HIMMLISCHE AUSSICHT HIMMLISCHE AUSSICHT HIMMLISCHE AUSSICHT
Bilanz
Bilanz
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2016<br />
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Das deutsche Wirtschaftsmagazin<br />
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Das deutsche Wirtschaftsmagazin<br />
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<strong>HIMMLISCHE</strong> <strong>AUSSICHT</strong><br />
BILL McDERMOTT<br />
DERMOTT, SAP und der große Traum von der WOLKE<br />
/<br />
PORSCHE: Der neue Chef im Windkanal<br />
WESTWÄRTS: Warum Moskaus IT-Stars ihr Land verlassen<br />
DFB: Innenansichten eines Krisenverbands<br />
<strong>HIMMLISCHE</strong> <strong>AUSSICHT</strong><br />
BILL McDERMOTT, SAP und der große Traum von der WOLKE<br />
PREIS<br />
5,00 €<br />
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969
VORWORT<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
KEIN GRUND ZUR SORGE<br />
Für Männer, die<br />
kein GPS brauchen, um zu<br />
wissen, wo sie stehen.<br />
In Davos beim Weltwirtschaftsgipfel,<br />
liebe Leser, waren mal wieder alle sehr<br />
besorgt. Seit 2008 (Lehman Brothers,<br />
Finanzkrise) will sich niemand mehr<br />
vorwerfen lassen, nicht besorgt genug<br />
gewesen zu sein und jener Besorgnis<br />
auch Ausdruck verliehen zu haben.<br />
Uns geht’s zwar glänzend, das Wirtschaftswachstum<br />
in Deutschland erreicht<br />
bis Silvester voraussichtlich<br />
1,7 Prozent. Gewiss, angesichts des niedrigen Ölpreises sollte<br />
und könnte es im Grunde genommen etwas mehr sein. Und<br />
auch die Weltwirtschaft entwickelt sich auf erquickliche Weise.<br />
Erst vor einigen Tagen hat der Internationale Währungsfonds<br />
die Prognose erhöht und eine Entfaltung um weitere<br />
3,4 Prozent für das laufende Jahr in Aussicht gestellt. Doch<br />
die Krisenredner lassen sich davon nicht beeindrucken.<br />
Zum WEF in die Schweiz war natürlich auch Nouriel „Der-Erste-der-die-Finanzkrise-vorhersagte“<br />
Roubini eingeladen, in<br />
der Hoffnung, er habe vielleicht eine interessante frische Krise<br />
dabei. Die Konkurrenz ist ja nicht kleiner geworden, zumal für<br />
ihn. Alle sagen jetzt Krisen voraus oder behaupten, dass man<br />
sich bereits in einer oder sogar gleich<br />
mehreren von ihnen befände, weil<br />
sie ja ineinander übergehen. Manche<br />
überlappen sich schon, etwa die Euround<br />
die Griechenland-Krise, die sich<br />
inzwischen mit der Flüchtlingskrise<br />
zu vereinigen scheint. Jeder möchte<br />
natürlich eines Tages über sich lesen,<br />
dass er die Krise als Erster vorhergesagt<br />
und, um Gottes willen, nicht als<br />
Einziger übersehen habe.<br />
Ein Gegenentwurf zu alledem ist Bill McDermott, ein schräger<br />
Kerl, ein wilder Hund und hervorragender Manager. Chef von<br />
SAP. Um ihn geht es in unserer Titelgeschichte.<br />
Bei einem Unfall hat er ein Auge verloren. Er hat jetzt ein Glasauge<br />
und trägt eine Sonnenbrille. Und was sagt der Mann im<br />
BILANZ-Interview? Er sagt, dass er mit einem Auge besser sehe<br />
als mit zweien. Meint er das ernst? Und ob. Und wer weiß: Vielleicht<br />
stimmt es sogar. McDermott ist einer von denen, die sich<br />
nicht unterkriegen lassen.<br />
KLAUS BOLDT / Chefredakteur<br />
3<br />
Saxon One<br />
Es sind die Ecken und Kanten, die von wahrem Charakter zeugen.<br />
Die Saxon One mit ihrem kantigen, zeitlosen Design gibt dieser Überzeugung eine neue<br />
Gestalt: Elegant, dynamisch, eigen. Und geschaffen mit eben jener Perfektion, die das<br />
Attribut „Made in Glashütte“ zu einem Qualitätsversprechen von Weltrang gemacht hat.<br />
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ELKE STRATHMANN<br />
MARTIN RICHENHAGEN<br />
FÜR DIE GEMACHT, DIE MACHEN.<br />
„Was ist denn die Corporate Social<br />
Responsibility? In deutschen<br />
Unternehmen wird sie gefordert –<br />
und warum darf sie nicht<br />
‚Soziale Verantwortung‘ heißen?“<br />
DER PUBLIZIST UND BILANZ-BLOGGER KRITISIERT<br />
IN SEINER WÖCHENTLICHEN KOLUMNE<br />
DIE SUCHT DER MANAGER NACH ANGLIZISMEN.<br />
„Dass der neue Personalvorstand<br />
Blessing aus derselben Hütte kommt<br />
wie der vorletzte Hartz, zeigt<br />
nur die Robustheit des Algorithmus.“<br />
DIE EX-PERSONALCHEFIN VON CONTINENTAL<br />
SCHREIBT IN IHREM BEITRAG „ALLEIN UNTER<br />
MÄNNERN“ ÜBER DIE IMMER GLEICHEN RITUALE<br />
BEI DER BESETZUNG VON VW-FÜHRUNGSPOSTEN.<br />
„Ich bezweifele, dass sich ein<br />
Massenverbrechen wie das in der<br />
Silvesternacht in Köln auch in<br />
einem von Zero Tolerance geprägten<br />
Umfeld ereignet hätte.“<br />
DER CHEF DES US-LANDMASCHINENKONZERNS<br />
AGCO SCHREIBT IN SEINER KOLUMNE „MARTINS<br />
MEINUNG“ AUCH ÜBER SEINE HEIMATSTADT.<br />
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FOTOS: STUART WESTMORLAND (TITEL),<br />
ULRICH MAHN<br />
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Deutsche Bank<br />
AUS DER REDAKTION<br />
Wir unterstützen Social Start-ups<br />
Ein Moskauer Gründer hat mir<br />
eine „Virtual Reality“-Brille aufgesetzt.<br />
Ich fand es plötzlich sehr<br />
offen sichtlich, dass das die Zukunft<br />
der Unterhaltung sein muss. Aber<br />
es ist eine Sache, zu ahnen, dass die<br />
virtuelle Realität kommt oder,<br />
wie mein Interview-Partner, gleich<br />
eine Kamera dafür zu bauen und<br />
ein Filmstudio dafür zu eröffnen.<br />
Weitsichtige, clevere Leute, diese<br />
Gründer. Dass ein großer Teil von<br />
ihnen keine Zukunft in Russland<br />
sieht, spricht für sich. Ab Seite 56.<br />
Schal zu tragen war Pflicht beim<br />
Fototermin in Weissach, Sitz des<br />
Entwicklungszentrums von Porsche.<br />
Im Strom des Windkanals erkälte<br />
man sich schnell, warnten uns<br />
fürsorgliche Techniker. Das wollte<br />
ich dem neuen Chef, Oliver Blume<br />
(r.), nicht zumuten: Er wird<br />
dringend gebraucht. Ab Seite 34.<br />
Die „Sky View Suite“ des Mandalay-<br />
Bay-Casinos liegt wolkenhoch über<br />
Las Vegas. Ich war ich mit<br />
Richard Kim (r.) verabredet, dem<br />
Chefdesigner der jungen Autofirma<br />
Faraday Future, die ihren ersten<br />
Prototyp auf der Elektronikmesse<br />
vorstellte. Doch aus dem Zwiegespräch<br />
wurde nichts. Denn plötzlich<br />
kam auch Nick Sampson (l.)<br />
dazu, De-facto-Boss des mysteriösen<br />
E-Auto-Bauers. Es wurde ein langer<br />
Gedankenaustausch über das<br />
Automobil der Zukunft. Ab Seite 68.<br />
Fremde werden Freunde – unter diesem Motto wird in Berlin seit zwei Jahren<br />
gemeinsam gekocht. Immer mehr Städte greifen die Idee auf und neue Projekte<br />
entstehen. Unsere Mitarbeiter begleiten Social Start-ups wie „Über den Tellerrand“<br />
ehrenamtlich und stehen mit hohem persönlichen Einsatz zur Seite, wenn es um<br />
unternehmerische Fragen geht wie Wachstum, Finanzierung und Kommunikation.<br />
Die Bank unterstützt zudem viele Initiativen durch Spenden. So leisten wir einen<br />
wichtigen Beitrag für die Entwicklung sozialer Gründerideen in Deutschland.<br />
db.com/social-startups<br />
4<br />
JAN VOLLMER MARK C. SCHNEIDER JÜRGEN SCHÖNSTEIN<br />
INHALT<br />
N<br />
NAMEN & NACHRICHTEN<br />
8<br />
Audi wird<br />
neu programmiert.<br />
/<br />
DIE NÄCHSTE AUSGABE<br />
VON BILANZ ERSCHEINT<br />
AM 4. MÄRZ<br />
8 AUDI Die Strategie 2025: Weg vom Autobauer, hin zum Dienstleister rund<br />
um das Thema Mobilität<br />
9 ADIDAS Gemischte Gefühle: Je stärker der künftige Chef Kasper Rorsted<br />
die Kosten drückt, desto mehr verdient er<br />
9 FLÜCHTLINGSKRISE Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender von<br />
Continental, sorgt sich wie so viele andere auch um die deutsche Asylpolitik<br />
10 AUF EIN WORT Georg Duffner, Ex-Maoist und als Röchling-Chef höchst<br />
erfolgreicher Kapitalist, zieht zum Abschied Bilanz in BILANZ<br />
10 GOLDMAN SACHS Das bayerische Abitur öffnet sogar den Weg in die<br />
Hochfinanz: Nathalie Käser, Tochter des Siemens-Vorstehers Josef, heuert<br />
bei der Investmentbank an<br />
12 TUI Jetzt gibt’s Ärger: Tui-Lenker Joussen hat schon ein gutes Dutzend<br />
Manager vom Ex-Arbeitgeber Vodafone abgeworben.<br />
14 DIE WELT DER ANN-KRISTIN ACHLEITNER Klug, schön, erfolgreich<br />
(Darf man „schön“ sagen, oder ist das sexistisch?)<br />
Unser Partner:<br />
ILLUSTRATION: SUPERTOTTO<br />
www.ueberdentellerrand.org<br />
fb.com/ueberdentellerrandkochen<br />
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34<br />
Aus dem kann<br />
noch richtig was werden:<br />
Porsche-Chef Blume.<br />
U<br />
INHALT<br />
UNTERNEHMEN & MÄRKTE<br />
16 SAP Heiter und wolkig: Wie der Software-Konzern zum wertvollsten<br />
Unternehmen des Landes wurde<br />
20 INTERVIEW Auf dem Weg in die neue Welt: SAP-Chef Bill McDermott<br />
über seine Pläne und sein Verhältnis zum Gründer Hasso Plattner<br />
26 KOLUMNE Ex-„Spiegel“- und „MM“-Chefredakteur Wolfgang Kaden<br />
beklagt den Irrweg in die Akademiker-Republik<br />
28 PORTRÄT Damit die „Capri-Sonne“ nicht untergeht: Milliardär<br />
Hans-Peter Wild und seine Pläne mit der Getränkemarke<br />
34 PORSCHE Gegenwind? Bekommt der neue Porsche-Chef Oliver Blume<br />
bislang nur im Windkanal. Kann er den Job?<br />
38 UNIQLO Anders als die anderen: Wie die japanische Klamottenmarke<br />
die Konkurrenten H&M und Zara fertigmachen will<br />
44 DÜRR DENTAL Wie wird man Weltmarktführer? Aus Zufall!<br />
46 DFB Innenansicht: Verband ohne Führung und Verstand.<br />
52 SIEMENS Kontrollöre statt Ingeniöre<br />
Energie hat einen<br />
neuen Namen.<br />
www.uniper.energy<br />
6<br />
56<br />
Gutes Pflaster für<br />
Gründer: In Moskau gibt<br />
es viele IT-Talente.<br />
74<br />
Langweilig: erschöpft<br />
vom Herumgipfeln<br />
in Davos.<br />
54 WIE GEHT’S EIGENTLICH … Hans Friderichs und<br />
Manfred Lahnstein?<br />
I<br />
IDEEN & INNOVATIONEN<br />
56 EXODUS Moskau hat jede Menge großartige IT-Gründer – aber die<br />
meisten wollen nur eines: weg.<br />
64 START ME UP! Neues vom BILANZ-Gründerwettbewerb: Was Pro 7<br />
Sat 1 Start-ups zu bieten hat und was der Foodpanda in Asien lernt<br />
68 AUTO Faraday: Besuch bei der geheimnisvollen Autofirma. Bauen die<br />
Kalifornier wirklich das Auto von morgen? Die Antwort lautet ...<br />
P<br />
PRIVAT<br />
74 DAVOS BILANZ-Sonderberichterstatterin Annette Pawlu sprach mit<br />
den Mächtigen beim Weltwirtschaftsgipfel<br />
82 GESUNDHEIT Neu: Ein persönlicher Leibarzt für jeden, der<br />
4.200 Euro pro Jahr übrig hat<br />
86 KUNST Max Hollein über die Ausstellungen, die Kenner in diesem<br />
Frühjahr auf keinen Fall verpassen dürfen<br />
88 KOCHEN Fred Baaders Plädoyer für die Steckrübe<br />
90 BILANZ-GEWINNER Ehrenvoll, aber schwierig: Hans Van Bylen wird<br />
Chef von Henkel, als Nachfolger des verehrten Kasper Rorsted<br />
89 Register, Impressum<br />
FOTOS: FRITZ BECK, GULLIVER THEIS, MIKE MASONI<br />
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NAMEN / NACHRICHTEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
8<br />
AUTO-INDUSTRIE<br />
AUDI – TOTAL RADIKAL<br />
Eben noch in der Defensive, macht sich Audi-Lenker Stadler an den Befreiungsschlag.<br />
Er etabliert ein neues Geschäftsmodell – für die Branche gleicht es einer Revolution.<br />
Das vergangene Jahr wird nicht als das<br />
beste in die Audi-Chronik eingehen,<br />
und auch der erfolgsverwöhnte Unternehmenschef<br />
Rupert Stadler (52)<br />
hat mit Sicherheit schon angenehmere<br />
Monate verbracht als die vergangenen:<br />
In der Presse erhielt Konkurrent<br />
Mercedes die schmeichelhafteren Kritiken,<br />
während der alte Audi-Slogan<br />
„Vorsprung durch Technik“ zum Zwecke<br />
der Verspottung durchaus missbraucht<br />
wurde, namentlich in der Abgasaffäre<br />
des VW-Konzerns. Stadler ist<br />
nicht ganz schuldlos daran, musste er<br />
Mehr als Autos und Hardware:<br />
Audi plant neue Dienstleistungen,<br />
die Kunden künftig binden sollen.<br />
doch nach einem mutig vorgetragenen<br />
Dementi wenig später einräumen, dass<br />
auch die Motorenentwickler von Audi<br />
mit den Mitteln des unlauteren Wettbewerbs<br />
gearbeitet, das heißt: getrickst<br />
bzw. Kunden und Behörden getäuscht<br />
hatten. Stadler befand sich in akuter<br />
Gefahr, zumindest, was seinen Posten<br />
an der Audi-Spitze betraf. Doch Angriff<br />
ist die beste Verteidigung: Stadler<br />
ruft seine Kader jetzt zur Geschlossenheit<br />
und Offensive auf. Zum einen<br />
kündigt er an, jede Menge frische Modelle<br />
auf den Markt zu bringen. Neue<br />
Produkte bringen die kritische Öffentlichkeit<br />
immer schnell auf andere<br />
Gedanken.<br />
Zum anderen aber lässt er es dabei<br />
nicht bewenden, sondern sein<br />
Manage ment nach dem schnellsten<br />
Weg in die digitale Welt fahnden. Ziel:<br />
Schon 2020 soll der Konzern mit Software<br />
rund ums Autofahren und mit<br />
darauf basierenden Dienstleistun-<br />
gen rund die Hälfte der Einnahmen<br />
(Umsatz 2014: 54 Mrd. Euro) erwirtschaften.<br />
Konkurrent Daimler ist mit<br />
„Mercedes me“ schon weiter, BMW<br />
will sich von Google abgrenzen und<br />
die digitale Privatsphäre als Premiumattribut<br />
etablieren.<br />
En détail analysierte Stadlers Truppe<br />
die traurigen Schicksale von Kodak,<br />
Nokia und Sony – verfallen oder gescheitert,<br />
weil sie die Umbrüche in<br />
ihren Märkten verschliefen. Audis<br />
Welt wird von branchenfremden Unternehmen<br />
wie Apple und Google<br />
bedroht. Sogar der chinesische Handelsriese<br />
Alibaba will mitverdienen:<br />
Die Chinesen offerieren Autokredite<br />
über das Netz.<br />
In Stadlers „Strategie 2025“, die im<br />
Sommer formuliert sein soll, geht<br />
es deshalb neben dem Pflichtthema<br />
Elektromobilität vor allem darum, ein<br />
Angebot digital basierter Dienste zu<br />
entwickeln.<br />
Audi solle sich, verlangt Stadler, an den<br />
Bedürfnissen der Kunden orientieren<br />
und nicht an denen des eigenen Unternehmens<br />
mit seinen Entwicklungsund<br />
Fertigungszyklen. Konkret bedeute<br />
dies, sogenannte Apps bedienerfreundlich<br />
ins Auto zu integrieren.<br />
„Warum sollen wir denn nicht Software<br />
drahtlos verkaufen?“, fragt einer der<br />
Audi-Strategen. Die Kunden könnten<br />
beispielsweise regelmäßig neue Oberflächen-Designs<br />
für Tacho, Drehzahlmesser<br />
und all die anderen Anzeigen<br />
herunterladen.<br />
Dazu kommen neue Dienstleistungen:<br />
Audi-Fahrer, die am Flughafen parken,<br />
sollen beispielsweise während ihrer<br />
Reise ihr Auto warten lassen können:<br />
Die Werkstatt ortet das Gefährt, öffnet<br />
es per Mobilschlüssel, führt den<br />
Service durch und stellt es wieder am<br />
Flughafen ab. Zeitersparnis und Komfort<br />
als Umsatzbringer.<br />
Man sei offen für Kooperationen, heißt<br />
es in Ingolstadt: „Wir müssen nicht alles<br />
selbst erfinden, andere sind zudem<br />
vielleicht schneller.“ Audi will aber unbedingt<br />
die Schnittstelle zum Kunden<br />
bilden, mit einem eigenen Betriebssystem<br />
„My Audi“.<br />
N<br />
ADIDAS<br />
JUST DO IT<br />
Kasper Rorsted<br />
verdient so viel wie<br />
ein Bayern-Spieler.<br />
Erster Transfer von Dax- zu Dax-<br />
Konzern überhaupt: Kasper Rorsted<br />
wechselt ablösefrei zu Adidas.<br />
Die Verpflichtung des neuen Mannschaftskapitäns<br />
Kasper Rorsted (53)<br />
hat im Kader des Dax-Erstligisten<br />
Adidas nicht annähernd so viel Begeisterung<br />
ausgelöst wie beim Börsenpublikum.<br />
Die Zurückhaltung mag sich<br />
dadurch erklären, dass die Franken für<br />
den Transfer tiefer in die Tasche greifen<br />
müssen, als sie dies normalerweise<br />
für erforderlich halten.<br />
Der noch bis Oktober amtierende<br />
Amts inhaber Herbert Hainer (61) erhält<br />
eine Gage von etwa 4,7 Mio. Euro<br />
im Jahr, 2014 erreichte er dank Sondervergütungen<br />
sogar deren 5,8 Millionen.<br />
Kasper Rorsted genügt dies nicht: Im<br />
Schnitt der vergangenen drei Jahre<br />
kassierte der Däne bei Henkel deutlich<br />
über sieben Millionen Euro. Und verschlechtern<br />
wollte er sich durch den<br />
Wechsel ja nun auch nicht.<br />
