Gerhard Richter
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18. Oktober 1977 - Heldenverehrung oder Ideologiekritik?<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>s Zyklus trägt den schlichten Namen ’18. Oktober<br />
1977’. Der Titel verweist auf das Ende eines lang anhaltenden<br />
Konfliktes zwischen den staatlichen Autoritäten der Bundesrepublik<br />
Deutschland, dem so genannten politischen Establishment, sowie der<br />
ersten Generation einer radikal militanten Vereinigung, der Roten<br />
Armee Fraktion.<br />
1<br />
Die unmittelbare Konfrontation mit dem linken<br />
Terrorismus, sie gehörte zu den prägendsten Ereignissen der deutschen<br />
Nachkriegsgeschichte. Die Thematik ist bis heute »wesentlich stärker<br />
mit Verboten, Scham und Angst besetzt als die Verbrechen des Dritten<br />
Reiches, mit denen sich viel zu viele längst psychisch und sozial<br />
2<br />
arrangiert zu haben scheinen.« Im Begleitheft zur ersten Ausstellung<br />
des Zyklus im Haus Esters in Krefeld hieß es, »<strong>Richter</strong> habe einen<br />
3<br />
unerledigten Fall der neueren Geschichte wieder aufgenommen.«<br />
Durch die bis heute anhaltende politische Brisanz gehört der Zyklus<br />
gewiss zu den strittigsten Werken <strong>Richter</strong>s. Kein anderes Kunstwerk<br />
des ausgehenden 20. Jahrhunderts sei von der Kunstkritik mit einem<br />
vergleichbarem Interesse aufgenommen, aber auch ähnlich kontrovers<br />
diskutiert worden, resümierte Dietmar Elger, ehemals Sekretär im<br />
4<br />
Atelier von <strong>Richter</strong>. <strong>Richter</strong> sah sich von bestimmten politischen<br />
seinen dem Vorwurf ausgesetzt, er verharmlose mit seinem Werk den<br />
Terror und seine alleinige Fokussierung auf die RAF-Täter stelle eine<br />
Pietätlosigkeit gegenüber den Opfern dar.<br />
5<br />
Dass dies nicht nur eine<br />
deutsche Sichtweise war zeigt die Kritik Hilton Kramers, als er <strong>Richter</strong><br />
im Zuge des Ankaufes des Bildzyklus durch das MoMa 1995 im New<br />
York Observer vorwarf, er wolle die Erinnerung an die RAF<br />
romantisieren und erhebe die Baader-Meinhof-Bande zu politischen<br />
6<br />
Heiligen bzw. Märtyrern. Indirekt unterstelle er ihm, Sympathisant<br />
des ‘linken Terrors’ zu sein. Auf den folgenden Seiten widerspreche ich<br />
dieser Ansicht und möchte darlegen, dass <strong>Richter</strong>s Zyklus keine<br />
Heldenverehrung darstellt, sondern eine umfassende, allgemeine Kritik<br />
an ideologischen bzw. totalitären Denkmustern darstellt.<br />
1 Anm: Im weiteren Textverlauf wird Rote Armee Fraktion mit dem üblichen Kürzel<br />
RAF bezeichnet.<br />
2 Meinhard, Johannes: „18 Oktober 1977“. In: <strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong>/ Wilmes, Ulrich (Hg.):<br />
Presseberichte zu <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong> "18. Oktober 1977". Verlag der Buchhandlung<br />
Walther König, Köln 1989. S. 124.<br />
3 Storck, <strong>Gerhard</strong>: Ohne Titel (Gemischte Gefühle). In: Storck, <strong>Gerhard</strong> (Hg.): Ausst.<br />
Kat. <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>. 18. Oktober 1977, Museum Haus Esters und Portikus Frankfurt/<br />
Main. Verlag der Buchhandlung Walther König , Köln 1989. S. 7.<br />
4 Vgl.: Elger, Dietmar: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>, Maler. Dumont Verlag, Köln 2002. S. 213.<br />
5 Anm.: Diese Meinung vertreten u.a. Hansgünther Heyme in Art: Das Kunstmagazin<br />
4/1989 und Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung 4, 2005.<br />
Vgl.: <strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong>: Interview mit Hubertus Butin, 1995. In: Obrist, Hans-Ulrich/<br />
6<br />
Elger, Dietmar (Hg.): <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>. Text 1961 bis 2007. Verlag der Buchhandlung<br />
Walther König, Köln 2008. S. 329.
»Wer sich nicht wehrt, stirbt [...]. Mit dem bewaffneten Widerstand<br />
beginnen! Die Rote Armee aufbauen!«<br />
7<br />
Die Entstehung der sog. Roten Armee Fraktion war eng mit den<br />
politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Jahre 1967-69<br />
verbunden. Ihre ‘Gründer‘ stammten zumeist aus dem Umfeld der<br />
damaligen Studentenprotestbewegung. Die Rote Arme Fraktion war<br />
vor allem ein Produkt der Zerfall- und Transformationsgeschichte der<br />
8<br />
Protestbewegung. Die Erschießung Benno Ohnesorgs 1967, und vor<br />
allem das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke knapp ein<br />
Jahr später, radikalisierte viele Teile der Studentenbewegung, sowie<br />
deren Sympathisanten aus der Arbeiterschaft. Michael Hör führt die<br />
Entstehung militanter Gruppen auf ein wachsendes »sozialistischklassenkämpferisches<br />
Bewusstsein« zurück.<br />
9<br />
Die gewaltsame Befreiung Andreas Baaders am 14. Mai 1970 aus dem<br />
Deutschen Institut für Soziale Fragen kann als ‘Gründung‘ der RAF<br />
angesehen werden. Erstmals tauchte die Bezeichnung Rote Armee in<br />
der kurzen Erklärung zur Befreiung Baaders auf.<br />
10<br />
Der Name war eine<br />
Analogie zur Oktoberrevolution unter Lenin in Russland 1917. Die<br />
RAF sah sich ideologisch als Teil einer weltumfassenden Bewegung<br />
des proletarischen Internationalismus. Durch die Analogie wollte sie<br />
suggerieren, sie stünde in der Tradition der sowjetischen Armee, die<br />
im Zweiten Weltkrieg im Bündnis mit den alliierten Westmächten den<br />
Nationalsozialismus besiegten. So stellte sich die RAF nicht nur als<br />
Speerspitze einer weltrevolutionären Bewegung dar, sondern auch als<br />
militante Vorhut im Kampf gegen einen angeblich aufziehenden neuen<br />
11<br />
Faschismus. In Ihrer ersten theoretisch fundierten Schrift ’Das<br />
Konzept Stadtguerilla’ beschrieb sie ihre revolutionären Vorstellungen<br />
für die Praxis, welche im theoretischen Bereich durch einen<br />
ideologischen Rahmen abgesichert werden sollten. Ziel der RAF war<br />
der revolutionäre Umsturz der BRD, deren Erbauer ihrer Auffassung<br />
nach die »Generation von Auschwitz« waren.<br />
12<br />
Die Ablehnung des<br />
7 Rote Armee Fraktion: Die Rote Armee aufbauen. Erklärung zur Befreiung Andreas<br />
Baaders vom 5. Juni 1970. In: ID-Verlag (Hg.): Rote Armee Fraktion - Texte und<br />
Materialien zur Geschichte der RAF. ID-Verlag, Berlin 1997, S. 26.<br />
8 Vgl.: Kraushaar, Wolfgang: Zur Topologie des RAF-Terrorismus. In: Kraushaar,<br />
Wolfgang (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus. HIS Verlagsgesellschaft, Hamburg<br />
2006. S. 23.<br />
9 Horn, Michael: Sozialpsychologie des Terrorismus (Social psychology of terrorism).<br />
Campus Verlag, Frankfurt am Main/ New York 1982. S. 32<br />
10 Vgl.: Rote Armee Fraktion: Die Rote Armee aufbauen. Erklärung zur Befreiung<br />
Andreas Baaders vom 5. Juni 1970, S.24.<br />
11 Vgl.: Schweizer, Stefan: Rote Armee Fraktion Ideologie und Strategie im Wandel:<br />
Eine Analyse der RAF von 1970 bis 1992. Europäischer Hochschulverlag, Bremen<br />
2009. S. 21.<br />
Rote Armee Fraktion: Das Konzept Stadtguerilla. In: Rote Armee Fraktion - Texte<br />
12<br />
und Materialien zur Geschichte der RAF, S.30.
