)<br />

* Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glass, S. 32f:<br />

Claude-Henri Watelet (1718-1786) publizierte 1760 seine kunsttheoretische<br />

Schrift „L’Art de peindre“ und 1774 sein „Essai sur les Jardins“, das eine Beschreibung<br />

seines <strong>Park</strong>s Moulin-joli enthielt. Sein <strong>Park</strong> bestand nur etwas 40<br />

Jahre lang, war aber in dieser Zeit vielbesucht und weithin bekannt. (…) Auch<br />

Voght hatte wohl Moulin-joli besucht, wenn darüber auch keine schriftlichen<br />

Belege existieren (Claude-Henri Watelet, Essai sur les Jardins, 1774, und Claude-Henri<br />

Watelet, L’Art de peindre, 1760)<br />

** Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glass, S. 33:<br />

William Shenstone, englischer Dichter (1714-1763): Seinen ererbten Landsitz<br />

Leasowes, den er sein Leben lang kaum verließ, gestaltete er als ornamented<br />

farm. Shenstone selbst verfasste eine gartentheoretische Abhandlung: William<br />

Shenstone, Unconnected Thoughts on Gardening, 1764 oder Robert Dodsley, Collected<br />

Works in verse and prose of William Shenstone, London 1765<br />

Voght: Kurzdefinition des Flottbeker Mustergutes 408<br />

Flottbecks Charakter ist heitere Ruhe und frohe Gemüthlichkeit. (…) Das Gemüth<br />

findet sich hier mehr sanft angezogen, als lebhaft aufgeregt; – froher Genuß tritt<br />

an die Stelle des Erstaunens und der Bewunderung.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 12, 13)<br />

Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glass, S. 31:<br />

Hirschfeld nennt den Charakter dieser Gegenden „angenehm, munter und heiter“.<br />

Er trennt diese Eigenschaften von ihrer Wirkung, die er so beschreibt: „Ihr Eindruck<br />

ist gemäßigt. Eine ruhige Behaglichkeit, eine erwärmende Aufwallung von<br />

Ergötzung, ein sanftes Dahinschweben der Seele in Empfindungen und<br />

Phantasien…“. * Alles dies scheint Voght in der Wendung »frohe Gemüthlichkeit«<br />

zu umschreiben.<br />

* (Christian Cay Lorenz Hirschfeld [1742-1792], Theorie der Gartenkunst, 5 Bände,<br />

Leipzig 1779-1785, Bd. 1, S. 210f)<br />

Voght: <strong>Park</strong>gestaltung und „Gemüth“ 409<br />

Der Besitzer und, er darf es wohl in mancher Hinsicht sagen, der Schöpfer<br />

Flottbeks (Voght spricht hier von sich selbst in der 3. Person, R.C.), hat von jeher<br />

geglaubt, dass die Kunst der Gartenanlage es hauptsächlich erfordere, eine Reihe<br />

von Landschaften zu bilden, deren malerische Beleuchtung für gewisse Tageswie<br />

für die Jahreszeiten berechnet den dafür empfänglichen Gemüthern, * nicht<br />

allein Natur und Kunstgenuss zugleich verschaffe; sondern, dass es ihr noch<br />

133


höherer Beruf sey, jeder dieser Landschaften den Charakter abzulauschen, den<br />

die Natur ihr verlieh; diesen mit sorgsam schüchterner Hand auszubilden, und<br />

dem Beschauer zu verdeutlichen; glücklicher noch wenn es ihr gelingt, durch den<br />

Gesammteindruck das Gemüth zu beruhigen oder zu bewegen im Zauber des,<br />

alles zu neuer Kraft weckenden Frühlings, leise Hoffnungen und frohe Ahnungen<br />

im klopfenden Herzen zu erregen, oder beym sanftern Eindruck des bei seinem<br />

Scheiden sich verschönernden Herbstes, den Nachklang lieber Erinnerungen zu<br />

erwecken, und dadurch das Gemüth in stille Wehmuth zu versenken, durch das<br />

Zusammenfassen vieler gleichzeitigen Eindrücke, endlich eine Idee, oder ein<br />

Gefühl hervorzubringen, welches dem lebendigen Gemählde Sinn und Seele<br />

giebt.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 11f)<br />

Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glass, S. 31:<br />

Hier taucht der zentrale Begriff „Gemüth“, in Voghts Beschreibung erstmals auf.<br />

Der Begriff des Gemüts erfuhr um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine<br />

Bedeutungsverengung. So umfasste „Gemüt“ zuvor alle seelischen, geistigen und<br />

intellektuellen Kräfte des Menschen, sodass es im umfassenden Sinn als der<br />

Gegenpart zu „Körper“ gebraucht wurde.* „Noch im ganzen 18. Jahrhundert hat<br />

das Gemüt nicht bloß mit Anschauungen, auch mit Ideen zu tun.“ ** „Bei Campe<br />

(1808) ist es das ‚gesammte Begehrungsvermögen des Menschen, sowohl das<br />

vernünftige als das sinnliche.’“ ***<br />

* (Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 5)<br />

** (ebenda)<br />

*** (ebenda)<br />

Voght zum Charakter seiner <strong>Park</strong>gestaltung 410<br />

Die schönen Bäume,<br />

die liebliche Abwechslung von Hügel und Thal,<br />

die mannigfaltigen Baumgruppen,<br />

die so verschiedenen Land-, Strom-, An- und Aussichten<br />

suchte ich zu benutzen, um auf den<br />

durch die (mit solchem Fleiß bestellten) Felder geführten Wegen,<br />

eine Reihe wechselnder,<br />

in ihrem Character von einander verschiedener Landschaften<br />

dem Auge des Wandelnden der Reihe nach darzustellen<br />

– dabey alles Kleinliche sorgfältig zu vermeiden,<br />

die Hand der Kunst allenthalben zu verstekcen,<br />

und nur große Massen zu bilden,<br />

die des Pinsels würdig wären.<br />

(Aus einem Brief vom 25.04.1828 an seinen Nachfolger Martin Johan Jenisch, zit. n.:<br />

Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg,<br />

2006, S. 50)<br />

Voght: Der <strong>Park</strong> als „Seelen- oder Gemütslandschaft“ 411<br />

Voght beschreibt die Wirkungen bestimmter Aus- und Ansichten auf die Seele der<br />

Betrachter so, als seien es natürliche Reflexe. In diesem Zusammenhang kommt<br />

den Begriffen „Gemüt“ und „Gemütlichkeit“ eine Schlüsselfunktion zu. Mehr als ein<br />

Dutzend Mal werden leitmotivisch Gemüt, Gemütlichkeit und gemütliche Wirkungen<br />

benannt – das Gemüt wird beruhigt, oder bewegt, in stille Wehmut versenkt,<br />

in ihm wird die Empfindung für das Wahre und Schöne erweckt, die Garten-<br />

134


anlage als Ganzes erscheint gemütlich, und die Anlage der Stauden- und Blumenbeete<br />

hat auch eine gemütliche Wirkung, wie der Anblick seines Wohnhauses<br />

dem Besitzer gemütlichen Lebensgenuß verspricht.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 58)<br />

Voght: Natürliche Konstruktionen im <strong>Park</strong> 412<br />

Hütten und Sitze aus den Aesten der Bäume, welche sie beschatten, und dem in<br />

diesem Schatten wachsenden Moose zusammen gesetzt; Ruheplätze, welche die<br />

Landschaft bezeichnen, auf welche man aufmerksam machen wollte, schienen<br />

ihm allein sich der Gattung anzupassen, welche die Engländer ornamented farms<br />

nennen. (Voght spricht hier von sich selbst in der dritten Person, R. C.)<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 13)<br />

Voght: Gegen künstliche Dekorationen (picturesque gardens) 413<br />

So wie dem Besitzer (Baron Caspar Voght, R. C.) von jeher, selbst die<br />

gelungenste künstliche Nachahmung großer Naturscenen, geschmacklos und<br />

kleinlich vorgekommen ist, so haben die Überladungen in Stow west wycomb und<br />

andern berühmten <strong>Park</strong>s * ihm einen frühen Ekel für die sinnlose<br />

Zusammenstellung von griechischen Tempeln und gothischen Kirchen,<br />

Chinesischen Pagoden und altdeutschen Burgen, türkischen Bädern und<br />

Klausnerhütten, beygebracht. **<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 13)<br />

* Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glass, S. 32:<br />

Hier wird auf die früheren „picturesque gardens“ Bezug genommen, die mit zahlreichen<br />

Gebäuden, Tempeln und Chinoiserien ausgestattet waren und die schon<br />

in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts abgelöst wurden von den ganz<br />

natürlich erscheinenden <strong>Park</strong>s, in denen selbst Inschriften verpönt waren.<br />

** Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glass, S. 32:<br />

Von Voght hier als eine Geschmacksfrage dargestellt, ist der Ekel vor den mit<br />

den verschiedensten Gebäuden geschmückten <strong>Park</strong>s eher als das Ergebnis einer<br />

allgemeinen Entwicklung zu sehen. (…) Auch in England hatte sich seit der Mitte<br />

des 18. Jahrhunderts, der Entstehungszeit von Stowe und West Wycomb, der<br />

Gartengeschmack längst gewandelt – zur Zeit der Beschreibung (1824) war<br />

Voghts eigene Gartengestaltung längst auch von der Entwicklung überholt.<br />

Voght: Ruhepunkte / „Views“ 414<br />

Der Standpunkt, von dem aus ein „view“ oder eine Aussicht genossen werden<br />

soll, ist unentbehrlicher Taktgeber eines Rundgangs durch den malerischen <strong>Park</strong>;<br />

er wird durch einen Sitz oder eine Bank und eine Inschrift bezeichnet.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, Fußnote S. 31)<br />

135


Ramdor zu Flottbek: Kunst als Gehilfin der Natur 415<br />

Alles in Flodbeck ist in einem Geiste gedacht, ein Ganzes. Die Kunst hat nichts<br />

weiter verschönert, als in so fern sie den gütigen Absichten der Natur für diesen<br />

Ort zu Hülfe gekommen ist.<br />

(Wilhelm von Ramdor, Studien zur Kenntnis der schönen Natur…, Hannover 1792, zit. n.:<br />

Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg<br />

1990, S. 67)<br />

Voght über die „Fischerwischen“ (Oberlauf der Flottbek) 416<br />

Und so schildert Baron Voght 1824 das „Wiesenthal“ – überraschend poetisch für<br />

einen sonst sehr nüchternen Wegweiser für Landwirte: „Die Wiesen, durch welche<br />

nun der Weg führt, sind zwar nur Moorwiesen, deren Eine (die hier rechts vom<br />

Fußsteg liegende) indessen vom Dorf-Wasser bewässert wird, größtentheils 3 bis<br />

4 mal gemäht werden kann. Nicht unbemerkt werden hier die in einander<br />

verschlungenen Überbleibsel der ältesten Weidenbäume in den Herzogthümern<br />

bleiben. In der Mitte der Wiesen liegt hier unter einer Baumgruppe eine Hütte,<br />

besonders zur Zeit der Heuwindung von einer lieblichen, bewegungsvollen<br />

Landschaft umgeben. Von hier aus geht man zu der Fischerhütte an dem Beeck,<br />

der dem Dorf seinen Namen gab; sie beut eine freundliche, abgeschlossene stille<br />

Ansicht dar.“<br />

(Caspar Voght, Flottbek und dessen diesjährige Bestellung…, 1821, zit. n.: Paul<br />

Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg<br />

2006, S. 121)<br />

Archivar Otto Beneke über Voght und die „Fischerwischen“ 417<br />

Hernach stand unsre Sommerbühne<br />

In Lütten-Flottbecks Wiesenthal,<br />

Das Fischerhüttchen, still und grüne,<br />

Galt als Idyllen-Ideal.<br />

Wie oft kam aus des <strong>Park</strong>es Mitten<br />

Vor unseres niedern Daches Stroh<br />

Der alte Baron Voght geritten<br />

Im rothen schottischen Manteau.<br />

(veröff. 1864, zit. n.: Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 122)<br />

Voght: Die Stimmung um sein Landhaus 418<br />

Ich kann es gar nicht lassen, liebe Sieveking, Ihnen zu sagen, mit welcher<br />

unsäglichen Ruhe ich unter meinem Kastanienbaum sitze. Ich bin so im Einklang<br />

mit dem, was mich umgibt. Die herrliche Frühlingsluft, links meine mit Blüten<br />

überschneiten Kirschbäume, rechts mein Hof, wo alles lebt und webt, allenthalben<br />

Chöre von Nachtigallen – das sind Tage, wo man die Seligkeit des Herzens fühlt.<br />

(Aus einem Brief Caspar Voghts aus Flottbek, den er im Frühling 1788 an Hannchen<br />

Sieveking, die Frau seines Freundes Georg Heinrich Sieveking, schrieb; zit. n.: Michael<br />

Diers, Vorwort zu Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824,<br />

Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990, S. 7)<br />

Voght: Die Stimmung an seinem Landhaus 419<br />

Die feyerliche Stille des Orts nur durch das sanfte Gemurmel des entfernten<br />

Wasserfalls, und den Gesang der Vögel unterbrochen; die nicht beengende, und<br />

doch abgeschlossene Umgebung, versetzen das Gemüth in die ruhige Stimmung,<br />

136


in der geliebte Erinnerungen erwachen, und Ahnungen schöner Zukunft uns in<br />

goldne Träume wiegen.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 26)<br />

Voght über seine „Landarbeiter-Idylle“ 420<br />

Auf dem Flottbeker Mustergut schafft sich Voght, ganz Philantrop und Patriarch,<br />

eine kleine Welt nach seinen Wünschen: „Glückliche Tagelöhnerfamilien saßen<br />

am Sonntag vor den freundlichen Wohnungen, die ich ihnen erbaut hatte“,<br />

schreibt er in seinen Erinnerungen, „Tagelöhner, die ich durch einen genialen<br />

Mann, der sie auch Gesang und Musik lehrte, zu höherer Bildung bei einfach<br />

Sitten erziehen ließ und frühe an ländliche Arbeiten gewöhnte. Feste der Saat und<br />

der Ernte, des Alters und der Jugend wechselten miteinander ab, von dem trefflichen<br />

Unzer besungen…“. Selbst die Kühe, die auf den Rasenflächen weideten,<br />

erzählt ein Zeitgenosse, hatten bei Voght „sonorisch zusammenpassende<br />

Schellen“.<br />

(Aus seinen 1836/37 geschriebenen Erinnerungen, die erst 1917 veröffentlicht wurden,<br />

hier zit. n.: Wolfgang Kunz / Sibylle Zehle, Die Elbchaussee, Hamburg 1985, S. 53)<br />

Voght: Die Instenhäuser und „seine“ Landarbeiter 421<br />

Am Eingang fällt das Auge rechts auf einen Reihe kleiner, reinlich gehaltener<br />

Wohnungen der Tagelöhner, die von dem Hofe nur durch den Fuhrweg getrennt<br />

sind. (…) Das gemüthliche Ansehn dieser Menschen, wenn sie an Sonn- und<br />

Festtagen wohlgekleidet vor ihren Häusern sitzen und ihre Kinder um sie herum<br />

spielen, giebt eine treffliche Staffierung dieser holländischen Ansicht ab. * (…)<br />

Von dem östlichen Söller des Hauses macht der sorgsam gepflegte Hofplatz und<br />

die gelungenen Umrisse der Stauden und Blumengruppen eine gar gemüthliche<br />

Wirkung. An Sonn- und Festtagen wird er durch das laute Spiel der zahlreichen<br />

Kinder der Tagelöhner, an Werktagen durch stete Bewegung der Hand und<br />

Gespann Arbeiter belebt. **<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 15, 16, 18)<br />

* Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glas, S. 34:<br />

An dieser Stelle bedient sich Voght zum ersten Mal des Vokabulars, mit dem ein<br />

Landschaftsbild beschrieben werden würde. Das Vorbild der dreidimensionalen<br />

Bilder der ornamented farm sieht Voght in der holländischen Landschaftsmalerei<br />

des 17. Jahrhunderts, wie er späterhin genauer ausführt.<br />

** Fußnote dazu von Charlotte Schoell-Glas, S. 34:<br />

Die Vorstellung von der unaufgeklärten und zugleich weisen Selbstbeschränkung<br />

der ländlichen Bevölkerung auch bei Schiller, Der Spaziergang (1795):<br />

Glückliches Volk der Gefilde! noch nicht zur Freiheit erwachet, / Theilst du mit<br />

deiner Flur fröhlich das enge Gesetz. / Deine Wünsche beschränkt der Ernten<br />

ruhiger Kreislauf.<br />

Schwärmerei vom schönen Elbufer 422<br />

Ich saß hier schon oft viele einsame Stunden hindurch und gewann gleich von<br />

Anfang an diesen Aufenthalt so lieb, dass ich nirgends lieber sitze, schrieb er und<br />

übersteigerte sich noch: Ich möchte in diesem Augenblick entweder Dichter oder<br />

auch Maler sein, um die schönen Aussichten nachzubilden, die hier die Natur<br />

gegeben hat.<br />

(Ein anonymer Journalist über seine Aufenthalte am Elbufer [ca. 1790]).<br />

137


Ramdors Schwärmerei über das Ensemble von <strong>Park</strong>,<br />

Elbchaussee und Elbe 423<br />

Man geht über Felder voll der schönsten saaten, umgeben von Waldung: … die<br />

Gegend wird dadurch noch viel angenehmer, daß soviel Leben in der Landschaft<br />

herrscht. Denn außer der Schiffahrt auf der Elbe geht an ihrem Ufer eine<br />

Heerstraße her, die von einem Bach, der sich in den Fluß ergißt, durchschnitten<br />

und durch eine Brücke wieder verbunden wird. Darüber hin Reiter, Fußgänger,<br />

Leiterwagen und Kutschen, alles in buntem Gewimmel, und außerdem einige stille<br />

Fischerhäuser daneben, zum wahren Gemälde für die Zuschauer, die auf den<br />

etwas höher liegenden Feldern spazieren gehen. … Lieblicher Ort! Hätte Plato in<br />

Hamburg gelebt, zu Dir hätte er die Scene seines Gastmahls verlegt!“<br />

(Wilhelm von Ramdor, Studien zur Kenntnis der schönen Natur…, Hannover 1792, zit. n.:<br />

Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg<br />

1990, S. 67)<br />

Ein Schwärmer über Voghts „Tempel“ 424<br />

Wir tranken Thee in einer ganz lieblichen Laube an der Elbe.* (…) Alles strömte<br />

nach Flotbeck und nach den umliegenden Landhäusern, wo nach Hamburger<br />

Sitte stattlich (nicht ländlich) geschmauset wurde; an solchen Tagen gewährten<br />

die mit Menschen erfüllten Schattengänge des <strong>Park</strong>s, die Familiengruppen, die<br />

sich in der Strohhütte oder am Rande der Wiesen gelagert hatten, das lachende<br />

Bild einer Idylle, – alle diese Genüsse ländlicher Freuden verdankte man dem<br />

schöpferischen Geist des Mannes, der diese Landschaft geschaffen, die angekauften<br />

einzelnen Grundstücke und Wiesen, Felder und Baumgruppen harmonisch<br />

in ein Garten reich vereint hatte.<br />

(H. Chr. G. Struve, Dem Andenken des Königlich-Dänischen Etatsrathes und Ritters<br />

Caspar Freiherr von Voght, 1839, zit. n.: Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in:<br />

Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 130).<br />

* (Struve spricht wohl von Voghts „Tempel“ am hohen Elbufer – s.a. das folgende Zitat)<br />

Naturidylle und Geselligkeit: Voghts „Tempel“ 425<br />

Voghts Flottbek war friedlich und bäuerlich und von den düsteren, schmalbrüstigen,<br />

geschäftigen Handelshäusern der Stadt noch viel weiter entfernt als die<br />

Sievekingschen Gärten. Hennings erinnert sich an ein „Mittagessen in Flottbek im<br />

Freien – unter dem Säulengange eines ländlichen Tempels“. Wieder einmal<br />

saßen Klopstock und Johann Georg Büsch, der Begründer der Hamburger Handelsakademie,<br />

und andere Freunde aus dem Neumühlener Kreis zusammen. Sie<br />

schauten „auf die herrlich bewohnten Inseln, die sich längs der Elbe dem Ufer<br />

gegenüber hinabziehen. Kein Pinsel kann ein schöneres Bild ländlicher Ruhe<br />

malen, als dieser Anblick darbietet.“ Sie schwiegen gemeinsam, und sie philosophierten<br />

gemeinsam. Dann, spät am Abend, redeten sie „im kleinen Comité von<br />

Unsterblichkeit und Gottheit…“.<br />

(Der holsteinische [dänische] Kammerherr und Publizist von Hennings [ca. 1795], hier zit.<br />

n.: Wolfgang Kunz / Sibylle Zehle, Die Elbchaussee, Hamburg 1985, S. 45)<br />

Voght über das „Quellenthal“: Natur und „Gemüth“ 426<br />

„Das Geräusch der Bäche wird lauter und bald erblickt man einen aus den<br />

bemooßten Steinen und unter hohen Bäumen hervorquellenden kleinen Wasserfall;<br />

wenn man zu seiner vollen Ansicht kömmt, entdeckt man links einen kleinen<br />

Fall, auf welchem der Bach der uns begleitete, sich in den kleinen, wild bewachsenen<br />

Teich stürzt. Dieses Geräusch der Gewässer, … die kleine Brücke, der<br />

138


niedre Sitz am Wasserfall, die auf die beschattete Anhöhe freundlich hinaufladende<br />

Schweizerhütte machen in dem Zauberlichte einer hell erleuchtenden<br />

Mittagssonne eine jeden Sinn ansprechende, jedes Gemüth bewegende<br />

Wirkung.“<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-<br />

Glass (Hg.), Hamburg 1990, S. 25)<br />

Ein englischer Journalist über die Wirkung des <strong>Park</strong>s auf<br />

das „Gemüth“ 427<br />

Als 1831 der englische Journalist John Strang das Voghtsche Gut (nun schon in<br />

den Händen von Martin Johann Jenisch) besuchte, war der Besitz so voller<br />

Zauber, daß Strang verwundert berichtete: „Während mein Begleiter den <strong>Park</strong><br />

durchwanderte, war er, der sonst keineswegs gefühlvollen Regungen zugeneigt<br />

ist, von dem Anblick zweier riesiger Weiden tief beeindruckt. Ihre Zweige könnten<br />

in der Tat leicht die Harfen aller schluchzenden Poeten der Welt ersetzen und<br />

sämtlichen liebeskranken Näherinnen Hamburgs Schatten spenden.“<br />

(zit. n.: Wolfgang Kunz / Sibylle Zehle, Die Elbchaussee, Hamburg 1985, S. 49)<br />