Die Franken haben ein umfangreiches<br />
Vertragswerk zusammengestellt, das<br />
neben Grundgehalt, „Performance-Bo-<br />
nus“ und „Long Term Incentive-Plan“<br />
ein halbes Dutzend Erfolgskriterien<br />
aufführt. Um voll auf seine Kosten zu<br />
kommen, muss Rorsted entweder Gewinn<br />
und Gewinnmarge, Geldfluss,<br />
Umsatz und Aktienkurs steigern oder<br />
die Ausgaben herzhaft drücken; eine<br />
Disziplin, für die Rorsted ein besonderes<br />
Faible hat.<br />
Adidas-Leute fürchten, dass der Neue<br />
den Kader kräftig zusammenstreicht.<br />
Gut möglich, dass Rorsted auch die<br />
Kommandozentrale lichtet. Treffen<br />
könnte es den Vertriebsvorstand und<br />
Hainer-Vertrauten Roland Auschel<br />
(52), der selbst als Adidas-Chef im Gespräch<br />
gewesen war.<br />
N<br />
FLÜCHTLINGSKRISE<br />
ENTLASTUNG<br />
Continental-Chef Elmar<br />
Degenhart sorgt sich.<br />
Elmar Degenhart (57), Chef des Automobil-Zulieferers<br />
Continental (39,2<br />
Milliarden Euro Umsatz, 4,4 Milliarden<br />
Euro Gewinn), reiht sich ein bei den<br />
Skeptikern der deutschen Asylpolitik.<br />
„Die aktuelle Flüchtlingssituation<br />
macht uns Sorgen. Den politisch verfolgten<br />
Flüchtlingen muss geholfen<br />
werden. Mit der gleichen Konsequenz<br />
müssen aber auch Wirtschaftsflüchtlinge<br />
schnell identifiziert und in ihre Herkunftsländer<br />
zurückgeschickt werden“,<br />
fordert er von den Politikern.<br />
Würde Deutschland 2016 und 2017 erneut<br />
jeweils eine Million Flüchtlinge<br />
oder mehr aufnehmen, wäre das Land<br />
„mit Sicherheit überfordert“. Flüchtlinge<br />
auszubilden und in den Erwerbsprozess<br />
zu integrieren dauere schlicht<br />
eine gewisse Zeit. „Aber nichts integriert<br />
besser als Arbeit, Aufgabe und<br />
Auskommen.“<br />
Ein Gespräch mit Elmar Degenhart<br />
zu Politik, Börse und Geschäft finden<br />
Sie auf www.bilanz.de/exklusiv/<br />
continental-degenhart<br />
N<br />
9<br />
Illustration / SUPERTOTTO<br />
FOTO: HENKEL AG<br />
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969
NAMEN / NACHRICHTEN<br />
10<br />
Der Chef des Kunststoffverarbeiters<br />
Röchling,<br />
Georg Duffner, über Mao<br />
als Lehrmeister.<br />
B Herr Duffner, Sie wollen Ende Mai<br />
in den Ruhestand gehen. Muss das<br />
sein – als halbwegs junger Mann<br />
von 61 Jahren?<br />
Das freut mich natürlich, dass Sie mich<br />
als „halbwegs jungen Mann“ wahrnehmen.<br />
Im Ernst: Am 31. Mai 2016<br />
läuft mein derzeitiger Vertrag aus. Das<br />
ist der dritte Fünfjahresvertrag mit<br />
Röchling. Dann bin ich 62 Jahre alt.<br />
15 Jahre als Vorstandsvorsitzender sind<br />
genug. Zumal wir inzwischen eine gute<br />
Führungsmannschaft haben, die mich<br />
problemlos ersetzen kann.<br />
B<br />
Ihr Nachfolger, Kunststoff-Vorstand<br />
Ludger Bartels, ist sogar<br />
noch ein Jahr älter als Sie. Es<br />
ist also damit zu rechnen, dass<br />
in drei Jahren schon wieder ein<br />
Führungswechsel ansteht. Hand<br />
aufs Herz: Ist das wirklich im<br />
Sinne von Röchling?<br />
Mein langjähriger Kollege Ludger<br />
Bartels leistet schon seit Langem einen<br />
wesentlichen Beitrag zum Erfolg<br />
unseres Unternehmens. Einen besseren<br />
Nachfolger für mich kann es nicht<br />
geben. Er wird das Vorstandsteam in<br />
den nächsten Jahren in bewährter<br />
Manier zu weiteren Erfolgen führen.<br />
Und das ist natürlich im Sinne von<br />
Röchling. Ludger Bartels hat schon in<br />
der Vergangenheit wesentliche Beiträge<br />
zur Entwicklung unserer Strategie<br />
erbracht.<br />
B Um durchschnittlich acht Prozent<br />
soll Röchling bis 2020 wachsen<br />
und eine Rendite vor Steuern<br />
und Zinsen von mindestens fünf<br />
Prozent erreichen.<br />
Wir wollen sogar noch ein bisschen<br />
mehr erreichen. Die Rendite vor Steuern<br />
und Zinsen lag in den vergangenen<br />
Jahren bei sieben Prozent. Das<br />
wollen wir natürlich halten. Inwieweit<br />
uns das gelingt, hängt aber nicht<br />
nur von uns ab, sondern auch von der<br />
Welt um uns herum.<br />
B<br />
Die Archive führen Sie als<br />
„Ex-Maoisten“: Haben Sie eine<br />
dunkle Vergangenheit?<br />
Ich bin Jahrgang 1954 und mit der<br />
68er-Bewegung groß geworden. In der<br />
Tat hatte die chinesische Kulturrevolution<br />
eine große Faszination für uns. Da<br />
haben Millionen von Studenten, Schülern<br />
und jungen Arbeitern die Gesellschaft<br />
auf den Kopf gestellt, und an der<br />
Spitze stand der große alte Mann Mao,<br />
der die Faust hob und rief: „Rebellion ist<br />
gerechtfertigt.“ Das entsprach unserem<br />
damaligen Lebensgefühl. Was sich unter<br />
dem Deckmantel der chinesischen<br />
Kulturrevolution an Unterdrückung<br />
und Verbrechen verbarg, wurde erst<br />
sehr viel später publik. Inzwischen war<br />
meine Studentenzeit vorbei, ich hatte<br />
den Elfenbeinturm der Universität verlassen<br />
und kam mit der Wirklichkeit in<br />
Kontakt. Vor allem kam ich ein bisschen<br />
in der Welt herum und konnte bei<br />
der Gelegenheit feststellen, dass es wenig<br />
Gesellschaften auf diesem Planeten<br />
gibt, die freiheitlicher organisiert sind<br />
als unsere – und die chinesische gehört<br />
ganz bestimmt nicht dazu.<br />
B<br />
Jugendsünden, die man entweder<br />
verschweigen oder vergessen<br />
und über die man nicht reden<br />
sollte?<br />
Nein, ich sehe meine maoistische Studentenzeit<br />
heute als Impfung gegen<br />
Intoleranz und Rechthaberei. Es ist<br />
gar nicht so schlecht, wenn man sich<br />
in seinem Leben mal gründlich geirrt<br />
hat und damit auch mit seinen Beschränktheiten<br />
konfrontiert wird. Mir<br />
hat das jedenfalls für mein weiteres<br />
Leben gutgetan.<br />
N<br />
KARRIERE<br />
EINSTEIGERIN<br />
Käser-Tochter heuert bei<br />
Goldman Sachs an.<br />
Siemens-Chef Käser mit Töchtern<br />
Nathalie (GS), Kathrin (Deutsche<br />
Bank) und Ehefrau Rosemarie.<br />
Für Bankhäuser ist es häufig durchaus<br />
lohnenswert, Verwandte von einflussreichen<br />
Wirtschaftsgrößen einzustellen.<br />
Denn die Hoffnung auf Folgegeschäfte<br />
erfüllt sich nicht selten. In<br />
diesem Fall muss das eine mit dem anderen<br />
freilich rein gar nichts zu tun haben,<br />
aber vielleicht ja doch: Goldman<br />
Sachs jedenfalls hat Nathalie Käser<br />
(26) in Dienst gestellt.<br />
Die junge Frau bringt beste Empfehlungen<br />
mit: bayerisches Abitur, Studium<br />
an der London School of Economics<br />
und einen Vater, der Josef Käser<br />
heißt und den Vorstandsvorsitz von<br />
Siemens innehat. Seine Tochter wird<br />
ihrer Beschäftigung in London nachgehen,<br />
wo sie im Range einer Analytikerin<br />
(„Analyst“) die Techniken<br />
von Firmenzusammenschlüssen und<br />
-übernahmen im Gesundheits- und<br />
Konsumgütermarkt erlernt.<br />
Die wohlstandssteigernde Wirkung<br />
des sicheren Umgangs mit Geld hatte<br />
Vater Josef bereits von seiner Mutter<br />
gelernt: „Gib’ nicht mehr aus, als<br />
du einnimmst, sonst musst du verarmen“,<br />
lautete der kluge Rat. Er hat<br />
ihn seinen Töchtern vermittelt. Auch<br />
Nathalies ältere Schwester Kathrin<br />
macht Karriere im Finanzwesen – bei<br />
der Deutschen Bank.<br />
N<br />
Vielfalt<br />
<br />
ubs.com/<br />
etf-insights<br />
„Auf ein Wort“ ist eine Gesprächsreihe von BILANZ-Online.<br />
Das volle Interview mit Röchling-Chef Georg Duffner finden Sie auf<br />
www.bilanz.de/exklusiv/roechling-duffner (ab 8. Februar).<br />
Für Marketing- und Informationszwecke von UBS. Nur für professionelle Anleger. © UBS 2016. Das Schlüsselsymbol und UBS gehören zu den geschützten Marken von UBS. Alle Rechte vorbehalten.<br />
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NAMEN / NACHRICHTEN<br />
12<br />
TUI<br />
DIE FRITZ-FRAKTION<br />
Friedrich Joussen regiert den Reise-Riesen Tui mit einer immer<br />
größeren Truppe ehemaliger Vodafone-Getreuer. Die Kritik an der<br />
bizarren Personalpolitik wird lauter.<br />
Bevor der damalige Vodafone-Manager<br />
Friedrich „Fritz“ Joussen (52) Anfang<br />
2013 den Vorstandsvorsitz von Tui<br />
übernahm, galt das hannoversche Unternehmen<br />
als zwar großer, aber doch<br />
schwieriger Fall: zu verschachtelt, zu<br />
verschlafen, zu verwickelt und zeitweise<br />
auch nicht ganz bei sich.<br />
Nach dreijähriger Eingewöhnungsund<br />
Entwirrungsarbeit kann der<br />
baumlange Boss inzwischen auf einige<br />
Geschäftserfolge verweisen. Nach<br />
der Zusammenlegung mit dem Londoner<br />
Ab le ger Tui Travel Ende 2014<br />
ist Tui mit einem Umsatz von zuletzt<br />
vermessenen 20 Milliarden Euro zum<br />
größ ten Touristik kon zern der Welt gewissermaßen<br />
prosperiert. Und wenn<br />
man nicht aufpasst, erzählt einem<br />
Joussen die Geschichte auch gerne<br />
zweimal.<br />
Doch trotz aller Durchbrüche und<br />
Fortschritte, die auch Neider nicht<br />
Illustration / SUPERTOTTO<br />
wegfaseln können, schwelt, gärt und<br />
glimmt es im Aufsichtsrat: Was den<br />
Missmut und die Verstimmung der<br />
Würdenträger erregt, ist Fritz Joussens<br />
Transferpolitik. Er hat offenkundig einen<br />
Narren gefressen an ehemaligen<br />
Kollegen bei Vodafone.<br />
Indes, es gehört zu Konvention und Sitte<br />
in vornehmen Wirtschaftskreisen,<br />
aber nicht nur dort, dass man die Finger<br />
von Exkollegen lässt. Gilt als sehr<br />
unfein. Doch bei der Personalsuche<br />
scheint es für Joussen nur eine Adresse<br />
zu geben: seinen alten Arbeitgeber.<br />
Wenn die Tui-Presskommandos durch<br />
Düsseldorf ziehen, rufen die Mütter<br />
ihre Kinder ins Haus.<br />
Fünf von 13 Mitgliedern des erweiterten<br />
Tui-Vorstands sind in den vergangenen<br />
Jahren von Vodafone zu Tui nach Hannover<br />
übergesiedelt. Ganze Abteilungen<br />
– etwa Strategie, Kommunikation<br />
und Marketing – befinden sich mittlerweile<br />
unter der verschärften Kontrolle<br />
ehemaliger Mobilfunker. Jüngster Zugang<br />
ist Barbara Haase, die im Januar<br />
die „Markenführung“ des Reisekonzerns<br />
übernahm. Dass ihr Chef Erik<br />
Friemuth (48) ebenfalls von Vodafone<br />
gekommen ist, versteht sich von selbst.<br />
Insgesamt summiert sich die Zahl<br />
der Manager mit gleichem Stammbaum<br />
auf fast ein Dutzend. Auch Tui-<br />
Vorstand Sebastian Ebel (52), der das<br />
Reisegeschäft befehligt, ist natürlich<br />
Vodafonist gewesen.<br />
Im Tui-Generalstab hat die Personalpolitik<br />
logischerweise zur Lagerbildung<br />
geführt. Was zu erwarten war. Auf der<br />
einen Seite die Fritz-Fraktion, auf der<br />
anderen eine Koalition erfahrener Tourismus-Manager<br />
aus England, die ohnehin<br />
nicht gerade eine Schwäche für ihre<br />
deutschen Kollegen haben.<br />
Bisher wirkt Joussen den Zentrifugalkräften<br />
recht gekonnt entgegen. Und<br />
solange die Zahlen stimmen, muss er<br />
keine Auflehnung des Aufsichtsrats<br />
fürchten. Aufsichtsräte sind ja sowieso<br />
eher ruhige Typen. Aber durchgehen<br />
lassen wollen sie die Verstöße gegen<br />
die Usancen trotzdem nicht mehr: Er<br />
möge sich künftig freundlicherweise<br />
bitte auch anderswo nach Mitarbeitern<br />
umschauen.<br />
Doch selbst damit hatte er zuletzt<br />
keinen durchschlagenden Erfolg. Die<br />
neue Personalchefin und Arbeitsdirektorin<br />
Elke Eller (52), die seit Oktober<br />
in Hannover ihr Amt versieht, kommt<br />
zwar nicht von Vodafone. Der Ehefrau<br />
des früheren VW-Vorstands Horst<br />
Neumann sagt man aber eine bedenkliche<br />
Nähe zum Hannover-Klüngel<br />
nach. Sie diente unter ihrem Gatten<br />
drei Jahre lang als Vorstandsfrau von<br />
Volkswagen Nutzfahrzeuge. N<br />
Hand in Hand ist …<br />
... nicht alleine dazustehen, wenn das Leben<br />
mal eine Verschnaufpause braucht.<br />
Hand in Hand ist …<br />
Man ka<br />
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Wohlbefinden tun?<br />
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NAMEN / NACHRICHTEN<br />
DIE WELT DER …<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
ANN-KRISTIN ACHLEITNER<br />
Sie ist die Trumpfdame der hiesigen Wirtschaft: Managerin,<br />
Professorin, Beraterin, alles ohne berichtenswerten Fehl und Tadel.<br />
Es ist schon fast schauerlich, sosehr wird sie gepriesen.<br />
WOLFGANG HERRMANN (67)<br />
Einer der regsamsten Wissenschaftsmanager<br />
des Landes,<br />
seit gut 20 Jahren Präsident der<br />
TU München. Hat wie<br />
Achleitner ein Herz für Gründer<br />
und besetzte mit ihr den<br />
ersten deutschen Lehrstuhl für<br />
Gründungsfinanzierung.<br />
PHILIPP SCHINDLER (44)<br />
Schindler war Mitte der 90er- Jahre<br />
Achleitner-Absolvent der<br />
ersten Stunde an der European<br />
Business School (EBS). Heute<br />
ist er bei Google für Vertrieb<br />
und Vermarktung zu ständig –<br />
und Achleitners Verbindungsmann<br />
ins Silicon Valley.<br />
WERNER G-PUNKT SEIFERT (66)<br />
Der frühere Chef der Deutschen Börse<br />
gehörte zu Achleitners Förderern.<br />
Bezuschusste auch ihren Lehrstuhl<br />
an der EBS. Seifert lebt heute<br />
in Irland fast wie ein Ire. Nur normal,<br />
dass er AKA kaum noch sieht.<br />
14<br />
JUTTA ALLMENDINGER (59)<br />
Achleitner und die Präsidentin<br />
des Wissenschaftszentrums<br />
Berlin für Sozialforschung sind<br />
längst nicht immer einer<br />
Meinung. Doch mit kaum<br />
jemandem diskutiert AKA so gern<br />
und leidenschaftlich.<br />
HERBERT HENZLER (74)<br />
Grand Old Man der Berater -<br />
szene. Kennt Achleitner aus<br />
gemein samen McKinsey-Zeiten<br />
(1994 – 1995). Beide haben<br />
ihre Büros in demselben Haus in<br />
derselben Stadt (München).<br />
15<br />
Diese Frau (49) ist ein Naturereignis:<br />
Grund- beziehungsweise blitzgescheit<br />
(Wirtschafts- und Rechtsstudium,<br />
zwei Doktorinnen-, einen<br />
Professorinnentitel), beredt, beliebt,<br />
belesen, Bundesverdienstkreuz allererster<br />
Klasse und dann auch noch von<br />
einnehmendem Wesen. Nicht ausgeschlossen,<br />
dass demnächst die ersten<br />
Ann-Kristin-Achleitner-Fanklubs in<br />
die Vereinsregister eingetragen werden.<br />
Allenthalben anerkannt und unbestritten<br />
ist sie der Helmut Schmidt<br />
unter den Managerinnen. Aber nur im<br />
übertragenen Sinne. Denn sie hat keine<br />
Zeit, den Leuten ständig alles zu erklären.<br />
Sie hat viel zu viel um die Ohren:<br />
Aufsichtsrätin bei Linde, bei der<br />
Münchener Rück, bei der Metro, beim<br />
Energiekonzern Engie. Seit Anfang des<br />
Jahres müssen die 108 börsennotierten<br />
Aktiengesellschaften in Deutschland<br />
ein Drittel ihrer Aufsichtsratsmandate<br />
mit Damen besetzen. Es ist nur zu<br />
natürlich, dass alle bei AKA anrennen.<br />
Möglicherweise findet sie etwas Zeit,<br />
ihr Metro-Amt läuft aus. Tabu sind nur<br />
Deutsche Bank, Bayer und Daimler.<br />
Dort bewacht ihre schlechtere Hälfte,<br />
Paul (59), die Vorstände. N<br />
MANFRED SCHNEIDER (77)<br />
Ältester Oberaufseher der Deutschland<br />
AG. Saß mit Achleitner in<br />
vielen Komitees, suchte immer ihre<br />
Nähe. Falls Schneider im Mai bei<br />
Linde aussteigt und damit sein<br />
letztes Mandat niederlegt, werden<br />
sie sich seltener sehen.<br />
HENNING KAGERMANN (68)<br />
Der frühere SAP-Vorstand und<br />
die Wirtschaftsprofessorin teilen<br />
die Leidenschaft für Technik ,<br />
Fortschritt und das Rückversicherungswesen.<br />
Deshalb sitzen<br />
beide auch im Aufsichtsrat des<br />
Branchenführers Munich Re.<br />
JÖRG EIGENDORF (48)<br />
Beste Verbindungen unterhält<br />
Achleitner zur Wirtschaftspublizistik,<br />
u. a. zu Jörg Eigendorf.<br />
Der frühere „Welt“-Journalist<br />
übernimmt den Millionenjob als<br />
Kommunikationschef der<br />
Deutschen Bank (Aufsichtsratsvorsitzender:<br />
Paul A.).<br />
ILLUSTRATION:<br />
HANS-ULRICH OSTERWALDER<br />
FOTOS: PICTURE ALLIANCE (5), PRESSEBILD,<br />
TU MÜNCHEN, ACATECH, ULLSTEIN<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
8 Milliarden<br />
Euro<br />
Umsatzziel Cloud<br />
für 2020<br />
16<br />
HEITER UND WOLKIG<br />