westdeutschen Staates basierte auf dem Vorwurf, dieser sei keine<br />
Demokratie, sondern ein »faschistoider, repressiver Staat.«<br />
13<br />
Das<br />
ideologische Fundament war hauptsächlich marxistisch-leninistisch<br />
geprägt, Anleihen aus lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen,<br />
oder anarchistische Ideen wie die von Louis-Auguste Blanqui sind in<br />
ihren Erklärungen immer wider zu finden, jedoch wurde ihnen keine<br />
größere Bedeutung beigemessen. Die Herkunft des Begriffs der<br />
Stadtguerilla zeigt eine, neben der Bekämpfung des deutschen Staates,<br />
weitere wichtige Motivation der RAF - die Probleme der Dritten Welt<br />
durch den bewaffneten Kampf lösen zu wollen.<br />
14<br />
Das Konzept der<br />
Stadtguerilla, sprich das totalitäre Denkkonzept der RAF, einen<br />
antiimperialistischen Kampf in den Metropolen zu führen, wurde von<br />
ihnen schlussendlich marxistisch-leninistisch begründet. »Daß der<br />
bewaffnete Kampf die höchste Form des Marxismus-Leninismus<br />
15<br />
(Mao) jetzt begonnen werden kann[...]« lautete ihr Credo. Diese<br />
klare Positionierung hin zum bewaffneten Kampf untermauerte die<br />
RAF in ihrer Erklärung Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa<br />
noch einmal. Die Revolution müsse demnach gewalttätig verlaufen.<br />
»Die revolutionäre Situation entsteht nicht erst, wenn sie auch die<br />
Soziologen erkennen. Sie kündigt sich an in der Richtungsänderung<br />
der Gewalttätigkeit. Sie ist vorhanden [...] wenn der gewaltsame<br />
Widerstand gegen das Ausbeutersystem [...] kollektive Züge<br />
16<br />
annimmt«. Die hauptsächlichen Aktivität der ersten Generation der<br />
RAF sollte zunächst die klassische Beschaffungskriminalität sein,<br />
wenig später erfolgten zahlreiche Bombenanschläge gegen deutsche<br />
bzw. US- amerikanische Einrichtungen. Im Sommer 1972 wurde der<br />
harte Kern nach einer beispiellosen Fahndungsaktion festgenommen.<br />
Der Tod Holger Meins 1974, die Stammheimer Prozesse ab 1975,<br />
sowie die außergewöhnlichen Haftbedingungen gaben der RAF eine<br />
politische Bedeutung und Aura, die sie mit ihren eigenen Aktivitäten<br />
nie erreicht hatte und nie wieder erreichen sollte. Im April 1977<br />
endete der Prozess in Stammheim mit der Verurteilung der inhaftierten<br />
Terroristen zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Ausgenommen von dieser<br />
Strafe war Ulrike Meinhof - sie wurde bereits ein Jahr zuvor erhängt<br />
in ihrer Zelle aufgefunden. Mit dem Urteilsspruch begann zugleich der<br />
vorläufige Höhepunkt des Deutschen Herbstes. Horst Buback und<br />
Jürgen Ponto gehörten zu den prominentesten Opfer der zweiten RAF-<br />
13 Rote Armee Fraktion: Das Konzept Stadtguerilla. In: Rote Armee Fraktion - Texte<br />
und Materialien zur Geschichte der RAF, S.20.<br />
14 Vgl.: Schweizer 2009, S. 20.<br />
15 Rote Armee Fraktion: Das Konzept Stadtguerilla, S.31.<br />
Rote Armee Fraktion: Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa. Mai 1971. In:<br />
16<br />
Rote Armee Fraktion - Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, S. 71.
17<br />
Generation. Die Taten der RAF waren nun weniger ideologisch<br />
motiviert, sie dienten vornehmlich der Gefangenenbefreiung. Der Staat<br />
sollte durch »gezielte aufeinanderfolgende Angriffe weiter weich<br />
geklopft werden«.<br />
18<br />
Mit der Entführung Hanns Martin Schleyers,<br />
sowie der Lufthansa Passagiermaschine Landshut durch ein<br />
palästinensisches Terrorkommando, erreichte der Deutsche Herbst<br />
schließlich seinen Höhepunkt. In der Nacht vom 17. auf den 18.<br />
Oktober 1977 konnten in Mogadischu alle Geiseln lebend befreit<br />
werden. Obwohl man den inhaftierten Terroristen in Folge des<br />
Kontaktsperrengesetztes alle Radios weggenommen hatte, konnten<br />
diese durch umgebaute Plattenspieler miteinander kommunizieren und<br />
Informationen von außen erlangen. Am Morgen des 18. Oktober<br />
1977 fand man schließlich die Leiche des erschossenen Baaders,<br />
Gudrun Ensslin hing tot an einem Lautsprecherkabel, Jan-Carl Raspe<br />
saß sterbend auf seinem Bett, lediglich Irmgard Möller überlebte die<br />
Todesnacht von Stammheim. Am Tag darauf gaben die Entführer die<br />
19<br />
Ermordung Schleyers bekannt.<br />
Der 15 Gemälde umfassende Zyklus setzt sich aus den beiden<br />
Tryptichen Tote, Gegenüberstellung, den Dyptichen Festnahme,<br />
Erschossener, sowie den Einzelnbildern Zelle, Erhängte, Plattenspieler,<br />
Jugendbildnis und Beerdigung zusammen. Bei der Ausführung der<br />
Gemälde griff <strong>Richter</strong> noch einmal auf die Technik zurück, mittels<br />
eines Episkops Fotografien auf eine Leinwand zu projizieren, um<br />
anschließend das Motiv mit Ölfarbe auszuführen. Anschließend<br />
modifizierte er die Bilder indem er die Farbe mit einem breiten Pinsel<br />
20<br />
vorsichtig verwischte. Im Gegensatz zu seinen früheren Werken<br />
mischte er dem Grau kein Umbra mehr bei. Somit erzielte er einen<br />
kräftigen Schwarz-Grau- Kontrast, was darin begründet liegen könnte,<br />
dass <strong>Richter</strong> die Gemälde nicht nach Originalfotografien, sondern<br />
nach Fotokopien fertigte und bei diesen die grauen Zwischentöne<br />
wegfallen.<br />
21<br />
Für die Betitelung der einzelnen Leinwände wählte er<br />
keine konkrete Angaben, er beschränkte sich auf verallgemeinernde,<br />
typisierende Angaben wie Erschossener oder Festnahme. Der<br />
Gesamttitel 18. Oktober 1977 verweist allerdings auf das historische<br />
Ausgangsthema. Darüber hinaus stellt der Zyklus keine chronische<br />
17 Berendse, Gerrit-Jan/ Cornils, Ingo: The Long Shadow of Terrorism. In: Berendse,<br />
Gerrit-Jan/ Cornils, Ingo (Hg.): Baader-Meinhof Returns. History and Cultural Memory<br />
of German Left-Wing Terrorism. Rodopi B.V., Amsterdam/New York 2008, S. 11ff.<br />