Die Geselligkeit des „Voght’schen Kreises“ 428<br />

Der Gastgeber Georg Heinrich Sieveking verschönerte Neumühlen ständig. Er<br />

legte Lauben, Grotten und Teiche an, ließ Abhänge ebenen, Tannen pflanzen. Im<br />

Haus teilten sich die Arbeit sechs Mädchen, ein Diener – und zwei Hausfrauen.<br />

Sieveking hatte Neumühlen 1793 zusammen mit Pieter Poel gekauft (und Johann<br />

Conrad Matthiesen, der freilich nur drei Jahre bis zu seiner Hochzeit blieb).<br />

Sievekings Frau, das allseits verehrte Hannchen (geborene Reimarus) und die<br />

sanfte Friederike Poel (geb. Büsch) wechselten sich siebzehn Jahre lang alle<br />

Woche bei der Haushaltsführung ab. Es gab eine Gemeinschaftskasse. Und es<br />

herrschte, so wird von dieser Wohngemeinschaft überliefert, weder Zank noch<br />

Neid. Harmonie war der Ton von Neumühlen. Der Herausgeber Hennings erinnert<br />

sich in seinem „Genius der Zeit“ an dieser unvergeßlichen Tage: „Klopstock kam<br />

mittags und blieb die Nacht über. Als Licht angezündet ward, ertönte Gesang und<br />

Saitenspiel. Ein Rigenser nahmes Poelchau, im Besitz einer herrlichen Stimme,<br />

löste sich mit Wichmann aus Celle beim Piano ab. (…) Als der Gesang verhallt<br />

war, trat die Gesellschaft hinaus…“.<br />

Pechfackeln brannten da, Kinder hüpften im Schein der Flammen, und die nahe<br />

Kalkbrennerei erleuchtete mit ihrem roten Feuer Bäume und Gebäude. „Es war,<br />

wie so viele Abende“, sagt Hennings, „an der Elbe märchenhaft schön.“<br />

Dann sang Poelchau noch Goethes „König von Thule“.<br />

(zit. n.: Wolfgang Kunz / Sibylle Zehle, Die Elbchaussee, Hamburg 1985, S. 16; von<br />

Hennings war holsteinischer [dänischer] Kammerherr und Publizist)<br />

Über den von Martin Johan Jenisch angelegten<br />

„pleasureground“ 429<br />

„Der Blumengarten besteht aus mit großer Sorgfalt kurz und glatt geschorenen<br />

Rasenplätzen, auf welchen theils große Georginengruppen und Zierstauden (…),<br />

endlich auch Körbe, Schirme und sonstige Geflechte von Eisendraht, welche<br />

zweckmäßig mit Pelargonien, Fuchsien, Rosen etc. besetzt werden, angebracht<br />

sind. Hervorzuheben sind auch die geschmackvoll in Massen angebrachten<br />

Partien von immergrünen Sträuchern, als Rhododendren, Azaleen, Kalmien,<br />

Taxus etc.“ * Diese Beschreibungen – und Fotos noch hundert Jahre später! –<br />

139


scheinen Pücklers „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ ** oder direkt seinen<br />

Anlagen in Muskau, Branitz und Babelsberg entnommen zu sein.<br />

(Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius: Der Jenisch-<strong>Park</strong>,<br />

Hamburg 2006, S. 145)<br />

* (Archiv des Garten- und Blumenvereins für Hamburg, Altona und die Umgegenden,<br />

1839)<br />

** (Hermann Fürst von Pückler-Muskau [1785-1871], Andeutungen über<br />

Landschaftsgärtnerei [1834], zit. n.: Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in:<br />

Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 145)<br />

Martin Johan Jenischs Gewächshäuser im pleasureground 430<br />

„Die Gewächshäuser sind theils im Jahre 1833, theils im Jahre 1836 erbauet; die<br />

ersteren geben eine Fronte von 95 Fuß in frei Abtheilungen und die letzteren eine<br />

von 104 Fuß in vier Abtheilungen. Die Abtheilungen der im Jahre 1833 erbauten<br />

Häuser“ – sie sind es, die 120 Jahre lang das Bild bestimmten und in zahlreichen<br />

Fotografien überliefert sind – „bestehen aus einem hohen grandiosen Mittelhause,<br />

welches 45 Fuß lang, 22 Fuß tief und 28 Fuß hoch ist, und aus zweien an dessen<br />

beiden Seiten angebauten niedrigeren Flügeln, von denen der eine 86 Sorten der<br />

schönsten Camellien, der andere hohe Warmhaus-Pflanzen, als: Palmae, Musae,<br />

Astrapeae etc, so wie rankende Passifloren (…) enthält. Jenes hohe, in edlem<br />

Style erbaute Mittelhaus, dessen schöngeformtes, von vier schlanken Säulen<br />

getragenes Dach mit einfallendem Lichte, und dessen vordere Seite in ihrer<br />

ganzen Höhe mit Fenstern versehen ist, war anfänglich zum Palmenhause<br />

bestimmt, ist aber jetzt mit in freiem Grunde stehenden hohen Neuholländern,<br />

großen Camellien und schöne Kalthaus-Ranken versehen. Im Hintergrunde, dem<br />

Haupteingange gegenüber, befindet sich in einer Nische die auf einem hohen<br />

Piedestal stehende Bildsäule des Aristides, von deren beiden Seiten die wohlgeformten<br />

Erdbeete mit den schönsten Acacien, Melaleuken, Metrosideren<br />

ausgehen. Die Hinterwand, so wie die Vertiefung des Daches und die Säulen,<br />

sind allenthalben mit den Ranken-Gewächsen bekleidet, die auch guirlandenweise<br />

die Mitte des Raumes ausfüllen.“<br />

(Stefan Koppelmann, Künstliche Paradiese – Gewächshäuser und Wintergärten im 19.<br />

Jahrhundert, 1988, zit. n.: Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius,<br />

Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 148f)<br />

Fürst von Bülow: Jenisch in seinen Gewächshäusern 431<br />

Im Hauptpark war ein schönes Palmen- und ein noch schöneres Orchideenhaus,<br />

wo diese in Deutschland noch seltene Blume in den wunderbarsten Spielarten<br />

kultiviert wurde. Wenn der Senator Jenisch, in der linken Hand eine goldene<br />

Lorgnette, die rechte auf einen Bambusstock mit goldenem Knopf gestützt, die<br />

Orchideen betrachtete, bot er einen Anblick behaglicher Zufriedenheit, wie sie mir<br />

in dieser Welt, wo, wie oft gesagt, die Zahl der Unzufriedenen die der Zufriedenen<br />

erheblich übersteigt, selten wieder begegnet ist.<br />

(Bernhard Fürst von Bülow [1849-1929], Denkwürdigkeiten, Bd.4, 1931, zit. n.: Paul<br />

Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006,<br />

S. 150)<br />

Eine Feier im Jenisch-<strong>Park</strong> 432<br />

Die Einfahrt zum <strong>Park</strong> im Osten war mit Flaggen und die dort befindliche hohe<br />

Brücke mit dem Familienwappen geschmückt. (…) Mit Dunkelwerden wurde die<br />

Westseite der Brücke mit reichlich 1000 Lampen illuminiert, was in dem dunklen<br />

Grün sich prachtvoll ausnahm. Das herrschaftliche Haus war am Portal mit<br />

140


schönen Festons ausgestattet und die nächste Umgebung mit anderen 2000<br />

Lampen erleuchtet.<br />

(Zeitungsbericht von 1862 aus Hamburg zur Silberhochzeit von Jenischs Bruder Gottlieb,<br />

zit.n.: Günther Grundmann, <strong>Jenischpark</strong> und Jenischhaus, Hamburg 1957)<br />

Das Gartenbauamt Hamburg-Altona über den Jenisch-<strong>Park</strong> 433<br />

Der Besucher des Jenisch-<strong>Park</strong>s erlebt heute eine Grünfläche mit weich modellierten<br />

Wiesenflächen, markanter Gehölzvegetation mit Solitärbäumen und einem<br />

eindrucksvollen, naturräumlichen Bezug zum Elbe-Urstromtal. Die großen Freiflächen<br />

regen zu zahlreichen Nutzungen an, und ausgedehnte freiwachsende<br />

Gehölzbestände vermitteln oft einen waldartigen Charakter, so dass viele Stadtbewohner<br />

mit diesem <strong>Park</strong> Freizeit, Ruhe und Natur verbinden. Die Gehölzvegetation<br />

des <strong>Park</strong>s wird durch eine artenreiche Flora aus Stauden und Frühjahrsblühern<br />

ergänzt, die dem <strong>Park</strong> im Vorfrühling ein besonderes Erscheinungsbild<br />

geben. Als besondere Bereicherung des Landschaftsbildes ist die Niederung<br />

der Flottbek hervorzuheben, die auch heute noch dem Wechselspiel der Tide<br />

ausgesetzt ist.<br />

(Gartenbauamt Hamburg-Altona in einem Faltblatt für Besucher, 2000, zit. n.: R. Crusius,<br />

Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 36)<br />

141


2. Voght und Andere über seine landwirtschaftlichen<br />

Bestrebungen und Erfolge<br />

Voght: Das Elbufer vor dem Mustergut 436<br />

Alles dies war aber großentheils verwildertes Land und in der schlechtesten<br />

Cultur. Es lag halb unter der nachlässigsten Bewirtschaftung, und die andere<br />

Hälfte bestand aus sumpfigten Moorwiesen, dürren Hügeln und verwüsteten<br />

Thälern ohne Abfluß.<br />

(Voght 1805 in einem Immediatsgesuch – Gesuch, sein Gut in den Rang eines<br />

Kanzleigutes zu erheben – an den dänischen König, zit. n.: Gerhard Ahrens,<br />

Caspar Voght und sein Mustergut Flottbek, Hamburg 1969)<br />

Voghts Reorganisation des Flottbeker Geländes 437<br />

Hier die in Jahrhunderten gewachsenen Bauernlandschaft, wo Flurnamen wie<br />

„Wetenkamp“, „Schattenredder“ und „Pittkul“ auf die oft widrigen Verhältnisse<br />

verweisen, mit denen zu kämpfen war, dort das Bild einer zu großen Koppeln<br />

zusammengesetzten <strong>Park</strong>landschaft, aufgelockert durch Gehölzpflanzungen,<br />

erschlossen durch neue Wege. Man kann wohl sagen, dass dem Vermessen der<br />

Unordnung in diesem Fall unmittelbar eine zugleich rationale und ästhetische<br />

Reorganisation folgte.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 49)<br />

Voghts kaufmännische Organisation der Landwirtschaft 438<br />

Die Anpassung der historischen Strukturen an eine neue, auf wirtschaftlich<br />

rationalen Prinzipien beruhende Produktionsweise geht so vonstatten, dass die<br />

Abstraktion (doppelte Buchführung) nur über eine Konkretion (Felder und Tiere<br />

als gedachte Personen) erreicht wird. Hier gibt sich die Situation des Übergangs,<br />

die am Gut Flottbek allenthalben zum Vorschein kommt, in vermittelter Weise zu<br />

erkennen.<br />

Voght hatte also die doppelte Buchführung, eine im Handel längst übliche Praxis,<br />

auf die Landwirtschaft übertragen. Es wiederholt sich, was in England schon<br />

Jahrzehnte zuvor geschehen war: „Profitstreben und Risikobereitschaft, diese<br />

wichtigen Merkmale kapitalistischer Denkweise, wurden im landwirtschaftlichen<br />

Betrieb heimisch (…).*<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 50)<br />

* (Gerhard Ahrens, Caspar Voght und sein Mustergut Flottbek, Hamburg 1969, S. 27)<br />

Voght: „Neue Landwirtschaft“ und Widerstände 439<br />

Voghts umfassende Bemühungen um Verbesserungen, vor allem die Ertrags- und<br />

Profitsteigerung seiner Landwirtschaft, die Vergrößerung seines Besitzes, die<br />

Bodenverbesserung, die Weiterentwicklung landwirtschaftlicher Geräte und die<br />

Einführung betriebswirtschaftlicher Methoden betreffend, machten ihm nicht nur<br />

Freunde.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 50f)<br />

142


Voghts landwirtschaftliche Buchhaltung 440<br />

Das Gewimmel der Flurnamen, vom Kartenbild gelöscht, verschwindet jedoch<br />

nicht, sondern erscheint nun in den Voght’schen landwirtschaftlichen Buchhaltungs-Journalen.<br />

Dort bezeichnen die Flurnamen gedachte Personen: mit Konten<br />

ausgestattet, gehen die einzelnen Felder mit anderen Teilen des Gutes, z.B.<br />

Kühen, Geschäfte ein, die sorgfältig als „Kredit“ und „Debet“ registriert werden.<br />

Diese Neuerung hat Voght für die Buchhaltung im Agrarbereich eingeführt.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 50)<br />

Voghts landwirtschaftliche Versuche und deren<br />

Dokumentation 441<br />

Voghts Schrift: „Flotbeck und dessen diesjährige Bestellung mit Hinsicht auf die<br />

durch dieselbe beabsichtigten Erfahrungen; ein Wegweiser für die landwirtschaftlichen<br />

Besucher desselben im Jahre 1821“ (Altona 1821) ergänzt seine Beschreibung<br />

in ästhetischer Absicht gut. Sie macht auch die staunenswerte Vielzahl<br />

seiner landwirtschaftlichen Versuche deutlich.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 65)<br />

Thünen und Staudinger: Modernisierer der Landwirtschaft 442<br />

Ehrenberg über Thünen’s erste wirtschaftswissenschaftliche Studien: „Wenn sie<br />

(die Bauern) vor ihren Augen eine Wirtschaft haben, die unter den gleichen Verhältnissen<br />

den doppelten und dreyfachen Ertrag herausbringen, so ist es eine<br />

unbegreifliche und unverzeihliche Dummheit, noch bey ihrem alten Schlendrian zu<br />

bleiben.“ * Ein Zusatz Staudingers, den Voght als Landwirtschaftslehrer angestellt<br />

hatte, besagt: „– und doch müssen sie dieses, weil sie nicht erzogen werden, das<br />

Bessere immer zu wollen, sondern etwas nach einer hergebrachten Form zu<br />

thun.“ **<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 67)<br />

* (Richard Ehrenberg [1857-1921], in: Thünen-Archiv, Bd. 1, Jena 1906, S. 130)<br />

** (zit. n.: Richard Ehrenberg, ebenda, S. 132)<br />

Voght: Flottbek als Motor der Agrarreform 443<br />

Eine wichtige Aufgabe seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit sah Voght darin,<br />

Flottbek zu einem Vorbild für die Bauernwirtschaften in der näheren und weiteren<br />

Umgebung werden zu lassen.<br />

(Gerhard Ahrens, Caspar Voght und sein Mustergut Flottbek, Hamburg 1969, S. 108)<br />

Voghts landwirtschaftliches Wirken (I) 444<br />

Die Diskrepanz zwischen der ertragreichen Anbauweise in England und der<br />

vergleichsweise rückständigen Bodenbearbeitung veranlassten ihn 1793-95 zu<br />

einer längeren Studienreise nach England, Irland, Schottland und einem Studienaufenthalt<br />

in Edinburgh. Die dort gesammelten Erfahrungen bildeten die Grundlage<br />

für seine Organisation des eigenen Gutshofes, der in den folgenden Jahrzehnten<br />

zu dem wohl wichtigsten Knotenpunkt für die Einführung moderner englischer<br />

Agrarwirtschaft in Norddeutschland wurde. Sowohl durch sein praktisches<br />

143


Vorbild als auch durch seine zahlreichen landwirtschaftlichen Veröffentlichungen<br />

sorgte er für die Verbreitung ertragssteigernder Anbaumethoden und verbesserter<br />

Ackertechnologie und gehört neben Albrecht Thaer (1752-1828) und Johann<br />

Heinrich von Thünen (1783-1850) zu den einflussreichsten Pionieren der<br />

deutschen Agrarreform.<br />

(Sabine Blumenröder, Caspar Voght und sein englisches Mustergut an der Elbe, in:<br />

Sabine Blumenröder, Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen,<br />

Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990,<br />

Altonaer Museum (Hg.), Hamburg 1990, S. 5)<br />

Voghts landwirtschaftliches Wirken (II) 445<br />

Dieser ökonomische Aspekt der ornamented farm weist bereits auf den zweiten<br />

entscheidenden Charakter des Landgutes Voghts. 1829 schreibt Voght in einem<br />

Bericht über die Ergebnisse seiner Arbeit, er habe sich 1813 entschlossen,<br />

„Flottbek zu einer Musterwirtschaft zu erheben“. Tatsächlich scheint jedoch<br />

bereits 1795 mit der Optimierung der landwirtschaften Produktion begonnen zu<br />

haben, und es gelang ihm innerhalb von 30 Jahren, die Erträge bis um das 10fache<br />

zu erhöhen. Er erreichte dies durch Veränderungen auf drei Gebieten: Der<br />

Verbesserung der Ackergeräte und Bodenbearbeitung, dem Einsatz intensiver<br />

Düngung und schließlich der Einführung neuer Kulturfrüchte verbunden mit einem<br />

effektiveren Fruchtwechsel.<br />

(Sabine Blumenröder, Caspar Voght und sein englisches Mustergut an der Elbe, in:<br />

Sabine Blumenröder, Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen,<br />

Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990,<br />

Altonaer Museum (Hg.), Hamburg 1990, S. 6)<br />

Voghts landwirtschaftliches Wirken (III) 446<br />

Die überdurchschnittlichen Erfolge, die Voght mit diesen Maßnahmen erzielte,<br />

behielt er keineswegs für sich. Es war ihm vielmehr sehr daran gelegen, die<br />

neuen Erkenntnisse zu verbreiten. Dies geschah einerseits durch die Öffnung des<br />

Mustergutes für interessierte Landwirte, deren Zahl mit den Jahren so sehr anwuchs,<br />

dass eine individuelle Führung kaum mehr möglich war und Voghts sich<br />

zur Herausgabe von Führern entschloss. * Andererseits veröffentlichte er die<br />

Ergebnisse seiner praktischen Versuche und Forschungen in zahlreichen Artikeln<br />

und selbstständigen Schriften, die große Beachtung fanden. Übergeordnetes Ziel<br />

aller diese Bemühungen war neben der Sicherung eines hohen Ertrages seines<br />

Gutes – der besonders wichtig wurde, nachdem sein Handelshaus aufgelöst<br />

worden war –, die Verbesserung der Lage der Landarbeiter. So wie er mit Unterstützung<br />

der „Allgemeinen Armenanstalt“ die städtische Armenpflege reformieren<br />

half, so übertrug er das Prinzip der kontinuierlichen Arbeitsplatzsicherung und<br />

Ausbildungsvermittlung auf seinen Gutshof.<br />

(Sabine Blumenröder, Caspar Voght und sein englisches Mustergut an der Elbe, in:<br />

Sabine Blumenröder, Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen,<br />

Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990,<br />

Altonaer Museum (Hg.), Hamburg 1990, S. 7)<br />

* (Caspar Voght, Flotbeck und dessen diesjährige Bestellung mit Hinsicht auf die durch<br />

dieselbe beabsichtigten Erfahrungen. Ein Wegweiser für die landwirtschaftlichen<br />

Besucher desselben im Jahre 1821, in: Schriften der Schleswig-Holsteinischen<br />

Patriotischen Gesellschaft, Bd. 6, H. 1, Altona 1822; ein zweiter Führer erschien 1829)<br />

144


Das Lob eines Landmannes 447<br />

Die Berühmtheit, welche der höchstachtungswerthe Herr Freiherr von Voght zu<br />

kleinen Flotbeck mit dem vollsten Rechte als erfahrener, kenntnisreicher Landwirth<br />

sich erworben, war nothwendig die Ursache, dass seine neuesten Mitteilungen<br />

„über Lupinendüngsaat und Spörgelbau“ unter den Landleuten, denen<br />

solche zu Gesicht kamen, sehr große Sensationen erregten.<br />

(Joachim Christoph Jebens, Freihmüthige Bemerkungen ..., Altona 1828, S. 3)<br />

Voghts Modell seiner „ornamented farm“ 448<br />

Voghts „ornamented farm“ selbst, der Landschaftspark, der zugleich als Mustergut<br />

geführt wurde, ist seinerseits geprägt von scheinbar unvereinbaren rationalen und<br />

ästhetischen Zwecken. Man muß allerdings vermuten, dass Voghts „ästhetische<br />

Liebhabereien“ und seine Leidenschaft für die rationale Landwirtschaft (vor allem<br />

die aus England übernommenen Methoden einer bis dahin in Deutschland unbekannten<br />

Intensivwirtschaft), zusammengehören wie zwei Seiten der selben<br />

Medaille.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 43)<br />

Voghts Flottbek: Schönheit und Nützlichkeit – eine Kluft? 449<br />

Vielmehr soll hier auf eine Spaltung aufmerksam gemacht werden, die in Voghts<br />

ornamented farm selbst ebenso erscheint wie in deren Beschreibung. (…) Diese<br />

doppelte Wahrnehmung betrifft Menschen und Natur gleichermaßen. Beide<br />

werden „rationalisiert“ und zugleich ästhetisiert. Mit der Fähigkeit, die besondere<br />

Schönheit des Nützlichen in dessen „gemüthliche(m) Ansehen“ wahrzunehmen,<br />

wird die Kluft überbrückt, die das rechnende Nützlichkeitsdenken des Kaufmanns<br />

zwischen ihm und den eingesessenen Landbewohnern, aber auch zwischen ihm<br />

und der Natur aufreißt.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 61)<br />

Voght: Die Einheit seiner Bestrebungen (und etwas Luxus) 450<br />

Vor allem ist es die jeder rationalen Beurteilung unzugänglich erscheinende<br />

eigenartige Verknüpfung erwerbswirtschaftlicher, sozialreformerisch-pädagogischer<br />

und ästhetischer Motivation in seinem Wirken, die auf den ersten Blick<br />

zum Widerspruch herausfordert. Es hieße allerdings das Lebensideal des aufgeklärten<br />

Zeitalters gründlich missverstehen, wollte man heute versuchen, Voghts<br />

Leben und Werk gleichsam auf dem Wege isolierter Analyse säuberlich zu<br />

sezieren. Voghts Bemühungen um eine Rationalisierung der Landwirtschaft<br />

standen eben in unlösbarer Wechselbeziehung zu seinen Bestrebungen zur<br />

Verbesserung der Lage der ländlichen Bevölkerung. Bei alledem war er wieder<br />

viel zu sehr Kind seiner Zeit, um nicht leichten Herzens Unsummen für ästhetische<br />

Liebhabereien ausgeben zu können.<br />

(Gerhard Ahrens, Caspar Voght und sein Mustergut Flottbek, Hamburg 1969, S. 17)<br />

Voghts Flottbek: „Gemüth“, Ästhetik und Moderne –<br />

Versuch einer Einheit 451<br />

An dieser Stelle ist mir Händen zu greifen, warum das Gemüt in der ästhetischen<br />

