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Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 03/2008

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Historie<br />

das Holz schützt die Karbolsäure vor dem Vermo<strong>der</strong>n, und man<br />

verwendet sie jetzt, freilich etwas spät seit ihrer Entdeckungvor<br />

30 Jahren, im Groûen an Eisenbahnschwellen. Man tränkt dieselben<br />

mit dem schweren Oel, das bei <strong>der</strong> Destillation des Steinkohlentheers<br />

gewonnen wird und als einen Hauptbestandtheil die<br />

Karbolsäure enthältª. Ein Hinweis Runges auf die Anwendung<br />

<strong>der</strong> Karbolsäure in <strong>der</strong> öffentlichen Stadthygiene ergibt sich aus<br />

<strong>der</strong> folgenden Textstelle: ¹Und mit einem Centner davon lässt<br />

sich viel böser Geruch vertreiben! Dies mögen sich die unglücklichen<br />

Anwohner von gewissen Rinnsteinen merken, die im heiûen<br />

Sommer so anrüchigsindª (8.Brief, Seite 1<strong>03</strong>). Hier ergibt sich<br />

auch eine Anknüpfungan den medizinischen Anwendungsbereich<br />

in <strong>der</strong> Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Nachdem <strong>der</strong> Chirurg Joseph Lister über Thomas An<strong>der</strong>son, damals<br />

Professor <strong>der</strong> Chemie in Glasgow, die Arbeiten von Pasteur<br />

über die Gärungund Fäulnis kennengelernt hatte, erinnerte er<br />

sich daran, dass man das reine Phenol mit Erfolgzur chemischen<br />

Reinigung <strong>der</strong> Abwässer von Carlisle benutzt hatte und er entschloss<br />

sich, diesen Stoff in seinem medizinisch-chirurgischen<br />

Bereich zu erproben (Howard-Jones 1947).<br />

III.<br />

Lister selbst beschreibt, dass er im Jahre 1864 Kenntnis von <strong>der</strong><br />

Anwendung<strong>der</strong> Karbolsäure in <strong>der</strong> Abwasserbehandlung<strong>der</strong><br />

Stadt Carlisle bekommen hat und dass es sich dabei nicht nur<br />

um eine positive Wirkungauf die von den Abwässern ausgehende<br />

Geruchsbelästigung, son<strong>der</strong>n auch um eine Abtötung parasitärer<br />

Organismen gehandelt hat. Der entscheidende Anstoû zu den<br />

Untersuchungen und grundlegenden Verän<strong>der</strong>ungen, die Lister<br />

durchgeführt hat, ergibt sich aus dem Text im ¹Lancetª, <strong>der</strong> hier<br />

wörtlich wie<strong>der</strong>gegeben werden soll: ¹In the course of the year<br />

1864 I was much struck with an account of the remarkable effects<br />

produced by carbolic acid upon the sewage of the town of Carlisle,<br />

the admixture of a very small proportion not only preventingall<br />

odour from the lands irrigated with the refuse material, but, as it<br />

was stated, destroyingthe entozoa which usually infest cattle fed<br />

upon such pastures.ª<br />

Lister hat nach eigenen Angaben im März 1865 im ¹Glasgow Royal<br />

Infirmaryª mit <strong>der</strong> Erprobung<strong>der</strong> neuen Methode bei einem Fall<br />

von komplizierter Schenkelfraktur begonnen. Das Ergebnis war<br />

jedoch unbefriedigend. Der Misserfolg wurde von Lister selbst<br />

auf eine ungeeignete Anwendung zurückgeführt. Die folgenden<br />

Versuche haben dann aber seine optimistischen Erwartungen<br />

weit übertroffen. Eine komplizierte Tibiafraktur bei einem elfjährigen<br />

Jungen zeigte unter Verbänden mit Karbolsäure alsbald eine<br />

Granulation mit folgen<strong>der</strong> Vernarbung <strong>der</strong> Wunde und damit die<br />

Umwandlung<strong>der</strong> komplizierten in eine einfache Fraktur (Lister<br />