18 Peters, Butz: Tödlicher Irrtum: Die Geschichte der RAF, 3. Auflage. Fischer,<br />
Frankfurt am Main 2007. S. 378.<br />
19 Berendse, Gerrit-Jan/ Cornils, Ingo: The Long Shadow of Terrorism, S. 17.<br />
20 Butin, Hubertus: Zu <strong>Richter</strong>s Oktober Bildern. Verlag der Buchhandlung Walther<br />
König, Köln 1991. S. 13. 21 Vgl.: Elger 2002, S. 362.<br />
21 Vgl.: Elger 2002, S. 362.
Abfolge dar, es existiert keine vorgegebene Reihenfolge. <strong>Richter</strong><br />
verzichtete auf eine narrative, erzählende Struktur. Da es keinen klar<br />
definierten Anfang und daher auch kein Ende gibt, handelt es sich<br />
streng genommen nicht um einen Zyklus. Die Werke an sich sind<br />
eigene, abgeschlossene Werkeinheiten, können aber erst im<br />
thematischen Zusammenhang als künstlerische Einheit verstanden<br />
werden. Aufgrund der Zusammenhänge der einzelnen Bilder, führte<br />
<strong>Richter</strong> selbst den Begriff Zyklus ein.<br />
22<br />
<strong>Richter</strong> versuchte sich mit der Ungeheuerlichkeit des Terrorismus der<br />
RAF auf eine künstlerische Art auseinanderzusetzen. Dass es für die<br />
aufgegriffene politische Thematik einen privaten Hintergrund gab<br />
machte er selbst nie öffentlich. Er wollte, dass die Bilder allgemein<br />
23<br />
gelesen werden. Erstmals wurde dieser Hintergrund von Robert<br />
Storr angesprochen. <strong>Richter</strong> habe ihm die private Intention für eine<br />
Auseinandersetzung mit dem Links-Terrorismus in der BRD<br />
nachdrücklich bestätigt. Mit seiner damaligen Frau Isa Genzken und<br />
dem Kunsthistoriker Benjamin Buchloh habe <strong>Richter</strong> einen über zehn<br />
Jahre fortlaufenden kontroversen Dialog über Terrorismus, dessen<br />
Ursache, sowie Konsequenzen geführt, da beide eine Zeit lang mit der<br />
Ideologie der RAF sympathisierten und deren Radikalität schätzten, so<br />
24<br />
Storr. <strong>Richter</strong> selbst war zwar von dem kompromisslosen Willen<br />
und dem absoluten Mut der Terroristen einerseits beeindruckt, lehnte<br />
25<br />
selbst jedoch ihre Ideen ab.<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>:<br />
Jugendbildnis, 1988,<br />
Werksverzeichnis 672-1<br />
Jugendbildnis:<br />
Für das Jugendbildnis der Ulrike Meinhof lag <strong>Richter</strong> ein<br />
konventionelles Brustbild, vermutlich ein Pressefoto zu Meinhofs Film<br />
Bambule vor. Es ist das einzige Motiv, was nicht aus der Zeit der RAF<br />
stammt. <strong>Richter</strong> veränderte die fotografische Vorlage nur geringfügig,<br />
indem er das Gemälde nur ganz leicht durch eine sanfte Verwischung<br />
in Unschärfe setzte. Er stellt die Terroristin als nachdenkliche,<br />
melancholische, junge Frau dar, ihr Blick wirkt unbelastet, vielleicht<br />
signalisiert er träumerische Zuversicht. Ihr Haar verschmilzt nahezu<br />
mit dem dunklen Hintergrund und ist nur an wenigen Stellen durch<br />
Lichtreflexe strukturiert. Das Porträt nimmt eine zentrale Funktion<br />
innerhalb des Zyklus ein. Es gibt kein anderes Motiv, das den<br />
Betrachter derart direkt angespricht. Die Meinhof signalisiere eine<br />
Unmittelbarkeit, eine Direktheit, die nahezu einmalig zu sein scheint,<br />
22 Vgl.: Butin 1991, S. 15f.<br />
Portrait von Ulrike<br />
Meinhof, 1970.<br />
23 Vgl.: Elger 2002, S. 385.<br />
24 Vgl.: Storr, Robert: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>: October 18, 1977. Museum of Modern Art,<br />
New York 2002. S. 98f.<br />
25 Vgl.: <strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong>: Notizen November 1988. In: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>. Text 1961 bis<br />