Wahrnehmung seines Besitzes bei Voght eine so wichtige Funktion hat: Es ist der<br />

145


Zufluchtsort einer aus dem bäuerlichen Wirtschaften ausgetriebenen archaischen<br />

Ehrfurcht vor der Fruchtbarkeit des Bodens und eines religiösen Gefühls der Abhängigkeit<br />

von der Natur. Voghts Verhältnis zur Natur teilt sich in ein wissenschaftlich-ökonomisches<br />

und in ein ästhetisches Interesse. Dasjenige der Bauern<br />

dagegen ist ungeteilt, und gerade diese Einheit wird von den Vertretern des<br />

neuen Wirtschaftens als Beschränktheit begriffen.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 60)<br />

„Ornamented farm“ – eher eine Ausnahme 452<br />

Ornamented farm und ferme ornée blieben … ein Nebenzweig in der Geschichte<br />

des Landschaftsgartens, und zwar wahrscheinlich gerade deswegen, weil sie das<br />

Angenehme mit dem Nützlichen verbanden, denn der Status des Landbesitzers<br />

wurde vor allem dadurch bekräftigt, dass er es sich leisten konnte, große Flächen<br />

seines Besitzes aus der unmittelbaren Verwertung herauszunehmen. Rundgänge,<br />

wie die von Voght beschrieben, waren kennzeichnend für alle ornamented farms,<br />

den Leasows, Woburn farm und Southcote. (…) Für Voght jedenfalls, dessen<br />

Leidenschaft für die Landwirtschaft gewiß der wichtigste Aspekt seiner Besitzung<br />

in Flottbek war, muß sich dieser »Nebenweg« als die ideale Lösung dargestellt<br />

haben.<br />

(Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990, S. 33)<br />

146


3. Voght und Andere über sein Leben, sein Wirken,<br />

seine Wirkung, sein Erbe – und dessen<br />

Gefährdung<br />

Voghts Reichtum – eine Verpflichtung 455<br />

Dieser Reichtum war bestimmend für Voghts Leben: Obwohl durch die Zeitläufte<br />

und den riskanten Fernhandel starken Schwankungen ausgesetzt, ermöglichte es<br />

erst dieses fast unerschöpfliche Vermögen, dass Voght ein so ungeheuer geldverschlingendes<br />

Unternehmen, wie das Mustergut Flottbek es war, über Jahrzehnte<br />

hin betreiben konnte.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 43)<br />

Voghts nützliche Reisen 456<br />

Zwischen 1772 und 1812 war Voght etwa 15 Jahre auf Reisen. Nicht nur nutzte er<br />

diese Zeit unter anderem dazu, an der fortschrittlichsten Universität Europas –<br />

Edinburg – Chemie, Physik, Anatomie und Geschichte zu studieren; nach Hamburger<br />

Vorbild reorganisierte er in vielen Städten das „Armenwesen“«, was ihm<br />

letztlich auch den Adelstitel einbrachte; und er pflegte eine fast unüberschaubare<br />

Zahl von Kontakten.<br />

(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 47)<br />

Voghts Stolz auf sein Werk und sein Fortschrittsglaube 457<br />

Noch in seinem Todesjahr diktiert er: „Wenn ich die jetzige Zeit mit derjenigen, die<br />

ich 1772 kennen lernte, vergleiche, so traue ich meinen eignen Augen nicht. Bewunderung<br />

erfüllt mich und – nicht mein Leben möchte ich noch einmal durchleben<br />

– aber gern, mit allen meinen Altersschwächen und verminderter Sehkraft,<br />

noch hundert Jahre leben, um Zeuge der Fortschritte zu sein, die in geometrischer<br />

Progression vorwärts gehen.“<br />

(Caspar Voghts in seinem Todesjahr 1837, zit. n.: Gustav Poel, Bilder aus vergangener<br />

Zeit, 1884, zit. n.: Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 140)<br />

Voghts Eigenlob: Flottbek Zeugnis seines Schönheitssinns 458<br />

Flottbek mag noch einst dafür sprechen, dass mir der Schönheitssinn nicht fremd<br />

war.<br />

(Aus Caspar Voghts Testament)<br />

Piter Poel über Voghts „<strong>Park</strong>sphilosophie“ 459<br />

Voghts enger Freund und Weggefährte Piter Poel (1760-1837) berichtet von der<br />

Vorgehensweise seines Freundes: „Er half der Natur nach, dem Boden gefällige<br />

Unebenheiten zu geben, befreite die Massen und Gruppen von allem was der<br />

reinen Auffassung ihrer Form hinderlich sein konnte, benutzte jede Zufälligkeit<br />

einer einsam liegenden Bauernhütte, eines einzelnen, seine Äste malerisch ausstreckenden<br />

Baumes, einer zur Anlegung einer ländlichen Brücke geeignete<br />

Vertiefung, den Augen Abwechslung zu schaffen, öffnete Durchsichten, die hier<br />

das malerische Dorf, dort den entfernten Kirchturm und an mehreren Stellen den<br />

147


majestätischen Strom in verschiedenen Einfassungen erblicken ließen, sorgte für<br />

passend Ruhepunkte und Hütten, wo die reiche oder friedliche Aussicht den<br />

Spaziergänger das Verweilen immer erwünscht machte und verwandelte so einen<br />

wild verwachsenen morastigen Fleck in einen Lustgarten, der die Gegend umher<br />

durch die Scharen an schönen Sommertagen dahinwandelnden Städter<br />

bereicherte, ihr einen weit verbreiteten Ruf in die Fremde verschafft und das<br />

doppelte Verdienst eines musterhaft bebauten Landsitzes vereinigt hat, so dass<br />

derselbe ein Studium sowohl für den Landschaftsmaler wie für den<br />

Verbesserungen anstrebenden Landwirt geworden ist.“ *<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum],<br />

Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S. 207f)<br />

* (Piter Poel [1760- 1837], zit. n. Gustav Poehl, Bilder aus vergangener Zeit, Hamburg<br />

1884, S. 77f)<br />

Caspar Voghts Vermächtnis an Martin Johan Jenisch 460<br />

Nachdem es gesichert war, dass sein Erbe nicht auseinandergerissen wurde, war<br />

der alte Baron nur noch um den Charakter seiner Schöpfung besorgt. In einem<br />

eindringlichen Brief vom April 1828 an den jungen Senator fasst Voght das Wesen<br />

und den Wert Flottbeks noch einmal so anschaulich zusammen, dass er hier<br />

zitiert werden soll:<br />

„Was Sie aus Flotbeck machen, und wie Sie es einrichten und genießen wollen,<br />

wird nun bald Gegenstand Ihres Nachdenkens werden müssen. – Daß Sie Flotbecks<br />

Schönheit kannten und verstanden, Geschmack daran fanden und ganz<br />

den Werth fühlen konnten, den die höhere Kultur (Voght mein die Agrikultur!,<br />

R.C.) ihm auch als Schönheit giebt, daß Sie daher auch mehr wie irgend ein<br />

lebender Mensch dazu geeignet waren, in beyder Hinsicht Flotbecks Werth zu<br />

erhöhen und Freunde an dem Werk Ihrer Hände zu haben, das ist, mein lieber,<br />

guter Freund, was vorzüglich den Wunsch in mir erregt hat, es ich Ihre Hände zu<br />

übergeben. Daß Ihnen Dieses gelingen, Ihnen leicht werden möge, ist mein<br />

inniger Wunsch! Da Sie nun bald einige Dispositionen über diesen Ihren künftigen<br />

Wohnsitz treffen werden, so habe ich ein Stündchen meiner Muße dazu benutzen<br />

wollen, Ihnen einige Worte über den Sinn, in welchem ich bisher an der Verschönerung<br />

dieses lieblichen Erdenfleckens gearbeitet habe, zu sagen. Theils ist das<br />

Geschehene die Grundlage dessen, was werden soll, theils ist es wichtig, daß ein<br />

Geist auch ferner sich im gantzen ausspreche. Sie werden dann schon sehen, wie<br />

das mit Ihren eigenen Gefühlen, Absichten und Ideen darüber stimmt.“<br />

(Brief an M. J. Jenisch zur Übertragung seines Mustergutes vom April 1828,<br />

zit. n.: Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>,<br />

Hamburg 2006, S. 136f)<br />

Voght über die Einzigartigkeit seiner „ornamented farm“ 461<br />

Man könnte sagen, dass in Flottbek die „ornamented farm“ erst wirklich zu ihrer<br />

vollen Entfaltung kam, dass die Grundidee der Verbindung des Nutzens mit der<br />

Schönheit erst hier zur Gänze verwirklicht wurde. Und so ist Voght beizupflichten,<br />

wenn er an seinen Nachfolger schreibt: „Dieser Charakter der Ornamented Farm,<br />

den ich deutlicher noch in der Anlage selbst ausgesprochen, als hier angegeben<br />

habe – dieser, denke ich, muß beybehalten werden, wenn das Vorzüglichste nicht<br />

verlohren gehen soll – wenn Flotbeck nicht das Individuelle verlieren soll, das es<br />

von allen ähnlichen großen Anlagen unterscheidet und es auf dem Continent<br />

bisher Einzig gemacht hat.“ *<br />

148


(Charlotte Schoell-Glass, Caspar Voghts ornamented farm: „Reiche Kultur“ und „Lokale<br />

Schönheit“, in: Sabine Blumenröder, Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen,<br />

Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990,<br />

Altonaer Museum (Hg.), Hamburg 1990, S. 14)<br />

* (Caspar Voght, Brief an Senator Jenisch vom April 1828, zit. in.: Richard Ehrenberg,<br />

Aus der Vorzeit von Blankenese, Hamburg 1897, zit. n.: Paul Ziegler, in: R. Crusius,<br />

Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 138f)<br />

Voghts Landgut: Laudatio eines Reisenden 462<br />

Von Ottensen aus zieht sich der Weg auf dem hohen Ufer der Elbe fort, die<br />

bald von Gebüschen versteckt, bald sichtbar ist, und bietet eine Menge<br />

reizender Gesichtspunkte dar. In fast ununterbrochener Folge reihen sich<br />

hier prächtige Landhäuser, von den wohlhabendsten Bürgern Hamburgs<br />

und Altonas bewohnt, aneinander; große Gärten bedecken die Gegend an<br />

beiden Seiten, und etwa eine Stunde von Hamburg eröffnet sich rechts die<br />

Besitzung des Herrn Baron von Voght, Klein Flottbek, zu welcher die<br />

Liberalität des Eigners gern den Eingang verstattet. Das hohe Ufer, das sich<br />

bisher hart an der Elbe hingezogen, tritt hier ein wenig zurück und bildet ein<br />

sanft geneigtes Tal, von einem kleinen Bache durchströmt. Der hügelige<br />

Boden, prächtige Bäume, bald als Gehölz, bald in einzelnen Gruppen<br />

verstreut, ein schöner Rasen mit Kornfeldern abwechselnd, bilden, mit dem<br />

Blick auf die Elbe und über die Teufelsbrücke hin, vielfach verschiedene,<br />

aber immer schöne Ansichten; und wie der Freund der Natur sich hier gern<br />

an ihren Reizen labt, so findet der Kenner der Landwirtschaft Gelegenheit<br />

zu reicher Belehrung, denn der Besitzer dieses Gutes, ein unter den<br />

Landwirten des nördlichen Deutschlands hoch geachteter Mann, wendet<br />

bedeutende Kosten und Mühe daran, durch mancherlei Versuche die<br />

Landwirtschaft auf einen immer rationelleren Standpunkt zu erheben.<br />

(Christian Plath [1790 – 1852], Ansichten der Freien und Hansestadt Hamburg,<br />

Bd. 2, Das Landgebiet und die Umgebungen Hamburgs, Frankfurt/M, 1828)<br />

Die Sonderstellung des Voght’schen Mustergutes 463<br />

Im Gegensatz zu den sonstigen Landsitzen auf dem hohen Elbufer zeichnet sich<br />

das ehemals Voght’sche Anwesen dadurch aus, dass es nicht wie üblich aus herrschaftlichem<br />

Landhaus mit Garten und <strong>Park</strong> besteht, zu dem sich vielleicht noch<br />

ein Kutscher- oder ein Gärtnerhaus gesellt, sondern dass es zwischen Othmarschen<br />

Groß Flottbek, Nienstedten und Elbe eine ganze Kulturlandschaft geprägt<br />

hat. Sie liegt wie im Falle des Jenisch-<strong>Park</strong>s noch offen vor Augen oder ist in der<br />

Überschichtung durch die Großstadtlandschaft, in Form von Besiedelung oder<br />

freiräumlicher Umnutzung vielerorts noch spurenhaft zu entdecken. (…)<br />

So ordnet sich das ehemalige Gut wiederum einem größeren Zusammenhang<br />

unter: Elbufer-Landschaft mit Elbufer-Landsitzen. Es nimmt aber hierin auf Grund<br />

seiner regionalen und überregionalen Einzigartigkeit, in seiner typologischen Charakteristik<br />

als ornamented farm, eine Sonderstellung ein. Vergleichbare Landsitze<br />

dieses Typus sind in Norddeutschland nicht vorgekommen.<br />

(Frank Pieter Hesse, Die Denkmal-Landschaft von Klein Flottbek. Ein konservatorischer<br />

Streifzug durch das ehemalige Mustergut von Caspar Voght, in: Sabine Blumenröder,<br />

Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen, Ausstellungskatalog der<br />

gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990, Altonaer Museum (Hg.),<br />

Hamburg 1990, S. 17f, 25)<br />

149


Voght über seine „Grundschule“ in Klein Flottbek 464<br />

Unsere Schule macht mir unerwartete Freude. Die verdanke ich dem Eifer des<br />

frommen, guten Bockendahl, der sich die Liebe des Dörfchens zu gewinnen gewusst<br />

hat und, sollte der Himmel uns ihn einige Jahre erhalten, ein Seegen für<br />

das Häuflein werden wird. Wenn ich diesen geliebten Fleck dann einst verlasse,<br />

so werde ich ihn nicht bloß bevöllkert, bebauet, verschönert, sondern mit guten<br />

Menschen gefüllt haben, die dadurch glücklich seyn werden. Man liebt die Menschen,<br />

denen wahrhafft nützlich wird, und so hat sich mein Verhältniß zu der<br />

durch mich geschaffenen Umgebung dadurch noch patriarchalischer gebildet.<br />

(Voght stiftete 1820 eine zweiklassige Grundschule für das Dorf Klein Flottbek, die an der<br />

heutigen Straße Nettelhof stand. Caspar Voght und sein Hamburger Freundeskreis.<br />

Briefe aus einem tätigen Leben, A. Tecke (Hg.), Teil I 1959)<br />

Voght über die (seine) Hamburgische Armenanstalt 465<br />

Bei dem Bestreben, dieses Übel zu vermeiden, denen die Gesellschaft nicht vorbeugt<br />

oder nicht vorbeugen konnte, sollte man billig darauf bedacht sein, den<br />

weisen Absichten der Natur nicht entgegen zu wirken, und mehr nicht zu tun, als<br />

den Armen Gelegenheit geben, für sich selbst zu arbeiten. Der gegenwärtigen Not<br />

muß abgeholfen, für Kranke und Abgelebte muß gesorgt werden; aber den Kindern<br />

muß man Unterricht erteilen, und Arbeit, nicht Almosen, denen geben, die<br />

irgend eine Fähigkeit zum Arbeiten besitzen, so geringe diese Fähigkeit aus sein<br />

mag. Eine ungerechte Verteilung (der Almosen) wäre nur Lohn für Faulheit,<br />

Müßiggang, Unverschämtheit und Unredlichkeit. Bettelei wäre dann ein besseres<br />

Gewerbe als irgend ein Handwerk. (…) Man kann erst der Bettelei steuern, wenn<br />

man vorher wirklichem Mangel abgeholfen hat. (...) Es ist notwendig, daß keiner<br />

einen Schilling erhält, der er selbst zu verdienen imstande ist. (…) Dies ist die<br />

Grundlage jeder wahren und zweckmäßigen Fürsorge für die Armen. Mit ihr muß<br />

jede Armenanstalt stehen oder fallen, und der Segen oder der Fluch der geringen<br />

Volksklassen werden.<br />

(Ehem. „Staatliche Landesbildstelle Hamburg“, Beiheft zur Lichtbildreihe „Caspar von<br />

Voght“, Hamburg 1963, S. 13)<br />

Die Krankenversorgung der untersten Schichten im<br />

Hamburger sog. Pesthof 466<br />

Was der junge Caspar Voght im Krankenhaus – dem Pesthof – erblickte, schildert<br />

uns Rambach in seinem „Versuch einer physisch-medicinischen Beschreibung<br />

von Hamburg“ aus dem Jahre 1784: „Das Amt eines Ökonomen und Wundarztes<br />

war in einer Person vereinigt, die es als einträgliche Pfründe betrachtete. Die<br />

Kranken schliefen immer selbander in einem Bett, und wer nach 10 Uhr abends<br />

starb, blieb bis zum Morgen bei seinem Bettgenossen liegen. Die Nachtstühle<br />

standen in den Krankensälen, und zur Reinigung der Luft geschah nichts. Die<br />

Speisen waren schlecht. Der Wundarzt verordnete innerliche Mittel, ohne den Arzt<br />

zu fragen und stellte diesem, der nur dreimal wöchentlich hinauskam, nicht einmal<br />

jeden Kranken vor. (…) Der Name Pesthof war ein Schrecken für alle Armen; und<br />

doch gab es damals viele so höchst Unglückliche, daß selbst dieses Elend noch<br />

eine Wohltat für sie war.“<br />

Erst im Jahre 1797 wurden die Männer von den Frauen getrennt und einige<br />

Einzelbetten angeschafft. 1801 gab es och keine Badewanne im Krankenhaus.<br />

(Ehem. „Staatliche Landesbildstelle Hamburg“, Beiheft zur Lichtbildreihe „Caspar von<br />

Voght“, Hamburg 1963, S. 10)<br />

150


Die Erfolge der Voght’schen Armenpolitik 467<br />

1830 berichtet der Advokat Dr. Asher in seiner Schrift „Die Hamburger Armenanstalt“<br />

voll Stolz: „Niemand kann in Hamburg Not leiden! Jedermann in Hamburg ist<br />

bekleidet. Hemden und Betten werden niemandem versagt. Jedermann kann freie<br />

Kur und Arznei erhalten. Bedarf er einer Unterstützung während seiner Erwerbslosigkeit,<br />

so wird ihm auch diese gegeben.“<br />

Mag das auch ein wenig übertreiben klingen, so war doch immerhin in der Betreuung<br />

der Armen und Kranken ein wesentlicher Schritt nach vorne getan. Die<br />

Grundlagen für eine moderne Armenfürsorge, bei der die Würde des Menschen<br />

nicht verletzt wurde, für Hilfe bei Arbeitslosigkeit und Krankheit, waren gelegt.<br />

(Ehem. „Staatliche Landesbildstelle Hamburg“, Beiheft zur Lichtbildreihe „Caspar von<br />

Voght“, Hamburg 1963, S. 15)<br />

Zu Obdachlosigkeit und Bettelei in Hamburg vor Voghts<br />

Aktivitäten 468<br />

Durch den Nordischen Krieg war die Zahl der Bettler stark angestiegen. Dänische,<br />

schwedische und russische Truppen hatten vor Hamburgs Toren geraubt und<br />

geplündert. Flüchtlinge, die nun als Landstreicher umherzogen, sieche und verkrüppelte<br />

Soldaten bevölkerten die Straßen. Die Mißernten der Jahre 1771 und<br />

1772 hatten die Not ins Ungeheure gesteigert; die Jahre von 1783 bis 1785<br />

brachten lange und harte Winter. Wenigstens 5000 Menschen sollen damals in<br />

der Stadt ohne Betten gewesen sein, und ein Zehntel der Einwohner Hamburgs<br />

lebte in Spitälern oder ging betteln (...)<br />

Ecke Alstertor und Hermannstraße lag das Werk- und Zuchthaus, das man 1619-<br />

1622 gebaut hatte, um trunksüchtige Bettler und Vagabunden festzusetzen und<br />

sie zur Arbeit anzuhalten. Dazu kamen „mutwillige Bankerottierer, Verschwender<br />

und sonstiges umherziehendes Gesindel“, aber auch arme Leute, die bereit waren<br />

zu arbeiten. Selbst Kinder wurden hier untergebracht, die man beim Stehlen und<br />

Betteln erwischt hatte. Je zwei oder drei Personen mussten gemeinsam in einem<br />

Bett schlafen. Der Schmutz war unbeschreiblich. Wer nicht gehorchte, wurde<br />

Dunkelarrest, Prügel, dem Schandpfahl oder dem Reiten auf dem hölzernen Pferd<br />

bestraft.<br />

(Ehem. „Staatliche Landesbildstelle Hamburg“, Beiheft zur Lichtbildreihe „Caspar von<br />

Voght“, Hamburg 1963, S. 9f, 11)<br />

Voghts sozialreformerischer Hintergedanke: gute Bürger 469<br />

Er (Voght, R.C.) selbst spricht einen der Gründe, die nach seiner Meinung für die<br />

Anstrengungen zur Verhinderung von krasser Armut sprechen, im Reisebericht<br />

aus Irland klar aus, wo er die Arbeiter in Colebrookdale als Beispiel für die richtige<br />

Behandlung der „untersten Classen“ darstellt: „Ich liebe diese Beispiele der<br />

unläugbaren Wahrheit, dass Aufklärung die untere Classen glücklicher, besser,<br />

ruhiger, lenksamer mache, wenn diese Aufklärung ihre Ideen über Gegenstände<br />

erhellt, die ihnen zunächst liegen… dass der aufgeklärte Mensch der bester<br />

Bürger ist, und dass jeder Regierung nichts so gefährlich ist, als arme, unwissende<br />

und zum Aberglauben geneigte Unterthanen, weil diese Menschen<br />

gerade am allerleichtesten zur Unzufriedenheit mit ihrer Lage gebracht, leicht<br />

gemißleitet und daher leicht ein Werkzeug in den Händen eines Aufrührers<br />

werden können.“ *<br />

151


(Charlotte Schoell-Glass, Ein Garten fürs Gemüt – Landschaft als Bild, zu: Caspar Voght,<br />

Flotbeck in ästhetischer Ansicht, 1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990,<br />

S. 67)<br />

* (Caspar Voght, Schilderung von Irland, Bruchstücke aus dem „Tagebuch eines<br />

Reisenden“, 1794)<br />

Voghts Ideen zur gerechten Gesellschaft 470<br />

„Wir halten diese Wahrheiten für einleuchtend, daß alle Menschen gleich<br />

geschaffen sind; daß sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen<br />