Gerade noch rechtzeitig hat SAP sein Geschäftsmodell erweitert und vermietet seine<br />
Programme jetzt auch übers Internet. Vorstandschef BILL McDERMOTT<br />
wird für den Erfolg gefeiert – dabei steckt vor allem Hasso Plattner dahinter.<br />
17<br />
Text / VOLKER TER HASEBORG<br />
2,3 Milliarden Euro<br />
Umsätze durch<br />
die Datenwolke 2015<br />
14 Millionen Euro<br />
Umsätze durch<br />
die Datenwolke 2010<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
18<br />
D<br />
er dunkelblaue Anzug<br />
sitzt, das hellblaue Hemd<br />
mit dem weißen Kragen<br />
sieht aus wie frisch gebügelt<br />
oder eben erst gekauft,<br />
Krawatte und Einstecktuch (mittelblau)<br />
harmonieren aufs Abgestimmteste<br />
miteinander, die graumelierten<br />
Haare liegen perfekt: Bill McDermott<br />
(54), schlaksig-sportliche Figur, sieht<br />
aus, als käme er gerade aus der Maske<br />
und habe nun seinen Auftritt als<br />
Chef irgendeines internationalen Software-Konzerns.<br />
All right, nur die Kulisse<br />
passt ihm nicht: der Konferenzraum.<br />
„Warum gehen wir nicht in mein Büro“,<br />
sagt er. „Da können wir relaxen.“<br />
„Bill“ – so möchte er nach guter<br />
alter Amerikaner-Sitte angesprochen<br />
werden – will also relaxen. Na denn:<br />
McDermott (bzw. Bill), der Lässige.<br />
Er marschiert gleich los, eskortiert<br />
von seinem Leibwächter. Was sehr<br />
erstaunlich ist, wenn man bedenkt,<br />
dass sich der Firmenchef selbst im<br />
eigenen Unternehmen nicht frei zu<br />
bewegen traut.<br />
Bills Büro ist zwei Stockwerke entfernt<br />
und ungefähr 15 Quadratmeter<br />
groß, ein paar Baseball-Fotos hängen<br />
an der Wand, ein Obstteller steht auf<br />
dem Tisch.<br />
Seine Augen versteckt der SAP-<br />
Chef hinter einer Sonnenbrille. Man<br />
sieht trotzdem die tiefen Narben, die<br />
sich vom linken Auge zur Schläfe ziehen.<br />
Sein Gesicht ist geliftet. Aber das<br />
hat nichts mit den Narben zu tun.<br />
Die Sache ist die: Im vergangenen<br />
Sommer war er im Haus seines Bruders<br />
des Nachts auf der Treppe ausgerutscht,<br />
gestolpert, gefallen und mit<br />
dem Gesicht in die Scherben jenes<br />
Wasserglases gestürzt, das er in der<br />
Hand gehalten hatte. Ein fingerlanger<br />
Splitter stieß wie ein Stachel in sein<br />
linkes Auge. Er verlor das Bewusstsein,<br />
wäre fast verblutet. Der Tod war ihm<br />
näher als das Leben. Doch er kam wieder<br />
zu sich, rappelte sich auf, schleppte<br />
sich auf die Straße, ein Nachbar rief<br />
den Krankenwagen.<br />
Sein Auge konnte nicht gerettet<br />
werden. Er trägt jetzt eines aus Glas.<br />
„Tatsächlich sehe ich nun besser als<br />
vorher“, sagt Bill. Aber, man muss ihm<br />
ja nicht alles glauben.<br />
Bill ist einer von der harten Sorte.<br />
Man hätte gern eine ganze Garnitur<br />
davon, dann könnte einem wahrscheinlich<br />
nichts mehr passieren. Zu<br />
SAP, wo man in der Vergangenheit<br />
eher den ruhigen Behördenton pflegte,<br />
scheint der Amerikaner mit all seiner<br />
Mordsmäßigkeit auf eine ganz und gar<br />
ideale Weise fast gar nicht zu passen.<br />
Mitte Januar schon hat der schnelle<br />
Bill die Geschäftszahlen für 2015 präsentiert.<br />
Es war das sechste Rekordjahr<br />
in Folge: Der Umsatz eskalierte<br />
um zehn Prozent auf 20,8 Milliarden<br />
Euro, der Gewinn dehnte sich um acht<br />
Prozent aus und schwoll damit auf<br />
4,5 Milliarden Euro. Die Umsatzrendite<br />
mag sich ein jeder selbst ausrechnen.<br />
Die SAP-Aktie notiert auf einem<br />
Höchstwert von über 70 Euro und<br />
macht SAP mit einem Börsenwert von<br />
fast 90 Milliarden Euro zum kostbarsten<br />
Unternehmen in Deutschland. SAP<br />
ist so viel wert wie VW, Deutsche Bank<br />
und Lufthansa zusammen.<br />
Der amerikanische Boss hat das<br />
SAP-Geschäftsmodell auf geschickteste<br />
Art erweitert, indem er die SAP-Programme<br />
nun über das Internet vermietet<br />
– über die Datenwolke, die Cloud. Mit<br />
WELTMACHT SAP<br />
Marktanteile im Geschäft mit Firmen-<br />
Software. Über 40 Prozent des<br />
Marktes entfallen auf Firmen mit<br />
Anteilen unter zwei Prozent.<br />
SAP<br />
(ALLE ANGABEN IN PROZENT)<br />
Oracle<br />
Sage<br />
Infor<br />
24,0 11,2 6,1 5,9 4,6<br />
Microsoft<br />
anderen Worten: Firmenkunden kaufen<br />
keine Li zen zen für SAP-Soft ware<br />
mehr, die sie auf ihren ei ge nen Rechnern<br />
in stal lie ren, son dern mie ten sie<br />
gegen eine re gel mä ßige Ge bühr.<br />
Der Markt für internetbasierte<br />
Programme wächst in einem schon<br />
fast erschreckend hohen Tempo. SAP<br />
muss sich auf neue, wendige und<br />
schlagkräftige Konkurrenten einstellen,<br />
nicht mehr nur auf den Erzrivalen<br />
Oracle, sondern auf die Überfallkommandos<br />
etwa von Salesforce, des amtierenden<br />
Marktführers bei Firmenprogrammen<br />
aus dem Internet.<br />
Folgt man den Chefideologen der<br />
IT-Branche, dann gibt es in Deutschland,<br />
Europa und allen Erdteilen keinen<br />
moderneren, prächtigeren und –<br />
um mit dem Botaniker zu sprechen –<br />
geileren Wachstumsmarkt als jenen<br />
mit der Cloud.<br />
Für über 20 Milliarden Euro kaufte<br />
sich SAP in den vergangenen fünf<br />
Jahren einen ganzen Park junger Unternehmen<br />
zusammen, die sich in diesem<br />
Geschäft schon etabliert hatten:<br />
den Personalverwalter Successfactors<br />
(2,4 Mrd. Euro), die Handelsplattform<br />
Ariba (4,2 Mrd. Euro), das Geschäftsreisen-Portal<br />
Concur (6,5 Mrd. Euro)<br />
und so weiter.<br />
Die Strategie scheint zu greifen.<br />
Auf das Geschäft mit der Datenwolke<br />
entfällt zwar nur etwas mehr als ein<br />
Zehntel des SAP-Umsatzes, aber keine<br />
Sparte vergrößert sich in vergleichbarem<br />
Tempo: im vergangenen Jahr um<br />
82 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro.<br />
Doch das Geschäft in der Datenwolke<br />
ist riskant: Erst nach vier Jahren<br />
erzielt SAP durch Miet-Software den<br />
Umsatz, den der Verkauf einer Lizenz<br />
einbringt. Ab fünf Jahren ist das Vermieten<br />
lukrativer. Solange muss man<br />
die Kunden bei der Stange halten.<br />
Es geht jetzt darum, sich in der<br />
Wolke breitzumachen, Marktanteile<br />
zu erkämpfen. Salesforce erwirtschaftet<br />
sechs Milliarden Euro Umsatz. SAP<br />
hätte den lästigen Kontrahenten einst<br />
kaufen können.<br />
Doch die Walldorfer schalteten<br />
zu spät. Heute ist die Firma aus San<br />
Franzisko an der Börse rund 40 Milliarden<br />
Euro wert – oder, wie Bill Mc-<br />
Dermott immer wieder betont: völlig<br />
über bewertet.<br />
Aber auch seine eigenen Anleger<br />
neigen bisweilen zur Skepsis. Aufmerksam<br />
wurde registriert, dass Mc-<br />
Dermott zwar die Prognosen für den<br />
Umsatz erhöhte, jene für die Profite<br />
aber nicht.<br />
Die Gewinnspannen im Wolkengeschäft<br />
sind kaum halb so groß wie im<br />
traditionellen Lizenzverkauf. Darüber<br />
hinaus aber hat SAP seinen Angriff<br />
nicht nur mit eigenem Geld finanziert:<br />
Auf 18 Milliarden Euro sind Schulden<br />
und Verbindlichkeiten gestiegen –<br />
demgegenüber stehen flüssige Mittel<br />
von nur 3,4 Milliarden Euro. Die Schulden<br />
massiv zu senken, darauf kommt<br />
es nun an. Jetzt sind McDermotts Defensivkünste<br />
gefragt und seine Fähigkeit,<br />
Tempo und Erfindungskraft des<br />
Hauses mindestens zu halten.<br />
McDermott kann auf einen mächtigen<br />
Unterstützer seines Kurses zählen:<br />
Hasso Plattner (72), SAP-Mitgründer,<br />
Präzisionsmanager und Aufsichtsratsvorsitzender<br />
des Hauses.<br />
Er hatte den damaligen Vertriebs-<br />
Vorstand McDermott 2010 an die Firmenspitze<br />
befördert – und vor allem<br />
die Technik für die neue SAP erfunden:<br />
die Datenbank „Hana“, von Plattner<br />
persönlich entwickelt im Verein mit<br />
Studenten des Hasso-Plattner-Instituts<br />
für Softwaresystemtechnik in Potsdam.<br />
„Hana“ ist, laut SAP, tausendmal<br />
schneller als das Vorgängerprogramm.<br />
Die Datenbank lässt sich kaufen – oder<br />
gleich aus der Wolke mieten. Vorher<br />
hatte SAP keine eigene Datenbank im<br />
Sortiment. „Hana“ bildet das Fundament<br />
der neuen SAP – um dieses Programm<br />
herum baut das Unternehmen<br />
seine Produktpalette auf.<br />
Etwa die neue Software „S/4 Hana“.<br />
Mit ihr können Manager Gedeih<br />
und Verderb ihrer Unternehmen in<br />
Echtzeit beobachten: Welche Waren<br />
verkaufen sich gerade wie gut? Sekundengenau<br />
lassen sich Analysen und<br />
Prognosen erstellen. Mehr als 2.700<br />
Kunden haben „S/4 Hana“ bis heute<br />
bestellt, der Vertrieb läuft wie geölt –<br />
unterstützt von großzügigen Rabatten.<br />
Ein Mittelständler mit 1.000 SAP-nutzenden<br />
Mitarbeitern zahlt eine Miete<br />
von schätzungsweise 300.000 Euro im<br />
Jahr.<br />
Dass im vergangenen Jahr auch<br />
das klassische Lizenzgewerbe mit einem<br />
deutlichen Umsatzzuwachs auf<br />
15 Milliarden Euro abschloss, war<br />
für McDermott keine Überraschung:<br />
Während amerikanische Kunden kein<br />
Problem mit der Wolke haben, müssen<br />
sich jene in Europa, namentlich im datenschutzempfindlichen<br />
Deutschland,<br />
erst noch an die neuen Gegebenheiten<br />
gewöhnen. Sie wollen Rechner und<br />
Programme selbst besitzen.<br />
77.000 Menschen arbeiten für<br />
die SAP. Der Hauptsitz befindet sich<br />
in der kurpfälzischen Provinz:<br />
in Walldorf, Baden-Württemberg.<br />
Plattner, der Techniker. McDermott,<br />
der Verkäufer. Das ist das<br />
Duo, das SAP richtig auf die<br />
Spur brachte. Das Foto<br />
entstand im vergangenen Mai,<br />
vor McDermotts Unfall.<br />
Dank Plattners Technik ist es möglich,<br />
dass Firmen Anwendungen über<br />
eigene Datenbanken laufen lassen<br />
– und andere aus der Wolke zuschalten<br />
können. Bis 2020 will SAP seinen<br />
Gesamtumsatz auf 28 Milliarden Euro<br />
erhöhen – mehr als ein Viertel davon<br />
sollen aus Cloud-Erlösen stammen.<br />
Bill, der Verkäufer. Hasso, der<br />
Techniker. Ein ideales Gespann.<br />
Manchmal ist unklar, wer SAP überhaupt<br />
führt. McDermott zeigt im Umgang<br />
mit dem knurrigen Übervater<br />
seine Meisterschaft als Verkäufer und<br />
flötet: „Es gibt nur einen Hasso Plattner.<br />
Er ist der Spiritus Rector unseres<br />
Unternehmens.“ Mehrmals in der Woche<br />
sucht er Plattners Rat oder nimmt<br />
Empfehlungen entgegen.<br />
Plattner selbst hat sich mal als<br />
„guter Diktator“ bezeichnet. Ein Aufsichtsrat<br />
gibt gegenüber BILANZ zu<br />
Protokoll, dass er sich bei SAP „wie in<br />
einem Familienunternehmen“ fühle.<br />
Bei den Mitarbeitern indes könnte<br />
die Stimmung besser sein. 3.000 Bedienstete<br />
nahmen 2015 das Angebot an,<br />
die Firma zu verlassen. Das Cloud-Geschäft<br />
verlange eine andere Belegschaftszusammensetzung.<br />
Die Kosten<br />
allein für Abfindungen und Frühverrentungen<br />
verschlangen 621 Millionen<br />
Euro. Doch nicht mal die Hälfte der<br />
SAP-Mitarbeiter findet, dass die Neuorganisation<br />
gut umgesetzt wurde. Das<br />
geht aus einer internen Befragung hervor,<br />
die BILANZ vorliegt.<br />
Es gibt durchaus ernstzunehmende<br />
Leute im Hause, die fürchten, dass<br />
SAP mittelfristig von Walldorf ins Silicon<br />
Valley umsiedele. Was McDermott<br />
dementiert. Er hat sich ein Haus in Heidelberg<br />
gekauft und angekündigt, den<br />
Betriebsrat zum Grillabend einzuladen.<br />
Doch allzu häufig hält sich der Amerikaner<br />
nicht in Deutschland auf. Das<br />
Geschäft verlangt weltweiten Einsatz,<br />
er schätzt den kundennahen Auftritt,<br />
und irgendwann will er ja auch mal<br />
seine Frau Julie in ihrem gemeinsamen<br />
Haus bei Philadelphia besuchen. Wir<br />
haben mit ihm über alles mal geredet<br />
(s. Seite 20). Während des Gesprächs<br />
ließ uns der Leibwächter allein.<br />
19<br />
QUELLE: GARTNER<br />
FOTOS: PICTURE ALLIANCE, SAP<br />
20<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
19<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
„<br />
WIR ERFINDEN<br />
EINE NEUE WELT<br />
“<br />
20 21<br />
SAP-Chef BILL McDERMOTT ist der größte Optimist unter Deutschlands Managern. Sogar<br />
seinen Unfall, bei dem er das linke Auge verlor, begreift der Amerikaner als Inspiration.<br />
Mit BILANZ spricht er über seine Rückkehr, seine Freundschaft zu Hasso Plattner und die<br />
Vorteile von Geschäften in der Datenwolke.<br />
Interview / VOLKER TER HASEBORG<br />
Fotos / SVEN PAUSTIAN<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
22<br />
B Bill, Sie haben bei einem Unfall<br />
im Sommer auf tragische Weise<br />
Ihr linkes Auge verloren. Wie geht<br />
es Ihnen?<br />
Mir geht es gut. Wenn man sich so<br />
schwer verletzt, dann rät der Körper:<br />
Bleib’ sitzen, leg’ dich hin, erhol’ dich.<br />
Aber der Wille sagt: Steh’ auf, geh’ raus<br />
und lebe! Was ich aus der ganzen Sache<br />
gelernt habe, ist: Letztendlich ist<br />
der Wille stärker.<br />
B<br />
Woran haben Sie nach dem<br />
Unfall zuerst gedacht: dass Ihre<br />
Karriere beendet ist?<br />
Ich habe an meine Frau und meine beiden<br />
Söhne gedacht und dass ich für sie<br />
da sein muss. Dann an meine Freunde<br />
und Arbeitskollegen. Als ich die<br />
Operationen und die Reha hinter mir<br />
hatte, habe ich gemerkt, wie sehr ich<br />
liebe, was ich mache. Ich wollte mein<br />
Leben zurück und das tun, was ich tue.<br />
Dafür habe ich immer gekämpft, mein<br />
ganzes Leben lang. Nach einer Woche<br />
Intensivstation war ich zurück bei der<br />
Arbeit. Ich durfte wegen der Augenverletzung<br />
nicht fliegen, aber alles andere<br />
ging. Nach 90 Tagen war ich wieder in<br />
der Luft und flog um die Welt. Wirklich<br />
weg war ich ohnehin nie.<br />
B<br />
Wie wirkt sich Ihr Handicap auf<br />
Ihr Alltagsleben aus?<br />
Ich weiß heute: Durchblick und<br />
Erkennt nis hat man nicht nur durch<br />
das, was man mit den Augen sehen<br />
kann. Erkenntnis gewinnt man durch<br />
Gefühle. Medizinisch gesprochen,<br />
habe ich ein Auge verloren, und technisch<br />
gesehen, müsste ich Sehprobleme<br />
haben. Aber tatsächlich sehe ich<br />
jetzt besser als vorher.<br />
B Aber nicht mehr dreidimensional.<br />
Mein Freund, der Sänger Tony Bennett,<br />
hat zu mir gesagt: Wenn man alt<br />
genug ist, dann weiß man, wie man<br />
das Leben lebt. Auf mich übertragen<br />
heißt das: Die Verletzung hat mich<br />
reifer gemacht, ich sehe die Welt<br />
heute aus einer anderen Perspektive.<br />
Ich betrachte die Verletzung als<br />
Möglichkeit, ein inspiriertes Leben<br />
zu führen und andere zu inspirieren<br />
– und nicht darauf zu schauen, was<br />
ich verloren habe.<br />
B Ihr Blickfeld hat sich doch sicherlich<br />
verändert. Sie müssen doch im<br />
Alltagsleben eingeschränkt sein.<br />
Nein. Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig.<br />
Wenn ich mir ein Glas<br />
Wasser einschenke, schütte ich nichts<br />
daneben. Meine Sicht ist nicht beeinträchtigt.<br />
Ich habe Glück gehabt.<br />
B Als Sie nach Ihrer Verletzungspause<br />
im Oktober an Ihren SAP-<br />
Schreibtisch zurückkehrten, sagten<br />
Sie, dass Ihre Verletzung Sie<br />
noch wertvoller für SAP gemacht<br />
hätte …<br />
… ja, weil mein Wille und meine Leidenschaft<br />
zu leben noch größer geworden<br />
sind. Ich bin noch inspirierter<br />
zurückgekommen.<br />
B<br />
SAP<br />
2,3<br />
Es gibt Leute in Ihrer Umgebung,<br />
denen wird vor so viel Unbeugsamkeit<br />
ganz bang zumute:<br />
Manager fürchten, dass Sie Ihren<br />
Härte-Maßstab künftig auch an<br />
sie anlegen.<br />
CLOUD-UMSÄTZE (IN MILLIARDEN EURO)<br />
Salesforce<br />
Oracle<br />
KAMPF<br />
IN DEN WOLKEN<br />
SAP konkurriert vor allem mit<br />
Salesforce und Oracle, die ebenfalls<br />
für Firmenkunden arbeiten.<br />
Obendrein drängen Amazon, Microsoft<br />
und IBM in den Markt, machen<br />
aber auch Geld mit Privatkunden.<br />
So erklären sich die höheren Umsätze.<br />
2,4<br />
6,0<br />
Amazon<br />
Microsoft<br />
6,9<br />
7,5<br />
IBM<br />
8,6<br />
Nein. Ich schreibe meinen Mitarbeitern<br />
