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Vielvölkerstaatsruinen

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Der Frieden<br />

Am 14. Dezember 1995 unterschrieben die Präsidenten<br />

Serbiens (Milosevic), ´ Kroatiens (Tudjman)<br />

und Bosnien-Herzegowinas (Izetbegovic) ´<br />

in Paris einen Friedensvertrag. Die Führer der<br />

bosnisch-serbischen und bosnisch-kroatischen<br />

Nationalisten waren von der Prozedur ausgeschlossen.<br />

Bosnien-Herzegowina blieb als Staat<br />

mit gemeinsamer Hauptstadt (Sarajevo), einem<br />

Parlament sowie unbeschränktem Personenund<br />

Güterverkehr erhalten, mußte aber einen<br />

erheblichen Teil seiner Kompetenzen an seine<br />

beiden Entitäten, die bosnisch-kroatische Föderation<br />

und die Serbische Republik (Republik<br />

Srpska, Hauptstadt Banja Luka) abtreten. Der<br />

Föderation wurden 51 Prozent des Gesamtterritoriums,<br />

der Serbischen Republik die restlichen<br />

49 Prozent zugeschlagen. Das Rückkehrrecht<br />

der Flüchtlinge und Vertriebenen sowie<br />

die Restitution ihres Eigentums wurden vertraglich<br />

vereinbart. Zur Überwachung und notfalls<br />

gewaltsamen Durchsetzung des Vertrags<br />

stationierte man eine 60.000 Mann starke Truppe<br />

unter Führung der Nato.<br />

Das Friedensabkommen konnte zwar den<br />

Krieg beenden, aber es war und ist ungeeignet,<br />

die Macht der nationalistischen Eliten zu brechen.<br />

Nach wie vor lähmt die ethnische Separierung<br />

das geschundene Land, dessen Bevölkerungsstruktur<br />

trotz des Krieges vor allem in<br />

der Föderation multiethnisch geblieben ist.<br />

Trotz des bis heute anhaltenden Widerstands<br />

^<br />

konnte ein Teil der Flüchtlinge und Vertriebenen<br />

zurückkehren. Jeder politische Fortschritt<br />

wird durch die fortgesetzte Ethnisierung aller<br />

politischen Entscheidungen allerdings fast unmöglich<br />

gemacht. Während die Republik Srpska<br />

zentralistisch organisiert ist, gliedert sich die<br />

bosnisch-kroatische Förderation in zehn Kantone,<br />

die ihrerseits weitreichende Autonomierechte<br />

besitzen. 14 Parlamente und Regierungen,<br />

Hunderte von Ministern und Stellvertretern,<br />

eine Vielzahl von Parteien und internationalen<br />

Institutionen machen Bosnien-Herzegowina<br />

nahezu unregierbar. Die Nationalisten halten<br />

unbeirrt an der ethnischen Segregation des<br />

Landes fest und sichern so ihre während des<br />

Krieges gewonnene politische und ökonomische<br />

Macht.<br />

Die desillusionierte Bevölkerung ist der<br />

korrupten und nationalistischen Politiker überdrüssig,<br />

ihnen aber weiter ausgeliefert, und die<br />

internationale Gemeinschaft verzichtet weitestgehend<br />

darauf, ihre Machtmittel zugunsten<br />

multiethnischer Lösungen einzusetzen. So<br />

wird jeder Fortschritt verhindert. Die gerade<br />

stattfindende Volkszählung sortiert die Menschen<br />

wieder nach Nation und Religion. Zur<br />

Zeit werden noch nicht mal die nach dem EU-<br />

Beitritt des Nachbarlandes Kroatien nötigen Gesetzesanpassungen<br />

verabschiedet, von weitergehenden<br />

Reformen nach Maßgabe der EU ganz<br />

zu schweigen. Die Folge sind Massenentlassungen,<br />

vor allem im Agrarsektor.<br />

Dabei ist Bosnien-Herzegowina bereits seit<br />

1998 informelles Mitglied der Europäischen<br />

Währungsunion. Ohne große Debatte erklärten<br />

die Nationalisten aller Couleur damals die<br />

