16.09.2015 Aufrufe

Der andere Blick

  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

krieg – willkür – diktatur – verfolgung – flucht:<br />

Ja, das ist richtig – Schilder mit dem Aufdruck<br />

„Fremdenzimmer“ fallen heute auf – sie sind selten<br />

geworden. Die „Fremden“ gibt‘s nicht mehr, die damit<br />

zum Übernachten eingeladen wurden. Die „Fremden“<br />

von damals sind heute zu „Feriengästen“ oder „Touristen“<br />

geworden. Die „Fremden“ von heute heißen<br />

„Flüchtlinge“ oder „Asylanten“ – für sie stehen keine Tafeln<br />

und Schilder an den Straßenrändern.<br />

Ihre Unterkünfte sind ausgediente<br />

Hotels, Kasernen und Turnhallen<br />

– und – absehbar: Zeltdörfer.<br />

Die Völkerwanderung von Süd<br />

nach Nord und von Ost nach<br />

West ist in vollem Gange, der<br />

Zustrom ins „gelobte Land“<br />

reißt nicht ab, das „gelobte<br />

Große zeichnerische<br />

Begabung<br />

eines Jungen aus<br />

Afghanistan.<br />

zwischenstation hoffnung<br />

Land“ gerät in Bedrängnis.<br />

„Ich möchte ja nichts <strong>andere</strong>s<br />

als leben – und das in Freiheit.<br />

Ohne Angst! Ein bisschen so<br />

wie du“, meint Ahmad. Ahmad<br />

ist Afghane. „Wäre dies zu Hause möglich, wäre ich nicht<br />

hier!“ „Welche Wege er von seinem Zuhause bis hierher<br />

gegangen ist?“ Auf diese Frage schweigt er, winkt ab.<br />

Seit zwei Jahren wartet er nun schon in der Gemeinschaftsunterkunft<br />

in Grafenau auf die Anerkennung als<br />

Asylbewerber. „Mein größter Wunsch“, sagt er, in überraschend<br />

gutem Deutsch, „ist, nicht als Asylant, sondern<br />

als der ‘Mensch‘ wahrgenommen zu werden,<br />

in der gemeinschaftsunterkunft<br />

grafenau<br />

swetlana fefer<br />

mit Schulanfängern<br />

der ich bin.“ Nun, Tatsache ist, dass sich<br />

Begriffe wie „Asylant“ oder „Flüchtling“<br />

im Wust der Medienpräsenz irgendwohin<br />

in ein verschwommenes Nichts auflösen, weit, weit weg,<br />

in eine Ferne, wo man persönlich nicht mehr berührt<br />

wird. Dort aber, wo das Gesicht einen Namen bekommt,<br />

wie Ahmad eben oder „Rajab“ vielleicht oder „Eisha“<br />

oder „Khaled“, dort wird der „Asylant“ lebendig, dort<br />

wird er zur Person, zum Menschen.<br />

Zum Stadtbild von Grafenau gehören sie seit Jahren, die<br />

Frauen mit ihren Kopftüchern. Sie schieben die Kinderwägen<br />

vor sich her, mit und ohne Kinder, zum Einkaufen,<br />

zum Spazieren. Daneben gehen die Männer. Bilder,<br />

welche die <strong>Blick</strong>e der Leute auf sich ziehen, immer noch,<br />

wohlwollende <strong>Blick</strong>e – ablehnende <strong>Blick</strong>e. „Du kannst<br />

dir nicht vorstellen, wie <strong>Blick</strong>e weh tun können!“, bemerkt<br />

