Jana Reiche Interview
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ESMOD und die war richtig hart. In dieser Zeit<br />
hatte ich praktisch gar kein Sozialleben mehr.<br />
Nebenher musste ich noch arbeiten, weil das<br />
ja alles auch Geld kostet, die ganzen Materialien<br />
und so. Meine Eltern haben’s jetzt nicht<br />
dicke…und irgendwann war dann der Punkt,<br />
wo ich mir so dachte: O.k., jetzt habe ich das<br />
Gefühl, es wird langsam echt unmenschlich.<br />
Weißt du, wenn du so morgens um vier noch<br />
immer da sitzt und nähst, weil du am gleichen<br />
Tag um neun Uhr die Arbeit abgeben musst,<br />
dann denkst dir so: Oh nein, jetzt hast du dich<br />
gerade doch noch einmal vernäht, du müsstest<br />
es eigentlich wieder auftrennen aber sagst dir<br />
dann:<br />
Nee, ist mir egal, ich lass<br />
das jetzt so.<br />
Dieser positive Antiperfektionismus, der bedeutet<br />
auch<br />
mal: Selbstbewusst<br />
zu<br />
sein und zu<br />
sagen: Nee,<br />
ich mach<br />
jetzt nicht<br />
jeden Dreck,<br />
den ihr sagt.<br />
Irgendwo muss halt auch mal Schluss sein. Da<br />
spreche ich so vielen Menschen aus der Seele.<br />
Gerade Frauen wollen immer alles auf einmal,<br />
Karriere, Familie und andere Ziele unter einen<br />
Hut bringen…mit diesem Perfektionismus<br />
steht man sich oft einfach selbst im Weg. Ja,<br />
und da passt der Spruch dann ganz gut.<br />
Wie war denn so dein Werdegang?<br />
Abitur in Berlin, bin in Schöneberg geboren<br />
und aufgewachsen in Lichtenrade, dann da<br />
aufs Gymnasium. Nach dem Abi bin ich auf die<br />
ESMOD gegangen, das ist eine private Modeschule<br />
in Kreuzberg. Dann war ich ein Dreivierteljahr<br />
in New York, habe da als Assistenzdesignerin<br />
in zwei kleinen Firmen gearbeitet,<br />
weil die erste ziemlich schnell Pleite gegangen<br />
ist.<br />
„Dieser positive Antiperfektionismus, das<br />
bedeutet auch mal selbstbewusst zu sein<br />
und zu sagen: Nee, ich mach jetzt nicht<br />
jeden Dreck, den ihr sagt.“<br />
Ja, dann bin ich wieder nach Berlin zurück, hab<br />
damals für zwei Jahre ‘nen Stoffladen aufgemacht,<br />
in New York hatte ich nämlich jemanden<br />
kennengelernt, der hat Stoffe verkauft, so<br />
restpostenmäßig von den Designern aus Europa<br />
und von dem hab ich die dann eingekauft.<br />
Dann habe ich angefangen, weil mir langweilig<br />
war, verschiedene Nähkurse anzubieten, Auftragsarbeiten<br />
anzunehmen und diese genäht.<br />
Damit habe ich in dieser Zeit mein Geld verdient.<br />
Aber irgendwann habe ich gemerkt: Ich<br />
möchte nicht immer wieder diese Stoffe verkaufen<br />
an Leute, die dann sagen: Aaaach, da<br />
mach‘ ich das und das draus! Ich dachte bei<br />
mir: Oh nein, ich möchte auch etwas daraus<br />
machen! Weißt du, ich habe z.B. einen Lieblingsstoff,<br />
den ich verkaufe und selbst eine<br />
feste Vorstellung gehabt, was ich daraus hätte<br />
designen können. In dieser Situation habe<br />
ich erkannt: Nee, das ist nicht das, was du auf<br />
Dauer machen willst, das kann nicht mein Job<br />
sein. Ich hatte da damals einen Mietvertrag<br />
über zwei Jahre, das war noch in Kreuzberg<br />
61. Dann habe ich gemerkt, dass immer<br />
mehr junge Menschen nach Neukölln ziehen.<br />
Ich begann auch, mir die Läden dort anzugucken<br />
und dann habe ich den hier gefunden.<br />
Seit 6 Jahren bin ich jetzt hier und langsam an<br />
dem Punkt, wo ich sage: Bald will ich mal woanders<br />
hin.<br />
Eine Frau macht in der Zwischenzeit Fotos vor<br />
dem Laden, stellt sich als belgische Journalis