nicht vor, wie sie ihr Leben zu leben<br />
haben. Und ich lebe mein Leben,<br />
so wie ich will.<br />
B<br />
Warum müssen Manager immer<br />
die harten Kerle sein?<br />
Ich glaube nicht, dass sie das immer<br />
sein müssen. Manchmal sind wir traurig,<br />
manchmal fröhlich. Manager sollten<br />
unverfälscht sein. Meine Mutter<br />
hat immer gesagt: „Der beste Teil an dir<br />
bist du selbst.“ Ich glaube, es ist wichtig,<br />
man selbst zu sein. Und das bin ich.<br />
B<br />
Jetzt schreiben Sie ein Buch über<br />
Ihr Comeback nach dem Unfall.<br />
Zwei Fragen, erstens: warum?<br />
Zweitens: Leidet Ihre Arbeit nicht<br />
unter der Schriftstellerei?<br />
Nein. Es geht nicht darum, etwas<br />
aufzuarbeiten. Ich möchte anderen<br />
Menschen etwas geben. Ich bin gefallen<br />
– und wieder aufgestanden. Meine<br />
Geschichte kann für andere Menschen<br />
eine Inspiration sein. Deshalb schreibe<br />
ich das Buch.<br />
B<br />
Sie klingen wie ein Motivationstrainer,<br />
und so liest sich auch<br />
Ihre Autobiografie „Mein Weg zu<br />
SAP“: Ihr berufliches Ziel sei es,<br />
„ein Gewinner sein“. Sind Ihre<br />
Mitarbeiter davon nicht genervt?<br />
Ich glaube, dass meine deutschen Mitarbeiter<br />
gelernt haben, mich zu schätzen<br />
und zu verstehen. Auf der anderen<br />
Seite habe ich gelernt, meinen amerikanischen<br />
Stil an den europäischen<br />
Stil anzupassen. Ich bin ein sehr leidenschaftlicher<br />
Mensch. Ich habe<br />
immer Schwierigkeiten damit, meine<br />
Leidenschaft zu zügeln. Wenn so jemand<br />
nach Deutschland kommt, dann<br />
wirkt er auf die Deutschen vielleicht<br />
zunächst übermotiviert – und deshalb<br />
nicht authentisch oder zu amerikanisch.<br />
Hier herrscht einfach eine<br />
andere Kultur. Meine SAP-Kollegen<br />
sehen, dass ich an mir arbeite, und sie<br />
sehen, dass ich authentisch bin. Mittlerweile<br />
sind wir uns nähergekommen.<br />
Zum Beispiel bin ich jetzt schon seit<br />
40 Stunden auf den Beinen. Ich bin<br />
aus Dallas, Texas, hierhergekommen,<br />
um bei einer Mitarbeiter-Feier dabei<br />
zu sein. Das ist mir sehr wichtig.<br />
B Wie haben Sie Ihren amerikanischen<br />
Stil an Deutschland angepasst?<br />
In Deutschland werden Dinge nicht<br />
überverkauft. Die Deutschen sind sehr<br />
faktenorientiert, techniklastig. Weniger<br />
Wörter, mehr Fakten. Manchmal<br />
weniger Energie, mehr Argumente.<br />
Manchmal weniger Erklärungen, mehr<br />
Untersuchungen. An diese Dinge habe<br />
ich mich gewöhnt. Ich glaube, dass ich<br />
durchaus ein gewisses Maß an Vision,<br />
Strategie und Leidenschaft mitbringe,<br />
um SAP stärker zu machen. Und mein<br />
amerikanisches Wissen wird dazu beitragen,<br />
dass wir amerikanische Firmen<br />
schlagen können.<br />
B<br />
Wie viel Showbusiness braucht das<br />
Business?<br />
Ich glaube, die amerikanische Geschäftswelt<br />
braucht weniger Show –<br />
vielleicht braucht die deutsche aber ein<br />
bisschen mehr. Der Mittelweg wäre perfekt<br />
(lacht). Ich habe gelernt, dass man<br />
mehr erreicht mit weniger Show.<br />
B<br />
Das sieht Hasso Plattner, der Mitgründer<br />
und Aufsichtsratschef von<br />
SAP, zweifellos genauso. Wer ist<br />
eigentlich der wahre Chef von SAP:<br />
Sie oder er?<br />
Es gibt nur einen Hasso Plattner. Es<br />
gibt nur ein Innovationsgenie, das damals<br />
das Hauptprogramm „ERP“ und<br />
jetzt „Hana“ erfunden hat. Er ist der<br />
Spiritus Rector unseres Unternehmens.<br />
Wir bilden ein großartiges Gespann:<br />
Ich respektiere Hasso als Aufsichtsratschef,<br />
er respektiert mich als Vorstandsvorsitzender.<br />
B Wie häufig sprechen Sie ihn?<br />
Ein paar Mal in der Woche.<br />
B Worüber? Große Strategie oder<br />
kleinteiliges Tagesgeschäft?<br />
Wir sprechen über strategische Dinge,<br />
das große Ganze. Das Tagesgeschäft<br />
bespreche ich mit meinen Kollegen im<br />
Vorstand.<br />
B Wie war der Kontakt zu ihm während<br />
Ihrer krankheitsbedingten<br />
Auszeit?<br />
Wundervoll. Er hat großen Anteil genommen.<br />
Das werde ich nie vergessen.<br />
B Sind Sie unabhängig genug? Hand<br />
aufs Herz, Plattner dominiert<br />
doch alles.<br />
„<br />
ICH LEBE<br />
MEIN LEBEN,<br />
SO WIE<br />
ICH WILL<br />
“<br />
BILL McDERMOTT (54)<br />
wurde im Alter von 17 Jahren<br />
Unternehmer: Er übernahm<br />
einen Delikatessenladen in<br />
seinem Heimatort Amityville im<br />
US-Bundesstaat New York.<br />
Beim Kopiererhersteller Xerox<br />
stieg er zum Vorstand auf.<br />
Seit 2002 arbeitet er für SAP, seit<br />
2010 ist er Vorstandschef.<br />
Das ist ein riesengroßes Missverständnis:<br />
Ich fühle mich in keiner Weise dominiert.<br />
Hasso hat ein großes Herz, er<br />
ist ein großartiger Mensch. Unsere Beziehung<br />
ist weit mehr als strategischer<br />
Natur. Wir können über alles reden, ich<br />
brauche nur seine Telefonnummer zu<br />
wählen. Hasso ist ein Freund fürs Leben.<br />
B<br />
Keine Freundschaft fürs Leben<br />
hat Sie und den denkwürdigen<br />
Technik-Vorstand Vishal Sikka<br />
verbunden. Er ist zum indischen<br />
Programmanbieter Infosys übergelaufen.<br />
In Ihrem Buch schreiben<br />
Sie: „Ein Mitarbeiter verlässt nicht<br />
sein Unternehmen Er verlässt seinen<br />
Manager.“ Warum hat Sikka<br />
Sie verlassen?<br />
Er hatte Wünsche, die er nicht mehr bei<br />
SAP erfüllt sah. Und er hat recht. Es gibt<br />
nur einen Vorstandsvorsitzenden: mich.<br />
Ich freue mich für ihn, dass er jetzt bei<br />
Infosys ist und seinen CEO-Traumjob<br />
gefunden hat. Infosys ist im Übrigen ein<br />
wichtiger Partner von SAP. Wir haben<br />
eine gute Beziehung.<br />
B<br />
Spät, aber konsequent setzen Sie<br />
auf das Geschäft mit Geschäftsanwendungen<br />
in der Datenwolke.<br />
Salesforce ist Marktführer. Bei<br />
der Cebit im März haben die<br />
Amerikaner gleich zwei Hal len<br />
gemietet und treten als so genann<br />
ter ex klu si ver E vent-Partner<br />
auf. Salesforce-Chef Marc<br />
Benioff behauptet, dass SAP keine<br />
Innovationen hervorbringe und<br />
ein, wörtlich: „leichtes Ziel“ für<br />
Salesforce sei.<br />
Es ist interessant, dass er mehr über<br />
SAP spricht als über sich selbst. Tatsächlich<br />
ist es Salesforce selbst, das zu<br />
wenig Innovationen hervorbringt: Unternehmen<br />
wollen mit den Kunden auf<br />
jeder Ebene kommunizieren. Sie wollen<br />
die Bedürfnisse der Konsumenten und<br />
ihr Verhalten im Internet verstehen.<br />
Nur SAP hat eine Architektur dafür:<br />
unsere Datenbank „Hana“ und die dafür<br />
entworfene Anwendung „S4-Hana“.<br />
„Hana“ kann Daten in Echtzeit auswerten,<br />
in einer Datenbank. Sie können Ihren<br />
Daten jede Frage stellen, die Sie wollen.<br />
Wenn Salesforce das auch könnte,<br />
23<br />
QUELLE: GARTNER<br />
Fotos / SVEN PAUSTIAN<br />
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969
UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
24<br />
dann würde ich vielleicht sagen, dass<br />
sie innovativ sind. Aber lassen Sie es<br />
mich wissen, wenn es so weit ist.<br />
B<br />
Ein ehemaliger interner Firmenprüfer<br />
behauptet, dass SAP bei<br />
der Entwicklung von „Hana“ bei<br />
den Konkurrenten Oracle, IBM,<br />
RIM (Black ber ry) und Teradata<br />
abgekupfert habe. Was sagen Sie<br />
dazu?<br />
Kompletter Unsinn. Wie, bitte schön,<br />
soll man abkupfern, wenn alles brandneu<br />
ist?<br />
B<br />
Sie haben Strafanzeige gestellt<br />
gegen den ehemaligen Mitarbeiter<br />
und seinen Vater, der ihn als<br />
Anwalt vertritt. Außerdem haben<br />
Sie den Mann entlassen, wogegen<br />
er vorgeht. Wie ist der Stand der<br />
Dinge?<br />
Da es sich weiter um ein laufendes Verfahren<br />
handelt, können wir den Sachverhalt<br />
derzeit nicht kommentieren.<br />
B In Europa, namentlich in<br />
Deutschland, spielt der Datenschutz<br />
eine große Rolle, zumal<br />
für Unternehmen, die sensible<br />
Daten und Geschäftszahlen keinen<br />
Rechenzentren anvertrauen<br />
wollen, deren Sicherheitsstandards<br />
nicht gewährleistet sind.<br />
Können Sie das nachvollziehen?<br />
Klar. Auch in anderen Ländern machen<br />
sich die Menschen Sorgen um ihre Daten.<br />
Es ist unsere Aufgabe, den Menschen<br />
Angebote zu machen, ihre Daten<br />
dort zu speichern, wo sie wollen.<br />
B<br />
An fang Ok to ber kippte der Eu ropäi<br />
sche Ge richts hof das so genannte<br />
Safe-Har bor-Ab kom men,<br />
das es US-Kon zer nen bis lang<br />
er laubt hat, die Daten eu ro päischer<br />
Nut zer in die USA zu übermit<br />
teln. Grund: Amerikanische<br />
Rechenzentren gelten nicht als<br />
sicher. Was bedeutet das für SAP?<br />
Gar nichts. Wir haben unsere<br />
Cloud-Strategie geografisch aufgeteilt.<br />
Wir sind darauf vorbereitet, die Daten<br />
unserer Kunden dort zu verwalten, wo<br />
sie wollen. Wir sind mit jedem Datenschutzabkommen<br />
im Einklang. Für<br />
amerikanische Firmen, die Rechenzentren<br />
in Kalifornien haben, ist das<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
SAP<br />
Bayer<br />
Siemens<br />
Deutsche Telekom<br />
Daimler<br />
Allianz<br />
Volkswagen<br />
BASF<br />
BMW<br />
VOLL WERTVOLL<br />
Analysten raten zum Kauf der SAP-<br />
Aktie, die Anleger folgen. Und SAP ist<br />
die teuerste Firma im Dax.<br />
(IN MILLIARDEN EURO, STAND: 29.1.2016)<br />
Continental<br />
87,0<br />
84,5<br />
76,1<br />
71,9<br />
69,0<br />
66,3<br />
58,5<br />
56,0<br />
50,8<br />
38,8<br />
ein Problem, wenn ihre Kunden ihre<br />
Daten lieber in Berlin verwaltet haben<br />
wollen. Für uns nicht.<br />
B<br />
Viele sogenannte Cloud-Unternehmen<br />
erwirtschaften Verluste. Was<br />
macht Sie so sicher, dass Sie in diesem<br />
Geschäft erfolgreich sind?<br />
In der Cloud-Welt sind die Innovationszyklen<br />
im Interesse des Kunden:<br />
Sie bekommen die neuesten Anwendungen,<br />
müssen keine Aktualisierungen<br />
mehr vornehmen, brauchen keine<br />
eigenen Festplatten, müssen ihr Personal<br />
nicht mehr schulen. Sie brauchen<br />
sich nicht mehr an eine komplizierte<br />
Software-Architektur zu binden,<br />
sondern können Programme wie eine<br />
Dienstleistung mieten. Das ist das<br />
Konsummodell des 21. Jahrhunderts.<br />
B<br />
Sie haben über 20 Milliarden<br />
Euro ins Geschäft mit der<br />
Datenwolke investiert und einen<br />
Schwung Konkurrenten aufgekauft.<br />
Aber die Gewinnspannen<br />
sind nur halb so hoch wie im klassischen<br />
Paketverkauf mit Rechnerprogrammen.<br />
Ihr Renditeziel<br />
von 35 Prozent haben Sie verfehlt.<br />
Nun wollen Sie 30 Prozent erreichen.<br />
Das ist bitter, oder?<br />
Nein. Wir wollten nie an einem Wettrennen<br />
um die höchste Marge teilnehmen.<br />
Wir müssen wettbewerbsfähig<br />
sein, Marktanteile sind in diesem Spiel<br />
wichtiger als Renditen. Wenn wir mit<br />
unserem Cloud-Angebot neue Kunden<br />
gewinnen und binden können, wird es<br />
mittelfristig eine höhere Marge erzielen<br />
als unser Lizenzgeschäft. Aber das<br />
braucht Zeit. Wenn wir nur auf den<br />
Gewinn schielen würden, wäre SAP<br />
nicht Marktführer.<br />
B Bislang sind Ihre Cloud-Zukäufe<br />
Successfactors, Ariba und Concur<br />
nicht mit Ihrer Wunder-Datenbank<br />
„Hana“ verbunden. Wann<br />
wird dies der Fall sein?<br />
Wir werden in diesem Jahr alle unsere<br />
Cloud-Produkte mit „Hana“ verbinden.<br />
B Welche Übernahmen planen Sie<br />
für dieses Jahr?<br />
Wir haben so viele Innovationen neu<br />
in diese Firma aufgenommen. Wenn<br />
wir Übernahmen machen, dann als<br />
Flankierung unserer bestehenden<br />
Geschäfte. Große Firmenkäufe planen<br />
wir zurzeit nicht.<br />
B<br />
Die Schulden und Verbindlichkeiten<br />
von SAP belaufen sich auf<br />
gewaltige 18 Milliarden Euro.<br />
Dem stehen Barmittel von nur<br />
3,4 Milliarden Euro gegenüber.<br />
Wie wollen Sie diesen Schuldenberg<br />
abtragen – ohne das Wachstum<br />
zu gefährden und an Innovationsfähigkeit<br />
einzubüßen?<br />
Fakt ist: SAP verfügt derzeit über<br />
3,4 Mrd. Euro an liquiden Mitteln und<br />
generiert jedes Jahr gut 3,6 Mrd. Euro<br />
operativen Cashflow. Darum können<br />
wir einerseits kontinuierlich Schulden<br />
abbauen, andererseits aber auch weiterhin<br />
in Wachstum investieren und<br />
eine Dividende ausschütten.<br />
B<br />
Im Traditionsgeschäft mit Lizenzen<br />
und der Wartung der Anwendungen<br />
erwirtschaften Sie immer<br />
noch über 70 Prozent Ihrer<br />
Umsätze. Im vergangenen Jahr<br />
haben Sie in diesem Bereich überraschend<br />
stark abgeschnitten.<br />
Gilt Ihre Prognose noch, wonach<br />
der Cloud-Umsatz spätestens<br />
2018 über den Erlösen aus dem<br />
Verkauf neuer Lizenzen liegt?<br />
Ja, wir erwarten, dass unser<br />
Cloud-Umsatz ab 2018 höher ist als<br />
unser Lizenzumsatz. Das Wichtigste<br />
ist, dass wir unseren Kunden die<br />
Wahlmöglichkeit anbieten. Es gibt<br />
viele Kunden, die ihre Anwendung<br />
nur auf den eigenen Rechenzentren<br />
laufen lassen. Andere wollen eine<br />
Misch form: Manches machen sie<br />
selbst, anderes Partner, anderes SAP.<br />
SAP kann alles bieten. Mit „Hana“<br />
haben wir etwas, was niemand sonst<br />
hat. Wir erfinden eine neue Welt.<br />
B<br />
Diese schöne neue Welt wird sich<br />
auch auf die Beschäftigten von<br />
SAP auswirken. Weil Sie auf das<br />
Wolkengeschäft setzen, brauchen<br />
Sie immer weniger Mitarbeiter,<br />
die Ihre Anwendungen beim Kunden<br />
installieren und das Personal<br />
schulen. 2015 haben Sie 3.000<br />
Mitarbeiter mit teilweise saftigen<br />
Abfindungen in den Ruhestand<br />
verabschiedet. Wie viele Mitarbeiter<br />
sollen 2016 gehen?<br />
Wir werden auch 2016 unsere Mitarbeiterzahl<br />
erhöhen. Auch wenn wir<br />
unsere Belegschaft modernisieren,<br />
werden wir die Gesamtzahl steigern.<br />
SAP ist ein Unternehmen, das wächst.<br />
Wir stellen Leute von der Universität<br />
weg ein und trainieren sie auf die SAP-<br />
Art. Wir stellen sie nicht nur für Jobs<br />
ein, wir versuchen, ihre Karrieren zu<br />
entwickeln. In dieser Wirtschaft gewinnt<br />
nur die beste Belegschaft.<br />
B Also kein Stellenabbau.<br />
Das Gegenteil ist richtig: Wir stellen<br />
ein. Wenn Leute die digitale Transformation<br />
mitmachen, dann geben<br />
wir ihnen alle Möglichkeiten, sich fit<br />
zu machen für das neue digitale Zeitalter.<br />
Wir wollen niemanden loswerden.<br />
Wir machen aber Angebote: 2015<br />
haben wir ein Frühverrentungsprogramm<br />
angeboten für Leute, die lieber<br />
eine gute Abfindung nehmen, als die<br />
Reise in die digitale Welt mitzumachen.<br />
Aber dieses Programm ist beendet.<br />
Das wird es 2016 nicht geben.<br />
160 MILLIARDEN<br />
MIT DATEN<br />
Was früher die elektronische Datenverarbeitung,<br />
EDV, war, nennt sich heute<br />
im Marketing-Deutsch „Big Data“.<br />
Auf 160 Milliarden Euro schätzen die<br />
Beobachter von Crisp Research den<br />
weltweiten Markt für das Jahr 2015. Es<br />
gibt drei Teilmärkte. Erstens: Rechner,<br />
Datenbanken und Programme, mit<br />
denen sich Daten auswerten lassen –<br />
das Betätigungsfeld von SAP. Zweitens:<br />
Firmen, die diese Technik anwenden,<br />
die Daten auswerten und das Ergebnis<br />
verkaufen. Und drittens: der Markt für<br />
„Sensoren und Netzwerke“, die für die<br />
Verbindung von Geräten und Fahrzeugen<br />
mit dem Internet sorgen.<br />
B Hasso Plattner hat seine deutschen<br />
Entwickler als träge und<br />
langsam geächtet. Schließen Sie<br />
sich dem an?<br />
Ist es nicht super, dass SAP einen<br />
Gründer mit so viel Energie und Leidenschaft<br />
hat, der uns herausfordert,<br />
besser zu sein?<br />
B<br />
Noch einmal: Schließen Sie sich<br />
Plattners Kritik an?<br />
Wir haben keine schlechte Meinung<br />
von unseren deutschen Ingenieuren.<br />
Wir haben eine sehr hohe Meinung<br />
von ihnen. Wir finden sie so gut, dass<br />
wir sie ständig herausfordern, besser<br />
zu sein. Weil sie die Besten der Welt<br />
sind. Ich glaube, das ist Hassos Ansatz:<br />
Weil ihr die Besten der Welt seid, lehnt<br />