Rechten ausgestattet sind, wozu Leben, Freiheit und Streben nach Glück<br />

gehören.“<br />

Der Masse des Volkes dieses Glück durch das „Recht auf Arbeit“ zu verschaffen,<br />

ist Voghts Bestreben, wenn er für jeden Menschen<br />

1. eine trockene und gesunde Wohnung<br />

2. gesunde und nahrhafte Speisen<br />

3. wider die Unfreundlichkeit des Wetters hinreichend bedeckt zu sein<br />

4. einen reinlichen Anzug für den Sonntag<br />

5. eine anständige Erziehung für die Kinder<br />

6. die Möglichkeit zur Rücklage für das Alter<br />

fordert.<br />

(Ehem. „Staatliche Landesbildstelle Hamburg“, Beiheft zur Lichtbildreihe „Caspar von<br />

Voght“, Hamburg 1963, S. 13)<br />

Wilhelm von Humboldt über Caspar Voght 471<br />

Flotbeck, ein Dorf unterhalb Hamburg an der Elbe, worin Kaufmann Voght eine<br />

sehr große Besitzung hat. Sein Haus, das er jetzt, da es abgebrannt gewesen,<br />

neu baut, hat keine sonderlich angenehme Lage. Eine desto schönere aber der<br />

sogenannte Tempel, in dem ein Saal und mehrere Zimmer sind. Dieser steht auf<br />

einer Höhe dicht an der Elbe. Sowohl der Fluss, der hier sehr breit ist, als die Ufer<br />

auf beiden Seiten und die vorbeikommenden Schiffe geben einen schönen und<br />

interessanten Anblick. Vorzüglich lebendig wird das Gemählde auch durch die<br />

Ebbe und Fluth, welche immer abwechselnd Schiffe aus dem Hamburger Hafen<br />

hinaus, oder von der Mündung hinein führt. Der Englische Garten ist sehr groß,<br />

und mit ausserordentlich vielem Geschmack angelegt. Rasenplätze, prächtige<br />

und schön contrastierte Aussichten, und mahlerische Baumgruppen wechseln<br />

überaus angenehm mit einander ab. Dabei ist der Garten von allen Spielereien<br />

und Colifichets gänzlich frei.<br />

Voght, der Besitzer dieses Guts, wird für den reichsten Kaufmann von Hamburg<br />

gehalten. Er ist nicht verheirathet und macht sehr viel Aufwand. Er betreibt bloss<br />

Geschäfte für America, und die meisten Americanischen Handlungsgeschäfte<br />

gehen durch seine Handlung. Er selbst beschäftigt sich nicht viel mit derselben,<br />

und lebt Winter und Sommer in Flotbeck. Er ist sehr viel gereist, und noch vor<br />

kurzem 2 Jahr in England gewesen. Er hat dort mit den merkwürdigsten (i. S. von<br />

ausgezeichneten, R. C.) Gelehrten in Verbindung gestanden (…). Auch ist er in<br />

mehreren Fächern der Wissenschaften, z. B. Philosophie, Physik, Chemie und<br />

Politik recht gut unterrichtet, beschäftigt sich angelegen damit, und ist ein recht<br />

sehr guter Kopf. Nur fehlt ihm freilich wohl ein recht reines und ernsthaftes Interesse<br />

an allen diesen Dingen, und diess macht ihn weniger interessant. Er hat eine<br />

grosse Bibliothek, und einen wenigstens ziemlich vollständigen, und sehr netten<br />

Apparat physikalischer Instrumente. Sie sind durchaus alle in England gemacht.<br />

Doch ist oft mehr auf Pracht und Zierlichkeit als auf die wissenschaftliche Brauch-<br />

152


arkeit gesehen. So z. E. besitzt er nur eine kleine und gewiss mittelmässige<br />

Elektrisirmaschine.<br />

– Sein grösstes Verdienst besteht wohl unstreitig in der Einrichtung der bekanntermaassen<br />

ausserordentlich guten Armenanstalten in Hamburg, die ihm vorzüglich<br />

ihr Daseyn danken. Das physische und moralische Elend der Armen soll<br />

ehemals fürchterlich gewesen seyn. Sie haben ein eigenes Quartier der Stadt<br />

bewohnt, in fast völliger Gemeinschaft, sogar der Weiber gelebt, und die Polizei<br />

hat sich kaum unter sie gewagt. Dagegen haben sie jetzt sämmtlich Arbeit, die<br />

Strassenbettlerei hat ganz aufgehört, und ihre Kinder werden in eigenen Schulen<br />

unterrichtet. Dennoch sollen die Krankheiten, Verkrüppelungen und die Mortalität<br />

unter den Kindern noch ausserordentlich gross seyn. (…)<br />

– Übrigens liebt Voght sehr die Gesellschaft und hat darin einen sehr guten Ton.<br />

Mit Voght in Flottbeck lebt ein gewisser Schmeisser, ein Chemiker. Er soll in<br />

seinem Fach sehr gute Kenntnisse besitzen, und sehr thätig im Experimentiren<br />

seyn. Voght hat ihn in England gefunden, und ihn seit dem bei sich behalten. Da<br />

er (Voght, R. C.) kürzlich mit Sieveking in Frankreich gewesen, so kennt er die<br />

berühmtesten Französischen und Englischen Chemiker von Person. Er hat von<br />

Uslars und meines Bruders Schriften über die Pflanzenphysiologie ins Englische<br />

übersetzt (…).<br />

(Wilhelm von Humboldt, Reisetagebücher aus den Jahren 1796 und 1797, hier:<br />

Humboldts „Reise nach Norddeutschland“)<br />

Goethe über Voght 472<br />

Wenn ich die Bekanntschaften der letzten Zeit im Ganzen durchgehe, so bleibt<br />

doch immer Voght von Hamburg die vorzüglichste. Hinter einer etwas rauen<br />

bürgerlichen Schale, die man am reichen Reichsstädter wohl verträgt, zeigt sich<br />

die große Kenntnis der weltlichen Dinge, der beste Wille fürs Gute, Rechte und<br />

Wohltätige und eine unermüdete Tätigkeit. Dabei ist seine Geisteskultur wirklich<br />

fein, und auch in literarischen Dingen hat er schöne Kenntnisse.<br />

(Goethe in einem Brief von 1801 an Herzog Carl August von Weimar)<br />

Peter Klein zu Voghts Programm 473<br />

Beziehen wir Voghts „stadtentwicklungspolitisches“ Handeln in Flottbek auf die<br />

von Kant genannten Vernunftkomponenten, so dürften wir diese ohne<br />

Schwierigkeiten zufriedenstellend berücksichtigt finden:<br />

Ä In der Sozialpolitik vereinigt Voght sozialwissenschaftliche Analyse mit<br />

moralisch motivierter Fürsorge und sorgfältiger situativer Anpassung, die<br />

freisetzend wirken soll;<br />

Ä seine „ökologische“ Agrarwirtschaft beabsichtigt, ebenfalls auf wissenschaftlicher<br />

Grundlage, eine der Natur „gerecht“ werdende Nachhaltigkeit des Wirtschaftens,<br />

die aber<br />

Ä zugleich auf den Menschen und seine wirtschaftende Lebensform Bedacht<br />

nimmt und somit Natur und Mensch, miteinander vereint, zu einem schönen<br />

Ganzen gestalten will.<br />

In allen drei Bereichen sind also Erkenntnis, Sittlichkeit und Urteilskraft, letztere<br />

mit ihren zwei Komponenten: der als „teleologisch“ geordnetes System<br />

betrachteten Natur und des „ästhetisch“ die Welt gestaltenden Menschen, zu<br />

einer Einheit gebracht, die inzwischen zwei Jahrhunderte überdauert hat und uns<br />

immer noch als sowohl der damaligen Zeit angemessen wie auch als<br />

zeitunabhängig überdauernd anmutet, die insofern als „nachhaltig“ gelten kann.<br />

153


(Peter Klein, „Nachhaltige“ Stadtentwicklung - zur Einheit von Sozialpolitik, Ökologie und<br />

Ästhetik. Dargestellt am Beispiel von Caspar Voghts Mustergut Klein-Flottbek,<br />

Eröffnungsvortrag „Kontaktstudium für Ältere Erwachsene“, Universität Hamburg, WS<br />

2006/07, im Internet: http://www.uni-hamburg.de.kse.vortragsarchiv//html<br />

Reinhard Crusius / Peter Klein zu Voghts Wirken<br />

und Wirkung 474<br />

Caspar Voghts Wirken ist in Hamburg, mehr noch darüber hinaus, unzureichend<br />

bekannt. Er war eine der bedeutendsten Personen der hamburgischen und norddeutschen<br />

Geschichte, mit positiven Wirkungen bis heute und weit über diesen<br />

Raum hinaus. Die folgenden Ausführungen sollen in groben Zügen die wesentlichen<br />

Bereiche seines Wirkens in Erinnerung rufen. Caspar Voght, der Zeitgenosse<br />

Goethes, war<br />

Ä teilweise europaweit ein Begründer und Initiator einer neuen, auf Selbsthilfe<br />

zielenden Armenpflege;<br />

Ä der Mitinitiator bedeutender sozialreformerischer Gesetzesvorhaben bzw.<br />

Institutionen in Hamburg und teilweise europaweit;<br />

Ä der Begründer tiefgreifend neuer Sozialbeziehungen zwischen „Patron“ und<br />

„Landarbeiter“ in der Landwirtschaft;<br />

Ä der Schöpfer einer ästhetischen und gleichzeitig praktisch und gemeinnützig<br />

orientierten <strong>Park</strong>kultur und Landschaftspflege;<br />

Ä ein bedeutender Anreger neuer, auf Selbstversorgung zielender Formen der<br />

Landwirtschaft (d. h. durch Ertragssteigerung der Böden geförderte Selbstversorgung<br />

auch kleinerer Landwirte und der Selbstversorgung der Bevölkerung<br />

als Land / Nation);<br />

Ä in den beiden letztgenannten Aktivitäten betrieb er auch, weit vor seiner Zeit,<br />

was man heute Ökologie und nachhaltiges Wirtschaften nennen würde.<br />

(Reinhard Crusius, Peter Klein, Caspar Voght – seine Bedeutung in seiner Zeit und<br />

heute, in: R. Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, Anhang und auf der<br />

Homepage des „Vereins der Freunde des <strong>Jenischpark</strong>s“)<br />

Caspar Voght: Vita und Würdigung 475<br />

Dies ist das typische hansische Beispiel einer Erziehung im Sinne von<br />

Rousseaus Emile (siehe auch Zitat 476, R. C.). Ein Hamburger Kaufmann,<br />

weltoffen und reich, läßt seinen begabten, ein wenig kränklichen Knaben<br />

früh auf Reisen gehen.<br />

Der junge Mann lernt nicht nur die Höfe von England, Frankreich und<br />

Spanien kennen und nicht nur Gelehrte und Künstler in Italien, Holland und<br />

der Schweiz, sondern hat auch ein sonderliches Auge für die Gegenseite<br />

des europäischen Wohlbehagens, für das überall wachsende soziale Elend.<br />

Und so entfaltet er sich nicht nur zu hoher gesellschaftlicher Gewandtheit<br />

und kaufmännischer Weitsicht, sondern zugleich zu einer caritativ<br />

gerichteten Persönlichkeit, befähigt, eines Tages in Hamburg, Marseille und<br />

Lissabon und fast allen bedeutenden Städten an einer Neuordnung der<br />

Armenpflege mitzuwirken und auch den fürchterlichen Zuständen des<br />

Gefängniswesens erste Linderungen zu verschaffen.<br />

Dieser Hamburger Kaufmann hieß Caspar Voght. Österreich verlieh ihm in<br />

Anerkennung seiner Verdienste den Adelstitel. Er war einer der ersten<br />

Hamburger, der diesen Titel annahm und auch führte. Da er wirklich ein<br />

Weltmann von Rang war und als der erste Gentleman Hamburgs galt,<br />

verargte man es ihm nicht.<br />

154


Ab 1785 erwarb er auf Grund des ererbten Vermögens und seiner<br />

Einkünfte, die er aus dem Kaffee- und Gummihandel zog, das<br />

Bauerngelände um das sogenannte Quellental in Flottbek an der Elbe und<br />

gestaltete es zur Erholung und Experiment weitläufig und naturnahe nach<br />

englischem Vorbild in Landschaftsstil und als „ornamented farm“. … Seine<br />

Mitarbeiter holte er von weit her, aus Paris den Gärtner und Architekten<br />

Rameé, aus Süddeutschland den jungen Staudinger, der vormals Sekretär<br />

der Revolutionärs Schubart und Vorleser Klopstocks gewesen war. Er erzog<br />

ihn zu seinem landwirtschaftlichen Geschäftsführer und zum geistigen<br />

Betreuer der Tagelöhner und deren Kinder. Den Gärtner Booth holte er aus<br />

Schottland. Sein Agrikulturchemiker Dr. Schmeißer stammte aus<br />

Andreasberg und nur der Hausarchitekt Ahrens scheint in Hamburg<br />

geboren zu sein. Voghts Mustergut wirkte weithin anregend für Garten- und<br />

Ackerbau, und auch die einstöckigen Reihenhäuser, die er für seine<br />

Arbeiter bauen ließ und die heute noch bewohnt werden, wurden als<br />

vorbildlich gepriesen. Auch ist ihm die Einführung der Kartoffel für unserer<br />

Gegend zu danken.<br />

(Hans Leip [1893-1983], Hamburgischer Dichter, Die unaufhörliche Gartenlust. Ein<br />

Hamburger Brevier, Hamburg 1953, Neuauflage 2004, S. 100-103)<br />

Peter Klein zu Rousseaus Philosophie als Leitphilosophie<br />

für Voghts Wirken 476<br />

Entgegen (zeitgenössischen wie heutigen) Unterstellungen bedeutet Rousseaus<br />

Schlagwort „Zurück zur Natur“ kein „Zurück auf die Bäume“, sondern „Zurück zur<br />

Natur des Menschen“. (Deshalb) akzeptiert er am Ende seines Erziehungsromans<br />

„Emile“ als angemessene Lebensform für ein vernünftiges, verantwortungsvolles<br />

Kulturwesen wie den Menschen weder ein demonstrativ primitives Aussteigerdasein<br />

noch das ungezielte Engagement einer „Fernstenliebe“. Vielmehr erfordere<br />

Dankbarkeit … sowie Verantwortung für die nachfolgenden Generationen, in<br />

seinem zufälligen Umfeld, als angestammter „Heimat“, seine Aufgaben zu<br />

erfüllen, nämlich<br />

- in „volkstümlicher Tätigkeit“ die vorgefundenen sozialen, kulturellen,<br />

ökonomischen, kulturlandschaftlich ökologischen Zustände evolutionär (nicht<br />

revolutionär!) auf Vernunft hin fortzuschreiben,<br />

- dabei in sein soziokulturelles Umfeld ganzheitlich eingezogen, aber ihm innerlich<br />

nicht entfremdet noch preisgegeben zu sein,<br />

- und dabei zwar beständig auf Vernunftideale hinzuarbeiten, dies aber nicht,<br />

indem man sie gewaltsam, ideologisch, dogmatisch, unvorbereitet<br />

durchzusetzen sucht, vielmehr mit humaner Überlegenheit … auf menschliche<br />

Schwächen, bestehende Traditionen, individuelle Umstände Rücksicht nimmt.<br />

Dieses Menschenbild wurde vom „Neuhumanismus“ aufgenommen,<br />

bildungsphilosophisch ausgestaltet und, soweit es die historische Entwicklung um<br />

1800 zuließ, in politische Praxis umgesetzt (wovon Voghts Flottbeker<br />

Unternehmen auf seine Weise Zeugnis gibt).<br />

(Peter Klein, „Nachhaltige“ Stadtentwicklung - zur Einheit von Sozialpolitik, Ökologie und<br />

Ästhetik, dargestellt am Beispiel von Caspar Voghts Mustergut Klein-Flottbek,<br />

Eröffnungsvortrag „Kontaktstudium für Ältere Erwachsene“, Universität Hamburg, WS<br />

2006/07, im Internet: http://www.uni-hamburg.de.kse.vortragsarchiv//html)<br />

155


Eine Kurz-Laudatio auf Caspar Voght –<br />

aus zeitgenössischer Sicht 477<br />

Vor den Toren der Stadt liegt für ihren Bewohner das Paradies; eben erst hat er<br />

das Weichbild hinter sich gelassen, da betritt er bereits den Freiraum der Natur,<br />

einen Ort wo für ihn die konkrete Utopie auf der Flurkarte verzeichnet ist.<br />

Anfangs wohl eher als ein Refugium verstanden, geht Voght, der Städter auf dem<br />

Lande, rasch daran, den sumpfigen Wiesengrund seiner Besitzung mit großem<br />

Aufwand nach englischem Vorbild in die Gartenlandschaft einer „ornamented<br />

farm“ zu verwandeln. Ihm ist es nicht bloß darum zu tun, sich nach der Mode der<br />

Zeit einen Sommersitz herzurichten, sondern in eine seinen ästhetischen<br />

Vorstellungen entsprechende <strong>Park</strong>landschaft einen mustergültig funktionierenden<br />

Landwirtschaftsbetrieb, gegründet auf neueste agronomische Kenntnisse zu<br />

integrieren und Landschaft mit Landwirtschaft zu verbinden, Fluren und Koppel im<br />

Wechsel mit ausladenden Grün- und Waldflächen anzulegen und durch Feld- und<br />

Spazierwege, auf denen in Abständen Ruhebänke zu stimmungsvoller<br />

Naturbetrachtung einladen – ein ungewöhnliches Projekt, das der tätigen Arbeit<br />

des Landwirts die kontemplierende Muße des Spaziergängers zur Seite stellt.<br />

Voghts Sinn ist neben der Idylle ganz aufs Praktische gerichtet: Aus dem Gang<br />

vor die Stadt wird für ihn ein konsequenter Schritt aufs Land, dem Kaufmann<br />

gesellt sich der Agronom zu, und dieser hat als ständigen Begleiter den Freund<br />

der Natur. Ästhetischer Genuss und landwirtschaftlicher Ertrag werden als Posten<br />

zusammen als Gewinn der Unternehmung veranschlagt – kalkuliert nicht so sehr<br />

nach dem realen Maßstab der Ökonomie, denn viel mehr nach dem ideellen einer<br />

ausfüllenden, befriedigenden Lebensaufgabe, die durchaus auch soziales<br />

Engagement einschließt.<br />

(Michael Diers, Vorwort zu Caspar Voght, Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg<br />

1824, Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Hamburg 1990, S. 8f)<br />

Mustergut Flottbek – sozialgeschichtliche Horizonte 478<br />

Ein bedeutendes Unternehmen wie Voghts Gestaltung seiner Besitzungen steht<br />

immer auch in größeren räumlichen und geschichtlichen Zusammenhängen,<br />

sammelt verschiedene Strömungen und gibt ihnen eine spezifische Gestalt. Drei<br />

solcher Strömungen können hier (in der Ausstellung, R. C.) dokumentiert werden.<br />

Der englische „Landschaftspark“ war eine Erneuerungsbewegung der<br />

<strong>Park</strong>gestaltung, die – gegen die rationalistische „Vergewaltigung“ der Natur im frz.<br />

Barockgarten – der Natur wieder ihr Eigengewicht geben, ihren Gesetzen nachspüren,<br />

sie idealisiert zum Ausdruck bringen, ihre Stimmungsgehalte auf den<br />

Menschen beziehen wollte: Die ordnende Hand des Menschen sollte „parallel zur<br />

Natur“ wirken und dabei ihrer selbst genießend innewerden. Voght hatte diese<br />

englischen <strong>Park</strong>s, aber auch ihre französischen Ableger, auf seinen Reisen<br />

studiert, so Chantilly, eine Überarbeitung einer älteren Barockanlage „im englischen<br />

Geschmack“, bei eine Besuch 1786, ebenso das nahebei gelegene<br />

Ermenonville, dessen „Pappelinsel“ mit dem Grab Rousseaus ohnehin Standardziel<br />

jedes zeitgemäß Gebildeten war.<br />

Für Deutschland hatte Christian C. L. Hirschfeld (1742-92, 1782 Leiter der<br />

Obstbaumschule Kiel-Düsternbrook) in seiner „Theorie der Gartenkunst“ (1779-<br />

1785) die Summe dieser Bewegung gezogen, in kleineren Schriften auch die<br />

erzieherische Wirkung, die bewirkte Geistesstimmung betont. In einer späteren,<br />

romantischen Interpretation (Wörlitz, in Hamburg z.B. Baur’s <strong>Park</strong>) wurden die<br />

Stimmungsträger (Tempel, Büsten, Inschriften, Felsen, Ruinen…) überbetont,<br />

eine Entwicklung, von der Voght sich entschieden distanzierte.<br />

156


Er folgte vielmehr einer als „Ornamented farm“ bezeichneten Ausweitung der<br />

bloßen, wenn auch weiträumigen, äußerlichen Schmückung des Wohnens einer<br />

privaten Schicht zur verinnerlichten und sozial wirkenden ästhetischen Durchorganisation<br />

der ganzen Landschaft, unter Einbezug von Wirtschaftsformen, Dörfern<br />

und Städten und der gewachsenen Kulturlandschaft. „The Leasowes“<br />

(Shropshire) des Dichters Shenstone ist sein ausdrücklich genanntes Vorbild,<br />

doch bleibt Shenstone in der ästhetisierenden Distanz eines elitären Standes<br />

befangen.<br />

Demgegenüber hatte bereits Rousseau – nicht etwa den sozialen Ausstieg<br />

„zurück zur Natur“, wie meist behauptet, sondern: – die ländliche, volkstümliche<br />

Lebensweise eines Grundbesitzers, der seine Einwohnerschaft erzieherisch, gewerblich,<br />

ästhetisch fördert, als Kern seines Erziehungsideals gezeichnet. Eine<br />

adlige Realisierung dieses Ideals mit betont patriarchalischem Selbstverständnis<br />

sind der <strong>Park</strong> in Ermenonville des Marquis René-Louis de Girardin (1735-1808)<br />

und der Muskauer <strong>Park</strong> des Fürsten Pückler (1785-1871), während der in Voghts<br />

Kreis tief verehrte Goethe (1749-1832) im Weimarer Ilm-<strong>Park</strong> den <strong>Park</strong> als gewachsenen<br />

Ausdruck individuellen, symbolisch bedeutsamen Erlebens verstand.<br />

Die Bedeutung von Voghts Flottbeker Gut besteht darin, alle genannten Aspekte<br />

der Landschaftsplanung zur Einheit gebracht zu haben.<br />

(Aus dem Begleittext zur Ausstellung zum 150. Todestag von Caspar Voght in der<br />