Gegründet 1872<br />

Sitz Berlin<br />

1867). Die früher beobachteten massiven Eiterungen blieben<br />

aus. Lister beschrieb indessen eine teilweise ausgeprägte hautschädigende<br />

Wirkung <strong>der</strong> Karbolsäure in <strong>der</strong> Umgebung <strong>der</strong><br />

Wunden mit Ausbildungvon Exkoriationen. Die stark ätzende<br />

Wirkungdes Karbols ist jedoch auch Runge (1834) schon bekannt<br />

gewesen.<br />

In <strong>der</strong> ersten Mitteilungaus dem Jahre 1834 beschreibt er seine<br />

Beobachtungwie folgt: ¹Auf die Haut äuûert die Karbolsäure<br />

eine sehr starke Wirkung. Bestreicht man dieselbe damit, so entsteht<br />

mit Begleitung einer brennenden Empfindung ein weiûer<br />

Fleck, <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s beim Benetzen mit Wasser sichtbar wird,<br />

und sich nach einer Minute in einen rothen umwandelt. Nach einigen<br />

Tagen stirbt die Haut; sie wird glänzend und schuppt sich abª.<br />

Bei bahnbrechenden wissenschaftlichen Arbeiten und Entdeckungen<br />

ist es oft schwierig, anhand von Publikationen den Primat<br />

eines Forschers zweifelsfrei zu erkennen o<strong>der</strong> festzulegen.<br />

Gerade im klinischen Bereich sind Gründlichkeit und zeitlicher<br />

Aufwand, Verantwortungsbewusstsein und Genauigkeit <strong>der</strong> Beobachtung<br />

von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung und können bei<br />

Publikationen zu Verzögerungen führen. So ist es nicht überraschend,<br />

dass gleichzeitig mit den Publikationen Listers an<strong>der</strong>e klinisch<br />

tätige Chirurgen über eigene Untersuchungen berichten<br />

(Wolfe 1867, Roche Lynch 1867, Ricketts 1867). Die Frage des<br />

zeitlichen Ablaufs <strong>der</strong> klinischen Erprobungan verschiedenen<br />

Häusern, ihre Gründlichkeit und Systematik sind sicher schwer<br />

zu beurteilen. Die <strong>Mitteilungen</strong> von Lister können aber wohl als<br />

solide, glaubwürdig, vielfach überprüft und damit als originär angesehen<br />

werden.<br />

Einfacher und zweifelsfrei sind die Umstände bei <strong>der</strong> Entdeckung<br />

<strong>der</strong> Karbolsäure. Hier ist den Arbeiten Friedlieb Ferdinand Runges,<br />

die er in seinem Labor im Schloss Oranienburgdurchgeführt<br />

hat, ohne Zweifel <strong>der</strong> Primat zuzuerkennen, obwohl diese grundlegenden<br />

Ergebnisse im klinischen Schrifttum kaum Erwähnung<br />

finden. In Listers Publikationen wird jedoch auf die Herkunft <strong>der</strong><br />

Karbolsäure aus Deutschland hingewiesen: ¹The crude carbolic<br />

acid which, un<strong>der</strong> the name of ,German creasote , was supplied<br />

to me by my colleague Dr. An<strong>der</strong>son, Professor of Chemistry in<br />

the University of Glasgow, was a brown liquid which had been<br />

adulterated with water¼ª (Lister 1908). Einen Hinweis auf den<br />

Chemiker Runge, den Entdecker <strong>der</strong> Karbolsäure und auf seinen<br />

Arbeitsbereich in Oranienburgsucht man jedoch vergebens. Bemerkenswert<br />

sind in diesem Zusammenhang aber die Vorgänge<br />

um die Entdeckung<strong>der</strong> Anilinfarben, die dem Englän<strong>der</strong> William<br />

Henry Perkin zugeschrieben wird und <strong>der</strong> im Jahre 1856 auf die<br />

Darstellungeines violetten Farbstoffs ein Patent anmelden lieû.<br />

Im Jahre 1906 wurde bei <strong>der</strong> Feier des 50-jährigen Jubiläums<br />

¹<strong>der</strong> Entdeckung<strong>der</strong> Kohlenteerfarbstoffeª ¹dem Englän<strong>der</strong> Perkin<br />

[¼] die höchste Auszeichnung, die Hofmann-Medaille [¼]<br />

Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 3/08 257

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