Ibrahim. Ibrahim kommt aus Libyen. „Sie treffen<br />

nicht immer gleich hart. Aber du spürst sofort, ob du<br />

erwünscht bist oder nicht.“ Leise sagt er das, ziemlich<br />

leise.<br />

Da war doch schon mal was! Flucht – Vertreibung –<br />

Auffanglager – Misstrauen – Demütigung … siebzig<br />

Jahren ist das her. 1945 – 2015! Wie sich die Bilder gleichen!<br />

Und immer noch ist aus dem „Josef“, der damals<br />

Hals über Kopf aus Budweis fliehen musste, kein „Sepp“<br />

geworden!<br />

Ibrahim bleibt stehen. Die Schlagzeilen am Zeitungsstand<br />

bremsen seinen Schritt: „Feuer“, „Randale“,<br />

„Schmierereien“, „Demonstrationen“ um und an<br />

Asylantenheimen!“ „Manchmal kriege ich Angst, wenn<br />

ich das lese.“ Ich versetze mich in seine Lage, ich verstehe.<br />

Da tun die <strong>andere</strong>n Überschriften wieder gut, die leisen,<br />

die positiven, die menschlichen. Die gibt es auch, und<br />

es sind gar nicht so wenige. Von Helfergruppen ist da<br />

die Rede, von kirchlicher oder privater Unterstützung,<br />

von Ehrenamtlern und Freiwilligen, die mit großem persönlichem<br />

Einsatz humanes Gegengewicht aufbauen.<br />

Von seiner Vergangenheit spricht Ibrahim nicht so<br />

gerne, die lastet schwer auf ihm. Das „Packerl“, das er<br />

mit sich herum schleppt, ist angefüllt mit traumatischen<br />

Erlebnissen. Hin und wieder huscht ein düsterer Schauer<br />

über sein Gesicht, wenn er von seinen Kindern erzählt,<br />

sieben an der Zahl, die immer noch zu Hause im Ungewissen<br />

sitzen und niemand weiß, wie es weiter gehen<br />

soll.<br />

Swetlana Fefer kennt diese „Packerl“. Jedes einzelne.<br />

„Aber“, sagt sie, „in diesen ‘Packerln‘ sind noch ganz<br />

<strong>andere</strong> Dinge. Die werden nur ständig übersehen: neue<br />

Ideen, positive Ideen, zum Beispiel, oder Fähigkeiten,<br />

die man ganz und gar nicht vermutet. Viele Asylanten<br />

haben großes Können, sind Fachleute, Ingenieure,<br />

Studenten, Ärzte.“<br />

Jamah ist so ein Arzt und er möchte sich gerne nützlich<br />

machen. Doch er muss warten, immer nur warten –<br />

auf das Interview vor allem, das alles entscheidende<br />

Gespräch: Anerkennung als Asylbewerber oder Abschiebung!<br />

„Das werden meine wichtigsten eineinhalb<br />

Stunden!“, und: „Wie lange noch?“. Die Frage gräbt sich<br />

in sein Gesicht, verbirgt sich hinter seinen Worten, begleitet<br />

ihn in den Supermarkt, setzt sich auf die Hanteln<br />

im Fitnessraum. In der „Wartezeit“ liegt sein Können<br />

brach – der Arzt hat nichts zu tun. Seine Heilkunst wird<br />

nicht abgerufen.<br />

Swetlana Fefer leitet die Gemeinschaftsunterkunft,<br />

kommt selbst aus Kasachstan, kennt sich aus – und<br />

ist stark. Frei von Vorurteilen, in der entscheidenden<br />

Situation direkt und offen, wird sie als Respektperson<br />

akzeptiert. Mit Geschick und Entschlossenheit lenkt sie<br />

das Schiff, „ihr Schiff“, mit fast 200 Asylbewerbern an<br />

Bord, durch den Alltag. Ihr gelingt auf ein paar Quadratmetern<br />

das, was in der politischen Wirklichkeit nicht<br />

möglich zu sein scheint: ein „miteinander Auskommen“<br />

unterschiedlichster Menschen aus Afghanistan, Eritrea,<br />

Pakistan, Syrien, Serbien, Makedonien, Libyen, ja sogar<br />

aus China oder Georgien.<br />

Für viele von ihnen ist sie nicht nur Psychologin, Beichtmutter<br />

und Erzieherin, sondern erster und einziger Halt<br />

in dieser „neuen, fremden Welt“.<br />

44 45

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!