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Klaus Amann Der Zweite Weltkrieg in der Literatur ... - Erinnern

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Buchpublikation Celans <strong>in</strong> Deutschland, zu erbitterten Kontroversen im Zusammenhang mit<br />

<strong>der</strong> Diskussion um die Kollektivschuldthese geführt hat. Mir ist nicht bekannt, dass es <strong>in</strong><br />

Österreich, wo das Gedicht 1951 (im ersten Band <strong>der</strong> Stimmen <strong>der</strong> Gegenwart) sogar noch<br />

e<strong>in</strong> zweites Mal publiziert worden war, e<strong>in</strong>e vergleichbare Reaktionen gegeben hätte. Ich<br />

vermute, <strong>der</strong> zitierte Vers ist <strong>in</strong> Österreich, wenn überhaupt, dann im H<strong>in</strong>blick auf die Debatte<br />

um Österreichs ‚Opferrolle’ als entlastendes Argument gelesen worden; als Österreicher<br />

musste man sich von e<strong>in</strong>em Vers, <strong>der</strong> den Tod als „Meister aus Deutschland“ bezeichnet,<br />

nicht betroffen fühlen. Im Oktober 1946, hatte <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Zeitschrift, die Celans Gedichte<br />

erstveröffentlicht hatte, Peter Rubel, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Sparte ‚Tribüne <strong>der</strong> Jungen’ im PLAN, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Grundsatzartikel die Situation folgen<strong>der</strong>maßen beschrieben:<br />

Die beiden großen politischen Parteien Österreichs bemühen sich, <strong>der</strong> Welt e<strong>in</strong>zureden, daß das<br />

österreichische Volk an den Ereignissen <strong>der</strong> letzten acht Jahre völlig unschuldig sei. [...] das<br />

österreichische Volk greift <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Mehrheit gierig nach <strong>der</strong> beglichenen Rechnung. [...] Und prompt –<br />

viel prompter als alles an<strong>der</strong>e – stellte sich <strong>der</strong> Freispruch e<strong>in</strong>... 35<br />

Rubels daran anknüpfende Frage, ob man die neue Epoche mit e<strong>in</strong>em „pharisäerhaften<br />

Taschenspielertrick“ beg<strong>in</strong>nen dürfe, hat unter den österreichischen Dichtern vielleicht ke<strong>in</strong>er<br />

konsequenter und schärfer beantwortet als Michael Guttenbrunner. Schmerz und Empörung,<br />

die beiden Begriffe, die er 1946 als Titel für se<strong>in</strong>e erste Buchpublikation, e<strong>in</strong>e Anthologie mit<br />

Antikriegsgedichten von Andreas Gryphius bis Karl Kraus, wählte, 36 s<strong>in</strong>d auch se<strong>in</strong>e<br />

Grundhaltungen dem gegenüber, was Gerhard Fritsch später „unser aller Mitvergangenheit“ 37<br />

genannt hat, und was für Guttenbrunner nie zu e<strong>in</strong>er „beglichenen Rechnung“ wurde. Er hat<br />

bei ke<strong>in</strong>em <strong>der</strong> öffentlichen Taschenspielertricks mitgemacht, son<strong>der</strong>n stets die Personen und<br />

die Umstände <strong>in</strong> Vers und Prosa beim Namen genannt. So hat er zu e<strong>in</strong>er Zeit den Anteil <strong>der</strong><br />

Partisanen an <strong>der</strong> Befreiung des Landes gewürdigt, 38 als <strong>der</strong> Lohn dafür noch<br />

Verdächtigungen und Verachtung waren, so hat er die <strong>in</strong>tellektuellen Kollaborateure des<br />

Nationalsozialismus, Leute wie He<strong>in</strong>z K<strong>in</strong><strong>der</strong>mann und Bruno Brehm, Josef We<strong>in</strong>heber und<br />

Karl He<strong>in</strong>rich Waggerl „zu e<strong>in</strong>er Zeit glossiert, als ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er daran dachte und ke<strong>in</strong>e<br />