Patriotischen Gesellschaft, Faltblatt, Hamburg 1989)<br />

Peter Klein zur gewachsenen Kulturlandschaft Elbe in<br />

Hamburg 479<br />

Dieser kulturelle Konsens über das Bild einer nachhaltigen, vernünftigen Entwicklung:<br />

nämlich eine Region durch historische menschliche Tätigkeit im Einklang<br />

mit den natürlichen Bedingungen und den menschlichen Bedürfnissen zur<br />

schönen Ganzheit einer sogenannten Kultlandschaft zu gestalten, bestimmte<br />

aufgrund der einmaligen landschaftlichen und historischen Voraussetzungen in<br />

herausragender Weise, vorher schon und dann vor allem auch in der Folge, auch<br />

die Entwicklung der weiteren Umgebung, insbesondere der Elbchaussee aufgereihten<br />

Landsitze und ihres dem „ästhetischen“ Erleben zugehörigen Umfeldes,<br />

das optisch, aber auch ökonomisch ja die ganze Niederelbe-Landschaft umfasste,<br />

zu einer Einheit, deren Schutz für hundert Jahre zur fraglosen öffentlichen Pflicht<br />

geworden war.<br />

Als eine Stimme vor vierzig Jahren: „Dem Besucher bietet das Elbufer ein einzigartiges<br />

Erlebnis, durch die kulturhistorischen Bebauung der letzten 150 Jahre, die<br />

klassizistischen Landhäuser und Villen mit ihren eindrucksvollen <strong>Park</strong>anlagen und<br />

wertvollem Baumbestand, dem Hochufer und dem bis zu drei Kilometer breiten<br />

Elbstrom, mit dem Blick auf das berühmte Hamburger Obst-land, das ‚Alte Land’<br />

und die Hamburger Höhenzüge; all dieses zusammen vereint sich zu einem<br />

einzigartigen harmonischen Ganzen, das unter dem Namen ‚Elbchaussee’ schon<br />

immer als eine europäische Sehenswürdigkeit galt.“<br />

(Peter Klein, „Nachhaltige“Stadtentwicklung - zur Einheit von Sozialpolitik, Ökologie und<br />

Ästhetik, dargestellt am Beispiel von Caspar Voghts Mustergut Klein-Flottbek,<br />

Eröffnungsvortrag „Kontaktstudium für Ältere Erwachsene“, Universität Hamburg, das. im<br />

Internet, WS 2006/07)<br />

Das Hamburg Elbtal – etwas „europäisch Weltgültiges“ 480<br />

Die Elbchaussee ist ein Beispiel dafür, wie Landschaft, Klima,<br />

wirtschaftliche und gesellschaftliche Gemeinsamkeiten internationale<br />

Verschiedenheit zur Einheit verbinden. Die Gestalter der <strong>Park</strong>s und<br />

157


Landsitze, die großen Hamburger Kaufleute des 18. und 19. Jahrhunderts,<br />

stammten nur zum kleinsten Teil aus hiesigen Familien. Was aber hier an<br />

Namen und Fähigkeiten aus Westfalen und Schleswig, aus Lauenburg und<br />

Breslau, aus Stuttgart, Augsburg und aus Holland, Frankreich und England<br />

gelandet war, wurde schon in der zweiten Generation zu echten<br />

weltbürgerlichen Hanseaten und hat den Hamburger, ja den deutschen<br />

Namen weit nach Übersee würdig vertreten.<br />

Indem diese Herren ihrem Privatvergnügen und ihrem Ansehen zu dienen<br />

vermeinten, haben sie unter ungeheuren Kosten aus Sandhügeln,<br />

Heidkuppen und mageren Wiesen die Gegebenheiten für ihre <strong>Park</strong>s und<br />

Gärten geschaffen und damit, wie die Zeitläufte beweisen, unbewußt der<br />

Allgemeinheit gedient.<br />

Im friedlichen Schmelztiegel der Wirtschaft und privater Bindungen geschah<br />

hier in der sogenannten guten Gesellschaft ohne Statuten, Palaver und<br />

Ministerstürze, ohne Waffelgerassel und Parteigezänke das, was<br />

Angleichung der Nationen bedeutet; und mögen die hansischen Grundlagen<br />

und Bedingungen dafür unwiederbringlich verflogen scheinen, so bleibt<br />

dennoch der Begriff Elbchaussee ein – wenn auch vorerst noch beinahe<br />

wehmütiges – Vorbild für die Bestrebungen, Europa zu Einheit, Gewicht und<br />

Ansehen zu bringen. An der Niederelbe war im Zuschnitt der Lebensart und<br />

in der Haus- und Gartenkultur etwas europäisch Weltgültiges entstanden,<br />

dessen Nachwirkung keineswegs abzusehen ist … .<br />

(Nachbemerkung R.C.: Und wie bedenkenlos haben wir dieses<br />

“Weltkulturerbe“ zerstört und zerstören es immer weiter!)<br />

(Hans Leip [1893-1983], Hamburgischer Dichter, Die unaufhörliche Gartenlust. Ein<br />

Hamburger Brevier, Hamburg 1953, Neuauflage 2004, S. 112f)<br />

Peter Klein zum „Weltkulturerbe“ Hamburger Elbtal und<br />

seine Zerstörung 481<br />

So entstand, nach zwanzigtausend Jahren Landschafts-, 700 Jahren Kultur- und<br />

150 Jahren Kunstentwicklung, jenes weltweit einzigartige Ensemble der „Elbchaussee“,<br />

das schon längst zum Weltkulturerbe hätte erklärt werden müssen und<br />

„dessen Erhaltung, Erschließung und Schutz zum Wohle der Bevölkerung seit<br />

Jahrzehnten einen Schwerpunkt der Hamburger Stadt- und Landschaftsplanung<br />

bildet“ – bis zum Jahr 2000! Demgegenüber, tatsächlich und buchstäblich dem<br />

Voght’schen Werke gegenüber, ist nun in den letzten fünf Jahren ein „Stadtentwicklungsprojekt“<br />

entstanden, das mit obszöner Drastik das vorläufige Ende des<br />

Willens zu nachhaltiger Entwicklung vor Augen stellt, ein Paradigma „hinterhältiger<br />

Stadtentwicklung“ durch seine politisch verbohrte, nicht bloß Sittlichkeit,<br />

Ökologie und Ästhetik, sondern schließlich auch alle Kriterien langfristig erfolgreicher<br />

wirtschaftlicher Rationalität verschmähende instrumentelle „Vernunft“: Die<br />

Airbus-Fabrik am Mühlenberger Loch.“<br />

(Peter Klein, „Nachhaltige“ Stadtenwicklung - zur Einheit von Sozialpolitik, Ökologie und<br />

Ästhetik, dargestellt am Beispiel von Caspar Voghts Mustergut Klein-Flottbek,<br />

Eröffnungsvortrag „Kontaktstudium für Ältere Erwachsene“, Universität Hamburg, das. im<br />

Internet, WS 2006/07)<br />

1927: Pläne für einen „herrschaftlichen“ Golfplatz 482<br />

„Es besteht nun zunächst die Absicht, (...) einen Teil des <strong>Park</strong>geländes zur Anlage<br />

eines allen Ansprüchen genügenden 18-Löcher-Platzes zu benutzen, für den<br />

die von einer anerkannten Firma entworfenen Pläne bereits vorliegen. (...) Außer<br />

dem Golfplatz ist die Anlage einiger Tennisplätze in Aussicht genommen. (…) Den<br />

158


Mittelpunkt der neu zu schaffenden Anlage wird das mit den ältesten Hamburger<br />

Traditionen verbundene Herrenhaus bilden, das zu einem allen Ansprüchen<br />

genügenden behaglichen Clubheim umgebaut werden soll und durch seine Lage<br />

auf der Höhe des <strong>Park</strong>geländes kaum seinesgleichen finden dürfte. Das Haus soll<br />

außer den nötigen Umkleide-, Wasch- und Badegelegenheiten Wohn-, Eß- und<br />

Rauchzimmer haben, ferner (...)“.<br />

(Werbeprospekt / Aufruf zur Gründung eines Golfplatzes auf dem Gelände des<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>s, 1927, zit. n.: Paul Ziegler, Ein Bild von einem <strong>Park</strong>, in: Reinhard<br />

Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, S. 162)<br />

Renaturierung nach innen, Zerstörung nach außen 483<br />

Die Landschaft öffnet sich wieder nach beiden Seiten, Bäume stehen nur noch<br />

vereinzelt auf der weiten Wiesenfläche. Ich steige die sieben Steinstufen zur<br />

Veranda des Jenischhauses empor und befinde mich zwischen den vier hohen<br />

Säulen. Dorische Säulen, wie es sich für einen klassizistischen Bau gehört. Welch<br />

ein Ausblick! Ich lege die Hand über die Augen, um im gleißenden Gegenlicht<br />

über das zur Elbe hin abfallende Gelände zu schauen. Auf dem Strom gleitet<br />

lautlos ein Container-Schiff Richtung Hafen. Dahinter das nüchterne Verwaltungsgebäude<br />

der ehemaligen Deutschen Werft. Der Blick geht aber noch weiter. Ich<br />

sehe den Kirchturm von Finkenwerder und ganz am Horizont den Fernsehturm in<br />

den Harburger Bergen. Am strahlend blauen Himmel treiben ein paar lustige<br />

weiße Wolken dahin. Wo sonst in der Stadt kann man die Blick und Gedanken so<br />

weit in die Ferne schweifen lassen?!<br />

(Konrad W. Frank, Ulrich Schatz, Spaziergang im <strong>Jenischpark</strong>, Hamburger Abendblatt<br />

(Hg.), Hamburg 1997, S. 12. Anmerkung R. C.: Diese Aussage, gerade 12 Jahre alt, ist<br />

heute Erinnerung. Linkes und rechtes Elbufer sind – und werden weiter - zugemauert.<br />

Es gibt jetzt so gut wie keinen Blick mehr aus dem <strong>Park</strong> ohne Beton- und Steinkulisse!)<br />

(Anmerkung R. C.: Interessierte weise ich auf folgende Texte hin: Reinhard<br />

Crusius, Peter Klein, Caspar Voght – Seine Bedeutung in seiner Zeit und<br />

heute, in: Reinhard Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Hamburg 2006, Kapitel IV,<br />

und auf der Web-Seite des „Vereins der Freunde des Jenisch-<strong>Park</strong>s“; Peter<br />

Klein, Mustergut Flottbek – Voght, der Neuhumanismus und die Krise der<br />

Morderne: Zur Einheit von Sozialpolitik, Ökologie und Ästhetik, in: Reinhard<br />

Crusius, Der Jenisch-<strong>Park</strong>, Kapitel V; sowie: Reinhard Crusius, Daten zu<br />

Caspar Voght, zu seinem Mustergut und zum Jenisch-<strong>Park</strong> und seiner<br />

Umgebung bis heute, abrufbar von der Web-Seite des „Vereins der Freunde<br />

des Jenisch-<strong>Park</strong>s“) (www.jenischparkverein.de)<br />

159


4. Aus Caspar Voghts „Lebenserinnerungen“<br />

Vorbemerkung: Schriftliche Zeugnisse aus seiner Feder 484<br />

1836/37, kurz vor seinem Tode, diktierte der inzwischen stark sehgeschwächte<br />

Voght seine Lebenserinnerungen. Dieses Manuskript blieb im Besitz der Familie<br />

seines Freundes Sieveking, bis es endlich 1917 veröffentlicht wurde. Das<br />

geschah durch die „Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde“, die „Patriotische<br />

Gesellschaft“ und die „Lehrervereinigung für die Pflege der künstlerischen<br />

Bildung“ in Hamburg, und zwar im Rahmen der „Hamburgischen Hausbibliothek“,<br />

dort als Band 1 der Reihe „Neue Reihe zur Hamburgischen Kulturgeschichte“ im<br />

Verlag Alfred Janssen in Hamburg*. Der Titel dieser Veröffentlichung lautete:<br />

„Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte“. Es blieb die einzige<br />

Veröffentlichung, bis Frau Prof. Dr. Charlotte Schoell-Glass 2001 diese Erinnerungen<br />

neu und kommentiert in Hamburg herausgab.<br />

Ich bringe hier eine Reihe von Zitaten aus dem Originaldruck von 1917. Andere<br />

Selbstzeugnisse Caspar Voghts finden sich in den vorherigen Kapiteln. Die hier<br />

ausgewählten Stellen aus seiner Biografie sind hier gesondert zusammengestellt,<br />

um das Charakterbild dieses so bedeutsamen – und in der Hamburgischen und<br />

Deutschen Geschichtsschreibung noch immer so ungerecht behandelten –<br />

Mannes vor Augen zu stellen, seine Absichten, aber auch das Werden seines<br />

Charakters und seiner Pläne, seiner Lebensgestaltung. Deshalb zitiere ich hier<br />

auch chronologisch.<br />

P.S. 1: Die Erinnerungen gehen nur bis zum Jahre 1811. Ob ein späterer Teil verschollen<br />

ist oder Voght beim Diktat nur bis hierher kam, ist nicht mehr genau festzustellen.<br />

P.S. 2: Caspar Voght’s Wirken und Wollen ist auch noch inanderen Schriften von<br />

ihm festgehalten:<br />

- Flotbeck und dessen diesjährige Bestellung mit Hinsicht auf die durch<br />

dieselbe beabsichtigten Erfahrungen. Ein Wegweisen für die<br />

landwirtschaftlichen Besucher desselben im Jahre 1921, in: Schriften der<br />

Schleswig-Holsteinischen Patiotischen Gesellschaft, Bd. 6, H. 1, Altona<br />

1822; ein zweiter Führer erschien 1829;<br />

- Flotbeck in ästhetischer Ansicht, Hamburg 1824, Charlotte Schoell-Glass<br />

(Hg.), Hamburg 1990;<br />

- Flotbecks hohe Kultur, Hamburg 1829.<br />

*(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917)<br />

Vorrede zu dem Druck von 1917 485<br />

Aus reichem Hamburger Kaufmannshause stammend, in einer mit allen Reizen<br />

des Lebens geschmückten Kindheit aufgewachsen, von Elternliebe umgeben tritt<br />

der später in den Reichsherrenstand erhobene Caspar Voght in das Leben hinaus,<br />

von dem glühenden, während einer schweren Krankheit gefestigten<br />

Wunsche beseelt, das Leben seiner wohlhabenden Mitbürger geistig zu heben,<br />

und das der Armen moralisch und materiell zu verbessern.<br />

Nach weiten Reisen, die ihn durch das damals sozial hochstehende England und<br />

das in höchster Geistesblüte befindliche Frankreich, Holland, Spanien und Italien<br />

führte, kehrt er 1775 nach drei Jahren nach Hamburg zurück und stürzt sich,<br />

seinen Altersgenossen an Bildung und Weltschliff weit überlegen, mit Eifer in das<br />

gesellige und geschäftliche Leben Hamburgs.<br />

160


Er übernimmt mit einigen gleichgesinnten, wohlhabenden Freunden nach<br />

Schröders Abgang die Leitung und Fortführung des Theater Lessings, auf<br />

welchem er selbst die ersten Rollen neuer französischer und deutscher Stücke<br />

vorführt. In seinem kaufmännischen Berufe, den er Zeit seines Lebens nur<br />

nebenher betrieben, knüpft er während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges<br />

und des Koalitionskrieges zwischen England und Napoleon wertvolle<br />

Handelsbeziehungen mit Nordamerika an, welche freilich erst der Sohn seines<br />

ältesten Freundes und späteren Kompagnons, Joh. Georg Sieveking, Carl Sieveking,<br />

im 19. Jahrhundert zu dauernden Verbindungen führen sollte. Er erwirbt mit<br />

dem gewonnen Gelde die ersten Ländereien in Flottbeck, die er später, gestützt<br />

auf eingehende landwirtschaftliche Studien, zu dem ersten aller <strong>Park</strong>güter an der<br />

Elbe, dem nach seinem Nachfolger genannten Jenisch-<strong>Park</strong> ausbauen sollte, und<br />

tut Ende der achtziger Jahre die ersten erfolgreichen Schritte zur Gründung der<br />

Hamburgischen Armenanstalt, seiner geliebtesten Schöpfung, deren Einrichtungen<br />

er persönlich größtenteils in Österreich, Preußen und Frankreich eingeführt<br />

hat, und die vorbildlich für ganz Europa geworden sind. Als dann seine und<br />

seiner Freunde Begeisterung für die Ideen der Französischen Revolution ihn den<br />

Hamburger Mitbürgern verdächtig machten, tritt er eine dritte große Reise nach<br />

Eng-land an, wo er in Edinburg eifrig landwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen<br />

Studien obliegt. Von seiner Reise zurückgekehrt, verwendet er den<br />

während seiner Abwesenheit in seinem Handelshause erworbenen Reichtum teils<br />

zur Förderung seiner Armenanstalt, teils zum Ausbau der Landwirtschaft und<br />

Gartenanlagen in Flottbeck. Er führt in großem Maße den Bau der Kartoffel in<br />

Norddeutschland ein, welche sich seit der Zeit insbesondere in diesem Weltkriege<br />

als Hauptnahrungsmittel unseres Volkes bewährt hat. Auf der Höhe des Lebens<br />

stehend versammelt er in seinem Landhause in Flottbeck eine glänzende, aus<br />

allen Kulturländern herbeiströmende Gesellschaft um sich, in welcher man nicht<br />

nur, wie sein Zeitgenosse Hagedorn noch wenige Jahre vorher von den Hamburgern<br />

berichtet, von Ochsenbraten und preußischen Talern, sondern von den<br />

höchsten Fragen in Wissenschaft und Literatur reden hörte. Nachdem er darauf<br />

infolge sinkender Konjunktur im Kolonialwarenhandel und Veruntreuungen eines<br />

Angestellten den größten Teil seines Vermögens verloren hatte und sein Einkommen<br />

auf den sechsten Teil beschränkt sah, führte er mit der heiteren Ruhe<br />

des Philosophen sein geselliges Leben in dieser Beschränkung weiter und ist,<br />

auch darin seinem Freunde und Zeitgenossen Goethe vergleichbar, bis zu seinem<br />

hohen Greisenalter unermüdlich und ausdauernd mit wissenschaftlichen und<br />

literarischen Studien beschäftigt, umgeben und geliebt von Hamburgs ersten<br />

Männern und Frauen und in ununterbrochenem Verkehr mit den ersten Gelehrten,<br />

Literaten und Sozialpolitikern Englands, Frankreichs und der Schweiz, deren Kreis<br />

er auf einer 1806-1811 ausgeführten Reise noch erheblich erweiterte. In dem<br />

Flottbecker Kreise hat er Anteil an der geistigen Führung Deutschlands gehabt,<br />

die Hamburg seit der Zeit niemals wieder in dem Maße beschert gewesen ist.<br />

Die Lebensgeschichte dieses Mannes, von ihm selbst geschrieben, hat die<br />

Hamburgische Hausbibliothek für würdig befunden, als erstes Dokument zur<br />

Hamburgischen Kultur- und Sittengeschichte, und zwar unverändert, herauszugeben.<br />

…<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.6)<br />

161


Über Wissensdrang und künstlerische Bemühungen 486<br />

Mein Durst nach Wissen war unersättlich; ich hörte aufmerksam zu, wenn Männer<br />

sprachen; konnte gar gut wiedererzählen was ich gelesen und gehört hatte; aber<br />

alle Erfindungsgabe war mir versagt, sowie die Gabe der Dichtung; und bis zu<br />

meinem jetzigen 87sten Jahre, habe ich weder eine Fabel noch eine Erzählung<br />

erfinden, noch einen Vers machen können, so innig mich auch alles Schöngedachte<br />

und Gesagte ergriff und sich meinem Gedächtnis einprägte. Den Horaz<br />

las ich früh; und alle bedeutenden Stellen seiner Oden und Episteln sind mir von<br />

daher noch heute gegenwärtig. Gellerts Fabeln und die viele Stellen aus seinen<br />

geistlichen Liedern, wie aus Paul Gerhardts und Luthers Gesängen sind mir noch<br />

gegenwärtig. Gern saß ich zu den Füßen meiner Mutter, wenn sie die Laute<br />

spielte, aber talentloser wie ich war wohl nie ein Knabe. Freilich waren meine<br />

Lehrer schlecht, aber nichts wollte mir gelingen. Mein Organ war zum Vorlesen<br />

trefflich, aber kein Sington wollte aus meiner Kehle. Das mußte ich bald aufgeben.<br />

Aber bis zu meinen männlichen Jahren habe ich unglaublich viel Zeit daran verwendet,<br />

es in der Musik, im Zeichnen weiterzubringen. Auge und Ohr waren gut,<br />

alle Theorie trefflich, mein Geschmack zart, mein Urteil rein, aber nie habe ich<br />

einen Baum, eine Landschaft, nicht einen Kopf, nicht eine Hand zeichnen können.<br />

Ich kannte die Regeln der Composition vollkommen, aber hervorbringen konnte<br />

ich nichts; und mit unsäglicher Mühe konnte ich es über den Generalbaß hinaus,<br />

auf dem Klavier zu keiner Fertigkeit bringen. Das hat mich oft sehr unglücklich<br />

gemacht, aber dagegen war nichts zu thun.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.11)<br />

Über Leichtsinn und Eitelkeiten 487<br />

Zu meinen Fehlern gehörte eine Grad des Leichtsinns, von dem man sich schwerlich<br />

einen Begriff machen kann. Bei allem was ich wollte, und ich wollte viel, übersah<br />

ich alle Schwierigkeiten; kam unbesonnen und vergeßlich, in häufige Verlegenheiten,<br />

aus denen ich mich meistens nicht ohne Gewandtheit herauszog. (…)<br />

Gern sah ich alle Leute mit mir zufrieden; und diese Eitelkeit des Herzens hat<br />

mich nie verlassen. (Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg.<br />

Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung<br />

für die Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.11, 12)<br />

Über seine schwere Krankheit in der Jugend 488<br />

Dieser kleine Roman ward aber durch ein Ergebniß unterbrochen, welches<br />

meinem Leben eine ganz andere Farbe, meinem Dasein eine ernstere Haltung,<br />

einen höheren Zweck gab, eine eigene Entwicklung veranlaßte und mich zur<br />

Auszeichnung zwang. Die durch Lady Montague von Constantinopel nach London<br />

gebrachte Inoculation der Blattern war soeben in Hamburg bekannt geworden,<br />

und da gerade die Blattern der schlimmsten Art bei uns wüteten, sollten ich und<br />

meine beiden Schwestern soeben inoculiert werden, als die Seuche uns ergriff<br />

und mich besonders, auf eine fürchterliche Weise mißhandelte. Krankheiten<br />

anderer Art gesellten sich zu den Blattern, lange und oft. (…) Die Folgen dieser<br />