euch nicht zurück!<br />
B<br />
Wie amerikanisch darf das deutsche<br />
Unternehmen SAP sein?<br />
SAP soll nicht amerikanisch sein, sondern<br />
global. Wir können stolz auf unsere<br />
deutschen Wurzeln und unsere<br />
deutsche Technik sein – und gleichzeitig<br />
sollen wir stolz darauf sein, dass<br />
auch aus anderen Teilen der Welt Innovationen<br />
kommen.<br />
B<br />
Ihre deutschen Mitarbeiter haben<br />
Angst davor, dass die Konzernzentrale<br />
in die USA verlegt wird.<br />
Verstehen Sie die Ängste?<br />
Natürlich. Das ist der deutsche<br />
Stolz. Deshalb sage ich auch ständig:<br />
Walldorf ist und bleibt unsere Konzernzentrale.<br />
Deutschland ist unser<br />
Zuhause. Ich bin nach Heidelberg gezogen,<br />
um meinen Mitarbeitern zu zeigen,<br />
dass dies unsere Heimat ist.<br />
B Und? Wie gefällt es Ihnen hier?<br />
Ich bin an dem Tag nach Heidelberg<br />
gezogen, als Deutschland Brasilien 7:1<br />
geschlagen hat. Ein paar Tage später<br />
war Deutschland Fußball-Weltmeister.<br />
Wir haben in der Woche davor<br />
ein Picknick mit 30.000 SAP-Mitarbeitern<br />
gemacht. Und ich habe meine<br />
Nachbarn zu einer Party zu mir nach<br />
Hause eingeladen. SAP ist ein Teil meines<br />
Lebens, ich arbeite seit 14 Jahren<br />
hier. Deutschland ist ein wunderbares<br />
Land. SAP ist eine wunderbare Firma.<br />
Ich habe mein Zuhause gefunden. Hier<br />
gehöre ich hin.<br />
U<br />
QUELLE: FINANZEN.NET<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
SCHLUSS MIT DEM BILDUNGSDÜNKEL<br />
Deutschland ist auf dem Weg in die Akademiker-Republik.<br />
Für die hiesige Industrie ist diese Entwicklung von Übel.<br />
26<br />
Bei „Zeit Online“ schilderte unlängst<br />
ein Leser, wie sich die Einkaufsabteilung<br />
seines Arbeitgebers verändert<br />
habe. Noch vor rund zehn Jahren hätten<br />
dort gelernte Büro- und Industriekaufleute<br />
die Arbeit verrichtet, nur der<br />
Abteilungsleiter und sein Stellvertreter<br />
ein Studium absolviert. Heute seien in<br />
der Abteilung mit 25 Angestellten ausschließlich<br />
Menschen mit Master-Abschlüssen<br />
beschäftigt: „Kann mir einer<br />
erklären“, fragt der Zeitgenosse, „weshalb<br />
man zum Bestellen von Papier und<br />
Kugelschreibern ein Studium braucht?“<br />
Deutschland auf dem Weg in eine<br />
Akademiker-Republik: Nahezu unbemerkt<br />
von der Öffentlichkeit hat sich<br />
die Zahl der Studienanfänger seit 1995<br />
fast verdoppelt – auf 503.639 im vergangenen<br />
Jahr. Gut die Hälfte eines<br />
Jahrgangs schreibt sich gegenwärtig<br />
an einer Universität ein.<br />
Das sei eine höchst erfreuliche<br />
Entwicklung, wird gern argumentiert:<br />
Aufstieg sei vor allem durch Bildung<br />
erreichbar. Schließlich lebten wir in<br />
einer Zeit, in der das Wissen der wichtigste<br />
Wettbewerbsvorteil und Produktionsfaktor<br />
sei. Deutschland habe<br />
bei der Ausbildung von Akademikern<br />
gegenüber anderen hoch entwickelten<br />
Staaten aufzuholen, wie auch die allwissende<br />
OECD, die Organisation der Industriestaaten,<br />
uns regelmäßig belehrt.<br />
Mich erinnern diese Ratschläge<br />
an die Sprüche, die wir uns in den<br />
80er- und 90er-Jahren anhören durften:<br />
Die deutsche Volkswirtschaft sei<br />
überindustrialisiert, sei zu wenig in<br />
den Dienstleistungen vertreten. Inzwischen<br />
wissen wir, dass die Kritik Unfug<br />
war. Deutschland verdankt seine heutige<br />
Stärke in erster Linie einer breit<br />
aufgestellten Industrie.<br />
Schon der Vergleich mit den Hochschulabgängern<br />
in anderen Ländern,<br />
wie ihn die OECD betreibt, führt in<br />
AUF KURS MIT KADEN<br />
die Irre: Uni ist nicht gleich Uni. Ein<br />
Bachelor-Studium in den USA, wo<br />
die Studienanfängerquote bei himmlischen<br />
72 Prozent liegt, vergleichen<br />
Kenner der amerikanischen Wirklichkeit<br />
mit einem Kurs bei der hiesigen<br />
Volkshochschule. Nur 20 Prozent der<br />
US-Unis erfüllen vergleichbare Ansprüche<br />
deutscher Hochschulen; herausragend,<br />
aber eben nicht typisch,<br />
seien allein die Elite-Universitäten wie<br />
Harvard oder Stanford.<br />
Natürlich braucht Deutschland<br />
mehr Akademiker als noch vor 30<br />
oder 40 Jahren. Einfache Tätigkeiten<br />
werden von Maschinen und Automaten<br />
übernommen, Herstellungsprozesse<br />
und Büroarbeiten hat die<br />
Informations technik revolutioniert,<br />
die Berufswelt ist sehr viel anspruchsvoller<br />
geworden. Aber muss deswegen<br />
wirklich die Hälfte eines Jahrgangs ein<br />
Vollstudium absolvieren, möglichst<br />
mit Master-Abschluss?<br />
Mit dem „Bologna-Prozess“, der<br />
seit 1999 die europäischen Studiengänge<br />
harmonisiert und das alte System<br />
der Magister- und Diplomstudiengänge<br />
abgelöst hat, sollte die universitäre<br />
Bildung näher an die Berufswelt<br />
WOLFGANG KADEN<br />
Der ehemalige Chefredakteur<br />
des „Spiegels“ (1991 – 1994) und des<br />
„Manager Magazins“ (1994 – 2003)<br />
gehört zu den renommiertesten<br />
Wirtschaftsjournalisten des Landes.<br />
herangeführt werden: 80 Prozent der<br />
Studierenden, so war der Plan, sollten<br />
nach drei Jahren mit dem Bachelor<br />
die Uni verlassen. Die Realität heute:<br />
80 Prozent wollen den Master machen.<br />
Der Staat verstärkt diesen Trend noch,<br />
indem er, wie jüngst öffentlich wurde,<br />
die höhere Beamtenlaufbahn nur Master-Absolventen<br />
vorbehalten will.<br />
Es liegt eine gravierende Fehlsteuerung<br />
vor. Zum einen, weil nun<br />
mal nicht jeder, der das Abitur geschafft<br />
hat, auch tatsächlich zum wissenschaftlichen<br />
Arbeiten (und darum<br />
sollte es doch an der Universität gehen)<br />
befähigt ist. Der Anteil derer, die<br />
ihr Studium mangels Fleiß oder Begabung<br />
abbrechen, liegt bei rund einem<br />
Drittel. Das bedeutet, rein menschlich,<br />
viel Hader und Enttäuschung; und,<br />
rein ökonomisch, eine Vergeudung<br />
von Ressourcen, von privatem Geld<br />
und von Steuergeld.<br />
Zum anderen, wichtiger noch, sorgt<br />
der Akademisierungstrend dafür, dass<br />
der klassischen nicht akademischen<br />
Berufsausbildung der Nachwuchs ausgeht.<br />
Paradox: Während derzeit viele<br />
Länder, vor allem solche mit hoher Jugendarbeitslosigkeit,<br />
die duale Ausbildung<br />
– also die Kombination von Lehre<br />
und Berufsschule – nachzuahmen versuchen,<br />
lassen wir dieses Erfolgsmodell<br />
ausbluten. 2013 war die Zahl der Studienanfänger<br />
erstmals höher als die jener,<br />
die eine Lehre begannen.<br />
Was wir derzeit geschehen lassen,<br />
sei eine „Abkehr unseres Bildungswesens<br />
vom Konkreten, vom Haptischen,<br />
vom Handwerklich-Technischem“, wie<br />
Julian Nida-Rümelin, der Münchner<br />
Philosophie-Professor und ehemalige<br />
Kulturstaatsminister, in seinem Buch<br />
„Der Akademisierungswahn“ schreibt.<br />
Schon jetzt zeichnet sich ein Mangel<br />
an gut ausgebildeten Facharbeitern<br />
und Handwerkern ab – ein Defizit, das<br />
beständig wächst und den Kern der<br />
deutschen Industrie aushöhlt.<br />
16 Prozent der Deutschen verfügen<br />
derzeit über einen Hochschulabschluss.<br />
Das kann und muss sicherlich<br />
mehr werden. Wenn jedoch der Ansturm<br />
auf die Unis anhält, wird sich der<br />
Anteil der Akademiker in den nächsten<br />
Jahrzehnten verdrei- oder vervierfachen<br />
– ein groteskes Überangebot.<br />
Was ist zu tun? Manches wird sicherlich<br />
der Markt regeln. Studieren ist<br />
attraktiv, weil Akademiker im Schnitt<br />
immer noch besser verdienen als<br />
Nichtstudierte.<br />
Aber der Abstand verringert sich,<br />
vor allem in den Fachgebieten, in denen<br />
ein großes Angebot an Hochschulabsolventen<br />
einer bescheidenen Nachfrage<br />
gegenübersteht.<br />
Das gilt laut offizieller Statistik vor<br />
allem für Geisteswissenschaftler, deren<br />
Bruttoverdienste im Schnitt kaum<br />
über 4.000 Euro im Monat liegen –<br />
ein Einkommen, das auch viele nicht<br />
akademische Fachkräfte inzwischen<br />
erreichen. Dieser Trend wird sich<br />
fortsetzen, je mehr Studierte Tätigkeiten<br />
übernehmen (müssen), für die<br />
sie überqualifiziert sind, wie eben jene<br />
Studierten in der Einkaufsabteilung.<br />
Aber nur auf die Einkommen zu<br />
setzen, wird nicht ausreichen. Das<br />
Umdenken muss bei den Schulen anfangen,<br />
die immer noch fernab der<br />
wirtschaftlichen und beruflichen Realität<br />
dahinwerkeln; sie müssen den<br />
Schulabgängern eine deutlich bessere<br />
Orientierung für die Berufswahl bieten<br />
als derzeit üblich.<br />
Zudem muss die duale Ausbildung,<br />
bei all ihren Qualitäten, aus der „Reformstarre“<br />
gelöst werden, die ihr erfahrene<br />
Praktiker wie der ehemalige<br />
Telekom-Personalvorstand Thomas<br />
Sattelberger attestieren. Das heißt:<br />
Sie muss schneller auf neue Trends in<br />
Technik und Betriebswirtschaft reagieren<br />
und auch, wie Nida-Rümelin empfiehlt,<br />
„durch Integration wissenschaftlicher<br />
Anteile attraktiver“ werden.<br />
Vor allem aber muss die Gesellschaft,<br />
müssen die Akteure in Politik,<br />
Unternehmen, Verbänden, Medien<br />
umdenken: Sie müssen runter vom<br />
Bildungsdünkel. Alle müssen lernen,<br />
praktische Arbeit – Handwerkliches,<br />
Technisches, Manuelles – höher wertzuschätzen,<br />
als dies bisher der Fall ist.<br />
Das überzogene Sozialprestige,<br />
das ein Hochschulstudium gegenüber<br />
einer anderen beruflichen Ausbildung<br />
genießt, ist nicht mehr zeitgemäß. Als<br />
Akademiker-Republik, nur mit mehr<br />
und weniger begabten Kopfarbeitern,<br />
wird Deutschland im globalen Konkurrenzkampf<br />
nicht bestehen. U<br />
27<br />
ILLUSTRATION: FREDERICK STRASCHE<br />
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969
UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
DER SONNENKÖNIG<br />
Der Milliardär Hans-Peter Wild hat „Capri-Sonne“ zum<br />
Welterfolg gemacht. Jetzt ist er 74 Jahre alt und steckt voller Pläne.<br />
Auch wenn er nicht so aussieht.<br />
Text<br />
STEPHAN KNIEPS<br />
Fotos<br />
MARA TRUOG<br />
28<br />
29<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
30<br />
Z<br />
um Jahreswechsel hat<br />
Hans-Peter Wild – Kurpfälzer,<br />
Vater zweier<br />
Söhne, Zwei-Kommaeins-facher<br />
Milliardär<br />
und 74 Jahre alt ... noch mal: Hans-Peter<br />
Wild also hat sein Unternehmen<br />
umbenannt, von „Arios Holding AG“<br />
in „Capri Sun Holding AG“.<br />
Alles in allem nur ein kleiner, mit<br />
ein paar Federstrichen zu bewerkstelligender,<br />
aber in diesem Falle doch<br />
bemerkenswerter Vorgang und ein<br />
Grund, den alten Wild einmal aufzusuchen,<br />
und zwar im schweizerischen<br />
Zug, wo er 1993 sein Firmenhauptquartier<br />
aufgeschlagen und im selben Jahr<br />
auch seinen Wohnsitz genommen hat.<br />
Und das nicht, weil es in der Schweiz<br />
so schön auf und ab und nur selten zur<br />
Seite geht.<br />
Wild, akkurat in grauem Anzug und<br />
rosafarbenem Schlips, empfängt mich<br />
im obersten, dem vierten Stock seines<br />
Amtssitzes, in einem ehemaligen Bankgebäude<br />
am Zuger See, der an diesem<br />
Wintermorgen eine nebelig-trübe<br />
Wässrigkeit ist und nicht gerade den<br />
Anreiz erhöht, einen Freudentanz aufzuführen<br />
und ins Alphorn zu blasen.<br />
„Gehen Sie mal ins Internet, und suchen<br />
Sie nach ,Arios‘“, knurrt Wild.<br />
Er spricht „Arios“ aus wie eine ansteckende<br />
Krankheit. „Kennt ja keiner.<br />
Das war eine Idee des Managements.<br />
Ich musste ,Arios‘ sogar auf meine<br />
Visitenkarte draufschreiben. Ich hab<br />
gesagt: Ihr spinnt wohl!“<br />
Wild sitzt am Besprechungstisch,<br />
trinkt einen Cappuccino. Vor uns steht<br />
eine Thermoskaffeekanne und ein<br />
Porzellanteller mit Schokoplätzchen,<br />
im Bücherregal ein gutes Dutzend<br />
„Capri-Sonne“-Trinkbeutelchen, eine<br />
Kristallkaraffe mit zwei Gläsern und<br />
jede Menge Literatur: „Success with<br />
Citrus“, „Ultrafiltration and Microfiltration“,<br />
„The Strawberry“, „Food<br />
Emulsions“, „Source Book of Flavors“.<br />
Links daneben ein alter Globus<br />
im Holzgestell, rechter Hand<br />
ein „Capri-Sonne“-Aufsteller („Pink<br />
Grape fruit) und ein Werbeplakat für<br />
das Getränk „Monster Energy“.<br />
Wild spricht laut und deutlich. Wie<br />
einer, der schlecht hören kann. Nicht<br />
sein Fehler. Im linken Ohr steckt ein<br />
Hörgerät. Jedenfalls hatte er genug<br />
davon, dass seine Firma so heißt wie<br />
eine gesichtslose Beteiligungsfirma,<br />
ein Kaufhaus oder Müsliriegel. Er sei<br />
alleiniger Eigentümer, wenn auch seit<br />
2005 schon nicht mehr Geschäftsführer.<br />
Das betont er. Entscheidungen fallen<br />
im Verwaltungsrat. Soll heißen: im<br />
Einklang.<br />
Ja gut, er mag dem Namen „Arios“<br />
einst selbst zugestimmt oder ihm keine<br />
große Bedeutung beigemessen haben.<br />
Aber es ist ja nie zu spät, einen Fehler<br />
zu korrigieren, selbst einen eigenen.<br />
Nun heißt seine Gesellschaft also wie<br />
ihr Hauptprodukt „Capri-Sonne“.<br />
Und das bedeutet ihm etwas, das<br />
bedeutet ihm sogar sehr viel. Auch<br />
wenn HPW, wie sein internes Kürzel<br />
lautet, die „Capri-Sonne“ nicht erfunden<br />
hat, betrachtet er sich doch als<br />
den Urheber ihres Erfolgs.<br />
Den Beuteltrank, mit dem sein Vater<br />
Rudolf 1969 die Heidelberger Supermärkte<br />
und Bäckereien belieferte,<br />
hat er, der Sohn, zur Weltmarke zugespitzt.<br />
Er, der in seiner Studentenzeit<br />
geboxt hatte, war es auch gewesen,<br />
der 1979 zum Entsetzen der Konkurrenz<br />
und dank der erstaunlichen Verbindungen<br />
eines Sportreporters den<br />
Boxweltmeister aller Klassen, Muhammad<br />
Ali, als Werbeträger für seine<br />
Provinzmarke gewinnen konnte. „Ich<br />
bin der Größte!“, meldete Ali, „aber<br />
wenn ich mit dem Boxen aufhöre, ist<br />
,Capri-Sonne‘ das Größte!“<br />
Heute kann man „Capri-Sonne“<br />
in 119 Ländern kaufen; mehr als sechs<br />
Milliarden Beutel werden im Jahr abgesetzt.<br />
Hans-Peter Wild, der seine Sätze<br />
gelegentlich mit Beratersprech versalzt<br />
und verunziert, ruft: „,Capri-Sonne‘<br />
hat unlimited growth potential.“<br />
Nur schade, dass seine Söhne,<br />
Christoph (46) und dessen jüngerer<br />
Bruder Robert, seine unverwüstliche<br />
Begeisterung nicht teilen. Für beide<br />
war schon vor rund 20 Jahren klar:<br />
„Capri-Sonne“? Ohne uns!<br />
Sie sind anderweitig interessiert.<br />
Dem Betrieb kehrten sie früh den<br />
Rücken. Wild wird darob nicht zum<br />
Melancholicus, und auch seine Stimme<br />
bleibt ohne Vibrato. Aber etwas<br />
Wehmut wallt doch in ihm: Mit der<br />
Wild’schen Führungsdynastie ist es<br />
TATSACHEN<br />
„Capri-Sonne“, 1969 erstmals im<br />
Markt, wird in 119 Ländern verkauft.<br />
In Deutschland produzieren die<br />
Sisi-Werke in Eppelheim bei Heidelberg<br />
(Foto) das Fruchtsaftgetränk,<br />
Umsatz: ca. 400 Mio. Euro. Zu den<br />
Wettbewerbern zählen Kindergetränke<br />
der britischen Nahrungsmittelfirma<br />
Britvic (Umsatz: 1,7 Mrd. Euro) sowie<br />
der niedersächsischen Getränkefirma<br />
Riha-Wesergold (Umsatz:<br />
600 Mio. Euro). Auch Coca-Cola<br />
führt mit „Minute Maid“ eine eigene<br />
Marke im Fruchtsaftsegment.<br />
nach der zweiten Generation schon<br />
wieder vorbei.<br />
1931 hatte Wilds Vater – Rudolf, der<br />
Chemiker – die Firma als sogenanntes<br />
„Zick-Zack Werk“ in die Heidelberger<br />
Register eingetragen und fortan Mineralwasser,<br />
später Brausen abgefüllt<br />
und verbreitet und irgendwann auch<br />
Roh- zu Inhaltsstoffen veredelt, zu<br />
Essenzen und Aromen. Alles ganz natürlich-biologisch,<br />
was damals in der<br />
Zunft völlig unnatürlich gewesen war.<br />
1956 überwältigte er die Hamburger<br />
Limonadenfabrik Sisi („Sine sine spiritus“),<br />
was insofern vorteilhaft war,<br />
als sich der Voreigner 1952 den Namen<br />
„Capri-Sonne“ hatte schützen lassen.<br />
Auf bloßen Verdacht hin! Den Trank<br />
