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HIMMLISCHE AUSSICHT HIMMLISCHE AUSSICHT HIMMLISCHE AUSSICHT

Bilanz

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Februar e<br />

2016<br />

0 6<br />

Das deutsche Wirtschaftsmagazin<br />

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Das deutsche Wirtschaftsmagazin<br />

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<strong>HIMMLISCHE</strong> <strong>AUSSICHT</strong><br />

BILL McDERMOTT<br />

DERMOTT, SAP und der große Traum von der WOLKE<br />

/<br />

PORSCHE: Der neue Chef im Windkanal<br />

WESTWÄRTS: Warum Moskaus IT-Stars ihr Land verlassen<br />

DFB: Innenansichten eines Krisenverbands<br />

<strong>HIMMLISCHE</strong> <strong>AUSSICHT</strong><br />

BILL McDERMOTT, SAP und der große Traum von der WOLKE<br />

PREIS<br />

5,00 €<br />

© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969


VORWORT<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

KEIN GRUND ZUR SORGE<br />

Für Männer, die<br />

kein GPS brauchen, um zu<br />

wissen, wo sie stehen.<br />

In Davos beim Weltwirtschaftsgipfel,<br />

liebe Leser, waren mal wieder alle sehr<br />

besorgt. Seit 2008 (Lehman Brothers,<br />

Finanzkrise) will sich niemand mehr<br />

vorwerfen lassen, nicht besorgt genug<br />

gewesen zu sein und jener Besorgnis<br />

auch Ausdruck verliehen zu haben.<br />

Uns geht’s zwar glänzend, das Wirtschaftswachstum<br />

in Deutschland erreicht<br />

bis Silvester voraussichtlich<br />

1,7 Prozent. Gewiss, angesichts des niedrigen Ölpreises sollte<br />

und könnte es im Grunde genommen etwas mehr sein. Und<br />

auch die Weltwirtschaft entwickelt sich auf erquickliche Weise.<br />

Erst vor einigen Tagen hat der Internationale Währungsfonds<br />

die Prognose erhöht und eine Entfaltung um weitere<br />

3,4 Prozent für das laufende Jahr in Aussicht gestellt. Doch<br />

die Krisenredner lassen sich davon nicht beeindrucken.<br />

Zum WEF in die Schweiz war natürlich auch Nouriel „Der-Erste-der-die-Finanzkrise-vorhersagte“<br />

Roubini eingeladen, in<br />

der Hoffnung, er habe vielleicht eine interessante frische Krise<br />

dabei. Die Konkurrenz ist ja nicht kleiner geworden, zumal für<br />

ihn. Alle sagen jetzt Krisen voraus oder behaupten, dass man<br />

sich bereits in einer oder sogar gleich<br />

mehreren von ihnen befände, weil<br />

sie ja ineinander übergehen. Manche<br />

überlappen sich schon, etwa die Euround<br />

die Griechenland-Krise, die sich<br />

inzwischen mit der Flüchtlingskrise<br />

zu vereinigen scheint. Jeder möchte<br />

natürlich eines Tages über sich lesen,<br />

dass er die Krise als Erster vorhergesagt<br />

und, um Gottes willen, nicht als<br />

Einziger übersehen habe.<br />

Ein Gegenentwurf zu alledem ist Bill McDermott, ein schräger<br />

Kerl, ein wilder Hund und hervorragender Manager. Chef von<br />

SAP. Um ihn geht es in unserer Titelgeschichte.<br />

Bei einem Unfall hat er ein Auge verloren. Er hat jetzt ein Glasauge<br />

und trägt eine Sonnenbrille. Und was sagt der Mann im<br />

BILANZ-Interview? Er sagt, dass er mit einem Auge besser sehe<br />

als mit zweien. Meint er das ernst? Und ob. Und wer weiß: Vielleicht<br />

stimmt es sogar. McDermott ist einer von denen, die sich<br />

nicht unterkriegen lassen.<br />

KLAUS BOLDT / Chefredakteur<br />

3<br />

Saxon One<br />

Es sind die Ecken und Kanten, die von wahrem Charakter zeugen.<br />

Die Saxon One mit ihrem kantigen, zeitlosen Design gibt dieser Überzeugung eine neue<br />

Gestalt: Elegant, dynamisch, eigen. Und geschaffen mit eben jener Perfektion, die das<br />

Attribut „Made in Glashütte“ zu einem Qualitätsversprechen von Weltrang gemacht hat.<br />

Saxon One LS · Zentraler Minutenstopp Chronograph · 6422-01<br />

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WOLF SCHNEIDER<br />

UNSERE KOLUMNISTEN AUF WWW.BILANZ.DE<br />

ELKE STRATHMANN<br />

MARTIN RICHENHAGEN<br />

FÜR DIE GEMACHT, DIE MACHEN.<br />

„Was ist denn die Corporate Social<br />

Responsibility? In deutschen<br />

Unternehmen wird sie gefordert –<br />

und warum darf sie nicht<br />

‚Soziale Verantwortung‘ heißen?“<br />

DER PUBLIZIST UND BILANZ-BLOGGER KRITISIERT<br />

IN SEINER WÖCHENTLICHEN KOLUMNE<br />

DIE SUCHT DER MANAGER NACH ANGLIZISMEN.<br />

„Dass der neue Personalvorstand<br />

Blessing aus derselben Hütte kommt<br />

wie der vorletzte Hartz, zeigt<br />

nur die Robustheit des Algorithmus.“<br />

DIE EX-PERSONALCHEFIN VON CONTINENTAL<br />

SCHREIBT IN IHREM BEITRAG „ALLEIN UNTER<br />

MÄNNERN“ ÜBER DIE IMMER GLEICHEN RITUALE<br />

BEI DER BESETZUNG VON VW-FÜHRUNGSPOSTEN.<br />

„Ich bezweifele, dass sich ein<br />

Massenverbrechen wie das in der<br />

Silvesternacht in Köln auch in<br />

einem von Zero Tolerance geprägten<br />

Umfeld ereignet hätte.“<br />

DER CHEF DES US-LANDMASCHINENKONZERNS<br />

AGCO SCHREIBT IN SEINER KOLUMNE „MARTINS<br />

MEINUNG“ AUCH ÜBER SEINE HEIMATSTADT.<br />

TUTIMA UHRENFABRIK GMBH NDL. GLASHÜTTE<br />

01768 Glashütte/Sa. · Deutschland · Tel. +49 35053 320 20 · info@tutima.com · www.tutima.com<br />

FOTOS: STUART WESTMORLAND (TITEL),<br />

ULRICH MAHN<br />

© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969


Deutsche Bank<br />

AUS DER REDAKTION<br />

Wir unterstützen Social Start-ups<br />

Ein Moskauer Gründer hat mir<br />

eine „Virtual Reality“-Brille aufgesetzt.<br />

Ich fand es plötzlich sehr<br />

offen sichtlich, dass das die Zukunft<br />

der Unterhaltung sein muss. Aber<br />

es ist eine Sache, zu ahnen, dass die<br />

virtuelle Realität kommt oder,<br />

wie mein Interview-Partner, gleich<br />

eine Kamera dafür zu bauen und<br />

ein Filmstudio dafür zu eröffnen.<br />

Weitsichtige, clevere Leute, diese<br />

Gründer. Dass ein großer Teil von<br />

ihnen keine Zukunft in Russland<br />

sieht, spricht für sich. Ab Seite 56.<br />

Schal zu tragen war Pflicht beim<br />

Fototermin in Weissach, Sitz des<br />

Entwicklungszentrums von Porsche.<br />

Im Strom des Windkanals erkälte<br />

man sich schnell, warnten uns<br />

fürsorgliche Techniker. Das wollte<br />

ich dem neuen Chef, Oliver Blume<br />

(r.), nicht zumuten: Er wird<br />

dringend gebraucht. Ab Seite 34.<br />

Die „Sky View Suite“ des Mandalay-<br />

Bay-Casinos liegt wolkenhoch über<br />

Las Vegas. Ich war ich mit<br />

Richard Kim (r.) verabredet, dem<br />

Chefdesigner der jungen Autofirma<br />

Faraday Future, die ihren ersten<br />

Prototyp auf der Elektronikmesse<br />

vorstellte. Doch aus dem Zwiegespräch<br />

wurde nichts. Denn plötzlich<br />

kam auch Nick Sampson (l.)<br />

dazu, De-facto-Boss des mysteriösen<br />

E-Auto-Bauers. Es wurde ein langer<br />

Gedankenaustausch über das<br />

Automobil der Zukunft. Ab Seite 68.<br />

Fremde werden Freunde – unter diesem Motto wird in Berlin seit zwei Jahren<br />

gemeinsam gekocht. Immer mehr Städte greifen die Idee auf und neue Projekte<br />

entstehen. Unsere Mitarbeiter begleiten Social Start-ups wie „Über den Tellerrand“<br />

ehrenamtlich und stehen mit hohem persönlichen Einsatz zur Seite, wenn es um<br />

unternehmerische Fragen geht wie Wachstum, Finanzierung und Kommunikation.<br />

Die Bank unterstützt zudem viele Initiativen durch Spenden. So leisten wir einen<br />

wichtigen Beitrag für die Entwicklung sozialer Gründerideen in Deutschland.<br />

db.com/social-startups<br />

4<br />

JAN VOLLMER MARK C. SCHNEIDER JÜRGEN SCHÖNSTEIN<br />

INHALT<br />

N<br />

NAMEN & NACHRICHTEN<br />

8<br />

Audi wird<br />

neu programmiert.<br />

/<br />

DIE NÄCHSTE AUSGABE<br />

VON BILANZ ERSCHEINT<br />

AM 4. MÄRZ<br />

8 AUDI Die Strategie 2025: Weg vom Autobauer, hin zum Dienstleister rund<br />

um das Thema Mobilität<br />

9 ADIDAS Gemischte Gefühle: Je stärker der künftige Chef Kasper Rorsted<br />

die Kosten drückt, desto mehr verdient er<br />

9 FLÜCHTLINGSKRISE Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender von<br />

Continental, sorgt sich wie so viele andere auch um die deutsche Asylpolitik<br />

10 AUF EIN WORT Georg Duffner, Ex-Maoist und als Röchling-Chef höchst<br />

erfolgreicher Kapitalist, zieht zum Abschied Bilanz in BILANZ<br />

10 GOLDMAN SACHS Das bayerische Abitur öffnet sogar den Weg in die<br />

Hochfinanz: Nathalie Käser, Tochter des Siemens-Vorstehers Josef, heuert<br />

bei der Investmentbank an<br />

12 TUI Jetzt gibt’s Ärger: Tui-Lenker Joussen hat schon ein gutes Dutzend<br />

Manager vom Ex-Arbeitgeber Vodafone abgeworben.<br />

14 DIE WELT DER ANN-KRISTIN ACHLEITNER Klug, schön, erfolgreich<br />

(Darf man „schön“ sagen, oder ist das sexistisch?)<br />

Unser Partner:<br />

ILLUSTRATION: SUPERTOTTO<br />

www.ueberdentellerrand.org<br />

fb.com/ueberdentellerrandkochen<br />

#betterplate<br />

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34<br />

Aus dem kann<br />

noch richtig was werden:<br />

Porsche-Chef Blume.<br />

U<br />

INHALT<br />

UNTERNEHMEN & MÄRKTE<br />

16 SAP Heiter und wolkig: Wie der Software-Konzern zum wertvollsten<br />

Unternehmen des Landes wurde<br />

20 INTERVIEW Auf dem Weg in die neue Welt: SAP-Chef Bill McDermott<br />

über seine Pläne und sein Verhältnis zum Gründer Hasso Plattner<br />

26 KOLUMNE Ex-„Spiegel“- und „MM“-Chefredakteur Wolfgang Kaden<br />

beklagt den Irrweg in die Akademiker-Republik<br />

28 PORTRÄT Damit die „Capri-Sonne“ nicht untergeht: Milliardär<br />

Hans-Peter Wild und seine Pläne mit der Getränkemarke<br />

34 PORSCHE Gegenwind? Bekommt der neue Porsche-Chef Oliver Blume<br />

bislang nur im Windkanal. Kann er den Job?<br />

38 UNIQLO Anders als die anderen: Wie die japanische Klamottenmarke<br />

die Konkurrenten H&M und Zara fertigmachen will<br />

44 DÜRR DENTAL Wie wird man Weltmarktführer? Aus Zufall!<br />

46 DFB Innenansicht: Verband ohne Führung und Verstand.<br />

52 SIEMENS Kontrollöre statt Ingeniöre<br />

Energie hat einen<br />

neuen Namen.<br />

www.uniper.energy<br />

6<br />

56<br />

Gutes Pflaster für<br />

Gründer: In Moskau gibt<br />

es viele IT-Talente.<br />

74<br />

Langweilig: erschöpft<br />

vom Herumgipfeln<br />

in Davos.<br />

54 WIE GEHT’S EIGENTLICH … Hans Friderichs und<br />

Manfred Lahnstein?<br />

I<br />

IDEEN & INNOVATIONEN<br />

56 EXODUS Moskau hat jede Menge großartige IT-Gründer – aber die<br />

meisten wollen nur eines: weg.<br />

64 START ME UP! Neues vom BILANZ-Gründerwettbewerb: Was Pro 7<br />

Sat 1 Start-ups zu bieten hat und was der Foodpanda in Asien lernt<br />

68 AUTO Faraday: Besuch bei der geheimnisvollen Autofirma. Bauen die<br />

Kalifornier wirklich das Auto von morgen? Die Antwort lautet ...<br />

P<br />

PRIVAT<br />

74 DAVOS BILANZ-Sonderberichterstatterin Annette Pawlu sprach mit<br />

den Mächtigen beim Weltwirtschaftsgipfel<br />

82 GESUNDHEIT Neu: Ein persönlicher Leibarzt für jeden, der<br />

4.200 Euro pro Jahr übrig hat<br />

86 KUNST Max Hollein über die Ausstellungen, die Kenner in diesem<br />

Frühjahr auf keinen Fall verpassen dürfen<br />

88 KOCHEN Fred Baaders Plädoyer für die Steckrübe<br />

90 BILANZ-GEWINNER Ehrenvoll, aber schwierig: Hans Van Bylen wird<br />

Chef von Henkel, als Nachfolger des verehrten Kasper Rorsted<br />

89 Register, Impressum<br />

FOTOS: FRITZ BECK, GULLIVER THEIS, MIKE MASONI<br />

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NAMEN / NACHRICHTEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

8<br />

AUTO-INDUSTRIE<br />

AUDI – TOTAL RADIKAL<br />

Eben noch in der Defensive, macht sich Audi-Lenker Stadler an den Befreiungsschlag.<br />

Er etabliert ein neues Geschäftsmodell – für die Branche gleicht es einer Revolution.<br />

Das vergangene Jahr wird nicht als das<br />

beste in die Audi-Chronik eingehen,<br />

und auch der erfolgsverwöhnte Unternehmenschef<br />

Rupert Stadler (52)<br />

hat mit Sicherheit schon angenehmere<br />

Monate verbracht als die vergangenen:<br />

In der Presse erhielt Konkurrent<br />

Mercedes die schmeichelhafteren Kritiken,<br />

während der alte Audi-Slogan<br />

„Vorsprung durch Technik“ zum Zwecke<br />

der Verspottung durchaus missbraucht<br />

wurde, namentlich in der Abgasaffäre<br />

des VW-Konzerns. Stadler ist<br />

nicht ganz schuldlos daran, musste er<br />

Mehr als Autos und Hardware:<br />

Audi plant neue Dienstleistungen,<br />

die Kunden künftig binden sollen.<br />

doch nach einem mutig vorgetragenen<br />

Dementi wenig später einräumen, dass<br />

auch die Motorenentwickler von Audi<br />

mit den Mitteln des unlauteren Wettbewerbs<br />

gearbeitet, das heißt: getrickst<br />

bzw. Kunden und Behörden getäuscht<br />

hatten. Stadler befand sich in akuter<br />

Gefahr, zumindest, was seinen Posten<br />

an der Audi-Spitze betraf. Doch Angriff<br />

ist die beste Verteidigung: Stadler<br />

ruft seine Kader jetzt zur Geschlossenheit<br />

und Offensive auf. Zum einen<br />

kündigt er an, jede Menge frische Modelle<br />

auf den Markt zu bringen. Neue<br />

Produkte bringen die kritische Öffentlichkeit<br />

immer schnell auf andere<br />

Gedanken.<br />

Zum anderen aber lässt er es dabei<br />

nicht bewenden, sondern sein<br />

Manage ment nach dem schnellsten<br />

Weg in die digitale Welt fahnden. Ziel:<br />

Schon 2020 soll der Konzern mit Software<br />

rund ums Autofahren und mit<br />

darauf basierenden Dienstleistun-<br />

gen rund die Hälfte der Einnahmen<br />

(Umsatz 2014: 54 Mrd. Euro) erwirtschaften.<br />

Konkurrent Daimler ist mit<br />

„Mercedes me“ schon weiter, BMW<br />

will sich von Google abgrenzen und<br />

die digitale Privatsphäre als Premiumattribut<br />

etablieren.<br />

En détail analysierte Stadlers Truppe<br />

die traurigen Schicksale von Kodak,<br />

Nokia und Sony – verfallen oder gescheitert,<br />

weil sie die Umbrüche in<br />

ihren Märkten verschliefen. Audis<br />

Welt wird von branchenfremden Unternehmen<br />

wie Apple und Google<br />

bedroht. Sogar der chinesische Handelsriese<br />

Alibaba will mitverdienen:<br />

Die Chinesen offerieren Autokredite<br />

über das Netz.<br />

In Stadlers „Strategie 2025“, die im<br />

Sommer formuliert sein soll, geht<br />

es deshalb neben dem Pflichtthema<br />

Elektromobilität vor allem darum, ein<br />

Angebot digital basierter Dienste zu<br />

entwickeln.<br />

Audi solle sich, verlangt Stadler, an den<br />

Bedürfnissen der Kunden orientieren<br />

und nicht an denen des eigenen Unternehmens<br />

mit seinen Entwicklungsund<br />

Fertigungszyklen. Konkret bedeute<br />

dies, sogenannte Apps bedienerfreundlich<br />

ins Auto zu integrieren.<br />

„Warum sollen wir denn nicht Software<br />

drahtlos verkaufen?“, fragt einer der<br />

Audi-Strategen. Die Kunden könnten<br />

beispielsweise regelmäßig neue Oberflächen-Designs<br />

für Tacho, Drehzahlmesser<br />

und all die anderen Anzeigen<br />

herunterladen.<br />

Dazu kommen neue Dienstleistungen:<br />

Audi-Fahrer, die am Flughafen parken,<br />

sollen beispielsweise während ihrer<br />

Reise ihr Auto warten lassen können:<br />

Die Werkstatt ortet das Gefährt, öffnet<br />

es per Mobilschlüssel, führt den<br />

Service durch und stellt es wieder am<br />

Flughafen ab. Zeitersparnis und Komfort<br />

als Umsatzbringer.<br />

Man sei offen für Kooperationen, heißt<br />

es in Ingolstadt: „Wir müssen nicht alles<br />

selbst erfinden, andere sind zudem<br />

vielleicht schneller.“ Audi will aber unbedingt<br />

die Schnittstelle zum Kunden<br />

bilden, mit einem eigenen Betriebssystem<br />

„My Audi“.<br />

N<br />

ADIDAS<br />

JUST DO IT<br />

Kasper Rorsted<br />

verdient so viel wie<br />

ein Bayern-Spieler.<br />

Erster Transfer von Dax- zu Dax-<br />

Konzern überhaupt: Kasper Rorsted<br />

wechselt ablösefrei zu Adidas.<br />

Die Verpflichtung des neuen Mannschaftskapitäns<br />

Kasper Rorsted (53)<br />

hat im Kader des Dax-Erstligisten<br />

Adidas nicht annähernd so viel Begeisterung<br />

ausgelöst wie beim Börsenpublikum.<br />

Die Zurückhaltung mag sich<br />

dadurch erklären, dass die Franken für<br />

den Transfer tiefer in die Tasche greifen<br />

müssen, als sie dies normalerweise<br />

für erforderlich halten.<br />

Der noch bis Oktober amtierende<br />

Amts inhaber Herbert Hainer (61) erhält<br />

eine Gage von etwa 4,7 Mio. Euro<br />

im Jahr, 2014 erreichte er dank Sondervergütungen<br />

sogar deren 5,8 Millionen.<br />

Kasper Rorsted genügt dies nicht: Im<br />

Schnitt der vergangenen drei Jahre<br />

kassierte der Däne bei Henkel deutlich<br />

über sieben Millionen Euro. Und verschlechtern<br />

wollte er sich durch den<br />

Wechsel ja nun auch nicht.<br />

Die Franken haben ein umfangreiches<br />

Vertragswerk zusammengestellt, das<br />

neben Grundgehalt, „Performance-Bo-<br />

nus“ und „Long Term Incentive-Plan“<br />

ein halbes Dutzend Erfolgskriterien<br />

aufführt. Um voll auf seine Kosten zu<br />

kommen, muss Rorsted entweder Gewinn<br />

und Gewinnmarge, Geldfluss,<br />

Umsatz und Aktienkurs steigern oder<br />

die Ausgaben herzhaft drücken; eine<br />

Disziplin, für die Rorsted ein besonderes<br />

Faible hat.<br />

Adidas-Leute fürchten, dass der Neue<br />

den Kader kräftig zusammenstreicht.<br />

Gut möglich, dass Rorsted auch die<br />

Kommandozentrale lichtet. Treffen<br />

könnte es den Vertriebsvorstand und<br />

Hainer-Vertrauten Roland Auschel<br />

(52), der selbst als Adidas-Chef im Gespräch<br />

gewesen war.<br />

N<br />

FLÜCHTLINGSKRISE<br />

ENTLASTUNG<br />

Continental-Chef Elmar<br />

Degenhart sorgt sich.<br />

Elmar Degenhart (57), Chef des Automobil-Zulieferers<br />

Continental (39,2<br />

Milliarden Euro Umsatz, 4,4 Milliarden<br />

Euro Gewinn), reiht sich ein bei den<br />

Skeptikern der deutschen Asylpolitik.<br />

„Die aktuelle Flüchtlingssituation<br />

macht uns Sorgen. Den politisch verfolgten<br />

Flüchtlingen muss geholfen<br />

werden. Mit der gleichen Konsequenz<br />

müssen aber auch Wirtschaftsflüchtlinge<br />

schnell identifiziert und in ihre Herkunftsländer<br />

zurückgeschickt werden“,<br />

fordert er von den Politikern.<br />

Würde Deutschland 2016 und 2017 erneut<br />

jeweils eine Million Flüchtlinge<br />

oder mehr aufnehmen, wäre das Land<br />

„mit Sicherheit überfordert“. Flüchtlinge<br />

auszubilden und in den Erwerbsprozess<br />

zu integrieren dauere schlicht<br />

eine gewisse Zeit. „Aber nichts integriert<br />

besser als Arbeit, Aufgabe und<br />

Auskommen.“<br />

Ein Gespräch mit Elmar Degenhart<br />

zu Politik, Börse und Geschäft finden<br />

Sie auf www.bilanz.de/exklusiv/<br />

continental-degenhart<br />

N<br />

9<br />

Illustration / SUPERTOTTO<br />

FOTO: HENKEL AG<br />

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NAMEN / NACHRICHTEN<br />

10<br />

Der Chef des Kunststoffverarbeiters<br />

Röchling,<br />

Georg Duffner, über Mao<br />

als Lehrmeister.<br />

B Herr Duffner, Sie wollen Ende Mai<br />

in den Ruhestand gehen. Muss das<br />

sein – als halbwegs junger Mann<br />

von 61 Jahren?<br />

Das freut mich natürlich, dass Sie mich<br />

als „halbwegs jungen Mann“ wahrnehmen.<br />

Im Ernst: Am 31. Mai 2016<br />

läuft mein derzeitiger Vertrag aus. Das<br />

ist der dritte Fünfjahresvertrag mit<br />

Röchling. Dann bin ich 62 Jahre alt.<br />

15 Jahre als Vorstandsvorsitzender sind<br />

genug. Zumal wir inzwischen eine gute<br />

Führungsmannschaft haben, die mich<br />

problemlos ersetzen kann.<br />

B<br />

Ihr Nachfolger, Kunststoff-Vorstand<br />

Ludger Bartels, ist sogar<br />

noch ein Jahr älter als Sie. Es<br />

ist also damit zu rechnen, dass<br />

in drei Jahren schon wieder ein<br />

Führungswechsel ansteht. Hand<br />

aufs Herz: Ist das wirklich im<br />

Sinne von Röchling?<br />

Mein langjähriger Kollege Ludger<br />

Bartels leistet schon seit Langem einen<br />

wesentlichen Beitrag zum Erfolg<br />

unseres Unternehmens. Einen besseren<br />

Nachfolger für mich kann es nicht<br />

geben. Er wird das Vorstandsteam in<br />

den nächsten Jahren in bewährter<br />

Manier zu weiteren Erfolgen führen.<br />

Und das ist natürlich im Sinne von<br />

Röchling. Ludger Bartels hat schon in<br />

der Vergangenheit wesentliche Beiträge<br />

zur Entwicklung unserer Strategie<br />

erbracht.<br />

B Um durchschnittlich acht Prozent<br />

soll Röchling bis 2020 wachsen<br />

und eine Rendite vor Steuern<br />

und Zinsen von mindestens fünf<br />

Prozent erreichen.<br />

Wir wollen sogar noch ein bisschen<br />

mehr erreichen. Die Rendite vor Steuern<br />

und Zinsen lag in den vergangenen<br />

Jahren bei sieben Prozent. Das<br />

wollen wir natürlich halten. Inwieweit<br />

uns das gelingt, hängt aber nicht<br />

nur von uns ab, sondern auch von der<br />

Welt um uns herum.<br />

B<br />

Die Archive führen Sie als<br />

„Ex-Maoisten“: Haben Sie eine<br />

dunkle Vergangenheit?<br />

Ich bin Jahrgang 1954 und mit der<br />

68er-Bewegung groß geworden. In der<br />

Tat hatte die chinesische Kulturrevolution<br />

eine große Faszination für uns. Da<br />

haben Millionen von Studenten, Schülern<br />

und jungen Arbeitern die Gesellschaft<br />

auf den Kopf gestellt, und an der<br />

Spitze stand der große alte Mann Mao,<br />

der die Faust hob und rief: „Rebellion ist<br />

gerechtfertigt.“ Das entsprach unserem<br />

damaligen Lebensgefühl. Was sich unter<br />

dem Deckmantel der chinesischen<br />

Kulturrevolution an Unterdrückung<br />

und Verbrechen verbarg, wurde erst<br />

sehr viel später publik. Inzwischen war<br />

meine Studentenzeit vorbei, ich hatte<br />

den Elfenbeinturm der Universität verlassen<br />

und kam mit der Wirklichkeit in<br />

Kontakt. Vor allem kam ich ein bisschen<br />

in der Welt herum und konnte bei<br />

der Gelegenheit feststellen, dass es wenig<br />

Gesellschaften auf diesem Planeten<br />

gibt, die freiheitlicher organisiert sind<br />

als unsere – und die chinesische gehört<br />

ganz bestimmt nicht dazu.<br />

B<br />

Jugendsünden, die man entweder<br />

verschweigen oder vergessen<br />

und über die man nicht reden<br />

sollte?<br />

Nein, ich sehe meine maoistische Studentenzeit<br />

heute als Impfung gegen<br />

Intoleranz und Rechthaberei. Es ist<br />

gar nicht so schlecht, wenn man sich<br />

in seinem Leben mal gründlich geirrt<br />

hat und damit auch mit seinen Beschränktheiten<br />

konfrontiert wird. Mir<br />

hat das jedenfalls für mein weiteres<br />

Leben gutgetan.<br />

N<br />

KARRIERE<br />

EINSTEIGERIN<br />

Käser-Tochter heuert bei<br />

Goldman Sachs an.<br />

Siemens-Chef Käser mit Töchtern<br />

Nathalie (GS), Kathrin (Deutsche<br />

Bank) und Ehefrau Rosemarie.<br />

Für Bankhäuser ist es häufig durchaus<br />

lohnenswert, Verwandte von einflussreichen<br />

Wirtschaftsgrößen einzustellen.<br />

Denn die Hoffnung auf Folgegeschäfte<br />

erfüllt sich nicht selten. In<br />

diesem Fall muss das eine mit dem anderen<br />

freilich rein gar nichts zu tun haben,<br />

aber vielleicht ja doch: Goldman<br />

Sachs jedenfalls hat Nathalie Käser<br />

(26) in Dienst gestellt.<br />

Die junge Frau bringt beste Empfehlungen<br />

mit: bayerisches Abitur, Studium<br />

an der London School of Economics<br />

und einen Vater, der Josef Käser<br />

heißt und den Vorstandsvorsitz von<br />

Siemens innehat. Seine Tochter wird<br />

ihrer Beschäftigung in London nachgehen,<br />

wo sie im Range einer Analytikerin<br />

(„Analyst“) die Techniken<br />

von Firmenzusammenschlüssen und<br />

-übernahmen im Gesundheits- und<br />

Konsumgütermarkt erlernt.<br />

Die wohlstandssteigernde Wirkung<br />

des sicheren Umgangs mit Geld hatte<br />

Vater Josef bereits von seiner Mutter<br />

gelernt: „Gib’ nicht mehr aus, als<br />

du einnimmst, sonst musst du verarmen“,<br />

lautete der kluge Rat. Er hat<br />

ihn seinen Töchtern vermittelt. Auch<br />

Nathalies ältere Schwester Kathrin<br />

macht Karriere im Finanzwesen – bei<br />

der Deutschen Bank.<br />

N<br />

Vielfalt<br />

<br />

ubs.com/<br />

etf-insights<br />

„Auf ein Wort“ ist eine Gesprächsreihe von BILANZ-Online.<br />

Das volle Interview mit Röchling-Chef Georg Duffner finden Sie auf<br />

www.bilanz.de/exklusiv/roechling-duffner (ab 8. Februar).<br />

Für Marketing- und Informationszwecke von UBS. Nur für professionelle Anleger. © UBS 2016. Das Schlüsselsymbol und UBS gehören zu den geschützten Marken von UBS. Alle Rechte vorbehalten.<br />

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NAMEN / NACHRICHTEN<br />

12<br />

TUI<br />

DIE FRITZ-FRAKTION<br />

Friedrich Joussen regiert den Reise-Riesen Tui mit einer immer<br />

größeren Truppe ehemaliger Vodafone-Getreuer. Die Kritik an der<br />

bizarren Personalpolitik wird lauter.<br />

Bevor der damalige Vodafone-Manager<br />

Friedrich „Fritz“ Joussen (52) Anfang<br />

2013 den Vorstandsvorsitz von Tui<br />

übernahm, galt das hannoversche Unternehmen<br />

als zwar großer, aber doch<br />

schwieriger Fall: zu verschachtelt, zu<br />

verschlafen, zu verwickelt und zeitweise<br />

auch nicht ganz bei sich.<br />

Nach dreijähriger Eingewöhnungsund<br />

Entwirrungsarbeit kann der<br />

baumlange Boss inzwischen auf einige<br />

Geschäftserfolge verweisen. Nach<br />

der Zusammenlegung mit dem Londoner<br />

Ab le ger Tui Travel Ende 2014<br />

ist Tui mit einem Umsatz von zuletzt<br />

vermessenen 20 Milliarden Euro zum<br />

größ ten Touristik kon zern der Welt gewissermaßen<br />

prosperiert. Und wenn<br />

man nicht aufpasst, erzählt einem<br />

Joussen die Geschichte auch gerne<br />

zweimal.<br />

Doch trotz aller Durchbrüche und<br />

Fortschritte, die auch Neider nicht<br />

Illustration / SUPERTOTTO<br />

wegfaseln können, schwelt, gärt und<br />

glimmt es im Aufsichtsrat: Was den<br />

Missmut und die Verstimmung der<br />

Würdenträger erregt, ist Fritz Joussens<br />

Transferpolitik. Er hat offenkundig einen<br />

Narren gefressen an ehemaligen<br />

Kollegen bei Vodafone.<br />

Indes, es gehört zu Konvention und Sitte<br />

in vornehmen Wirtschaftskreisen,<br />

aber nicht nur dort, dass man die Finger<br />

von Exkollegen lässt. Gilt als sehr<br />

unfein. Doch bei der Personalsuche<br />

scheint es für Joussen nur eine Adresse<br />

zu geben: seinen alten Arbeitgeber.<br />

Wenn die Tui-Presskommandos durch<br />

Düsseldorf ziehen, rufen die Mütter<br />

ihre Kinder ins Haus.<br />

Fünf von 13 Mitgliedern des erweiterten<br />

Tui-Vorstands sind in den vergangenen<br />

Jahren von Vodafone zu Tui nach Hannover<br />

übergesiedelt. Ganze Abteilungen<br />

– etwa Strategie, Kommunikation<br />

und Marketing – befinden sich mittlerweile<br />

unter der verschärften Kontrolle<br />

ehemaliger Mobilfunker. Jüngster Zugang<br />

ist Barbara Haase, die im Januar<br />

die „Markenführung“ des Reisekonzerns<br />

übernahm. Dass ihr Chef Erik<br />

Friemuth (48) ebenfalls von Vodafone<br />

gekommen ist, versteht sich von selbst.<br />

Insgesamt summiert sich die Zahl<br />

der Manager mit gleichem Stammbaum<br />

auf fast ein Dutzend. Auch Tui-<br />

Vorstand Sebastian Ebel (52), der das<br />

Reisegeschäft befehligt, ist natürlich<br />

Vodafonist gewesen.<br />

Im Tui-Generalstab hat die Personalpolitik<br />

logischerweise zur Lagerbildung<br />

geführt. Was zu erwarten war. Auf der<br />

einen Seite die Fritz-Fraktion, auf der<br />

anderen eine Koalition erfahrener Tourismus-Manager<br />

aus England, die ohnehin<br />

nicht gerade eine Schwäche für ihre<br />

deutschen Kollegen haben.<br />

Bisher wirkt Joussen den Zentrifugalkräften<br />

recht gekonnt entgegen. Und<br />

solange die Zahlen stimmen, muss er<br />

keine Auflehnung des Aufsichtsrats<br />

fürchten. Aufsichtsräte sind ja sowieso<br />

eher ruhige Typen. Aber durchgehen<br />

lassen wollen sie die Verstöße gegen<br />

die Usancen trotzdem nicht mehr: Er<br />

möge sich künftig freundlicherweise<br />

bitte auch anderswo nach Mitarbeitern<br />

umschauen.<br />

Doch selbst damit hatte er zuletzt<br />

keinen durchschlagenden Erfolg. Die<br />

neue Personalchefin und Arbeitsdirektorin<br />

Elke Eller (52), die seit Oktober<br />

in Hannover ihr Amt versieht, kommt<br />

zwar nicht von Vodafone. Der Ehefrau<br />

des früheren VW-Vorstands Horst<br />

Neumann sagt man aber eine bedenkliche<br />

Nähe zum Hannover-Klüngel<br />

nach. Sie diente unter ihrem Gatten<br />

drei Jahre lang als Vorstandsfrau von<br />

Volkswagen Nutzfahrzeuge. N<br />

Hand in Hand ist …<br />

... nicht alleine dazustehen, wenn das Leben<br />

mal eine Verschnaufpause braucht.<br />

Hand in Hand ist …<br />

Man ka<br />

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Ihr<br />

Wohlbefinden tun?<br />

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NAMEN / NACHRICHTEN<br />

DIE WELT DER …<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

ANN-KRISTIN ACHLEITNER<br />

Sie ist die Trumpfdame der hiesigen Wirtschaft: Managerin,<br />

Professorin, Beraterin, alles ohne berichtenswerten Fehl und Tadel.<br />

Es ist schon fast schauerlich, sosehr wird sie gepriesen.<br />

WOLFGANG HERRMANN (67)<br />

Einer der regsamsten Wissenschaftsmanager<br />

des Landes,<br />

seit gut 20 Jahren Präsident der<br />

TU München. Hat wie<br />

Achleitner ein Herz für Gründer<br />

und besetzte mit ihr den<br />

ersten deutschen Lehrstuhl für<br />

Gründungsfinanzierung.<br />

PHILIPP SCHINDLER (44)<br />

Schindler war Mitte der 90er- Jahre<br />

Achleitner-Absolvent der<br />

ersten Stunde an der European<br />

Business School (EBS). Heute<br />

ist er bei Google für Vertrieb<br />

und Vermarktung zu ständig –<br />

und Achleitners Verbindungsmann<br />

ins Silicon Valley.<br />

WERNER G-PUNKT SEIFERT (66)<br />

Der frühere Chef der Deutschen Börse<br />

gehörte zu Achleitners Förderern.<br />

Bezuschusste auch ihren Lehrstuhl<br />

an der EBS. Seifert lebt heute<br />

in Irland fast wie ein Ire. Nur normal,<br />

dass er AKA kaum noch sieht.<br />

14<br />

JUTTA ALLMENDINGER (59)<br />

Achleitner und die Präsidentin<br />

des Wissenschaftszentrums<br />

Berlin für Sozialforschung sind<br />

längst nicht immer einer<br />

Meinung. Doch mit kaum<br />

jemandem diskutiert AKA so gern<br />

und leidenschaftlich.<br />

HERBERT HENZLER (74)<br />

Grand Old Man der Berater -<br />

szene. Kennt Achleitner aus<br />

gemein samen McKinsey-Zeiten<br />

(1994 – 1995). Beide haben<br />

ihre Büros in demselben Haus in<br />

derselben Stadt (München).<br />

15<br />

Diese Frau (49) ist ein Naturereignis:<br />

Grund- beziehungsweise blitzgescheit<br />

(Wirtschafts- und Rechtsstudium,<br />

zwei Doktorinnen-, einen<br />

Professorinnentitel), beredt, beliebt,<br />

belesen, Bundesverdienstkreuz allererster<br />

Klasse und dann auch noch von<br />

einnehmendem Wesen. Nicht ausgeschlossen,<br />

dass demnächst die ersten<br />

Ann-Kristin-Achleitner-Fanklubs in<br />

die Vereinsregister eingetragen werden.<br />

Allenthalben anerkannt und unbestritten<br />

ist sie der Helmut Schmidt<br />

unter den Managerinnen. Aber nur im<br />

übertragenen Sinne. Denn sie hat keine<br />

Zeit, den Leuten ständig alles zu erklären.<br />

Sie hat viel zu viel um die Ohren:<br />

Aufsichtsrätin bei Linde, bei der<br />

Münchener Rück, bei der Metro, beim<br />

Energiekonzern Engie. Seit Anfang des<br />

Jahres müssen die 108 börsennotierten<br />

Aktiengesellschaften in Deutschland<br />

ein Drittel ihrer Aufsichtsratsmandate<br />

mit Damen besetzen. Es ist nur zu<br />

natürlich, dass alle bei AKA anrennen.<br />

Möglicherweise findet sie etwas Zeit,<br />

ihr Metro-Amt läuft aus. Tabu sind nur<br />

Deutsche Bank, Bayer und Daimler.<br />

Dort bewacht ihre schlechtere Hälfte,<br />

Paul (59), die Vorstände. N<br />

MANFRED SCHNEIDER (77)<br />

Ältester Oberaufseher der Deutschland<br />

AG. Saß mit Achleitner in<br />

vielen Komitees, suchte immer ihre<br />

Nähe. Falls Schneider im Mai bei<br />

Linde aussteigt und damit sein<br />

letztes Mandat niederlegt, werden<br />

sie sich seltener sehen.<br />

HENNING KAGERMANN (68)<br />

Der frühere SAP-Vorstand und<br />

die Wirtschaftsprofessorin teilen<br />

die Leidenschaft für Technik ,<br />

Fortschritt und das Rückversicherungswesen.<br />

Deshalb sitzen<br />

beide auch im Aufsichtsrat des<br />

Branchenführers Munich Re.<br />

JÖRG EIGENDORF (48)<br />

Beste Verbindungen unterhält<br />

Achleitner zur Wirtschaftspublizistik,<br />

u. a. zu Jörg Eigendorf.<br />

Der frühere „Welt“-Journalist<br />

übernimmt den Millionenjob als<br />

Kommunikationschef der<br />

Deutschen Bank (Aufsichtsratsvorsitzender:<br />

Paul A.).<br />

ILLUSTRATION:<br />

HANS-ULRICH OSTERWALDER<br />

FOTOS: PICTURE ALLIANCE (5), PRESSEBILD,<br />

TU MÜNCHEN, ACATECH, ULLSTEIN<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

8 Milliarden<br />

Euro<br />

Umsatzziel Cloud<br />

für 2020<br />

16<br />

HEITER UND WOLKIG<br />

Gerade noch rechtzeitig hat SAP sein Geschäftsmodell erweitert und vermietet seine<br />

Programme jetzt auch übers Internet. Vorstandschef BILL McDERMOTT<br />

wird für den Erfolg gefeiert – dabei steckt vor allem Hasso Plattner dahinter.<br />