2007. S. 217.
26<br />
wie es bereits Martin Henatsch formulierte. Vermutlich erwarten die<br />
meisten Betrachter bei dem Namen Ulrike Meinhof ein anderes Bild,<br />
als es <strong>Richter</strong> präsentiert. Er zeigt eine junge, unauffällige Frau, deren<br />
weiterer Werdegang sich kaum am Porträt ablesen lässt.<br />
27<br />
Zum<br />
Zeitpunkt des Erscheinen des Originalfotos war Meinhof 36 Jahre alt,<br />
<strong>Richter</strong> portraitierte sie allerdings als ein etwa 20jähriges Mädchen.<br />
Gerade zu diesem Zeitpunkt entschloss sie sich der RAF anzuschließen<br />
und in die Illegalität zu gehen. <strong>Richter</strong> thematisierte im Falle der<br />
Meinhof die biographische Dimension des Terrorismus, indem er ein<br />
Jugendbildnis in die Bildergruppe integrierte und somit vermutlich die<br />
28<br />
hoffnungsvolle Zukunft der Jugendlichen verdeutlichen wollte. Das<br />
Bild steht quasi für den Anfang der RAF und deren ideologischen<br />
Gesellschaftskonzeptes. In Gesprächen mit <strong>Richter</strong> merkte Jan-Thorn<br />
Prikker an, die rührende, harmlose Person müsse nicht unbedingt die<br />
Meinhof selbst darstellen. Vielmehr thematisiere <strong>Richter</strong> mit diesem<br />
Werk die Ideologieanfälligkeit jeder Person.<br />
29<br />
<strong>Richter</strong> wolle keine<br />
Symphatiegefühle oder gar Solidarität beim Betrachter erwecken, eher<br />
die spezifische Einsicht, der Fanatismus, der Glaube an eine all<br />
umfassende Ideologie könne aus jeglicher bürgerlichen Normalität<br />
entspringen.<br />
30<br />
Der sehnsuchtsvolle Blick der Meinhof lässt die fatale<br />
Konsequenz der RAF nahezu unbegreiflich erscheinen.<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>:<br />
Festnahme (1), 1988,<br />
Werksverzeichnis 674-1<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>:<br />
Festnahme (2), 1988,<br />
Werksverzeichnis 674-2<br />
Festnahme (1) /(2):<br />
Das Dyptichon Festnahme zeigt die Verhaftung Baaders und Raspes<br />
im Jahre 1972. <strong>Richter</strong>s Ausführungen basieren auf Polizeiaufnahmen,<br />
die anschließend im Stern publiziert wurden. Die im Titel benannte<br />
Handlung ist nicht offensichtlich, wenn überhaupt ist sie nur zu<br />
erahnen. Die bis zur Unkenntlichkeit vorangetriebene Vermalung, die<br />
schemenhafte Darstellung und der somit einhergehenden Verharrung<br />
des Bildinhaltes auf der Ebene des Andeutens lassen außer parkende<br />
Autos und einem hellen, sich in die Tiefe streckenden Gebäude nichts<br />
Genaues erkennen. Der große, helle und diagonal ins Bild gesetzte<br />
Häuserblock auf der linken Seite findet seine formale Entsprechung in<br />
der abgedunkelten Ecke der gegenüberliegenden Gemäldehälfte. Die<br />
im Gemälde kaum zu erkennende Person stellt Holger Meins dar. Auf<br />
der ersten Fotografie steht Meins direkt vor einem Polizeiwagen, auf<br />
der zweiten Fotogra e erscheint das Fahrzeug einige Meter nach hinten<br />
26 Vgl.: Henatsch, Martin: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong> - 18. Oktober 1977. Das verwischte Bild<br />
der Geschichte. Fischer Verlag, Frankfurt 1998. S. 74.<br />
27 Vgl. : Butin 1991, S. 47.<br />
28 Vgl.: Hemken, Kai-Uwe: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>: 18. Oktober 1977. Eine Kunst-<br />
Monografie Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1998. S. 80.<br />
29 Vgl.: <strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong> : Gespräch mit Jan Thorn-Prikker über den Zyklus 18.<br />
Oktober 1977, 1989. In: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>. Text 1961 bis 2007, S. 230.<br />
30 Vgl.: Butin 1991, S. 48.
Verhaftung von Holger<br />
meins, Andreas Baader und<br />
Jan-Carl Raspe am 1. Juni<br />
1972 in Frankfurt/Main.<br />
Verhaftung von Holger<br />
meins, Andreas Baader und<br />
Jan-Carl Raspe am 1. Juni<br />
1972 in Frankfurt/Main.<br />
versetzt. Auf den ersten Blick scheinen die beiden Werke nahezu<br />
identisch, sie unterscheiden sich jedoch anhand der Positionierung des<br />
Fahrzeuges. Zudem ist in Festnahme 1 das Wohnhaus relativ klar zu<br />
erkennen, der Bildhintergrund verschwindet jedoch aufgrund der<br />
starken Verwischung beinahe vollständig. Bei Festnahme 2 wirkt der<br />
Bildhintergrund im Vergleich dazu stark fokussiert, während das<br />
Wohnhaus beinahe vollständig aufgelöst wirkt. Das authentische der<br />
Pressefotografie, die auf Sensation baut um den Leser zu fesseln, wird<br />
in <strong>Richter</strong>s Ausführungen durch die Verwischung nahezu aufgehoben.<br />
<strong>Richter</strong> stellt die Konfrontation Meins mit der Polizei dar. Indem er<br />
den nackten Meins darstellte, der von der Polizei aufgefordert wurde<br />
seine Kleider abzulegen, verweist er auf das Ausgeliefertsein des<br />
Individuums gegenüber der Staatsgewalt. Die Festnahme-Bilder sind<br />
die einzigen innerhalb des Zyklus, die den Konflikt zwischen Staat<br />
und RAF andeuten bzw. darstellen. Da diese Gegenüberstellung recht<br />
unverhältnismäßig wirkt, könne man gar eine Parteinahme zugunsten<br />
31<br />
der Terroristen vermuten. Die eingesetzte Verwischung relativiert<br />
diesen Eindruck jedoch. Durch die Verwischungstechnik vermeidet<br />
<strong>Richter</strong> eine derart eindeutige Interpretation. <strong>Richter</strong> scheint den<br />
ideologischen Konflikt beinahe wegwischen zu wollen. Die eigentliche<br />
Handlung verbirgt sich hinter einem undurchdringlichen Grauschleier.<br />
Dieser Grauschleier verhindert einen unmittelbaren Zugriff auf das<br />
Dargestellte. Der unsichere Umgang mit dem Motiv entspricht somit<br />
dem Umgang mit der gesamten RAF-Thematik.<br />
32<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>: Erhängte,<br />
1988, Werksverzeichnis<br />
668<br />
Erhängte:<br />
Erhängte ist ein Einzelbild und gehört zu den dunkelsten und<br />
unschärfsten des Zyklus. Eine zweite Version wurde von <strong>Richter</strong><br />
verworfen und in weiterer Folge abstrakt übermalt. Dargestellt ist<br />
Gudrun Ensslin, die mit einem Lautsprecherkabel erhängt an ihrem<br />
Zellenfenster gefunden wurden. Die fotografische Vorlage zeigt eine<br />
junge Frau mit nach vorne gefallenem Kopf und baumelnden Beinen.<br />
<strong>Richter</strong>s Ausführung zeigt diese Frau nur noch äußerst schemenhaft.<br />
Dunkle Grauschwaden lassen die Schlinge, an der die Dargestellte<br />
hängt, nur noch erahnen. <strong>Richter</strong> ließ vermutlich einen Vorhang, der<br />
auf der Vorlage zu erkennen ist, mit dem Boden und der Erhängten<br />
verschmelzen, so dass der Blick des Betrachters auf den hängenden<br />
Körper der Ensslin in der Bildmitte gelenkt wird. Der nur noch<br />
schemenhaft dargestellte Körper wird von <strong>Richter</strong> beinahe förmlich<br />
aufgelöst. Das ‘Aufgehängtsein‘ kann im Gemälde nicht definitiv<br />
31 Vgl.: Kolb, Henriette: 9. November 1974/ 18. Oktober 1977. In: Conradt, Gerd<br />
(Hg.): Starbuck. Holger Meins. Ein Portrait als Zeitbild. Espresso Verlag, Berlin 2001.<br />