zum Namen gab es ja noch gar nicht!<br />
Nur den Ohrwurm von Rudi Schuricke:<br />
„Wenn bei Capri die rote Sonne<br />
im Meer versinkt …“<br />
Hans-Peter Wilds Kindheit war<br />
durchaus dufte gewesen, so darf man<br />
es sagen. Ein Geruchsrausch, der von<br />
den Orangen- und Zitronensaftkonzentraten<br />
durch die Wild’sche Villa<br />
wehte, die, der besseren Kontrolle halber,<br />
auf dem Firmengelände lag.<br />
Ein anderer bleibender Eindruck<br />
aus Kindheitstagen: der Dobermann,<br />
mit dem er und sein Bruder Rainer<br />
(72) spielten. Als früh profilierte Führungspersönlichkeit<br />
hatte Hans-Peter<br />
den mächtigen Hund vor sein Dreirad<br />
gespannt und sei hinter ihm drein<br />
durchs Werk gejagt wie Ben Hur auf<br />
seinem Streitwagen.<br />
In der Folge gedieh HPW vortrefflich:<br />
Studium in München (Rechtswissenschaft)<br />
sowie Tübingen, Cambridge<br />
und Paris (Betriebswirtschaftslehre).<br />
Zwischendurch fand er noch Zeit<br />
für etwas Profisport: als Skilehrer, und<br />
später boxte er, wie gesagt, und sprang<br />
bei Reitturnieren herum.<br />
Und die Firma? Oh, er machte sich<br />
nützlich. Sprach ja nicht schlecht Englisch<br />
und Französisch und vertrat das<br />
Unternehmen in Frankreich, USA, Mexiko<br />
und auf Jamaika. 1969 erlangte er<br />
die Doktorwürde in Mannheim.<br />
Danach schlug Wild erst einmal die<br />
Zeitung auf, die „FAZ“, der Stellenanzeigen<br />
wegen: Dachte, es sei adäquat<br />
und opportun, erst mal einen Bogen zu<br />
schlagen um Eppelheim und beim Bremer<br />
Öl- und Gasimporteur Diersch &<br />
Schröder anzuheuern. Vier Jahre lang<br />
legte er sich hier ins Zeug, diente sich<br />
hoch bis zum Geschäftsführer für Mineralöl,<br />
Chemie und Reederei. Ende<br />
1973 hatte er dann aber genug bewiesen:<br />
Wilds Vater wollte ihn zurück.<br />
Also, zurück nach Eppelheim, wo<br />
er mit optimierten Produktionsanlagen<br />
samt erweiterter Produktpalette<br />
sozusagen auf das Prinzip Weltmarktstrategie<br />
umschaltete.<br />
Mit beachtlichem Erfolg: Die derweilen<br />
in „Wild-Flavors“ umgetaufte<br />
Firma brachte es mit „Capri-Sonne“<br />
und reichen Kunden wie Nestlé, Kraft,<br />
Oetker, Haribo bald auf einen Umsatz<br />
von über einer Milliarde Euro.<br />
Der Umweg über Bremen, sagt Wild,<br />
habe seinen Einstand in der Firma<br />
enorm erleichtert. Mit Respekt war<br />
man ihm begegnet, nicht mit Hohn<br />
(„Pah, der Sohn vom Chef …“).<br />
Eine Erfahrung, die beim Wechsel<br />
zur dritten Generation nicht weiterhalf.<br />
Der Auftritt, den Wilds Söhne<br />
in der Familienfirma hinlegten, geriet<br />
kurz und war wenig geglückt.<br />
Vorangegangen war das Ausscheiden<br />
von Wilds Bruder Rainer, geschäftsführender<br />
Gesellschafter bei<br />
Wild-Flavors und rund 15 Jahre lang<br />
mit HPW gleichgestellt. Kein Zufall,<br />
dass der Tod ihres Vaters und der<br />
Ausstieg von Rainer Wild eng beieinanderlagen.<br />
„Als mein Vater 1995 starb, hat<br />
mein Bruder das Erbe ausgeschlagen.<br />
Das war eine Erleichterung für ihn“,<br />
sagt Wild. „Er interessierte sich für<br />
andere Dinge. Er hatte sich aber nicht<br />
getraut, das dem Vater zu sagen.“<br />
Rainer Wild, der heute in Heidelberg<br />
die Firma Naturfarben sowie eine<br />
Stiftung für gesunde Ernährung führt,<br />
hatte sein Ausscheiden mit einem edlen<br />
Motiv begründet: Er übe Verzicht<br />
zugunsten seiner Neffen Christoph<br />
und Robert. Ein Umstand, der die Söhne<br />
von Hans-Peter Wild unter einigen<br />
Druck gesetzt haben dürfte.<br />
Er habe das seinen Söhnen „nicht<br />
antun wollen“, sagt Wild oder behauptet<br />
es jedenfalls: „Ich wollte die<br />
nicht in etwas hineinzwingen, was sie<br />
nicht wirklich wollen.“ Trotz Verzicht<br />
und Verständnis Wilds – im Verhältnis<br />
zwischen Vater und Söhnen haben<br />
Enttäuschung und Ernüchterung<br />
auf der einen und der Kampf um ein<br />
freieres, selbstbestimmtes Leben auf<br />
der anderen Seite offenbar ihre Spuren<br />
hinterlassen. Weggefährten und<br />
ehemalige Manager sagen: Vater und<br />
Söhne hätten sich selten viel zu sagen<br />
gehabt.<br />
Wild habe seine Söhne spüren lassen,<br />
dass sie sich, genau wie er selbst<br />
damals in Bremen, ihre Stellung im Familienbetrieb<br />
erst verdienen müssten.<br />
Er habe ihnen, als sie 18 wurden, zwar<br />
einen „Mercedes“ und einen „Porsche“<br />
vor die Tür gestellt. Doch in der Fir-<br />
31<br />
Hölzern: Hans-Peter Wild mag’s rustikal. „Capri-Sonne“ will<br />
er nicht verkaufen: „Was soll ich denn mit noch mehr Geld?“<br />
Muhammad Ali in Eppelheim: 1979 konnte Wild den Boxweltmeister<br />
überzeugen, für „Capri-Sonne“ zu werben.<br />
FOTO: UNI HEIDELBERG<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
32<br />
ma wurde den Sprösslingen nichts geschenkt.<br />
Sie sollten ganz unten anfangen<br />
und sich hochdienen: Christoph in<br />
Eppelheim, Robert in der Schweiz.<br />
Viele Mitarbeiter, sagt ein Ehemaliger,<br />
hätten den beiden jedoch misstraut.<br />
Nach allgemeiner Auffassung besäßen<br />
sie nur eine einzige Qualifikation, nämlich<br />
die Söhne zu sein. Es habe da „ein<br />
paar unschöne Szenen“ gegeben.<br />
Beeinträchtigend kam hinzu, dass<br />
die beiden wenig Geschmack fanden<br />
am Aroma- und Saft-Metier, an Fruchtaus<br />
zü gen, Le bens mit tel far ben und<br />
Frucht saft kon zen tra ten. Sie hielten<br />
es ungefähr ein Jahr lang in der Firma<br />
aus. Ende der 90er-Jahre ging’s nicht<br />
mehr. Es war „ein Prozess“, sagt Wild.<br />
Was ist aus ihnen geworden? Wild<br />
reagiert pikiert, hier beginnt privates<br />
Terrain. Offenbar nahmen die Söhne<br />
ein Studium an der privaten Franklin-Universität<br />
in Lugano auf, später<br />
hatten sie sich als Autohändler versucht<br />
und von 2005 bis 2007 mit dem<br />
Sportwagenvertrieb Apollo-Cars in<br />
Zug selbstständig gemacht. Danach<br />
verliert sich ihre Spur.<br />
Sein Sohn Christoph, gibt Wild<br />
dann doch noch preis, sei mit der italienischen<br />
Diplomatin Tiziana di Molfetta<br />
liiert, das Paar ziehe alle paar Jahre<br />
in eine andere Stadt: Rom, Bangkok,<br />
aktuell leben sie in Seoul. Die Frau versieht<br />
dort das Amt der Vizebotschafterin.<br />
Und Robert sei als Unternehmer<br />
in Lugano tätig.<br />
Wild habe Abkehr und Lossagung<br />
der Söhne von der Firma eine Zeit<br />
lang belastet, erinnert sich ein Konfident.<br />
Doch Rührseligkeit ist nicht sein<br />
Ding. Er war Boxer: Wirklich weh tut<br />
ganz was anderes. Bald sei er wieder<br />
zur Tagesordnung übergegangen und<br />
habe nach anderen Lösungen gesucht.<br />
„Ich hatte immer gehofft, dass der<br />
eine oder der andere vielleicht doch<br />
noch will“, sagt Wild heute. „Aber ich<br />
wollte sie nicht pushen. Lass die ihr eigenes<br />
Leben führen. Denen geht’s hervorragend,<br />
und uns als Familie geht’s<br />
auch gut.“<br />
Wie also weiter? Das Rentenalter<br />
hatte HPW damals lange erreicht, die<br />
Zeit der Entscheidung war gekommen.<br />
Dass er von Schicksalsergebenheit wenig<br />
hielt, war allen Vertrauten klar.<br />
Dann kam das Jahr 2010: Zur Verblüffung<br />
der Aroma-Innung verkaufte<br />
er gut 35 Prozent seiner Wild-Flavors-Anteile<br />
an den US-Finanzinvestor<br />
KKR. „Capri-Sonne“, erzählte man<br />
sich im Geheimen, solle auf einen Börsengang<br />
vorbereitet werden. Aber vom<br />
Kapitalmarkt hat Wild in Wahrheit nie<br />
viel gehalten.<br />
KKR-Eu ro pa chef Jo han nes Huth<br />
konnte mit der Min der heit damals<br />
„gut le ben“. Sie gebe „der Fa mi lie das<br />
Ge fühl, nicht über nom men zu werden,<br />
beide Sei ten ste hen als Part ner<br />
da“. Ideal gerade dann, „wenn es ein<br />
solch fan tas ti sches Ge schäft gibt, bei<br />
dem eine Fa mi lie dar über nach denkt,<br />
wie man es wei ter ge ben möch te, ohne<br />
dass ein Nach fol ger aus der Fa mi lie es<br />
be trei ben kann“.<br />
2013 fasste Wild unter dem damals<br />
noch von ihm für gut befundenen Namen<br />
„Arios“ den gesamten Restbe-<br />
stand zusammen, der sich noch zur<br />
Gänze in seinem Besitz befand, also<br />
in Sonderheit jene Unternehmen, die<br />
er um „Capri-Sonne“ gruppiert hatte.<br />
Neben den Sisi-Werken zählten<br />
dazu eine Firma für Abfüll-Maschinen,<br />
eine zur Verwaltung des Grundbesitzes<br />
und des Weiteren eine zum<br />
Vertrieb anderer Getränkemarken<br />
(bis Mitte 2015 zum Beispiel den<br />
Energietrunk „Monster“). Angeschlossen<br />
war gleichermaßen ein<br />
Unternehmen für das Geschäft mit<br />
Discountern, die „Capri-Sonne“-Kopien<br />
lieber als Eigenmarke anbieten.<br />
Heute setzt die Organisation rund<br />
500 Millionen Euro um.<br />
2014 aber, vier Jahre nachdem er<br />
eine erste Portion an KKR verkauft<br />
hatte, gab Wild bekannt, nun auch den<br />
Rest von Wild-Flavors loswerden zu<br />
wollen: „Wenn ich den De ckel zu mache,<br />
ist oh ne hin Schluss mit dem Familienunternehmen.“<br />
Der Andrang war groß, auch der<br />
ja pa ni sche Ge würz her stel ler Aji nomoto<br />
hatte sich um die Eppelheimer<br />
Eigentumsrechte beworben. Zum Zuge<br />
kam indes der US-Getreide- und<br />
Sojahändler Archer Daniels Midland<br />
(ADM, Umsatz: 81,2 Mrd. Dollar). Die<br />
Amerikaner überwiesen großzügige<br />
2,3 Milliarden Euro.<br />
„Ich hatte gemerkt: Ich muss was<br />
machen“, erinnert sich Hans-Peter<br />
Wild. „Die Familie macht das ja seit<br />
80 Jahren. Und man trennt sich ja<br />
nicht einfach so mir nichts, dir nichts<br />
von so einer Geschichte.“<br />
Zugegeben, er brauche auch Geld,<br />
um das Geschäft mit der „Capri-Sonne“<br />
zu vergrößern. „Und weil ich keine<br />
Nachfolger habe, war es auch die richtige<br />
Entscheidung.“<br />
„Capri-Sonne“ gibt er nicht her. Er<br />
bekomme zwar jede Woche ein neues<br />
Angebot auf den Tisch, aber die schaue<br />
er nicht einmal an. Er habe sein Kerngeschäft<br />
zu lange schleifen lassen:<br />
KKR, ADM – größere Dinge waren zu<br />
regeln, vieles sei dabei „zu kurz gekommen“.<br />
Aber jetzt weht ein anderer<br />
Wind: „Target der ,Capri-Sonne‘ ist eine<br />
Milliarde Euro Umsatz. In weniger<br />
als fünf Jahren!“ Alle Vorbereitungen<br />
sind getroffen, am Standort die neuen<br />
Produktionsanlagen samt Hochregallager<br />
und Lkw-Terminal fertiggestellt.<br />
Aber bekommt der Senior es wirklich<br />
hin, zumal er auch noch diverse<br />
andere Beteiligungen managen muss?<br />
Ein paar Biotech- und Medizinfirmen<br />
etwa sowie den Lebensmittel-Pasteurisierer<br />
Calpack, den er sich im vergangenen<br />
Jahr in toto zugelegt hat.<br />
Um das Betriebsklima Eppelheim<br />
sei es schlecht bestellt, sagt man. Manager<br />
suchten das Weite, allenthalben:<br />
Marketing, Vertrieb, Finanzen.<br />
Eine Exmitarbeiterin wirft Wild vor,<br />
er verschließe die Augen vor dem personellen<br />
Aderlass. „Wenn bei jedem<br />
Budget-Meeting ein anderer Manager<br />
dasitzt, dann muss ich mich doch fragen:<br />
Was ist da los?“<br />
An ihm selbst, glaubt Wild, liegt es<br />
bestimmt nicht. Zum Jahreswechsel<br />
setzte er Carsten Kaisig (43), den Chef<br />
seiner Dachgesellschaft und Maschinen-Sparte,<br />
vor die Tür. Kaisig war die<br />
Nummer zwei im Konzern.<br />
Über die Gründe schweigen beide<br />
Seiten, doch auf den Fluren der Sisi-<br />
Werke erzählt man sich, dass es ein<br />
privater und kein beruflicher, doch<br />
grober Regelverstoß gewesen war, den<br />
Wild als Ordnungswidrigkeit geahndet<br />
und mit Platzverweis bestraft hatte.<br />
Seit Februar führt nun Roland<br />
Weening (46) die Geschäfte. Man wird<br />
sehen, ob er sie voranbringt.<br />
Um Wild zu verstehen, muss man<br />
wissen, dass sich dieser Exboxer,<br />
Exreiter, Exskilehrer auch für den<br />
Rugby-Sport begeistert. Der Hans-Peter,<br />
sagt ein Weggefährte, „der gibt nie<br />
auf, der nimmt’s mit jedem auf“.<br />
Seine Leidenschaft für den Sport<br />
hat Wild vom Vater geerbt („Ein superguter<br />
Sportsmann“), der im Sommer<br />
gerudert sei und im Winter Rugby<br />
gespielt habe. 2007 finanzierte Wild,<br />
in Heidelberg die Wild-Rugby-Akademie,<br />
drei Jahre später gründete er die<br />
Gesellschaft zur Förderung des Rugby-<br />
Sports, ansässig in der Eppelheimer<br />
Rudolf-Wild-Straße. Für schätzungsweise<br />
zehn Millionen Euro lässt er ge-<br />
rade ein Trainingszentrum errichten.<br />
Die Rugby-Abteilung des Heidelberger<br />
Ruderklubs ist seit 2010 jedes Jahr<br />
deutscher Meister geworden.<br />
Was das weitere Schicksal der Familienfirma<br />
angeht: Er habe in Liechtenstein<br />
eine Familienstiftung gegründet,<br />
ganz „Business-orientiert“. Sie solle wesentliche<br />
Teile seines Firmenvermögens<br />
übernehmen. Und seine Söhne?<br />
Ja ja, die machen da auch mit, nuschelt<br />
er. Wie genau, mag er nicht sagen.<br />
Der Stiftung kommt für die Zukunft<br />
der „Capri-Sonne“ eine entscheidende<br />
Rolle zu: „Einen Verkauf kann ich für<br />
die ,Capri-Sonne‘ ziemlich ausschließen“,<br />
sagt Wild. Dann hebt er die Augenbrauen:<br />
„Was soll ich denn machen:<br />
noch mehr Geld? Nein. Der Weg ist die<br />
Stiftung.“ Darauf laufe es hinaus.<br />
Wie auch immer die Sache ausgehen<br />
wird, der Kerl mir gegenüber ist<br />
die Ruhe selbst. Der Cappuccino ist<br />
ausgetrunken, Wild steht auf. „Wenn<br />
ich abends nach Hause komme“, sagt<br />
er noch, „bin ich froh, wenn ich meine<br />
Ruhe habe und in meinem eigenen<br />
Bett schlafen kann.“<br />
U<br />
33<br />
Durch die Tür: Seinen Amtssitz hat Wild in einem alten<br />
Bankgebäude im schweizerischen Zug untergebracht.<br />
Wildwechsel: Tritt er ab?<br />
Wild auf dem Landsgemeindeplatz in Zug.<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
Der<br />
WINDschnittige<br />
Ausgerechnet der zurückhaltende Herr Blume muss als neuer Chef<br />
beweisen, dass Sportwagenbauer Porsche unter Strom eine Zukunft hat.<br />
Text / MARK C. SCHNEIDER<br />
Fotos / FRITZ BECK<br />
34 Der Mann steht früh auf. Unser<br />
erstes Treffen findet um 6.45<br />
Uhr am Stuttgarter Flughafen<br />
statt. Das zweite dann in Weissach,<br />
in Porsches Entwicklungszentrum,<br />
diesmal um acht.<br />
„In der Regel fange ich zwischen<br />
sieben und halb acht an“,<br />
sagt Oliver Blume (47), als er seinen<br />
silbergrauen „Macan Turbo“<br />
(400 PS, 266 km/h) vor einem<br />
grauen, turnhallengroßen Betonblock<br />
parkt, in dessen Keller sich<br />
der Windkanal befindet.<br />
Im Vorraum des künstlichen<br />
Sturmmachers herrscht OP-<br />
Atmosphäre: weißer und grauer<br />
Beton, LED-Licht so kühl, wie<br />
Chirurgen es schätzen. Alles wie<br />
gelackt und wie gebohnert. Auch<br />
die „Blutrinne“, wie die Techniker<br />
das Auffanggitter für herumfliegende,<br />
querschlagende Kleinteile<br />
nennen. In drei Meter Höhe<br />
hängt etwas Dämmwolle.<br />
Blume begrüßt die kleine<br />
Porsche-Truppe mit festem<br />
Manager-Händedruck. Mit bis zu<br />
300 Stundenkilometern orgelt der<br />
Sturm durch das zehn Meter breite<br />
und 40 Meter lange Laboratorium.<br />
Es donnert wie auf Nelsons „Victory“.<br />
Der Motor, der die Turbine<br />
antreibt, wiegt 40 Tonnen. In der<br />
ganzen Branche gibt es keine stärkere<br />
Maschine.<br />
Blume, ein Mann von knapp<br />
über eins neunzig und athletischem<br />
Körperbau (er ist Freizeit-Triathlet),<br />
stemmt sich geduldig fürs Foto<br />
in den Wind und erklärt mir die<br />
Vorzüge eines eigenen Windkanals,<br />
dessen Anschaffungskosten von<br />
gut 100 Millionen Euro sich kleine<br />
Autofirmen normalerweise nicht<br />
leisten können: Die Tests blieben<br />
geheim, sie könnten durchgeführt<br />
werden, wann immer man wolle.<br />
Ja, auf Dauer rechne sich das.<br />
Später, im Konferenzraum des<br />
Designzentrums, einige Etagen höher,<br />
erzählt er, dass er Menschen,<br />
mit denen er zusammenarbeite,<br />
am liebsten duze. Für viele Manager<br />
der Volkswagen AG, als deren<br />
100-prozentige Tochterfirma<br />