Krankheit wirkten mächtig auf mein künftiges Leben, gaben ihm seinen Character,<br />

und erklären die Widersprüche, die sich in demselben finden werden. (…) Genau<br />

erinnere ich mich noch heute dessen was damals in meiner Seele vorging; ich<br />

nahm in meinem Innern Abschied von einer Welt, die mein Aeußeres zurückstoßen<br />

würde. Jeder meiner Gedanken brachte mich auf mich selbst zurück; ich<br />

fühlte, ich mußte, ich würde mir selbst genug sein. Mein Inneres durch Thätigkeit<br />

162


nach Außen entwickeln und Liebe und Wohlwollen verdienen, wenn ich sie auch<br />

nicht erhalten könnte. Tief schmerzhaft und doch froh waren diese Gefühle, denen<br />

ich mich ganz überließ, und die der Grund meines Characters wurden. Meine bisherige<br />

Herzensgüte bildete sich zu einer leidenschaftlichen Menschenliebe aus.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.13, 13f)<br />

Das Erwachen der sozialen Gesinnung 489<br />

Alles Wissen schien mir eitel und leer, was nicht zum Besten der Menschheit<br />

angewendet werden könnte; und diese Stimmung ist, obgleich nur zu oft verdunkelt,<br />

mir bis in mein 87stes Jahr geblieben. Ich fühlte mich ruhig. Alles in mir<br />

und um mich war im Einklang mit meinem Streben; meine ganze Organisation war<br />

geschwächt; es war als wäre alles Sinnliche von mir abgestreift, und, wunderbar<br />

genug, was der Körper verlor, hatten die Geisteskräfte gewonnen. Mein Durst<br />

nach Wissen, mein ausdauernder Fleiß, der Schwung meiner Einbildungskraft, die<br />

Klarheit in meinem Kopf, die Wärme in meinem Herzen, alles war in einer höheren<br />

Potenz da, aber langsam, unglaublich langsam siegte der kaum merkliche Zuwachs<br />

körperlicher Lebenskräfte über die noch fortwährende innere Krankheit.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 14)<br />

Der Besuch des Gymnasiums 490<br />

Dagegen erlaubte er (der Vater, R. C.) mir den Besuch des Gymnasiums, wo ich<br />

unter Busch Mathematik und das herrlichen Collegium des alten Reimarus über<br />

die Encyklopädie hörte. Hier kam alles was von zerstreuten Ideen in meinem<br />

Kopfe war, an die gehörige Stelle und es ward lichte Ordnung in meinem Wissen.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 16)<br />

Die religiöse Entwicklung 491<br />

In meinem fünfzehnten Lebensjahre erhielt ich einen gar gründlichen Confirmationsunterricht.<br />

Der bestäubten Bücher ungeachtet, war mein Glaube ungeschwächt<br />

geblieben. Wie früher die Bücher des alten Testaments auf meine<br />

Imagination, so hatten die Bücher des neuen Testaments auf mein Herz gewirkt.<br />

Die Religion der Liebe war gar bald die meinige. Ich hatte ein Glaubensbekenntniß<br />

geschrieben, welches alle möglichen äußern und innern Beweise mit einer<br />

Schärfe darstellte, die Eltern und Tanten entzückte, und welche die Bewunderung<br />

der Prediger war, unter welchen man es circulieren ließ.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.16)<br />

Das Erwachen der Landliebe 492<br />

Ich hatte das Reiten in einer guten Schule gelernt; mein Vater hatte mir ein Pferd<br />

gegeben, dessen tägliche Benutzung vom Garten zum Comptoir mir Gesundheit<br />

und Frohsinn wieder gegeben. In weiten Umwegen durchstrich ich Dörfer und<br />

163


Felder und meine enthusiastische Liebe für die stillere Oeconomie des fleißigen<br />

Landbauers, der mit der Natur in unaufhörlichem Verkehr steht, ergriff den Jüngling<br />

wieder wie sie den Knaben ergriffen hatte.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 17f)<br />

Der Wunsch, zu reisen – aus Bildungshunger 493<br />

Mit jedem erweiterte sich mein Gesichtskreis. Mit Freuden sah ich in meinem<br />

Vater den Gedanken erwachsen, daß ein junger Mensch früh reisen müsse; den<br />

nährte ich aus allen meinen Kräften, verdoppelte meine Bemühungen auf dem<br />

Comptoir, und nun erwachte der Wunsch, der mich in meiner Abgeschiedenheit<br />

so ganz beschäftigt hatte, die große Welt, die merkwürdigen Gelehrten und<br />

berühmten Männer jeder Art in Europa und die Mittel kennen zu lernen durch<br />

welche ihnen die Cirkel der berühmten Frauen geöffnet waren, in denen hohe<br />

Geistesentwicklung so viel galt als hoher Rang. Zu wissen, ob in ihrem Hofleben<br />

und seinen Freuden das wirklich liege, was meine Phantasie mir so lebendig<br />

vorspiegelte. Ich wußte im Voraus: das sei nicht Glück, aber ich wollte durch mich<br />

selbst wissen, in welchem Verhältniß das zum Menschenglück stünde. (…)<br />

Überglücklich und mit unendlichen Aussichten verließ ich meine Eltern, an denen<br />

ich doch mit inniger Liebe hing. Ich fühlte mich frei wie der Vogel, der dem Käfig<br />

entflohen ist. Nur einmal in meinem Leben fühlte ich Ähnliches in einer höheren<br />

Potenz, 27 Jahre später, als die französische Revolution die schönsten Aussichten<br />

auf Menschenglück verbreitete. In dem Augeblick wo ich dieses schreibe,<br />

fühle ich tief, mit dankbarer Verehrung, die Wege, durch welche die Vorsehung<br />

mich zu dem leitete, was sie wollte, das ich werden sollte. Eine fürchterliche<br />

Krankheit mußte auf eine so außerordentliche Weise meine geistigen Fähigkeiten<br />

entwickeln; Sievekings Bekanntschaft mir ein neues Dasein eröffnen; das Vorurteil<br />

meiner Mutter mußte meiner Bestimmung eine andere Richtung geben, eine<br />

Revolution in Schweden mußte dem 20jährigen Jüngling eine Weltbildung verschaffen,<br />

wie sie wohl niemand so früh, und wie man ferner sehen wird, auf diese<br />

ganz eigene Art, wahrlich nicht ohne große Gefahr erhalten hat. Schwerlich hat<br />

aber auch ein Jüngling je diese Bahn so vorbereitet beschritten. Mit den neuern<br />

Sprachen und ihrer Litteratur, der neuern Geschichte, den statistischen und politischen<br />

Verhältnissen war ich viel mehr als gewöhnlich bekannt. Ich brannte vor<br />

Begierde, meine Kenntnisse zu vermehren, und was mir gänzlich fehlte, Kenntniß<br />

der Welt und Bekanntschaft mit der Welt zu erlangen.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 18, 19f)<br />

Howards Einfluss und die Entstehung der „Armenpolitik“ 494<br />

Ein ganz eigener Vorfall, der alle meine philantropischen Gefühle aufs Neue<br />

entflammte und meinen Wunsch, auf meiner Reise alle Anstalten welche die<br />

Menschenliebe zur Milderung des Elends errichtet hatte, mit Liebe zu untersuchen,<br />

war der persönliche Besuch Howard’s. Mein Vater war von 1770-72<br />

Prätor. In dieser Zeit, kurz vor meiner Abreise, kam der Mann den ich mit Enthusiasmus<br />

verehrte, auf einer Reise nach den südlichen Gegenden Deutschlands in<br />

Hamburg an. Mein Vater, sein alter Freund, unter dem die Gefängnisse und<br />

Strafhäuser standen, gab mich ihm zum Wegweiser. Zugleich mit Howard Gefängnisse<br />

zu besuchen, seine Ruhe, seine Milde, mit der er das Zutrauen aller<br />

Gefangenen erhielt, die Klarheit seiner Bemerkungen zu bewundern, das alles in<br />

164


meinem 19ten Jahre! Ich kann nicht sagen wie mich das ergriff, was für Ansichten<br />

das in mir erregte, wie ich mir den Schwur abnahm, in meinen späteren Jahren<br />

die Muße, welche Berufsgeschäfte mir lassen würden, so gemeinnützig als<br />

möglich zu machen.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 20)<br />

Freundschaften als „soziale Aktionsbündnisse“ 495<br />

Hier (in Genthod in der Schweiz, R. C.) brachte ich mehrere Tage mit Müller und<br />

mit Bonstetten zu, beide meines Alters. Aus Bonstettens Briefen an Müller<br />

leuchtet der Geist hervor, der damals diese jungen Männer meines Alters<br />

beseelte. Es war eben der Geist, der immer in meinem Innern loderte, wenn<br />

mächtige äußere Eindrücke auch sein Aufflammen verhindern konnten. Hier<br />

brannten unsere Herzen vereint für höhere Ausbildung zu gemeinnützigen<br />

Zwecken. Lebhaft stehen diese Tage vor mir wie der heilige Schwur, mit dem wir<br />

uns verbanden und die Freundschaft die bis zum Tode beider Männer, besonders<br />

des letzten ungeschwächt gedauert hat.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.34)<br />

Das Erlebnis Rom 496<br />

(In Rom, R. C.) schien ich (…) von dem Taumel zu erwachen, in welchem ich in<br />

der ersten Gesellschaft Europas fast 2 Jahre hindurch gelebt hatte. Alles war<br />

übermäßig erfüllt worden, was ich mir in meinen frühen Jünglingsjahren geträumt<br />

hatte. Mit blieb vom Leben an den Höfen und von der Kenntniß aller der Freuden,<br />

die ihre hohe Ausbildung und ihre Pracht geben kann, nichts neues zu erfahren<br />

übrig; und so geistreich ich mir auch dieses Leben zu machen gesucht hatte, so<br />

fühlte meine nie befriedigte Wiß- und Thatbegierde eine Leere, die nur durch<br />

ernste Studien ausgefüllt werden konnte. So wurden die 7 Monate meines Aufenthalts<br />

in Rom für mich von der höchsten Bedeutung.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.36)<br />

Über die Liebe zu seinen Eltern 497<br />

Innig rührten mich die Freudenthränen meines Vaters und meiner Mutter; ich<br />

liebte sie von ganzer Seele. Wie viel war ich der gütigen Nachsicht meines Vaters<br />

schuldig. „Weine nicht, mein Sohn“, sagte der gute Alte, als auch meine Thränen<br />

flossen, „wir haben Dich ja wieder.“ In meinem Innern sprach sich der Schwur<br />

aus, ihr Glück zu dem ersten Zweck meines Lebens zu machen, und jetzt, im<br />

87sten Jahre meine Lebens, ist es mir ein hohes, unaussprechliches Gefühl,<br />

diesen Schwur auch nicht auf eine Stunde vergessen zu haben.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.34)<br />

165


Geistige Unabhängigkeit wichtiger als das „Geschäft“ 498<br />

Ich habe nie den Gedanken ausstehen können, die kostbare Lebenszeit zur Vermehrung<br />

des Vermögens zu verwenden. Meiner geistigen Unabhängigkeit war<br />

(welches wohl nur mit Idiosyncrasie zu entschuldigen ist) jedes Geschäft zuwider,<br />

das meine Thätigkeit beschränken konnte.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 44)<br />

Tod des Vaters, Erwachsenwerden 499<br />

Im Jahre 1781 starb mein Vater im 73sten Jahre; ein tiefer Schmerz erfüllte mich<br />

über seinen Verlust, es war das Ende meiner sorglosen Jugend. Das Schicksal<br />

hatte mich bisher verhätschelt; von nun an ward ich ein Mann, und die Erziehung<br />

des Schicksals begann. Ich hatte bisher nie über mich reflectiert, nun lernte ich<br />

mich erst selbst kennen. Eine herbe Hand ließ tief mich fühlen, wie inner Triebe<br />

mich von einer Bahn entfernten, zu der mein unwandelbares Streben zu allem<br />

was gute und edel war, mich mit belohnendem Bewusstsein zurückführte, und<br />

wo ich jedesmal der Vervollkommnung näher kam, oft schon alles überwunden<br />

zu haben glaubte, wenn neuer Schmerz mich enttäuschte. So wurden unbekannte<br />

Kräfte in mir entwickelt, und ich durch den Wechsel der höchsten Freuden, die ein<br />

Mensch genießen kann, und den tiefsten Schmerz, dessen ein empfindendes<br />

Herz fähig ist, dahin gebracht, meine Ruhe und mein Glück, unabhängig von<br />

allem Aeußern, selbst von den Folgen meiner besten Handlungen, zu machen.<br />

(…) Mir, der ich Geldgeschäfte auf den Tod haßte und nicht verstand, mir ward<br />

die große Pflicht, das in der Handlung befindliche große Vermögen meiner Mutter<br />

zu administrieren. Ich liebte meine Mutter innig, und der Gedanke, das Unglück in<br />

den Geschäften sie um ihr Vermögen bringen könnte, bewog mich schon in den<br />

erste Jahren den bei weitem größten Teil des Vermögens der Handlung zu entziehen,<br />

weil bei dem Abscheu vor jeder Beschränkung meiner Kräfte das Wirken<br />

in einem engen geistlosen Kreis mir durchaus unmöglich war. Da ich über die<br />

Sicherheit des Vermögens meiner Mutter beruhigt war, wollte ich die Kräfte, die<br />

ich in mir fühlte, benutzen, um schnell dahin zu kommen, die Fesseln abzuwerfen,<br />

die mich drückten.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 47)<br />

Beginn in Klein-Flottbek – sein „Arkadien“ 500<br />

So war es besonders im Jahre 1785, als ein Bauerngut am schönen Elbufer, in<br />

Klein Flottbeck gelegen, zu Kauf kam. Ich erstand es, und auch das ward ein<br />

bedeutender Punkt in meinem Leben. Von der Eitelkeit und dem Wunsch nach<br />

Reichtum schnell geheilt, ließ ich innerhalb der Tore Hamburgs allen Kummer,<br />

der mich druckte, und unglaublich groß war der Naturgenuß, denn ich in dem<br />

Gütchen, zu dem ich jeden Abend hinausflüchtete, genoß, und wo alle Träume<br />

meiner Kindheit verwirklicht wurden. Wie frei atmete die sich selbst wiedergegebene<br />

Seele, wenn sie vom unangenehmen, drückenden Geschäft entledigt,<br />

wenn der Blick zuerst wieder auf die Wasserbucht in Flottbeck und die hohen<br />

Eichen fiel.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 48)<br />

166


Streben nach Pflichterfüllung 501<br />

Seit 1781 hatte ich es in mir entdeckt, was mir noch jetzt geblieben ist, daß wenn<br />

etwas Pflichtmäßiges oder meinem Streben gemäßes mich beschäftigte, ich ihm<br />

ganz gewidmet war, ich nichts zu tun geglaubt hätte, bliebe noch etwas zu tun<br />

übrig; …<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 48)<br />

Fähigkeit zur „Priorisierung“ 502<br />

Ich hatte das Talent, und habe es immer gehabt, was mich drückte, auf die Seite<br />

zu legen, und mir nur dann wieder aufzuladen, wenn es nötig war.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 48)<br />

Über seine „Armenanstalt“ 503<br />

Ich war in zwei bedeutenden bürgerlichen Officien werkthätig gewesen, aber das<br />

so wenig als der gestillte Durst des Wissens genügte meinem unwiderstehlichen<br />

Trieb zur Gemeinnützigkeit, als glücklicherweise in den Jahren 1786-87 das unsägliche<br />

Elend der untern Klassen in Hamburg, die ungeheuerste Bettelei, endlich<br />

einige Schriften des guten Professor Büsch und einige meiner Aufsätze, meine<br />

Mühe in den Versammlungen der patriotischen Gesellschaft das gesamte Publicum<br />

endlich zu dem einmütigen Entschuß gebracht hatte, diesem Elend durch<br />

eine verbesserte Armenordnung abzuhelfen. Büsch, der Syndicus Madsen, mein<br />

Freund Günther und ich setzten einen Plan durch, wie die Bürger selbst zu Vätern<br />

und Versorgern der Armen werden könnten. So etwas war bisher noch nirgend<br />

versucht worden. (…) und mit einer Energie, die (…) durch ein kräftiges Wollen<br />

gestählt wurde, überwand ich alle Schwierigkeiten, organisierte Arbeitsanstalten<br />

und Schulen und hatte das Glück, beides nicht nur zur Unterstützung der Armen,<br />

sondern auch in der Folge als Verhütung der Armut benutzen zu können. Über<br />

das, wie das geschah, verweise ich auf die von mir verfaßte 1838 gedruckte<br />

50jährige Geschichte der Anstalt. So war ich bis zum Jahre 1797 überschwänglich<br />

glücklich, über meine Lage beruhigt von der dankbaren Achtung meiner 300<br />

Mitarbeiter, der Behörden und der Bürgerschaft umgeben, von meinen Freunden<br />

geliebt, dankte ich der Vorsehung für die Leiden, die mich dahin geführt hatten.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 49f)<br />

Freiheitsliebe und Französische Revolution 504<br />

Unterdessen hatte die in Frankreich aufgehende Morgenröte der Freiheit das Herz<br />

aller Edlen in Deutschland entzückt, und in dem Kreise der so innig geachteten<br />

Geliebten, mit denen ich, zugleich so nützlich beschäftigt, die seligsten Tage<br />

meines bisherigen Lebens durchlebte, unsere Herzen mit der heiligen Flamme<br />

entzündet, die im Lande der werdenden Freiheit so hohe Thaten hervorgebracht<br />

hatte. Mit Innigkeit feierten wir die Feste der Freiheit, wo Klopstock und die<br />

Stolberge präsidierten.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 50)<br />

167


Über „seine“ Tagelöhner 505<br />

Flottbeck war unterdessen vergrößert und verschönert worden. Glückliche Tagelöhnerfamilien<br />

saßen am Sonntag vor den freundlichen Wohnungen, dich ihnen<br />

erbaut hatte, mit ihren in eigener malerischer Landestracht wohlgekleideten<br />

Kindern, die ich durch einen jungen genialen Mann, der sie auch Gesang und<br />

Musik lehrte, zu höherer Bildung, bei einfachen Sitten erziehen ließ, und frühe an<br />

ländliche Arbeit gewöhnte. Feste der Saat und der Erndte, des Alters und der<br />

Jugend, wechselten mit einander ab, von dem trefflichen Unzer besungen, und<br />

meinen Freunden geweiht, welche die schönere Jahreszeit in meiner Strohhütte<br />

und unter dem Schatten meiner Eichen zubrachten.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 50)<br />

Über seine Studien in England und Schottland 506<br />

Ich machte während 2 Jahren die unterrichtendsten Besuche den Gutsbesitzern<br />

und Pächtern, den Besitzern der schönsten <strong>Park</strong>s in den drei Königreichen. Mein<br />

Enthusiasmus für die Kunst gewann mir das Entgegenkommen aller und die<br />

Freundlichkeit der vornehmsten und würdigsten unter ihnen. Von da an zählt<br />

meine Freundschaft mit Arthur Young, Lord Landsdowne, dem Herzog von<br />

Rutland und von Argyll, von Bedford und dem Sir John Sinclair, der mich zum<br />

Mitglied und Mitarbeiter des „Board of agriculture“ machte, und von dem ich noch<br />

8 Tage vor seinem kürzlich erfolgten Tode einen Brief erhielt. Genau besichtigte<br />

ich die häufigen, über ganz England verstreuten Anstalten, die nach Howard’s<br />

Plan angelegten Besserungshäuser und Gefängnisse, und meines Freundes<br />

Raykis jährlich neu entstehende Sonntagsschulen. Sechs Monate folgte ich in<br />

Edinburgh den „collegeïs“ des ehrwürdigen Blake, Vater der neuen Chemie,<br />

Dougald Stewarts „philosophy of the human mind“, hörte Landwirtschaft bei<br />

Coventry, Anatomie und Geschichte. Ich hatte meinen Koch und meine Laute<br />

nach Edinburgh nachkommen lassen und hielt in „Queens street“ ein Haus, in<br />

welchem sich alles versammelte, was Edinburgh von Intresantem enthielt.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 58f)<br />

Taten statt Worte 507<br />

Ich habe von jeher immer Widerwillen dagegen gehabt, als Schriftsteller zu erscheinen<br />

... Nicht Worte wollte ich, sondern That, und unvergesslich blieben mir<br />

die Worte des griechischen Baumeisters, der in einer Versammlung von dem Volk<br />

den unpractischen Reden seiner Collegen ruhig zuhörte, und dann sich an das<br />

Volk mit den Worten wandte: „Was diese Herren sagten, will ich thun“.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S.59)<br />

Über seine „Armenarbeit“ unter Joseph II. und<br />

seinen Adelstitel 508<br />

Ich ward dem Gebrauch der Wasser, den Naturschönheiten des Ortes, denen ich<br />

nach meiner Art noch eine hinzuzufügen suchte, den Reizen der Gesellschaft,<br />

welche mir die Freundschaft der Fürstin Solms, der Herzogin von Curland und<br />

ihrer Tochter und Goethens bereitete, die Rückkehr meiner Gesundheit schuldig,<br />

als bei meinem 2ten Aufenthalt 1801 mich in Carlsbad ein Schreiben des Grafen<br />

168


Lamberti, Adjudant des Kaisers von Österreich, mit dem Wunsch des Monarchen<br />

bekannt machte, daß ich nach Wien kommen und meinen Rat der Verbesserungen<br />

des Armenwesens geben möchte, mit denen man sich eben damals<br />

beschäftigen wollte. Es lag nicht in mir, dem Ruf zu widerstehen. Ich eilte nach<br />

Wien und hatte sofort einige Audienzen beim Kaiser, der mir erlaubte, ihm meine<br />

Grundsätze über Armenversorgung vorzutragen. Mehrmals sagte der gute Kaiser:<br />

„Das ist gut, das ist schön, das müssen wir haben, ich will mit Coloredo sprechen,<br />

der soll Sie mit den Behörden in den ersten Städten meines Reichs in Verbindung<br />

setzen. Ich möchte, daß sich das alles auf einmal machte.“ (…) Ich schlug den<br />

Leo-poldsorden aus, den seine Dankbarkeit mir geben wollte. Mein unwiderstehlicher<br />

Trieb zur Unabhängigkeit lehnte sich gegen das, wenn auch leise, Band auf,<br />

welches mich an irgend eine Regierung zu fesseln schien. Die Würde eines<br />

Reichsfreiherrn (damals bestand das römische Reich noch) konnte ich nicht<br />

abschlagen, weil es mich zu nichts verband.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 61, 61f)<br />

Die „Armenarbeit“ in Berlin 509<br />

Im Winter 1802 kam an mich ein ähnliches Ansinnen aus Berlin. Der geheime<br />

Cabinetsrath Beyme führte mich zum Könige, der auf die verbindlichste Weise<br />

von mir verlangte, daß ich ihm meine Ansicht über die Armenhäuser und Armenanstalten<br />

in Berlin geben möchte. Ich that es, und als das geschehen war, folgte<br />

die Bitte, einer von seiner Majestät ernannten Commission meine Gedanken über<br />

eine Organisation der Armenanstalten selbst mitzutheilen. Die liebenswürdige<br />