S. 188.<br />
32 Vgl.: Henatsch 1998, S. 38.
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>: Decke,<br />
1988, Werksverzeichnis<br />
680-3<br />
Gudrun Ensslin, erhängt in<br />
ihrer Zelle in Stammheim<br />
1977<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>:<br />
Beerdigung, 1988,<br />
Werksverzeichnis 673<br />
erkannt werden, es lässt sich jedoch dadurch erschließen, dass <strong>Richter</strong><br />
die untere Körperhälfte Ensslins im Grau der Malerei beinahe<br />
vollständig verschwinden lässt und der Boden, auf dem sie theoretisch<br />
stehen müsste, ebenfalls nicht mehr zu erkennen ist.<br />
33<br />
Das untere<br />
Bilddrittel erscheint als dunkler Abgrund von nicht erkennbarer Tiefe.<br />
In <strong>Richter</strong>s Malerei hat die Tote im wahrsten Sinne des Wortes den<br />
34<br />
Boden unter den Füssen verloren. Es liegt nahe, den Boden hier als<br />
Metapher für Ensslins letztendlich gescheiterte Weltanschauung zu<br />
sehen. Ensslin wurde immer wieder als eindrucksvoller Mensch<br />
beschrieben weil sie so absolut war und notfalls mit ihrem Leben für<br />
35<br />
ihre Überzeugung eintreten würde. Diese Überzeugung sollte ihr<br />
Ende in Stammheim enden.<br />
Beerdigung:<br />
Beerdigung ist das größte Format der Oktober-Bilder. Als Vorlage<br />
diente <strong>Richter</strong> eine Fotografie des Begräbnisses der RAF-Terroristen<br />
auf dem Stuttgarter Waldfriedhof. Die malerische Ausführung erfolgte<br />
gemäß der Vorlage detailgenau. Durch die Technik der Verwischung<br />
fällt es allerdings schwer, das Szenario genau zu erkennen. Zu erahnen<br />
sind drei helle Flecken, die die Särge der Terroristen darstellen, sowie<br />
eine umherstehende Menschenmenge. Der Trauerzug verläuft dabei<br />
wie eine Diagonale von links in den rechten unteren Bildrand, die<br />
Struktur des Bildes wird von hellen und dunklen Flächen und Strichen<br />
bestimmt. <strong>Richter</strong> wählte wohl ein derartig großes Format, um die<br />
36<br />
Aussage der gesamten Bildergruppe zu resümieren. Es entsteht der<br />
Eindruck, <strong>Richter</strong> wolle der dokumentarische Wiedergabe der<br />
Beerdigung eine metaphorische Dimension verleihen. <strong>Richter</strong> zeige<br />
hier nicht nur die Beerdigung der einzelnen Protagonisten, vielmehr<br />
wird die Ideologie der toten Terroristen nun sinnbildlich zu Grabe<br />
getragen.<br />
37<br />
Beerdigung bedeute auch immer Abschied und Abschluss,<br />
sie ist eine radikale Form der Distanzierung, im ideologischen Sinne<br />
der Abschied einer Heilslehre und darüber hinaus Abschied von einer<br />
Illusion, unakzeptable Lebensumstände bekämpfen zu können. Diese<br />
Distanzierung wird von <strong>Richter</strong> durch die malerische Verwischung<br />
formal-gestalterisch vollzogen. Diese signalisiere die fortschreitende<br />
Auflösung greifbarer Faktizität im Zeichen von Zeitlichkeit. Sie zeigt<br />
in diesem Fall den Vergangenheitscharakter des Ganzen, sprich der<br />
Ideologie.<br />
33 Vgl.: Butin 1991, S. 17.<br />
34 Vgl.: Elger 2002, S. 115.<br />
Beerdigung von Andreas<br />
Baader, Gudrun Ensslin<br />
und Jan-Carl Raspe 1977<br />
35 Vgl.: Kraushaar, Wolfgang: Zur Topologie des RAF-Terrorismus. S. 23.<br />
36 Hemken 1998, S. 67.<br />
37 Vgl.: Ebenda, S. 67f.
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>: Ohne<br />
Titel, 1988,<br />
Werksverzeichnis 684-2<br />
Holger Meins 1974<br />
Che Guevara1967<br />
Wie wir wissen, spielte <strong>Richter</strong> mit dem Gedanken, weitere Motive<br />
von Holger Meins in den Zyklus mit aufzunehmen. In <strong>Richter</strong>s<br />
Bildfundus finden sich einige Portraitaufnahmen des toten Terroristen.<br />
Ein für den Zyklus ursprünglich bestimmtes Motiv, welches Meins auf<br />
38<br />
dem Totenbett zeigte, übermalte <strong>Richter</strong> aber wenig später wieder.<br />
Dass <strong>Richter</strong> diese Darstellungen Meins nicht in den Zyklus aufnahm,<br />
ist durchaus interessant, war Meins doch einer der wichtigsten<br />
Personen der RAF. Er verstarb 1974 in Folge eines Hungerstreikes<br />
gegen die damaligen Haftbedingungen. Seine Anwälte waren sich der<br />
Wirkungsmacht des Bildes sicherlich bewusst, als sie eine Aufnahme<br />
des toten, ausgemergelten Körpers dem Nachrichtenmagazin Stern zur<br />
Verfügung stellte. Dieses Foto war für viele ein Schock. Der Anblick<br />
des toten Meins erinnerte nicht wenige an die toten Häftlinge von<br />
Auschwitz, zumal die Insassen immer wieder ihre Bedingungen mit<br />
denen der NS-Häftlinge verglichen hatte. Das Foto stilisierte Meins<br />
zum Märtyrer, der durch den faschistischen bundesdeutschen Staat<br />
ermordet worden sei. Meins letzte Worte aus der Haftanstalt Wittlich<br />
lauteten: »Dass der faschistische Staat seine militanten Gegner auch<br />
physisch vernichten will, daran besteht für viele radikale Linke kein<br />
Zweifel mehr«.<br />
39<br />
Der hier dargestellte Meins erinnert stark an den<br />
toten Jesus Christi. Auch der Vergleich des aufgebahrten Meins mit<br />
einer Ikone der politischen Linken, Che Guevara, zeigt eine starke<br />
motivische Übereinstimmung. Durch den Vergleich mit Che Guevara<br />
wird Meins moralisch erhöht. Der tote, abgemagerte Meins hätte im<br />
Zyklus durchaus eine gesonderte Rolle eingenommen. »Holger Meins<br />
war im Kampf gefallen und wurde zur Märtyrerfigur, ähnlich wie Che<br />
40<br />
Guevara«. So wurde Holger Meins nicht nur in seiner Biographie<br />
beschrieben, dies war auch die Auffassung der RAF-Anhänger oder<br />
deren Sympathisanten. Eine Verwendung dieser Motive hätte dem<br />
Zyklus einen anderen, politischen Akzent verliehen. Im Gegensatz zu<br />
den von <strong>Richter</strong> gewählten Motiven, kann der Betrachter mit der<br />
Darstellung des toten, abgemagerten Meins durchaus Mitgefühl<br />
entwickeln oder durch die gezeigten Vergleiche positive Assoziationen<br />
auf Holger Meins projizieren.<br />
38 Vgl.: Storr, Robert: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>. Malerei. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit<br />