Redaktion bereit war, dafür e<strong>in</strong>zutreten“. 39 Im Gedicht Die Bodenständl<strong>in</strong>ge aus dem Band<br />

Opferholz von 1954 ist <strong>der</strong> Typus <strong>der</strong> e<strong>in</strong>heimischen Unerschütterlichen und<br />

35<br />

Peter Rubel: Wir s<strong>in</strong>d alle schuldig. In: PLAN, 1. Jg. (1945/47), H. 9, Sept./Okt. 1946, S. 781-783, Zit. S. 781.<br />

Hervorhebung im Orig<strong>in</strong>al.<br />

36<br />

Vgl.: Schmerz und Empörung. E<strong>in</strong>e Anthologie. Hg. von Michael Guttenbrunner. Sekirn: Eduard Kaiser-<br />

Verlag 1946. Auch Michael Guttenbrunners erste Prosapublikation Spuren und Überbleibsel (Klagenfurt:<br />

Eduard Kaiser-Verlag 1947), „e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>guläres poetisches Erzeugnis“ (J. Sonnleitner) ist bestimmt und getränkt<br />

von den Erfahrungen des Krieges. Vgl. Johann Sonnleitner: „Sehend, was schwer zu sagen ist“. Zu Michael<br />

Guttenbrunners früher Prosa. In: Michael Guttenbrunner. Hg. von <strong>Klaus</strong> <strong>Amann</strong> und Eckart Früh. Klagenfurt:<br />

Ritter 1995, S. 116-134: „Guttenbrunner ist [...] e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wenigen österreichischen Wehrmachtssoldaten, die<br />

offen über die eigene wi<strong>der</strong>sprüchliche Haltung Zeugnis ablegten und die über die Verbrechen schrieben, die SS-<br />

E<strong>in</strong>heiten, Gestapo und auch die deutsche Wehrmacht verübt hatten.“ (S. 120).<br />

37<br />

Gerhard Fritsch: Fasch<strong>in</strong>g. Roman. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1995 [¹1967], S. 10. <strong>Der</strong> Roman schil<strong>der</strong>t auf<br />

e<strong>in</strong>drucksvolle Weise die tatsächlichen und die ideologischen Maskeraden e<strong>in</strong>es steirischen Dorfes im Übergang<br />

vom Nationalsozialismus zum österreichischen Alltagsfaschismus <strong>der</strong> fünfziger Jahre. Er gehört mit dem (m. E.<br />

etwas problematischen, weil mythisch befrachteten) Roman Die Wolfshaut (Hamburg: Claassen 1960) von Hans<br />

Lebert zu den wichtigsten literarischen Zeugnissen e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Krieg und Nachkrieg im<br />

österreichischen Roman <strong>der</strong> sechziger Jahre. Vgl. auch Konstanze Fliedl und Karl Wagner: Tote Zeit. Zum<br />

Problem <strong>der</strong> Darstellung von Geschichtserfahrung <strong>in</strong> den Romanen Erich Frieds und Hans Leberts. In: <strong>Literatur</strong><br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit und <strong>der</strong> 50er Jahre <strong>in</strong> Österreich. Hg. von Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei und Hubert<br />

Lengauer. Wien: ÖBV 1984^ (= Schriften des Instituts für Österreichkunde Bd. 44/45), S. 303-319.<br />

38<br />

Vgl. Michael Guttenbrunners Beiträge <strong>in</strong> Die E<strong>in</strong>heit, dem deutschsprachigen Organ <strong>der</strong> Kärntner Partisanen,<br />

das 1949-1951 <strong>der</strong> Reihe nach <strong>in</strong> Klagenfurt, Wien und Graz erschien. E<strong>in</strong>e Dokumentation dieser Arbeiten<br />

bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek des Musil-Instituts <strong>der</strong> Universität Klagenfurt/Kärntner <strong>Literatur</strong>archiv.<br />

39<br />

Brief an K. Kaiser vom 12. 11. 1992. Robert Musil-Institut <strong>der</strong> Universität Klagenfurt/Kärntner<br />

<strong>Literatur</strong>archiv, Sammlung Guttenbrunner.

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