Königin nahm an dem Fortgang meiner Arbeiten den wärmsten Anteil.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 62)<br />

Über die Erfolge der Armenanstalt in Hamburg 510<br />

Nach Hamburg zurückgekommen, fand ich die Armenanstalt im höchsten Flor.<br />

Auf den Punkte gekommen, der während 15 Jahre der Zweck meines unablässigen<br />

Strebens gewesen war, daß nämlich durch Erziehung der Kinder zur<br />

Industrie, durch Beschäftigung der Erwachsenen, durch zeitig angebotene zweckmäßige<br />

Hülfe jede Art der Verarmung verhindert war, die Bettelei aufgehört hatte,<br />

und dem Pauperismus, diesem Krebsübel des Staates ein Ende gemacht war.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 62)<br />

Über den Erfolg des Mustergutes 511<br />

Die Kultur Flottbecks war glänzend und einträglich, weil noch weder die neuen<br />

Gegenstände der Cultur, noch die Art mit welcher und die Maschinen, durch<br />

welche sie behaut wurden, bekannt genug geworden waren, um die hohen Preise<br />

der Producte herunterzubringen. Meine Baumschule hatte besonders Fortschritte<br />

gemacht, auf die ich nicht gerechnet hatte.<br />

169


Meine Liquidation war gänzlich beendigt, und ich genoß mit den Freunden meiner<br />

Seele in Flottbeck und Neumühlen das Höchste dessen, was Menschen für einander<br />

sein können.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 62f)<br />

Über die napoleonische Elbblockade 512<br />

Durch mein immer sicherer gewordenes Bewußtsein, welches mich über das, was<br />

die Menschen Schicksal nennen, durch unbegrenztes Vertrauen in ewige Liebe<br />

und Güte erhob, trauerte ich in tiefer Ergebung darüber, daß die Sperrung der<br />

Elbe, die Besetzung durch die Franzosen, und was ich böseres ahnend voraussah,<br />

dem 15jährigen Werke meines Lebens und meiner Liebe Zerstörung gerade<br />

in dem Augenblick drohe, wo der Vollgenuß der errungenen und mit Millionen<br />

bezahlten Vortheile Wohlstand und Sittlichkeit auf die unteren Klassen Hamburgs<br />

auf immer verbreitet haben würde.<br />

(Caspar Voght, Baron Kaspar von Voght, Lebensgeschichte, Hg. Gesellschaft<br />

Hamburgischer Kunstfreunde / Patriotische Gesellschaft / Lehrervereinigung für die<br />

Pflege der künstlerischen Bildung, Hamburg 1917, S. 63)<br />

170


5. Zusammenfassend zu Voghts Werk und Wirkung:<br />

Flottbeks geistes- und sozialgeschichtliche<br />

Bedeutung 513<br />

Flottbek ist in seiner Art einmalig auf der Welt. … (Es) ist, prägnant formuliert, die<br />

einzige Verwirklichung der neuhumanistischen bildungspolitischen Anthropologie,<br />

welche mit einer Einheit von emanzipatorischer Sozialpolitik, ökologischem<br />

Denken und Ästhetik im Menschen einen Wall gegen die aufziehenden<br />

Entfremdungstendenzen des Industriezeitalters errichten wollte.<br />

Caspar Voght stand in enger Beziehung zu den Denkern der klassischen<br />

deutschen Bewegung, ein wichtiger Grund, warum ihm – obwohl er selbst nur in<br />

dem Bewusstsein handelte, bekannte und gängige Vorbilder zu wiederholen – vor<br />

dem Hintergrund der Spannweite seiner Kenntnisse und Interessen „unter der<br />

Hand“ das Einmalige gelingen konnte. …<br />

Flottbek war, in wahrscheinlich so umfassend gar nicht beabsichtigter Weise, ein<br />

die ganze Lebensführung ihrer Bewohner durchdringender Ernstfall: Ein Modell<br />

für eine ganzheitliche ökonomisch, ökologisch, sozial und ästhetisch<br />

durchgeformte Kulturlandschaft, die durch die Einheit dieser Aspekte<br />

volkserzieherisch wirken sollte. Es war eine „Landschaft“, in der den<br />

Eigengesetzen der Natur ebenso ausgewogen Raum gegeben war, wie ihrer<br />

Indienstnahme durch den Menschen; eine „Landschaft“, in der der Mensch seine<br />

Begrenztheit durch die Natur und durch die sozialen Bedingungen zwar erfährt,<br />

aber dadurch frei wird für einen klugen, die Identität fördernden Umgang mit<br />

ihnen.<br />

Flottbek bildete eine landschaftliche und soziale Verfasstheit, die den Menschen<br />

wie der Natur „gerecht“ werden sollte. Dies ist nun nicht weniger als Kants „Idee<br />

der ästhetischen Zweckmäßigkeit“, jenes vernunftgemäße Ideal, für dessen<br />

Realisierung am Beginn des Industriezeitalters auch die deutschen Neu-<br />

Humanisten erzieherisch und politisch arbeiteten. Als in kleinem Rahmen<br />

verwirklichtes Modell dieses Ideals ist Flottbek einzigartig.<br />

(Peter Klein, Caspar Voghts Flottbek – Bürgerliche Aufklärung und humanistische<br />

Sozialpolitik am Beginn des Industriezeitalters, in: Staatspolitische Gesellschaft (Hg.),<br />

Aus der Geschichte Altonas und der Elbvororte, Hamburg, o.J., S. 43f, 66f)<br />

(Anmerkung R.C.: Zu dieser m.E. zentralen Aussage zu Voghts Wirken und<br />

Wirkung sollten als Material und Beleg u.a. die folgenden Zitate<br />

herangezogen werden: 476 zu Rousseau, 347, 352, 354, 362, 363, 364, 392,<br />

zu Wörlitz als Parallele, 473 und 474 zu Kants „Einheit der Vernunft“, 464 bis<br />

470 zur Sozialpolitik, 451 und 461 zur Ökologischen Ästhetik, 62, 477 und<br />

478 zur Ästhetischen Synthese)<br />

171


AUSKLANG:<br />

Zur Entwicklung der Hamburgischen Garten- und<br />

<strong>Park</strong>kultur – Von Barockgärten über Reformgärten zum<br />

Volks- und Stadtpark<br />

Hamburg, Deutschlands Hochburg der Barock-Gärten 515<br />

Hamburgs Gärten müssen zur Zeit des Barocks nach Beschreibungen in der<br />

Literatur nicht nur sehr zahlreich, sondern auch besonders schön und prächtig<br />

gewesen sein. „Hast du Lust Fürstliche Gahrten zu sehen / so komm nur nach<br />

Hamburg / da kann man dir nicht einen / nicht fünf / nicht zehn / nicht dreißig /<br />

vierzig / fünfzig welche mehrentheils des stattlichen Fürstlichen Gahrten wenig /<br />

ja wohl gahr nichtes nachgeben / zeigen“ *, schrieb 1663 der Wedeler Pastor,<br />

Dichter und bekennender Gartenliebhaber Johann Rist (1607-1667) über die<br />

Stadt an der Elbe.<br />

(Claudia Horbas, Hamburgs Gärten seit dem 17. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche<br />

Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für<br />

Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S.<br />

10)<br />

* (Johann Rist, Das alleredelste Leben der ganzen Welt…, Hamburg 1663)<br />

Stadtflucht und Reichtum: Hamburg als „Gartenparadies“ 516<br />

Betrachten wir die alten Stadtpläne und Stadtansichten Hamburgs mit ihrer<br />

dichten Bebauung, wie sie seit dem Spätmittelalter das Stadtbild prägte, wird<br />

dieser Wunsch nur allzu verständlich, zumal wir uns dazu noch den dort<br />

herrschenden Lichtmangel und die unvermeidlichen Geruchs- und Lärmbelästigungen<br />

eine regen Handels- und Hafenstadt vorstellen müssen.<br />

(Gisela Jaacks, Vorwort zum Ausstellungskatalog „Die unaufhörliche Gartenlust“,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 8)<br />

Hamburg: im 17. Jahrhundert eine Garten- und <strong>Park</strong>stadt 517<br />

„Der allgemeine Hang zum Gartenleben ist für Hamburg gewissermaßen ein<br />

charakteristischer Zug. Ich kenne keine andere Stadt, die mit Vorstädten von<br />

Gärten und Gartendörfern so rings umgeben ist. (…) Am Elbufer die Gärten von<br />

Ottensen hinab bis an die Blankeneser Hügel und tiefer im Lande; in Eimsbüttel<br />

und in verschiedenen Dörfern. In der jetzt allgemein gesuchten Dammthorgegend,<br />

die sich unmittelbar vom Thor nach allen Seiten streckenden aneinanderhängenden<br />

oder einzeln angelegten Gärten; am Alsterufer bis Eppendorf, aufwärts und<br />

tiefer in vielen Dörfern.“ *<br />

Diese Schilderung des Domherren Johann Lorenz Meyer vom des 19. Jahrhunderts,<br />

benennt Stadtteile, deren Tradition als grüne Vorstädte auch heute noch<br />

evident ist.<br />

(Ilse-Marie Rüttgerodt-Riechmann, Historisches Grün in Hamburg, in: Historisches Grün<br />

und Denkmalschutz, Kulturbehörde Hamburg / Denkmalschutzamt (Hg.), Heft 9 der Reihe<br />

Denkmalpflege Hamburg, Hamburg 1992, S. 8)<br />

* (Friedrich Johann Lorenz Meyer, Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg, Hamburg<br />

1801)<br />

172


Hamburg – eine Gartenstadt 518<br />

Der Ausspruch des Erasmus von Rotterdam über seinen Garten zu Basel<br />

wird selbst den Kaufleuten der Wasserkante nicht fremd geblieben sein. Er<br />

besagt: Der Ort ist dem ehrbaren Vergnügen geweiht, die Augen zu<br />

ergötzen, die Nase zu erfrischen, den Geist anzuregen.* Alle alten<br />

Ansichten von Hamburg weisen es als Gartenstadt aus.<br />

(Hans Leip [1893-1983], Hamburgischer Dichter, Die unaufhörliche Gartenlust. Ein<br />

Hamburger Brevier. Hamburg 1953, Neuauflage 2004, S. 21)<br />

* (Erasmus von Rotterdam [1466-1536], niederländischer Humanist)<br />

Große Beispiele des Englischen Landschaftsparks<br />

in Hamburg 519<br />

Die neue, aus England kommende Strömung wendet sich nun ausdrücklich gegen<br />

diese formalen Motive und fordert die Entfaltung der „Natur“, wenn auch in<br />

kontrollierter Form, also nach einer geplanten Anlage. Gerhard Hirschfeld<br />

(in dem hier zitierten Buch, R.C.) erläutert in seinem Beitrag (…) die Grundlagen<br />

dieser Strömung, beschreibt vorbildhafte englische Anlagen, etwa Kew Gardens,<br />

und geht auf die wichtigsten ersten Beispiele in Hamburg ein: Caspar Voghts<br />

„ornamented farm“ in Klein-Flottbek, den <strong>Park</strong> des Kommerzienrats Baur an der<br />

Elbe, der durch seine Ausstattung mit Architekturelementen und der Ausbildung<br />

von „Blicken“ nach dem Prinzip der Malerei alle Prinzipien des Landschaftsgartens<br />

umsetzt, sowie den <strong>Park</strong> von Schloss Wandsbek.<br />

(Claudia Horbas, Hamburgs Gärten seit dem 17. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche<br />

Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für<br />

Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S.<br />

31, 33)<br />

Der geistige Hintergrund: Aufklärung in Hamburg 520<br />

Das bürgerliche Hamburg galt, unter anderem mit den beiden Reimarus, als<br />

Hochburg der Aufklärung in Deutschland. Der Vater Hermann Samuel (1694-<br />

1768), Professor am Akademischen Gymnasium des Johanneum war dabei vor<br />

allem bekannt als der Verfasser einer „Abhandlung über die vornehmsten<br />

Wahrheiten de natürlichen Religionen“. In Wahrheit war dies eine der radikalsten<br />

antichristlichen Schriften des Jahrhunderts, zu der er sich zu Lebzeiten nie<br />

öffentlich bekennen konnte. Sein Sohn Dr. med. Johann Albert Heinrich (1729-<br />

1814) wurde nach längeren Aufenthalten in England und Holland wie sein Vater<br />

Lehrer am Akademischen Gymnasium. Zusammen mit Georg Büsch und einer<br />

Reihe von Kaufleuten gründeten sie in der Hansestadt 1765 eine Gesellschaft,<br />

deren erklärtes Ziel es war, die Gedanken der aus Frankreich kommenden und<br />

die Welt erobernden Geistesbewegung zu verbreiten und sie im praktischen<br />

Leben umzusetzen, die „Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste<br />

und nützlichen Gewerbe“, kurz die „Patriotische Gesellschaft“ genannt. Der<br />

Naturwissenschaftler Reimarus führte den Blitzableiter ein, aber auch Armenfürsorge<br />

wurde betrieben, nicht nur unterstützender Art, sondern ganz im Sinne<br />

der Aufklärung: Bekämpfung durch Bildung und Ausbildung.<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 196f)<br />

(Anm. R. C.: siehe zur Armenpflege die entsprechenden Stichworte bei Caspar Voght,<br />

465-470 und 495, 504, 509-511)<br />

173


Voght und Arens auf Bildungsreise – Beginn einer<br />

fruchbaren Zusammenarbeit 521<br />

Nach dem Vorbild englischer Adliger, eine Bildungsreise durch den Kontinent zu<br />

unternehmen, handelten in Deutschland nicht nur junge Prinzen und zukünftige<br />

Regenten, sonder auch die Söhne hanseatischer Kaufleute. Natürlich waren Rom,<br />

Venedig, Neapel und Paris die angesagten Reiseziele, aber auch zunehmend die<br />

durch Golfstrom und ausgleichendes Seeklima bevorzugte Insel mit ihren inzwischen<br />

als Wunderwerke bekannt gewordenen Gärten und <strong>Park</strong>s. Zwei bürgerliche<br />

junge Leute, der zur Zeit seiner Reise im Jahr 1771 achtzehnjährige Caspar<br />

Voght (1752-1839) und der fünf Jahre jüngere Johann August Arens (1757-1806),<br />

Sohn eines Tischlermeisters aus Hamburg, der 1786 unterwegs war, sollten sich<br />

später nach ihren Reisen treffen. Beide beseelt vom Gedanken, diese dort gesehenen<br />

Anlagen, die fein gestalteten Landschaften und „Gegenden“ auch in<br />

Hamburg zu verwirklichen.<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 201)<br />

Arens Bedeutung als Architekt und <strong>Park</strong>gestalter 522<br />

Seine (Arens, R. C.) Rückkehr nach Hamburg veranlasste den sorgfältigen Beobachter<br />

und höchst zutreffend formulierenden Domherrn Friedrich Johann Lorenz<br />

Meyer (1760-1840) 1801 in geradezu euphorischen Worten im Nachhinein zu<br />

würdigen: „Wir dürfen uns rühmen seit der Rückkehr unseres Arens, aus Italien,<br />

Frankreich und England, eine Gartenkultur von Geschmack und Einsicht zu<br />

besitzen. Er ist Architekt und Landschaftszeichner und verbindet, mit einem<br />

richtigen Blick und Urtheil, erfinderisches Genie. Seine Ankunft vor fünfzehn<br />

Jahren war die Epoke der Gartenverschönerungen und neuer glücklicher Anlagen<br />

in unseren Gegenden.“ *<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 202f)<br />

* (Friedrich Johann Lorenz Meyer, Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg, Hamburg<br />

1801)<br />

Rückblick auf die „grotesken“ Barock-Gärten 523<br />

Alle drei Reisenden (Voght, Arens und v. Schimmelmann, R.C.) haben eines<br />

gemeinsam: Durch ihre Anschauung, ihren Bericht nach der Rückkehr und ihr<br />

anschließendes Wirken in Hamburg haben sie das ausgelöst, was der Domherr<br />

Meyer als „Gartenkultur von Geschmack und Einsicht“ bezeichnete. Was war<br />

denn vorher? Lesen wir wieder den Chronisten Meyer aus der Sicht des gerade<br />

beginnenden Jahrhunderts: „Wenn ich mir noch die grotesken Ansichten unserer<br />

ehemaligen Gärten vor dem Steinthor, von Hamm bis in Billwärder, vergegenwärtige.<br />

Dies dicken Hecken, womit sie alle durchzogen und eingemauert waren,<br />

ohne Aussicht, als höchstens durch einige darin hoch und schmal eingeschnittene<br />

Fensterformen, diese mageren im Winde schwankenden Schwibbögen, die aus<br />

Buschwerk geschnitzt, in langen Reihen oder im Viereck und Halbcirkel die Blumenparterre<br />

umgaben; diese in Schnirkeln angelegten mit Buchsbaumzäumen<br />

eingefassten Blumenbeeten, diese Sterne, und andere aus Steinkohlenschlacken,<br />

Austernschalen und Porzellainscherben gebildeten geometrischen Figuren …“. *<br />

174


Ein wirklich vernichtendes Urteil über die Gärten, die wir heute durchaus zu Recht<br />

als Blüte bürgerlicher Gartenkunst in der Barockzeit bezeichnet. Aber sie zeigen<br />

Beengtheit – man wollte Weite. Sie sind gekünstelt – man wollte natürliche Schönheit.<br />

Sie vermitteln Strenge – man wollte die freie Entfaltung des Geistes auch<br />

und gerade in den Gärten, die den Eindruck von freier Natur darzustellen hatten.<br />

Betrachten wir den Text genau: Meyer schreibt 1801 in der Vergangenheitsform,<br />

die Gärten gab es also zu der Zeit nicht mehr, die „Revolution“ hatte eingeschlagen!<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 205)<br />

* (Friedrich Johann Lorenz Meyer, Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg, Hamburg<br />

1801)<br />

Die Englischen <strong>Park</strong>s an der Elbe 524<br />

Eine ungebrochene Faszination zieht seit dem 17. Jahrhundert erholungssuchende<br />

Städter an das Ufer der Elbe zwischen Neumühlen und Blankenese.<br />

Der Wunsch vermögender Kaufleute aus Altona und Hamburg, ein ländliches<br />

Refugium entlang der heutigen Elbchaussee zu besitzen, hat das landschaftlich<br />

reizvolle Gebiet durch die Besiedelung mit repräsentativen Landsitzen entscheiden<br />

geprägt. Begünstigt durch den Gottorfer Vertrag von 1768, der es<br />

Hamburgern erleichterte, sich auf holsteinischem Gebiet (damals dänisch, R.C.)<br />

niederzulassen, entstanden besonders ab 1780 zahlreiche Landhäuser inmitten<br />

ausgedehnter <strong>Park</strong>anlagen. Im Gegensatz zu den älteren „Lustgärten“, etwas<br />

Jencquels Garten in Neumühlen, die von Barocker Gartenkunst mit symmetrischen<br />

Grundrissen, geometrisch geformten Heckenwenden und Boskettgärten<br />

bestimmt waren, legte man nun weitläufige parkartige Landschaftsgärten an. Sie<br />

orientierten an Englischen Gärten, deren betont naturnahe Gestaltung untrennbar<br />

mit den fortschrittlichen Idealen der Aufklärung verbunden ist.<br />

(Sabine Blumenröder, Caspar Voght und sein englisches Mustergut an der Elbe, in:<br />

Sabine Blumenröder, Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen,<br />

Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990,<br />

Altonaer Museum (Hg.), Hamburg 1990, S. 4)<br />

Die Sonderstellung des Voght’schen Mustergutes 525<br />

Im Gegensatz zu den sonstigen Landsitzen auf dem hohen Elbufer zeichnet sich<br />

das ehemals Voght’sche Anwesen dadurch aus, dass es nicht wie üblich aus<br />

herrschaftlichem Landhaus mit Garten und <strong>Park</strong> besteht, zu dem sich vielleicht<br />

noch ein Kutscher- oder ein Gärtnerhaus gesellt, sondern dass es zwischen<br />

Othmarschen Groß Flottbek, Nienstedten und Elbe eine ganze Kulturlandschaft<br />

geprägt hat. Sie liegt wie im Falle des Jenisch-<strong>Park</strong>s noch offen vor Augen oder<br />

ist in der Überschichtung durch die Großstadtlandschaft, in Form von Besiedelung<br />

oder freiräumlicher Umnutzung vielerorts noch spurenhaft zu entdecken. (…)<br />

So ordnet sich das ehemalige Gut wiederum einem größeren Zusammenhang<br />

unter: Elbufer-Landschaft mit Elbufer-Landsitzen. Es nimmt aber hierin auf Grund<br />

seiner regionalen und überregionalen Einzigartigkeit, in seiner typologischen<br />

Charakteristik als ornamented farm, eine Sonderstellung ein. Vergleichbare<br />

Landsitze dieses Typus sind in Norddeutschland nicht vorgekommen.<br />

175


(Frank Pieter Hesse, Die Denkmal-Landschaft von Klein Flottbek. Ein konservatorischer<br />

Streifzug durch das ehemalige Mustergut von Caspar Voght, in: Sabine Blumenröder,<br />

Sylvia Borgmann u.a., Von der Schönheit des Nützlichen, Ausstellungskatalog der<br />

gleichnamigen Ausstellung im Ernst Barlach Haus 1990, Altonaer Museum (Hg.),<br />

Hamburg 1990, S. 17f, 25)<br />

Die Verbreitung und „Verfälschung“ des Landschaftsparks 526<br />

Das Ideal des Landschaftsgartens versuchen schließlich auch viele Gartenbesitzer<br />

auf recht kleinem Raum, zum Beispiel an der Alster, zu verwirklichen. (…)<br />

Bestandteil dieser Gärten sind übrigens sehr früh, bereits in den englischen<br />

Vorbildern, etwa Kew Gardens, auch formal gestaltete Elemente, wie man sie aus<br />

dem Barock kennt, zum Beispiel Blumenbeete in geometrischer Form, Reihen von<br />

Kübelpflanzen, gestutzte Heckenlauben, bewachsene Bögen und Pergolen und<br />

Ähnliches.<br />

(Claudia Horbas, Hamburgs Gärten seit dem 17. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche<br />

Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für<br />

Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006,<br />

S. 33, 34)<br />

Die Ablösung der Landschaftsparks 527<br />

Damit ist diese Periode der fantasiereichen, ästhetisierenden Landschaftsschöpfungen<br />

nicht nur für Hamburg abgeschlossen. Das Biedermeier, aber noch viel<br />

stärker das ausgehende Jahrhundert „bedienen“ sich zwar weiter an Motiven und<br />