2002. S. 75.<br />
39 Meins, Holger: Entweder Mensch oder Schwein. In: Der Spiegel 47, 1974. S. 30.<br />
40 Vgl.: Kolb 9. November 1974/ 18. Oktober 1977, S. 189.
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong> mit der<br />
von ihm bemalten Fahne in<br />
der Galerie Schelma in<br />
Düsseldorf, 1966<br />
Der bis vor kurzem noch weitgehend unbekannte Film Volker Bradke<br />
sollte ein Unikum in <strong>Richter</strong>s Œuvre bleiben. Er ist aber gerade für die<br />
vorliegende Ausführung interessant, da <strong>Richter</strong> hier nicht nur das<br />
Prinzip der Unschärfe von seiner Malerei auf den Film überträgt, der<br />
Film zeigt auch die kritische Sicht <strong>Richter</strong>s hinsichtlich Heroisierung<br />
bzw. Ideologisierung. Zentrales Motiv des Filmes ist ein junger Mann,<br />
der banale Bewegungen und Tätigkeiten ausführt, die sich jedoch zu<br />
keiner narrativen Struktur verbinden lassen. Die einzelnen Szenen sind<br />
hart aneinander geschnitten und durchgängig unscharf, was <strong>Richter</strong><br />
durch ein defokusiertes Kameraobjektiv erreichte.<br />
41<br />
Begleitend zur<br />
Präsentation des Filmes in der Galerie Schmale in Düsseldorf fertigte<br />
<strong>Richter</strong> eine weiße Fahne, die er mit dem Konterfei Bradkes bemalte,<br />
sowie ein leicht verwischtes Ölgemälde mit dem Titel Volker Bradke.<br />
Das Motiv aller bildnerischer Medien war immer die Figur des Volker<br />
Bradke. Der unvorbereitete Besucher musste annehmen, mit einem<br />
berühmten Star, oder gar mit einer politischen Ikone konfrontiert zu<br />
sein. Tatsächlich war Bradke lediglich ein junger Szenegänger, der die<br />
Nähe zu Künstlern suchte. Günther Uecker charakterisierte ihn als ein<br />
»Klischee zwischen bürgerlicher Banalität [...]und einer Radikalität im<br />
Aufbruch«.<br />
42<br />
Es liegt nahe, diese scheinbare Heroisierung in Kontext zu <strong>Richter</strong>s<br />
persönlicher Biografie zu setzen. Durch seinen frühen Jahre in der<br />
damaligen DDR war <strong>Richter</strong> mit der Zwangsideologisierung von<br />
Massen vertraut. Ab den 50er Jahren sollte nach dem Willen der<br />
Staatsführung die Kunst als ein massenwirksames Propagandamittel<br />
eingesetzt werden. Sie wurde dabei zu einem Medium der politisch-<br />
43<br />
korrekten Erziehung der Bevölkerung instrumentalisiert. <strong>Richter</strong><br />
bezeichnete in den 90er Jahren den damaligen Sozialismus in der DDR<br />
44<br />
als eine Art »Geisteskrankheit, und wie es scheint, eine unheilbare«.<br />
Während Arbeiter und Bauern meist auf plakativen, stereotypischen<br />
Tafelbilder oder Wandgemälde, stets ohne individuellen Charakter,<br />
abgebildet wurden, erschienen die ideologischen Vordenker wie Marx<br />
oder Engels im Sinne einer politischen Symbolik auf Briefmarken oder<br />
Fahnen. Indem <strong>Richter</strong> Bradke auf einer Fahne abbildete, erteilte er<br />
jeglicher kultischen Verehrung oder ideologischer Überhöhung eine<br />
ironische Absage. Durch die übertriebene, scheinbare Zustimmung der<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>: Volker<br />
Bradke, 1966<br />
41 Vgl.: Butin, Hubertus: Heldenverehrung oder Ideologiekritik? <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>s Film<br />
Volker Bradke von 1966. In: Westheider, Ortrud/ Philipp, Michael: Ausst. Kat. <strong>Gerhard</strong><br />
<strong>Richter</strong>. Bilder einer Epoche. Katalog zur Ausstellung. Hirmer Verlag, München 2011.<br />
S. 83.<br />
42 Uecker Günther zit. n. Elger 2002, S. 136.<br />
43 Vgl.: Elger 2002, S. 18.<br />
44 <strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong>: Interview mit Sabine Schütz 1990. In: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>. Text 1961<br />
bis 2007, S. 258. 50 Vgl.: Jacobi, Fritz: Nationalgalerie Berlin. Kunst in der DDR. E.A.<br />
Seemann, Leipzig 2003. S. 9f.
<strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>: Mao,<br />
1968, Edition CR: 13<br />
45<br />
Heldenverehrung brachte er spöttisch seine Kritik zum Ausdruck.<br />
Die Unschärfe in den Werken <strong>Richter</strong>s sieht Hubertus Butin als eine<br />
ästhetische Kategorie an, die sich wie eine Art Schleier über das Motiv<br />
legt um einen erkentnissmäßigen Zugriff zu verwehren. Ihm nach ist<br />
die Unschärfe eine Form der Kritik bzw. ein Paradigma eines<br />
grundsätzlichen Erkenntniszweifels.<br />
46<br />
Was dabei geschieht, wenn <strong>Richter</strong> das Prinzip der Unschärfe bei<br />
Motiven mit einer historischen und politischen Bedeutung verwendet,<br />
zeigt der Lichtdruck Mao. Auf diesem heute leider in Vergessenheit<br />
geratenen Druck zeigt er eine der mächtigsten Persönlichkeiten der<br />
Zeitgeschichte, den Revolutionsführer und ehemaligen Vorsitzenden<br />
der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China, Mao Tse Tung.<br />
Mao war neben Che Guevara eine der Ikonen der 68er Bewegung und<br />
somit fester Bestandteil der politischen Ikonographie, Gerd Koenen<br />
47<br />
bezeichnete sein Portrait als »die Mona Lisa der Weltrevolution.«<br />
Für die 68er Bewegung war der Revolutionsführer eine willkommene<br />
Projektionsfläche ihrer politischen Ideale. Mit seinem Portrait konnte<br />
man nicht nur eine grundsätzliche Protesthaltung symbolisch zum<br />
Ausdruck bringen, Mao war eine Identifikationsfigur für die Kritik am<br />
Kapitalismus, Anführer einer sozialistischen Revolution, Held des so<br />
genannten antiimperialistischen Befreiungskampfes und, besonders<br />
wichtig, er bot konkrete Handlungsanleitungen zur revolutionären<br />
48<br />
Praxis. Nicht zuletzt deswegen war Mao für die RAF von solcher<br />
Bedeutung. Zahlreiche Kunstproduzenten um 1970 begriffen die<br />
Kunst als eine mögliche oppositionelle Kraft sowie als ein Instrument<br />
kritischen Widerstandes.<br />
49<br />
Mao sah in der Kunst einen »wichtigen<br />
50<br />
und notwendigen Teil, der Revolution propagiert«. <strong>Richter</strong> hatte<br />
jedoch keinesfalls die Absicht, Mao als einen mythischen Heilsbringer<br />
zu verklären. <strong>Richter</strong> lehnte jegliche gesellschaftlichen Utopien von<br />
Grunde auf ab. Er hatte nicht das totalitäre System der DDR 1961<br />
verlassen, um Jahre später dem Marxismus-Leninismus maoistischer<br />
Prägung und dessen Wahnvorstellungen zu huldigen. Wie bereits<br />
erwähnt, kann die Unschärfe in <strong>Richter</strong>s Werken als grundsätzlicher<br />
Erkenntniszweifel gedeutet werden. Die extreme Unschärfe des Mao-<br />
45 Vgl.: Butin, Hubertus: Heldenverehrung oder Ideologiekritik?, S. 86.<br />
46 Vgl.: Ebenda.<br />
47 53 Koenen, Gerd. Interview mit Laura Diehl. In: Gehrig, Sebastian (Hg.):<br />
Kulturrevolution als Vorbild? Maoismen im<br />
deutschsprachigen Raum. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2008. S. 35.<br />
48 Vgl.: Butin, Hubertus: Heldenverehrung oder Ideologiekritik?, S. 88.<br />
49 Vgl.: Schmidt, Hans-Werner: Chinesen am Rhein. Bilder zum Bild Mao Tse-tungs. In:<br />
Syring, Marie Luise (Hg.): Ausst. Kat. Um 1968. Konkrete Utopien in Kunst und<br />
Gesellschaft. Ausstellung in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf. DuMont, Köln<br />