D-Mark zur Währung des Landes. Die »Konvertible<br />

Mark« wurde am 22. Juni 1998 als Währung<br />

Bosnien-Herzegowinas eingeführt und fest an<br />

den Wechselkurs der D-Mark gebunden. Die<br />

Konvertible Mark ersetzte die bisher gültigen<br />

Zahlungsmittel Dinar, Kuna und den neuen jugoslawischen<br />

Dinar. Mit Einführung des Euro<br />

wurde der Wechselkurs analog zur Mark Ende<br />

2001 auf 1.95583 Konvertible Mark festgesetzt.<br />

Eigenartig: Diese bedingungslose Abgabe eines<br />

Kernbereichs der nationalen Souveränität Bosnien-Herzegowinas,<br />

zunächst an die Deutsche<br />

Bundesbank und schließlich an die Europäische<br />

Zentralbank, bereitete den nationalistischen<br />

Eliten nicht das geringste Problem. Allerdings<br />

hat man sich auf keine einheitlichen Motive für<br />

die Geldscheine einigen können. Daher gibt es<br />

jede Banknote in einer gleichwohl landesweit<br />

wie international konvertiblen Srpska- und einer<br />

Föderationsausgabe.<br />

<br />

Holm Sundhaussen: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten<br />

1943–2011: Eine ungewöhnliche Geschichte des<br />

Gewöhnlichen. Böhlau, Wien 2012, 567 Seiten, 40<br />

Schwarzweiß-Abbildungen, 59 Euro<br />

Erich Später setzt im kommenden Heft seine Serie<br />

»Der dritte Weltkrieg« fort; Sadija Kavgic ´ ist freie<br />

Journalistin und Fotoreporterin<br />

Der Partisanenfriedhof in Tuzla wird bis heute gepflegt. In der »Allee der Helden« steht,<br />

neben Tito, auch die Statue von Mosa Pijade, dem jüdischen Kommunisten aus Serbien.<br />

^<br />

»Durch dieses Tor haben Nazis von 1941 bis 1944 die Juden,<br />

Roma, Bosniaken, Kroaten, Serben und andere Bürger von<br />

Tuzla in die Todeslager überall in Europa gebracht. Wir werden<br />

ewig um sie trauern ...«, lautet die Inschrift dieser »Träne« in<br />

Tuzla. Tuzla ist die einzige Großstadt in Bosnien-Herzegowina,<br />

die noch nie von nationalistischen Parteien regiert wurde. Die<br />

Bürger der Stadt verteidigten sich gemeinsam im bosnischen<br />

Krieg 1992–1995. Die Erinnerung an die antifaschistische Vergangenheit<br />

wird in Ehren gehalten. Am 2. Oktober 1943 wurde<br />

Tuzla als erste bosnische Stadt von der Herrschaft der Deutschen<br />

und der kroatischen Ustasa befreit. Berühmt ist der blutig niedergeschlagene<br />

Aufstand von Husino aus dem Jahr 1920, in dem<br />

7.000 Bergmänner unter Führung der Kommunistischen Partei<br />

wegen niedriger Tagelöhne in Streik getreten sind.<br />

^<br />

Die Ewige Flamme in Sarajevo für die militärischen<br />

und zivilen Opfer des Zweiten<br />

Weltkriegs wurde am 27. November 1947<br />

eingeweiht. Der dreifarbige Text erinnert<br />

an die Fahne des gemeinsamen jugoslawischen<br />

Staates, während die Flamme das<br />

Staatswappen symbolisiert:<br />

»Mit Mut und gemeinsam vergossenem<br />

Blut der Kämpfer der bosnisch-herzegowinischen,<br />

kroatischen, montenegrinischen<br />

und serbischen Brigaden der glorreichen<br />

Jugoslawischen Armee, mit gemeinsamen<br />

Anstrengungen und Opfern der Patrioten<br />

Sarajevos, Serben, Muslimen und Kroaten,<br />

wurde am 6. April 1945 Sarajevo, die<br />

Hauptstadt der Volksrepublik Bosnien<br />

und Herzegowina, befreit. Ewige Ehre und<br />

Dank den gefallenen Helden für die Befreiung<br />

Sarajevos und unseres Vaterlandes.<br />

Am ersten Jahrestag seiner Befreiung<br />

Das dankbare Sarajevo«<br />

12/2013 37

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