Versatzstücken des Landschaftsgartens, die <strong>Park</strong>s bleiben „natürlich“, das Bild<br />

wandelt sich aber von der malerisch bestimmten Blickbeziehung ins Unendliche<br />

zu durch Baumkulissen und Buschwerk gebildeten, begrenzten Räumen. Das gilt<br />

insbesondere für die <strong>Park</strong>s in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadt, die durch<br />

das Wachstum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts teilweise „überrollt“<br />

wurden, oder als öffentliche Flächen meist reduziert und umgeformt überlebten.<br />

(Gerhard Hirschfeld, Der Siegeszug des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, in: „Die<br />

unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006,<br />

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-<br />

Ruit 2006, S. 214f)<br />

Im 18. Jahrhundert: Verstädterung = Verdrängung und<br />

Verlagerung des Grüns 528<br />

Das ursprüngliche Hamburg war eine durchgrünte Siedlung. Wenn man dem<br />

Stadtprospekt von 1589 glauben mag, dann fanden sich noch in jener Zeit in der<br />

Altstadt zahlreich Gärten hinter den Wohnhäusern. Auf dem Gebiet der Neustadt<br />

hielten sich Nutz- und wohl holländisch inspirierte Lustgärten noch so lange, bis<br />

die Stadt zu volkreich wurde: Um 1800 wuchsen Bäume wohl nur noch beim<br />

Johanneskloster, beim Dom und an der Binnenalster (…) Gärten lagen nun vor<br />

den Toren der Stadt, vor denen sich auch große begrünte Freiflächen für unterschiedliche<br />

Nutzung (Weide, Festwiese, Exercierplatz) fanden, die noch vorhanden<br />

sind: Am lieblichsten von ihnen die Moorweide mit ihren historischen randlichen<br />

Baumreihen. Die Befestigungsanlagen mit ihrer baumbestandenen Wallkrone<br />

– traditionelles „Naherholungsgebiet“ rings um die Innenstadt – wurden ab<br />

1820 zum ersten öffentlichen Hamburger <strong>Park</strong> umgewandelt, danach folgte –<br />

wieder unter Ausnutzung einer Befestigungsanlage – der Sternschanzenpark.<br />

Wiewohl diese Anlagen seitdem mehrmals verändert und reduziert wurden, versammeln<br />

sich in ihnen immer noch vielschichtige Bezüge. Unter Ausnutzung der<br />

historischen Topographie nahm Hamburg hier die Tradition als Stadt der Gärten<br />

176


und <strong>Park</strong>s auf, die von den Privatgärten der Hamburger Oberschicht seit dem 17.<br />

Jahrhundert ausging.<br />

(Ilse-Marie Rüttgerodt-Riechmann, Historisches Grün in Hamburg, in: Historisches Grün<br />

und Denkmalschutz, Kulturbehörde Hamburg / Denkmalschutzamt (Hg.), Heft 9 der Reihe<br />

Denkmalpflege Hamburg, Hamburg 1992, S. 9f)<br />

Alfred Lichtwarks Kritik am Landschaftspark 529<br />

Die beschriebenen Miniaturlandschaftsgärten werden schließlich ihrerseits bald<br />

kritisiert. Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts meldet sich der damalige Direktor<br />

des Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark (1852-1914, R. C.), zu Wort und<br />

propagiert wieder die „Ordnung“, die formale Anlage. Als besonders<br />

nachahmenswertes Beispiel nennt er den Bauerngarten, der vieles Vorbildliche<br />

aus dem historischen architektonischen Garten bis in seine Zeit bewahrt habe.<br />

Manche Gartenbesitzer, so zum Beispiel Leopold von Kalckreuth in seinem Besitz<br />

in Eddelsen, nahe Hamburg, oder Max Liebermann in Berlin, die sich auch von<br />

Lichtwark selbst aus-führlich beraten ließen, folgten diesem Vorschlag. Aus<br />

diesen Ideen entwickelte sich die Bewegung des Reformgartens (…).<br />

(Claudia Horbas, Hamburgs Gärten seit dem 17. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche<br />

Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für<br />

Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S.<br />

35)<br />

Alfred Lichtwark: Reformgärten und Volksparks 530<br />

Die Volksparkbewegung entstand in großem Umfang im beginnenden 20. Jahrhundert.<br />

Die Zeit der dazugehörigen Auseinandersetzungen ist in Zusammenhang<br />

mit der Entwicklung von städtischen Grünanlagen an vielen Stellen untersucht<br />

worden. Herausragend sind die Forderungen des Berliner Gartenarchitekten Ludwig<br />

Lesser, der bereits 1910 auf dem 33. Brandenburgischen Städtetag sehr ausführliche<br />

Leitsätze für das öffentliche Grün aufgestellt und damit das Neue des<br />

Volksparks, das in weiten Teilen heute noch Gültigkeit hat, charakterisiert.<br />

Die Volksparkbewegung ist ohne die zeitgleiche Reform in der Gartenkunst kaum<br />

denkbar. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten nicht nur Architekten, Künstler<br />

und Kunstgewerbler eine Hausgartenreform. (…)<br />

Die Reformbewegung hatte in Hamburg mit Alfred Lichtwark (1852-1914, R. C.),<br />

dem damaligen Direktor der Hamburger Kunsthalle, einen maßgeblichen<br />

theoretischen Begrün-der. Lichtwark sah im formalen Garten ein Vorbild für die<br />

Erneuerung der Garten-kunst und prangerte ihren künstlerischen Tiefstand um<br />

1900 an.<br />

(Heino Grunert, Hamburger Reformgärten – Volksparkbewegung und Gartenkunstreform<br />

im beginnenden 20. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen<br />

Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.)<br />

[Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S. 228)<br />

Alfred Lichtwark: Rückkehr zu strengen Formen 531<br />

In einem Schreiben vom Sommer 1902 machte Lichtwark nun dem Bausenator<br />

zum ersten Mal mit seinen Erwägungen bekannt: „Die Gartenkunst befindet sich<br />

in einer Krise, den noch herrscht der landschaftliche Stil uneingeschränkt uneingeschränkt<br />

bei allen Landschaftsgärtnern in Norddeutschland. Maler, Bildhauer,<br />

Kunstfreunde und die führenden deutschen Architekten fordern aber die Rückkehr<br />

der strengeren Formen. Wenn in dieser Zeit ein großer Stadtpark angelegt wird,<br />

so sollten die entscheidenden Behörden von dieser Strömung Kenntnis nehmen.“*<br />

177


(Heino Grunert, Hamburger Reformgärten – Volksparkbewegung und Gartenkunstreform<br />

im beginnenden 20. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen<br />

Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.)<br />

[Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S. 235)<br />

* (Alfred Lichtwark [1852-1914, Direktor der Hamburger Kunsthalle], zit. in.: Michael<br />

Goecke, Stadtparkanlagen im Industriezeitalter. Das Beispiel Hamburg, in: Geschichte<br />

des Stadtgrüns, Band VI, Hannover/Berlin 1981)<br />

Gärtner Ochs, der Umsetzer Lichtwark’scher Ideen 532<br />

Die Ochs’schen Gärten und ihre Ausstattung dokumentieren in überzeugender<br />

Weise nicht nur den hohen Standard des Hamburger Stadt- und Landhausgartens<br />

zwischen der Jahrhundertwende und dem ersten Weltkrieg, sondern zeigen auch<br />

deutlich die Auswirkungen Ochs’scher Planungstätigkeit weit über Hamburg hinaus.<br />

Die Gärten waren Ausdruck der Lebensform eines elitären, wohlhabenden<br />

Großbürgertums, das sich empfänglich für die allumfassende Geschmacks- und<br />

Lebensform der Zeit zeigte. Die Ochs’schen Gärten bildeten zusammen mit Anlagen<br />

anderer Gartenarchitekten ein eindrucksvolles Ensemble; sie liegen bevorzugt<br />

in hervorragender landschaftlicher Lage und häufig mit unmittelbarem Bezug<br />

zum Wasser. Mit seinem bereits 1896 gegründeten Betrieb war Jakob Ochs zweifelsohne<br />

der erste Gartenarchitekt der Moderne in Hamburg, der seinen Arbeiten<br />

zu Beginn des Jahrhunderts eine geometrische Gesetzmäßigkeit zugrunde legte.*<br />

(Heino Grunert, Hamburger Reformgärten – Volksparkbewegung und Gartenkunstreform<br />

im beginnenden 20. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen<br />

Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.)<br />

[Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S. 232)<br />

* (S. a. Jacob Ochs [1871-1927], Gartenbau in Hamburg, Hamburg um 1909, und ders.,<br />

Deutsche Gärten, Hamburg um 1915)<br />

Leberecht Migge, Ochs’ führender Gartenarchitekt:<br />

Kunst, Erholung und Sport 533<br />

Migge verkündete das Ende der herkömmlichen Gartenkunst und verstand das<br />

Arbeiten im Garten als angewandte Kunst. Seine schroffe Einschätzung resultierte<br />

aus der in seinen Augen unglücklichen Langlebigkeit des romantischen Gartens<br />

im englischen Stil. Seine Definition der Funktion des Gartens, vorgetragen in<br />

seiner Schrift „Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts“ (1913), ist knapp und<br />

griffig:<br />

„Der Garten muß bedürfnisgerecht geplant werden. Ist das Phantasielosigkeit?<br />

Nein, es ist Zügelung, ein Sichbesinnen und Beschränken auf das Wesentliche.<br />

Es heißt organisieren. Es ist aber doch auch – Kunst.“ *<br />

Migge ist der Meinung, dass sich der Gehalt und die formale Struktur des öffentlichen<br />

Gartens, des Volks- oder Stadtparks, an den Bedürfnissen der Bevölkerung<br />

bemessen soll. Er dürfe nicht, wie das in Deutschland immer noch der Fall sei,<br />

Repräsentationszwecken der Stadt dienen. Vor allem Einrichtungen für den Sport<br />

sind gefordert und darüber hinaus auch schattige Zonen für Spaziergänger und,<br />

wie er schrieb, Anlagen „für das Schauen schöner erhebender Vegetationsbilder“.<br />

(…)<br />

Mit dem architektonischen Garten, dem geometrisch strukturierten Gebilde, das<br />

sowohl den sozialen als auch den emotionalen Bedürfnissen der Menschen zu<br />

entsprechen hatten, sollte die strikte Abkehr vom englischen Landschafsgarten<br />

vollzogen werden. (…)<br />

178


Die von Migge geforderte Funktion des Volksparks, den Menschen Erholung an<br />

Leib und Seele zuteil werden zulassen, entwickelte sich zunehmend zum Hauptaspekt<br />

bei der Anlage öffentlicher Gärten. (…)<br />

Wichtige Schritte waren vollzogen: die Abkehr vom Repräsentationsgarten, von<br />

der romantischen <strong>Park</strong>landschaft und von der im Garten installierten historischen<br />

Theaterbühne.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 476, 477)<br />

* (Leberecht Migge [1881-1935], Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts, Jena 1913)<br />

Der Hamburger Stadtpark als reformerisches Großprojekt 534<br />

Die Gartenkunstreform betraf jedoch nicht nur die Hausgärten. Vor allem in Bezug<br />

auf das öffentliche Grün wurde vehement um Gestaltung und Programm von<br />

<strong>Park</strong>anlagen gestritten. Insbesondere an den lang andauernden, ausführlichen,<br />

lebhaften und engagierten Diskussionen um das Werden des neuen Hamburger<br />

Stadtparks lässt sich dieser Prozeß eindrucksvoll nachvollziehen. (…)<br />

Der Hamburger Stadtpark setzte damals international beachtete, neue Maßstäbe<br />

für zeitgenössische Gartenarchitektur und Stadtplanung. Er spielte eine<br />

wesentliche Rolle bei der Entwicklung des öffentlichen Grüns nicht nur in<br />

Deutschland. (…)<br />

Während die Öffentlichkeit sich für eine Anlage im gewohnt landschaftlichen Stil<br />

aussprach – denn dafür stand die Schönheit des Ohlsdorfer Friedhofs –, setzte<br />

sich Lichtwark von Anfang an für die „Wiedergewinnung ‚raumkünstlerischer<br />

Qualität’ im Sinne der formalen und funktionalen ‚Erneuerungsbestrebungen’ in<br />

der zeitgenössischen Gartenkunst“ ein.<br />

(Heino Grunert, Hamburger Reformgärten – Volksparkbewegung und Gartenkunstreform<br />

im beginnenden 20. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen<br />

Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.)<br />

[Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006, S. 234, 234f)<br />

(Anmerkung R.C.: Die entscheidenden Planer waren Schuhmacher, Sperber, Linne und<br />

Jürgens)<br />

Hamburgs Stadtpark als erstes größeres europäisches<br />

„Reformgarten“-Projekt 535<br />

Der Hamburger Stadtpark auf dem Gelände der aufgeforsteten Winterhuder<br />

Geest war der erste größere <strong>Park</strong> auf dem Kontinent, der sich entschieden vom<br />

romantischen Garten absetzte.<br />

(Ehrenfried Kluckert, Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

Königswinter 2007, S. 477)<br />

Reformgärten: Stadtpark und „Römischer Garten“ 536<br />

Heute noch recht gut sichtbar sind die Prinzipien der Reformgartenbewegung<br />

beim seit 1910 errichteten Hamburger Stadtpark. Ein interessantes, stark an<br />

historischen Vorbildern orientiertes Beispiel für einen formalen Garten stellt in<br />

Hamburg zudem der seit dem späten 19. Jahrhundert gestaltete „Römische<br />

Garten“ in Blankenese dar.<br />

(Claudia Horbas, Hamburgs Gärten seit dem 17. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche<br />

Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für<br />

Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006,<br />

S. 37)<br />

179


Es bleiben aber auch weit über Hamburg hinaus berühmte<br />

Landschaftsgärtner, z.B. Jürgens (Vater) … 537<br />

Stilistisch wandte sich J. von dem damals vorherrschenden Trend ab, eine zunehmende<br />

Zahl geometrisch gestalteter Partien in Landschaftsgärten einzubinden. Im<br />

Gegensatz zu diesem von der Lenné-Meyerischen Schule vertretenen Mischstil<br />

ging es J. um großzügige Landschaftsentwürfe, in denen er Möglichkeiten der<br />

lokalen Natur herausarbeitete, wobei er auch im Bereich des Hauses gern auf<br />

Teppichbeete oder formale Anlagen verzichtete. Von Auftraggebern gewünschte<br />

Blumen- und Nutzgärten, Tennisplätze und dergleichen verlegte er, wenn irgend<br />

möglich, in den Randbereich. Typisch für seine Gärten sind langgestreckte Lichtungen<br />

auf leicht bewegtem Gelände und abwechslungsreiche Wasserlandschaften<br />

mit jeweils spezifischer Bepflanzung. Das sparsame, sanft gekurvte Wegenetz<br />

wurde leicht eingetieft, um die sorgfältig komponierten Naturbilder nicht zu zerschneiden.<br />

(Ingrid A. Schubert, Stichwort JÜRGENS, Friedrich Joachim Christian [1825-1903], in:<br />

Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 11, o.O., o.J., S. 195)<br />

… und Jürgens (Sohn) 538<br />

Stilistisch folgte J. nicht dem Trend zu formaler Gestaltung, der seit der Jahrhundertwende<br />

besonders vehement von Reformern wie dem Direktor der<br />

Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark verfochten wurde und immer mehr Boden<br />

gewann. J. verstand sich wie sein Vater stets als „Landschafter“ und begründete<br />

seine Auffassung 1886 auch in einem Aufsatz, in dem er sich dezidiert an Laien<br />

wandte und auf Fürst Hermann Pückler-Muskau berief. In dieser Schrift betonte<br />

er, daß in der Gartenkunst zwar Rücksicht auf Bequemlichket und Nutzungsforderungen<br />

genommen werden sollte, daß aber dennoch stets der landschaftliche<br />

Stil bei Privatgärten und kleineren öffentlichen Anlagen angewandt werden<br />

müsste. Zu seinen der lokalen Landschaft nachempfundenen Gartenschöpfungen<br />

gehörten ein insgesamt sparsames, eingetieftes Wegenetz und besonders sorgfältig<br />

verteilte Gehölze.<br />

(Ingrid A. Schubert, Stichwort JÜRGENS, Rudolph Philipp Christian [1850-1930], in:<br />

Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 11, o.O., o.J., S. 198)<br />

Hamburg: Die gelobte grüne Stadt I 539<br />

Schon früh setzte daher in Hamburg eine bürgerliche Gartenkultur ein, die<br />

zunächst zwar noch innerhalb der Stadtmauern gepflegt wurde, wenn die Besitzer<br />

über genügend große Grundstücke verfügten, bald aber vor allem das<br />

Erscheinungsbild der Gebiete vor den Toren der Stadt bestimmte und sich mit<br />

zunehmender Aufsiedelung der Vorstädte immer weiter nach draußen verlagerte.<br />

Dies trug aber zugleich dazu bei, dass nach wie vor in der Stadt selbst die<br />

gärtnerischen Anlagen nicht völlig verdrängt wurden und Hamburg sich zu einer<br />

mit viel öffentlichem Grün gesegneten Stadt entwickelte, weshalb wir noch heute<br />

von vielen Auswärtigen beneidet werden.<br />

(Claudia Horbas, Hamburgs Gärten seit dem 17. Jahrhundert, in: „Die unaufhörliche<br />

Gartenlust“, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Frühjahr 2006, Museum für<br />

Hamburgische Geschichte (Hg.) [Hamburgmuseum], Hamburg/Ostfildern-Ruit 2006,<br />

S. 8f)<br />

Hamburg: Die gelobte grüne Stadt II 540<br />

Der Ruhm Hamburgs als grüner Großstadt begründet sich aus seiner großen<br />

Tradition als Stadt der <strong>Park</strong>s und Gärten und seinem reichen Bestand an kultur-<br />

180


historisch wertvollen Grünflächen. Häufig wirken in Hamburg die Baudenkmale<br />

und diese historischen Grünflächen in ganz besonderer Weise zusammen, so<br />

z.B. an der Elbchaussee, die noch heute das Rückgrat bildet für ein Ensemble<br />

aus Landschaftsraum, <strong>Park</strong>s und Architektur von europäischem Rang. (…)<br />

Gerade in einer Zeit des Ansturms auf unbebaute Flächen bedarf es einer<br />

besonderen Aufmerksamkeit, um natur- und kulturhistorisch bedeutsame Orte im<br />

Rahmen der Stadterneuerung zu bewahren.<br />

(Christina Weiss [dam. Kultursenatorin], Vorwort zu: Historisches Grün und Denkmalschutz,<br />

Kulturbehörde Hamburg / Denkmalschutzamt (Hg.), Heft 9 der Reihe Denkmalpflege<br />

Hamburg, Hamburg 1992, S. 4)<br />

(Anmerkung R. C.: Die Realität sieht leider anders aus, siehe z.B. Airbus, Verbauung des<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>s, Privatisierung im Baurspark, Vernachlässigung der gärtnerischen<br />

<strong>Park</strong>pflege, u.a.)<br />

Hamburg – die gelobte grüne Stadt III:<br />

Wieder viele schöne Worte, aber … 541<br />

Bereits im „<strong>Europäische</strong>n Denkmalschutzjahr“ 1975 war der Beitrag des Hamburger<br />

Denkmalschutzamtes dem Thema historischer Freiräume und <strong>Park</strong>s in<br />

unserer Stadt gewidmet gewesen. Die weit über die Grenzen der Stadt beachteten<br />

Ausstellung „Gärten, Landhäuser und Villen des hamburgischen Bürgertums“,<br />

gemeinsam mit dem Museum für Hamburgische Geschichte (heute Hamburgmuseum,<br />

R.C.) veranstaltet, zeigte den Reichtum an historischen Gärten vom<br />

17. bis 20. Jahrhundert. Die Ausstellung entsprach der Resolution des<br />

Symposions in Schwetzingen „Historische Gärten und Anlagen“, in welcher<br />

Gesetzgeber, Stadtplaner und alle ausführenden Dienststellen aufgefordert<br />

waren, historische Gärten und Grünanlagen zu schützen, sie zu pflegen und zu<br />

erhalten. (…) Gerade Hamburg wird wegen seines großen noch vorhandenen<br />

Bestandes an privaten und öffentlichen <strong>Park</strong>anlagen und Gärten sowie der<br />

großflächigen, kulturlandschaftlich geprägten Freiräume im Stadtbereich sich<br />

dieser Aufgabe besonders annehmen.<br />

(Manfred F. Fischer, Historische Freiräume und <strong>Park</strong>s: Aufgabe der Denkmalpflege, in:<br />

Historisches Grün und Denkmalschutz, Kulturbehörde Hamburg / Denkmalschutzamt<br />

(Hg.), Heft 9 der Reihe Denkmalpflege Hamburg, Hamburg 1992, S. 5)<br />

(Anmerkung R. C.: Die Realität sieht leider anders aus, siehe z.B. Airbus, Verbauung des<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>s, Privatisierung im Baurspark, Vernachlässigung der gärtnerischen<br />

<strong>Park</strong>pflege, u.a.)<br />

(Anm. R. C.: Die Realität sieht leider anders aus, siehe z.B. Airbus, Verbauung des<br />

Jenisch-<strong>Park</strong>s, Privatisierung im Baurspark, Vernachlässigung der gärtnerischen<br />

<strong>Park</strong>pflege, u.a.)<br />

181


Was bleiben sollte:<br />

Gärten, <strong>Park</strong>s und Kulturlandschaften als<br />

Menschheitserbe<br />

Grün in der Stadt und Grün auf dem Lande tradiert bedeutende<br />

Aspekte unserer Kultur und dokumentiert anschaulich die<br />

Geschichte verschiedener Weltentwürfe: Jeder Garten, die<br />

Kulturlandschaft und das großstädtische Grün zeugt von dem<br />

Versuch, sich diese Erde nicht nur untertan, sondern sie vor<br />

allem bewohnbar zu machen.<br />

Die Gärten der Semiramis galten in der Antike als eines der<br />

sieben Weltwunder; im christlichen Abendland blieb bis heute die<br />

Sehnsucht nach dem Paradies, dem jedes Gärtlein, jeder<br />

französisch inspirierte <strong>Park</strong>, englische Gärten, Landschaftsparks<br />

mit und ohne Staffage und exotische Pflanzen, jeder Reformgarten<br />

ein wenig gleicht.<br />

(Ilse-Marie Rüttgerodt-Riechmann, Historisches Grün in<br />

Hamburg, in: Historisches Grün und Denkmalschutz,<br />

Kulturbehörde Hamburg / Denkmalschutzamt (Hg.), Heft 9 der<br />

Reihe Denkmalpflege Hamburg, Hamburg 1992, S. 11)<br />

182

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