1990. S. 57.<br />
50 Mao: Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung, 2. Auflage. Vnw Verlag, Essen 1993.<br />
S. 355.
Druckes lässt jedoch noch einen weiteren Schluss zu. Die Unschärfe<br />
kann hier als spezifisches Misstrauen gegenüber der dargestellten<br />
Person angesehen werden. Während <strong>Richter</strong> bereits mit dem Film<br />
Volker Bradke jeder Heldenverehrung eine ironische Absage erteilte,<br />
kommt die Unschärfe hier einer grundlegenden Infragestellung des<br />
Revolutionsführers gleich. Inszenierte <strong>Richter</strong> Volker Bradke als<br />
kleinbürgerlichen Antihelden so erscheint Mao in der gleichnamigen<br />
Grafik als ein Antiheld gegenüber seinen eigenen dogmatischen<br />
Geltungsansprüchen.<br />
Sigmar Polke: Ohne Titel<br />
(Dr. Bonn), 1978<br />
Sigmar Polke:<br />
Sicherheitsverwahrung,<br />
1979<br />
Seit der Todesnacht von Stammheim war die RAF ein stetig<br />
wiederkehrendes Sujet in der bildenden Kunst. Sigmar Polke griff<br />
bereits früh die RAF bzw. die Geschehnissen um den Deutschen<br />
Herbst in seinen Werken auf. Im Weiteren möchte ich auf die Werke<br />
Ohne Titel (Dr. Bonn) sowie Sicherheitsverwahrung genauer eingehen.<br />
Der norwegische Maler Odd Nerdrum ist ein weiterer Künstler, der<br />
sich mit der RAF-Thematik auseinandersetzte. Sein Gemälde ist<br />
deswegen interessant, da er als norwegischer Künstler nicht der<br />
unmittelbaren medialen Berichterstattung ausgesetzt war und so nicht<br />
unmittelbar mit dem Terrorismus und dessen Auswirkungen<br />
konfrontiert war.<br />
Nach der Todesnacht im Stammheimer Gefängnis fertigte Polke sein<br />
Werk Ohne Titel (Dr. Bonn), eine Dispersion auf Wolltuch. Der Stoff,<br />
auf dem die Karikatur aufgetragen ist, ist vom Betrachter direkt<br />
51<br />
erfahrbar, er ist zugleich Bildgrund und Bild. Polke zeigt einen<br />
gesichtslosen, anonymen Bürokraten der Bonner Regierung in seinem<br />
Büro, der mit einer Zwille auf sich selbst, oder aber auf die hinter ihm<br />
abgebildeten Baader und Raspe zielt. Der Beamte scheint offenbar mit<br />
einem Protokoll der Ereignisse beschäftigt zu sein, die in<br />
Zusammenhang mit der Fahndung der RAF- Terroristen stehen. Polke<br />
inszenierte mit diesem Werk die Hysterie und die Unangemessenheit,<br />
die der staatliche Apparat einsetzte, um die Terroristen zu bekämpfen.<br />
Der Aufbau eines Sicherheitssystems sollte Züge eines irrationalen<br />
Automatismus einnehmen. Die Hysterie des Staatsschutzes, die Suche<br />
nach technischer Perfektionierung schien nur noch Sieger und Besiegte<br />
zu kennen.<br />
52<br />
Polkes Ausführung kann als ironisch-cartooneske<br />
Deutung der Reaktion von Staat und Polizei auf den bundesdeutschen<br />
Terrorismus gesehen werden. Er verzichtet jedoch auf eine Wertung<br />
des Dargestellten, er lässt offen, ob er die staatlichen Maßnahmen für<br />
angemessen oder überzogen hält.<br />
51 Vgl.: Blumenstein, Ellen: Zu Vorstellungen des Terrors und Möglichkeiten in der<br />
Kunst. In: Biesenbach, Klaus (Hg.): Ausst. Kat. Zur Vorstellung des Terrors. Die RAF.<br />
Eine Ausstellung: Publikation zur Ausstellung in den Kunst-Werken Berlin, Band 2.<br />
Steidl Verlag, Göttingen 2005. S.16.<br />
52 Vgl.: Hemken 1998, S. 71.
Polkes Werk Sicherheitsverwahrung, ebenfalls ein Dispersion auf<br />
Wolltuch, entstand ein Jahr später und setzt sich wiederum kritisch<br />
mit dem Deutschen Herbst auseinander. Das Werk zeigt zwei<br />
Polizisten, die gerade dabei sind, eine junge Frau zu verhaften. Die<br />
über das gesamte Bild verteilten Sicherheitsnadeln verdichten die<br />
Thematik, die sich um Sicherheit, Verhaftung und Gefängnis dreht.<br />
Der Begriff Sicherheitsverwahrung spielt hier auf die hysterische Lage<br />
an, in der der Staat rücksichtslos gegen vorgebliche Sympathisanten<br />
oder Studenten mit Ähnlichkeit zu RAF-Mitgliedern vorging und diese<br />
problemlos für eine bestimmte Zeit festgehalten oder verurteilt werden<br />
53<br />
konnten, sobald ein begründeter Verdacht bestand. Der Staat hatte<br />
die Gesetzeslage geändert und etwa das Kontaktsperrengesetz sowie<br />
den Radikalenerlass erlassen, Gesetze die von einigen als Aufweichung<br />
des Rechtsstaates angesehen wurden, von der Mehrheit der<br />
54<br />
Bevölkerung jedoch als Schutzinstrument empfunden wurden. Polke<br />
lenkt mit seiner Darstellung, sowie mit den verwendeten Materialen<br />
auf die Gewalt und auf den Schmerz der verhafteten Person. Die<br />
angebrachte Rasierklinge auf der Mütze der beiden Polizisten steht<br />
sinnbildlich für die Macht des Staatsapparates wie auch der Gefahr<br />
der körperlichen Verletzung. Die zwei Sicherheitsnadeln, die den<br />
Handrücken der Frau durchstechen, deutete Blumenstein als Schmerz<br />
und Hilflosigkeit der verhafteten Person. Polke vermied es, mit seinen<br />
Werken eine bestimmte Position einzunehmen. Eine direkte bildliche<br />
Kritik zum damaligen Zeitgeschehen wäre bei der Härte der damalig<br />
geführten Auseinandersetzungen seiner weiteren Karriere nicht<br />
förderlich gewesen. Vielmehr wählte er eine scheinbar sich selbst<br />
erklärende, ironische Formsprache um die Missstände der damaligen<br />
Zeit anzuprangern.<br />
55<br />
Odd Nerdrum: Der Mord<br />
an Andreas Baader,<br />
1977/78<br />
Odd Nerdrum Werk trägt den .markanten Titel Der Mord an Andreas<br />
Baader. Es stammt aus einer Reihe von Werken im Caravaggio-Stil<br />
mit tiefen, dunklen Räumen und intensivem schrägen Lichteinfall auf<br />
die dargestellten Personen. Es war eines der ersten Werke, welches<br />
sich in der Kunst mit der RAF-Thematik sowie der Tod der Häftlinge<br />
auseinandersetzte. Nerdrum stellt Baader als Opfer der staatlichen<br />
Übermacht dar. In einer dramatischen Komposition zeigt er den halbnackten<br />
Terroristen, der im Dunkel der Nacht aufgegriffen und von<br />
einer Übermacht, personifiziert durch drei grimmige Männer<br />
53 Vgl.: Blumenstein: Zu Vorstellungen des Terrors und Möglichkeiten in der Kunst, S.<br />
16 f.<br />
54 Vgl.: Hirschfeld, Oswald: Bemerkungen zur sicherheitspolitischen Diskussion. In:<br />
Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte<br />
37, 1982. S. 335.<br />
55 Vgl: Fanizadeh, Andreas: Die Toten ruhen nicht. Zur Vorstellung des Terrors: Die<br />
RAF-Ausstellung in den Kunst-Werken, Berlin. In: Texte zur Kunst 57, 2005. S. 62.