17<br />

Text / VOLKER TER HASEBORG<br />

2,3 Milliarden Euro<br />

Umsätze durch<br />

die Datenwolke 2015<br />

14 Millionen Euro<br />

Umsätze durch<br />

die Datenwolke 2010<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

18<br />

D<br />

er dunkelblaue Anzug<br />

sitzt, das hellblaue Hemd<br />

mit dem weißen Kragen<br />

sieht aus wie frisch gebügelt<br />

oder eben erst gekauft,<br />

Krawatte und Einstecktuch (mittelblau)<br />

harmonieren aufs Abgestimmteste<br />

miteinander, die graumelierten<br />

Haare liegen perfekt: Bill McDermott<br />

(54), schlaksig-sportliche Figur, sieht<br />

aus, als käme er gerade aus der Maske<br />

und habe nun seinen Auftritt als<br />

Chef irgendeines internationalen Software-Konzerns.<br />

All right, nur die Kulisse<br />

passt ihm nicht: der Konferenzraum.<br />

„Warum gehen wir nicht in mein Büro“,<br />

sagt er. „Da können wir relaxen.“<br />

„Bill“ – so möchte er nach guter<br />

alter Amerikaner-Sitte angesprochen<br />

werden – will also relaxen. Na denn:<br />

McDermott (bzw. Bill), der Lässige.<br />

Er marschiert gleich los, eskortiert<br />

von seinem Leibwächter. Was sehr<br />

erstaunlich ist, wenn man bedenkt,<br />

dass sich der Firmenchef selbst im<br />

eigenen Unternehmen nicht frei zu<br />

bewegen traut.<br />

Bills Büro ist zwei Stockwerke entfernt<br />

und ungefähr 15 Quadratmeter<br />

groß, ein paar Baseball-Fotos hängen<br />

an der Wand, ein Obstteller steht auf<br />

dem Tisch.<br />

Seine Augen versteckt der SAP-<br />

Chef hinter einer Sonnenbrille. Man<br />

sieht trotzdem die tiefen Narben, die<br />

sich vom linken Auge zur Schläfe ziehen.<br />

Sein Gesicht ist geliftet. Aber das<br />

hat nichts mit den Narben zu tun.<br />

Die Sache ist die: Im vergangenen<br />

Sommer war er im Haus seines Bruders<br />

des Nachts auf der Treppe ausgerutscht,<br />

gestolpert, gefallen und mit<br />

dem Gesicht in die Scherben jenes<br />

Wasserglases gestürzt, das er in der<br />

Hand gehalten hatte. Ein fingerlanger<br />

Splitter stieß wie ein Stachel in sein<br />

linkes Auge. Er verlor das Bewusstsein,<br />

wäre fast verblutet. Der Tod war ihm<br />

näher als das Leben. Doch er kam wieder<br />

zu sich, rappelte sich auf, schleppte<br />

sich auf die Straße, ein Nachbar rief<br />

den Krankenwagen.<br />

Sein Auge konnte nicht gerettet<br />

werden. Er trägt jetzt eines aus Glas.<br />

„Tatsächlich sehe ich nun besser als<br />

vorher“, sagt Bill. Aber, man muss ihm<br />

ja nicht alles glauben.<br />

Bill ist einer von der harten Sorte.<br />

Man hätte gern eine ganze Garnitur<br />

davon, dann könnte einem wahrscheinlich<br />

nichts mehr passieren. Zu<br />

SAP, wo man in der Vergangenheit<br />

eher den ruhigen Behördenton pflegte,<br />

scheint der Amerikaner mit all seiner<br />

Mordsmäßigkeit auf eine ganz und gar<br />

ideale Weise fast gar nicht zu passen.<br />

Mitte Januar schon hat der schnelle<br />

Bill die Geschäftszahlen für 2015 präsentiert.<br />

Es war das sechste Rekordjahr<br />

in Folge: Der Umsatz eskalierte<br />

um zehn Prozent auf 20,8 Milliarden<br />

Euro, der Gewinn dehnte sich um acht<br />

Prozent aus und schwoll damit auf<br />

4,5 Milliarden Euro. Die Umsatzrendite<br />

mag sich ein jeder selbst ausrechnen.<br />

Die SAP-Aktie notiert auf einem<br />

Höchstwert von über 70 Euro und<br />

macht SAP mit einem Börsenwert von<br />

fast 90 Milliarden Euro zum kostbarsten<br />

Unternehmen in Deutschland. SAP<br />

ist so viel wert wie VW, Deutsche Bank<br />

und Lufthansa zusammen.<br />

Der amerikanische Boss hat das<br />

SAP-Geschäftsmodell auf geschickteste<br />

Art erweitert, indem er die SAP-Programme<br />

nun über das Internet vermietet<br />

– über die Datenwolke, die Cloud. Mit<br />

WELTMACHT SAP<br />

Marktanteile im Geschäft mit Firmen-<br />

Software. Über 40 Prozent des<br />

Marktes entfallen auf Firmen mit<br />

Anteilen unter zwei Prozent.<br />

SAP<br />

(ALLE ANGABEN IN PROZENT)<br />

Oracle<br />

Sage<br />

Infor<br />

24,0 11,2 6,1 5,9 4,6<br />

Microsoft<br />

anderen Worten: Firmenkunden kaufen<br />

keine Li zen zen für SAP-Soft ware<br />

mehr, die sie auf ihren ei ge nen Rechnern<br />

in stal lie ren, son dern mie ten sie<br />

gegen eine re gel mä ßige Ge bühr.<br />

Der Markt für internetbasierte<br />

Programme wächst in einem schon<br />

fast erschreckend hohen Tempo. SAP<br />

muss sich auf neue, wendige und<br />

schlagkräftige Konkurrenten einstellen,<br />

nicht mehr nur auf den Erzrivalen<br />

Oracle, sondern auf die Überfallkommandos<br />

etwa von Salesforce, des amtierenden<br />

Marktführers bei Firmenprogrammen<br />

aus dem Internet.<br />

Folgt man den Chefideologen der<br />

IT-Branche, dann gibt es in Deutschland,<br />

Europa und allen Erdteilen keinen<br />

moderneren, prächtigeren und –<br />

um mit dem Botaniker zu sprechen –<br />

geileren Wachstumsmarkt als jenen<br />

mit der Cloud.<br />

Für über 20 Milliarden Euro kaufte<br />

sich SAP in den vergangenen fünf<br />

Jahren einen ganzen Park junger Unternehmen<br />

zusammen, die sich in diesem<br />

Geschäft schon etabliert hatten:<br />

den Personalverwalter Successfactors<br />

(2,4 Mrd. Euro), die Handelsplattform<br />

Ariba (4,2 Mrd. Euro), das Geschäftsreisen-Portal<br />

Concur (6,5 Mrd. Euro)<br />

und so weiter.<br />

Die Strategie scheint zu greifen.<br />

Auf das Geschäft mit der Datenwolke<br />

entfällt zwar nur etwas mehr als ein<br />

Zehntel des SAP-Umsatzes, aber keine<br />

Sparte vergrößert sich in vergleichbarem<br />

Tempo: im vergangenen Jahr um<br />

82 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro.<br />

Doch das Geschäft in der Datenwolke<br />

ist riskant: Erst nach vier Jahren<br />

erzielt SAP durch Miet-Software den<br />

Umsatz, den der Verkauf einer Lizenz<br />

einbringt. Ab fünf Jahren ist das Vermieten<br />

lukrativer. Solange muss man<br />

die Kunden bei der Stange halten.<br />

Es geht jetzt darum, sich in der<br />

Wolke breitzumachen, Marktanteile<br />

zu erkämpfen. Salesforce erwirtschaftet<br />

sechs Milliarden Euro Umsatz. SAP<br />

hätte den lästigen Kontrahenten einst<br />

kaufen können.<br />

Doch die Walldorfer schalteten<br />

zu spät. Heute ist die Firma aus San<br />

Franzisko an der Börse rund 40 Milliarden<br />

Euro wert – oder, wie Bill Mc-<br />

Dermott immer wieder betont: völlig<br />

über bewertet.<br />

Aber auch seine eigenen Anleger<br />

neigen bisweilen zur Skepsis. Aufmerksam<br />

wurde registriert, dass Mc-<br />

Dermott zwar die Prognosen für den<br />

Umsatz erhöhte, jene für die Profite<br />

aber nicht.<br />

Die Gewinnspannen im Wolkengeschäft<br />

sind kaum halb so groß wie im<br />

traditionellen Lizenzverkauf. Darüber<br />

hinaus aber hat SAP seinen Angriff<br />

nicht nur mit eigenem Geld finanziert:<br />

Auf 18 Milliarden Euro sind Schulden<br />

und Verbindlichkeiten gestiegen –<br />

demgegenüber stehen flüssige Mittel<br />

von nur 3,4 Milliarden Euro. Die Schulden<br />

massiv zu senken, darauf kommt<br />

es nun an. Jetzt sind McDermotts Defensivkünste<br />

gefragt und seine Fähigkeit,<br />

Tempo und Erfindungskraft des<br />

Hauses mindestens zu halten.<br />

McDermott kann auf einen mächtigen<br />

Unterstützer seines Kurses zählen:<br />

Hasso Plattner (72), SAP-Mitgründer,<br />

Präzisionsmanager und Aufsichtsratsvorsitzender<br />

des Hauses.<br />

Er hatte den damaligen Vertriebs-<br />

Vorstand McDermott 2010 an die Firmenspitze<br />

befördert – und vor allem<br />

die Technik für die neue SAP erfunden:<br />

die Datenbank „Hana“, von Plattner<br />

persönlich entwickelt im Verein mit<br />

Studenten des Hasso-Plattner-Instituts<br />

für Softwaresystemtechnik in Potsdam.<br />

„Hana“ ist, laut SAP, tausendmal<br />

schneller als das Vorgängerprogramm.<br />

Die Datenbank lässt sich kaufen – oder<br />

gleich aus der Wolke mieten. Vorher<br />

hatte SAP keine eigene Datenbank im<br />

Sortiment. „Hana“ bildet das Fundament<br />

der neuen SAP – um dieses Programm<br />

herum baut das Unternehmen<br />

seine Produktpalette auf.<br />

Etwa die neue Software „S/4 Hana“.<br />

Mit ihr können Manager Gedeih<br />

und Verderb ihrer Unternehmen in<br />

Echtzeit beobachten: Welche Waren<br />

verkaufen sich gerade wie gut? Sekundengenau<br />

lassen sich Analysen und<br />

Prognosen erstellen. Mehr als 2.700<br />

Kunden haben „S/4 Hana“ bis heute<br />

bestellt, der Vertrieb läuft wie geölt –<br />

unterstützt von großzügigen Rabatten.<br />

Ein Mittelständler mit 1.000 SAP-nutzenden<br />

Mitarbeitern zahlt eine Miete<br />

von schätzungsweise 300.000 Euro im<br />

Jahr.<br />

Dass im vergangenen Jahr auch<br />

das klassische Lizenzgewerbe mit einem<br />

deutlichen Umsatzzuwachs auf<br />

15 Milliarden Euro abschloss, war<br />

für McDermott keine Überraschung:<br />

Während amerikanische Kunden kein<br />

Problem mit der Wolke haben, müssen<br />

sich jene in Europa, namentlich im datenschutzempfindlichen<br />

Deutschland,<br />

erst noch an die neuen Gegebenheiten<br />

gewöhnen. Sie wollen Rechner und<br />

Programme selbst besitzen.<br />

77.000 Menschen arbeiten für<br />

die SAP. Der Hauptsitz befindet sich<br />

in der kurpfälzischen Provinz:<br />

in Walldorf, Baden-Württemberg.<br />

Plattner, der Techniker. McDermott,<br />

der Verkäufer. Das ist das<br />

Duo, das SAP richtig auf die<br />

Spur brachte. Das Foto<br />

entstand im vergangenen Mai,<br />

vor McDermotts Unfall.<br />

Dank Plattners Technik ist es möglich,<br />

dass Firmen Anwendungen über<br />

eigene Datenbanken laufen lassen<br />

– und andere aus der Wolke zuschalten<br />

können. Bis 2020 will SAP seinen<br />

Gesamtumsatz auf 28 Milliarden Euro<br />

erhöhen – mehr als ein Viertel davon<br />

sollen aus Cloud-Erlösen stammen.<br />

Bill, der Verkäufer. Hasso, der<br />

Techniker. Ein ideales Gespann.<br />

Manchmal ist unklar, wer SAP überhaupt<br />

führt. McDermott zeigt im Umgang<br />

mit dem knurrigen Übervater<br />

seine Meisterschaft als Verkäufer und<br />

flötet: „Es gibt nur einen Hasso Plattner.<br />

Er ist der Spiritus Rector unseres<br />

Unternehmens.“ Mehrmals in der Woche<br />

sucht er Plattners Rat oder nimmt<br />

Empfehlungen entgegen.<br />

Plattner selbst hat sich mal als<br />

„guter Diktator“ bezeichnet. Ein Aufsichtsrat<br />

gibt gegenüber BILANZ zu<br />

Protokoll, dass er sich bei SAP „wie in<br />

einem Familienunternehmen“ fühle.<br />

Bei den Mitarbeitern indes könnte<br />

die Stimmung besser sein. 3.000 Bedienstete<br />

nahmen 2015 das Angebot an,<br />

die Firma zu verlassen. Das Cloud-Geschäft<br />

verlange eine andere Belegschaftszusammensetzung.<br />

Die Kosten<br />

allein für Abfindungen und Frühverrentungen<br />

verschlangen 621 Millionen<br />

Euro. Doch nicht mal die Hälfte der<br />

SAP-Mitarbeiter findet, dass die Neuorganisation<br />

gut umgesetzt wurde. Das<br />

geht aus einer internen Befragung hervor,<br />

die BILANZ vorliegt.<br />

Es gibt durchaus ernstzunehmende<br />

Leute im Hause, die fürchten, dass<br />

SAP mittelfristig von Walldorf ins Silicon<br />

Valley umsiedele. Was McDermott<br />

dementiert. Er hat sich ein Haus in Heidelberg<br />

gekauft und angekündigt, den<br />

Betriebsrat zum Grillabend einzuladen.<br />

Doch allzu häufig hält sich der Amerikaner<br />

nicht in Deutschland auf. Das<br />

Geschäft verlangt weltweiten Einsatz,<br />

er schätzt den kundennahen Auftritt,<br />

und irgendwann will er ja auch mal<br />

seine Frau Julie in ihrem gemeinsamen<br />

Haus bei Philadelphia besuchen. Wir<br />

haben mit ihm über alles mal geredet<br />

(s. Seite 20). Während des Gesprächs<br />

ließ uns der Leibwächter allein.<br />

19<br />

QUELLE: GARTNER<br />

FOTOS: PICTURE ALLIANCE, SAP<br />

20<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

19<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

„<br />

WIR ERFINDEN<br />

EINE NEUE WELT<br />

“<br />

20 21<br />

SAP-Chef BILL McDERMOTT ist der größte Optimist unter Deutschlands Managern. Sogar<br />

seinen Unfall, bei dem er das linke Auge verlor, begreift der Amerikaner als Inspiration.<br />

Mit BILANZ spricht er über seine Rückkehr, seine Freundschaft zu Hasso Plattner und die<br />

Vorteile von Geschäften in der Datenwolke.<br />

Interview / VOLKER TER HASEBORG<br />

Fotos / SVEN PAUSTIAN<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

22<br />

B Bill, Sie haben bei einem Unfall<br />

im Sommer auf tragische Weise<br />

Ihr linkes Auge verloren. Wie geht<br />

es Ihnen?<br />

Mir geht es gut. Wenn man sich so<br />

schwer verletzt, dann rät der Körper:<br />

Bleib’ sitzen, leg’ dich hin, erhol’ dich.<br />

Aber der Wille sagt: Steh’ auf, geh’ raus<br />

und lebe! Was ich aus der ganzen Sache<br />

gelernt habe, ist: Letztendlich ist<br />

der Wille stärker.<br />

B<br />

Woran haben Sie nach dem<br />

Unfall zuerst gedacht: dass Ihre<br />

Karriere beendet ist?<br />

Ich habe an meine Frau und meine beiden<br />

Söhne gedacht und dass ich für sie<br />

da sein muss. Dann an meine Freunde<br />

und Arbeitskollegen. Als ich die<br />

Operationen und die Reha hinter mir<br />

hatte, habe ich gemerkt, wie sehr ich<br />

liebe, was ich mache. Ich wollte mein<br />

Leben zurück und das tun, was ich tue.<br />

Dafür habe ich immer gekämpft, mein<br />

ganzes Leben lang. Nach einer Woche<br />

Intensivstation war ich zurück bei der<br />

Arbeit. Ich durfte wegen der Augenverletzung<br />

nicht fliegen, aber alles andere<br />

ging. Nach 90 Tagen war ich wieder in<br />

der Luft und flog um die Welt. Wirklich<br />

weg war ich ohnehin nie.<br />

B<br />

Wie wirkt sich Ihr Handicap auf<br />

Ihr Alltagsleben aus?<br />

Ich weiß heute: Durchblick und<br />

Erkennt nis hat man nicht nur durch<br />

das, was man mit den Augen sehen<br />

kann. Erkenntnis gewinnt man durch<br />

Gefühle. Medizinisch gesprochen,<br />

habe ich ein Auge verloren, und technisch<br />

gesehen, müsste ich Sehprobleme<br />

haben. Aber tatsächlich sehe ich<br />

jetzt besser als vorher.<br />

B Aber nicht mehr dreidimensional.<br />

Mein Freund, der Sänger Tony Bennett,<br />

hat zu mir gesagt: Wenn man alt<br />

genug ist, dann weiß man, wie man<br />

das Leben lebt. Auf mich übertragen<br />

heißt das: Die Verletzung hat mich<br />

reifer gemacht, ich sehe die Welt<br />

heute aus einer anderen Perspektive.<br />

Ich betrachte die Verletzung als<br />

Möglichkeit, ein inspiriertes Leben<br />

zu führen und andere zu inspirieren<br />

– und nicht darauf zu schauen, was<br />

ich verloren habe.<br />

B Ihr Blickfeld hat sich doch sicherlich<br />

verändert. Sie müssen doch im<br />

Alltagsleben eingeschränkt sein.<br />

Nein. Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig.<br />

Wenn ich mir ein Glas<br />

Wasser einschenke, schütte ich nichts<br />

daneben. Meine Sicht ist nicht beeinträchtigt.<br />

Ich habe Glück gehabt.<br />

B Als Sie nach Ihrer Verletzungspause<br />

im Oktober an Ihren SAP-<br />

Schreibtisch zurückkehrten, sagten<br />

Sie, dass Ihre Verletzung Sie<br />

noch wertvoller für SAP gemacht<br />

hätte …<br />

… ja, weil mein Wille und meine Leidenschaft<br />

zu leben noch größer geworden<br />

sind. Ich bin noch inspirierter<br />

zurückgekommen.<br />

B<br />

SAP<br />

2,3<br />

Es gibt Leute in Ihrer Umgebung,<br />

denen wird vor so viel Unbeugsamkeit<br />

ganz bang zumute:<br />

Manager fürchten, dass Sie Ihren<br />

Härte-Maßstab künftig auch an<br />

sie anlegen.<br />

CLOUD-UMSÄTZE (IN MILLIARDEN EURO)<br />

Salesforce<br />

Oracle<br />

KAMPF<br />

IN DEN WOLKEN<br />

SAP konkurriert vor allem mit<br />

Salesforce und Oracle, die ebenfalls<br />

für Firmenkunden arbeiten.<br />

Obendrein drängen Amazon, Microsoft<br />

und IBM in den Markt, machen<br />

aber auch Geld mit Privatkunden.<br />

So erklären sich die höheren Umsätze.<br />

2,4<br />

6,0<br />

Amazon<br />

Microsoft<br />

6,9<br />

7,5<br />

IBM<br />

8,6<br />

Nein. Ich schreibe meinen Mitarbeitern<br />

nicht vor, wie sie ihr Leben zu leben<br />

haben. Und ich lebe mein Leben,<br />

so wie ich will.<br />

B<br />

Warum müssen Manager immer<br />

die harten Kerle sein?<br />

Ich glaube nicht, dass sie das immer<br />

sein müssen. Manchmal sind wir traurig,<br />

manchmal fröhlich. Manager sollten<br />

unverfälscht sein. Meine Mutter<br />

hat immer gesagt: „Der beste Teil an dir<br />

bist du selbst.“ Ich glaube, es ist wichtig,<br />

man selbst zu sein. Und das bin ich.<br />

B<br />

Jetzt schreiben Sie ein Buch über<br />

Ihr Comeback nach dem Unfall.<br />

Zwei Fragen, erstens: warum?<br />

Zweitens: Leidet Ihre Arbeit nicht<br />

unter der Schriftstellerei?<br />

Nein. Es geht nicht darum, etwas<br />

aufzuarbeiten. Ich möchte anderen<br />

Menschen etwas geben. Ich bin gefallen<br />

– und wieder aufgestanden. Meine<br />

Geschichte kann für andere Menschen<br />

eine Inspiration sein. Deshalb schreibe<br />

ich das Buch.<br />

B<br />

Sie klingen wie ein Motivationstrainer,<br />

und so liest sich auch<br />

Ihre Autobiografie „Mein Weg zu<br />

SAP“: Ihr berufliches Ziel sei es,<br />

„ein Gewinner sein“. Sind Ihre<br />

Mitarbeiter davon nicht genervt?<br />

Ich glaube, dass meine deutschen Mitarbeiter<br />

gelernt haben, mich zu schätzen<br />

und zu verstehen. Auf der anderen<br />

Seite habe ich gelernt, meinen amerikanischen<br />

Stil an den europäischen<br />

Stil anzupassen. Ich bin ein sehr leidenschaftlicher<br />

Mensch. Ich habe<br />

immer Schwierigkeiten damit, meine<br />

Leidenschaft zu zügeln. Wenn so jemand<br />

nach Deutschland kommt, dann<br />

wirkt er auf die Deutschen vielleicht<br />

zunächst übermotiviert – und deshalb<br />

nicht authentisch oder zu amerikanisch.<br />

Hier herrscht einfach eine<br />

andere Kultur. Meine SAP-Kollegen<br />

sehen, dass ich an mir arbeite, und sie<br />

sehen, dass ich authentisch bin. Mittlerweile<br />

sind wir uns nähergekommen.<br />

Zum Beispiel bin ich jetzt schon seit<br />

40 Stunden auf den Beinen. Ich bin<br />

aus Dallas, Texas, hierhergekommen,<br />

um bei einer Mitarbeiter-Feier dabei<br />

zu sein. Das ist mir sehr wichtig.<br />

B Wie haben Sie Ihren amerikanischen<br />

Stil an Deutschland angepasst?<br />

In Deutschland werden Dinge nicht<br />

überverkauft. Die Deutschen sind sehr<br />

faktenorientiert, techniklastig. Weniger<br />

Wörter, mehr Fakten. Manchmal<br />

weniger Energie, mehr Argumente.<br />

Manchmal weniger Erklärungen, mehr<br />

Untersuchungen. An diese Dinge habe<br />

ich mich gewöhnt. Ich glaube, dass ich<br />

durchaus ein gewisses Maß an Vision,<br />

Strategie und Leidenschaft mitbringe,<br />

um SAP stärker zu machen. Und mein<br />

amerikanisches Wissen wird dazu beitragen,<br />

dass wir amerikanische Firmen<br />

schlagen können.<br />

B<br />

Wie viel Showbusiness braucht das<br />

Business?<br />

Ich glaube, die amerikanische Geschäftswelt<br />

braucht weniger Show –<br />

vielleicht braucht die deutsche aber ein<br />

bisschen mehr. Der Mittelweg wäre perfekt<br />

(lacht). Ich habe gelernt, dass man<br />

mehr erreicht mit weniger Show.<br />

B<br />

Das sieht Hasso Plattner, der Mitgründer<br />

und Aufsichtsratschef von<br />

SAP, zweifellos genauso. Wer ist<br />

eigentlich der wahre Chef von SAP:<br />

Sie oder er?<br />

Es gibt nur einen Hasso Plattner. Es<br />

gibt nur ein Innovationsgenie, das damals<br />

das Hauptprogramm „ERP“ und<br />

jetzt „Hana“ erfunden hat. Er ist der<br />

Spiritus Rector unseres Unternehmens.<br />

Wir bilden ein großartiges Gespann:<br />

Ich respektiere Hasso als Aufsichtsratschef,<br />

er respektiert mich als Vorstandsvorsitzender.<br />

B Wie häufig sprechen Sie ihn?<br />

Ein paar Mal in der Woche.<br />

B Worüber? Große Strategie oder<br />

kleinteiliges Tagesgeschäft?<br />

Wir sprechen über strategische Dinge,<br />

das große Ganze. Das Tagesgeschäft<br />

bespreche ich mit meinen Kollegen im<br />

Vorstand.<br />

B Wie war der Kontakt zu ihm während<br />

Ihrer krankheitsbedingten<br />

Auszeit?<br />

Wundervoll. Er hat großen Anteil genommen.<br />

Das werde ich nie vergessen.<br />

B Sind Sie unabhängig genug? Hand<br />

aufs Herz, Plattner dominiert<br />

doch alles.<br />

„<br />

ICH LEBE<br />

MEIN LEBEN,<br />

SO WIE<br />

ICH WILL<br />

“<br />

BILL McDERMOTT (54)<br />

wurde im Alter von 17 Jahren<br />

Unternehmer: Er übernahm<br />

einen Delikatessenladen in<br />

seinem Heimatort Amityville im<br />

US-Bundesstaat New York.<br />

Beim Kopiererhersteller Xerox<br />

stieg er zum Vorstand auf.<br />

Seit 2002 arbeitet er für SAP, seit<br />

2010 ist er Vorstandschef.<br />

Das ist ein riesengroßes Missverständnis:<br />

Ich fühle mich in keiner Weise dominiert.<br />

Hasso hat ein großes Herz, er<br />

ist ein großartiger Mensch. Unsere Beziehung<br />

ist weit mehr als strategischer<br />

Natur. Wir können über alles reden, ich<br />

brauche nur seine Telefonnummer zu<br />

wählen. Hasso ist ein Freund fürs Leben.<br />

B<br />

Keine Freundschaft fürs Leben<br />

hat Sie und den denkwürdigen<br />

Technik-Vorstand Vishal Sikka<br />

verbunden. Er ist zum indischen<br />

Programmanbieter Infosys übergelaufen.<br />

In Ihrem Buch schreiben<br />

Sie: „Ein Mitarbeiter verlässt nicht<br />

sein Unternehmen Er verlässt seinen<br />

Manager.“ Warum hat Sikka<br />

Sie verlassen?<br />

Er hatte Wünsche, die er nicht mehr bei<br />

SAP erfüllt sah. Und er hat recht. Es gibt<br />

nur einen Vorstandsvorsitzenden: mich.<br />

Ich freue mich für ihn, dass er jetzt bei<br />

Infosys ist und seinen CEO-Traumjob<br />

gefunden hat. Infosys ist im Übrigen ein<br />

wichtiger Partner von SAP. Wir haben<br />

eine gute Beziehung.<br />

B<br />

Spät, aber konsequent setzen Sie<br />

auf das Geschäft mit Geschäftsanwendungen<br />

in der Datenwolke.<br />

Salesforce ist Marktführer. Bei<br />

der Cebit im März haben die<br />

Amerikaner gleich zwei Hal len<br />

gemietet und treten als so genann<br />

ter ex klu si ver E vent-Partner<br />

auf. Salesforce-Chef Marc<br />

Benioff behauptet, dass SAP keine<br />

Innovationen hervorbringe und<br />

ein, wörtlich: „leichtes Ziel“ für<br />

Salesforce sei.<br />

Es ist interessant, dass er mehr über<br />

SAP spricht als über sich selbst. Tatsächlich<br />

ist es Salesforce selbst, das zu<br />

wenig Innovationen hervorbringt: Unternehmen<br />

wollen mit den Kunden auf<br />

jeder Ebene kommunizieren. Sie wollen<br />

die Bedürfnisse der Konsumenten und<br />

ihr Verhalten im Internet verstehen.<br />

Nur SAP hat eine Architektur dafür:<br />

unsere Datenbank „Hana“ und die dafür<br />

entworfene Anwendung „S4-Hana“.<br />

„Hana“ kann Daten in Echtzeit auswerten,<br />

in einer Datenbank. Sie können Ihren<br />

Daten jede Frage stellen, die Sie wollen.<br />

Wenn Salesforce das auch könnte,<br />

23<br />

QUELLE: GARTNER<br />

Fotos / SVEN PAUSTIAN<br />

© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969


UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

24<br />

dann würde ich vielleicht sagen, dass<br />

sie innovativ sind. Aber lassen Sie es<br />

mich wissen, wenn es so weit ist.<br />

B<br />

Ein ehemaliger interner Firmenprüfer<br />

behauptet, dass SAP bei<br />

der Entwicklung von „Hana“ bei<br />

den Konkurrenten Oracle, IBM,<br />

RIM (Black ber ry) und Teradata<br />

abgekupfert habe. Was sagen Sie<br />

dazu?<br />

Kompletter Unsinn. Wie, bitte schön,<br />

soll man abkupfern, wenn alles brandneu<br />

ist?<br />

B<br />

Sie haben Strafanzeige gestellt<br />

gegen den ehemaligen Mitarbeiter<br />

und seinen Vater, der ihn als<br />

Anwalt vertritt. Außerdem haben<br />

Sie den Mann entlassen, wogegen<br />

er vorgeht. Wie ist der Stand der<br />

Dinge?<br />

Da es sich weiter um ein laufendes Verfahren<br />

handelt, können wir den Sachverhalt<br />

derzeit nicht kommentieren.<br />

B In Europa, namentlich in<br />

Deutschland, spielt der Datenschutz<br />

eine große Rolle, zumal<br />

für Unternehmen, die sensible<br />

Daten und Geschäftszahlen keinen<br />

Rechenzentren anvertrauen<br />

wollen, deren Sicherheitsstandards<br />

nicht gewährleistet sind.<br />

Können Sie das nachvollziehen?<br />

Klar. Auch in anderen Ländern machen<br />

sich die Menschen Sorgen um ihre Daten.<br />

Es ist unsere Aufgabe, den Menschen<br />

Angebote zu machen, ihre Daten<br />

dort zu speichern, wo sie wollen.<br />

B<br />

An fang Ok to ber kippte der Eu ropäi<br />

sche Ge richts hof das so genannte<br />

Safe-Har bor-Ab kom men,<br />

das es US-Kon zer nen bis lang<br />

er laubt hat, die Daten eu ro päischer<br />

Nut zer in die USA zu übermit<br />

teln. Grund: Amerikanische<br />

Rechenzentren gelten nicht als<br />

sicher. Was bedeutet das für SAP?<br />

Gar nichts. Wir haben unsere<br />

Cloud-Strategie geografisch aufgeteilt.<br />

Wir sind darauf vorbereitet, die Daten<br />

unserer Kunden dort zu verwalten, wo<br />

sie wollen. Wir sind mit jedem Datenschutzabkommen<br />

im Einklang. Für<br />

amerikanische Firmen, die Rechenzentren<br />

in Kalifornien haben, ist das<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