Porsche firmiert, heißt er deshalb<br />
einfach „Oliver“ statt „Dr.<br />
Blume“.<br />
Der Niedersachse gibt sich<br />
sturmerprobt und erdverwachsen,<br />
als einer vom Stamm „Kumpel“,<br />
der die Menschen, wie er<br />
immer wieder sagt, „mitnehmen<br />
will“. Ein Machtmensch,<br />
wie etwa sein Vorvorvorgänger<br />
Wendelin Wiedeking (63), ist er<br />
wahrscheinlich nicht. Man kann<br />
sich da nie so sicher sein, weil<br />
man ohne den Willen zur Macht<br />
nur selten mächtig wird. Aber<br />
ein „Captain Sunshine“ ist der<br />
Oliver auch nicht.<br />
Er ist schon ein ehrgeiziger<br />
Kerl, der Blume – wie so viele<br />
inbrünstige Sportler. Einst<br />
kein unbegabter Fußball-Libero<br />
(dass er heute an Triathlons teilnimmt,<br />
wurde schon erwähnt),<br />
hat er sein Maschinenbau-Studium<br />
in seiner Heimatstadt<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
36<br />
Braunschweig etwa als<br />
Tennis trainer finanziert.<br />
Nach dem Examen<br />
1994 ging der 26-Jährige<br />
als sogenannter Trainee<br />
zu Audi. Nach zwei Jahren<br />
war er Pla ner für Ka ros serie<br />
bau und die La ckie re rei,<br />
übernahm später die Leitung<br />
des Karosseriebaus („A3“)<br />
und erreichte mit 30 schließlich<br />
den Rang eines Vorstandsassistenten<br />
im Ressort<br />
„Produktion“.<br />
Er sammelte Auslandserfahrungen,<br />
schrieb seine Doktorarbeit<br />
über „Fahrzeugtechnik“<br />
an der Tongji Uni ver si tät<br />
Schang hai, wechselte in die Produk<br />
ti ons pla nung der VW-Firma<br />
Seat, ging dann für fünf Jahre zu<br />
Volks wa gen und wurde 2013 Produktionsvorstand<br />
von Porsche.<br />
War der „Olli“ jemand, der einen<br />
Karriereplan im Tornister hatte?<br />
Seine Kommilitonen behaupten<br />
Nein. Auch Blume selbst will eine<br />
Planung nicht als Aufstiegsmittel gelten<br />
lassen: „Das klappt nicht, ich habe<br />
mich nie für irgendeine Aufgabe beworben.<br />
In meiner gesamten Laufbahn<br />
bin ich immer angesprochen worden. “<br />
Am 1. Oktober hat er den Vorstandsvorsitz<br />
der Dr. Ing. h. c. F. Por sche AG<br />
übernommen, des nach wie vor profitabelsten<br />
Autobauers der Welt. Als Nachfol<br />
ger von Matt hias Mül ler (62), den<br />
der Dieselskandal an die VW-Spitze beförderte.<br />
Volkswagens Chefaufseher Hans<br />
Dieter Pötsch (64) sagt über Blume, dass<br />
der eine „tolle Karriere hinter sich und<br />
viel mehr noch vor sich“ habe. Unter<br />
dieser Bemerkung, sagt er, könne man<br />
sich „einiges vorstellen“, lässt aber offen,<br />
was. Blume, hört man, gilt als Kandidat<br />
für die Müller-Nachfolge als Konzernchef.<br />
Wie gut seine Aussichten sind,<br />
hängt auch davon ab, welche Figur die<br />
anderen Kronprinzen, etwa VW-Markenvorstand<br />
Herbert Diess (57), in den<br />
kommenden Jahren machen.<br />
Dienstags besucht Blume die Sitzungen<br />
des Konzernvorstands im Range<br />
eines „Gastes“. Ab kommendem<br />
Jahr dürfte er einen Stammplatz<br />
im Gremium erhalten. Neben seiner<br />
Aufgabe als Chef von Porsche<br />
koordiniert er bereits die beiden<br />
anderen Luxusmarken des Hauses,<br />
„Bentley“ und „Bugatti“.<br />
Blume, sagen Weggefährten,<br />
habe die Ruhe weg. Sehr cool, der<br />
Mann. Selbst in kritischen Sitzungen<br />
lasse er geduldig alle Argumente<br />
vortragen, auch die, die er<br />
später verwerfen wird. Erst dann<br />
bezieht er selbst Stellung, klug und<br />
bestimmt.<br />
Schön und gut, wenden manche<br />
ein: Porsche steht blendend da.<br />
225.121 Autos verkaufte das Unternehmen<br />
2015 und damit 19 Prozent<br />
mehr als im Vorjahr. Die Einnahmen<br />
dürften um über zehn Prozent<br />
auf gut 19 Milliarden Euro steigen.<br />
Die genauen Zahlen gibt Blume am<br />
11. März bekannt.<br />
Aber ein Schönwetter-Kapitän<br />
ist der freundliche Herr Blume nun<br />
auch wieder nicht, selbst wenn ihm<br />
sein Vorgänger Müller mit Erfolgsmeldungen<br />
vieles leicht gemacht<br />
hat. Die kommenden Monate erfordern<br />
rasche, harte Entscheidungen.<br />
„<br />
ICH HALTE<br />
ÜBERHAUPT NICHTS<br />
DAVON,<br />
EINE KARRIERE ZU<br />
PLANEN.<br />
DAS KLAPPT NICHT<br />
“<br />
Zum VW-Gewinn steuerte Porsche<br />
zuletzt bedeutsame 2,7 Milliarden<br />
Euro bei. Mehr wird es in den<br />
nächsten Jahren aufgrund hoher Investitionen<br />
wohl auch nicht werden.<br />
Selbst einen Rückgang der Erträge<br />
schließt er nicht aus.<br />
Weitere Konzepte, etwa der erfolgreiche<br />
Geländewagen „Macan“,<br />
werden vor 2019 kaum auf den Asphalt<br />
kommen. Vor allem aber muss<br />
Blume den traditionsreichen Sportwagenbauer auf<br />
das Zeitalter der Elektromobilität und des autonomen<br />
Fahrens ausrichten, das früher oder später<br />
ohne Zweifel anbrechen wird. Im Juli will Blume<br />
die „Strategie 2025“ vorlegen und seinen Gesellschaftern<br />
und Mitarbeitern erklären, wie er den<br />
Konzern in eine neue Ära führen will.<br />
„Ideal ist es, eine Strategie so hinzubekommen,<br />
dass sie tagtäglich umgesetzt wird, unmerklich<br />
im Tagesgeschäft“, sagt Blume. Der<br />
Hoffnungsträger heißt „Mission E“. In den<br />
Bau des batteriebetriebenen Elektrojägers mit<br />
600 PS und mindestens 500 Kilometer Reichweite<br />
investiert Porsche eine Milliarde Euro.<br />
Am Erfolg des „Mission E“ werde Blume<br />
gemessen, sagt Porsches Betriebsratschef<br />
Uwe Hück (53). Die Arbeitnehmer strecken<br />
ein Teil ihrer künftigen Lohnerhöhungen<br />
vor, damit sich der Ausbau des Stammwerks<br />
in Zuffenhausen rechnet. 1.000 Arbeitsplätze<br />
sollen entstehen.<br />
Das Auto stelle eine „Zeitenwende“<br />
dar, was Antriebstechnik und Produktionsprozesse<br />
angeht, findet Hück: „Wir<br />
beide sind überzeugt, dass wir das jetzt<br />
mutig angehen müssen, auch wenn das<br />
vieles verändern wird in unserer Arbeitswelt.<br />
Aber es sind längst nicht alle<br />
in seinen Reihen und in meinen Reihen<br />
davon überzeugt.“<br />
Die Firmenzentrale wird über<br />
Jahre zur Großbaustelle mit bis zu<br />
2.000 Bauarbeitern und Handwerkern.<br />
Blume versteht den Unmut<br />
der Nachbarn. „Aber wir schaffen<br />
Beschäftigung und bringen etwas<br />
für die Stadt.“<br />
Siegfried Bülow (63), Chef des<br />
Leipziger Porsche-Werks, traut<br />
Blume den großen Wurf zu: „Er<br />
arbeitet sehr strukturiert und<br />
extrem konsequent. Der hat die<br />
Mannschaft entflammt, gibt<br />
den Mitarbeitern großen Freiraum.<br />
Automobilbau ist Mannschaftssport,<br />
Blume lebt das.“<br />
Die am Ende nahezu problemlose<br />
Fabrikation des<br />
„Macans“ in Leipzig ging auf<br />
Blumes Konto. Der damalige<br />
VW-Chef Martin Winterkorn<br />
(68) hatte ein Jahr vor Fertigungsstart<br />
noch menetekelt:<br />
„Das schafft ihr nie.“<br />
Blumes Ehrgeiz ist natürlich<br />
angefacht. Er<br />
will es wissen. Christian<br />
Friedl (38), Chef des Karosseriebaus<br />
und Blumes<br />
Stellvertreter als Produktionsvorstand,<br />
hat ihn einmal<br />
gefragt: „Oliver, wieso<br />
hast du bei dem Thema keinen<br />
Blutdruck?“ – „Weil mich<br />
das nicht weiterbringt. Wir<br />
müssen das besonnen analysieren<br />
und klären.“<br />
Also brütete er über den<br />
Daten fehlerhafter Anläufe,<br />
um Patzer zu vermeiden. Zum<br />
Erfolg gehört der konstruktive<br />
Umgang mit Niederlagen. „Es<br />
gibt viele kleine Niederlagen, die<br />
ich immer wieder erlebe.“ Dann<br />
kommt der Ingenieur durch und<br />
fragt sich: „Wie kannst du es nächstes<br />
Mal besser machen?“<br />
Blume ist ein Boss zum Anfassen,<br />
der selbst zurückruft, wenn<br />
es wichtig ist. Darüber wundern<br />
sich allenfalls solche Mitarbeiter,<br />
die das erstmals erleben. Landet der<br />
Beschwerdebrief eines Kunden im<br />
Post eingang, greift er zum Hörer. Das<br />
überrumpelt: Die Kunden sind bauchgepinselt,<br />
dass der Chef anruft. Meist<br />
lässt sich der Ärger auflösen.<br />
Auch der Privatmann ist greifbar.<br />
Freunde loben Blumes Ausdauer, trotz<br />
beruflicher Belastung scheinbar mühelos<br />
den Kontakt zu pflegen, und das über<br />
Jahrzehnte, wie mit Braunschweiger Mitschülern.<br />
Aus Freundschaften schöpfe er<br />
Energie, sagt er.<br />
An freien Tagen fliegt Familie Blume<br />
nach Barcelona, seit der Zeit als Planungschef<br />
bei Seat (2004 – 2009) eine zweite Heimat.<br />
Dort leben viele Freunde, die trommeln<br />
sie dann auf ein Bier unter freiem Himmel<br />
zusammen. Die Mädchen, elf und 14 Jahre,<br />
sind dort zur Schule gegangen. Familie Blume<br />
spricht Spanisch, die Kinder akzentfrei.<br />
Blume ist Familienmensch. Stuttgart gefällt<br />
Frau und Kindern gut, auf den zweiten<br />
Blick. Die Familie ist immer mitgezogen. Für<br />
den Manager entscheidend: „Fühlen sich die<br />
Kinder wohl, fühlt man sich selbst auch wohl.“<br />
Als die Kinder klein waren, nahm er sich fest vor,<br />
Der Wind kommt von vorn:<br />
Blume muss Porsche für das Zeitalter<br />
des Elektromotors umbauen.<br />
sie dreimal in der Woche selbst ins<br />
Bett zu bringen. Funktioniert hat<br />
das häufig, aber nicht immer. Doch<br />
die Routine war ihm wichtig. Mit<br />
dem Willen zur Balance zwischen<br />
Berufs- und Privatleben ist der Manager<br />
Teil einer neuen Generation<br />
von Unternehmenslenkern. Er bemüht<br />
sich, „an normalen Tagen“ bis<br />
um sieben Uhr mit der Arbeit durch<br />
zu sein.<br />
Das Rezept: Soweit möglich,<br />
teilt er den Tag in feste Blöcke ein,<br />
nimmt sich Zeit, Themen aufzuarbeiten,<br />
zu Hause zu sein, Sport zu<br />
treiben. „Ich kann sieben Tage die<br />
Woche 24 Stunden arbeiten, man<br />
findet immer was. Aber ich bin<br />
überzeugt, dass ich erfolgreicher<br />
bin, wenn ich mir Zeit für Familie,<br />
Freunde und Sport nehme, statt<br />
dauernd zu arbeiten. Dann habe ich<br />
bessere Ideen und entwickle mich.“<br />
Materielles bedeutet ihm dagegen<br />
nicht viel. „Mir selbst gibt es<br />
nichts, mir etwas Teures zu kaufen“,<br />
sagt der Chef einer Luxusmarke.<br />
Als das erste Mal ein „911er“ vor der<br />
Haustür stand, hatte das Ehepaar Blume<br />
Ehrfurcht davor, ins Auto zu steigen. „Das<br />
ist einfach ein ganz anderes Auto als das,<br />
was wir vorher gefahren sind.“<br />
Für den VW-Konzern stellt Blume einen<br />
neuen Führungstypus dar, der von Veteranen<br />
wie seinem ehemaligen Chef bei<br />
Audi schwärmt: Jochem Heizmann (64),<br />
heute Konzernvorstand für China. Dabei<br />
gilt Heizmann selbst unter Wolfsburger<br />
Maßstäben als harter Knochen.<br />
„Er ist Triathlet, ich bin Boxer. Wir<br />
können beide einstecken“, sagt Betriebsrat<br />
Hück. „Der hat Dampf im Körper“,<br />
stellt Beschaffungsvorstand Uwe-Karsten<br />
Städter (59) anerkennend fest.<br />
Ringt er hart um eine Sache, wird es<br />
auch bei Blume mitunter lauter. „Eine gewisse<br />
Reibung gehört dazu, um das Optimum<br />
herauszuholen“, sagt er. Auch das<br />
kennt er, der früher Fußballmannschaften<br />
trainiert hat, aus dem Sport („Ich bin kein<br />
Typ, der aus der Literatur oder Seminaren<br />
lernt“).<br />
Den letzten Schliff gab ihm Müller<br />
bei Porsche. „Ich bin immer gut damit<br />
gefahren, mir Eigenschaften, die<br />
zu mir passen, anzueignen und damit<br />
aber mein eigenes Profil weiterzuentwickeln“,<br />
sagt Blume.<br />
Dabei gleicht sein familiäres Führungsverständnis<br />
dem kategorischen<br />
Imperativ des Philosophen Immanuel<br />
Kant (1724 – 1804): jeden so zu<br />
behandeln, wie man selbst behandelt<br />
werden möchte. „Dazu gehört,<br />
Menschen zu begeistern, dann<br />
sind sie bereit, einen Schritt mehr<br />
zu gehen, als das normal üblich<br />
ist. Dann erreiche ich mehr, als<br />
wenn ich jemanden unter Druck<br />
setze“, glaubt Blume. Weggefährten<br />
loben, er unterscheide<br />
nicht zwischen wichtigen und<br />
unwichtigen Menschen.<br />
Der Rollenwechsel zum<br />
Chef hat er dennoch strikt<br />
vollzogen. „Wenn man das<br />
Alte nicht loslässt, fehlt der<br />
Freiraum, sich in das Neue<br />
einzuarbeiten.“ Sagt es,<br />
steigt in seinen „Macan“<br />
und braust nach Zuffenhausen.<br />
U<br />
37<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
„<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
38<br />
NIEMAND<br />
SONST<br />
IN UNSERER<br />
BRANCHE<br />
DENKT<br />
39<br />
SO WIE WIR<br />
“<br />
Die Japaner lieben Uniqlo.<br />
Mit Mode, die nicht en<br />
vogue sein, sondern zu jeder<br />
anderen Marke passen<br />
soll, will der Chef Tadashi<br />
Yanai jetzt H&M und<br />
Zara an den Kragen gehen.<br />
Text / SOPHIE CROCOLL<br />
Nur 158 Zentimeter groß,<br />
aber ein ganzer Kerl: der Uniqlo-<br />
Gründer Tadashi Yanai.<br />
Illustration / TOM BACHTELL<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
40<br />
D<br />
em Gestalten<br />
und Bestimmen<br />
war Tadashi<br />
Yanai, der<br />
reichste Japaner,<br />
schon in jungen Jahren<br />
innig zugetan, indes fehlte<br />
es ihm ehedem noch an Gewandtheit<br />
und Geschick, was<br />
den Umgang mit anderen<br />
und ihrer Anleitung betraf.<br />
Als Student hatte er beispielsweise<br />
davon geträumt,<br />
sich eine Anstellung in einem<br />
japanischen Traditionshaus<br />
zu suchen, und dann<br />
zunächst eine dauerhafte<br />
Beschäftigung doch nur im<br />
Kleidergeschäft seines Vaters<br />
gefunden, in der Bergbaustadt Ube. Ein<br />
Umstand, der auf die acht Bediensteten<br />
freilich großen Eindruck machte:<br />
Denn sieben von ihnen nahmen zügig<br />
Reißaus, nachdem er, der Sohn des<br />
Meisters, seine kaufmännische Wirksamkeit<br />
zu entfalten begonnen hatte.<br />
Der heute 66-Jährige erzählt mir<br />
diese Anekdote an einem Dezember-<br />
Tag in der Tokioter Kommandantur<br />
von Fast Retailing, des drittgrößten<br />
Textilkonzerns der Welt, der ihm in<br />
Gänze zu Gebote steht und ihm ein<br />
Vermögen von angeblich 16 Milliarden<br />
Euro eingebracht hat.<br />
Gleichwohl konnten Güter und<br />
Gelder den Yanai-san in seiner Grundeinstellung<br />
wenig verändern. Er gilt als<br />
Sonderling wie einst im Mai und sticht<br />
in der japanischen Unternehmenswelt<br />
hervor wie „ein Rindersteak auf einem<br />
Teller Sushi“, wie das „Time Magazine“<br />
vor einigen Jahren notierte.<br />
Einschlägigen Veröffentlichungen<br />
zufolge hat Fast Retailing im vergangenen<br />
Jahr einen Umsatz von 12,3 und<br />
einen Gewinn von deren 1,2 Mrd. Euro<br />
erzielt – Statistiker ermittelten in etwa<br />
jeweils das Dreifache dessen, was<br />
Yanai 2008 angezeigt hatte. Man geht<br />
nicht fehl in der Annahme, dass Fast<br />
Retailing recht flott unterwegs ist.<br />
Die größte Abteilung im Hause bildet<br />
nach wie vor Yanais erste Kreation:<br />
die 1984 von ihm in Hiroshima eröffnete<br />
und heute weitverbreitete Textilkette<br />
Unique Clothing Warehouse,<br />
kurz: Uniqlo („Juniklou“), auf die rund<br />
vier Fünftel der Einnahmen entfallen<br />
und die seit 2014 auch in der Berliner<br />
Tauentzienstraße, Ecke Kurfürstendamm,<br />
mit einer Filiale vertreten ist.<br />
Das Sortiment ist preiswert, die<br />
Kleidung bunt, die Auswahl überschaubar.<br />
Alltagskleidung zu Preisen<br />
zwischen zehn und 50 Euro. Selbst<br />
Daunenjacken und Kaschmirpullover<br />
kosten weniger als 100 Euro.<br />
FAST RETAILING:<br />
SCHNELLE FAKTEN<br />
Umsatz: 12,3 Mrd. Euro<br />
Gewinn: 1,2 Mrd. Euro<br />
Börsenwert: ca. 31 Mrd. Euro.<br />
Tadashi Yanai hält 21,7 Prozent der<br />
Firmenanteile, seine Söhne Kazumi<br />
und Koji jeweil 4,5 Prozent.<br />
Die Söhne, beide derzeit in der<br />
erweiterten Uniqlo-Führungsriege<br />
tätig, sollen nicht die Unternehmensführung<br />
übernehmen:<br />
Yanai sagt, er glaube nicht an den<br />
Erfolg familiärer Nachfolge.<br />
Uniqlo betreibt 1.708 Filialen,<br />
davon 844 in Japan, 414 in China,<br />
50 in den USA und 23 in Europa.<br />
Spätestens in fünf Jahren<br />
will Yanai die spanische<br />
Inditex („Zara“, 18,1 Mrd.<br />
Euro) und die schwedische<br />
H&M-Gruppierung<br />