festgehalten wird, während im eine vierte Person aus dem Hintergrund<br />
ins Genick schießt. Nerdrums Anordnung der Personen erinnert<br />
unweigerlich an ein Andreaskreuz bzw. an Caravaggios Kreuzigung<br />
Petri. In der bildenden Kunst stellt das Andreaskreuz ein Attribut des<br />
Apostels Andreas dar, der den Märtyrertod an einem solchen Kreuz<br />
erlitten haben soll. Nerdrum rückt den umstrittenen Terroristen als<br />
56<br />
das unschuldige Opfer ins Zentrum des Geschehens. Es kann sein,<br />
dass Nerdrum mit diesem Gemälde auf die bis heute nicht genau<br />
geklärten Todesumstände der Inhaftierten aufmerksam machen will,<br />
der eindeutige Titel und die Darstellung Baaders als Märtyrer lassen<br />
dies jedoch bezweifeln. Es ist bis heute wohl das einzige bekannte<br />
Kunstwerk, dass eine eindeutige Stellung zugunsten der Terroristen<br />
bezieht.<br />
Das staatliche und moralische Gebot absoluter Distanzierung zu<br />
allem, was mit Terrorismus zu tun hat, erschwert bis heute einen<br />
breiten gesellschaftlichen Diskurs zu den Themen Terrorismus, RAF<br />
und Stammheim. In den Medien dominieren heute noch die<br />
Gräueltaten der RAF, nicht aber was sie da- zu bewirkte oder was ihr<br />
Handeln nachvollziehbar machen würde. Wie bereits erwähnt, war<br />
<strong>Richter</strong> durchaus beeindruckt von der Energie und dem absoluten<br />
Willen der Terroristen. Er respektierte sie, weil sie versuchten, »etwas<br />
57<br />
gegen die Dummheit der Welt zu tun«. <strong>Richter</strong> verweigerte in<br />
seinem Zyklus allerdings jegliche Sinnstiftung des Dargestellten. Er<br />
versuchte weder, den Tod der Terroristen zu einem Martyrium zu<br />
stilisieren, noch deren Taten nachträglich zu legitimieren. <strong>Richter</strong><br />
selbst bezeichnete seine Bilder als »nicht parteiisch, darin sind sie<br />
eindeutig«.<br />
58<br />
So eindeutig wie <strong>Richter</strong> jegliche Ideologie als falsch<br />
ablehnt, so eindeutig ist auch sein Zyklus als Kritik an ideologischen<br />
bzw. totalitären Denkmustern zu verstehen.<br />
Die sozialrevolutionären Vorstellungen der RAF entsprachen genau<br />
dem totalitären, dogmatischen Denken der ehemaligen DDR, der<br />
<strong>Richter</strong> den Rücken kehrte. Seinen Widerstand gegen dieses Denken<br />
bringt <strong>Richter</strong> mit dem Zyklus zum Ausdruck. Das sentimentalen, fast<br />
rührenden Jugendbildnis der Meinhof möchte keine Solidarität mit der<br />
gestorbenen RAF-Terroristin erwecken, es zeigt die biografische<br />
Dimension des Terrors bzw. dessen fatale Folgen. Dass Menschen für<br />
Ideen, <strong>Richter</strong> nennt es ganz drastisch für nichts sterben, erscheint ihm<br />
56 Vgl.: Helleland, Allis: Odd Nerdrum - Leben und Werk. In: Lindner, Gerd (Hg.):<br />
Ausst. Kat. Odd Nerdrum. Prophet der Malerei. Panorama Museum Bad<br />
Frankenhausen. VG Bild-Kunst, Bonn 2011. S. 25.<br />
57 <strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong>: Interview mit Gregorio Magnani. In: <strong>Gerhard</strong> <strong>Richter</strong>. Text 1961<br />
bis 2007, S. 226.<br />
<strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong> : Gespräch mit Jan Thorn-Prikker über den Zyklus 18. Oktober<br />
58<br />
1977,1989, S. 230.
is heute beinahe unverständlich. Für ihn sind diese Ideen meistens<br />
gänzlich falsch und vor allem gefährlich.<br />
59<br />
Im Werk Beerdigung<br />
werden nicht nur die toten Terroristen zu Grabe getragen, sinnbildlich<br />
wird hier auch die gescheiterte Idee der RAF beerdigt. Die eingesetzte<br />
Unschärfe entspricht <strong>Richter</strong>s persönlichem Empfinden gegenüber der<br />
Wahrheit. Im Allgemeinen beurteilen wir Unschärfe als eine extreme<br />
Beeinträchtigung der Wahrnehmung. Die Unschärfe ist für <strong>Richter</strong><br />
eine Möglichkeit, seine Erkenntniszweifel, sein durch Unsicherheit<br />
geprägtes Verhältnis zur Wirklichkeit, auszudrücken. Eine einfache,<br />
all umfassende Erklärung der Wirklichkeit wie es Ideologien für sich<br />
immerzu in Anspruch nehmen, ist für <strong>Richter</strong> nicht vorstellbar.<br />
Die kurze Ausführung widerlegt den Vorwurf der Heldenverehrung.<br />
<strong>Richter</strong>s Werk kann vielleicht als das bedeutendste zeitgenössische<br />
Mahnmal gegen Ideologien gesehen werden wie es Michael Brenson in<br />
60<br />
der New York Times nannte. <strong>Richter</strong> geht es aber nicht um eine be-<br />
stimmte Ideologie von links oder rechts, sondern um das menschliche<br />
Dilemma von ideologischen Handeln im Allgemeinen und dessen<br />
Scheitern. Das immanente Geschehen wird von <strong>Richter</strong> ins<br />
Beispielhafte gehoben. Die sich in den Grenzen der RAF-Motive<br />
manifestierende Ideologiekritik weist lediglich einen exemplarischen<br />
Charakter auf. Aus dieser Perspektive gesehen kann es sich beim<br />
Zyklus also auch um ein Werk über Deutschland im vergangene<br />
Jahrhundert handeln.<br />
59 Vgl.: <strong>Richter</strong>, <strong>Gerhard</strong>: Interview mit Gregorio Magnani,1989, S. 226.<br />
Vgl.: Brenson, Michael: A Concern with Painting the Unpaintable. In: New York<br />
60<br />
Times 79, 25.03.90. S. 7.