SAP<br />

Bayer<br />

Siemens<br />

Deutsche Telekom<br />

Daimler<br />

Allianz<br />

Volkswagen<br />

BASF<br />

BMW<br />

VOLL WERTVOLL<br />

Analysten raten zum Kauf der SAP-<br />

Aktie, die Anleger folgen. Und SAP ist<br />

die teuerste Firma im Dax.<br />

(IN MILLIARDEN EURO, STAND: 29.1.2016)<br />

Continental<br />

87,0<br />

84,5<br />

76,1<br />

71,9<br />

69,0<br />

66,3<br />

58,5<br />

56,0<br />

50,8<br />

38,8<br />

ein Problem, wenn ihre Kunden ihre<br />

Daten lieber in Berlin verwaltet haben<br />

wollen. Für uns nicht.<br />

B<br />

Viele sogenannte Cloud-Unternehmen<br />

erwirtschaften Verluste. Was<br />

macht Sie so sicher, dass Sie in diesem<br />

Geschäft erfolgreich sind?<br />

In der Cloud-Welt sind die Innovationszyklen<br />

im Interesse des Kunden:<br />

Sie bekommen die neuesten Anwendungen,<br />

müssen keine Aktualisierungen<br />

mehr vornehmen, brauchen keine<br />

eigenen Festplatten, müssen ihr Personal<br />

nicht mehr schulen. Sie brauchen<br />

sich nicht mehr an eine komplizierte<br />

Software-Architektur zu binden,<br />

sondern können Programme wie eine<br />

Dienstleistung mieten. Das ist das<br />

Konsummodell des 21. Jahrhunderts.<br />

B<br />

Sie haben über 20 Milliarden<br />

Euro ins Geschäft mit der<br />

Datenwolke investiert und einen<br />

Schwung Konkurrenten aufgekauft.<br />

Aber die Gewinnspannen<br />

sind nur halb so hoch wie im klassischen<br />

Paketverkauf mit Rechnerprogrammen.<br />

Ihr Renditeziel<br />

von 35 Prozent haben Sie verfehlt.<br />

Nun wollen Sie 30 Prozent erreichen.<br />

Das ist bitter, oder?<br />

Nein. Wir wollten nie an einem Wettrennen<br />

um die höchste Marge teilnehmen.<br />

Wir müssen wettbewerbsfähig<br />

sein, Marktanteile sind in diesem Spiel<br />

wichtiger als Renditen. Wenn wir mit<br />

unserem Cloud-Angebot neue Kunden<br />

gewinnen und binden können, wird es<br />

mittelfristig eine höhere Marge erzielen<br />

als unser Lizenzgeschäft. Aber das<br />

braucht Zeit. Wenn wir nur auf den<br />

Gewinn schielen würden, wäre SAP<br />

nicht Marktführer.<br />

B Bislang sind Ihre Cloud-Zukäufe<br />

Successfactors, Ariba und Concur<br />

nicht mit Ihrer Wunder-Datenbank<br />

„Hana“ verbunden. Wann<br />

wird dies der Fall sein?<br />

Wir werden in diesem Jahr alle unsere<br />

Cloud-Produkte mit „Hana“ verbinden.<br />

B Welche Übernahmen planen Sie<br />

für dieses Jahr?<br />

Wir haben so viele Innovationen neu<br />

in diese Firma aufgenommen. Wenn<br />

wir Übernahmen machen, dann als<br />

Flankierung unserer bestehenden<br />

Geschäfte. Große Firmenkäufe planen<br />

wir zurzeit nicht.<br />

B<br />

Die Schulden und Verbindlichkeiten<br />

von SAP belaufen sich auf<br />

gewaltige 18 Milliarden Euro.<br />

Dem stehen Barmittel von nur<br />

3,4 Milliarden Euro gegenüber.<br />

Wie wollen Sie diesen Schuldenberg<br />

abtragen – ohne das Wachstum<br />

zu gefährden und an Innovationsfähigkeit<br />

einzubüßen?<br />

Fakt ist: SAP verfügt derzeit über<br />

3,4 Mrd. Euro an liquiden Mitteln und<br />

generiert jedes Jahr gut 3,6 Mrd. Euro<br />

operativen Cashflow. Darum können<br />

wir einerseits kontinuierlich Schulden<br />

abbauen, andererseits aber auch weiterhin<br />

in Wachstum investieren und<br />

eine Dividende ausschütten.<br />

B<br />

Im Traditionsgeschäft mit Lizenzen<br />

und der Wartung der Anwendungen<br />

erwirtschaften Sie immer<br />

noch über 70 Prozent Ihrer<br />

Umsätze. Im vergangenen Jahr<br />

haben Sie in diesem Bereich überraschend<br />

stark abgeschnitten.<br />

Gilt Ihre Prognose noch, wonach<br />

der Cloud-Umsatz spätestens<br />

2018 über den Erlösen aus dem<br />

Verkauf neuer Lizenzen liegt?<br />

Ja, wir erwarten, dass unser<br />

Cloud-Umsatz ab 2018 höher ist als<br />

unser Lizenzumsatz. Das Wichtigste<br />

ist, dass wir unseren Kunden die<br />

Wahlmöglichkeit anbieten. Es gibt<br />

viele Kunden, die ihre Anwendung<br />

nur auf den eigenen Rechenzentren<br />

laufen lassen. Andere wollen eine<br />

Misch form: Manches machen sie<br />

selbst, anderes Partner, anderes SAP.<br />

SAP kann alles bieten. Mit „Hana“<br />

haben wir etwas, was niemand sonst<br />

hat. Wir erfinden eine neue Welt.<br />

B<br />

Diese schöne neue Welt wird sich<br />

auch auf die Beschäftigten von<br />

SAP auswirken. Weil Sie auf das<br />

Wolkengeschäft setzen, brauchen<br />

Sie immer weniger Mitarbeiter,<br />

die Ihre Anwendungen beim Kunden<br />

installieren und das Personal<br />

schulen. 2015 haben Sie 3.000<br />

Mitarbeiter mit teilweise saftigen<br />

Abfindungen in den Ruhestand<br />

verabschiedet. Wie viele Mitarbeiter<br />

sollen 2016 gehen?<br />

Wir werden auch 2016 unsere Mitarbeiterzahl<br />

erhöhen. Auch wenn wir<br />

unsere Belegschaft modernisieren,<br />

werden wir die Gesamtzahl steigern.<br />

SAP ist ein Unternehmen, das wächst.<br />

Wir stellen Leute von der Universität<br />

weg ein und trainieren sie auf die SAP-<br />

Art. Wir stellen sie nicht nur für Jobs<br />

ein, wir versuchen, ihre Karrieren zu<br />

entwickeln. In dieser Wirtschaft gewinnt<br />

nur die beste Belegschaft.<br />

B Also kein Stellenabbau.<br />

Das Gegenteil ist richtig: Wir stellen<br />

ein. Wenn Leute die digitale Transformation<br />

mitmachen, dann geben<br />

wir ihnen alle Möglichkeiten, sich fit<br />

zu machen für das neue digitale Zeitalter.<br />

Wir wollen niemanden loswerden.<br />

Wir machen aber Angebote: 2015<br />

haben wir ein Frühverrentungsprogramm<br />

angeboten für Leute, die lieber<br />

eine gute Abfindung nehmen, als die<br />

Reise in die digitale Welt mitzumachen.<br />

Aber dieses Programm ist beendet.<br />

Das wird es 2016 nicht geben.<br />

160 MILLIARDEN<br />

MIT DATEN<br />

Was früher die elektronische Datenverarbeitung,<br />

EDV, war, nennt sich heute<br />

im Marketing-Deutsch „Big Data“.<br />

Auf 160 Milliarden Euro schätzen die<br />

Beobachter von Crisp Research den<br />

weltweiten Markt für das Jahr 2015. Es<br />

gibt drei Teilmärkte. Erstens: Rechner,<br />

Datenbanken und Programme, mit<br />

denen sich Daten auswerten lassen –<br />

das Betätigungsfeld von SAP. Zweitens:<br />

Firmen, die diese Technik anwenden,<br />

die Daten auswerten und das Ergebnis<br />

verkaufen. Und drittens: der Markt für<br />

„Sensoren und Netzwerke“, die für die<br />

Verbindung von Geräten und Fahrzeugen<br />

mit dem Internet sorgen.<br />

B Hasso Plattner hat seine deutschen<br />

Entwickler als träge und<br />

langsam geächtet. Schließen Sie<br />

sich dem an?<br />

Ist es nicht super, dass SAP einen<br />

Gründer mit so viel Energie und Leidenschaft<br />

hat, der uns herausfordert,<br />

besser zu sein?<br />

B<br />

Noch einmal: Schließen Sie sich<br />

Plattners Kritik an?<br />

Wir haben keine schlechte Meinung<br />

von unseren deutschen Ingenieuren.<br />

Wir haben eine sehr hohe Meinung<br />

von ihnen. Wir finden sie so gut, dass<br />

wir sie ständig herausfordern, besser<br />

zu sein. Weil sie die Besten der Welt<br />

sind. Ich glaube, das ist Hassos Ansatz:<br />

Weil ihr die Besten der Welt seid, lehnt<br />

euch nicht zurück!<br />

B<br />

Wie amerikanisch darf das deutsche<br />

Unternehmen SAP sein?<br />

SAP soll nicht amerikanisch sein, sondern<br />

global. Wir können stolz auf unsere<br />

deutschen Wurzeln und unsere<br />

deutsche Technik sein – und gleichzeitig<br />

sollen wir stolz darauf sein, dass<br />

auch aus anderen Teilen der Welt Innovationen<br />

kommen.<br />

B<br />

Ihre deutschen Mitarbeiter haben<br />

Angst davor, dass die Konzernzentrale<br />

in die USA verlegt wird.<br />

Verstehen Sie die Ängste?<br />

Natürlich. Das ist der deutsche<br />

Stolz. Deshalb sage ich auch ständig:<br />

Walldorf ist und bleibt unsere Konzernzentrale.<br />

Deutschland ist unser<br />

Zuhause. Ich bin nach Heidelberg gezogen,<br />

um meinen Mitarbeitern zu zeigen,<br />

dass dies unsere Heimat ist.<br />

B Und? Wie gefällt es Ihnen hier?<br />

Ich bin an dem Tag nach Heidelberg<br />

gezogen, als Deutschland Brasilien 7:1<br />

geschlagen hat. Ein paar Tage später<br />

war Deutschland Fußball-Weltmeister.<br />

Wir haben in der Woche davor<br />

ein Picknick mit 30.000 SAP-Mitarbeitern<br />

gemacht. Und ich habe meine<br />

Nachbarn zu einer Party zu mir nach<br />

Hause eingeladen. SAP ist ein Teil meines<br />

Lebens, ich arbeite seit 14 Jahren<br />

hier. Deutschland ist ein wunderbares<br />

Land. SAP ist eine wunderbare Firma.<br />

Ich habe mein Zuhause gefunden. Hier<br />

gehöre ich hin.<br />

U<br />

QUELLE: FINANZEN.NET<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

SCHLUSS MIT DEM BILDUNGSDÜNKEL<br />

Deutschland ist auf dem Weg in die Akademiker-Republik.<br />

Für die hiesige Industrie ist diese Entwicklung von Übel.<br />

26<br />

Bei „Zeit Online“ schilderte unlängst<br />

ein Leser, wie sich die Einkaufsabteilung<br />

seines Arbeitgebers verändert<br />

habe. Noch vor rund zehn Jahren hätten<br />

dort gelernte Büro- und Industriekaufleute<br />

die Arbeit verrichtet, nur der<br />

Abteilungsleiter und sein Stellvertreter<br />

ein Studium absolviert. Heute seien in<br />

der Abteilung mit 25 Angestellten ausschließlich<br />

Menschen mit Master-Abschlüssen<br />

beschäftigt: „Kann mir einer<br />

erklären“, fragt der Zeitgenosse, „weshalb<br />

man zum Bestellen von Papier und<br />

Kugelschreibern ein Studium braucht?“<br />

Deutschland auf dem Weg in eine<br />

Akademiker-Republik: Nahezu unbemerkt<br />

von der Öffentlichkeit hat sich<br />

die Zahl der Studienanfänger seit 1995<br />

fast verdoppelt – auf 503.639 im vergangenen<br />

Jahr. Gut die Hälfte eines<br />

Jahrgangs schreibt sich gegenwärtig<br />

an einer Universität ein.<br />

Das sei eine höchst erfreuliche<br />

Entwicklung, wird gern argumentiert:<br />

Aufstieg sei vor allem durch Bildung<br />

erreichbar. Schließlich lebten wir in<br />

einer Zeit, in der das Wissen der wichtigste<br />

Wettbewerbsvorteil und Produktionsfaktor<br />

sei. Deutschland habe<br />

bei der Ausbildung von Akademikern<br />

gegenüber anderen hoch entwickelten<br />

Staaten aufzuholen, wie auch die allwissende<br />

OECD, die Organisation der Industriestaaten,<br />

uns regelmäßig belehrt.<br />

Mich erinnern diese Ratschläge<br />

an die Sprüche, die wir uns in den<br />

80er- und 90er-Jahren anhören durften:<br />

Die deutsche Volkswirtschaft sei<br />

überindustrialisiert, sei zu wenig in<br />

den Dienstleistungen vertreten. Inzwischen<br />

wissen wir, dass die Kritik Unfug<br />

war. Deutschland verdankt seine heutige<br />

Stärke in erster Linie einer breit<br />

aufgestellten Industrie.<br />

Schon der Vergleich mit den Hochschulabgängern<br />

in anderen Ländern,<br />

wie ihn die OECD betreibt, führt in<br />

AUF KURS MIT KADEN<br />

die Irre: Uni ist nicht gleich Uni. Ein<br />

Bachelor-Studium in den USA, wo<br />

die Studienanfängerquote bei himmlischen<br />

72 Prozent liegt, vergleichen<br />

Kenner der amerikanischen Wirklichkeit<br />

mit einem Kurs bei der hiesigen<br />

Volkshochschule. Nur 20 Prozent der<br />

US-Unis erfüllen vergleichbare Ansprüche<br />

deutscher Hochschulen; herausragend,<br />

aber eben nicht typisch,<br />

seien allein die Elite-Universitäten wie<br />

Harvard oder Stanford.<br />

Natürlich braucht Deutschland<br />

mehr Akademiker als noch vor 30<br />

oder 40 Jahren. Einfache Tätigkeiten<br />

werden von Maschinen und Automaten<br />

übernommen, Herstellungsprozesse<br />

und Büroarbeiten hat die<br />

Informations technik revolutioniert,<br />

die Berufswelt ist sehr viel anspruchsvoller<br />

geworden. Aber muss deswegen<br />

wirklich die Hälfte eines Jahrgangs ein<br />

Vollstudium absolvieren, möglichst<br />

mit Master-Abschluss?<br />

Mit dem „Bologna-Prozess“, der<br />

seit 1999 die europäischen Studiengänge<br />

harmonisiert und das alte System<br />

der Magister- und Diplomstudiengänge<br />

abgelöst hat, sollte die universitäre<br />

Bildung näher an die Berufswelt<br />

WOLFGANG KADEN<br />

Der ehemalige Chefredakteur<br />

des „Spiegels“ (1991 – 1994) und des<br />

„Manager Magazins“ (1994 – 2003)<br />

gehört zu den renommiertesten<br />

Wirtschaftsjournalisten des Landes.<br />

herangeführt werden: 80 Prozent der<br />

Studierenden, so war der Plan, sollten<br />

nach drei Jahren mit dem Bachelor<br />

die Uni verlassen. Die Realität heute:<br />

80 Prozent wollen den Master machen.<br />

Der Staat verstärkt diesen Trend noch,<br />

indem er, wie jüngst öffentlich wurde,<br />

die höhere Beamtenlaufbahn nur Master-Absolventen<br />

vorbehalten will.<br />

Es liegt eine gravierende Fehlsteuerung<br />

vor. Zum einen, weil nun<br />

mal nicht jeder, der das Abitur geschafft<br />

hat, auch tatsächlich zum wissenschaftlichen<br />

Arbeiten (und darum<br />

sollte es doch an der Universität gehen)<br />

befähigt ist. Der Anteil derer, die<br />

ihr Studium mangels Fleiß oder Begabung<br />

abbrechen, liegt bei rund einem<br />

Drittel. Das bedeutet, rein menschlich,<br />

viel Hader und Enttäuschung; und,<br />

rein ökonomisch, eine Vergeudung<br />

von Ressourcen, von privatem Geld<br />

und von Steuergeld.<br />

Zum anderen, wichtiger noch, sorgt<br />

der Akademisierungstrend dafür, dass<br />

der klassischen nicht akademischen<br />

Berufsausbildung der Nachwuchs ausgeht.<br />

Paradox: Während derzeit viele<br />

Länder, vor allem solche mit hoher Jugendarbeitslosigkeit,<br />

die duale Ausbildung<br />

– also die Kombination von Lehre<br />

und Berufsschule – nachzuahmen versuchen,<br />

lassen wir dieses Erfolgsmodell<br />

ausbluten. 2013 war die Zahl der Studienanfänger<br />

erstmals höher als die jener,<br />

die eine Lehre begannen.<br />

Was wir derzeit geschehen lassen,<br />

sei eine „Abkehr unseres Bildungswesens<br />

vom Konkreten, vom Haptischen,<br />

vom Handwerklich-Technischem“, wie<br />

Julian Nida-Rümelin, der Münchner<br />

Philosophie-Professor und ehemalige<br />

Kulturstaatsminister, in seinem Buch<br />

„Der Akademisierungswahn“ schreibt.<br />

Schon jetzt zeichnet sich ein Mangel<br />

an gut ausgebildeten Facharbeitern<br />

und Handwerkern ab – ein Defizit, das<br />

beständig wächst und den Kern der<br />

deutschen Industrie aushöhlt.<br />

16 Prozent der Deutschen verfügen<br />

derzeit über einen Hochschulabschluss.<br />

Das kann und muss sicherlich<br />

mehr werden. Wenn jedoch der Ansturm<br />

auf die Unis anhält, wird sich der<br />

Anteil der Akademiker in den nächsten<br />

Jahrzehnten verdrei- oder vervierfachen<br />

– ein groteskes Überangebot.<br />

Was ist zu tun? Manches wird sicherlich<br />

der Markt regeln. Studieren ist<br />

attraktiv, weil Akademiker im Schnitt<br />

immer noch besser verdienen als<br />

Nichtstudierte.<br />

Aber der Abstand verringert sich,<br />

vor allem in den Fachgebieten, in denen<br />

ein großes Angebot an Hochschulabsolventen<br />

einer bescheidenen Nachfrage<br />

gegenübersteht.<br />

Das gilt laut offizieller Statistik vor<br />

allem für Geisteswissenschaftler, deren<br />

Bruttoverdienste im Schnitt kaum<br />

über 4.000 Euro im Monat liegen –<br />

ein Einkommen, das auch viele nicht<br />

akademische Fachkräfte inzwischen<br />

erreichen. Dieser Trend wird sich<br />

fortsetzen, je mehr Studierte Tätigkeiten<br />

übernehmen (müssen), für die<br />

sie überqualifiziert sind, wie eben jene<br />

Studierten in der Einkaufsabteilung.<br />

Aber nur auf die Einkommen zu<br />

setzen, wird nicht ausreichen. Das<br />

Umdenken muss bei den Schulen anfangen,<br />

die immer noch fernab der<br />

wirtschaftlichen und beruflichen Realität<br />

dahinwerkeln; sie müssen den<br />

Schulabgängern eine deutlich bessere<br />

Orientierung für die Berufswahl bieten<br />

als derzeit üblich.<br />

Zudem muss die duale Ausbildung,<br />

bei all ihren Qualitäten, aus der „Reformstarre“<br />

gelöst werden, die ihr erfahrene<br />

Praktiker wie der ehemalige<br />

Telekom-Personalvorstand Thomas<br />

Sattelberger attestieren. Das heißt:<br />

Sie muss schneller auf neue Trends in<br />

Technik und Betriebswirtschaft reagieren<br />

und auch, wie Nida-Rümelin empfiehlt,<br />

„durch Integration wissenschaftlicher<br />

Anteile attraktiver“ werden.<br />

Vor allem aber muss die Gesellschaft,<br />

müssen die Akteure in Politik,<br />

Unternehmen, Verbänden, Medien<br />

umdenken: Sie müssen runter vom<br />

Bildungsdünkel. Alle müssen lernen,<br />

praktische Arbeit – Handwerkliches,<br />

Technisches, Manuelles – höher wertzuschätzen,<br />

als dies bisher der Fall ist.<br />

Das überzogene Sozialprestige,<br />

das ein Hochschulstudium gegenüber<br />

einer anderen beruflichen Ausbildung<br />

genießt, ist nicht mehr zeitgemäß. Als<br />

Akademiker-Republik, nur mit mehr<br />

und weniger begabten Kopfarbeitern,<br />

wird Deutschland im globalen Konkurrenzkampf<br />

nicht bestehen. U<br />

27<br />

ILLUSTRATION: FREDERICK STRASCHE<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

DER SONNENKÖNIG<br />

Der Milliardär Hans-Peter Wild hat „Capri-Sonne“ zum<br />

Welterfolg gemacht. Jetzt ist er 74 Jahre alt und steckt voller Pläne.<br />

Auch wenn er nicht so aussieht.<br />

Text<br />

STEPHAN KNIEPS<br />

Fotos<br />

MARA TRUOG<br />

28<br />

29<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

30<br />

Z<br />

um Jahreswechsel hat<br />

Hans-Peter Wild – Kurpfälzer,<br />

Vater zweier<br />

Söhne, Zwei-Kommaeins-facher<br />

Milliardär<br />

und 74 Jahre alt ... noch mal: Hans-Peter<br />

Wild also hat sein Unternehmen<br />

umbenannt, von „Arios Holding AG“<br />

in „Capri Sun Holding AG“.<br />

Alles in allem nur ein kleiner, mit<br />

ein paar Federstrichen zu bewerkstelligender,<br />

aber in diesem Falle doch<br />

bemerkenswerter Vorgang und ein<br />

Grund, den alten Wild einmal aufzusuchen,<br />

und zwar im schweizerischen<br />

Zug, wo er 1993 sein Firmenhauptquartier<br />

aufgeschlagen und im selben Jahr<br />

auch seinen Wohnsitz genommen hat.<br />

Und das nicht, weil es in der Schweiz<br />

so schön auf und ab und nur selten zur<br />

Seite geht.<br />

Wild, akkurat in grauem Anzug und<br />

rosafarbenem Schlips, empfängt mich<br />

im obersten, dem vierten Stock seines<br />

Amtssitzes, in einem ehemaligen Bankgebäude<br />

am Zuger See, der an diesem<br />

Wintermorgen eine nebelig-trübe<br />

Wässrigkeit ist und nicht gerade den<br />

Anreiz erhöht, einen Freudentanz aufzuführen<br />

und ins Alphorn zu blasen.<br />

„Gehen Sie mal ins Internet, und suchen<br />

Sie nach ,Arios‘“, knurrt Wild.<br />

Er spricht „Arios“ aus wie eine ansteckende<br />

Krankheit. „Kennt ja keiner.<br />

Das war eine Idee des Managements.<br />

Ich musste ,Arios‘ sogar auf meine<br />

Visitenkarte draufschreiben. Ich hab<br />

gesagt: Ihr spinnt wohl!“<br />

Wild sitzt am Besprechungstisch,<br />

trinkt einen Cappuccino. Vor uns steht<br />

eine Thermoskaffeekanne und ein<br />

Porzellanteller mit Schokoplätzchen,<br />

im Bücherregal ein gutes Dutzend<br />

„Capri-Sonne“-Trinkbeutelchen, eine<br />

Kristallkaraffe mit zwei Gläsern und<br />

jede Menge Literatur: „Success with<br />

Citrus“, „Ultrafiltration and Microfiltration“,<br />

„The Strawberry“, „Food<br />

Emulsions“, „Source Book of Flavors“.<br />

Links daneben ein alter Globus<br />

im Holzgestell, rechter Hand<br />

ein „Capri-Sonne“-Aufsteller („Pink<br />

Grape fruit) und ein Werbeplakat für<br />

das Getränk „Monster Energy“.<br />

Wild spricht laut und deutlich. Wie<br />

einer, der schlecht hören kann. Nicht<br />

sein Fehler. Im linken Ohr steckt ein<br />

Hörgerät. Jedenfalls hatte er genug<br />

davon, dass seine Firma so heißt wie<br />

eine gesichtslose Beteiligungsfirma,<br />

ein Kaufhaus oder Müsliriegel. Er sei<br />

alleiniger Eigentümer, wenn auch seit<br />

2005 schon nicht mehr Geschäftsführer.<br />

Das betont er. Entscheidungen fallen<br />

im Verwaltungsrat. Soll heißen: im<br />

Einklang.<br />

Ja gut, er mag dem Namen „Arios“<br />

einst selbst zugestimmt oder ihm keine<br />

große Bedeutung beigemessen haben.<br />

Aber es ist ja nie zu spät, einen Fehler<br />

zu korrigieren, selbst einen eigenen.<br />

Nun heißt seine Gesellschaft also wie<br />

ihr Hauptprodukt „Capri-Sonne“.<br />

Und das bedeutet ihm etwas, das<br />

bedeutet ihm sogar sehr viel. Auch<br />

wenn HPW, wie sein internes Kürzel<br />

lautet, die „Capri-Sonne“ nicht erfunden<br />

hat, betrachtet er sich doch als<br />

den Urheber ihres Erfolgs.<br />

Den Beuteltrank, mit dem sein Vater<br />

Rudolf 1969 die Heidelberger Supermärkte<br />

und Bäckereien belieferte,<br />

hat er, der Sohn, zur Weltmarke zugespitzt.<br />

Er, der in seiner Studentenzeit<br />

geboxt hatte, war es auch gewesen,<br />

der 1979 zum Entsetzen der Konkurrenz<br />

und dank der erstaunlichen Verbindungen<br />

eines Sportreporters den<br />

Boxweltmeister aller Klassen, Muhammad<br />

Ali, als Werbeträger für seine<br />

Provinzmarke gewinnen konnte. „Ich<br />

bin der Größte!“, meldete Ali, „aber<br />

wenn ich mit dem Boxen aufhöre, ist<br />

,Capri-Sonne‘ das Größte!“<br />

Heute kann man „Capri-Sonne“<br />

in 119 Ländern kaufen; mehr als sechs<br />

Milliarden Beutel werden im Jahr abgesetzt.<br />

Hans-Peter Wild, der seine Sätze<br />

gelegentlich mit Beratersprech versalzt<br />

und verunziert, ruft: „,Capri-Sonne‘<br />

hat unlimited growth potential.“<br />

Nur schade, dass seine Söhne,<br />

Christoph (46) und dessen jüngerer<br />

Bruder Robert, seine unverwüstliche<br />

Begeisterung nicht teilen. Für beide<br />

war schon vor rund 20 Jahren klar:<br />

„Capri-Sonne“? Ohne uns!<br />

Sie sind anderweitig interessiert.<br />

Dem Betrieb kehrten sie früh den<br />

Rücken. Wild wird darob nicht zum<br />

Melancholicus, und auch seine Stimme<br />

bleibt ohne Vibrato. Aber etwas<br />

Wehmut wallt doch in ihm: Mit der<br />

Wild’schen Führungsdynastie ist es<br />

TATSACHEN<br />

„Capri-Sonne“, 1969 erstmals im<br />

Markt, wird in 119 Ländern verkauft.<br />

In Deutschland produzieren die<br />

Sisi-Werke in Eppelheim bei Heidelberg<br />

(Foto) das Fruchtsaftgetränk,<br />

Umsatz: ca. 400 Mio. Euro. Zu den<br />

Wettbewerbern zählen Kindergetränke<br />

der britischen Nahrungsmittelfirma<br />

Britvic (Umsatz: 1,7 Mrd. Euro) sowie<br />

der niedersächsischen Getränkefirma<br />

Riha-Wesergold (Umsatz:<br />

600 Mio. Euro). Auch Coca-Cola<br />

führt mit „Minute Maid“ eine eigene<br />

Marke im Fruchtsaftsegment.<br />

nach der zweiten Generation schon<br />

wieder vorbei.<br />

1931 hatte Wilds Vater – Rudolf, der<br />

Chemiker – die Firma als sogenanntes<br />

„Zick-Zack Werk“ in die Heidelberger<br />

Register eingetragen und fortan Mineralwasser,<br />

später Brausen abgefüllt<br />

und verbreitet und irgendwann auch<br />

Roh- zu Inhaltsstoffen veredelt, zu<br />

Essenzen und Aromen. Alles ganz natürlich-biologisch,<br />

was damals in der<br />

Zunft völlig unnatürlich gewesen war.<br />

1956 überwältigte er die Hamburger<br />

Limonadenfabrik Sisi („Sine sine spiritus“),<br />

was insofern vorteilhaft war,<br />

als sich der Voreigner 1952 den Namen<br />

„Capri-Sonne“ hatte schützen lassen.<br />

Auf bloßen Verdacht hin! Den Trank<br />

zum Namen gab es ja noch gar nicht!<br />

Nur den Ohrwurm von Rudi Schuricke:<br />

„Wenn bei Capri die rote Sonne<br />

im Meer versinkt …“<br />

Hans-Peter Wilds Kindheit war<br />

durchaus dufte gewesen, so darf man<br />

es sagen. Ein Geruchsrausch, der von<br />

den Orangen- und Zitronensaftkonzentraten<br />

durch die Wild’sche Villa<br />

wehte, die, der besseren Kontrolle halber,<br />

auf dem Firmengelände lag.<br />

Ein anderer bleibender Eindruck<br />

aus Kindheitstagen: der Dobermann,<br />

mit dem er und sein Bruder Rainer<br />

(72) spielten. Als früh profilierte Führungspersönlichkeit<br />

hatte Hans-Peter<br />

den mächtigen Hund vor sein Dreirad<br />

gespannt und sei hinter ihm drein<br />

durchs Werk gejagt wie Ben Hur auf<br />

seinem Streitwagen.<br />

In der Folge gedieh HPW vortrefflich:<br />

Studium in München (Rechtswissenschaft)<br />

sowie Tübingen, Cambridge<br />

und Paris (Betriebswirtschaftslehre).<br />

Zwischendurch fand er noch Zeit<br />

für etwas Profisport: als Skilehrer, und<br />

später boxte er, wie gesagt, und sprang<br />

bei Reitturnieren herum.<br />

Und die Firma? Oh, er machte sich<br />

nützlich. Sprach ja nicht schlecht Englisch<br />

und Französisch und vertrat das<br />

Unternehmen in Frankreich, USA, Mexiko<br />

und auf Jamaika. 1969 erlangte er<br />

die Doktorwürde in Mannheim.<br />

Danach schlug Wild erst einmal die<br />

Zeitung auf, die „FAZ“, der Stellenanzeigen<br />

wegen: Dachte, es sei adäquat<br />

und opportun, erst mal einen Bogen zu<br />

schlagen um Eppelheim und beim Bremer<br />

Öl- und Gasimporteur Diersch &<br />

Schröder anzuheuern. Vier Jahre lang<br />

legte er sich hier ins Zeug, diente sich<br />

hoch bis zum Geschäftsführer für Mineralöl,<br />

Chemie und Reederei. Ende<br />

1973 hatte er dann aber genug bewiesen:<br />

Wilds Vater wollte ihn zurück.<br />

Also, zurück nach Eppelheim, wo<br />

er mit optimierten Produktionsanlagen<br />

samt erweiterter Produktpalette<br />

sozusagen auf das Prinzip Weltmarktstrategie<br />

umschaltete.<br />

Mit beachtlichem Erfolg: Die derweilen<br />

in „Wild-Flavors“ umgetaufte<br />

Firma brachte es mit „Capri-Sonne“<br />

und reichen Kunden wie Nestlé, Kraft,<br />

Oetker, Haribo bald auf einen Umsatz<br />

von über einer Milliarde Euro.<br />

Der Umweg über Bremen, sagt Wild,<br />

habe seinen Einstand in der Firma<br />

enorm erleichtert. Mit Respekt war<br />

man ihm begegnet, nicht mit Hohn<br />

(„Pah, der Sohn vom Chef …“).<br />

Eine Erfahrung, die beim Wechsel<br />

zur dritten Generation nicht weiterhalf.<br />

Der Auftritt, den Wilds Söhne<br />

in der Familienfirma hinlegten, geriet<br />

kurz und war wenig geglückt.<br />

Vorangegangen war das Ausscheiden<br />

von Wilds Bruder Rainer, geschäftsführender<br />

Gesellschafter bei<br />

Wild-Flavors und rund 15 Jahre lang<br />

mit HPW gleichgestellt. Kein Zufall,<br />

dass der Tod ihres Vaters und der<br />

Ausstieg von Rainer Wild eng beieinanderlagen.<br />

„Als mein Vater 1995 starb, hat<br />

mein Bruder das Erbe ausgeschlagen.<br />

Das war eine Erleichterung für ihn“,<br />

sagt Wild. „Er interessierte sich für<br />

andere Dinge. Er hatte sich aber nicht<br />

getraut, das dem Vater zu sagen.“<br />

Rainer Wild, der heute in Heidelberg<br />

die Firma Naturfarben sowie eine<br />

Stiftung für gesunde Ernährung führt,<br />

hatte sein Ausscheiden mit einem edlen<br />

Motiv begründet: Er übe Verzicht<br />

zugunsten seiner Neffen Christoph<br />

und Robert. Ein Umstand, der die Söhne<br />

von Hans-Peter Wild unter einigen<br />

Druck gesetzt haben dürfte.<br />

Er habe das seinen Söhnen „nicht<br />

antun wollen“, sagt Wild oder behauptet<br />

es jedenfalls: „Ich wollte die<br />

nicht in etwas hineinzwingen, was sie<br />

nicht wirklich wollen.“ Trotz Verzicht<br />

und Verständnis Wilds – im Verhältnis<br />

zwischen Vater und Söhnen haben<br />

Enttäuschung und Ernüchterung<br />

auf der einen und der Kampf um ein<br />

freieres, selbstbestimmtes Leben auf<br />

der anderen Seite offenbar ihre Spuren<br />

hinterlassen. Weggefährten und<br />

ehemalige Manager sagen: Vater und<br />

Söhne hätten sich selten viel zu sagen<br />

gehabt.<br />

Wild habe seine Söhne spüren lassen,<br />

dass sie sich, genau wie er selbst<br />

damals in Bremen, ihre Stellung im Familienbetrieb<br />

erst verdienen müssten.<br />

Er habe ihnen, als sie 18 wurden, zwar<br />

einen „Mercedes“ und einen „Porsche“<br />

vor die Tür gestellt. Doch in der Fir-<br />

31<br />

Hölzern: Hans-Peter Wild mag’s rustikal. „Capri-Sonne“ will<br />

er nicht verkaufen: „Was soll ich denn mit noch mehr Geld?“<br />

Muhammad Ali in Eppelheim: 1979 konnte Wild den Boxweltmeister<br />

überzeugen, für „Capri-Sonne“ zu werben.<br />

FOTO: UNI HEIDELBERG<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

32<br />

ma wurde den Sprösslingen nichts geschenkt.<br />

Sie sollten ganz unten anfangen<br />

und sich hochdienen: Christoph in<br />

Eppelheim, Robert in der Schweiz.<br />

Viele Mitarbeiter, sagt ein Ehemaliger,<br />

hätten den beiden jedoch misstraut.<br />

Nach allgemeiner Auffassung besäßen<br />

sie nur eine einzige Qualifikation, nämlich<br />

die Söhne zu sein. Es habe da „ein<br />

paar unschöne Szenen“ gegeben.<br />

Beeinträchtigend kam hinzu, dass<br />

die beiden wenig Geschmack fanden<br />

am Aroma- und Saft-Metier, an Fruchtaus<br />

zü gen, Le bens mit tel far ben und<br />

Frucht saft kon zen tra ten. Sie hielten<br />

es ungefähr ein Jahr lang in der Firma<br />

aus. Ende der 90er-Jahre ging’s nicht<br />

mehr. Es war „ein Prozess“, sagt Wild.<br />

Was ist aus ihnen geworden? Wild<br />

reagiert pikiert, hier beginnt privates<br />

Terrain. Offenbar nahmen die Söhne<br />

ein Studium an der privaten Franklin-Universität<br />

in Lugano auf, später<br />

hatten sie sich als Autohändler versucht<br />

und von 2005 bis 2007 mit dem<br />

Sportwagenvertrieb Apollo-Cars in<br />

Zug selbstständig gemacht. Danach<br />

verliert sich ihre Spur.<br />

Sein Sohn Christoph, gibt Wild<br />

dann doch noch preis, sei mit der italienischen<br />

Diplomatin Tiziana di Molfetta<br />

liiert, das Paar ziehe alle paar Jahre<br />

in eine andere Stadt: Rom, Bangkok,<br />

aktuell leben sie in Seoul. Die Frau versieht<br />

dort das Amt der Vizebotschafterin.<br />

Und Robert sei als Unternehmer<br />

in Lugano tätig.<br />

Wild habe Abkehr und Lossagung<br />

der Söhne von der Firma eine Zeit<br />

lang belastet, erinnert sich ein Konfident.<br />

Doch Rührseligkeit ist nicht sein<br />

Ding. Er war Boxer: Wirklich weh tut<br />

ganz was anderes. Bald sei er wieder<br />

zur Tagesordnung übergegangen und<br />

habe nach anderen Lösungen gesucht.<br />

„Ich hatte immer gehofft, dass der<br />

eine oder der andere vielleicht doch<br />

noch will“, sagt Wild heute. „Aber ich<br />

wollte sie nicht pushen. Lass die ihr eigenes<br />

Leben führen. Denen geht’s hervorragend,<br />

und uns als Familie geht’s<br />

auch gut.“<br />

Wie also weiter? Das Rentenalter<br />

hatte HPW damals lange erreicht, die<br />

Zeit der Entscheidung war gekommen.<br />

Dass er von Schicksalsergebenheit wenig<br />

hielt, war allen Vertrauten klar.<br />

Dann kam das Jahr 2010: Zur Verblüffung<br />

der Aroma-Innung verkaufte<br />

er gut 35 Prozent seiner Wild-Flavors-Anteile<br />

an den US-Finanzinvestor<br />

KKR. „Capri-Sonne“, erzählte man<br />

sich im Geheimen, solle auf einen Börsengang<br />

vorbereitet werden. Aber vom<br />

Kapitalmarkt hat Wild in Wahrheit nie<br />

viel gehalten.<br />

KKR-Eu ro pa chef Jo han nes Huth<br />

konnte mit der Min der heit damals<br />

„gut le ben“. Sie gebe „der Fa mi lie das<br />

Ge fühl, nicht über nom men zu werden,<br />

beide Sei ten ste hen als Part ner<br />

da“. Ideal gerade dann, „wenn es ein<br />

solch fan tas ti sches Ge schäft gibt, bei<br />

dem eine Fa mi lie dar über nach denkt,<br />

wie man es wei ter ge ben möch te, ohne<br />

dass ein Nach fol ger aus der Fa mi lie es<br />

be trei ben kann“.<br />

2013 fasste Wild unter dem damals<br />

noch von ihm für gut befundenen Namen<br />

„Arios“ den gesamten Restbe-<br />

stand zusammen, der sich noch zur<br />

Gänze in seinem Besitz befand, also<br />

in Sonderheit jene Unternehmen, die<br />

er um „Capri-Sonne“ gruppiert hatte.<br />

Neben den Sisi-Werken zählten<br />

dazu eine Firma für Abfüll-Maschinen,<br />

eine zur Verwaltung des Grundbesitzes<br />

und des Weiteren eine zum<br />

Vertrieb anderer Getränkemarken<br />

(bis Mitte 2015 zum Beispiel den<br />

Energietrunk „Monster“). Angeschlossen<br />

war gleichermaßen ein<br />

Unternehmen für das Geschäft mit<br />

Discountern, die „Capri-Sonne“-Kopien<br />

lieber als Eigenmarke anbieten.<br />

Heute setzt die Organisation rund<br />

500 Millionen Euro um.<br />

2014 aber, vier Jahre nachdem er<br />

eine erste Portion an KKR verkauft<br />

hatte, gab Wild bekannt, nun auch den<br />

Rest von Wild-Flavors loswerden zu<br />

wollen: „Wenn ich den De ckel zu mache,<br />

ist oh ne hin Schluss mit dem Familienunternehmen.“<br />

Der Andrang war groß, auch der<br />

ja pa ni sche Ge würz her stel ler Aji nomoto<br />

hatte sich um die Eppelheimer<br />

Eigentumsrechte beworben. Zum Zuge<br />

kam indes der US-Getreide- und<br />

Sojahändler Archer Daniels Midland<br />

(ADM, Umsatz: 81,2 Mrd. Dollar). Die<br />

Amerikaner überwiesen großzügige<br />

2,3 Milliarden Euro.<br />

„Ich hatte gemerkt: Ich muss was<br />

machen“, erinnert sich Hans-Peter<br />

Wild. „Die Familie macht das ja seit<br />

80 Jahren. Und man trennt sich ja<br />

nicht einfach so mir nichts, dir nichts<br />

von so einer Geschichte.“<br />

Zugegeben, er brauche auch Geld,<br />

um das Geschäft mit der „Capri-Sonne“<br />

zu vergrößern. „Und weil ich keine<br />

Nachfolger habe, war es auch die richtige<br />

Entscheidung.“<br />

„Capri-Sonne“ gibt er nicht her. Er<br />

bekomme zwar jede Woche ein neues<br />

Angebot auf den Tisch, aber die schaue<br />

er nicht einmal an. Er habe sein Kerngeschäft<br />

zu lange schleifen lassen:<br />

KKR, ADM – größere Dinge waren zu<br />

regeln, vieles sei dabei „zu kurz gekommen“.<br />

Aber jetzt weht ein anderer<br />

Wind: „Target der ,Capri-Sonne‘ ist eine<br />

Milliarde Euro Umsatz. In weniger<br />

als fünf Jahren!“ Alle Vorbereitungen<br />

sind getroffen, am Standort die neuen<br />

Produktionsanlagen samt Hochregallager<br />

und Lkw-Terminal fertiggestellt.<br />

Aber bekommt der Senior es wirklich<br />

hin, zumal er auch noch diverse<br />

andere Beteiligungen managen muss?<br />

Ein paar Biotech- und Medizinfirmen<br />

etwa sowie den Lebensmittel-Pasteurisierer<br />

Calpack, den er sich im vergangenen<br />

Jahr in toto zugelegt hat.<br />

Um das Betriebsklima Eppelheim<br />

sei es schlecht bestellt, sagt man. Manager<br />

suchten das Weite, allenthalben:<br />

Marketing, Vertrieb, Finanzen.<br />

Eine Exmitarbeiterin wirft Wild vor,<br />

er verschließe die Augen vor dem personellen<br />

Aderlass. „Wenn bei jedem<br />

Budget-Meeting ein anderer Manager<br />

dasitzt, dann muss ich mich doch fragen:<br />

Was ist da los?“<br />

An ihm selbst, glaubt Wild, liegt es<br />

bestimmt nicht. Zum Jahreswechsel<br />

setzte er Carsten Kaisig (43), den Chef<br />

seiner Dachgesellschaft und Maschinen-Sparte,<br />

vor die Tür. Kaisig war die<br />

Nummer zwei im Konzern.<br />

Über die Gründe schweigen beide<br />

Seiten, doch auf den Fluren der Sisi-<br />

Werke erzählt man sich, dass es ein<br />

privater und kein beruflicher, doch<br />

grober Regelverstoß gewesen war, den<br />

Wild als Ordnungswidrigkeit geahndet<br />

und mit Platzverweis bestraft hatte.<br />

Seit Februar führt nun Roland<br />

Weening (46) die Geschäfte. Man wird<br />

sehen, ob er sie voranbringt.<br />

Um Wild zu verstehen, muss man<br />

wissen, dass sich dieser Exboxer,<br />

Exreiter, Exskilehrer auch für den<br />

Rugby-Sport begeistert. Der Hans-Peter,<br />

sagt ein Weggefährte, „der gibt nie<br />

auf, der nimmt’s mit jedem auf“.<br />

Seine Leidenschaft für den Sport<br />

hat Wild vom Vater geerbt („Ein superguter<br />

Sportsmann“), der im Sommer<br />

gerudert sei und im Winter Rugby<br />

gespielt habe. 2007 finanzierte Wild,<br />

in Heidelberg die Wild-Rugby-Akademie,<br />

drei Jahre später gründete er die<br />

Gesellschaft zur Förderung des Rugby-<br />

Sports, ansässig in der Eppelheimer<br />

Rudolf-Wild-Straße. Für schätzungsweise<br />

zehn Millionen Euro lässt er ge-<br />

rade ein Trainingszentrum errichten.<br />

Die Rugby-Abteilung des Heidelberger<br />

Ruderklubs ist seit 2010 jedes Jahr<br />

deutscher Meister geworden.<br />

Was das weitere Schicksal der Familienfirma<br />

angeht: Er habe in Liechtenstein<br />

eine Familienstiftung gegründet,<br />

ganz „Business-orientiert“. Sie solle wesentliche<br />

Teile seines Firmenvermögens<br />

übernehmen. Und seine Söhne?<br />

Ja ja, die machen da auch mit, nuschelt<br />

er. Wie genau, mag er nicht sagen.<br />

Der Stiftung kommt für die Zukunft<br />

der „Capri-Sonne“ eine entscheidende<br />

Rolle zu: „Einen Verkauf kann ich für<br />

die ,Capri-Sonne‘ ziemlich ausschließen“,<br />

sagt Wild. Dann hebt er die Augenbrauen:<br />

„Was soll ich denn machen:<br />

noch mehr Geld? Nein. Der Weg ist die<br />

Stiftung.“ Darauf laufe es hinaus.<br />

Wie auch immer die Sache ausgehen<br />

wird, der Kerl mir gegenüber ist<br />

die Ruhe selbst. Der Cappuccino ist<br />

ausgetrunken, Wild steht auf. „Wenn<br />

ich abends nach Hause komme“, sagt<br />

er noch, „bin ich froh, wenn ich meine<br />

Ruhe habe und in meinem eigenen<br />

Bett schlafen kann.“<br />

U<br />

33<br />

Durch die Tür: Seinen Amtssitz hat Wild in einem alten<br />

Bankgebäude im schweizerischen Zug untergebracht.<br />

Wildwechsel: Tritt er ab?<br />

Wild auf dem Landsgemeindeplatz in Zug.<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

Der<br />

WINDschnittige<br />

Ausgerechnet der zurückhaltende Herr Blume muss als neuer Chef<br />

beweisen, dass Sportwagenbauer Porsche unter Strom eine Zukunft hat.<br />

Text / MARK C. SCHNEIDER<br />

Fotos / FRITZ BECK<br />

34 Der Mann steht früh auf. Unser<br />

erstes Treffen findet um 6.45<br />

Uhr am Stuttgarter Flughafen<br />

statt. Das zweite dann in Weissach,<br />

in Porsches Entwicklungszentrum,<br />

diesmal um acht.<br />

„In der Regel fange ich zwischen<br />

sieben und halb acht an“,<br />

sagt Oliver Blume (47), als er seinen<br />

silbergrauen „Macan Turbo“<br />

(400 PS, 266 km/h) vor einem<br />

grauen, turnhallengroßen Betonblock<br />

parkt, in dessen Keller sich<br />

der Windkanal befindet.<br />

Im Vorraum des künstlichen<br />

Sturmmachers herrscht OP-<br />

Atmosphäre: weißer und grauer<br />

Beton, LED-Licht so kühl, wie<br />

Chirurgen es schätzen. Alles wie<br />

gelackt und wie gebohnert. Auch<br />

die „Blutrinne“, wie die Techniker<br />

das Auffanggitter für herumfliegende,<br />

querschlagende Kleinteile<br />

nennen. In drei Meter Höhe<br />

hängt etwas Dämmwolle.<br />

Blume begrüßt die kleine<br />

Porsche-Truppe mit festem<br />

Manager-Händedruck. Mit bis zu<br />

300 Stundenkilometern orgelt der<br />

Sturm durch das zehn Meter breite<br />

und 40 Meter lange Laboratorium.<br />

Es donnert wie auf Nelsons „Victory“.<br />

Der Motor, der die Turbine<br />

antreibt, wiegt 40 Tonnen. In der<br />

ganzen Branche gibt es keine stärkere<br />

Maschine.<br />

Blume, ein Mann von knapp<br />

über eins neunzig und athletischem<br />

Körperbau (er ist Freizeit-Triathlet),<br />

stemmt sich geduldig fürs Foto<br />

in den Wind und erklärt mir die<br />

Vorzüge eines eigenen Windkanals,<br />

dessen Anschaffungskosten von<br />

gut 100 Millionen Euro sich kleine<br />

Autofirmen normalerweise nicht<br />

leisten können: Die Tests blieben<br />

geheim, sie könnten durchgeführt<br />

werden, wann immer man wolle.<br />

Ja, auf Dauer rechne sich das.<br />

Später, im Konferenzraum des<br />

Designzentrums, einige Etagen höher,<br />

erzählt er, dass er Menschen,<br />

mit denen er zusammenarbeite,<br />

am liebsten duze. Für viele Manager<br />

der Volkswagen AG, als deren<br />

100-prozentige Tochterfirma<br />

Porsche firmiert, heißt er deshalb<br />

einfach „Oliver“ statt „Dr.<br />

Blume“.<br />

Der Niedersachse gibt sich<br />

sturmerprobt und erdverwachsen,<br />

als einer vom Stamm „Kumpel“,<br />

der die Menschen, wie er<br />

immer wieder sagt, „mitnehmen<br />

will“. Ein Machtmensch,<br />

wie etwa sein Vorvorvorgänger<br />

Wendelin Wiedeking (63), ist er<br />

wahrscheinlich nicht. Man kann<br />

sich da nie so sicher sein, weil<br />

man ohne den Willen zur Macht<br />

nur selten mächtig wird. Aber<br />

ein „Captain Sunshine“ ist der<br />

Oliver auch nicht.<br />

Er ist schon ein ehrgeiziger<br />

Kerl, der Blume – wie so viele<br />

inbrünstige Sportler. Einst<br />

kein unbegabter Fußball-Libero<br />

(dass er heute an Triathlons teilnimmt,<br />

wurde schon erwähnt),<br />

hat er sein Maschinenbau-Studium<br />

in seiner Heimatstadt<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

36<br />

Braunschweig etwa als<br />

Tennis trainer finanziert.<br />

Nach dem Examen<br />

1994 ging der 26-Jährige<br />

als sogenannter Trainee<br />

zu Audi. Nach zwei Jahren<br />

war er Pla ner für Ka ros serie<br />

bau und die La ckie re rei,<br />

übernahm später die Leitung<br />

des Karosseriebaus („A3“)<br />

und erreichte mit 30 schließlich<br />

den Rang eines Vorstandsassistenten<br />

im Ressort<br />

„Produktion“.<br />

Er sammelte Auslandserfahrungen,<br />

schrieb seine Doktorarbeit<br />

über „Fahrzeugtechnik“<br />

an der Tongji Uni ver si tät<br />

Schang hai, wechselte in die Produk<br />

ti ons pla nung der VW-Firma<br />

Seat, ging dann für fünf Jahre zu<br />

Volks wa gen und wurde 2013 Produktionsvorstand<br />

von Porsche.<br />

War der „Olli“ jemand, der einen<br />

Karriereplan im Tornister hatte?<br />

Seine Kommilitonen behaupten<br />

Nein. Auch Blume selbst will eine<br />

Planung nicht als Aufstiegsmittel gelten<br />

lassen: „Das klappt nicht, ich habe<br />

mich nie für irgendeine Aufgabe beworben.<br />

In meiner gesamten Laufbahn<br />

bin ich immer angesprochen worden. “<br />

Am 1. Oktober hat er den Vorstandsvorsitz<br />

der Dr. Ing. h. c. F. Por sche AG<br />

übernommen, des nach wie vor profitabelsten<br />

Autobauers der Welt. Als Nachfol<br />

ger von Matt hias Mül ler (62), den<br />

der Dieselskandal an die VW-Spitze beförderte.<br />

Volkswagens Chefaufseher Hans<br />

Dieter Pötsch (64) sagt über Blume, dass<br />

der eine „tolle Karriere hinter sich und<br />

viel mehr noch vor sich“ habe. Unter<br />

dieser Bemerkung, sagt er, könne man<br />

sich „einiges vorstellen“, lässt aber offen,<br />

was. Blume, hört man, gilt als Kandidat<br />

für die Müller-Nachfolge als Konzernchef.<br />

Wie gut seine Aussichten sind,<br />

hängt auch davon ab, welche Figur die<br />

anderen Kronprinzen, etwa VW-Markenvorstand<br />

Herbert Diess (57), in den<br />

kommenden Jahren machen.<br />

Dienstags besucht Blume die Sitzungen<br />

des Konzernvorstands im Range<br />

eines „Gastes“. Ab kommendem<br />

Jahr dürfte er einen Stammplatz<br />

im Gremium erhalten. Neben seiner<br />

Aufgabe als Chef von Porsche<br />

koordiniert er bereits die beiden<br />

anderen Luxusmarken des Hauses,<br />

„Bentley“ und „Bugatti“.<br />

Blume, sagen Weggefährten,<br />

habe die Ruhe weg. Sehr cool, der<br />

Mann. Selbst in kritischen Sitzungen<br />

lasse er geduldig alle Argumente<br />

vortragen, auch die, die er<br />

später verwerfen wird. Erst dann<br />

bezieht er selbst Stellung, klug und<br />

bestimmt.<br />

Schön und gut, wenden manche<br />

ein: Porsche steht blendend da.<br />

225.121 Autos verkaufte das Unternehmen<br />

2015 und damit 19 Prozent<br />

mehr als im Vorjahr. Die Einnahmen<br />

dürften um über zehn Prozent<br />

auf gut 19 Milliarden Euro steigen.<br />

Die genauen Zahlen gibt Blume am<br />

11. März bekannt.<br />

Aber ein Schönwetter-Kapitän<br />

ist der freundliche Herr Blume nun<br />

auch wieder nicht, selbst wenn ihm<br />

sein Vorgänger Müller mit Erfolgsmeldungen<br />

vieles leicht gemacht<br />

hat. Die kommenden Monate erfordern<br />

rasche, harte Entscheidungen.<br />

„<br />

ICH HALTE<br />

ÜBERHAUPT NICHTS<br />

DAVON,<br />

EINE KARRIERE ZU<br />

PLANEN.<br />

DAS KLAPPT NICHT<br />

“<br />

Zum VW-Gewinn steuerte Porsche<br />

zuletzt bedeutsame 2,7 Milliarden<br />

Euro bei. Mehr wird es in den<br />

nächsten Jahren aufgrund hoher Investitionen<br />

wohl auch nicht werden.<br />

Selbst einen Rückgang der Erträge<br />

schließt er nicht aus.<br />

Weitere Konzepte, etwa der erfolgreiche<br />

Geländewagen „Macan“,<br />

werden vor 2019 kaum auf den Asphalt<br />

kommen. Vor allem aber muss<br />

Blume den traditionsreichen Sportwagenbauer auf<br />

das Zeitalter der Elektromobilität und des autonomen<br />

Fahrens ausrichten, das früher oder später<br />

ohne Zweifel anbrechen wird. Im Juli will Blume<br />

die „Strategie 2025“ vorlegen und seinen Gesellschaftern<br />

und Mitarbeitern erklären, wie er den<br />

Konzern in eine neue Ära führen will.<br />

„Ideal ist es, eine Strategie so hinzubekommen,<br />

dass sie tagtäglich umgesetzt wird, unmerklich<br />

im Tagesgeschäft“, sagt Blume. Der<br />

Hoffnungsträger heißt „Mission E“. In den<br />

Bau des batteriebetriebenen Elektrojägers mit<br />

600 PS und mindestens 500 Kilometer Reichweite<br />

investiert Porsche eine Milliarde Euro.<br />

Am Erfolg des „Mission E“ werde Blume<br />

gemessen, sagt Porsches Betriebsratschef<br />

Uwe Hück (53). Die Arbeitnehmer strecken<br />

ein Teil ihrer künftigen Lohnerhöhungen<br />

vor, damit sich der Ausbau des Stammwerks<br />

in Zuffenhausen rechnet. 1.000 Arbeitsplätze<br />

sollen entstehen.<br />

Das Auto stelle eine „Zeitenwende“<br />

dar, was Antriebstechnik und Produktionsprozesse<br />

angeht, findet Hück: „Wir<br />

beide sind überzeugt, dass wir das jetzt<br />

mutig angehen müssen, auch wenn das<br />

vieles verändern wird in unserer Arbeitswelt.<br />

Aber es sind längst nicht alle<br />

in seinen Reihen und in meinen Reihen<br />

davon überzeugt.“<br />

Die Firmenzentrale wird über<br />

Jahre zur Großbaustelle mit bis zu<br />

2.000 Bauarbeitern und Handwerkern.<br />

Blume versteht den Unmut<br />

der Nachbarn. „Aber wir schaffen<br />

Beschäftigung und bringen etwas<br />

für die Stadt.“<br />

Siegfried Bülow (63), Chef des<br />

Leipziger Porsche-Werks, traut<br />

Blume den großen Wurf zu: „Er<br />

arbeitet sehr strukturiert und<br />

extrem konsequent. Der hat die<br />

Mannschaft entflammt, gibt<br />

den Mitarbeitern großen Freiraum.<br />

Automobilbau ist Mannschaftssport,<br />

Blume lebt das.“<br />

Die am Ende nahezu problemlose<br />

Fabrikation des<br />

„Macans“ in Leipzig ging auf<br />

Blumes Konto. Der damalige<br />

VW-Chef Martin Winterkorn<br />

(68) hatte ein Jahr vor Fertigungsstart<br />

noch menetekelt:<br />

„Das schafft ihr nie.“<br />

Blumes Ehrgeiz ist natürlich<br />

angefacht. Er<br />

will es wissen. Christian<br />

Friedl (38), Chef des Karosseriebaus<br />

und Blumes<br />

Stellvertreter als Produktionsvorstand,<br />

hat ihn einmal<br />

gefragt: „Oliver, wieso<br />

hast du bei dem Thema keinen<br />

Blutdruck?“ – „Weil mich<br />

das nicht weiterbringt. Wir<br />

müssen das besonnen analysieren<br />

und klären.“<br />

Also brütete er über den<br />

Daten fehlerhafter Anläufe,<br />

um Patzer zu vermeiden. Zum<br />

Erfolg gehört der konstruktive<br />

Umgang mit Niederlagen. „Es<br />

gibt viele kleine Niederlagen, die<br />

ich immer wieder erlebe.“ Dann<br />

kommt der Ingenieur durch und<br />

fragt sich: „Wie kannst du es nächstes<br />

Mal besser machen?“<br />

Blume ist ein Boss zum Anfassen,<br />

der selbst zurückruft, wenn<br />

es wichtig ist. Darüber wundern<br />

sich allenfalls solche Mitarbeiter,<br />

die das erstmals erleben. Landet der<br />

Beschwerdebrief eines Kunden im<br />

Post eingang, greift er zum Hörer. Das<br />

überrumpelt: Die Kunden sind bauchgepinselt,<br />

dass der Chef anruft. Meist<br />

lässt sich der Ärger auflösen.<br />

Auch der Privatmann ist greifbar.<br />

Freunde loben Blumes Ausdauer, trotz<br />

beruflicher Belastung scheinbar mühelos<br />

den Kontakt zu pflegen, und das über<br />

Jahrzehnte, wie mit Braunschweiger Mitschülern.<br />

Aus Freundschaften schöpfe er<br />

Energie, sagt er.<br />

An freien Tagen fliegt Familie Blume<br />

nach Barcelona, seit der Zeit als Planungschef<br />

bei Seat (2004 – 2009) eine zweite Heimat.<br />

Dort leben viele Freunde, die trommeln<br />

sie dann auf ein Bier unter freiem Himmel<br />

zusammen. Die Mädchen, elf und 14 Jahre,<br />

sind dort zur Schule gegangen. Familie Blume<br />

spricht Spanisch, die Kinder akzentfrei.<br />

Blume ist Familienmensch. Stuttgart gefällt<br />

Frau und Kindern gut, auf den zweiten<br />

Blick. Die Familie ist immer mitgezogen. Für<br />

den Manager entscheidend: „Fühlen sich die<br />

Kinder wohl, fühlt man sich selbst auch wohl.“<br />

Als die Kinder klein waren, nahm er sich fest vor,<br />

Der Wind kommt von vorn:<br />

Blume muss Porsche für das Zeitalter<br />

des Elektromotors umbauen.<br />

sie dreimal in der Woche selbst ins<br />

Bett zu bringen. Funktioniert hat<br />

das häufig, aber nicht immer. Doch<br />

die Routine war ihm wichtig. Mit<br />

dem Willen zur Balance zwischen<br />

Berufs- und Privatleben ist der Manager<br />

Teil einer neuen Generation<br />

von Unternehmenslenkern. Er bemüht<br />

sich, „an normalen Tagen“ bis<br />

um sieben Uhr mit der Arbeit durch<br />

zu sein.<br />

Das Rezept: Soweit möglich,<br />

teilt er den Tag in feste Blöcke ein,<br />

nimmt sich Zeit, Themen aufzuarbeiten,<br />

zu Hause zu sein, Sport zu<br />

treiben. „Ich kann sieben Tage die<br />

Woche 24 Stunden arbeiten, man<br />

findet immer was. Aber ich bin<br />

überzeugt, dass ich erfolgreicher<br />

bin, wenn ich mir Zeit für Familie,<br />

Freunde und Sport nehme, statt<br />

dauernd zu arbeiten. Dann habe ich<br />

bessere Ideen und entwickle mich.“<br />

Materielles bedeutet ihm dagegen<br />

nicht viel. „Mir selbst gibt es<br />

nichts, mir etwas Teures zu kaufen“,<br />

sagt der Chef einer Luxusmarke.<br />

Als das erste Mal ein „911er“ vor der<br />

Haustür stand, hatte das Ehepaar Blume<br />

Ehrfurcht davor, ins Auto zu steigen. „Das<br />

ist einfach ein ganz anderes Auto als das,<br />

was wir vorher gefahren sind.“<br />

Für den VW-Konzern stellt Blume einen<br />

neuen Führungstypus dar, der von Veteranen<br />

wie seinem ehemaligen Chef bei<br />

Audi schwärmt: Jochem Heizmann (64),<br />

heute Konzernvorstand für China. Dabei<br />

gilt Heizmann selbst unter Wolfsburger<br />

Maßstäben als harter Knochen.<br />

„Er ist Triathlet, ich bin Boxer. Wir<br />

können beide einstecken“, sagt Betriebsrat<br />

Hück. „Der hat Dampf im Körper“,<br />

stellt Beschaffungsvorstand Uwe-Karsten<br />

Städter (59) anerkennend fest.<br />

Ringt er hart um eine Sache, wird es<br />

auch bei Blume mitunter lauter. „Eine gewisse<br />

Reibung gehört dazu, um das Optimum<br />

herauszuholen“, sagt er. Auch das<br />

kennt er, der früher Fußballmannschaften<br />

trainiert hat, aus dem Sport („Ich bin kein<br />

Typ, der aus der Literatur oder Seminaren<br />

lernt“).<br />

Den letzten Schliff gab ihm Müller<br />

bei Porsche. „Ich bin immer gut damit<br />

gefahren, mir Eigenschaften, die<br />

zu mir passen, anzueignen und damit<br />

aber mein eigenes Profil weiterzuentwickeln“,<br />

sagt Blume.<br />

Dabei gleicht sein familiäres Führungsverständnis<br />

dem kategorischen<br />

Imperativ des Philosophen Immanuel<br />

Kant (1724 – 1804): jeden so zu<br />

behandeln, wie man selbst behandelt<br />

werden möchte. „Dazu gehört,<br />

Menschen zu begeistern, dann<br />

sind sie bereit, einen Schritt mehr<br />

zu gehen, als das normal üblich<br />

ist. Dann erreiche ich mehr, als<br />

wenn ich jemanden unter Druck<br />

setze“, glaubt Blume. Weggefährten<br />

loben, er unterscheide<br />

nicht zwischen wichtigen und<br />

unwichtigen Menschen.<br />

Der Rollenwechsel zum<br />

Chef hat er dennoch strikt<br />

vollzogen. „Wenn man das<br />

Alte nicht loslässt, fehlt der<br />

Freiraum, sich in das Neue<br />

einzuarbeiten.“ Sagt es,<br />

steigt in seinen „Macan“<br />

und braust nach Zuffenhausen.<br />

U<br />

37<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

„<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

38<br />

NIEMAND<br />

SONST<br />

IN UNSERER<br />

BRANCHE<br />

DENKT<br />

39<br />

SO WIE WIR<br />

“<br />

Die Japaner lieben Uniqlo.<br />

Mit Mode, die nicht en<br />

vogue sein, sondern zu jeder<br />

anderen Marke passen<br />

soll, will der Chef Tadashi<br />

Yanai jetzt H&M und<br />

Zara an den Kragen gehen.<br />

Text / SOPHIE CROCOLL<br />

Nur 158 Zentimeter groß,<br />

aber ein ganzer Kerl: der Uniqlo-<br />

Gründer Tadashi Yanai.<br />

Illustration / TOM BACHTELL<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

40<br />

D<br />

em Gestalten<br />

und Bestimmen<br />

war Tadashi<br />

Yanai, der<br />

reichste Japaner,<br />

schon in jungen Jahren<br />

innig zugetan, indes fehlte<br />

es ihm ehedem noch an Gewandtheit<br />

und Geschick, was<br />

den Umgang mit anderen<br />

und ihrer Anleitung betraf.<br />

Als Student hatte er beispielsweise<br />

davon geträumt,<br />

sich eine Anstellung in einem<br />

japanischen Traditionshaus<br />

zu suchen, und dann<br />

zunächst eine dauerhafte<br />

Beschäftigung doch nur im<br />

Kleidergeschäft seines Vaters<br />

gefunden, in der Bergbaustadt Ube. Ein<br />

Umstand, der auf die acht Bediensteten<br />

freilich großen Eindruck machte:<br />

Denn sieben von ihnen nahmen zügig<br />

Reißaus, nachdem er, der Sohn des<br />

Meisters, seine kaufmännische Wirksamkeit<br />

zu entfalten begonnen hatte.<br />

Der heute 66-Jährige erzählt mir<br />

diese Anekdote an einem Dezember-<br />

Tag in der Tokioter Kommandantur<br />

von Fast Retailing, des drittgrößten<br />

Textilkonzerns der Welt, der ihm in<br />

Gänze zu Gebote steht und ihm ein<br />

Vermögen von angeblich 16 Milliarden<br />

Euro eingebracht hat.<br />

Gleichwohl konnten Güter und<br />

Gelder den Yanai-san in seiner Grundeinstellung<br />

wenig verändern. Er gilt als<br />

Sonderling wie einst im Mai und sticht<br />

in der japanischen Unternehmenswelt<br />

hervor wie „ein Rindersteak auf einem<br />

Teller Sushi“, wie das „Time Magazine“<br />

vor einigen Jahren notierte.<br />

Einschlägigen Veröffentlichungen<br />

zufolge hat Fast Retailing im vergangenen<br />

Jahr einen Umsatz von 12,3 und<br />

einen Gewinn von deren 1,2 Mrd. Euro<br />

erzielt – Statistiker ermittelten in etwa<br />

jeweils das Dreifache dessen, was<br />

Yanai 2008 angezeigt hatte. Man geht<br />

nicht fehl in der Annahme, dass Fast<br />

Retailing recht flott unterwegs ist.<br />

Die größte Abteilung im Hause bildet<br />

nach wie vor Yanais erste Kreation:<br />

die 1984 von ihm in Hiroshima eröffnete<br />

und heute weitverbreitete Textilkette<br />

Unique Clothing Warehouse,<br />

kurz: Uniqlo („Juniklou“), auf die rund<br />

vier Fünftel der Einnahmen entfallen<br />

und die seit 2014 auch in der Berliner<br />

Tauentzienstraße, Ecke Kurfürstendamm,<br />

mit einer Filiale vertreten ist.<br />

Das Sortiment ist preiswert, die<br />

Kleidung bunt, die Auswahl überschaubar.<br />

Alltagskleidung zu Preisen<br />

zwischen zehn und 50 Euro. Selbst<br />

Daunenjacken und Kaschmirpullover<br />

kosten weniger als 100 Euro.<br />

FAST RETAILING:<br />

SCHNELLE FAKTEN<br />

Umsatz: 12,3 Mrd. Euro<br />

Gewinn: 1,2 Mrd. Euro<br />

Börsenwert: ca. 31 Mrd. Euro.<br />

Tadashi Yanai hält 21,7 Prozent der<br />

Firmenanteile, seine Söhne Kazumi<br />

und Koji jeweil 4,5 Prozent.<br />

Die Söhne, beide derzeit in der<br />

erweiterten Uniqlo-Führungsriege<br />

tätig, sollen nicht die Unternehmensführung<br />

übernehmen:<br />

Yanai sagt, er glaube nicht an den<br />

Erfolg familiärer Nachfolge.<br />

Uniqlo betreibt 1.708 Filialen,<br />

davon 844 in Japan, 414 in China,<br />

50 in den USA und 23 in Europa.<br />

Spätestens in fünf Jahren<br />

will Yanai die spanische<br />

Inditex („Zara“, 18,1 Mrd.<br />

Euro) und die schwedische<br />

H&M-Gruppierung<br />

(16,7 Mrd. Euro) überholt<br />

und die Weltmarktführerschaft<br />

an sich gerissen<br />

haben. Am liebsten aus<br />

eigener Kraft, notfalls<br />

aber auch mithilfe von<br />

Zukäufen. Die US-Kette<br />

Gap galt vor Jahren als<br />

Übernahmeziel.<br />

Ob er seinen Plan<br />

verwirklichen kann, wird<br />

man 2020 sehen. Er hatte<br />

viele starke Auftritte<br />

und um die Jahrtausendwende<br />

herum sogar angefangen, mit<br />

filigraner Technik zu brillieren. Aber<br />

was man heute feststellen kann, ist,<br />

dass seine Geschäfte hie und da an<br />

Tempo eingebüßt haben.<br />

Ich treffe Tadashi Yanai in der<br />

31. Etage des Tokyo Midtown Tower<br />

am Südrand Akasakas, eines Stadtteils<br />

der Wolkenkratzer und Botschaften<br />

und des weltbekannten Konzerthauses<br />

Suntory Hall, in der Ferne die graue<br />

Bucht von Tokio. Fast Retailing belegt<br />

die Stockwerke 28 bis 34 und 39.<br />

Gerade ist er mit sechs Minuten<br />

Verspätung in den Konferenzraum gestürmt,<br />

hat mir seine Hand à la manière<br />

européenne entgegengestreckt („Guten<br />

Tag, wie geht’s Ihnen?“) und dann, mit<br />

dem Rücken zu den Fenstern, an dem<br />

langen Tisch Platz genommen.<br />

Yanai ist eins achtundfünfzig groß,<br />

er trägt eine Frisur, die in der US-Armee<br />

als „Korea-Peitsche“ bekannt ist,<br />

ein kariertes Hemd ohne Binder, ein<br />

dunkelblaues Sakko und mutmaßlich<br />

selbst Unterwäsche seiner Hausmarke,<br />

was man annehmen darf, weil er<br />

vor Journalisten schon seine Hose<br />

geöffnet hat. Auf die letzte Gewissheit<br />

in dieser Frage will ich an diesem Tag<br />

jedoch verzichten.<br />

Seine Ohren haben ein bemerkenswertes<br />

Format, aber vielleicht<br />

doch nicht mehr die alte Klasse: Denn<br />

er spricht so laut und fest, dass er die<br />

B Herr Yanai, in Kürze<br />

eröffnen Sie in Berlin<br />

Ihren dritten Laden.<br />

Anderswo in Deutschland<br />

findet man<br />

Uniq lo dagegen nicht.<br />

Bietet unsere marode<br />

Hauptstadt wirklich<br />

so gute Geschäfte?<br />

Stimmt, wir haben in Berlin<br />

begonnen – aber wir haben<br />

ein großes Interesse daran,<br />

unser Filialnetz weiter auszubauen:<br />

Wir wollen auch<br />

nach Hamburg, Frankfurt,<br />

München und nach Stuttgart,<br />

wo Mercedes-Benz<br />

seinen Sitz hat.<br />

B Wie schnell soll diese<br />

Ausdehnung denn<br />

vonstattengehen?<br />

Wissen Sie, wir möchten<br />

uns Zeit lassen, den deutschen<br />

und den europäischen<br />

Markt zu durchdringen. Ich<br />

glaube fest daran, dass ein<br />

sehr gutes, beliebtes Produkt<br />

auf unterschiedlichen<br />

Märkten Erfolg haben kann.<br />

Daher habe ich nicht die Absicht,<br />

eilig Geld zu verdienen,<br />

sondern will unablässig<br />

hart daran arbeiten, unser<br />

Geschäft in Deutschland zu<br />

vergrößern.<br />

B<br />

Nach fast zwei Jahren in Berlin:<br />

Wie zufrieden sind Sie bislang?<br />

Ich würde sagen, unsere Kleidung<br />

passt perfekt zu deutschen Kunden.<br />

Und damit meine ich unsere hohe<br />

Qualität und unsere erschwinglichen<br />

Preise. Und wir bieten zweckmäßige<br />

Kleidung an – ich meine, das erfüllt<br />

die Erwartungen deutscher Kunden.<br />

Unsere Unzulänglichkeiten liegen allenfalls<br />

bei den Größen …<br />

B<br />

„IM SCHEITERN BIN ICH AM BESTEN“<br />

Tadashi Yanai, Chef des japanischen Bekleidungskonzerns Fast Retailing, über seine Pläne<br />

für die Marke „Uniqlo“ in Deutschland und seinen Umgang mit Fehlern.<br />

… sind die Deutschen für Ihre<br />

Hemden zu lang und zu breit?<br />

Tja, Japaner sind in der Regel eben<br />

kleiner. Deshalb arbeiten wir gerade an<br />

den Größen XL und XXL, aber wahrscheinlich<br />

werden wir in Ländern wie<br />

Deutschland 4XL brauchen.<br />

B Der Wettbewerb auf dem deutschen<br />

Bekleidungsmarkt ist hart …<br />

… da stimme ich Ihnen zu …<br />

B<br />

… mit H&M und Zara gibt es<br />

zwei starke Anbieter, die Kleider<br />

zu ähnlichen Preisen verkaufen<br />

wie Sie; seit einigen Jahren kaufen<br />

außerdem immer mehr Menschen<br />

bei Primark. Sind Sie nicht<br />

B<br />

zu spät dran, um hier noch<br />

etwas zu werden?<br />

Nun ja, ich neige dazu, zu<br />

glauben, dass der Tag, an<br />

dem ich eine Entscheidung<br />

getroffen habe, der beste<br />

Tag für diese Entscheidung<br />

war. Wenn man dem Zeitpunkt<br />

zu viel Beachtung<br />

schenkt und grübelt, ob es<br />

nun der richtige oder falsche<br />

ist, bekommt man Angst,<br />

überhaupt etwas zu tun –<br />

und macht letztendlich gar<br />

nichts.<br />

B Auch Sie haben schon<br />

weniger gute Tage erwischt: In<br />

den USA zum Beispiel macht<br />

Uniqlo nach einem Jahrzehnt<br />

am Markt noch immer<br />

Verlust. Wieso sollte das in<br />

Deutschland anders werden?<br />

In der Vergangenheit war<br />

mein Plan für die USA,<br />

Hunderte oder gar Tausende<br />

Läden in gewöhnlichen Einkaufszentren<br />

außerhalb der<br />

Städte zu eröffnen. Leider<br />

war das nicht erfolgreich.<br />

Also haben wir unsere Strategie<br />

geändert: Heute gehen<br />

wir, wie im Übrigen in allen<br />

Märkten, ins Stadtzentrum<br />

in die allerbesten Lagen.<br />

Wie leicht fällt es Ihnen, solche<br />

Fehler einzugestehen?<br />

Ich bin gut darin, zu scheitern. Im<br />

Scheitern bin ich am besten. Einen<br />

Fehlschlag nach dem anderen habe ich<br />

meinem Unternehmen beigebracht.<br />

B Jetzt kokettieren Sie.<br />

Nein! Ich bin so oft gescheitert. Trotzdem<br />

lebe ich noch. Aus Fehlschlägen<br />

lernst du. Und du musst schnell sein:<br />

Du veränderst sofort deine Strategie,<br />

mit Flinkheit und Gewandtheit, solange<br />

die Wunde noch oberflächlich ist –<br />

deshalb geht es mir gut.<br />

U<br />

41<br />

Die größte von derzeit 50 Verkaufsstellen in den USA:<br />

Uniqlos Repräsentanz an der Fifth Avenue in New York.<br />

42<br />

Seltene Aufmachung im Anzug: Meist trägt Yanai, gänzlich<br />

unjapanisch, schlicht Hemd und Jackett der eigenen Kollektion.<br />

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40<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

42<br />

beiden Übersetzerinnen<br />

überschallt, die sich untertänigst<br />

in vier Metern<br />

Entfernung ans Tischende<br />

gesetzt haben.<br />

Seit Japans goldenen<br />

1970er- und 1980er-Jahren,<br />

als Firmen wie Sharp und<br />

Sony im Ausland verehrt<br />

wurden wie heute Apple<br />

oder Amazon, ist „Uniqlo“<br />

die erste neue Marke von<br />

Weltgeltung.<br />

Anfang der 2000er-Jahre<br />

hatte Yanai in London und<br />

Schanghai die ersten Auslandsboutiquen<br />

in Betrieb<br />

genommen; in Berlin eröffnet<br />

demnächst die dritte Filiale.<br />

Aber damit soll es natürlich nicht<br />

sein Bewenden haben. „Bei Ihnen gibt<br />

es viele mittelgroße und große Städte,<br />

und in allen“, sagt Yanai, „wollen wir<br />

Geschäfte aufmachen.“<br />

Deutschland sei der Antreiber Europas,<br />

und außerdem teilten Japaner<br />

und Deutsche ja eine wichtige Eigenschaft:<br />

„Ich fürchte, was unseren Arbeitseifer<br />

betrifft, sind wir uns ähnlich:<br />

Wir nehmen es ernst, hart zu arbeiten<br />

– manchmal vielleicht sogar zu ernst.“<br />

Während er spricht, bleibt sein Mienenspiel<br />

fast immer reglos, auch wenn<br />

man glaubt, eine zarte Heiterkeit in<br />

ihm zu entdecken. Doch dann plötzlich<br />

bellt ein Lachen aus ihm heraus – das<br />

allerdings ebenso abrupt und folgenlos<br />

endet, wie es zum Ausbruch kam.<br />

Einfach wird es für Uniqlo hierzulande<br />

nicht, dessen ist sich Yanai bewusst:<br />

„In Deutschland treffen wir auf<br />

,H&M‘, auf ,Zara‘, auf ,Primark‘. Oder<br />

nehmen Sie ,Nike‘ und ,Adidas‘. Das<br />

sind beliebte Marken – ich denke, die<br />

alle sind unsere Rivalen.“<br />

Yanais europäische Kontrahenten<br />

setzen vor allem auf Schnelligkeit:<br />

Sie lassen die bei Schauen vorgeführte<br />

Mode immer rascher nachschneidern.<br />

Bei Zara dauert es nur<br />

zehn bis 15 Tage, bis ein neuer Entwurf<br />

in die Regale kommt. Anders<br />

Uniqlo: Die Japaner, die vor allem in<br />

China herstellen lassen und dort mit<br />

wenigen Lieferanten möglichst langfristige<br />

Verträge schließen, setzen mehr<br />

auf Qualität, um auch höheren Ansprüchen<br />

zu genügen als H&M-Ware.<br />

In acht von zehn japanischen Kleiderschränken<br />

sollen sich angeblich Modelle<br />

der Marke „Uniqlo“ befinden.<br />

Noch gründlicher und ausgiebiger<br />

als die Konkurrenz beschäftigt sich<br />

Fast Retailing mit den vielen Aspekten<br />

der Textiltechnik: Gemeinsam mit dem<br />

Tokioter Chemiekonzern Toray hat<br />

Uniqlo zum Beispiel einen Stoff entwickelt,<br />

der heute in Unter- und Sportbekleidung<br />

seine Verwendung findet.<br />

JAPANISCHER JÄGER<br />

In den vergangenen sieben Jahren<br />

konnte Fast Retailing<br />

seinen Umsatz verdreifachen.<br />

ANGABEN IN MRD. EURO<br />

*BILANZ-SCHÄTZUNG<br />

19,1*<br />

18,1*<br />

12,3<br />

INDITEX<br />

H&M<br />

FAST RETAILING<br />

2005 2015<br />

Gewiss, auch Yanai<br />

versucht, bekannte<br />

Modeschöpfer für Uniqlo-Kollektionen<br />

zu gewinnen,<br />

die Deutsche<br />

Jil Sander etwa oder<br />

jüngst den ehemaligen<br />

Hermès-Cou tu ri er<br />

Chris tophe Lemaire.<br />

Doch die Design-Abteilung<br />

ist der Forschung<br />

unterstellt, was bei Modefirmen<br />

nicht gerade<br />

üblich ist.<br />

Die Treue, in der<br />

Yanai zu seinen Lieferanten<br />

steht, verringert<br />

zwar die Vielfalt der<br />

Muster und Modelle,<br />

bietet aber den Vorteil, dass „Uniqlo<br />

wie ein Werkzeugkasten des Lebens<br />

ist: Unsere Kleidung lässt sich nämlich<br />

mit jeder anderen Marke kombinieren.<br />

Diese Idee ist einmalig, niemand in unserer<br />

Branche hat so gedacht“.<br />

Innungskenner loben das Prinzip:<br />

Die Japaner stünden nicht nur für<br />

„Entschleunigung und Qualitätsverliebtheit“,<br />

sagt Klaus-Dieter Koch,<br />

Gründer der Nürnberger Beratungsfirma<br />

Brand Trust, sie verfügten auch<br />

über das Geld, sich Geschäfte in Bestlage<br />

zu sichern. „Das ist ein Money<br />

Game, und Uniqlo wird sich den Markt<br />

in Europa und den USA holen.“<br />

Der Wettbewerb ist freilich rau<br />

und rüde. Namentlich an der US-Ostküste<br />

musste Yanai Lehrgeld zahlen<br />

und Filialen schließen. Erst 2006 hatte<br />

er mehr Erfolg: mit einem Geschäft im<br />

New Yorker Szeneviertel Soho. Heute<br />

betreibt Uniqlo 50 Läden in den USA,<br />

den größten, mit fast 8.300 Quadratmetern<br />

Fläche, auf der Fifth Avenue,<br />

der teuersten Einkaufsstraße der Welt.<br />

Doch Yanais Vorgehen hatte auf die<br />

Bilanzen bislang nicht die Wirkung eines<br />

Knopfdrucks: Geld verdienen lässt<br />

sich in besten Lagen nur sehr schwer.<br />

Selbst nach nunmehr neunjähriger<br />

Geschäftstätigkeit kann für Uniqlo in<br />

den USA von Gewinn keine Rede sein.<br />

Sho Kawano, der Fast Retailing für die<br />

US-Investmentbank Goldman Sachs<br />

beobachtet, rechnet sogar mit „einer<br />

Verschlechterung des Geschäfts“.<br />

Leider schrumpften auch daheim<br />

in Japan, wo Fast Retailing noch immer<br />

60 Prozent seiner Erträge umlegt, die<br />

Uniqlo-Einnahmen zwischen September<br />

und November um 0,7 Prozent,<br />

der Gewinn sogar um 12,4 Prozent.<br />

In Verlegenheit gebracht sieht sich<br />

Uniqlo vor allem dadurch, dass man die<br />

sinkende Nachfrage nicht durch höhere<br />

Preise wettmachen kann, ohne Kunden<br />

an die Konkurrenz zu verlieren.<br />

Lediglich in Südkorea und China,<br />

wo Uniqlo die Märkte beherrscht,<br />

blüht das Geschäft: In China und<br />

Taiwan will man jährlich etwa 100 neue<br />

Läden verteilen, dem verlangsamten<br />

Wirtschaftswachstum zum Trotz.<br />

Die dortigen Konjunkturprobleme<br />

ließen ihn kalt, sagt Yanai: „China fördert<br />

die Inlandsnachfrage, die Löhne<br />

steigen jedes Jahr um 15 Prozent. Für<br />

den Einzelhandel ist das eine sehr gute<br />

Grundlage: Die Menschen besitzen<br />

noch nicht alles, sie wollen und können<br />

mehr Dinge kaufen.“<br />

Nach Schätzungen von Goldman-<br />

Sachs-Mann Kawano und anderen<br />

Beobachtern wird sich das Umsatzwachstum<br />

von Fast Retailing indes von<br />

zuletzt 23,4 auf knapp zehn Prozent im<br />

Jahr mehr als halbieren.<br />

Die Weltmarktführerschaft lässt<br />

sich in diesem Tempo nicht erobern, je-<br />

denfalls nicht bis 2020. Um einen dann<br />

wohl erforderlichen Umsatz in Höhe<br />

von 39 Mrd. Euro zu erreichen, wäre<br />

eine Wachstumsrate von durchschnittlich<br />

mehr als 26 Prozent im Jahr nötig.<br />

Yanai lässt sich von den Vorhersagen<br />

nicht entmutigen. Seine Pläne zu<br />

verwerfen kommt für ihn überhaupt<br />

nicht infrage: „Mein Ziel hat sich nicht<br />

geändert.“ 2020 steht. Basta.<br />

Der Firmengründer vertraut auf<br />

seine Routine und Erfahrung. Seine<br />

Methode ist einfach, und sie hat bislang<br />

nie versagt: Er hat überall das<br />

letzte Wort, vom Sortiment über die<br />

WO UNIQLO KASSE MACHT<br />

Das Geschäft der Marke außerhalb<br />

Japans wächst stetig,<br />

der stärkste Auslandsmarkt ist China.<br />

JAPAN<br />

27,0 %<br />

CHINA*<br />

9,6 %<br />

63,4 %<br />

REST DER WELT<br />

*INKL.<br />

HONGKONG,<br />

TAIWAN)<br />

Einrichtung bis zur Werbung. Für<br />

Japaner ist dieses Verfahren weder<br />

üblich noch erfreulich: Sie sind es gewohnt,<br />

dass in einem Unternehmen<br />

keine einsamen Beschlüsse gefasst<br />

und ausgeführt werden.<br />

Auch in anderer Hinsicht bricht er<br />

gerne einmal mit der Tradition. Etwa<br />

2012, als er seine Führungsleute mit<br />

der Feststellung verstörte, dass die<br />

Fast-Retailing-Zentrale zu japanisch<br />

sei, weshalb er seine Manager auf Auslandstourneen<br />

schickte und anwies,<br />

dass bei Konferenzen und Konsultationen<br />

künftig Englisch zu sprechen sei.<br />

Auch von der japanischen Landessitte,<br />

dass sich ein Chef um seine<br />

Mitarbeiter wie um Familienmitglieder<br />

zu kümmern habe, hält er wenig.<br />

Stattdessen erwartet er von allen Angestellten,<br />

dass sie sich wie Manager<br />

verhalten. „Alleine kannst du nichts<br />

erreichen“, sagt Yanai. Aber er müsse<br />

eben hart daran arbeiten, die nächste<br />

Generation von Anführern heranzuziehen.<br />

Dann erhebt er sich zur ganzen<br />

Größe, verabschiedet sich und<br />

marschiert aus der Tür.<br />

Auf dem Gang, zwischen dem Konferenzsaal<br />

und seinem Büro, hängen<br />

die Leitsprüche, die er jedes Jahr für<br />

seine Angestellten ausgibt: „Mache<br />

Gewinn“ und: „Keine Herausforderung<br />

– keine Zukunft“ und: „Verändere<br />

dich oder stirb“.<br />

U<br />

43<br />

Wenige Schnitte, viele Farben und Schaufensterpuppen ohne<br />

Gesicht: der Uniqlo-Laden an der Tauentzienstraße in Berlin.<br />

QUELLE GRAFIKEN: UNTERNEHMEN<br />

Klar und klassisch: Uniqlo will sich von seinen Konkurrenten<br />

besonders durch neuartige Textilien unterscheiden.<br />

ALLE FOTOS: UNIQLO<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

44<br />

ALLES FÜR EIN SCHÖNES<br />

LÄCHELN<br />

Einmal rund um das ganze Gebiss in sieben Sekunden: Das kann das Röntgengerät „Vistapano“ von Dürr Dental.<br />

H<br />

öllenschmerz, Teufel<br />

auch! Frieda Dürr muss<br />

zum Zahnarzt, und zwar<br />

alsbald und stante pede.<br />

Der Bohrer schrillt und<br />

schreit und kreischt und fräst, die<br />

Zahnfäule weicht und schwindet.<br />

„Gleich han mir’s gschaffd“, murmelt<br />

der Zahnarzt, ein Schwabe – da knackt<br />

und bricht das Handstück des Geräts<br />

entzwei, jener Metallstift, in dem der<br />

Wie schaffen es so viele, vergleichsweise<br />

kleine deutsche Unternehmen,<br />

Weltmarktführer zu werden?<br />

Das Beispiel Dürr Dental zeigt: weniger<br />

durch Genie als durch elegante<br />

Übertragungen von Lösungen anderer<br />

Industrien.<br />

Bohrer selbst rotiert. Keine große Sache.<br />

Normalerweise: Schublade auf,<br />

neues Handstück aufs Gerät gefummelt,<br />

und ab geht die Post! Aber im<br />

Jahre 1946, denn dort befinden wir<br />

uns, war auf die Schnelle kein Ersatzteil<br />

zu beschaffen.<br />

Doch der Medikus liebte keine halben<br />

Sachen: eine Unmanier, so mittendrin<br />

aufzuhören … Da kam ihm plötzlich<br />

eine Idee: „Frau Dürr“, sagte er<br />

seiner schwitzenden, ebenso erleichterten<br />

wie konsternierten Patientin:<br />

„Frau Dürr, wisset Sie was, wenn Ihr<br />

Mo des Handschdügg rebariera kann,<br />

könnda mir die Sache zuendebringa.“<br />

Herr Dürr, Wilhelm mit Vornamen,<br />

dies erinnerte der Dentist genau, hatte<br />

doch anno ’41 mit seinem Bruder<br />

Karl in Stuttgart-Feuerbach eine Metallbauwerkstatt<br />

eröffnet. Und in der<br />

Tat, das Handstück kam bald darauf<br />

wie neu zurück – und so begann mit<br />

einem Höllenschmerz vor 70 Jahren<br />

der unaufhaltsame Aufstieg der Firma<br />

Dürr zum Weltmarktführer in der<br />

Fachrichtung Dentaltechnik, namentlich<br />

auf dem Gebiet der Spei cher fo lien<br />

fürs Rönt gen.<br />

Der Betrieb, inzwischen ins<br />

20 Kilometer entfernte Bietigheim-<br />

Bissingen umgesiedelt, erblühte zu<br />

einer Weltfirma mit heute mehr als<br />

1.000 Mitarbeitern und einem Umsatz<br />

von 240 Millionen Euro.<br />

Im Angebot führen die Schwaben<br />

feinste und filigranste Güter, von denen<br />

man in aller Regel gern Abstand<br />

hält: Druckluftgeräte („Tornado plus“)<br />

zum Zahntrocknen, Speichelsauger,<br />

Amalgamabscheider, Desinfektionsmittel,<br />

Spülungen und so weiter und<br />

natürlich Röntgengeräte, Sensoren,<br />

Kameras. Fabriziert wird an drei Orten<br />

in Ba den-Würt tem ber g und in einem<br />

Werk in der Nähe von New York.<br />

Die Betriebe („Das Beste hat System“)<br />

exportieren in die ganze Welt,<br />

nur noch ein Fünftel der Einnahmen<br />

wird in Deutschland erzielt, aber ein<br />

Drittel in Nordamerika. „Unsere Eigenkapitalquote<br />

liegt über 60 Prozent“,<br />

sagt Gründerenkel Martin Dürrstein<br />

(44, „Wir sind vom Stamm Karl“),<br />

der das Unternehmen seit zwölf Jahren<br />

führt und über 55 Prozent der Firmenanteile<br />

disponiert.<br />

Das Gedeihen und Gelingen der<br />

Firma ist auch, aber nicht ausschließlich<br />

und vielleicht nicht einmal zuvörderst<br />

schwäbisch-genieähnlichem<br />

Erfindergeist zu verdanken, sondern<br />

vielmehr einer aufs Äußerste getriebenen<br />

Akribie und Akkuratesse in der<br />

Herstellung und einem Zaubergespür<br />

dafür, was die Kund- bzw. Zahnärzteschaft<br />

benötigt. Kurzum, bei Dürr Dental<br />

wirken die Kräfte des Pragmatismus<br />

und herrschen die Pragmatisten.<br />

„Mein Großvater und Großonkel<br />

haben Ersatzteile für Bohrer produziert“,<br />

sagt Dürrstein, der aufgrund<br />

einer genealogischen Verwicklung tatsächlich<br />

Dürrstein heißt, eine Lehre bei<br />

Daimler und ein Wirtschaftsingenieur-<br />

Stu dium in Heil bronn absolviert hat.<br />

Bald hörten Karl und Wilhelm Dürr<br />

von den Zahnärzten, dass die Zähne<br />

beim Bohren häufig so erhitzt würden,<br />

dass ihre Wurzeln schaden nähmen.<br />

„Bei der Metallbearbeitung kühlen wir<br />

unsere Werkstücke doch mit Wasser,<br />

warum soll das beim Zähnebohren<br />

nicht gehen?“, sagten sich die beiden<br />

und bauten eine Wasserkühlung für<br />

das Gerät, und damit das Wasser nicht<br />

überall herumspritzte und -troff, bastelten<br />

die trickreichen Schwabenbrüder<br />

gleich noch die Absauganlage dazu.<br />

Auch über damals gängige Druckluftgeräte<br />

zum Trocknen der Zähne<br />

konnten die Dürrs nur lachen: Die bis<br />

dato ölgeschmierten Kompressoren<br />

der Dentisten mussten aufwendig das<br />

Restöl aus der komprimierten Luft filtern,<br />

denn sonst konnten weder Amalgam<br />

noch Krone haften.<br />

Im Metallgewerbe hatten die<br />

Dürrs schon Besseres gesehen: ölfreie<br />

Drucklufterzeuger. Auch die stehen<br />

heute weltweit in den Praxen, verziert<br />

mit den zwei blauen Streifen des<br />

Dürr’schen Firmenzeichens.<br />

Das einträglichste Geschäftsfeld<br />

der Schwaben ist heute jedoch die<br />

Röntgentechnik. In den 60er-Jahren<br />

hatten die Tüftler die Methoden der<br />

Entwicklungslabors von Fotofilmen<br />

auf die Belichtung von Röntgenauf-<br />

DER MENSCH LEBT NICHT<br />

VOM BIER ALLEIN<br />

Die Bitburger Holding der Eigentümerfamilie<br />

der Eifeler Brauerei<br />

diversi fiziert das Vermögen der<br />

verzweigten Sippschaft. Schließlich<br />

geht der Bierkonsum in Deutschland<br />

kontinuierlich zurück, da beruhigen<br />

Investments in zukunftsträchtige<br />

Gewerbe. Angeführt vom Stammesoberhaupt<br />

Matthäus Niewodniczanski<br />

verwaltet die Holding die Geschäfte<br />

des Mineralwasserab füllers Gerolsteiner<br />

Brunnen, des 2010 gekauften<br />

Spielzeug- und Kinder klamottenhändlers<br />

Sterntaler und seit 2011 auch eine<br />

Minderheitsbeteiligung an Dürr Dental.<br />

nahmen übertragen, was ihre Güte<br />

entscheidend verbesserte.<br />

Ob es nun um Kühlung und Kompressoren<br />

oder das Röntgenwesen<br />

ging, stets waren die Dürr’schen Ingenieure<br />

sowohl auf dem Quivive als<br />

auch auf neue Anwendungstechniken<br />

fixiert und dergestalt meist die Ersten<br />

auf dem Markt. Was durchaus einigen<br />

Mut erforderte, denn stets wagte man<br />

sich in neue Techniken vor. „Wir haben<br />

unsere Mitarbeiter immer aufgefordert,<br />

nach technischen Entwicklungen<br />

Ausschau zu halten“, sagt Dürrstein.<br />

Dies gilt auch und zumal für die Digitalfotografie,<br />

die seine Leute als Erste<br />

für das zahnärztliche Röntgen nutzbar<br />

machten. Die Markteinführung<br />

glich einem Freudenfest: „Das ging ab<br />

wie Schmidts Katze“, sagt Dürrstein.<br />

Im Digital-Röntgen auf Speicherfolien<br />

kommt kein Unternehmen den<br />

Bietigheim-Bissingenern gleich: „Inzwischen<br />

gibt es 25 Wettbewerber,<br />

jetzt sind wir die Gejagten.“<br />

Dürrstein, der seit 2003 die Geschäfte<br />

führt, treibt die Digitalisierung<br />

seines Sortiments voran. Großes<br />

Thema: die Vernetzung der einzelnen<br />

Geräte. „Ohne Software geht gar<br />

nichts mehr“, sagt Dürrstein. Folgerichtig<br />

ist die Programme-Entwicklung<br />

inzwischen die größte Abteilung<br />

im Hause.<br />

Die Erfolge im Digital-Geschäft<br />

und die Tatsache, dass die Nachfahren<br />

vom Stamme „Wilhelm“ von der Medizintechnik<br />

genug hatten, ermunterten<br />

die Erben der Bitburger-Brauerei im<br />

Jahr 2011, mit 35 Prozent bei Dürr Dental<br />

einzusteigen. „Ein idealer Partner“,<br />

sagt Dürrstein, denn „als Familienunternehmen<br />

sind sie auch langfristig<br />

ausgerichtet.“<br />

Die Firma rangiert an erster Stelle:<br />

„Wir gehören nicht zu denen, die<br />

50 Prozent vom Gewinn ausschütten.“<br />

Viel lieber steckt Dürrstein das Geld<br />

in die Produktentwicklung. Sie ben bis<br />

acht Pro zent der jährlichen Einnahmen<br />

sind der Erforschung des Fortschritts<br />

vorbehalten. Denn „wir wollen<br />

stets schneller wachsen als unsere<br />

Industrie“.<br />

U<br />

45<br />

Text / MICHAEL GATERMANN<br />

FOTO: DÜRR DENTAL<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

46<br />

47<br />

BEIM DFB<br />

Sonntagmorgen um halb neun. In so einem Sportverband ist immer etwas<br />

zu tun. Auch um diese Zeit. Der weiße Wagen auf dem Präsidentenparkplatz<br />

gehört nicht Wolfgang Niersbach. Denn Wolfgang Niersbach ist weg<br />

und ein Nachfolger noch nicht gewählt. Irgendjemand lässt es hier an der<br />

schuldigen Achtung vor so einem Präsidentenparkplatz fehlen.<br />

Text / PHILIPP SELLDORF<br />

Foto / BERT BOSTELMANN<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

48<br />

B<br />

eim Neujahrsempfang der<br />

Deutschen Fußball Liga<br />

(DFL) ging es diesmal nicht<br />

so heiter zu wie im vorigen<br />

Jahr. Im Januar 2015 hatte<br />

der DFL-Chef Christian Seifert (46)<br />

die deutsche Weltmeister-Bundesliga<br />

hochleben lassen und unter großem<br />

Gelächter im Saal die zwar steinreiche,<br />

aber für tendenziell töricht gehaltene<br />

englische Konkurrenz verspottet.<br />

Den Gästen, die aus London angereist<br />

waren, empfahl er, den auf der Bühne<br />

ausgestellten Weltpokal aus der Nähe<br />

zu betrachten – weil es wohl recht lang<br />

dauern könnte, bis die Premier League<br />

mal die edelste Trophäe des Fußballs<br />

auf die Insel bringen werde.<br />

Diesmal gab es bei Seiferts Ansprache<br />

im Frankfurter Thurn-und-Taxis-<br />

Palais nichts zu lachen. Die Spitzenkräfte<br />

der deutschen Profiklubs, die<br />

Verbandsleute, Sponsorenvertreter,<br />

Fernsehbosse und die aus London und<br />

New York eingeflogenen Vermarktungspartner<br />

bekamen eine moralschwere<br />

Rede zu hören, die von Problemen,<br />

noch mehr Problemen sowie<br />

besonders großen Problemen handelte.<br />

Vieles im Fußball sei 2015 „irritierend“<br />

gewesen und manches „verstörend“,<br />

sagte Seifert. Ob er die Vorgänge<br />

beim Deutschen Fußball Bund<br />

(DFB) der ersten oder der zweiten<br />

Kategorie zurechnete, sagte er nicht.<br />

Der DFB und die DFL leben in<br />

Frankfurt nebeneinander wie zwei<br />

Familien, die den Markt zum beiderseitigen<br />

Besten aufgeteilt haben, aber<br />

nie sicher sein können, ob sich die andere<br />

Partei nicht plötzlich doch mehr<br />

nimmt, als ihr bislang zustand.<br />

Beide Familien haben denselben<br />

Stammbaum, doch man beäugt und belauert<br />

sich. Und seit der DFB am Skandal<br />

um die dubiose Millionen-Transaktion<br />

vor der Weltmeisterschaft 2006<br />

laboriert, ist das Verhältnis komplizierter<br />

und schwieriger geworden.<br />

Zwar ist es nicht so schlimm wie im<br />

Westernklassiker „Für eine Handvoll<br />

Dollar“, in dem zwei kriminelle Sippen<br />

ihre nachbarliche Koexistenz pflegen,<br />

bis eines Tages die skrupellosen Rojos<br />

den kompletten Klan der Baxters auslöschen.<br />

Eine Schießerei zwischen den<br />

Leuten von DFL und DFB ist vorerst<br />

nicht zu befürchten.<br />

Aber in mancher Hinsicht ähnelt<br />

die gegenwärtige Konfrontation in<br />

Frankfurt/Main durchaus der fiktiven<br />

Kontroverse von San Miguel/New Mexiko.<br />

Die natürlichen Gegensätze und<br />

Differenzen der beiden Lager werden<br />

in der Krise deutlicher.<br />

Beim DFB macht sich die neue<br />

Lage im trotzigen Behauptungswillen<br />

der regionalen Amateurvertreter und<br />

im gedrückten Selbstbewusstsein der<br />

Werktätigen im Hauptquartier bemerkbar.<br />

An der Otto-Fleck-Schneise<br />

schaute man ja ohnehin immer etwas<br />

neidvoll auf die in Banken- und<br />

REINHARD GRINDEL<br />

Der Mann vom Wümmestrand soll<br />

neuer DFB-Präsident werden.<br />

Was ihn für das Amt qualifiziert, ist<br />

vor allem sein Wille, es auszuüben.<br />

Finanz marktnähe residierende DFL,<br />

die allzeit ein Stück moderner und<br />

schneller und schicker zu sein scheint.<br />

So halten sich die einen gemäß ihrer<br />

Aufgabenbestimmung für die Profis,<br />

während die anderen folgerichtig<br />

die Amateure bleiben müssen. „Der<br />

Amateur Koch kommt heute nicht“,<br />

höhnten DFL-Leute zur angekündigten<br />

Abwesenheit des kommissarischen<br />

DFB-Präsidenten Rainer Koch (57),<br />

der den Neujahrsempfang versäumte,<br />

weil er seinen Pflichten als Strafrichter<br />

am Oberlandesgericht München nachzugehen<br />

hatte.<br />

Andererseits haben die Amateure<br />

den Profis einen schönen Stoß versetzt,<br />

als sie im vorigen November<br />

den Schatzmeister Reinhard Grindel<br />

(54) aus Rotenburg an der Wümme<br />

zum Kandidaten für das vakante Präsidentenamt<br />

bestimmten und damit die<br />

Leute vom Profifußball unvermittelt<br />

vor vollendete Tatsachen stellten.<br />

Die Profis haben Mitspracherecht,<br />

aber im Präsidium und in der Wahlversammlung<br />

stellen die Vertreter der<br />

Amateure die Mehrheit. Der Name<br />

„Grindel“ war dem großen Publikum<br />

bisher ungefähr so gut bekannt wie der<br />

Name des schleswig-holsteinischen Fischereiministers;<br />

weder hat er ein Länderspiel<br />

bestritten noch in der Ersten<br />

oder Zweiten Liga ein Kopfballtor erzielt,<br />

was vor allem daran liegt, dass er<br />

niemals Fußballprofi war oder in Verdacht<br />

geriet, einer werden zu wollen.<br />

Das Beste, was er über seine Fußballerzeit<br />

sagen kann, ist ein Scherz.<br />

Er habe „vier Klassen über Stefan Effenberg<br />

gespielt – vier Altersklassen“,<br />

pflegt Grindel zu witzeln. In seinen<br />

jungen Jahren spielte er – wie der frühe<br />

Effenberg und der berüchtigte Bayern-Torwart<br />

Mein-Gott-Walter Junghans<br />

– für den SC Viktoria Hamburg;<br />

er hörte damit auf, weil ihn auf dem<br />

Platz die Brille störte und weil er keine<br />

Kontaktlinsen verträgt.<br />

Die nächste aktenkundige Station<br />

im Fußball absolvierte Grindel als<br />

Vorstandsmitglied und Teilzeit-Pressewart<br />

des Rotenburger SV. Nach dem<br />

Jura-Studium hatte er unter anderem<br />

als Fernsehjournalist gearbeitet, bevor<br />

er für die CDU in den Bundestag<br />

eintrat, dem er seit nunmehr 13 Jahren<br />

angehört, zuletzt im Status des<br />

Hinterbänklers.<br />

Sein Mandat will er niederlegen,<br />

wenn er auf dem wahrscheinlich im<br />

Mai stattfindenden DFB-Bundestag<br />

zum Präsidenten gewählt werden<br />

sollte, woran kaum zu zweifeln ist.<br />

Mit diesem Schicksal haben sich inzwischen<br />

auch die Leute aus der Bundesliga<br />

abgefunden, die anfangs noch<br />

geklagt und geschimpft hatten über<br />

das Überfallkommando der frechen<br />

DFB-Amateure. Ein besser geeigneter<br />

Bewerber hatte den Profis im Übrigen<br />

auch nicht einfallen wollen, schon gar<br />

nicht einer aus den eigenen Reihen.<br />

Heribert Bruchhagen (67), ab dem<br />

Sommer emeritierter Vorstandschef<br />

von Eintracht Frankfurt, wäre eine<br />

denkbare Lösung gewesen. Vielseitig<br />

erfahren, allseits anerkannt und zudem<br />

ein alter Freund und Stammtischbruder<br />

von Wolfgang Niersbach (65),<br />

dem vormaligen und in beiden Sphären<br />

populären DFB-Obersten.<br />

„Vielleicht hätte ich sogar Stimmen<br />

aus dem Amateurlager bekommen“,<br />

sagt Bruchhagen, „aber ich kann<br />

diesen Job nicht: Die Ehrenamtler auszeichnen,<br />

den 70-Jährigen gratulieren,<br />

Tagungen, Ausschuss-Sitzungen, Akten<br />

lesen, auf so was könnte ich mich<br />

gar nicht mehr konzentrieren. Das Anforderungsprofil<br />

erfülle ich nicht. Es<br />

reicht nicht, gewählt zu werden. Man<br />

muss es auch können.“<br />

Reinhard Grindel traut sich das alles<br />

und noch viel mehr zu. Ihn hat es<br />

nicht erschüttert, dass sich zunächst<br />

mal alle über ihn lustig gemacht haben,<br />

weil zum Zeitpunkt seiner Kandidatenkür<br />

prompt ein Wahlkampfvideo<br />

aus seiner niedersächsischen Heimat<br />

rundgeschickt wurde, das ihn reichlich<br />

provinziell aussehen ließ. „Er hat noch<br />

gar nicht angefangen und wird schon<br />

hingerichtet“, stellte man beim DFB<br />

ängstlich entsetzt fest.<br />

Aber der vermeintliche Delinquent<br />

hat die Polemik cool genommen: oberflächliche<br />

Massenerregung durch ein<br />

schnelllebiges Medienphänomen –<br />

nichts Neues für einen routinierten<br />

Politiker.<br />

Reinhard Grindel ist ein Mann von<br />

hohem Wuchs, der einen sehr festen<br />

Händedruck besitzt und mit ebenso<br />

fester Stimme schnell und gewandt zu<br />

reden versteht. Er spricht in Hauptund<br />

nicht in Nebensätzen und besitzt<br />

die beneidenswerte Fähigkeit des berufsmäßigen<br />

Politikers, über nahezu<br />

alles Bescheid zu wissen.<br />

Seine Kenntnisse, zum Beispiel<br />

über die aktuellen Ränkespiele im<br />

Weltverband Fifa, teilt er gern und<br />

ausführlich mit, jedoch nach dem<br />

„unter drei“ genannten Berliner<br />

Vertraulichkeitsprinzip.<br />

In der Eigenschaft des Präsidentschaftsanwärters<br />

will er bis zur förmlichen<br />

Ernennung öffentlich nicht<br />

Stellung nehmen; Interview-Anfragen<br />

weist er zurück, was vermutlich vernünftig<br />

ist. Ganz leicht fällt ihm das<br />

zwar nicht, es drängt den ehrgeizigen<br />

Mann durchaus ans Licht, aber er vermutet<br />

sich auf der Zielgeraden.<br />

Was ihn für das Staatsamt des<br />

DFB-Präsidenten qualifiziert, ist zunächst<br />

und vor allem die Tatsache,<br />

dass er bereit ist, es auszuüben. Auf<br />

Niersbachs Rücktritt war außer ihm<br />

und seinem Alliierten Rainer Koch<br />

niemand vorbereitet gewesen, obwohl<br />

sich Niersbachs Lage absehbar<br />

zugespitzt hatte – spätestens seit jenem<br />

Tag, als er im Alarmtempo eine<br />

Presse konferenz einberief, obwohl er<br />

der Presse nichts zu sagen hatte.<br />

WOLFGANG NIERSBACH<br />

Am 9.11.2015 erklärte der DFB-<br />

Chef, der Theo Zwanzigers<br />

„Schreckensherrschaft“ beendet<br />

hatte, seinen Rücktritt.<br />

Nie ist der Medienprofi Niersbach so<br />

peinlich ausgeglitten wie an diesem<br />

22. Oktober. „Auf einmal war klar:<br />

Der Wolfgang geht runter. Tenor: Er<br />

sagt was“, berichtet ein Zeuge. Aber<br />

was? Das hat Niersbach selbst nicht<br />

gewusst. Er fühlte sich bloß genötigt,<br />

nachdem kurz zuvor die geplante<br />

gemeinsame Erklärung mit seinem<br />

Freund Franz Beckenbauer (70) zum<br />

WM-Problem geplatzt war. „Bild“ hatte<br />

bereits im Internet den Befreiungsschlag<br />

verkündet.<br />

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger<br />

Theo Zwanziger (70) war Niersbach jedoch<br />

ein außerordentlich beliebter Präsident,<br />

der starken Rückhalt besaß. Die<br />

Prominenten in den Profiklubs standen<br />

weiter hinter ihm, und auch die meisten<br />

Chefs der Landes- und Regionalverbände<br />

hörten nicht auf, ihn trotz des öffentlichen<br />

Drucks zu stützen.<br />

„Ich habe mir nicht mal am Morgen<br />

des 9. November, also an dem Tag des<br />

Rücktritts von Wolfgang Niersbach,<br />

vorstellen können, dass ich zehn Stunden<br />

später Übergangspräsident des<br />

DFB sein würde“, erzählt Rainer Koch.<br />

„Ich bin an dem Montag aus dem<br />

Haus gegangen und hatte gedacht, um<br />

17 Uhr wieder daheim zu sein. Stattdessen<br />

habe ich mich am Abend in einem<br />

ARD-,Brennpunkt‘ wiedergefunden.“<br />

Über den resoluten Bayern Koch<br />

heißt es, er sei als ranghöchster Amateurvertreter<br />

und somit potenzieller<br />

Spitzenkandidat das Opfer einer Intrige<br />

des niedersächsischen Landesverbandsvorsitzenden<br />

Karl, genannt<br />

„der Große“, Rothmund gewesen, der<br />

seinem Landsmann Grindel als „Steigbügelhalter“<br />

zur Seite gestanden hätte.<br />

So wird es erzählt. Das klingt packend<br />

und passt zum Ruf der selbstbewussten<br />

Landeschefs, die in den Medien stets als<br />

„Landesfürsten“ bezeichnet werden.<br />

Koch versichert aber, es habe<br />

„null Komma null Intrige gegeben“,<br />

weil er aus sehr vielen Gründen nicht<br />

DFB-Präsident werden möchte. Einen<br />

Platz in der Ahnengalerie widmen sie<br />

ihm vielleicht trotzdem, sein dynamisches<br />

Krisenmanagement hat Maßstäbe<br />

gesetzt.<br />

Dass ein Nachfolger für Niersbach<br />

gefunden werden müsste, das war<br />

den Männern im Führungszirkel des<br />

Verbandes allerdings schon vor dem<br />

Skandal bewusst gewesen; man hatte<br />

aber angenommen, dass Niersbach<br />

den Posten in Frankfurt für höhere<br />

Aufgaben in Nyon oder Zürich aufgeben<br />

würde: Uefa-Präsident, sogar<br />

Fifa-Präsident sollte er werden können,<br />

das traute man ihm zu.<br />

Aber dann kam am 16. Oktober<br />

2015 der „Spiegel“ vorab mit seiner<br />

Titelgeschichte über die angeblich gekaufte<br />

Weltmeisterschaft 2006 heraus.<br />

Verzweifelt hatte der DFB vor dem Erscheinen<br />

des Wochenmagazins noch<br />

ein Stück Deutungshoheit zu retten<br />

versucht, indem er eine komplizierte<br />

und mysteriöse Erklärung über<br />

49<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

50<br />

„Hinweise auf die Zweckentfremdung<br />

von 6,7 Millionen Euro“ verbreitete.<br />

Aber aus dem Würgegriff der öffentlichen<br />

Ankläger ist der große Verband<br />

nicht mehr herausgekommen.<br />

Anfangs drohte der DFB seinen<br />

Häschern noch mit Unterlassungsund<br />

Verleumdungsklagen und dem<br />

Einsatz gewiefter Medienanwälte,<br />

doch bald setzte er sich gegen keine<br />

noch so haltlose Beschuldigung mehr<br />

zur Wehr und nahm stattdessen die<br />

Rolle des schuldigen Sünders ein,<br />

obwohl bis heute niemand weiß, was<br />

mit den 6,7 Millionen geschehen ist<br />

und wie weit damals die deutschen<br />

Verstrickungen in die organisierten<br />

Fifa-Verbrechen reichten.<br />

Ende Februar soll der Untersuchungsbericht<br />

der Wirtschaftskanzlei<br />

Freshfields vorliegen und – als Zeichen<br />

von Glasnost und Perestroika – in vollem<br />

Umfang veröffentlicht werden.<br />

Mit überraschenden Enthüllungen<br />

rechnen die Kenner allerdings nicht<br />

mehr, die wesentlichen Geheimnisse<br />

bleiben wohl im Dunkeln.<br />

Franz Beckenbauer, als WM-<br />

Organisationschef die Schlüssel figur<br />

der Affäre, hat zwar ein denkwürdiges<br />

Interview zur Sache gegeben,<br />

die Substanz seiner Offenbarungen<br />

weckte jedoch außer Erheiterung eher<br />

ungute Assoziationen. Der englische<br />

„Guardian“ resümierte genüsslich die<br />

Kernbotschaften: „Ich habe nichts gewusst.“<br />

Und: „Ich kann mich an nichts<br />

erinnern.“ Und: „Wir haben das alle<br />

gemacht.“ Und: „Wir haben nur Anweisungen<br />

befolgt.“<br />

Höflicherweise hat die Zeitung<br />

nicht ausgesprochen, dass man eben<br />

diese Redensarten bereits aus einer<br />

anderen Epoche der deutschen Geschichte<br />

kennt.<br />

Nun hat der DFB schon viele Krisen<br />

überstanden und in all den Jahren<br />

gelernt, mit Kritik, Vorwürfen<br />

und Diffamierungen zu leben. Als<br />

im Jahr 2001 die DFL die Regie des<br />

Bundesliga-Betriebs übernahm, hatte<br />

Niersbach – damals Manager in der<br />

Öffentlichkeitsarbeit – darauf gehofft,<br />

dass der DFB nicht länger die<br />

THEO ZWANZIGER<br />

Während seiner Amtszeit (2006 –<br />

2012) war der jähzornige Jurist<br />

als Funktionär der Finsternis bei<br />

Freund und Feind gefürchtet.<br />

Rolle des Sündenbocks vom Dienst<br />

ertragen müsse.<br />

Das war jedoch ein Irrtum. Nach<br />

wie vor hallt Woche für Woche der<br />

Ruf „Fußballmafia DFB“ durch die<br />

Sta dien, er gehört zum Weltbild und<br />

Folklore-Repertoire der Fußballfans.<br />

Auch die DFL hat ihre Probleme<br />

mit den orthodoxen und manchmal<br />

militanten Anhängern; aber ihren Ärger<br />

lädt die Stehkurve üblicher- und<br />

traditionellerweise beim DFB ab, zumal<br />

der ja nun sittlich diskreditiert zu<br />

sein scheint. Neulich auf einem Plakat<br />

im Müngersdorfer Stadion in Köln: „6,7<br />

Millionen Fragen, keine Antworten –<br />

und trotzdem spielt ihr den Richter?“<br />

Die Zweifel an der moralischen<br />

Legitimität kamen den Kölner Anhängern<br />

auch deshalb, weil sich der<br />

Kölner FC-Manager Jörg Schmadtke<br />

allen Ernstes vor dem DFB-Sportgericht<br />

verantworten musste, nachdem<br />

er die Schiedsrichter als „Eierköppe“<br />

bezeichnet hatte. Über diese Lappalie<br />

hat sogar der zuständige Sportrichter<br />

gelächelt – und trotzdem nach mehr<br />

als zweistündiger Verhandlung die<br />

Geldstrafe wegen unsportlichen Verhaltens<br />

in Höhe von 6.000 Euro bestätigt.<br />

Viele halten das für typisches<br />

DFB-Verhalten.<br />

Der DFB ist zwar nicht mehr die<br />

graue Behörde, die er früher einmal<br />

war, als er einen Querschnitt aus Finanzministerium<br />

und Katasteramt zu<br />

bilden schien. Er ist jetzt Arbeitgeber<br />

für viele junge, engagierte Angestellte,<br />

die zeitgemäße Stilmittel für die<br />

Ansprache der 25.000 im Verband organisierten<br />

Amateurklubs entwickeln<br />

und pflegen.<br />

Aber wenn es um den Kern der<br />

Betriebsstruktur geht, dann ist der<br />

DFB immer noch ein einigermaßen<br />

altdeutsches Unternehmen mit strengem<br />

hierarchischem Aufbau und einer<br />

Umgangssprache, in der vorzugsweise<br />

Worte wie „Verpflegungsmehraufwand“<br />

vorkommen. Stets berüchtigt:<br />

die Dienstbesprechungen der Direktorien<br />

mit der stundenlangen Verlesung<br />

des Protokolls aus der Vorwoche.<br />

Und wenn der (im Zuge der<br />

WM-Affäre gekündigte) Personalchef,<br />

Stefan Hans (54), an Geburtstagen Geschenke<br />

an die Mitarbeiter verteilte,<br />

dann war das zwar gut gemeint, gleichwohl<br />

glich nach Angaben von Betroffenen<br />

die Gratulationszeremonie dem<br />

Muster eines Verwaltungsakts.<br />

Die Fortschritte, welche die DFB-<br />

Präsidenten dem Verband im 21. Jahrhundert<br />

brachten, haben eben diese<br />

Präsidenten sehr erfolgreich zunichtegemacht.<br />

Mit der Person des Präsidenten<br />

Theo Zwanziger ist einerseits der<br />

Segen einer liberalen Kulturrevolution<br />

und andererseits ein rigoroser Regentschaftsstil<br />

verbunden, den der aktuelle<br />

Generalsekretär Helmut Sandrock<br />

(59), wahrlich kein Mann großer<br />

Worte, als „Schreckensherrschaft“ bezeichnet<br />

hat.<br />

Wie sein phänotypisch erstaunlich<br />

verwandter Vorvorgänger Egidius<br />

Braun (90), ein Kartoffelproduzent aus<br />

dem Rheinland, trat der aus dem Westerwald<br />

stammende Steuer- und Verwaltungsfachmann<br />

Zwanziger in der<br />

Gestalt des väterlichen Predigers auf.<br />

Er war, wie es heißt, „ein Fifty-fifty-Typ“:<br />

Die eine Hälfte des Zwanzigers<br />

predigte vom politischen Auftrag<br />

des Fußballs, vom Einsatz für Gleichberechtigung<br />

und Integration und von<br />

der Befreiung für schwule Fußballer<br />

und lesbische Fußballerinnen.<br />

Die andere Hälfte des gütigen Reformers<br />

aber erwies sich als Patriarch<br />

mit despotischen Zügen und der Neigung<br />

zu cholerischen Ausbrüchen.<br />

Untergebene behandelte er wie Leib-<br />

eigene. Den Verband und dessen wertvollstes<br />

Inventar, die Nationalmannschaft,<br />

schien er mitunter als erweitertes<br />

Privateigentum zu betrachten.<br />

Den Bundestrainer Jogi Löw (56)<br />

ließ er einmal samt Nationalspieler-<br />

Gefolge zwischen zwei Länderspielen<br />

zum Geburtstag seines Heimatvereins<br />

VfL Altendiez anreisen. Teammanager<br />

Oliver Bierhoff (47) erklärte, es sei<br />

„nur eine Selbstverständlichkeit, dass<br />

wir den Fußballfans in Altendiez und<br />

Umgebung eine Freude bereiten“.<br />

Als er so scheinheilig diese schreiende<br />

Unwahrheit formulierte, hat<br />

er sich vielleicht an einen Vorfall erinnert,<br />

der sich ein Jahr zuvor während<br />

der WM in Südafrika zutrug: wie<br />

Zwanziger damals einen Wutanfall<br />

bekam, weil seine Ehrengäste aus der<br />

Mitte des Verbandes erst das Training<br />

des Nationalteams abwarten sollten,<br />

bevor sie – wie er versprochen hatte<br />

– mit den Spielern Fotos machen<br />

und Autogrammkarten einsammeln<br />

durften.<br />

Oder er hat an Zwanzigers Zornausbruch<br />

gedacht, als die Kanzlerin<br />

Angela Merkel nach einem Länderspiel<br />

die Mannschaftskabine besuchte, aber<br />

niemand ihm davon erzählt hatte, sodass<br />

er nicht dabei sein konnte. Es gibt<br />

sehr viele solcher Geschichten.<br />

Wolfgang Niersbach, das sagen alle,<br />

die ihn dort erlebt haben, hat das Haus<br />

nach der Schreckensherrschaft befriedet.<br />

„Er hat mit seiner Menschlichkeit<br />

dem Verband gutgetan“, heißt es.<br />

Der Rheinländer besitzt natürlichen<br />

Charme und die Gabe, für jeden<br />

ein nettes persönliches Wort zu<br />

finden. Die gesellschaftspolitischen<br />

Ambitionen seines Vorgängers stellte<br />

er in den Hintergrund, der Ball und<br />

die Bundesliga rückten wieder in den<br />

Mittelpunkt.<br />

Dass es ohne Niersbach nun wieder<br />

Spannungen zwischen DFB und<br />

DFL gibt, das findet ein Spitzenfunktionär<br />

des DFB, der lieber ungenannt<br />

bleibt, „nur logisch – wenn plötzlich<br />

der Lieblingspräsident abtritt und<br />

man den neuen noch nicht kennt“.<br />

Auf den neuen Mann sind auch die<br />

Vorstände des Frankfurter Renn-Klubs<br />

von 2010 e. V. sehr gespannt. In all<br />

den Turbulenzen ist ja ein wenig untergegangen,<br />

dass der DFB im Begriff<br />

ist, ein Vorhaben zu realisieren, das<br />

Niersbach als „Jahrhundertprojekt“<br />

initiiert und der zuständige Manager<br />

Bierhoff als „Leuchtturmprojekt für<br />

den Sport international“ bezeichnet<br />

hat: die geplante DFB-Akademie mit<br />

Jugendleistungszentrum und Verwaltungsneubau.<br />

Dafür, dass sie so pompös eingeführt<br />

wurde, sind die zuständigen Herren<br />

auf einmal bemerkenswert reserviert.<br />

Weder Bierhoff noch Generalsekretär<br />

Sandrock wollten Fragen zum<br />

Stand der Entwicklung beantworten.<br />

Während Bierhoff lieber Abstand hält<br />

RAINER KOCH<br />

Der resolute Bayer und Strafrichter<br />

am Oberlandesgericht München<br />

präsidiert dem DFB, aber<br />

nur zurzeit und kommissarisch.<br />

zu den brisanten Eventualitäten im<br />

Verband, ist Sandrock zunächst mal<br />

froh, dass ihm die Entlassung erspart<br />

geblieben ist, nachdem er bei der Arbeit<br />

an der WM-Affäre beinahe den<br />

Dienstweg verfehlt hatte.<br />

Gern gesprächsbereit ist hingegen<br />

der Vizepräsident und Schatzmeister<br />

des Pferderennklubs, dem die Stadt<br />

kurz vor Weihnachten die Räumungsforderung<br />

hat zukommen lassen, damit<br />

das Gelände für den DFB-Bau erschlossen<br />

werden kann.<br />

Carl-Philipp Graf zu Solms-Wildenfels<br />

(36) kämpft dafür, dass die<br />

seit Vorkriegszeiten hier ansässigen<br />

Galopper bleiben dürfen – am liebsten<br />

in friedlicher Nachbarschaft mit<br />

dem DFB. Das 350.000 Quadratmeter<br />

große Gelände bietet eine wunder bare<br />

Aussicht auf die Bankentürme, der<br />

Graf meint, dass darauf genug Platz<br />

für beide sei: Rösser und Fußballer.<br />

Aber diese Botschaft wird er an<br />

der relevanten Stelle nicht los: Der<br />

DFB redet nicht mit dem Rennklub. Er<br />

verweist stur an die Stadt als Grundstückseigentümerin.<br />

Die Stadt aber<br />

hält die Diskussion für beendet. Bei<br />

den Pferdefreunden herrscht Verbitterung.<br />

„Strukturen wie in Süditalien“<br />

hat Solms entdeckt, „ein Verhalten<br />

von Intransparenz“ und „ein eklatantes<br />

Abhängigkeitsverhältnis zwischen<br />

DFB, Politik und Stadt“.<br />

Wenn man ihm zuhört, dann<br />

scheint es kein Zufall mehr zu sein,<br />

dass schon wieder eine vermeintlich<br />

unantastbare deutsche Institution ins<br />

Zwielicht geraten ist. Nach Siemens<br />

und dem ADAC, nach VW und nach Uli<br />

Hoeneß. Für ihn sei es „eine Genugtuung“<br />

gewesen, als der Fifa-Skandal<br />

den DFB erreicht habe, sagt der Rennbahnvertreter.<br />

Zeit- und Kostenplan des Bauherrn<br />

sind bereits durcheinandergeraten.<br />

Die Rennbahnverteidiger kündigen an,<br />

den Klageweg zu beschreiten. Der DFB<br />

aber hat erst mal andere Sorgen: Die<br />

WM-Affäre kann ihn viel Geld kosten.<br />

Von 20 oder 25 Millionen Euro Steuernachzahlung<br />

ist die Rede, und ein paar<br />

Schwarzseher meinen gar, es drohe<br />

der generelle Verlust der Gemeinnützigkeit.<br />

Nach Strukturreformen und neuen<br />

Kontrollmechanismen verlangt jetzt<br />

das Profilager, aber der tonangebende<br />

Funktionär Rainer Koch meint: „Wir<br />

machen diese Erfahrungen doch häufiger.<br />

Es wird nach dem Gesetzgeber<br />

gerufen, wenn es eigentlich nur darum<br />

geht, die vorhandenen Gesetze anzuwenden.“<br />

Was ist also so faszinierend daran,<br />

ausgerechnet jetzt diesen wankenden<br />

Riesen DFB an die Hand zu nehmen?<br />

Reinhard Grindel antwortet darauf<br />

nicht offiziell, aber er scherzt, dass<br />

es ja für gescheiterte Hobbykicker<br />

nur zwei Wege zu den großen Fußballern<br />

gebe: als Schiedsrichter oder als<br />

Funktionär.<br />

U<br />

51<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

52<br />

KONTROLLÖRE STATT<br />

INGENIÖRE<br />

Einflussreiche Siemens-Aktionäre sind in Sorge über den Mangel an<br />

„technischem Sachverstand“ in der Unternehmensführung.<br />

Text / BERND ZIESEMER<br />

Daniel Düsentrieb, der Vater der Hüpfstelze<br />

und des Schwarzlichts („Macht<br />

helle Räume dunkel“), brachte es auf<br />

den Begriff: „Dem Ingeniör ist nichts<br />

zu schwör.“ Ein ähnlich elementarer<br />

Kraftspruch schwebte wahrscheinlich<br />

Siemens-Chef Josef Käser (58) vor, als<br />

er seine Hauslyriker oder unseretwegen<br />

auch -lyrikerinnen um ein knusprig-heißes<br />

Firmenmotto bat.<br />

Denn anders ist das Hervorgehen<br />

von „Ingenuity for life“ aus dem unveränderlichen,<br />

vollkommenen, göttlichen<br />

Einen kaum zu erklären. Der<br />

neue Markenzusatz verfügt unbedingt<br />

über donaldeske Vehemenz und erfüllt<br />

alle Voraussetzungen.<br />

Englisch als provinzielles Mode-Accessoire:<br />

Das hat eine lange Tradition –<br />

von Ellen Betrix („The Care Company“)<br />

bis zu Josef Käser selbst, der unter dem<br />

Decknamen „Joe Kaeser“ auftritt.<br />

Auf der Siemens-<br />

Hauptversammlung<br />

am 26. Januar.<br />

Am 26. Januar prangte der Hinweis,<br />

der irgendwas mit Einfallsreichtum<br />

oder Erfindungsgabe fürs Leben oder<br />

für immer zu tun hat, auch in der<br />

Münchner Olympiahalle aus Anlass<br />

der Siemens-Hauptversammlung.<br />

Nun wäre Käser nicht Kaeser beziehungsweise<br />

der ausgepichte Taktiker,<br />

der er ohne Zweifel ist, wenn hinter<br />

dem frischen Firmenmotto nicht<br />

Kniff, Kalkül und Kühnheit steckten.<br />

Seit einigen Monaten gibt sich der<br />

Siemens-Chef verstärkt als Oberinge<br />

nieur, Irrsinns-Innovator und<br />

Start-up-Großstratege. Ganz, als wollte<br />

der Betriebswirt und Niederbayer jene<br />

kritischen Aktionäre begütigen, die<br />

über mangelnden Technikverstand und<br />

eine grassierende Erfindungsschwäche<br />

im Konzern klagen und darüber, dass<br />

bis ins Mittel-Management hinab Kontrolleure<br />

und Koordinatoren überhandnähmen,<br />

Betriebswirte und Buchhalter<br />

die Geschicke des Hauses bestimmten.<br />

Im Aufsichtsrat scharrt der Vorsitzende<br />

Gerhard Cromme (72, Doktorarbeit:<br />

„Die Kraftfahrzeughaftpflicht<br />

in Deutschland und Frankreich“) zwei<br />

weitere Juristen um sich, drei Kaufleute,<br />

einen Verwaltungsfachmann, eine<br />

Philologin und eine Philosophin. Einziger<br />

Ingenieur: der frühere BMW-Kommandeur<br />

Norbert Reithofer (59).<br />

Gewiss, für das erste Geschäftsquartal<br />

gab Siemens (Umsatz 2014/15:<br />

75,6 Mrd. Euro, Gewinn: 7,4 Mrd. Euro)<br />

erstaunlich gute Zahlen bekannt: Die<br />

Einnahmen kletterten um acht, der<br />

Ertrag gleich um 42 Prozent – wobei<br />

gerechterweise hinzugefügt werden<br />

muss, dass im vergangenen Jahr noch<br />

Son der ausgaben das Er geb nis beschwert<br />

hatten, deren Wegfall nun die<br />

Buchhaltung beflügelt.<br />

Institutionelle Investoren, wie Union<br />

Investment und der britische Fonds<br />

Hermes, monieren jedoch bereits seit<br />

geraumer Zeit den „fehlenden technischen<br />

Sachverstand“.<br />

Cromme hat auf die Kritik nicht reagiert<br />

– obwohl eine Neubesetzung des<br />

Aufsichtsrats auch aus anderen Gründen<br />

angezeigt wäre: Im Siemens-Konzil<br />

wachen in Gestalt von Nicole Leibinger-Kammüller<br />

(56, Trumpf-Chefin)<br />

und Jim Snabe (50, SAP-Aufsichtsrat)<br />

die Vertreter zweier Unternehmen, die<br />

man durchaus als Siemens-Konkurrenten<br />

bezeichnen kann, ohne sich gleich<br />

eine Gegendarstellung einzuhandeln.<br />

Auch die dringend notwendige,<br />

aber immer noch nicht in Angriff genommene<br />

Verjüngung des Siemens-<br />

Rats wäre für den bis 2018 gewählten<br />

Hauptwachtmeister Cromme eine gute<br />

Gelegenheit gewesen, um endlich<br />

mehr Techniker und Ingenieure in die<br />

Körperschaft zu holen.<br />

Auf der Siemens-Hauptversammlung<br />

warb er stattdessen für eine vorzeitige<br />

Wiederwahl dreier Vertrauter,<br />

unter ihnen auch Snabe und Leibinger-Kammüller.<br />

Sie sollen angeblich<br />

einen brisanten Wechsel vorbereiten:<br />

nämlich jenen von Vorstandschef Josef<br />

Käser selbst, dessen Vertrag 2018<br />

ausläuft und der nach der vorgeschriebenen<br />

zweijährigen Abkühlungsphase<br />

2020 den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen<br />

könnte.<br />

Ausgerechnet Käser also, der in<br />

seinem Berufsleben niemals unmittelbar<br />

mit Forschung und Entwicklung zu<br />

tun hatte und in seinem Generalstab<br />

eine Chemikerin, einen Physiker und<br />

nur zwei Ingenieure, aber mittlerweile<br />

drei Wirte versammelt: Neben Betriebswirt<br />

Käser selbst zählen dazu<br />

Fachkollege und Finanzvorstand Ralf<br />

P. Thomas (54) und die Volkswirtin<br />

und Personalvorständin Janina Kugel<br />

(46); die Amerikanerin Lisa Davies<br />

(52), zuständig fürs Energie-Ressort,<br />

hat Chemie, Roland Busch (51, Infrastruktur)<br />

Physik studiert.<br />

Nur Klaus Helmrich (57, Digitales)<br />

und Siegfried Russwurm (52, Technik)<br />

verkörpern als Ingenieure das alte<br />

Herz und Hirn des Konzerns, haben<br />

im Komitee jedoch mittlerweile an<br />

Einfluss verloren.<br />

Das wäre halb so schlimm, setzte<br />

sich der Bedeutungsverlust des Ingenieurwesens<br />

nicht in den niederen<br />

Rängen fort: Seit einigen Jahren schon<br />

bemängeln Siemens-Ingenieure die<br />

schwindenden Aufstiegschancen im<br />

Haus. In den Arbeitgeber-Ranglisten<br />

deutscher Universitäten fiel der Konzern<br />

in nur drei Jahren von Platz drei<br />

auf Platz sechs zurück. Statistikern<br />

der Beratungsfirma Boston Consulting<br />

zufolge stieg Siemens unter den sogenannten<br />

innovativen Unternehmen<br />

der Welt von Platz 15 auf Rang 30 ab.<br />

Bei der Personalumfrage 2015 sollen<br />

sich, nach Angaben von Mittelsmännern,<br />

die Mitarbeiter der Entwicklungs-<br />

und Technikabteilungen in<br />

Garching und Erlangen kritisch über<br />

die Zustände geäußert haben.<br />

Der Verein von Belegschaftsaktionären,<br />

der Käser und Cromme traditionell<br />

kritisch gegenübersteht, rügt die<br />

Vormacht der „Excel“- und „Powerpoint“-Fetischisten:<br />

„Kollegen müssen<br />

auch mal in Ruhe forschen, ausprobieren<br />

können ohne ständige Con trolling-<br />

Begleitung.“ Ob „Ingenuity for life“<br />

geeignet sei, die Werte technischer Exzellenz<br />

wieder in den Vordergrund zu<br />

rücken, bezweifelt der Verein.<br />

Noch schärfere Worte findet der<br />

frühere Siemens-Manager Manfred<br />

Hoefle, der den „Managerismus“ im<br />

Konzern seit Jahren beanstandet. Unter<br />

Käser und seinen Vorgängern Peter<br />

Löscher (58) und Klaus Kleinfeld<br />

(58) habe sich Siemens von einem<br />

„Ingenieur-getriebenen zu einem finanzgetriebenen<br />

Konzern mit amerikanischem<br />

Einschlag“ entwickelt. So<br />

entstünden in München starke Strategie-,<br />

Kommunikations- und Finanzabteilungen.<br />

Mehr als 50 Leute befassten<br />

sich in München, laut Hoefle, allein<br />

mit möglichen Firmenübernahmen.<br />

Vor zehn Jahren waren es keine 20.<br />

Käser selbst fehle „ein tiefes Verständnis<br />

für Technik und damit das<br />

unternehmerische Gestaltungsvermögen“,<br />

behauptet Hoefle, der unter<br />

anderem in der Strategie pla nung und<br />

der zen tra len For schung tätig gewesen<br />

war. Das Gleiche gelte für viele seiner<br />

neuen „Innovationsmanager“, die<br />

selbst noch niemals in der Forschung<br />

und Entwicklung gearbeitet hätten.<br />

Geht Käser diese Probleme mit<br />

seiner „Innovationsoffensive“ vom<br />

vergangenen Dezember endlich an?<br />

Wenn ja, könnte Siemens davon in<br />

großem Ausmaß profitieren. Doch<br />

einige Investoren bezweifeln, dass es<br />

der Führung wirklich ernst ist.<br />

Siemens will 2016 die Ausgaben<br />

für Forschung und Entwicklung um<br />

300 Mio. auf 4,8 Mrd. Euro erhöhen<br />

– zuletzt lag ihr Anteil am Umsatz<br />

bei 5,9 Prozent –, und Käser verkündete:<br />

„Der Erfolg unseres Unternehmens<br />

und seine langfristige Zukunft<br />

liegen in unserer Innovationsstärke.“<br />

Verschwiegen wird aber, dass vor gut<br />

20 Jahren die Forschungsquote doppelt<br />

so hoch war und 1992 beispielsweise<br />

elf Prozent erreicht hatte. Unternehmensmotto<br />

damals: „Schrittmacher<br />

des Fortschritts“.<br />

Dass die eigene Innovationskraft<br />

möglicherweise doch nicht so ausgeprägt<br />

ist, schwant vielleicht auch Käser.<br />

Als Stimmungsaufheller pünktlich<br />

zur Hauptversammlung am 26. Januar<br />

berichtete die Presse über die geplante<br />

Übernahme der amerikanischen<br />

Firma CD-Adapco, die Si mu la ti onsprogramme<br />

entwickelt, die etwa das<br />

Verhalten von Flüssigkeiten und elektrochemischen<br />

Vorgängen simulieren.<br />

Der US-Betrieb erwirtschaftete mit<br />

rund 900 Mit ar bei tern einen Um satz<br />

von nicht einmal 200 Mil lio nen Dollar.<br />

970 Mio. Dollar will Siemens dafür<br />

bezahlen. Ein hanebüchen hoher Preis.<br />

Vor 20 Jahren hieß es: Mit seinen<br />

Milliardenreserven sei Siemens in<br />

Wahrheit eine Sparkasse mit angeschlossener<br />

Elektroabteilung. Inzwischen<br />

gilt, wie die Beispiele CD-Adapco<br />

oder vorher schon der mit 7,8 Mrd.<br />

Euro viel zu teuer erkaufte Gas- und<br />

Ölausrüster Dresser-Rand (s. Bilanz<br />

5/15 und 12/15) zeigen: Siemens ist<br />

mittlerweile ein Wettbüro mit zugehörigem<br />

Industriegeschäft. I<br />

53<br />

FOTO: SIEMENS AG<br />

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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

HANS<br />

FRIDERICHS<br />

Am 31.12.2015 hat Hans Friderichs<br />

Schluss gemacht. Eigentlich vier Jahre<br />

zu spät, meint er. Aber es ist eben<br />

nicht einfach, sich an Fristen zu halten<br />

– vor allem nicht an selbst gesetzte<br />

und noch viel weniger, wenn sie das<br />

Ende der Berufstätigkeit markieren.<br />

Der Schlussstrich durchtrennte<br />

Friderichs’ Urlaub genau in der Mitte.<br />

Noch eineinhalb Wochen blieb<br />

Friderichs danach mit seiner Frau im<br />

Schweizer Engadin, wo das Paar seit<br />

über 30 Jahren die Feiertage verbringt.<br />

Seit 20 Jahren sind auch vier befreundete<br />

Ehepaare dabei.<br />

„Üblicherweise machen wir dann<br />

Ski-Langlauf, dafür ist das Tal mit seinen<br />

teilweise schwierigeren Nebentälern<br />

ideal geeignet“, sagt der 84-Jährige.<br />

Inoffiziell hat sich Friderichs freilich<br />

schon früher aus dem Berufsleben<br />

verabschiedet: Im vergangenen August<br />

legte der FDP-Mann den Aufsichtsratsvorsitz<br />

bei der Kunststofftechnikfirma<br />

Allit aus Bad Kreuznach nieder.<br />

Es war sein letztes Mandat gewesen.<br />

Friderichs hatte den Führungswechsel<br />

vom Vater auf die zwei Söhne des Hauses<br />

begleitet.<br />

Nachdem sich der frühere Wirtschaftsminister<br />

aus den Kontrollgremien<br />

von Adidas und auch Airbus<br />

zurückgezogen hatte, nutzte er seine<br />

Erfahrungen, um mittelständische<br />

Unternehmer zu beraten. Eine Aufgabe,<br />

die Freude bereitete: „In Familienunternehmen<br />

ist man mit der Familie<br />

verbunden, und dabei ist viel Psychologie<br />

erforderlich.“<br />

Künftig berät er nur noch seinen<br />

Enkel, der in Frankfurt Finanzen und<br />

Management studiert und regelmäßig<br />

anrufe, „wenn es Probleme gibt,<br />

bei denen er gerne einen Gedankenaustausch<br />

mit dem Großvater hätte“.<br />

Das täte ihm gut, merkt Friderichs<br />

zufrieden an.<br />

Auch von der politischen Bühne<br />

hat sich Friderichs noch nicht ganz<br />

verabschiedet. Ende Februar will er<br />

bei sich daheim eine kleine Wahlparty<br />

veranstalten für FDP-Chef Christian<br />

Lindner, um „seiner Partei wieder in<br />

den Landtag zu verhelfen“.<br />

U<br />

HANS FRIDERICHS war fünf Jahre lang Wirtschaftsminister,<br />

von 1978 bis 1985 Vorstandssprecher der Dresdner Bank<br />

(als Nachfolger des von der RAF ermordeten Jürgen Ponto) und<br />

später u. a. Aufsichtsrat von Goldman Sachs, Leica und<br />

Adidas. Das Foto zeigt ihn 1973 auf der Regierungsbank in Bonn.<br />

54 Wie geht’s<br />

eigentlich … ?<br />

55<br />

MANFRED<br />

LAHNSTEIN<br />

MANFRED LAHNSTEIN amtierte 1982 als Finanz- und<br />

Wirtschaftsminister. Nach der Wahl von Helmut Kohl zum Kanzler<br />

warb ihn Bertelsmann an, verlieh dem SPD-Mitglied den Titel<br />

eines Vorstands und übertrug ihm den Bereich „Elektronische Medien“.<br />

Auf dem Foto sehen wir ihn 1978 mit Helmut Schmidt.<br />

In seinem Büro am Hamburger Rathausmarkt<br />

ist Manfred Lahnstein<br />

(78) ganz dicht dran an der Politik der<br />

Hansestadt: Aus seinem Fenster kann<br />

er dem Ersten Bürgermeister Olaf<br />

Scholz sozusagen über die Schulter<br />

schauen. Die Fenster befinden sich<br />

auf einer Höhe.<br />

Lahnstein ist gebürtiger Rheinländer,<br />

lebt aber seit 29 Jahren an der<br />

Elbe. Für sein Kultur-Engagement in<br />

der Hansestadt wurde ihm 2001 das<br />

Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.<br />

Mit Hamburg ist Lahnstein<br />

auch durch seine enge Freundschaft<br />

mit Ehrenbürger Helmut Schmidt verbunden,<br />

die zu Bonner Zeiten begann<br />

und bis zu Schmidts Tod im November<br />

andauerte. Mittlerweile sei aber alles<br />

zu Schmidt gesagt, findet Lahnstein.<br />

Nur eins noch: „Wenn der Hamburger<br />

Flughafen wirklich nach Schmidt benannt<br />

wird, dann aber bitte mit dem<br />

Namenszusatz ‚Flughafen‘ anstelle des<br />

aktuellen ‚Airport‘.“<br />

Privat ist Lahnstein dabei durchaus<br />

international unterwegs: Gleich<br />

zu Beginn des neuen Jahres reiste er<br />

nach Haifa, wo er „lange Jahre“ Verwaltungsratsvorsitzender<br />

der dortigen<br />

Universität war. „Israel ist schon immer<br />

ein Schwerpunkt meines Lebens<br />

gewesen“, betont er. Und so verbindet<br />

er heute seine Leidenschaft für das<br />

Land mit seinen Aufgaben als Kuratoriumsvorsitzender<br />

der „Zeit“-Stiftung:<br />

Die Stiftung fördert auch Vorhaben an<br />

der Universität Haifa, die ihm seine<br />

Verdienste mit einem Ehrendoktortitel<br />

dankte. Lahnstein kümmert sich<br />

persönlich um diese Projekte.<br />

In seinem Büro stehen Fotografien<br />

seiner Weggefährten: Willy Brandt,<br />

Johannes Rau, Horst Köhler und, natürlich,<br />

Helmut Schmidt. Sie sind dort<br />

in geselliger Runde aufgestellt, als träfen<br />

sie sich zum regelmäßigen Gedankenaustausch.<br />

Sich selbst betrachtet<br />

Lahnstein weder als Politiker noch als<br />

Parteisoldat: „Ich war mehr ein politischer<br />

Beamter.“<br />

U<br />

Fotos / ANDREAS REEG<br />

und SIMONE SCARDOVELLI<br />

FOTOS:<br />

PICTURE ALLIANCE, IMAGO<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

NICHTS WIE WEG<br />

Russische Programmierer gehören zu den besten der Welt. Doch<br />

in ihrer Heimat haben sie keine Zukunft. Woran liegt das?<br />

Text / JAN VOLLMER<br />

Fotos / GULLIVER THEIS<br />

56 57<br />

SIMON DUNLOP hat drei<br />

Technikfirmen und eine<br />

IT-Fabrik in der Moskauer<br />

Innenstadt aufgebaut.<br />

Obwohl KATYA BAZILEVSKAYAS<br />

Digital-Verlag in Russland mit<br />

gutem Erfolg arbeitet, orientiert sie<br />

sich immer mehr nach New York.<br />

ALEXANDER BOCH baut<br />

360-Grad-Kameras. Auch sein<br />

Unternehmen soll eine<br />

amerikanische Marke werden.<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

58<br />

K<br />

atya Bazilevskaya steigt<br />

zwischen dem Hotel<br />

Kosmos und dem Denkmal<br />

für die Eroberer<br />

des Weltalls aus einem<br />

Taxi. Die 31-jährige Blondine trägt<br />

Nagellack (der etwas abblättert) im<br />

Farbton Altrosa und schwarze Plateau-Schuhe,<br />

auf denen sie gut eins<br />

zweiundachtzig misst.<br />

Hier, am Ende der Kosmonauten-Allee,<br />

erstreckt sich das ehemalige,<br />

noch vom Sowjetdiktator Josef Stalin<br />

(1878– 1953) eröffnete Ausstellungsgelände<br />

WDNCh, eine Abkürzung für<br />

„Exposition der Errungenschaften der<br />

Volkswirtschaft“: allenthalben Prachtund<br />

Säulenbauten im Stile eines absonderlichen<br />

sozialistisch-aristokratischen<br />

Realismus, frühere Repräsentanzen der<br />

Bruderstaaten, der Gewerkschaften,<br />

der Kaninchenzüchter. Jede Menge<br />

stalinistisches Zeug – heute Karussells,<br />

Schaustellerei, Kultur-, Sportveranstaltungen,<br />

das ganze Programm und eine<br />

Sehenswürdigkeit für Touristen.<br />

In den 90er-Jahren hatte die Stadt<br />

die Gebäude vermietet; die pompösen<br />

Pavillons dienten nun als Verkaufsstellen<br />

für Mikrowellen, Röhrenfernseher,<br />

Zauberwürfel. Gegenwärtig lässt man<br />

das Gelände für 1,25 Milliarden Euro<br />

instandsetzen und neu herrichten.<br />

Bald ist alles wie gelackt.<br />

Katya ist IT-Unternehmerin, genauer:<br />

Digital-Verlegerin. Vor zehn Jahren<br />

hat sie mit zwei Freunden die Life style-<br />

Seite Lookatme.ru gegründet und ihr<br />

später vier weitere, inzwischen gut laufende<br />

Online-Magazine hinzugefügt.<br />

Jetzt heißt die Firma „Look at Media“.<br />

Die Rechnerprogramme: alle selbst geschrieben.<br />

Von den rund 50 Mittzwanzigern,<br />

die sie beschäftigt, arbeitet jeder<br />

Dritte als Programmierer.<br />

Katya steht vor einem Juri-Gagarin-Relief<br />

in der kalten, klaren Luft des<br />

Moskauer Morgens. Beim Atmen stößt<br />

sie kleine Dampfwolken aus. Gulliver<br />

Theis schießt ein paar Fotos.<br />

2015 war ein schlechtes Jahr für<br />

die russische Wirtschaft: Das Brut to inland<br />

s pro dukt zog sich um 3,8 Pro zent<br />

zusammen, die In dus trie pro duk tion<br />

ließ um 3,3 Pro zent nach, die In fla tion<br />

kletterte auf 12,7 Pro zent. Russlands<br />

Wirtschaft ist so abhängig vom Öl, dass<br />

die Verfallskurven des Ölpreises und<br />

des Rubels fast parallel verlaufen. Die<br />

eine eiert der anderen Kurve hinterher.<br />

Nun, die Menschen kommen zurecht,<br />

so wie die fliegenden Händler<br />

und Fressbudenbesitzer im WDNCh-<br />

Park zurechtkommen zwischen den<br />

Artefakten des alten Imperiums.<br />

Junge Leute wie Katya sind für<br />

Russland unverzichtbar, um den Wandel<br />

zu einer modernen, vielfältigen<br />

Wirtschaft zu bewerkstelligen: IT-<br />

Unternehmertum statt Gerade-so-<br />

Zurechtkommen. Doch es gibt viel zu<br />

wenige von ihnen.<br />

Unter den Russen und Ukrainern,<br />

die in den 90er-Jahren ausgewandert<br />

sind, waren auch die späteren Gründer<br />

von Whatsapp und Paypal und frühe<br />

Investoren von Facebook, Twitter und<br />

Spotify. Auch Google-Gründer Sergey<br />

Brin ist gebürtig aus Moskau, allerdings<br />

schon 1979 mit seiner Familie<br />

ausgewandert.<br />

In diesen Monaten verabschiedet<br />

sich die zweite Welle der russischen<br />

Unternehmertalente: Sie gehen nach<br />

New York, nach Berlin, nach London.<br />

Erst gestern ist Katya von einem Trip<br />

aus New York zurückgekehrt. Es ist<br />

nicht so, dass Russland der Digital-<br />

Wirtschaft keine Bedeutung beimessen<br />

würde: Regierungschef Dmitrij<br />

Medwedew, ein Mann, der sehr an<br />

Technik interessiert ist, hat sich einst<br />

von Steve Jobs persönlich das „Iphone<br />

4“ vorführen lassen.<br />

Im Südwesten Moskaus plant und<br />

baut man seit 2009 am For schungsund<br />

Un ter neh mens zen trum Skolkowo,<br />

einer Innovationsstadt auf einer<br />

Fläche von vier Quadratkilometern,<br />

vermarktet als eine Art russisches Silicon<br />

Valley. 2020 soll alles fertig sein.<br />

Aber nur vielleicht. Skolkowo ist ein<br />

weiterer Beleg dafür, dass Präsident<br />

Putin und sein Premier Medwedew<br />

von Renommierprojekten mehr halten<br />

als von Strukturreformen.<br />

Aber man hört auch von Razzien,<br />

von Geldmangel. Noch 2014 hatte<br />

Putin gemeldet, dass das Internet<br />

Katya (l.), Vasily (M.) und<br />

Alexej (r.) haben eines ihrer<br />

ersten Magazine „The Village“<br />

genannt. Sie wollten damit<br />

Moskau lebenswerter machen.<br />

ein „CIA-Spezialprojekt“ sei. Und der<br />

Ukraine-Feldzug und die darauffolgenden<br />

Wirtschaftssanktionen haben viele<br />

Investoren aus dem Land getrieben.<br />

Doch ohne Geldgeber keine Gründungen.<br />

„Silikonovaya dolina“ hin oder her.<br />

Vom WDNCh nimmt mich Katya<br />

in einem Taxi mit zum Büro von Look<br />

at Media. In einem verglasten Konferenzraum<br />

sitzen ihre Mitgründer Vasily<br />

(32) und Alexej (32). Das Gespräch<br />

mit den dreien fühlt sich an wie ein Interview<br />

mit einer erfolgreichen, aber<br />

sehr angenehmen Blues-Band. Katya<br />

kommt aus einer Akademiker-Familie,<br />

streng sowjetisch; Vasily und Alexej<br />

haben zusammen mit der Enkelin von<br />

Michail Gorbatschow am MGIMO studiert,<br />

der Moskauer Diplomatenhochschule.<br />

Vasily hatte den Studienplatz bei<br />

einer Fernsehshow gewonnen, Alexej<br />

bei einem Journalisten-Wettbewerb.<br />

„Im MGIMO geht’s um Beziehungen,<br />

nicht um Bildung“, sagt Alexej. Beide<br />

haben ihr Studium abgebrochen. Enttäuschte,<br />

junge Intelligenzija.<br />

„Als wir mit unserem ersten Magazin<br />

anfingen, gab es nicht wirklich<br />

eine Stadt“, erzählt Katya. „Wir haben<br />

nur in unseren Wohnungen, Autos und<br />

Büros gelebt, aber es gab keinen Raum<br />

dazwischen. Alles dazwischen war unangenehm,<br />

war Russland, man wollte<br />

da nur schnell durch.“ Während sie<br />

erzählt, hält sie schützend die Hände<br />

über den Kopf, als rede sie von einem<br />

Schneesturm.<br />

„Mit unserem Online-Magazin<br />

wollten wir junge Unternehmer in der<br />

Stadt verbinden und inspirieren. Einen<br />

Ort für uns schaffen. Deswegen heißt<br />

es ‚The Village‘. Wir haben uns das<br />

so vorgestellt: Jemand macht ein gutes<br />

Café auf, ein anderer einen coolen<br />

59<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

60<br />

Fahrradladen, irgendwer kümmert sich<br />

dann darum, dass Fahrradwege entstehen<br />

… aber dann ist Russland passiert.“<br />

Nach der Parlamentswahl 2011, die<br />

– laut OSZE – von zahlreichen Unregelmäßigkeiten<br />

und Manipulationen<br />

geprägt gewesen war, hatten Sicherheitskräfte<br />

2012 die Proteste auf dem<br />

Bo lot naja-Platz brutal niedergeschlagen,<br />

wo Zehn tau sende gegen Wahl betrug<br />

und Pu tins Rück kehr in den Kreml<br />

de mons triert hatten. Für viele junge<br />

Russen steht „Bolotnaja“ für jenen<br />

Moment, an dem sie die Hoffnung auf<br />

Wandel begraben haben.<br />

Seither geht man auch mit der Digital-Szene<br />

nicht zimperlich um: Es wurden<br />

Gesetze gegen Blogger erlassen.<br />

Pawel Durow, der Gründer von V-Kontakte,<br />

dem russischen Facebook-Pendant<br />

mit über 250 Millionen registrierten<br />

Nutzern, wurde ins Exil gedrängt.<br />

Katya und ihre Mitstreiter haben<br />

die Hoffnung, Moskau verändern zu<br />

können, nicht aufgegeben. Doch auch<br />

sie versuchen seit einigen Jahren, sich<br />

in den USA festzusetzen.<br />

Ihr erstes Netz-Magazin, „Hopes &<br />

Fears“, und Native Grid, ein Lieferant<br />

von Verwaltungsanwendungen für Internetseiten,<br />

sind in Amerika schon<br />

gestartet. Vasily lebt mittlerweile in<br />

New York; Katya pendelt seit 2015<br />

zwischen Moskau und New York,<br />

Alexej beginnt in diesem Jahr damit.<br />

Zwei Direktflüge gibt es täglich von<br />

New York nach Moskau. Manchmal<br />

begegnen sich die russischen Gründer<br />

auf den Flughäfen, zwischen alter und<br />

neuer Heimat. Wenn man die Entwicklungs-<br />

und Programmier-Teams<br />

noch in Moskau lässt, ist NYC ein guter<br />

Startpunkt: Die Gründerszene dort<br />

ist bunt und lebendig, und die Zeitverschiebung<br />

beträgt nur acht Stunden.<br />

Nach San Franzisko wären es schon elf.<br />

Auch Alex Boch sitzt regelmäßig in<br />

diesen Aeroflot-Maschinen zwischen<br />

New York/JFK und Moskau/Scheremetjewo.<br />

Boch ist 37, und seine Zeit<br />

ist knapp bemessen. Wenn man ihn<br />

treffen will, dann am besten vor einem<br />

Meeting, denn das hat er im Stadtzen-<br />

trum. Zügig geht der Mann an der<br />

Christi-Erlöser-Kathedrale vorbei, der<br />

„Pussy Riot“-Kirche, überquert eine<br />

sonnig-kalte Fußgängerbrücke über<br />

die Moskwa und marschiert Richtung<br />

Digitaler Oktober, zum Gründerzentrum<br />

in der alten Moskauer Schokoladenfabrik<br />

Roter Oktober.<br />

In seiner linken Hand trägt er einen<br />

Koffer mit einem Virtual Reality<br />

Headset. Es sieht aus wie eine Taucherbrille<br />

mit Bildschirm. In seiner<br />

rechten Hand hält er seine eigene Erfindung:<br />

Eine Kamera mit drei Linsen,<br />

die 360-Grad-Filme aufnehmen kann,<br />

und die braucht man für die „virtuelle<br />

Realität“. „Panorics“ hat er seine<br />

Firma genannt: „Face book hat zwei<br />

Milliarden Dollar in die Technik investiert,<br />

Disney 65 Millionen. You tube<br />

kann 360-Grad-Filme verarbeiten.<br />

Alle großen sind dabei, es kommt auf<br />

dem Massenmarkt an. Und wir produzieren<br />

bisher die beste Kamera für<br />

360-Grad-Filme.“<br />

Aufgewachsen im Stadtteil Troizk,<br />

hatte Alexander Boch 1993, damals<br />

15 Jahre alt, einen Getränke-Lieferser-<br />

Die scheinbare Wirklichkeit wird<br />

die Unterhaltungsindustrie<br />

verändern: Mit Bochs 360-Grad-<br />

Kameras kann man die Filme<br />

für den neuen Markt drehen. Aber<br />

aus Russland, sagt er, könne<br />

man keine Technik verkaufen.<br />

vice aufgebaut. Gemeinsam mit einem<br />

Fahrer kaufte er nach der Schule bei<br />

einem Großmarkt „Cola“, „Pepsi“,<br />

„Fanta“ und „Sprite“, verstaute alles<br />

im Kofferraum eines alten „Ladas“<br />

und schrubbte auf den vereisten Pisten<br />

zwischen Troizk und dem Vorort<br />

Stupino hin und her.<br />

Nach der Uni arbeitete er bei den<br />

örtlichen Zweigstellen internationaler<br />

Banken und begegnete auf einer Konferenz<br />

Oliver Samwer, den Gründer<br />

von Rocket Internet in Berlin. Seither<br />

macht es Boch dem Deutschen nach<br />

und gründet Firmen: ein russisches<br />

E-Darling, eine Kopie von Zalando,<br />

eine eigene Modevermarktungs-Seite,<br />

schließlich Panorics für die Kameras.<br />

„Willst du die 360-Grad-Brille mal<br />

ausprobieren?“, fragt er. Ich setze die<br />

Brille auf. Man kann damit tatsächlich<br />

in eine scheinbare Wirklichkeit eintauchen:<br />

Wenn man den Kopf nach links<br />

wendet, schwenkt auch die Perspektive<br />

im Film nach links, dann erscheint<br />

der Schriftzug „Golden Girls“. Ich sehe<br />

mich um und bin in einem plüschigen,<br />

dämmrigen Hinterzimmer, vier<br />

halb nackte Frauen tanzen. Die Brille<br />

funktioniert erschreckend gut.<br />

„Für die Entertainment-Industrie<br />

ist das ein Game Changer“, sagt Boch.<br />

Bis 2020 will er 30 Millionen Geräte<br />

verkauft haben. Neben dem Betrieb,<br />

die die Kameras herstellt, hat er gleich<br />

noch eine 360-Grad-Film-Produktion<br />

gegründet. Alles, was Boch jetzt noch<br />

braucht, ist ein neuer Geldgeber …<br />

… aber in Russland finden sich praktisch<br />

keine Investoren, weil es kaum<br />

eine Möglichkeit gibt, eine Beteiligung<br />

wieder zu verkaufen, und auch keine<br />

Internetfirmen, die Neugründungen<br />

übernähmen. Europäische und amerikanische<br />

Investoren und IT-Unternehmen<br />

zeigen auch kein Interesse. Kein<br />

Exit, kein Investment.<br />

Klar, es gibt schon Geld in Moskau,<br />

das arbeiten will, aber ein Anleger,<br />

der nur für seinen Kumpel, den<br />

Stahl-Oligarchen, ein paar Millionen<br />

verwaltet, so einer ist für Boch uninteressant.<br />

Für IT-Firmen braucht man<br />

Smart Money, Geld von Leuten, die aus<br />

der IT-Industrie kommen und das Geschäft<br />

verstehen.<br />

61<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

62<br />

Falls Panorics eines Tages erfolgreich<br />

sein sollte, dann bestimmt nicht in<br />

Russland. Boch gibt es nicht gern zu,<br />

aber eigentlich arbeiten sowieso nur<br />

noch seine Programmierer und Ingenieure<br />

in der Stadt: Denn die sind hier<br />

billiger. Sein Haus, seine Frau, sein<br />

Hund: längst in New York.<br />

Alle Startupper träumen von der<br />

Eroberung des US-Marktes. Ob dabei<br />

eher der Wunsch nach Ausdehnung<br />

oder Migration die größere Rolle<br />

spielt, lässt sich freilich nicht immer<br />

sagen.<br />

Von Boch im Digitalen Oktober<br />

ist es ein Sprung zum DI Telegraph,<br />

wo die russischen Kommunikationsunternehmen<br />

einst ihren Sitz hatten.<br />

Während sich auf Moskaus glamouröser<br />

Twerskaja-Straße schwarze Limousinen<br />

an schwarze Geländewagen<br />

drängen, empfängt mich im vierten<br />

Stock, unter rauem Beton von 1927,<br />

der Londoner Simon Dunlop (48):<br />

sportlicher Typ, kurze graue Haare,<br />

dünner, ausgewaschener Fließpullover,<br />

breites Lächeln.<br />

Der Dunlop hat aus dem vierten<br />

Stock des DI Telegraph einen Coworking<br />

Space gemacht, eine IT-Kirche<br />

mit durchgehenden Fenstern und sieben<br />

Meter hohen Decken. Im vorderen<br />

Bereich ist eine Bühne für Veranstaltungen<br />

aufgebaut. Hinter der ersten<br />

Glaswand sitzen rund 20 verschiedene<br />

Firmengründer an Schreibtischen,<br />

hinter der zweiten befinden sich die<br />

Büros seiner Unternehmung DI. Das<br />

steht für Dream Industries, das u. a.<br />

einen Musik- und einen Bücher-Streaming-Dienst<br />

anbietet.<br />

„Jeder, der hier neu ist, muss erst<br />

mal zwei Tage in der Küche arbeiten“,<br />

sagt Dunlop lachend. „So lernt man<br />

die Leute kennen. Ist auch gut gegen<br />

Simon Dunlops IT-Fabrik<br />

profitiert von dem Potenzial der<br />

russischen Programmierer.<br />

Aber die Zukunft, sagt Dunlop,<br />

liegt woanders. Nicht in Russland.<br />

zu große Egos.“ In der Kantine stellen<br />

sich zwei 20-jährige Kolleginnen Dunlops<br />

mit ihren Kaffeetassen scherzend<br />

zu uns, als wären sie Freundinnen<br />

von ihm.<br />

Ich frage ihn, ob er in Moskau bleiben<br />

wolle. „Schau’ dich um“, sagt er:<br />

„140 Leute arbeiten hier im Telegraph.<br />

120 kommen für das Coworking rein.<br />

4.000 bis 5.000 Leute kommen zu den<br />

Events. Das Durchschnittsalter ist 24<br />

oder 25. Alles supertalentierte, hoch<br />

motivierte Leute, und sie lieben diesen<br />

Ort. Das ist ein riesiger Vorteil!“<br />

Dunlop ist ein Geschäftsmann der<br />

Sorte „Abenteurer“. Er kam 1993 nach<br />

Moskau und heuerte bei der Niederlassung<br />

des amerikanischen Tabakmultis<br />

Philip Morris an.<br />

Der Sibirier und Volkstribun Boris Jelzin<br />

(1931 – 2007), Russlands erster demokratisch<br />

gewählter Präsident, hatte<br />

der russisch-orthodoxen Kirche damals<br />

die Einfuhr von Alkoholika und Zigaretten<br />

genehmigt. Dunlop verhandelte<br />

in jenen Jahren mit „Vater Wladimir“,<br />

einem Kirchenmann, der mit einem<br />

Mercedes und einem großen Motorola-Telefon<br />

herumfuhr und die Dame am<br />

Empfang von Philip Morris segnete. Als<br />

sich nach der Rubel-Krise ab 1997 die<br />

Regale der Supermärkte leerten, begann<br />

Dunlop mit einem Partner einen<br />

Snack zu produzieren: geröstetes Brot<br />

in den Geschmacksrichtungen roter<br />

Kaviar, schwarzer Kaviar, Meerrettich,<br />

Schaschlik. Dunlops Häppchen wurden<br />

ein Verkaufsschlager. Nach ein<br />

paar Jahren veräußerte er den Betrieb,<br />

um etwas anderes zu machen.<br />

Dunlop hat gelernt, mit den Gepflogenheiten<br />

der russischen Geschäftswelt<br />

zu leben: mit der Bürokratie, dem<br />

Beamten-Filz – dem System, das Katya<br />

und ihre Mitgründer so verabscheuen.<br />

Aber in der Welt der Digital-Wirtschaft<br />

bedeutet das nicht viel. „Man<br />

kann kein Geschäft aufbauen, das nur<br />

hier ist, es gibt größere Märkte. Man<br />

kann hier kein Geld auftreiben, weil<br />

die Investoren woanders sind. Man<br />

kann hier kein Geschäft verkaufen,<br />

weil die Käufer woanders sind“, sagt<br />

er. Mit seinen Streaming-Diensten<br />

versucht Dunlop, im Ausland Fuß zu<br />

fassen. Seit Januar operiert seine Werbetechnik-Firma<br />

Instreamatic in New<br />

York, nur die Entwicklung bleibt hier.<br />

Dunlop wirft einen Blick durch die<br />

Glastür, zu den Startuppern. „Wenn<br />

ich 22 wäre und eine gute Idee hätte …<br />

ich würde lieber in einer Stadt wohnen<br />

wollen, die schon in der Zukunft angekommen<br />

ist.“<br />

I<br />

63<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

64<br />

B<br />

ZAUBERTRANK FÜR MARKEN<br />

Pro Sieben Sat 1 beteiligt sich in großem Stil an Gründerfirmen.<br />

Und zahlt in zwei harten Währungen: in Euro und mit TV-Werbung.<br />

Herr Wegner, Sie beteiligen sich<br />

an jungen Unternehmen und<br />

stellen ihnen dafür im Gegenzug<br />

Werbezeit zur Verfügung. Jetzt<br />

wollen Sie dieses Konzept auf<br />

ganz Europa ausdehnen.<br />

Ja, dank der vielfältigen Synergien mit<br />

unserem TV-Geschäft liegen wir in<br />

Deutschland ziemlich weit vorn. Wir<br />

haben das angesprochene Media-Investmentgeschäft<br />

in Deutschland eingeführt<br />

und international ausgerollt.<br />

Daneben haben unsere strategischen<br />

Investitionen enorm an Bedeutung<br />

gewonnen. Unser strategisches Ziel:<br />

digitale Geschäftsfelder sukzessive zu<br />

globalisieren, um die Erfolgsgeschichte<br />

von P7S1 fortzuschreiben.<br />

B Gibt es einen Modellfall?<br />

Digitalvorstand Christian Wegner<br />

(41) investiert in Start-ups,<br />

die Emotionalisierung brauchen.<br />

Ein Beispiel ist unser Etraveli-Deal in<br />

Skandinavien. Nach dem Aufbau unseres<br />

vertikalen Netzwerkes zum Thema<br />

Reisen in Deutschland haben wir den<br />

Reisevermittler 2015 als ersten Schritt<br />

zur Internationalisierung gekauft. Unsere<br />

zweite Stoßrichtung ist, erfolgreiche<br />

deutsche Verticals zu exportieren.<br />

Grundsätzlich analysieren wir sehr<br />

pragmatisch, wo gute Firmen zum<br />

Verkauf stehen und in welchem Markt<br />

sich ein Einstieg anbietet. Die Basis<br />

bildet immer unsere starke Position<br />

in Deutschland.<br />

B Welche Gründungen sind für Sie<br />

besonders attraktiv?<br />

Die größten Erfolge zeigen sich bei<br />

Produkten, die die Massen interessieren,<br />

Erklärungsbedarf haben und<br />

Vertrauen und Emotionalisierung<br />

erfordern. Hier kann unser Hebel<br />

„TV-Werbung“ am besten greifen.<br />

Wir haben in diesem Geschäftsfeld<br />

eine eigene Mannschaft aufgebaut.<br />

Die schaut sich genau an, wie gut das<br />

Führungsteam eines Unternehmens<br />

ist, wie wettbewerbsfähig das Produkt<br />

ist – kann es langfristig gegen internationale<br />

Giganten wie Google und Facebook<br />

bestehen? Dann betrachten wir<br />

die Synergien, sind wir der beste Eigentümer?<br />

Und können die Start-ups<br />

schnelles Wachstum auf Vertriebsseite<br />

überhaupt stemmen? Fallen alle Antworten<br />

positiv aus, steigen wir ein.<br />

B Ist Fernsehwerbung für junge<br />

Digitalfirmen überhaupt aussichtsreich?<br />

Das ist leicht erklärt: Wir wissen aus<br />

der klassischen Wirtschaftswelt, wie<br />

stark Fernsehwerbung den Konsumgüterherstellern<br />

hilft, Marken bekannter<br />

zu machen und ihre Produkte<br />

erfolgreich zu verkaufen. Das Zusammenwirken<br />

mit Online unterschätzen<br />

viele. Über TV-Werbung wird eine<br />

Marke schnell so bekannt, dass sie die<br />

Menschen aktiv im Netz suchen und<br />

wiederfinden. Fernsehen hat dadurch<br />

einen erheblichen indirekten Effekt<br />

auf alle digitalen Medien. Der Zugang<br />

zu diesen Werbeflächen wirkt auf Marken<br />

wie eine Art Zaubertrank.<br />

B Sie konzentrieren sich auf sogenannte<br />

vertikale Themennetzwerke<br />

im Internet mit einem<br />

mittelfristigen Umsatzpotenzial<br />

von jeweils mindestens 100 Millionen<br />

Euro jährlich. Vier gibt<br />

es bereits: Reisen, Schönheit &<br />

Accessoires, Vergleichsportale im<br />

Netz, Gesundheit & Wohlbefinden.<br />

Kommen weitere dazu?<br />

Mit Sicherheit, schließlich verfolgen<br />

wir mit unserer übergeordneten<br />

Strategie das Ziel, unabhängiger vom<br />

klassischen Werbegeschäft zu werden.<br />

Konkret soll im Jahr 2018 die Hälfe unseres<br />

Umsatzes aus anderen Bereichen<br />

als dem traditionellen TV-Geschäft<br />

kommen. Parallel investieren wir weiter<br />

in die bestehenden Verticals. Unser<br />

Plan ist, in den kommenden drei bis<br />

vier Jahren rund zehn verschiedene<br />

Cluster aufzubauen, die alle von Fernsehen<br />

profitieren.<br />

B<br />

Wonach wählen Sie potenzielle<br />

Beteiligungen aus?<br />

Wir fahren dabei eine dreigleisige<br />

Strategie: Über unsere globalen Scouting-Büros<br />

in Los Angeles, San Franzisko,<br />

New York, London und Tel Aviv<br />

wissen wir immer schon sehr früh,<br />

welche Trends für uns interessant sein<br />

könnten. Über unsere M&A-Teams<br />

screenen wir kontinuierlich, wo interessante<br />

Firmen zum Verkauf stehen,<br />

Deutschland braucht mehr Unternehmertum!<br />

Gemeinsam mit seinen Partnern startet<br />

BILANZ deshalb eine Gründeroffensive. Teil davon<br />

ist ein Gründerwettbewerb mit dem<br />

höchstdotierten Hauptpreis der Republik:<br />

Der Sieger bekommt 100.000 Euro.<br />

Alles Nähere: www.bilanz.de/ der-wettbewerb<br />

Unsere Partner<br />

65<br />

Interview / MARK C. SCHNEIDER<br />

64<br />

FOTO: PRO SIEBEN SAT 1<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN 63<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

66<br />

VOM KASTEN<br />

INS NETZ<br />

Wie sich der<br />

Fernsehkonzern P7S1<br />

wandelt.<br />

Digitalvorstand Christian Wegner<br />

hat große Ambitionen: „Wir zeigen<br />

der Welt: Die digitale Transformation<br />

funktioniert.“ Sein Programm<br />

nennt der Fernsehkonzern Pro Sieben<br />

Sat 1 „Reichweite trifft Idee“.<br />

Man tauscht Werbezeiten gegen<br />

Beteiligungen an Unternehmen<br />

bzw. am Umsatz. Prominentestes<br />

Beispiel: Modehändler Zalando,<br />

den die „Schrei vor Glück“-Werbung<br />

im Fernsehen groß machte.<br />

Im Internethandel hat sich P7S1<br />

heute in gut 60 Unternehmen engagiert.<br />

Der Konzern strukturiert<br />

sie in vier Kategorien, neudeutsch<br />

Verticals genannt. Dazu gehören<br />

die Internetseiten:<br />

– Reisen: Etraveli, Weg.de,<br />

Tropo, Mydays, Billiger-Mietwagen,<br />

Reise.com, Wetter.com<br />

– Schönheit & Accessoires:<br />

Valmano, Amorelie, Flaconi<br />

– Vergleichsportale: Verivox,<br />

Preis 24, Moebel.de, 12 Auto<br />

– Gesundheit & Wohlbefinden:<br />

Gymondo, Vitafy, 7 NXT.<br />

um die herum wir ein neues Vertical<br />

bilden können. Und über unsere Media<br />

for Equity-Minderheitsbeteiligungen<br />

konzentrieren wir uns auf deutsche<br />

Unternehmen, an denen wir im<br />

Erfolgsfall auch eine Mehrheit anstreben.<br />

Das haben wir gerade bei Flaconi<br />

(Parfüm und Kosmetik) und Amorelie<br />

(Sexspielzeug und Dessous) so umgesetzt:<br />

Dank unserer Minderheitsbeteiligung<br />

kannten wir Team, Markt und<br />

Produkt bereits sehr genau. Daraufhin<br />

haben wir die Mehrheit gekauft.<br />

B<br />

Wann beteiligen Sie sich allein an<br />

Firmen, wann mit Partnern?<br />

Idealerweise wollen wir die Firmen,<br />

die wir kaufen, allein übernehmen<br />

– sofern wir die notwendigen internen<br />

Skills haben. Das erleichtert die<br />

Transaktion, denn wir können vom<br />

Start weg schneller und unkomplizierter<br />

mit dem Management arbeiten<br />

und uns auf eine einheitliche Strategie<br />

festlegen. Konstellationen, in denen<br />

wir über Partner nachdenken, sind<br />

beispielsweise Deals wie die Übernahme<br />

des Verbraucherportals Verivox.<br />

Das Privat Equity-Unternehmen Oakley<br />

Capital ist als Altaktionär mit 20<br />

Prozent dabei geblieben, um das Unternehmen<br />

gemeinsam weiterzuentwickeln<br />

und weitere Investitionen zu<br />

stemmen. Wenn jemand über Assets<br />

oder Skills verfügt, die wir nicht mitbringen,<br />

ist er uns natürlich willkommen.<br />

Und auch im Bereich der Frühphasen-Investments<br />

arbeiten wir sehr<br />

gerne mit Partnern zusammen. So haben<br />

wir mit Axel Springer gemeinsam<br />

in Digitalunternehmen investiert.<br />

erreichen. Neue Beteiligungen werden<br />

den Umsatz zusätzlich erhöhen.<br />

B Wie wollen Sie den Umsatz im<br />

Digitalgeschäft steigern?<br />

Zum einen sind wir in überaus dynamischen<br />

Bereichen aktiv, die zweistellig<br />

wachsen. Da wir in der Regel nur<br />

Geschäfte führen, in denen wir uns<br />

gut auskennen, wachsen wir meist<br />

schneller als der Markt und gewinnen<br />

Marktanteile. Daher generieren wir<br />

unser Wachstum maßgeblich aus dem<br />

organischen Geschäft. Darüber hinaus<br />

werden wir weitere Übernahmen vollziehen,<br />

die natürlich auch den Umsatz<br />

treiben. Und wir bauen immer wieder<br />

eigene Unternehmen auf, die aus Geschäftsideen<br />

von Mitarbeitern entstehen,<br />

die sie dann umsetzen wie etwa<br />

beim Web-Produzenten Studio 71.<br />

Kurzum: Wir werden das Umsatzziel<br />

hoffentlich noch übertreffen.<br />

B<br />

Was motiviert Mitarbeiter, selbst<br />

Gründer zu werden?<br />

Die sind selbst schon stark motiviert,<br />

zudem fördern wir systematisch neue<br />

Ideen und deren Umsetzung durch<br />

den Mitarbeiter. Dann finanzieren und<br />

unterstützen wir, stellen ihm ein Team<br />

zur Seite. Wenn es gut läuft, gründet er<br />

dann aus, baut seine eigene Firma auf.<br />

B<br />

Inwieweit beeinflusst der Wandel<br />

das Image von P7S1? Für<br />

die meisten bleibt es doch ein<br />

TV-Konzern.<br />

Das stimmt. Allein durch den Namen<br />

Pro Sieben Sat1 denkt jeder erst einmal<br />

Jede Kategorie muss mittelfristig<br />

an ein Fernsehunternehmen. Von<br />

ein Umsatzpotenzial von mindestens<br />

der DNA her sind wir das ja auch.<br />

100 Millionen Euro jährlich<br />

Wenn die Hälfte des Umsatzes aber<br />

aufweisen. Der 2014 aufgebaute<br />

Reise-Schwerpunkt kommt auf<br />

B Haben Sie einen festen Etat für<br />

Übernahmen?<br />

mittelfristig jenseits des Fernsehens<br />

erwirtschaftet wird, bedingt das konsequenterweise<br />

mehr als 160 Millionen Euro Jahresumsatz.<br />

Wegner will in seinem<br />

Vorstandsbereich („Digital & Adjacent“)<br />

den Umsatz vervielfachen:<br />

2012 betrug er 335 Millionen Euro,<br />

2018 sollen es mindestens 1,5 Milliarden<br />

Euro sein. Auch Konzernchef<br />

Thomas Ebeling (56) zeigt Ehrgeiz:<br />

Er gibt vor, den Konzernumsatz<br />

bis 2018 auf 4,2 Milliarden Euro<br />

zu steigern – 2012 waren es<br />

Wir setzen uns bewusst keine festen<br />

Summen, sondern beurteilen lieber<br />

unvoreingenommen jeden Deal,<br />

der sinnvoll sein und den Unternehmenswert<br />

steigern könnte. Vergangenes<br />

Jahr haben wir mit mehr als 500<br />

Millionen Euro verhältnismäßig viel<br />

investiert. In den Jahren zuvor waren<br />

es jeweils 30 bis 150 Millionen Euro.<br />

Insofern rechnen wir damit, das Umsatzziel<br />

von 1,5 Milliarden Euro bis<br />

eine Transformation<br />

der Firma. Unser Bereich „Digital and<br />

Adjacent“ ist eine eigene Geschäftseinheit,<br />

separat vom Kerngeschäft<br />

aufgebaut, mit eigenständigen Profilen.<br />

Das ist unser zweites Standbein.<br />

Entscheidend ist, dass wir ein Unternehmen<br />

bleiben. Pro Sieben Sat1 wird<br />

auch künftig stark vom Fernsehen getrieben,<br />

erweitert um ein Umfeld, das<br />

digitale unternehmerische Aktivitäten<br />

1,85 Milliarden. I 2018 auch ohne große Übernahmen zu ermöglicht.<br />

I<br />

HUNGER AUF MEHR<br />

Foodpanda expandiert in Schwellenländern mit<br />

Bringdiensten. Ein Lehrstück über Tücken des Wachsens.<br />

Ende 2015 erlebte Ralf Wenzel (36),<br />

Mitgründer und Chef der Berliner Firma<br />

Foodpanda, wie es ist, nach einer<br />

Phase durchaus sportlich zu nennenden<br />

Wachstums mit Rückschlägen umgehen<br />

zu müssen.<br />

Immerhin hat sich der Lieferdienstvermittler<br />

aus dem Rocket-Internet-Reich<br />

in mehr als 25 Länder<br />

ausgebreitet – und ist mittlerweile mit<br />

mehr als 300 Millionen Dollar finanziert.<br />

Unter den Geldgebern finden<br />

sich bekannte Adressen wie die Investmentbank<br />

Goldman Sachs.<br />

Doch Anfang Dezember musste<br />

Wenzel das Geschäft in Vietnam an<br />

einen Konkurrenten verkaufen. Das<br />

Land gilt als Wachstumsmarkt. Aber<br />

nicht für Foodpanda. Mit der Digitalisierung<br />

sei man dort noch nicht so<br />

weit, teilte er mit. Auch der Markt für<br />

Lieferdienste sei sehr übersichtlich.<br />

Damit nicht genug: Ende Dezember<br />

wurde bekannt, dass Foodpanda<br />

Foodpanda setzt auf die Beliebtheit<br />

des Pandas in Asien. Herbe<br />

Rückschläge bleiben nicht aus.<br />

sich auf einen Schlag von gut 300<br />

Mitarbeitern in Indien trennt, einem<br />

Großteil der Beschäftigten. Der Dienst<br />

ist dort in 200 Städten vertreten und<br />

bietet das Essen von 12.000 Restaurants<br />

an. Grund für den Stellenabbau:<br />

angeblich eine groß angelegte Automatisierung<br />

des Geschäftes.<br />

Foodpanda ist 2012 entstanden und<br />

startete unter diesem Namen in Singapur.<br />

Das Unternehmen tritt unter weiteren<br />

Marken wie Hellofood oder Delivery<br />

Club auf und konzentriert sich auf<br />

Schwellenländer. „Fehler zu machen ist<br />

wichtig als Unternehmer“, sagt Wenzel<br />

– und lässt sich von den Rückschlägen<br />

nicht abschrecken.<br />

I<br />

Ein Interview mit Ralf Wenzel<br />

finden Sie auf www.bilanz.de<br />

NEUES<br />

VOM<br />

WETTBEWERB<br />

Das siegreiche<br />

Gründerteam erhält<br />

100.000 Euro<br />

Preisgeld und ein<br />

„Coaching“ von<br />

Gründerlegende<br />

Peter Thiel in San<br />

Franzisko, Flugticket<br />

natürlich inklusive.<br />

Peter Thiel,<br />

Mitgründer von<br />

Paypal, Finanzier<br />

u. a. von Facebook,<br />

Airbnb und<br />

Palantir, hat sich<br />

jüngst an einem<br />

weiteren deutschen<br />

Unternehmen<br />

beteiligt: Zinspilot,<br />

einem Vermittler<br />

von Tages- und<br />

Festgeldanlagen.<br />

Eile ist geboten,<br />

zahlreiche<br />

Bewerbungen liegen<br />

vor. Einsendeschluss<br />

ist Ende März.<br />

67<br />

Text / MARK C. SCHNEIDER<br />

FOTO: FOODPANDA<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

68 69<br />

RECHNER AUF RÄDERN<br />

Das „Auto der Zukunft“ wird ja täglich gerade irgendwo erfunden. Natürlich auch<br />

in Kalifornien. Aber den Faraday-Leuten scheint es wirklich ernst zu sein.<br />

Text<br />

JÜRGEN SCHÖNSTEIN<br />

Fotos<br />

TOMO MUSCIONICO<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

S<br />

ie liegt jetzt gut ein Jahr<br />

zurück, jene denkwürdige<br />

Nacht, die sich Richard<br />

Kim (35) und seine Leute<br />

mal wieder um die Ohren<br />

schlugen: Der Chefdesigner von<br />

Faraday Future, der jungen Elektro-<br />

Autofirma aus Los Angeles, die<br />

noch kein einziges Fahrzeug auf die<br />

Straße gebracht hat, rätselte mit<br />

seinem 65-köpfigen Team wie gewöhnlich<br />

bis in die frühen Morgenstunden<br />

und in verzweifelter Begeisterung<br />

darüber, wie das Automobil der Zukunft<br />

aussehen sollte und was es können<br />

müsste.<br />

Seine Kunst sowohl wie seine<br />

Kenntnisse hatte Kim, der Gestalter,<br />

zuvor bei vornehmsten Adressen der<br />

Gilde veredelt und raffiniert: bei Audi<br />

und später bei BMW, wo er an Leib<br />

Diese Anekdote, die Kim und Sampson<br />

wohl häufiger erzählen, denn sie wirkt<br />

an den Rändern etwas abgegriffen,<br />

zeigt, wie aufgelockert und aus dem<br />

Augenblick heraus bei dem kalifornischen<br />

Elektroauto-Hersteller gewirtschaftet<br />

wird.<br />

Aber sie zeigt nicht minder, dass<br />

man bei der Firma Faraday, die sich<br />

in einem ehemaligen Nissan-Entwicklungslabor<br />

in Gardena (im Süden des<br />

Großraums Los Angeles) ausgebreitet<br />

hat, einiges auch den Schicksalsfügungen<br />

überlassen muss, die eine gewisse<br />

Konzeptlosigkeit stets mit sich bringt.<br />

Dem Zukunftsglauben jedenfalls<br />

kommt so viel Fatum sehr entgegen,<br />

Zuversicht wallt: Seit dem vergangenen<br />

Herbst wurden die Arbeitsplätze<br />

von 400 auf 750 fast verdoppelt, internationale<br />

Vertretungen, darunter<br />

auch ein Büro in Düsseldorf, aktiviert<br />

– noch ehe jemand auch nur eine einzige<br />

Verkörperung des Zukunftsautos<br />

zu Gesicht bekommen hätte.<br />

In der Gilde erregt der Vorwärtsdrang<br />

von Faraday sowohl Respekt als<br />

auch Misstrauen: Seit Elon Musk in<br />

Fremont bei San Franzisko das E-Limousinengeschoss<br />

„Tesla“ mit einigem<br />

Erfolg, wenngleich unter hohen Verlusten<br />

fabriziert, betrachten die drängenden<br />

Kräfte der Autoindustrie, die<br />

ihrerseits mit alternativen Antrieben,<br />

Mobilitäts-, Selbstfahr- und Elektroangeboten<br />

experimentieren, die jungen<br />

Wilden aus Kalifornien mit Argwohn.<br />

Als Kim und Sampson und ihre<br />

Leute nach nur neun Monaten ihr Batmobil-Ufo-Konzeptauto<br />

unter dem<br />

Namen „FF Zero 1“ Anfang Januar<br />

auf der Elektronikmesse CES in Las<br />

Vegas vorstellten, da war die Neugier<br />

natürlich groß.<br />

Doch außer dem Sehen konnte<br />

der „Zero 1“ keinen Sinn befriedigen<br />

und den Fortbewegungsdrang schon<br />

einmal gar nicht: Der über-spacige<br />

Blickfang, der aus seinen Elektromotoren,<br />

von denen er gleich über deren<br />

vier verfügt, angeblich hochexplosive<br />

1.000 PS schöpfen soll, kommt aus eigener<br />

Kraft keinen Zentimeter voran.<br />

Die Studie ist lediglich ein Präsentationsmodell,<br />

ja: Konversationsobjekt.<br />

Die annoncierte Selbstfahrtechnik<br />

ist noch nicht entwickelt; und die<br />

von Sampson beschworene „nahtlose<br />

Vernetzung mit dem Lebensstil“<br />

der in Betracht kommenden Fahrer<br />

wird im „Zero 1“ durch eine lapidare<br />

Aussparung im Lenkrad veranschaulicht,<br />

in die ein Handcomputer passt.<br />

„<br />

Mein Ziel<br />

ist die<br />

totale Neuerfindung<br />

dessen,<br />

was wir als<br />

Mobilität<br />

bezeichnen<br />

“<br />

NICK<br />

SAMPSON<br />

70<br />

71<br />

und Positur des elektrischen „I3“ mitgewirkt<br />

hatte.<br />

In den Werbefilmen, mit denen<br />

sein Arbeitgeber Faraday Future bis<br />

dahin auf sich aufmerksam machen<br />

wollte, hatten noch irgendwelche ominös<br />

geschwungenen Schatten dafür<br />

herhalten müssen, um die vollmundig<br />

angekündigte Phantasmagorie eines<br />

„Zukunftsautos“ zu versinnbildlichen<br />

– doch irgendwann, das war ja allen<br />

ganz klar, musste etwas Wirkliches,<br />

Wahrhaftiges, etwas Vorzeigbares her.<br />

In jener Nacht fiel der Blick des<br />

Chefentwicklers Nick Sampson (57)<br />

zufällig auf Kims Schreibtisch, wo eine<br />

beiläufig gekritzelte Skizze herumlag:<br />

halb Batmobil, halb Ufo. „Nehmen wir<br />

doch das da für unsere Konzept-Plattform“,<br />

schlug Sampson vor.<br />

„<br />

Vieles an<br />

den<br />

heutigen<br />

Autos<br />

ist so, weil<br />

es so<br />

sein muss<br />

“<br />

RICHARD<br />

KIM<br />

spricht, die ganze Wirtschaftszweige<br />

umkrempeln sollen, was Menschen,<br />

die sich als internationale Kenner ausweisen<br />

wollen, heute verbal gern zur<br />

Disruption zwangsveredeln. Sei es auf<br />

der CES in Las Vegas oder der Auto<br />

Show in Detroit – manchmal scheint’s<br />

fast, als ob es den Innungsvertretern<br />

peinlich wäre, noch über Hubraum<br />

und PS, über Straßenlage und Seitenstabilität,<br />

über Verbrauch und Wartungszyklen<br />

zu reden.<br />

Stattdessen hauen sie auf den Putz<br />

mit Download-Raten oder prahlen<br />

und protzen mit Sensorbildschirmen<br />

im Armaturenbrett. Wie beim Handcomputer,<br />

dem sogenannten Smartphone,<br />

wo das Telefonieren längst zur<br />

Nebensache geworden ist, wird auch<br />

beim Auto das Fahren immer selbststrukturen<br />

auszuprobieren. Und das<br />

„Iphone“ im Lenkrad – nun ja, das sei<br />

halt eine Metapher, eine sehr wörtliche<br />

Übersetzung der digitalen Vernetzung.<br />

Dazu muss man wissen, dass die Autoleute<br />

im Allgemeinen, weiß Gott nicht<br />

nur Faraday im Besonderen, schier besessen<br />

sind vom „Iphone“ und ihr Wille,<br />

einen fahrbaren Rechner zu entwickeln,<br />

bisweilen schon ans Obsessive grenzt.<br />

Volkswagen-Markenchef Herbert<br />

Diess (57) stellte den neuen E-„Golf<br />

Touch“ ebenda in Las Vegas als „ein<br />

Smartphone auf Rädern“ vor, ein Begriff,<br />

den auch Daimler-Boss Dieter<br />

Zetsche (62) schon seit einiger Zeit als<br />

Kennzeichnung für Mercedes-Konzepte<br />

im Munde führt.<br />

Das „Iphone“ muss immer dann<br />

herhalten, wenn jemand von Ideen<br />

„Wir ge ben Ant wor ten auf Fra gen, von<br />

denen die Leute nicht ein mal wuss ten,<br />

dass sie sie hat ten“, sagt Kim.<br />

Die Kritiken der Las-Vegas-Show<br />

fielen gemischt aus: Die „FAZ“ lobte<br />

den Faraday-Auftritt als „rotzfrech“,<br />

die Banausen von „Forbes“ hingegen<br />

geißelten die Création aus Gardena<br />

als „lächerlich“. Wahrscheinlich haben<br />

beide recht.<br />

Ich treffe Sampson und Kim in<br />

einer Penthaus-Suite auf dem Dach<br />

des 40-stöckigen Casino-Hotels Mandalay<br />

Bay am südlichen Las Vegas<br />

Strip. Hier haben die beiden Faraday-Strategen<br />

während der CES-Tage<br />

Quartier bezogen.<br />

Ja, sicher, es sei alles noch etwas<br />

„abstrakt“, sagt Kim. Eine Plattform<br />

halt, um Stilformen und Oberflächen-<br />

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IDEEN / INNOVATIONEN<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

72<br />

verständlicher als Nachteil der ganzen<br />

Fortbewegung abgetan.<br />

Das ist auch bei Faraday Future<br />

nicht viel anders: Sicher, der „Zero<br />

1“ ist ein Rennwagen, der – wenn er<br />

denn fahrtüchtig wäre – sozusagen<br />

augenblicklich oder doch immerhin<br />

in drei Sekunden von null auf hundert<br />

beschleunigen könnte und dessen einziger<br />

Sitz darum von Raumfahrttechnikern<br />

entwickelt wurde.<br />

Doch im Geschäftsmodell, das<br />

Sampson beschreibt, kommt der Spaß<br />

am Steuern selten vor. Im Gegenteil:<br />

„Einige unserer Kunden werden vielleicht<br />

noch den Wunsch haben, ein<br />

Auto zu besitzen“, erklärt der Brite,<br />

der früher bei Sportwagenfirmen wie<br />

Jaguar und Lotus gearbeitet hat und<br />

zuletzt bei Tesla für die Fahrgestellund<br />

Bodengruppen-Entwicklung zuständig<br />

gewesen war. „Aber es gibt<br />

viele Menschen, die aus Prinzip kein<br />

Auto haben und trotzdem auf Mobilität<br />

nicht verzichten wollen.“<br />

Autos für Nicht-Autobesitzer?<br />

„Und Sie dürfen nicht den Content<br />

vergessen“, legt Sampson nach, den<br />

„Inhalt“ also. Content? „Ja, denken Sie<br />

beispielsweise an Netflix.“ Sein Ziel,<br />

sagt Sampson, sei nichts Geringeres<br />

„als eine totale Neuerfindung dessen,<br />

was wir als Mobilität bezeichnen“. In<br />

solchen Momenten versteht man, warum<br />

Faraday Future ein rätselhaftes<br />

Strichesymbol als Firmenzeichen hat ...<br />

Um zu verstehen, was das FF-Konzept<br />

ausmacht, muss man eine Betrachtung<br />

darüber anstellen, wer hinter<br />

Faraday Future eigentlich steckt.<br />

Mitbegründer und Haupt-Geldgeber<br />

des Unternehmens ist der chinesische<br />

Multimilliardär Jia Yueting (43),<br />

der sein Vermögen mit dem Medienkonzern<br />

Leshi Internet Information<br />

& Technology (LeTV) gemacht hat,<br />

das man als das „Netflix von China“<br />

bezeichnet, und der bei Faraday offiziell<br />

nur als „Partner“ oder „Alliierter“<br />

auftritt.<br />

LeTV stellt neben vielem anderem<br />

auch Fernsehgeräte und Handcomputer<br />

her; im vergangenen Oktober kündigte<br />

Yueting zudem die Übernahme<br />

eines Anteils von 70 Prozent an dem<br />

Fahrdienst und Uber-Konkurrenten<br />

Yidao Yongche an.<br />

Seit Ende 2014 aber gehören auch<br />

Elektroautos zum LeTV-Sortiment:<br />

Jia hat die Leshi Super Electric Car<br />

Company gegründet, und gemeinsam<br />

mit der staatlichen Beijing Automotive<br />

Industry Holding Corp. in eine<br />

weitere US-Elektroauto-Gründung investiert<br />

namens Atieva in Menlo Park<br />

(Silicon Valley), das von ehemaligen<br />

Tesla-Leuten ins Leben gerufen worden<br />

ist.<br />

Diese inner- und außerbetriebliche<br />

Konkurrenz würde durchaus die Hast<br />

erklären, mit der Faraday Future sein<br />

nicht ganz bühnenreifes Konzeptauto<br />

ins Rampenlicht schob. Wenn man den<br />

Sprach- und PR-Nebel, den das Unternehmen<br />

schon seit Monaten verbreitet,<br />

mal durchschneidet, kommt etwa<br />

Folgendes dabei ans Licht:<br />

Faraday Future will Elektrofahrzeuge<br />

herstellen, deren Entwicklungskosten<br />

dank einer „variable platform<br />

achitecture“ (Sampson), also einer<br />

klassischen Karosserie-Basis, auf der<br />

äußerlich verschiedene Modelle aufbauen,<br />

verhältnismäßig gering ausfallen.<br />

Die Faraday-Plattform könne, sagt<br />

Sampson, ohne wesentliche Änderungen<br />

für Zwei- und Viersitzer, für Sportund<br />

Geländewagen mit einem, zwei,<br />

drei oder gar vier Antriebs aggregaten<br />

eingesetzt werden.<br />

Auf dieser Plattform säßen die Batterien<br />

in „Strängen“, die je nach Leistungsbedarf<br />

des Modells kürzer oder<br />

länger seien und die Sampson mit den<br />

Lichterketten an Weihnachtsbäumen<br />

vergleicht: „Wenn eine Batterie ausfällt,<br />

dann funktionieren die anderen<br />

immer noch weiter.“<br />

Technisch gesehen, ist dies allerdings<br />

nicht so umstürzlerisch, wie es<br />

Sampson darstellt: Das elektrische Innenleben<br />

eines „Teslas“ beispielsweise<br />

sieht nicht viel anders aus.<br />

Doch die FF-Ingenieure wollen ja<br />

nicht nur Fahrzeuge bauen und verkaufen.<br />

„Klar, einige unserer Kunden<br />

werden auch weiterhin ein Auto besitzen<br />

wollen“, sagt Sampson. „Aber<br />

was ist, wenn sie sich nicht auf ein<br />

Modell festlegen möchten? Wenn sie<br />

am Morgen eine Limousine und am<br />

Nachmittag lieber einen Sportwagen<br />

hätten?“ Und überhaupt, warum solle<br />

das Geschäft für den Hersteller an der<br />

Hofausfahrt des Händlers enden?<br />

„Wenn Sie ein Mobiltelefon kaufen,<br />

dann kaufen Sie im Grunde genommen<br />

auch kein Gerät, sondern<br />

eine Dienstleistung: Sie zahlen für Datenmengen<br />

und Gesprächsminuten,<br />

laden Anwendungen runter, kaufen<br />

Filme. Es gibt so viele Einnahmequellen!<br />

Und hier sehen wir auch unser<br />

Geschäftsmodell.“<br />

Die Kundschaft soll also nicht das<br />

Auto selbst erwerben, sondern eine bestimmte<br />

Menge an Kilometern abonnieren.<br />

Der Wagen steht auch nicht<br />

in der Garage oder auf dem Parkplatz<br />

vor dem Haus, sondern er kommt auf<br />

Wunsch und mithilfe einer Telefonanwendung<br />

von ganz allein und fahrerlos<br />

vorgefahren.<br />

Diese Idee – das Auto kommen<br />

zu lassen, statt zu ihm zu gehen – ist<br />

derzeit mächtig en vogue: Anfang Januar<br />

hat General Motors (u. a. Opel,<br />

Cadillac, Chevrolet) angekündigt, ein<br />

selbstfahrendes Mietauto zu entwickeln,<br />

und zwar gemeinsam mit Lyft,<br />

dem Konkurrenten des Fahrdienstes<br />

Uber. Rund 460 Millionen Euro lässt<br />

sich GM den Einstieg bei Lyft kosten.<br />

Für seine eigenen Modelle verspricht<br />

FF freilich noch etwas mehr:<br />

nämlich persönlicheres Flair. LeTV,<br />

sagt Sampson, habe ein eigenes Automobil-Betriebssystem<br />

entwickelt, das<br />

das gemietete Selbstfahrauto komplett<br />

personalisiere: von der Musik, die aus<br />

den Lautsprechern kommt, und den<br />

Videos auf den Bildschirmen über die<br />

Sitzeinstellung bis zur bevorzugten<br />

Innentemperatur.<br />

Dass auch dieses Angebot so neu<br />

nicht ist – Tesla will schon in zwei<br />

Jahren selbstfahrende Autos auf<br />

den Markt bringen –, kann die Faraday-Geldgeber<br />

nicht von ihrem Vorhaben<br />

abbringen: Eine Milliarde Dollar<br />

will das Unternehmen in eine Auto-<br />

fabrik stecken. Gebaut werden soll<br />

sie im strukturschwachen Nevada, wo<br />

auch Tesla zurzeit die Gigafactory 1 (s.<br />

BILANZ 10/15) errichtet, in der Batterien<br />

hergestellt werden.<br />

Im vergangenen November versicherte<br />

Jia Yueting dem Gouverneur<br />

von Nevada, Brian Sandoval, in<br />

einem förmlichen Schreiben, dass<br />

er, Jia, persönlich mit seinem Vermögen<br />

für FF bürge. Faraday plant<br />

eine rund 280.000 Quadratmeter<br />

große Fer tigungshalle auf dem Apex-<br />

Industrie gelände, einem weitgehend<br />

unerschlossenen, staubigen Areal in<br />

der Wüste nördlich von Las Vegas, wo<br />

es bisher außer Amerikas größter<br />

Müllkippe kaum Sehenswürdigkeiten<br />

gibt.<br />

Kein Wunder, dass sich Nevada<br />

schnell bereit erklärte, die Anlage mit<br />

335 Millionen Dollar zu bezuschussen,<br />

215 Millionen in Form von Steuervergünstigungen,<br />

die freilich an die Bedingung<br />

geknüpft sind, dass Faraday<br />

wirklich in Betrieb geht.<br />

Darüber hinaus übernimmt der<br />

Bundesstaat auch einen Teil der Erschließungskosten<br />

im Gegenwert von<br />

schätzungsweise 120 Millionen Dollar.<br />

Als Gegenleistung verspricht Faraday<br />

Future 4.500 Arbeitsplätze.<br />

In diesen Tagen beginnen die Planierarbeiten,<br />

Ende 2017 soll die Fabrik<br />

stehen, versichert Sampson. Ob dann<br />

auch die Herstellung beginnen kann<br />

und wie hoch die Fertigungskapazität<br />

sein soll, die Antworten darauf lässt<br />

er wohlweislich, oder nicht, offen –<br />

auch auf einen Termin, wann das erste<br />

FF-Modell in Serie geht, will er sich<br />

nicht festlegen.<br />

„<br />

Wir ge ben<br />

Antworten<br />

auf Fragen,<br />

von denen<br />

die Leute<br />

nicht einmal<br />

wussten,<br />

dass sie sie<br />

haben<br />

“<br />

RICHARD<br />

KIM<br />

„Unsere Fahrzeuge werden erst dann<br />

ausgeliefert, wenn wir sicher sein können,<br />

dass wir sie in höchster Qualität<br />

bauen können.“ Dies sei „in einigen<br />

Jahren“ der Fall, „ganz bestimmt“ aber<br />

vor 2020. Doch bis die Produk tion<br />

richtig in Schwung kommt, dürften<br />

noch zehn Jahre vergehen – und auch<br />

das nur unter der Voraussetzung, dass<br />

nichts dazwischenkommt.<br />

Gewiss, Formgebung und Konstruktion<br />

des „Zero 1“ sind Angelegenheiten<br />

der Virtualität: 3-D-Drucker<br />

und VR-Sichtgeräte, die aussehen wie<br />

massive Taucherbrillen, haben Reißbrett<br />

und Modellwerkstatt ersetzt.<br />

Die Entwicklungszeit eines Prototypen<br />

lasse sich dadurch, verglichen mit<br />

herkömmlicher Verfahrensweise, auf<br />

ein Drittel verkürzen, versichert Kim.<br />

Doch um die Verkehrssicherheit<br />

und strukturellen Eigenschaften zu<br />

testen, genügen natürlich keine Rechnermodelle<br />

– dazu braucht man Testfahrzeuge.<br />

Man baue derzeit den ersten fahrtüchtigen<br />

Prototypen, sagt Kim. Aber<br />

wie der aussehen wird – da hält er sich<br />

bedeckt. Wenn unbefugte Besucher<br />

kommen, werden die Modelle, die im<br />

FF-Entwicklungslabor herumstehen,<br />

mit schwarzen Tüchern verhüllt.<br />

So viel ist sicher: Große Ähnlichkeiten<br />

mit dem „FF Zero 1“ sind nicht<br />

zu erwarten. Das in Las Vegas vorgestellte<br />

Gerät verkörpere zwar „die Design-DNA“<br />

von Faraday Future. Aber<br />

eine Neuerfindung stehe nicht bevor,<br />

ein Automobil bleibt dann doch ein Automobil:<br />

„Da gibt es zu viele Vorgaben,<br />

vom Luftwiderstand über Versicherungsvorschriften<br />

bis zu gesetzlichen<br />

Regelungen – vieles an den heutigen<br />

Autos ist so, weil es so sein muss.“<br />

Doch weil die erwartete (aber noch<br />

nicht vollständig gelöste) Selbstfahrtechnik<br />

auch eine besonders junge<br />

Zielgruppe anspricht, die vielleicht<br />

noch nicht mal alt genug für einen<br />

Führerschein ist, werde das FF-Design<br />

in jedem Fall futuristisch und unverwechselbar<br />

sein: „Wenn ein FF an Ihnen<br />

vorbeifährt, dann werden Sie ihn<br />

nicht übersehen können.“ I<br />

73<br />

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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

74<br />

KOPF<br />

Flüchtlingschaos und Euro-Krise,<br />

dazu die Unsicherheit über die Konjunktur<br />

in China und die Verwirbelungen<br />

an den Finanzmärkten – die Teilnehmer des<br />

46. Weltwirtschaftsforums in Davos<br />

hatten allen Grund zu Sorge, Bedenken und Jammerei.<br />

HOCH!<br />

NIKLAS ZENNSTRÖM (49),<br />

Gründer des Internet-Telefonund<br />

Videodienstes Skype.<br />

B Herr Zennström, Sie sind häufiger<br />

zu Gast in Davos …<br />

… ja, immer wieder gern. Davos ist<br />

wahnsinnig interessant. In Europa gibt<br />

es großartige Firmen. Ich will die besten<br />

Unternehmer als Partner für mich<br />

gewinnen.<br />

B<br />

Sie investieren verstärkt in<br />

Europa?<br />

Derzeit ausschließlich. Vor vier Jahren<br />

habe ich vermieden, „raise money“<br />

und „Europa“ in einem Satz zu sagen.<br />

Niemand hätte damals Geld investiert.<br />

Heute hat sich das Blatt gewendet.<br />

B<br />

Ja, es herrscht zwar kein Überangebot<br />

an Wagniskapital in<br />

Europa, aber auch kein unbedingter<br />

Mangel mehr. Was würden<br />

Sie jungen Unternehmern<br />

raten?<br />

Sie müssen groß und langfristig denken<br />

und bloß nicht zu früh verkaufen!<br />

Ein guter Unternehmer hat vor allem<br />

Spaß daran, eine großartige Firma aufzubauen.<br />

Sein Augenmerk liegt auf<br />

„Cyber Security“. Oscar-<br />

Preisträger Kevin<br />

Spacey erzählt von einem<br />

Hacker-Angriff auf seine<br />

E-Mail-Adresse.<br />

75<br />

Und doch: Am Ende herrschte vielleicht<br />

nicht gerade Zuversicht, aber<br />

wenigstens der Glaube an die eigenen<br />

Kräfte, die mit den Widrigkeiten<br />

schon fertig würden. Die Unternehmen haben<br />

die Digitalisierung angenommen, sie<br />

wirtschaften robust und solide, das Internet<br />

der Dinge sorgt für Antrieb und Stimulus,<br />

und die Weltwirtschaft soll, Voraussagen des<br />

Internationalen Währungsfonds zufolge,<br />

ihr Wachstum auf 3,4 Prozent beschleunigen.<br />

Also: Kopf hoch, es geht voran.<br />

Text / ANNETTE PAWLU<br />

Fotos / MIKE MASONI<br />

Unter #wef2016 finden sich<br />

Tausende weitere Videound<br />

Foto-Einträge in den<br />

sozialen Netzwerken.<br />

KLAUS KLEINFELD (58),<br />

einst Siemens-Vorsitzender<br />

(2005 – 2007), heute Chef des<br />

US-Aluminiumkonzerns Alcoa.<br />

B Herr Kleinfeld, Sie leben in New<br />

York: Verfolgen die Medien dort<br />

das Flüchtlingschaos in Deutschland?<br />

Ganz im Gegenteil. In den USA kriegt<br />

man von einer Krise in Deutschland<br />

sehr wenig mit. Natürlich haben die<br />

Medien über die Kölner Vorfälle an<br />

Silvester berichtet. Aber insgesamt ist<br />

das in den USA kein dominierendes<br />

Thema. Hier in Davos sprechen allerdings<br />

alle von der Flüchtlingskrise.<br />

B Wie stehen Sie persönlich dazu?<br />

Ich kann das ja nur aus der Distanz<br />

beurteilen. Ich bin zu weit vom eigentlichen<br />

Geschehen weg. Aus der<br />

Entfernung kann ich nur sagen: Angela<br />

Merkel macht das gut.<br />

B Was halten Sie eigentlich von<br />

Ihrem Nachfolger Josef Käser?<br />

Den habe ich ja eingestellt. Der macht<br />

das doch gut.<br />

B<br />

Beim Kauf des amerikanischen<br />

Öl- und Gasausrüsters Dresser-<br />

Rand für teure 7,8 Milliarden<br />

Euro hat er allerdings ordentlich<br />

danebengegriffen …<br />

Das war Pech – er konnte ja auch nicht<br />

ahnen, dass der Ölpreis plötzlich so<br />

einbrechen würde.<br />

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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

RUPERT STADLER (52),<br />

Vorstandsvorsitzender von Audi.<br />

„Wenn wir drei oder vier Prozent Wachstum hätten, dann bin ich davon<br />

überzeugt, dass wir von keiner Flüchtlingskrise sprechen würden“<br />

76<br />

B Herr Stadler, es gab ja schon mal<br />

bessere Zeiten für die Automobilindustrie<br />

und namentlich für den<br />

VW-Konzern. Viel auf Achse in<br />

Davos?<br />

(lacht) Ich bin auf dem Weg von Meeting<br />

zu Meeting. Der Automarkt ist im<br />

Moment sehr, sehr spannend. Ich beschäftige<br />

mich hier vor allem mit dem<br />

Thema Digitalisierung. Das wird die<br />

nächsten Jahre für uns ganz entscheidend<br />

werden.<br />

B<br />

Das andere große Thema hier ist<br />

die Flüchtlingskrise.<br />

Stimmt. Ich verfolge die Berichterstattung<br />

mit großer Sorge. Keiner weiß,<br />

was kommt. Leider habe ich hier nicht<br />

genug Zeit, um ein Panel zu diesem<br />

Thema zu besuchen. Wäre sicherlich<br />

spannend.<br />

4.500 Flaschen Wein,<br />

16.700 Flaschen Wasser,<br />

8.200 Flaschen Saft,<br />

1.056 Flaschen Champagner,<br />

50.000 Pralinen –<br />

im Hotel Steigenberger<br />

Belvédère fanden 300<br />

Veranstaltungen statt.<br />

JÜRGEN GROSSMANN (63),<br />

Eigentümer des Stahlkonzerns<br />

Georgsmarienhütte und früherer<br />

Vorstandschef von RWE (2007 – 2012).<br />

B Herr Großmann, Sie sind gemeinsam<br />

mit Ihrer Frau und<br />

Ihren beiden Töchtern in den Ort<br />

gekommen.<br />

Ja, die finden das hier auch spannend.<br />

Wir haben ein paar Sessions zusammen<br />

gemacht. Hauptsächlich zum Thema<br />

Digitalisierung und Cyber Security.<br />

B Auch zur Flüchtlingskrise?<br />

Klar, darüber sprechen hier ja alle. Das<br />

Ergebnis ist, dass das Problem weder<br />

lösbar noch bewältigbar ist. Ich bin<br />

in den 50er-Jahren aufgewachsen. Da<br />

waren Flüchtlinge normal. Es gab auch<br />

keinen Besitzstand, den man hätte<br />

wahren können. Heute haben wir aber<br />

einen Besitzstand, und um den haben<br />

die Menschen Angst. Die Flüchtlinge,<br />

die wir heute haben, stammen zudem<br />

aus einem anderen Kulturkreis, die haben<br />

einen ganz anderen Background.<br />

Die zu integrieren wird schwer möglich<br />

sein. 80 Prozent der Flüchtlinge<br />

sind Männer. Damit haben wir uns das<br />

Problem ins Land geholt: Es fehlen die<br />

Frauen und Kinder.<br />

B Herr Ersek, Sie haben hier beim<br />

WEF als Sprecher an einer Veranstaltung<br />

zur Flüchtlingskrise<br />

teilgenommen. Wie würden Sie<br />

das Problem lösen?<br />

Deutschland und die Welt haben andere<br />

Probleme als die Flüchtlingskrise.<br />

Alle sprechen plötzlich von einer<br />

„Flüchtlingskrise“, weil wir kein<br />

Wachstum haben. Wir haben eine<br />

Wirtschafts-, keine Flüchtlingskrise.<br />

Die Schwachen müssen jetzt für alles<br />

herhalten – und das sind im Moment<br />

eben die Flüchtlinge. Ich glaube, dass<br />

ein Land wie Deutschland über eine<br />

gewisse Zeit locker eine oder zwei<br />

Millionen Menschen aufnehmen kann.<br />

B Mit der Aufnahme ist es nicht<br />

getan. Die Menschen müssen<br />

verpflegt, in die Gesellschaft und<br />

in den Arbeitsmarkt integriert<br />

werden.<br />

Wir sind so besorgt über unsere Wirtschaft<br />

und darüber, dass wir keine Lösungen<br />

parat haben. China steht vor<br />

großen Herausforderungen, wir leiden<br />

unter einer schwierigen Zinspolitik,<br />

wir wissen nicht, was als Nächstes<br />

kommt – alles sieht so düster aus.<br />

Selbst in normalen Haushalten bereitet<br />

das Nicht-Wachstum den Leuten<br />

Sorgen. Die Menschen haben Angst<br />

um ihren Job, um ihr nächstes Gehalt.<br />

Und was machen sie? Sie schieben das<br />

Problem auf die Flüchtlinge. Wenn es<br />

Wachstum gäbe auf der Welt, wenn<br />

wir drei oder vier Prozent Wachstum<br />

hätten, dann bin ich davon überzeugt,<br />

dass wir von keiner Flüchtlingskrise<br />

sprechen würden.<br />

B<br />

Nun, die Sorgen über den ungeordneten<br />

Flüchtlingszustrom<br />

sind durchaus nicht unbe gründet.<br />

Ich habe Angst, dass Deutschland die<br />

Krise intern nicht bewältigen kann.<br />

Der Rechtsruck wird immer größer, die<br />

Angst vor dem Nicht-Wachstum auch.<br />

Die Flüchtlinge werden jetzt zum<br />

Sündenbock für etwas gemacht, woran<br />

sie gar keine Schuld tragen. Es sind<br />

HIKMET ERSEK (55)<br />

ist als Einwandererkind in Österreich<br />

aufgewachsen. Er war Profi-Basketballer<br />

in Wien und leitet heute den<br />

US-Finanzdienstleister Western Union.<br />

ja Flüchtlinge. Die sind von zu Hause<br />

weggegangen, weil es da unerträglich<br />

ist. Sie sind Verfolgte. Niemand geht<br />

freiwillig von zu Hause weg. Wenn<br />

wir alle Migranten zusammenzählten,<br />

wären sie die fünftgrößte Nation<br />

der Welt. Sie haben aber keine Flagge,<br />

sie haben keine Vertreter, sie haben<br />

keine politische Institution, sie<br />

haben kein Land. Und das erzeugt<br />

Emotionen.<br />

B<br />

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement<br />

der Bundesregierung?<br />

Angela Merkel hat eine Vision. Das<br />

sehe ich so, und das sehen viele andere<br />

Global Leaders auch. Sie hat nur<br />

keine kurzfristige Lösung, und wie die<br />

Long Term-Lösung aussehen könnte,<br />

muss sie den Wählern erklären! Der<br />

Schlüssel ist Integration. Wir sollten<br />

uns ein Beispiel an den USA nehmen.<br />

Wer fünf Jahre eine Greencard hat,<br />

bekommt die Staatsbürgerschaft und<br />

kann ein Jahr später wählen. Das ist<br />

doch toll. Und das ist fair. Das gibt’s<br />

in Europa nicht.<br />

B<br />

Sie sind in der Türkei aufgewachsen<br />

und als Kind nach Österreich<br />

gekommen. Sprechen Sie aus eigener<br />

Erfahrung so optimistisch<br />

über Integration?<br />

Sicherlich! Obwohl ich doppelsprachig<br />

aufgewachsen bin, war ich, als<br />

ich nach Österreich gekommen bin,<br />

immer „Der Türk“. Und das, obwohl<br />

ich sogar wienerisch gesprochen habe.<br />

Aber es hat geklappt. Heute leite ich<br />

eine „Fortune 500“-Company und<br />

bin auch Honorarkonsul von Österreich<br />

in Denver.<br />

B<br />

Wie müssen wir die Integration<br />

also angehen?<br />

Die Sprache ist die größte Barriere.<br />

Die Flüchtlinge müssen ganz, ganz<br />

schnell Deutsch lernen. Nur so kann<br />

der erste Schritt zur Integration gelingen.<br />

Integration heißt aber auch, dass<br />

die Flüchtlinge sich integrieren wollen<br />

und sollen. Wer kriminell ist, muss<br />

auch mit Konsequenzen rechnen. Die<br />

Flüchtlinge müssen unser Wertesystem<br />

anerkennen.<br />

B<br />

Das klingt nach harter Integrationsarbeit<br />

…<br />

… die Deutschland aber schaffen kann,<br />

wenn es jetzt sofort die richtigen Maßnahmen<br />

ergreift. Integriert die Kinder<br />

der Zuwanderer! Das ist der Schlüssel.<br />

Wer jetzt schon 30 Jahre alt ist, wird<br />

sich nur noch schwer anpassen lassen.<br />

Aber die Kinder, die werden stolze<br />

Deutsche sein! Die werden in der<br />

Fußball-Nationalmannschaft spielen,<br />

die werden zur Bundeswehr gehen,<br />

die werden die deutsche Hymne<br />

singen.<br />

77<br />

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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

Nouriel Roubini, der Wirtschaftsprofessor, der die Immobilienblase 2008<br />

vorausgesagt hat, schaut für BILANZ in die Zukunft<br />

NOURIEL ROUBINI (57),<br />

Wirtschaftswissenschaftler an<br />

der New York University.<br />

CARSTEN KENGETER (48),<br />

seit 2015 Vorstandsvorsitzender<br />

der Deutschen Börse AG, davor Chef<br />

des Investmentbanking der UBS.<br />

B Herr Kengeter, hat sich der<br />

Besuch für Sie gelohnt?<br />

Es war ein gutes WEF mit guter Stimmung.<br />

Die Hauptthemen waren Technologie<br />

und Zukunft. Überschattet<br />

aber wird alles sicherlich von der unsicheren<br />

politischen Situation im Nahen<br />

Osten. Das Problem wird sein, dass wir<br />

uns daran einfach gewöhnen müssen.<br />

Die Amplituden werden größer – die<br />

Probleme, die wir bewältigen müssen,<br />

sicher auch.<br />

B<br />

Können wir die Flüchtlingskrise<br />

bewältigen?<br />

Wir können das schon schaffen – aber<br />

wir müssen auch alle wissen, dass wir<br />

uns ändern müssen. Das wird nicht einfach.<br />

Aber ich gehe mit einer positiven<br />

Stimmung ins Jahr 2016.<br />

78<br />

B Mit Ihren Vorhersagen zum Weltwirtschaftsgeschehen<br />

lagen Sie in<br />

der Vergangenheit relativ selten<br />

daneben. Schauen wir einmal in<br />

die Glaskugel: Was bringt 2016?<br />

Die Leute fragen mich ständig, ob wieder<br />

eine neue Krise wie 2008 ausbricht.<br />

Wird es wieder einen Kollaps geben?<br />

Ich glaube, so schlimm wie 2008 wird’s<br />

nicht. Aber wir registrieren eine große<br />

Marktvolatilität. Für eine große Finanzkrise<br />

müsste China allerdings komplett<br />

kollabieren. Und das wird nicht geschehen.<br />

Aber ich rechne mit einer harten<br />

Landung. Das heißt im Falle Chinas,<br />

dass das Wachstum auf fünf Prozent<br />

sinken wird. Aber wir sprechen hier<br />

nicht von null Prozent. Also erst einmal<br />

besteht kein Grund zur Panik.<br />

B Aber?<br />

Der Markt braucht eine Korrektur. Die<br />

Kurse werden um zehn, vielleicht sogar<br />

um 20 Prozent fallen. Davon wird<br />

sich der Markt auch absehbar nicht<br />

erholen. Aber er wird sich auf dem Level<br />

stabilisieren. Das Problem ist nur,<br />

dass wir im Moment in vielen Schwierigkeiten<br />

stecken: Währungs-, Aktien-<br />

und Wirtschaftsprobleme in China.<br />

Auch in den USA verlangsamt sich das<br />

Wirtschaftswachstum signifikant. Die<br />

geopolitische Lage im Nahen Osten<br />

wird immer gefährlicher. Das müssen<br />

wir auch alles aushalten. Außerdem:<br />

Der Ölpreis ist kollabiert.<br />

B<br />

Der niedrige Ölpreis wirkt wie<br />

ein Konjunkturprogramm.<br />

Das stimmt. Aber davon profitieren<br />

nicht alle Marktteilnehmer. Alle Öl-Exporteure<br />

bekommen Probleme. Sogar<br />

Saudi-Arabien, aber auch die USA. Die<br />

nächste Finanzkrise klopft schon an<br />

die Tür. Und Europa ist ein einziger<br />

Schlamassel. 20 Millionen Menschen<br />

sind auf der Flucht – sie klopfen an das<br />

Tor Europas. Nicht zu vergessen, dass<br />

ein großes Risiko für den Grexit oder<br />

den Brexit besteht, für den Austritt<br />

Griechenlands aus dem Euro-Verbund<br />

und Großbritanniens aus der EU.<br />

B<br />

Für wie wahrscheinlich halten Sie<br />

den sogenannten Brexit?<br />

Für sehr wahrscheinlich. Aus vier<br />

Gründen. Erstens: die Flüchtlingskrise.<br />

Die Briten sagen, dass sie in diesem<br />

verrückten Europa nicht mehr mitmachen<br />

wollen. Die wollen ja nicht einmal<br />

polnische Klempner in ihrem Land.<br />

Zweitens: die Gefahr des Terrorismus.<br />

Die Briten wollen ihre Insel abschotten.<br />

Drittens: Die Labour-Partei ist sehr<br />

euro skeptisch geworden. Vier: Der konservative<br />

Premier David Cameron hat<br />

Forderungen an die EU gestellt, die die<br />

EU kaum erfüllen wird. Ich erwarte<br />

eine große Konfrontation. Falls es also<br />

ein Referendum geben wird, wird ein<br />

Brexit sehr, sehr wahrscheinlich sein.<br />

B<br />

Was schlagen Sie zur Lösung der<br />

Flüchtlingskrise vor?<br />

Es gibt keine einfache Lösung. Die<br />

Deutschen können nicht noch weitere<br />

Flüchtlinge aufnehmen. Das würde<br />

die rechten Parteien zu sehr stärken.<br />

Allerdings wäre eine Schließung der<br />

Grenzen das Ende von Schengen. Es<br />

wäre der komplette Zusammenbruch<br />

Europas. Was passieren muss, ist, dass<br />

die Flüchtlinge in der Türkei bleiben.<br />

Die Türkei muss darum mehr Geld<br />

bekommen. Außerdem muss die griechische<br />

Seeflotte unterstützt werden.<br />

Die Griechen haben hier zu wenig Hilfe<br />

von der EU.<br />

Diskussionsrunden zum Mittag,<br />

Empfänge (sehr exklusiv ist<br />

etwa der von der Elite-Uni<br />

Harvard) und Gespräche rund<br />

um die Uhr – ein WEF-Teilnehmer<br />

schon völlig erschöpft.<br />

79<br />

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PRIVAT<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

Die Aufgabe der Kunst<br />

BOROS<br />

besteht darin,<br />

Türen zu öffnen,<br />

wo sie keiner sieht.<br />

80<br />

Peter Weibel<br />

81<br />

CHARLES-ÉDOUARD BOUÉE,<br />

Vorstandsvorsitzender der<br />

Unternehmensberatung Roland Berger.<br />

JOHN CRYAN (55),<br />

Nachfolger von Anshu Jain<br />

und Ko-Vorstandsvorsitzender<br />

der Deutschen Bank.<br />

B Herr Cryan, dies war Ihr erster<br />

Besuch als Deutsche-Bank-Chef,<br />

oder?<br />

Ja, das ist richtig. Ich hatte unglaublich<br />

viele Termine. Es war viel zu tun – aber<br />

sehr positiv. Ich hatte viele großartige<br />

Treffen.<br />

B<br />

Dabei läuft es ja für die Deutsche<br />

Bank zurzeit nicht ganz so gut …<br />

Ja, wir waren oft in den Medien in der<br />

letzten Zeit. Aber ich sehe das positiv.<br />

Meine Message ist: Wir sind optimistisch.<br />

Wir machen tolle Fortschritte.<br />

Wir werden stark aus der Krise gehen.<br />

EU-Kommissar Günther Oettinger<br />

plädiert für eine einheitliche<br />

europäische Digitalwirtschaft – und<br />

ein ebensolches Asylrecht.<br />

B Herr Bouée, wie ist die Stimmung<br />

unter den Forumsteilnehmern?<br />

Ich habe unglaublich viele Unternehmer<br />

und Manager getroffen. Alle sind<br />

sehr besorgt.<br />

B Worüber?<br />

Der Ölpreis und die Depression, in der<br />

wir uns deshalb befinden. Und natürlich<br />

über die Flüchtlingskrise.<br />

B Und Sie selbst – was sagen Sie?<br />

Wir müssen die Menschen so schnell<br />

es geht integrieren. Und wir müssen<br />

die Zuwanderung begrenzen. Sofort.<br />

Sonst wird Deutschland das nicht<br />

schaffen.<br />

B<br />

Integration und Begrenzung. Ist<br />

das die Lösung?<br />

Nicht wirklich. Alles ist schon zu weit<br />

fortgeschritten. Es gibt keine Lösung<br />

mehr.<br />

EIN KUNSTMAGAZIN<br />

BLAU erscheint monatlich<br />

in der WELT und im ausgewählten<br />

Zeitschriftenhandel<br />

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PRIVAT<br />

DER LEIBARZT ALS LOTSE<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

Geschäftstüchtige Ärzte haben mal wieder eine neue Einnahmequelle<br />

entdeckt, diesmal die sogenannte Lifestyle-Medizin: Coaching bis zum Exitus.<br />

Text / MICHAEL GATERMANN<br />

82<br />

Möhren sind gesund, Laufen ist gut für<br />

dich, Stress und Strapaze aber sind des<br />

Teufels. Schon klar, aber auch nicht<br />

immer wahr: hängt alles auch vom<br />

Stoffwechsel ab.<br />

Die einen können Karotten nicht<br />

ordnungs- und vorschriftsgemäß abbauen<br />

– ein hoher Blutzuckerspiegel,<br />

Unwohlsein und gewisse Indispositionen<br />

sind die Folge. Die anderen laufen<br />

und laufen und laufen – und verbessern<br />

weder Form noch Verfassung, ja,<br />

nicht einmal ihr Aussehen. Und dass<br />

beruflicher oder privater Ärger den<br />

einen fertigmacht, den anderen aber<br />

aufputscht wie Doping, ist auch keine<br />

Neuentdeckung. Wie das Leben überhaupt<br />

nichts Neues ist.<br />

Damit man künftig aber rechtzeitig<br />

erfährt, was einem wirklich guttut,<br />

und damit die Ärzte ein wenig dazuverdienen,<br />

haben sie ein passendes<br />

Geschäftsmodell erfunden: „Lifestyle-<br />

Medizin“ nennen sie ihr Angebot, das<br />

natürlich aus Kalifornien stammt und<br />

mit der Hinwendung zum Quantified<br />

Self zusammenhängt, hierzulande als<br />

Selbstoptimierung en vogue.<br />

Sogenannte Health Consultants reisen<br />

bereits mit dem entsprechenden<br />

Vokabular durchs Land und predigen<br />

in Betrieben und Beratungsfirmen über<br />

Mood Tracking, Health Score und natürlich<br />

Digitalization; immer mehr Kliniken<br />

und Ärzte bieten Rund-um-sorglos-Pakete<br />

für die Gesundheit an, stellen<br />

Ist-Analysen an, erheben Risiken<br />

und entwickeln Programme zur Verbesserung<br />

von Wohlbefinden und -behagen.<br />

Selbstverständlich bleibt auch<br />

das geistige Gleichgewicht nicht von<br />

einer Einbeziehung verschont. Denn<br />

man denkt ganzheitlich.<br />

All das ist nicht neu. Wohl aber die angeschlossene<br />

Dauerbetreuung durch<br />

regelmäßige Besuche beim Vertrauensarzt,<br />

der seinen Patienten oder besser:<br />

Kunden durchs Leben manövrieren<br />

und im Fall der Fälle immer die Adresse<br />

des richtigen Spezialisten parat hält.<br />

Kurz, der Leibarzt als Lebenslotse.<br />

„Er muss etwas von Endokrinologie,<br />

der Lehre von den Hormonen,<br />

sowie von Genetik verstehen und außerdem<br />

breite Kenntnis der Medizin<br />

haben“, sagt Thomas Wendel (43), der<br />

in München eine Praxis für Lifestyle-<br />

Medizin betreibt.<br />

Zu seiner Kundschaft zählen Manager<br />

wie Johannes Huth (55), Europachef<br />

der Beteiligungsfirma KKR,<br />

und Alexander Dibelius (56), ehedem<br />

Deutschland-Chef von Goldman Sachs<br />

und heute des Fi nan zin ves tors CVC.<br />

Der geschäftstüchtige Wendel bietet<br />

einen sogenannten „Premium-Sensor“<br />

an, einen Test, der die Untersuchung<br />

von über 90 Gen-Variationen<br />

umfasst und eine Risikoeinschätzung<br />

für Brust- oder Prostatakrebs, Diabetes,<br />

Bluthochdruck oder die alters bedingte<br />

Makula-Degeneration des Auges liefert<br />

und dergleichen mehr. Kosten für den<br />

Selbstvermesser: um die 1.000 Euro.<br />

Für weniger als die Hälfte ist der<br />

„Nutrition-Sensor“ zu haben, der die<br />

genetische Disposition im Hinblick<br />

auf mehr als 1.000 Nahrungsmittel<br />

untersucht, den persönlichen Bedarf<br />

an Vitaminen und Mineralstoffen ermittelt<br />

und ähnliche Unbedingtheiten<br />

mehr. Außer der Rechnung erhält der<br />

zahlungskräftige Klient einen feinen<br />

Ernährungsplan.<br />

Fortan arbeiten Arzt und Kunde<br />

nur an einem Ziel: dass der Kunde lebendig<br />

bleibt, zumindest, bis er stirbt,<br />

jedenfalls so lange wie möglich. „In<br />

den USA ist Super Aging ein großes<br />

Thema“, sagt Lifestyle-Arzt Wendel.<br />

„Ziel ist es, auch jenseits der 80 Jahre<br />

noch vital und selbstständig zu leben.“<br />

Aus den vielen Gesundheitsdaten<br />

des Patienten „müssen sie so etwas<br />

wie eine Wetterkarte herstellen, die<br />

Ergebnisse vermitteln und dann als<br />

Coach das Befolgen der Ratschläge<br />

sicherstellen“, sagt Wendels Geschäftspartner<br />

Nicolas Zech (42), der<br />

im Hauptberuf eine Fruchtbarkeitsklinik<br />

in Bregenz mitunterhält.<br />

Auch Kliniken haben das lukrative<br />

Betreuungsgeschäft für sich entdeckt.<br />

Vorsorgezentren wie Beltz Medical in<br />

Ulm und Hamburg (Fleetinsel) erweitern<br />

ihr Diagnose-Sortiment derzeit<br />

um Coaching-Angebote, desgleichen<br />

die Helios-Hospitäler.<br />

Am weitesten gediehen sind die<br />

Dinge bei Bernard große Broermann<br />

(72, s. Interview Seite 85). Der Eigentümer<br />

der Asklepios-Kliniken tritt nun<br />

erstmals mit seinem eigenen Namen in<br />

Erscheinung: Die Marke „Broermann<br />

Health“ bietet Komplettbetreuung.<br />

Vor einem halben Jahr hat der<br />

Gesundheitskaufmann seinen ersten<br />

Stützpunkt in Hamburg eröffnet, und<br />

zwar in der Asklepios-Klinik im Stadtteil<br />

St. Georg: edle Hölzer, edle Sessel,<br />

edles Hochgeschwindigkeits-Internet<br />

– und das ohne Desinfektions- und<br />

Äthergeruch.<br />

Nichts soll hier an Krankenhaus<br />

und Krankheit, sondern möglichst<br />

an Kempinski erinnern. Kürzlich hat<br />

Broermann eine zweite Niederlassung<br />

auf Sylt eingeweiht, weitere sollen in<br />

allen deutschen Großstädten folgen.<br />

83<br />

Das ist endlich einmal ein gesundes Eis: Möhren und Erbsen am Stiel. Nun ja, jedem<br />

das Seine. Man muss aber auch nicht übertreiben. Manchmal tut’s schon ein Leibarzt.<br />

FOTO: GETTY<br />

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PRIVAT<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

84<br />

BEGLEIT-ÄRZTE<br />

Diese Kliniken bieten<br />

Medizin-Coaching an.<br />

BROERMANN HEALTH<br />

Umfassendes Betreuungsangebot<br />

www.broermannhealth.com<br />

CORPORATE HEALTH<br />

Check-ups und laufende<br />

medizinische Betreuung.<br />

www.corporatehealth-ag.com/<br />

zentrum-check-up<br />

EUROPEAN PREVENTION CENTER<br />

Lifestyle Coaching mit gutem<br />

Rat und Betreuung in Sachen Ernährung,<br />

Bewegung, Entspannung.<br />

www.epc-checkup.de<br />

FLEETINSEL-KLINIK<br />

Nach der Diagnose gibt’s eine persönliche<br />

Begleitung für die Gesunderhaltung<br />

von Körper (Ernährung,<br />

Fitness) und Geist.<br />

www.diagnostik-zentrum.de<br />

HELIOS PREVENTION CENTER<br />

Hier kann man einzelne Betruungsbereiche<br />

buchen: Ernährung,<br />

Bewegung oder Balance.<br />

www.helios-preventioncenter.de<br />

VIVANTES PREVENTION CENTER<br />

Gesundheits-Coaching,<br />

Stressmanagement,<br />

Ernährungs- und Schönheitsberatung,<br />

persönliche Trainer.<br />

www.vivantes.de<br />

Und noch ein Angebot, das sich<br />

direkt an Unternehmen wendet:<br />

WIR FÜR GESUNDHEIT<br />

Das Gemeinschaftsunternehmen<br />

der Klinikketten Asklepios,<br />

Helios und Rhön bietet Firmenmitarbeitern<br />

Policen an, die deren<br />

Gesundheitsberatung und im<br />

Ernstfall Klinikaufenthalte wie bei<br />

Privatpatienten sichert.<br />

www.wir-fuer-gesundheit.de P<br />

Kunden werden auf Herz und Nieren<br />

geprüft, wie man früher zu sagen<br />

pflegte. Heute sind darunter zu verstehen:<br />

Laboranalysen von Harn und<br />

Blut, Sonografie von Organen und<br />

Gefäßen, Magnetresonanztomografie<br />

des Kopfes, Echokardiografie des<br />

Herzens, Lungenfunktionstests und<br />

bei Bedarf noch tausend andere Bespiegelungen<br />

und Inspektionen.<br />

„Der Kunde soll wissen, wie es<br />

steht und welche Konsequenzen<br />

zu ziehen sind“, sagt Michael Ehnert<br />

(52), der leitende Arzt des Programms,<br />

und verspricht, sich dabei<br />

deutlich auszudrücken: „Wir sprechen<br />

deutsch, Ärzte-Latein liegt uns<br />

nicht.“ Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse<br />

stellt auch Ehnert<br />

ein Aktionsprogramm zusammen für<br />

Ernährung, Bewegung, Schlaf, Vitamine<br />

und Mineralstoffe. Und auch<br />

ihm geht es danach um Beistand und<br />

Betreuung: „Wir wollen eine Bindung<br />

aufbauen, das Leben begleiten – eben<br />

nach dem Leibarztprinzip.“<br />

Rund 100 Kunden haben „Broermann<br />

Health“ bislang gekauft, zwei<br />

Drittel sind Männer, die meisten<br />

zwischen 30 und 65 Jahre alt. Das<br />

Vollprogramm kostet 4.200 Euro im<br />

Jahr. Auch billigere Angebote sind<br />

erhältlich, gesetzliche und private<br />

Krankenkassen zahlen meist etwas<br />

dazu; wie viel, ist von Kasse zu Kasse<br />

verschieden und manchmal auch Verhandlungssache.<br />

„Wir wollen unsere Kunden langfristig<br />

an uns binden“, sagt Projektleiter<br />

Hajo Hessabi (46). Allen medizinischen<br />

Rat, den die Kunden brauchen,<br />

sollen sie nach Möglichkeit vom<br />

selben Arzt bekommen: „Der holt<br />

sich bei komplexen Fragen die Expertise<br />

vom Spezialisten, empfiehlt<br />

im Ernstfall auch einen Facharzt und<br />

besorgt den Termin.“<br />

Zurzeit entwickeln die Broermänner<br />

gemeinsam mit einem Hersteller<br />

von Fitness-Armbändern ein Gerät,<br />

das die Daten zu körperlicher Verfassung<br />

und Herzgesundheit regelmäßig<br />

via Internet an den „Leibarzt“ funken<br />

kann. „Der kann so die Gesundheit des<br />

Kunden viel besser im Auge behalten<br />

und sich melden, wenn er Unregelmäßigkeiten<br />

registriert“, sagt Hessabi.<br />

Das Datengeschäft ist ein Multimilliardenmarkt.<br />

Pharmaunternehmen,<br />

Versicherungskonzerne und<br />

IT-Multis haben den Medizindaten-<br />

Verkehr als lukratives Zukunftsgeschäft<br />

iden ti fi ziert. Siemens verknüpft<br />

weltweit seine Computertomografen<br />

und Röntgengeräte, um<br />

bislang un ge nutz te Dia gno sedaten<br />

zusammenzuführen; Goo gle und<br />

Apple stecken Abermilliar den ins<br />

Health-Gewerbe, IBM und SAP haben<br />

ihre ultraschnellen Datenverarbeitungssysteme<br />

„Wat son“ und<br />

„Ha na“ auf Klinikdaten und Krebs -<br />

re gis ter abgerichtet, um Befunde und<br />

Behandlungen zu verbessern. Über<br />

100.000 Ge sund heitsanwendungen<br />

stehen inzwischen weltweit zum<br />

Herunterladen bereit.<br />

Bernard große Broermann verkörpert<br />

die wandelnde Werbung für<br />

das Super Aging. Er dauerläuft fast<br />

jeden Tag, achtet natürlich auf eine<br />

gesunde Ernährung und trinkt wenig<br />

Alkohol. Er steht hinter seinem Programm:<br />

„Ich selbst war die erste Testperson<br />

und nehme selbstverständlich<br />

daran teil.“<br />

P<br />

AUCH DIE SEELE IM BLICK<br />

Asklepios-Gründer Bernard große Broermann über<br />

sein medizinisches Coaching-Programm.<br />

B Herr Broermann, wie sind Sie<br />

auf die Idee zum Coaching-<br />

Angebot „Broermann Health“<br />

gekommen?<br />

Mein ursprüngliches Berufsziel war<br />

die Entwicklung von Medikamenten,<br />

die eine Krankheit heilen können<br />

und nicht nur Symptome lindern.<br />

Auf einer US-Reise entdeckte ich<br />

ein Buch über den Zusammenhang<br />

zwischen Ernährung und späterer<br />

Erkrankung. Beim Lesen wurde mir<br />

erstmals sehr deutlich bewusst, dass<br />

die Prävention eigentlich die wirksamste<br />

kausale Behandlung ist. Ich<br />

bin fest davon überzeugt, dass jeder<br />

Mensch sein Gesundheitsschicksal<br />

zu einem guten Teil selbst bestimmen<br />

kann. Hier setzt „Broermann<br />

Health“ an: Es bietet die sinnvolle<br />

Verbindung von medizinischem<br />

Check-up, Training und einem persönlichen<br />

Gesundheitsarzt. Dazu<br />

kommt ein individuell ausgearbeiteter<br />

Präventionsplan und die intensive<br />

Begleitung des Teilnehmers.<br />

B Mit welchen Teilnehmerzahlen<br />

rechnen Sie?<br />

Wir registrieren bereits jetzt eine<br />

gute Nachfrage von Unternehmen,<br />

die das Angebot insbesondere für<br />

ihr Topmanagement nutzen. Das<br />

Nachfragepotenzial wurde bislang ja<br />

durch kein qualitativ hochwertiges<br />

Angebot befriedigt, weil es häufig<br />

nur um Teilaspekte ging und nicht<br />

wie bei uns um nachhaltige Gesunderhaltung.<br />

B<br />

An welche Zielgruppen richtet<br />

sich das Angebot?<br />

Im Grunde an alle gesundheitsbewussten<br />

Menschen. Unsere Kunden<br />

sind heute zwischen 30 und 80 Jahre<br />

alt. Wir verfügen heute über das<br />

Wissen, um das Risiko zahlreicher<br />

Krankheiten deutlich zu senken.<br />

Dennoch kennen viele Menschen<br />

weder ihr individuelles Krankheitsrisiko,<br />

noch verfügen sie über die<br />

Kenntnisse zur richtigen Vorbeugung<br />

der drohenden Krankheiten.<br />

Da setzen wir an.<br />

B<br />

Stichwort Ernährung und Bewegung:<br />

Da fehlt es den meisten<br />

Menschen ja nicht am Wissen,<br />

sondern an der Disziplin. Wie<br />

wirkt der begleitende Arzt auf<br />

seinen Patienten ein?<br />

Der Präventionsarzt hält regelmäßigen<br />

Kontakt mit dem Teilnehmer<br />

und kontrolliert, ob er seine Ziele<br />

erreicht. Gegebenenfalls werden<br />

die Ziele angepasst. Wichtig ist außerdem,<br />

dass die Ziele so definiert<br />

werden, dass sie den Patienten nicht<br />

demotivieren. Wer gern Schokolade<br />

isst, der muss nicht komplett darauf<br />

verzichten. Gesundes Verhalten soll<br />

auch genussvoll sein.<br />

B<br />

Bekommen die begleitenden<br />

Mediziner auch ein spezielles<br />

Training?<br />

Wir setzen ausgewählte Mediziner<br />

überwiegend mit internistischem<br />

und kardiologischem Schwerpunkt<br />

ein. Auch sportmedizinisches Wissen<br />

gehört dazu. Alle Coaches sind<br />

mit der Philosophie von „Broermann<br />

Health“ vertraut und legen Wert auf<br />

eine ganzheitliche Betrachtungsweise.<br />

Unsere Spezialisten halten stets<br />

die seelischen Befindlichkeiten des<br />

Menschen im Blick.<br />

BERNARD GROSSE<br />

BROERMANN<br />

Der Multimilliardär setzt auf das<br />

Geschäft mit der Gesundheit.<br />

P<br />

85<br />

Yoga, Gehen, Traben oder Galoppieren? Per DNA-Analyse will der Arzt<br />

feststellen können, welches Training dem Patienten am meisten nützt.<br />

FOTO: GETTY<br />

FOTO: PICTURE ALLIANCE<br />

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PRIVAT<br />

BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />

DÜSSELDORF, BERLIN, DUISBURG – FRANKFURT<br />

Welche Schauen der kunstsinnige Geschäftsmensch in diesem Frühjahr besuchen sollte:<br />

Burri, Shore, Leeson, Lüpertz, de Chirico. Und die italienischen Manieristen!<br />

86<br />

Das neue Jahr beginnt mit guten Vorsätzen,<br />

einer davon sollte selbstverständlich<br />

sein, noch mehr Kunstausstellungen<br />

zu besuchen. Und die Auswahl<br />

ist hierzulande groß genug – ja,<br />

bei rund 10.000 im Jahr verliert man<br />

rasch den Überblick. Hilfreich ist ein<br />

erster Merkzettel, damit bereits in den<br />

ersten drei Monaten die eine oder andere<br />

Geschäftsreise mit einem Kulturgenuss<br />

verbunden werden kann.<br />

Sollten Sie also nach Düsseldorf<br />

kommen, so ist die dortige Alberto-Burri-Ausstellung<br />

im K21 (5. März bis 3. Juli)<br />

ein Muss: Der italienische Avantgardist<br />

(1915 – 1995) war einer der großen<br />

Neuerer der Nachkriegsmalerei. Eine<br />

„Me ta pher von der Ver wun dung der<br />

Welt“ glaubte der Kunstkritiker Werner<br />

Haft mann in den Werken zu erkennen,<br />

die Burri aus einfachen und abgewetzten<br />

Materialien zusammenstellte:<br />

Verschlissene Sack lein wand, mit derben<br />

Sti chen ver näht, spannt sich wie<br />

ein Netz über Flä chen, Teer- und<br />

Brandflecken setz en sinistre Ak zentuierungen,<br />

und wenn „rote Farbe wie<br />

Blut aus dem Bild leib“ rinnt, stei gert<br />

dies nur die „tragische Evokationskraft<br />

verrottender Abfälle“ (Haftmann).<br />

In New York wurde die Ausstellung<br />

im Guggenheim Museum gefeiert, in<br />

Deutschland sollte man sie nicht verpassen.<br />

Zumal dann, wenn Sie schon<br />

immer wissen wollten, was die Modeunternehmerin<br />

Miuccia Prada so sammelt<br />

und was am Kunstmarkt zuletzt<br />

für Furore gesorgt hat.<br />

In der Hauptstadt lohnt sich ein<br />

Besuch des C/O Berlin: Es ist das interessanteste<br />

Ausstellungshaus für Fotografie<br />

im Land und ein gelungenes<br />

Beispiel bürgerlichen Engagements<br />

und beeindruckenden Kulturmanagements<br />

in der sonst so umfassend von<br />

der öffentlichen Hand getragenen Kulturlandschaft<br />

Berlins.<br />

HOLLEINS KUNSTWELT<br />

Ab dem 6. Februar ist dort die Retrospektive<br />

des einflussreichen amerikanischen<br />

Fotografen Stephen Shore<br />

(68) zu sehen. Dieser große Pionier<br />

der Farbfotografie hat für immer unser<br />

visuelles Verständnis geprägt.<br />

Eine andere bedeutende Medienkünstlerin<br />

kann man ab Ende Februar<br />

in Duisburg entdecken, im einzigartigen<br />

Lehmbruck Museum: Lynn Hershman<br />

Leeson (74). Die Amerikanerin<br />

hat sich viel früher als andere mit dem<br />

brisanten Thema der Identität im Digitalzeitalter<br />

auseinandergesetzt.<br />

Wenn man schon einmal in Duisburg<br />

ist, dann sollte man auch unbedingt<br />

die Markus-Lüpertz-Ausstellung<br />

im Museum Küppersmühle für Moderne<br />

Kunst besuchen: Die Schau zeigt<br />

vom 11. März bis zum 29. Mai die großen<br />

Werkzyklen dieses herausragenden<br />

deutschen Malers, der bei all seiner Anerkennung,<br />

Allgegenwart und Bedeutung<br />

sowohl am Kunstmarkt als auch<br />

in der Rezeption nicht ausreichend bewertet<br />

und gewertschätzt wird.<br />

Für die Kunstgeschichte von immenser<br />

Bedeutung, für das Publikum<br />

ein großes Sehvergnügen, für den<br />

Kunstmarkt ein komplexer Fall sind<br />

die Werke von Giorgio de Chirico<br />

(1888 – 1978), die ab Mitte März in der<br />

Staatsgalerie Stuttgart zu sehen sind.<br />

Der Begründer der Metaphysischen<br />

Malerei sollte Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

nicht nur die Kunstwelt mit seinen<br />

rätselhaften Bildern erobern und<br />

die Moderne, besonders den Surrealismus,<br />

grundlegend beeinflussen. De<br />

Chirico brach darüber hinaus auch mit<br />

den Konventionen der Rezeption und<br />

des Erfolgs an sich, vollzog auf dem<br />

Höhepunkt seines Ruhms eine radikale<br />

Kehrtwendung seines Stils hin zu<br />

einer klassischeren, klassizistischen<br />

Malweise, wandte sich von den Strömungen<br />

der Avantgarde ab und malte<br />

gleichzeitig zahlreiche Kopien seiner<br />

früheren, gefeierten Werke. Damit verstörte<br />

dieser Künstler in der gesamten<br />

zweiten Hälfte seines langen Schaffens<br />

sowohl die Kritiker als auch seine<br />

Sammler. Heute werden seine Werke<br />

und das künstlerische Konzept, das er<br />

mit ihnen zum Ausdruck bringt, gänzlich<br />

neu bewertet.<br />

Keiner Neubewertung bedarf es bei<br />

dem großen Ausstellungsereignis in<br />

Frankfurt, wo ab dem 24. Februar die<br />

Kunst des italienischen Manierismus<br />

im Städel Museum Einzug hält. Erstmals<br />

überhaupt kann man in Deutschland<br />

in einer großen Überblicksausstellung<br />

die Meisterwerke von Pontormo,<br />

Bronzino, Rosso Fiorentino, Vasari<br />

und anderen bewundern. Es ist eine<br />

elegante, raffinierte, kapriziöse und<br />

extreme, bisweilen gar bizarre Kunst<br />

der italienischen Spätrenaissance –<br />

und eine spektakuläre Ausdrucksform<br />

des Glanzes, der Macht und des Kunstwillens<br />

des Florenz’ der Medici. Wenn<br />

das nicht ein anregender Abschluss<br />

für eine Geschäftsreise in die Finanzmetropole<br />

Frankfurt ist … P<br />

MAX HOLLEIN<br />

ist der berühmteste und einflussreichste<br />

Museumsdirektor des Landes<br />

und womöglich der beste Manager<br />

Frankfurts. Er hat das Städel, die Schirn<br />

Kunsthalle und das Liebieghaus<br />

zu internationaler Geltung geführt.<br />

87<br />

Lynn Hershman Leeson als<br />

„Roberta Breitmore“: Fünf Jahre lang<br />

lebte sie mit einer zweiten Identität.<br />

COURTESY OF LYNN HERSHMAN LEESON<br />

ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ<br />

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BAADERS BESTE<br />

REGISTER<br />

IMPRESSUM<br />

88<br />

STECKRÜBEN WIE GUT GESCHNITTENE ANZÜGE<br />

TRÜFFELSCHWEIN<br />

Mühlenkamp 54, 22303 Hamburg<br />

www.trueffelschwein-restaurant.de<br />

Die Häuserecke in Hamburg-Winterhude,<br />

eigentlich sehr schön gelegen,<br />

hat diverse gastronomische Experimente<br />

erlebt. Warum, so dachte ich,<br />

sollte dort ausgerechnet ein Restaurant<br />

mit dem durchaus kindischen Namen<br />

„Trüffelschwein“ funktionieren? Das<br />

liegt nun gut zwei Jahre zurück. Längst<br />

bin ich vom Saulus zum Paulus geworden.<br />

Mir gefällt, was Küchenchef Kirill<br />

Kinfelt mit Gelbflossenmakrelen, Kaisergranat<br />

und Iberico-Schweinen anstellt<br />

(drei Gänge 69 Euro). Und der<br />

Instanz offenbar auch: ein Stern vom<br />

„Michelin“.<br />

POISSON<br />

Wolfsstraße 6 – 14, 50667 Köln<br />

www.poisson-restaurant.de<br />

Das „Poisson“ ist wie Köln: weder Primus<br />

noch Schöngeist – aber Liebling.<br />

Der Fisch ist frisch, das Wild ohne<br />

Blingbling zubereitet. Alles mit offener<br />

Küche, die sehr zur modernen Gemütlichkeit<br />

beiträgt. Die schönsten Plätze<br />

sind die am Fenster, die Stehtische<br />

mitten im Raum entbehrlich. Ach ja,<br />

das „Poisson“ ist kein Discounter: Die<br />

Fischsuppe kostet 18, das Mittelstück<br />

vom Kabeljau 36 Euro.<br />

Fünf saubere Empfehlungen für den Reinigungsmonat.<br />

TAFELSPITZ MIT<br />

MEERRETTICHSAUCE UND<br />

BOUILLONGEMÜSE<br />

Mein Rezept mit Einkaufsliste<br />

und Anleitung<br />

finden Sie auf www.bilanz.de<br />

Kaiser Franz Joseph soll ihn fast jeden<br />

Mittag gegessen haben: den Tafelspitz,<br />

das Nationalgericht Österreichs. Nur<br />

wenige Fleischspeisen sind so bekömmlich,<br />

kalorienarm und dabei<br />

so wohlschmeckend. Und kaum eine<br />

ist so robust in der Zubereitung: Ob<br />

das Fleisch nun drei, vier oder fünf<br />

Stunden vor sich hinköchelt, ist – bei<br />

gleichbleibender Qualität – völlig egal.<br />

Ideal für Gäste, die um Mitternacht<br />

noch einmal Hunger bekommen.<br />

WUNDER-WAAGE<br />

Über Manufactum,<br />

www.manufactum.de<br />

Köche sind dick. Denkste! Die meisten<br />

sind dünn, manche sogar athletisch,<br />

zumindest aber normalgewichtig.<br />

Die Mehrheit der Feinschmecker und<br />

Foodies zieht gleich. Man möchte gut<br />

und gerne essen, aber auf keinen Fall<br />

zulegen: Gerade jetzt, nach all den<br />

Schwelge- und Fressereien. Da hilft nur<br />

Kontrolle. Mit der klassischen Wunder-Waage<br />

aus Italien. Garantiert ohne<br />

Big Data und Chipcard. Aber aus Aluminiumguss<br />

und mit präziser Wiegemechanik.<br />

Preis? Den Gegenwert eines<br />

Drei-Sterne-Menüs für zwei Personen.<br />

STECKRÜBENEINTOPF<br />

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„Was ist das?“, fragte mich die junge<br />

Frau an der Kasse, als ich ihr die Steckrübe<br />

aufs Band schob: „Sellerie?“ Inzwischen<br />

sind Steckrübengerichte so<br />

häufig wie Männer in gut geschnittenen<br />

Anzügen. Sehr schade. Denn gekocht<br />

oder gedünstet, entwickelt das<br />

Wintergemüse ein feines, süßliches<br />

Aroma, das – zumal in Verbindung mit<br />

Kümmel – zum Besten gehört, was die<br />

Gemüseküche zu bieten hat. P<br />

FRED BAADER<br />

war mit seiner Agentur Baader Lang<br />

Behnken einer der Großen<br />

in der deutschen Werbewirtschaft.<br />

2013 veröffentlichte der Hamburger<br />

Genussmensch sein erstes Kochbuch.<br />

A<br />

ACHLEITNER,<br />

ANN-KRISTIN 14<br />

Adidas 9<br />

ALLMENDINGER, JUTTA 15<br />

Audi 8<br />

AUSCHEL, ROLAND 9<br />

B BAGEL-TRAH, SIMONE 90<br />

BARTELS, LUDGER 10<br />

BAZILEVSKAYA, KATYA 57<br />

BECKENBAUER, FRANZ 49<br />

BENIOFF, MARC 23<br />

BIERHOFF, OLIVER 51<br />

Bitburger Holding 45<br />

BLUME, OLIVER 34<br />

BOCH, ALEXANDER 57<br />

BOUÉE,<br />

CHARLES-ÉDOUARD 80<br />

BRAUN, EGIDIUS 50<br />

BROERMANN,<br />

BERNARD GR. 83, 85<br />

Broermann Health 83<br />

BRUCHHAGEN,<br />

HERIBERT 48<br />

BÜLOW, SIEGFRIED 36<br />

BUSCH, ROLAND 53<br />

C CAMERON, DAVID 78<br />

Capri Sun Holding 30<br />

CD-Adapco 53<br />

CROMME, GERHARD 52<br />

CRYAN, JOHN 80<br />

D DAVIES, LISA 53<br />

Deutsche Bank 14, 80<br />

DFB 46<br />

DFL 48<br />

DIBELIUS, ALEXANDER 83<br />

DIESS, HERBERT 36, 71<br />

Dresser-Rand 53, 75<br />

Dürr Dental 44<br />

DÜRRSTEIN, MARTIN 45<br />

DUFFNER, GEORG 10<br />

DUNLOP, SIMON 57<br />

DUROW, PAWEL 60<br />

E EIGENDORF, JÖRG 15<br />

ERSEK, HIKMET 77<br />

Etraveli 64<br />

F Faraday Future 68<br />

Fast Retailing 40<br />

Foodpanda 67<br />

FRIDERICHS, HANS 54<br />

FRIEDL, CHRISTIAN 37<br />

G General Motors 72<br />

Goldman Sachs 10<br />

GRINDEL, REINHARD 48<br />

GROSSMANN, JÜRGEN 76<br />

H HAINER, HERBERT 9<br />

HANS, STEFAN 50<br />

HEIZMANN, JOCHEM 37<br />

HELMRICH, KLAUS 53<br />

Henkel 90<br />

HENZLER, HERBERT 15<br />

HERRMANN,<br />

WOLFGANG 15<br />

HOEFLE, MANFRED 53<br />

HOPP, DIETMAR 18<br />

H&M 38<br />

HÜCK, UWE 36<br />

HUTH, JOHANNES 83<br />

I Infosys 23<br />

J JIA YUETING 72<br />

JOUSSEN, FRIEDRICH 12<br />

K KAGERMANN, HENNING 15<br />

KAISIG, CARSTEN 33<br />

KÄSER, JOSEF 10, 52, 75<br />

KÄSER, NATALIE 10<br />

KAWANO, SHO 43<br />

KENGETER, CARSTEN 79<br />

KIM, RICHARD 70<br />

KINFELT, KIRILL 88<br />

KLEINFELD, KLAUS 53, 75<br />

KOCH, KLAUS-DIETER 42<br />

KOCH, RAINER 48<br />

KUGEL, JANINA 53<br />

L LAHNSTEIN, MANFRED 54<br />

LEIBINGER-KAMMÜLLER,<br />

NICOLE 53<br />

LINDNER, CHRISTIAN 53<br />

Look at Media 58<br />

LÖSCHER, PETER 53<br />

LÖW, JOGI 51<br />

LÜPERTZ, MARKUS 87<br />

Lyft 72<br />

M McDERMOTT, BILL 17<br />

MEDWEDEW, DIMITRIJ 58<br />

MERKEL, ANGELA 75, 77<br />

MÜLLER, MATTHIAS 36<br />

MUSK, ELON 70<br />

N NIDA-RÜMELIN, JULIAN 26<br />

NIERSBACH, WOLFGANG 47<br />

NIEWODNICZANSKI,<br />

MATTHÄUS 45<br />

O OETTINGER, GÜNTHER 80<br />

P PLATTNER, HASSO 17<br />

Poisson 88<br />

Porsche 34<br />

PÖTSCH, HANS DIETER 36<br />

PRADA, MIUCCIA 87<br />

Pro Sieben Sat 1 64<br />

PUTIN, WLADIMIR 58<br />

R REITHOFER, NORBERT 52<br />

RORSTEDT, KASPER 9, 90<br />

ROTHMUND, KARL 49<br />

ROUBINI, NOURIEL 78<br />

RUSSWURM, SIEGFRIED 53<br />

S Salesforce 19, 23<br />

SAMPSON, NICK 70<br />

SAMWER, OLIVER 59<br />

SANDROCK, HELMUT 50<br />

SAP 16<br />

SATTELBERGER,<br />

THOMAS 27<br />

SCHINDLER, PHILIPP 15<br />

SCHOLZ, OLAF 55<br />

SCHMADTKE, JÖRG 50<br />

SCHMIDT, HELMUT 55<br />

SCHNEIDER, MANFRED 15<br />

SEIFERT, CHRISTIAN 48<br />

SEIFERT, WERNER G. 15<br />

SHORE, STEPHEN 87<br />

Siemens 52<br />

SIKKA, VISHAL 18<br />

SNABE, JIM 18, 53<br />

SPACEY, KEVIN 75<br />

STADLER, RUPERT 76<br />

STÄDTER,<br />

UWE-KARSTEN 37<br />

Steckrüben 88<br />

T Tafelspitz 88<br />

The Village 59<br />

THIEL, PETER 67<br />

THOMAS, RALF P. 53<br />

Trüffelschwein 88<br />

Tui 12<br />

U Uber 72<br />

Uniqlo 38<br />

V VAN BYLEN, HANS 90<br />

Volkswagen 34<br />

W WEENING, ROBERT 33<br />

WEGNER, CHRISTIAN 64<br />

WENDEL, THOMAS 83<br />

WENZEL, RALF 67<br />

WIEDEKING, WENDELIN 34<br />

WILD, CHRISTOPH 30<br />

WILD, HANS-PETER 29<br />

WILD, RAINER 31<br />

WILD, ROBERT 30<br />

WINTERKORN, MARTIN 36<br />

Y YANAI, TADASHI 38<br />

Yidao Yongche 72<br />

Z Zara 38<br />

ZECH, NICOLAS 83<br />

ZENNSTRÖM, NIKLAS 75<br />

Zero 1 70<br />

ZETSCHE, DIETER 71<br />

ZU SOLMS-WILDENFELS,<br />

CARL-PHILIPP GRAF 51<br />

ZWANZIGER, THEO 49<br />

BILANZ Deutschland<br />

Wirtschaftsmagazin GmbH,<br />

Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg<br />

Tel.: (040) 347 234 47<br />

Fax: (040) 347 234 50<br />

E-Mail: redaktion@bilanz.de<br />

Herausgeber: DR. ARNO BALZER<br />

Chefredakteur: KLAUS BOLDT (v.i.S.d.P.)<br />

Chef vom Dienst: JOACHIM TRÖSTER<br />

Artdirektion: KATJA KOLLMANN<br />

Chefreporter: VOLKER TER HASEBORG<br />

Redaktion: SOPHIE CROCOLL,<br />

STEPHAN KNIEPS, MELANIE LOOS,<br />

DR. ANNETTE PAWLU,<br />

MARK C. SCHNEIDER<br />

Bildredaktion: ULRICH MAHN<br />

Autoren: FRED BAADER,<br />

THOMAS DELEKAT, MAX HOLLEIN,<br />

DR. WOLFGANG KADEN,<br />

JÜRGEN SCHÖNSTEIN, PHILIPP SELLDORF,<br />

JAN VOLLMER, SIBYLLE ZEHLE,<br />

BERND ZIESEMER<br />

Freie Mitarbeit: JASMIN DOEHL,<br />

RONNY GALCZYNSKI, MICHAEL<br />

GATERMANN, NIKOLAS KAMKE,<br />

PHILLIP KORTLANG, LEA SOPHIA WILKE<br />

Beratung Fotografie und Illustration:<br />

HEIDI RUSSBUELT<br />

Büroleitung: ANNETTE KLANGWALD<br />

Redaktionsassistenz: NADINE MENTZEL<br />

Geschäftsführer: JOHANNES BOEGE,<br />

DR. STEPHANIE CASPAR<br />

Gesamtanzeigenleiter:<br />

STEFAN MÖLLING<br />

Leiter Premiumvermarktung:<br />

STEPHAN MADEL<br />

Objektleitung Anzeigen BILANZ:<br />

FLORIAN REINARTZ<br />

(florian.reinartz@axelspringer.de)<br />

Herstellung: OLAF HOPF<br />

Druck: Leykam Druck GmbH & Co. KG,<br />

Neudörfl<br />

BILANZ erscheint als Beilage der WELT<br />

am ersten Freitag im Monat und danach<br />

im ausgewählten Zeitschriftenhandel.<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 3 für<br />

BILANZ Deutschland, gültig ab 1.1.2016<br />

Unsere Standards der Transparenz<br />

und der journalistischen Unabhängigkeit<br />

finden Sie unter<br />

www.axelspringer.de/unabhaengigkeit<br />

Die Rechte für die Nutzung von<br />

Artikeln für elektronische<br />

Pressespiegel erhalten Sie über die<br />

PMG Presse-Monitor GmbH, Tel.: (030)<br />

284930 oder www.pressemonitor.de<br />

Leserservice und Heftbestellungen:<br />

BILANZ – das deutsche<br />

Wirtschaftsmagazin,<br />

Leserservice, 20583 Hamburg<br />

E-Mail: kundenservice@bilanz.de<br />

Tel.: (0800) 888 66 30<br />

E-Paper erhältlich unter:<br />

www.lesershop24.de und www.ikiosk.de<br />

89<br />

FOTOS: TRÜFFELSCHWEIN, POISSON, HEINER BAYER<br />

ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ<br />

© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969


PRIVAT<br />

HANS VAN BYLEN<br />

In Kürze übernimmt der 54-jährige Belgier<br />

die Leitung der Markenfabrik Henkel.<br />

Er kennt das Haus aus dem Effeff. Denn<br />

ein anderes hat er nie von innen gesehen.<br />

BILANZGEWINNER<br />

2016<br />

Im Mai tritt der Belgier das höchste<br />

Amt im Staate Henkel (Umsatz:<br />

16,4 Milliarden Euro) an. Vorgänger<br />

Rorsted transferiert sich zu Adidas.<br />

Als der Wechsel bekannt wird, bricht<br />

der Henkel-Kurs um vier Prozent ein.<br />

Aber nicht vor Freude.<br />

90<br />

2005<br />

Endlich: Der Ehrgeizige steigt in den<br />

Olymp auf. Vorstandsressort: Kosmetik<br />

und Körperpflege („Schwarzkopf“).<br />

Es steht nicht gut um jene<br />

Sparte, man denkt über einen Verkauf<br />

nach. Doch Van Bylen greift<br />

durch, schließt jede zweite Fabrik,<br />

streicht 90 von 150 Marken und<br />

macht die Kosmetiksparte zur profitabelsten<br />

im Konzern. Ein Wunder!<br />

2001<br />

Nach einem Jahr bei Henkel-Paris<br />

kehrt Van Bylen ins Düsseldorfer<br />

Direktorium zurück. Seine Neigung:<br />

Gesichtspflege und Mundhygiene.<br />

Sein Herrschafts gebiet: West- und<br />

Südeuropa, Naher Osten, Afrika.<br />

„<br />

ER IST ERFAHREN,<br />

SOUVERÄN UND<br />

KOMPETENT, UM ES<br />

KURZ ZU FASSEN.<br />

“<br />

SIMONE BAGEL-TRAH<br />

Henkels<br />

Aufsichtsratschefin<br />

fasst sich kurz.<br />

An der Universität<br />

Antwerpen verfasst<br />

Van Bylen seine<br />

Abschlussarbeit: „De<br />

marketingaspecten<br />

inzake Franchising“<br />

(157 Seiten).<br />

1995<br />

Van Bylen steigt auf zum Vizegeschäftsführer<br />

für Kosmetik. Bravo!<br />

1984<br />

Henkel erregt Van Bylens Interesse:<br />

Er bewirbt sich als Waschmittel-Vertreter.<br />

Acht Jahre später zieht er nach<br />

Düsseldorf, wird Marketing-Direktor<br />

in der Zentrale für Körperpflege-<br />

Produkte („Fa“, „Bac“).<br />

Kollegen sagen,<br />

dass Van Bylen<br />

ver rückt nach<br />

belgischer Schokolade<br />

sei. Zum Ausgleich<br />

rennt er ein paar<br />

Mal um den Block.<br />

1979<br />

Die Universität Antwerpen nimmt<br />

ihn auf, Van Bylen widmet sich zunächst<br />

der Betriebswirtschaft, hernach<br />

dem Business Management. Nebenbei<br />

arbeitet er im Supermarkt.<br />

1961<br />

Van Bylen (sprich: Beilen) erblickt<br />

das Licht in Antwerpen-Berchem.<br />

Für den perfekten Halt<br />

testet der Chef die<br />

meisten Henkel-Haarprodukte<br />

höchstpersönlich<br />

– nur nicht<br />

jene zum Haarefärben.<br />

Van Bylen liebt die<br />

„Konkrete Malerei“<br />

des Düsseldorfer<br />

Künstlers<br />

Ulrich Erben.<br />

DAS INNOVATIVE DUSCH-WC<br />

VON VILLEROY&BOCH.<br />

Die Hightech-Version für ultimativen Nutzungskomfort. Absolute Vollausstattung mit zahlreichen, patentierten<br />

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ILLUSTRATIOWN: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER<br />

FOTOS: HENKEL, UNIVERSITEIT ANTWERPEN,<br />

GETTY, SCHWARZKOPF, ERBEN<br />

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Explorer [Ex|plo|rer ]: 1. eine Armbanduhr,<br />

1953 von Rolex vorgestellt als Hommage an die<br />

Erstbesteigung des Mount Everest 2. aus einem<br />

Stück Edelstahl 904L herausgestanzt, widersteht<br />

das Gehäuse selbst extremen Bedingungen<br />

3. <br />

vereinfachen das Ablesen der Zeit 4. die Zeiger<br />

und Stundenindizes mit Chromalight leuchten<br />

im Dunkeln nahezu doppelt so lange wie<br />

herkömmliche phosphoreszierende Masse 5. ihr<br />

Rolex Manufakturwerk mit automatischem<br />

Selbstaufzug bietet höchste Präzision und<br />

Zuverlässigkeit 6. sie steht für das unaufhaltsame<br />

<br />

7. Rolex – die Quintessenz.<br />

<br />

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