(16,7 Mrd. Euro) überholt<br />
und die Weltmarktführerschaft<br />
an sich gerissen<br />
haben. Am liebsten aus<br />
eigener Kraft, notfalls<br />
aber auch mithilfe von<br />
Zukäufen. Die US-Kette<br />
Gap galt vor Jahren als<br />
Übernahmeziel.<br />
Ob er seinen Plan<br />
verwirklichen kann, wird<br />
man 2020 sehen. Er hatte<br />
viele starke Auftritte<br />
und um die Jahrtausendwende<br />
herum sogar angefangen, mit<br />
filigraner Technik zu brillieren. Aber<br />
was man heute feststellen kann, ist,<br />
dass seine Geschäfte hie und da an<br />
Tempo eingebüßt haben.<br />
Ich treffe Tadashi Yanai in der<br />
31. Etage des Tokyo Midtown Tower<br />
am Südrand Akasakas, eines Stadtteils<br />
der Wolkenkratzer und Botschaften<br />
und des weltbekannten Konzerthauses<br />
Suntory Hall, in der Ferne die graue<br />
Bucht von Tokio. Fast Retailing belegt<br />
die Stockwerke 28 bis 34 und 39.<br />
Gerade ist er mit sechs Minuten<br />
Verspätung in den Konferenzraum gestürmt,<br />
hat mir seine Hand à la manière<br />
européenne entgegengestreckt („Guten<br />
Tag, wie geht’s Ihnen?“) und dann, mit<br />
dem Rücken zu den Fenstern, an dem<br />
langen Tisch Platz genommen.<br />
Yanai ist eins achtundfünfzig groß,<br />
er trägt eine Frisur, die in der US-Armee<br />
als „Korea-Peitsche“ bekannt ist,<br />
ein kariertes Hemd ohne Binder, ein<br />
dunkelblaues Sakko und mutmaßlich<br />
selbst Unterwäsche seiner Hausmarke,<br />
was man annehmen darf, weil er<br />
vor Journalisten schon seine Hose<br />
geöffnet hat. Auf die letzte Gewissheit<br />
in dieser Frage will ich an diesem Tag<br />
jedoch verzichten.<br />
Seine Ohren haben ein bemerkenswertes<br />
Format, aber vielleicht<br />
doch nicht mehr die alte Klasse: Denn<br />
er spricht so laut und fest, dass er die<br />
B Herr Yanai, in Kürze<br />
eröffnen Sie in Berlin<br />
Ihren dritten Laden.<br />
Anderswo in Deutschland<br />
findet man<br />
Uniq lo dagegen nicht.<br />
Bietet unsere marode<br />
Hauptstadt wirklich<br />
so gute Geschäfte?<br />
Stimmt, wir haben in Berlin<br />
begonnen – aber wir haben<br />
ein großes Interesse daran,<br />
unser Filialnetz weiter auszubauen:<br />
Wir wollen auch<br />
nach Hamburg, Frankfurt,<br />
München und nach Stuttgart,<br />
wo Mercedes-Benz<br />
seinen Sitz hat.<br />
B Wie schnell soll diese<br />
Ausdehnung denn<br />
vonstattengehen?<br />
Wissen Sie, wir möchten<br />
uns Zeit lassen, den deutschen<br />
und den europäischen<br />
Markt zu durchdringen. Ich<br />
glaube fest daran, dass ein<br />
sehr gutes, beliebtes Produkt<br />
auf unterschiedlichen<br />
Märkten Erfolg haben kann.<br />
Daher habe ich nicht die Absicht,<br />
eilig Geld zu verdienen,<br />
sondern will unablässig<br />
hart daran arbeiten, unser<br />
Geschäft in Deutschland zu<br />
vergrößern.<br />
B<br />
Nach fast zwei Jahren in Berlin:<br />
Wie zufrieden sind Sie bislang?<br />
Ich würde sagen, unsere Kleidung<br />
passt perfekt zu deutschen Kunden.<br />
Und damit meine ich unsere hohe<br />
Qualität und unsere erschwinglichen<br />
Preise. Und wir bieten zweckmäßige<br />
Kleidung an – ich meine, das erfüllt<br />
die Erwartungen deutscher Kunden.<br />
Unsere Unzulänglichkeiten liegen allenfalls<br />
bei den Größen …<br />
B<br />
„IM SCHEITERN BIN ICH AM BESTEN“<br />
Tadashi Yanai, Chef des japanischen Bekleidungskonzerns Fast Retailing, über seine Pläne<br />
für die Marke „Uniqlo“ in Deutschland und seinen Umgang mit Fehlern.<br />
… sind die Deutschen für Ihre<br />
Hemden zu lang und zu breit?<br />
Tja, Japaner sind in der Regel eben<br />
kleiner. Deshalb arbeiten wir gerade an<br />
den Größen XL und XXL, aber wahrscheinlich<br />
werden wir in Ländern wie<br />
Deutschland 4XL brauchen.<br />
B Der Wettbewerb auf dem deutschen<br />
Bekleidungsmarkt ist hart …<br />
… da stimme ich Ihnen zu …<br />
B<br />
… mit H&M und Zara gibt es<br />
zwei starke Anbieter, die Kleider<br />
zu ähnlichen Preisen verkaufen<br />
wie Sie; seit einigen Jahren kaufen<br />
außerdem immer mehr Menschen<br />
bei Primark. Sind Sie nicht<br />
B<br />
zu spät dran, um hier noch<br />
etwas zu werden?<br />
Nun ja, ich neige dazu, zu<br />
glauben, dass der Tag, an<br />
dem ich eine Entscheidung<br />
getroffen habe, der beste<br />
Tag für diese Entscheidung<br />
war. Wenn man dem Zeitpunkt<br />
zu viel Beachtung<br />
schenkt und grübelt, ob es<br />
nun der richtige oder falsche<br />
ist, bekommt man Angst,<br />
überhaupt etwas zu tun –<br />
und macht letztendlich gar<br />
nichts.<br />
B Auch Sie haben schon<br />
weniger gute Tage erwischt: In<br />
den USA zum Beispiel macht<br />
Uniqlo nach einem Jahrzehnt<br />
am Markt noch immer<br />
Verlust. Wieso sollte das in<br />
Deutschland anders werden?<br />
In der Vergangenheit war<br />
mein Plan für die USA,<br />
Hunderte oder gar Tausende<br />
Läden in gewöhnlichen Einkaufszentren<br />
außerhalb der<br />
Städte zu eröffnen. Leider<br />
war das nicht erfolgreich.<br />
Also haben wir unsere Strategie<br />
geändert: Heute gehen<br />
wir, wie im Übrigen in allen<br />
Märkten, ins Stadtzentrum<br />
in die allerbesten Lagen.<br />
Wie leicht fällt es Ihnen, solche<br />
Fehler einzugestehen?<br />
Ich bin gut darin, zu scheitern. Im<br />
Scheitern bin ich am besten. Einen<br />
Fehlschlag nach dem anderen habe ich<br />
meinem Unternehmen beigebracht.<br />
B Jetzt kokettieren Sie.<br />
Nein! Ich bin so oft gescheitert. Trotzdem<br />
lebe ich noch. Aus Fehlschlägen<br />
lernst du. Und du musst schnell sein:<br />
Du veränderst sofort deine Strategie,<br />
mit Flinkheit und Gewandtheit, solange<br />
die Wunde noch oberflächlich ist –<br />
deshalb geht es mir gut.<br />
U<br />
41<br />
Die größte von derzeit 50 Verkaufsstellen in den USA:<br />
Uniqlos Repräsentanz an der Fifth Avenue in New York.<br />
42<br />
Seltene Aufmachung im Anzug: Meist trägt Yanai, gänzlich<br />
unjapanisch, schlicht Hemd und Jackett der eigenen Kollektion.<br />
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40<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
42<br />
beiden Übersetzerinnen<br />
überschallt, die sich untertänigst<br />
in vier Metern<br />
Entfernung ans Tischende<br />
gesetzt haben.<br />
Seit Japans goldenen<br />
1970er- und 1980er-Jahren,<br />
als Firmen wie Sharp und<br />
Sony im Ausland verehrt<br />
wurden wie heute Apple<br />
oder Amazon, ist „Uniqlo“<br />
die erste neue Marke von<br />
Weltgeltung.<br />
Anfang der 2000er-Jahre<br />
hatte Yanai in London und<br />
Schanghai die ersten Auslandsboutiquen<br />
in Betrieb<br />
genommen; in Berlin eröffnet<br />
demnächst die dritte Filiale.<br />
Aber damit soll es natürlich nicht<br />
sein Bewenden haben. „Bei Ihnen gibt<br />
es viele mittelgroße und große Städte,<br />
und in allen“, sagt Yanai, „wollen wir<br />
Geschäfte aufmachen.“<br />
Deutschland sei der Antreiber Europas,<br />
und außerdem teilten Japaner<br />
und Deutsche ja eine wichtige Eigenschaft:<br />
„Ich fürchte, was unseren Arbeitseifer<br />
betrifft, sind wir uns ähnlich:<br />
Wir nehmen es ernst, hart zu arbeiten<br />
– manchmal vielleicht sogar zu ernst.“<br />
Während er spricht, bleibt sein Mienenspiel<br />
fast immer reglos, auch wenn<br />
man glaubt, eine zarte Heiterkeit in<br />
ihm zu entdecken. Doch dann plötzlich<br />
bellt ein Lachen aus ihm heraus – das<br />
allerdings ebenso abrupt und folgenlos<br />
endet, wie es zum Ausbruch kam.<br />
Einfach wird es für Uniqlo hierzulande<br />
nicht, dessen ist sich Yanai bewusst:<br />
„In Deutschland treffen wir auf<br />
,H&M‘, auf ,Zara‘, auf ,Primark‘. Oder<br />
nehmen Sie ,Nike‘ und ,Adidas‘. Das<br />
sind beliebte Marken – ich denke, die<br />
alle sind unsere Rivalen.“<br />
Yanais europäische Kontrahenten<br />
setzen vor allem auf Schnelligkeit:<br />
Sie lassen die bei Schauen vorgeführte<br />
Mode immer rascher nachschneidern.<br />
Bei Zara dauert es nur<br />
zehn bis 15 Tage, bis ein neuer Entwurf<br />
in die Regale kommt. Anders<br />
Uniqlo: Die Japaner, die vor allem in<br />
China herstellen lassen und dort mit<br />
wenigen Lieferanten möglichst langfristige<br />
Verträge schließen, setzen mehr<br />
auf Qualität, um auch höheren Ansprüchen<br />
zu genügen als H&M-Ware.<br />
In acht von zehn japanischen Kleiderschränken<br />
sollen sich angeblich Modelle<br />
der Marke „Uniqlo“ befinden.<br />
Noch gründlicher und ausgiebiger<br />
als die Konkurrenz beschäftigt sich<br />
Fast Retailing mit den vielen Aspekten<br />
der Textiltechnik: Gemeinsam mit dem<br />
Tokioter Chemiekonzern Toray hat<br />
Uniqlo zum Beispiel einen Stoff entwickelt,<br />
der heute in Unter- und Sportbekleidung<br />
seine Verwendung findet.<br />
JAPANISCHER JÄGER<br />
In den vergangenen sieben Jahren<br />
konnte Fast Retailing<br />
seinen Umsatz verdreifachen.<br />
ANGABEN IN MRD. EURO<br />
*BILANZ-SCHÄTZUNG<br />
19,1*<br />
18,1*<br />
12,3<br />
INDITEX<br />
H&M<br />
FAST RETAILING<br />
2005 2015<br />
Gewiss, auch Yanai<br />
versucht, bekannte<br />
Modeschöpfer für Uniqlo-Kollektionen<br />
zu gewinnen,<br />
die Deutsche<br />
Jil Sander etwa oder<br />
jüngst den ehemaligen<br />
Hermès-Cou tu ri er<br />
Chris tophe Lemaire.<br />
Doch die Design-Abteilung<br />
ist der Forschung<br />
unterstellt, was bei Modefirmen<br />
nicht gerade<br />
üblich ist.<br />
Die Treue, in der<br />
Yanai zu seinen Lieferanten<br />
steht, verringert<br />
zwar die Vielfalt der<br />
Muster und Modelle,<br />
bietet aber den Vorteil, dass „Uniqlo<br />
wie ein Werkzeugkasten des Lebens<br />
ist: Unsere Kleidung lässt sich nämlich<br />
mit jeder anderen Marke kombinieren.<br />
Diese Idee ist einmalig, niemand in unserer<br />
Branche hat so gedacht“.<br />
Innungskenner loben das Prinzip:<br />
Die Japaner stünden nicht nur für<br />
„Entschleunigung und Qualitätsverliebtheit“,<br />
sagt Klaus-Dieter Koch,<br />
Gründer der Nürnberger Beratungsfirma<br />
Brand Trust, sie verfügten auch<br />
über das Geld, sich Geschäfte in Bestlage<br />
zu sichern. „Das ist ein Money<br />
Game, und Uniqlo wird sich den Markt<br />
in Europa und den USA holen.“<br />
Der Wettbewerb ist freilich rau<br />
und rüde. Namentlich an der US-Ostküste<br />
musste Yanai Lehrgeld zahlen<br />
und Filialen schließen. Erst 2006 hatte<br />
er mehr Erfolg: mit einem Geschäft im<br />
New Yorker Szeneviertel Soho. Heute<br />
betreibt Uniqlo 50 Läden in den USA,<br />
den größten, mit fast 8.300 Quadratmetern<br />
Fläche, auf der Fifth Avenue,<br />
der teuersten Einkaufsstraße der Welt.<br />
Doch Yanais Vorgehen hatte auf die<br />
Bilanzen bislang nicht die Wirkung eines<br />
Knopfdrucks: Geld verdienen lässt<br />
sich in besten Lagen nur sehr schwer.<br />
Selbst nach nunmehr neunjähriger<br />
Geschäftstätigkeit kann für Uniqlo in<br />
den USA von Gewinn keine Rede sein.<br />
Sho Kawano, der Fast Retailing für die<br />
US-Investmentbank Goldman Sachs<br />
beobachtet, rechnet sogar mit „einer<br />
Verschlechterung des Geschäfts“.<br />
Leider schrumpften auch daheim<br />
in Japan, wo Fast Retailing noch immer<br />
60 Prozent seiner Erträge umlegt, die<br />
Uniqlo-Einnahmen zwischen September<br />
und November um 0,7 Prozent,<br />
der Gewinn sogar um 12,4 Prozent.<br />
In Verlegenheit gebracht sieht sich<br />
Uniqlo vor allem dadurch, dass man die<br />
sinkende Nachfrage nicht durch höhere<br />
Preise wettmachen kann, ohne Kunden<br />
an die Konkurrenz zu verlieren.<br />
Lediglich in Südkorea und China,<br />
wo Uniqlo die Märkte beherrscht,<br />
blüht das Geschäft: In China und<br />
Taiwan will man jährlich etwa 100 neue<br />
Läden verteilen, dem verlangsamten<br />
Wirtschaftswachstum zum Trotz.<br />
Die dortigen Konjunkturprobleme<br />
ließen ihn kalt, sagt Yanai: „China fördert<br />
die Inlandsnachfrage, die Löhne<br />
steigen jedes Jahr um 15 Prozent. Für<br />
den Einzelhandel ist das eine sehr gute<br />
Grundlage: Die Menschen besitzen<br />
noch nicht alles, sie wollen und können<br />
mehr Dinge kaufen.“<br />
Nach Schätzungen von Goldman-<br />
Sachs-Mann Kawano und anderen<br />
Beobachtern wird sich das Umsatzwachstum<br />
von Fast Retailing indes von<br />
zuletzt 23,4 auf knapp zehn Prozent im<br />
Jahr mehr als halbieren.<br />
Die Weltmarktführerschaft lässt<br />
sich in diesem Tempo nicht erobern, je-<br />
denfalls nicht bis 2020. Um einen dann<br />
wohl erforderlichen Umsatz in Höhe<br />
von 39 Mrd. Euro zu erreichen, wäre<br />
eine Wachstumsrate von durchschnittlich<br />
mehr als 26 Prozent im Jahr nötig.<br />
Yanai lässt sich von den Vorhersagen<br />
nicht entmutigen. Seine Pläne zu<br />
verwerfen kommt für ihn überhaupt<br />
nicht infrage: „Mein Ziel hat sich nicht<br />
geändert.“ 2020 steht. Basta.<br />
Der Firmengründer vertraut auf<br />
seine Routine und Erfahrung. Seine<br />
Methode ist einfach, und sie hat bislang<br />
nie versagt: Er hat überall das<br />
letzte Wort, vom Sortiment über die<br />
WO UNIQLO KASSE MACHT<br />
Das Geschäft der Marke außerhalb<br />
Japans wächst stetig,<br />
der stärkste Auslandsmarkt ist China.<br />
JAPAN<br />
27,0 %<br />
CHINA*<br />
9,6 %<br />
63,4 %<br />
REST DER WELT<br />
*INKL.<br />
HONGKONG,<br />
TAIWAN)<br />
Einrichtung bis zur Werbung. Für<br />
Japaner ist dieses Verfahren weder<br />
üblich noch erfreulich: Sie sind es gewohnt,<br />
dass in einem Unternehmen<br />
keine einsamen Beschlüsse gefasst<br />
und ausgeführt werden.<br />
Auch in anderer Hinsicht bricht er<br />
gerne einmal mit der Tradition. Etwa<br />
2012, als er seine Führungsleute mit<br />
der Feststellung verstörte, dass die<br />
Fast-Retailing-Zentrale zu japanisch<br />
sei, weshalb er seine Manager auf Auslandstourneen<br />
schickte und anwies,<br />
dass bei Konferenzen und Konsultationen<br />
künftig Englisch zu sprechen sei.<br />
Auch von der japanischen Landessitte,<br />
dass sich ein Chef um seine<br />
Mitarbeiter wie um Familienmitglieder<br />
zu kümmern habe, hält er wenig.<br />
Stattdessen erwartet er von allen Angestellten,<br />
dass sie sich wie Manager<br />
verhalten. „Alleine kannst du nichts<br />
erreichen“, sagt Yanai. Aber er müsse<br />
eben hart daran arbeiten, die nächste<br />
Generation von Anführern heranzuziehen.<br />
Dann erhebt er sich zur ganzen<br />
Größe, verabschiedet sich und<br />
marschiert aus der Tür.<br />
Auf dem Gang, zwischen dem Konferenzsaal<br />
und seinem Büro, hängen<br />
die Leitsprüche, die er jedes Jahr für<br />
seine Angestellten ausgibt: „Mache<br />
Gewinn“ und: „Keine Herausforderung<br />
– keine Zukunft“ und: „Verändere<br />
dich oder stirb“.<br />
U<br />
43<br />
Wenige Schnitte, viele Farben und Schaufensterpuppen ohne<br />
Gesicht: der Uniqlo-Laden an der Tauentzienstraße in Berlin.<br />
QUELLE GRAFIKEN: UNTERNEHMEN<br />
Klar und klassisch: Uniqlo will sich von seinen Konkurrenten<br />
besonders durch neuartige Textilien unterscheiden.<br />
ALLE FOTOS: UNIQLO<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
44<br />
ALLES FÜR EIN SCHÖNES<br />
LÄCHELN<br />
Einmal rund um das ganze Gebiss in sieben Sekunden: Das kann das Röntgengerät „Vistapano“ von Dürr Dental.<br />
H<br />
öllenschmerz, Teufel<br />
auch! Frieda Dürr muss<br />
zum Zahnarzt, und zwar<br />
alsbald und stante pede.<br />
Der Bohrer schrillt und<br />
schreit und kreischt und fräst, die<br />
Zahnfäule weicht und schwindet.<br />
„Gleich han mir’s gschaffd“, murmelt<br />
der Zahnarzt, ein Schwabe – da knackt<br />
und bricht das Handstück des Geräts<br />
entzwei, jener Metallstift, in dem der<br />
Wie schaffen es so viele, vergleichsweise<br />
kleine deutsche Unternehmen,<br />
Weltmarktführer zu werden?<br />
Das Beispiel Dürr Dental zeigt: weniger<br />
durch Genie als durch elegante<br />
Übertragungen von Lösungen anderer<br />
Industrien.<br />
Bohrer selbst rotiert. Keine große Sache.<br />
Normalerweise: Schublade auf,<br />
neues Handstück aufs Gerät gefummelt,<br />
und ab geht die Post! Aber im<br />
Jahre 1946, denn dort befinden wir<br />
uns, war auf die Schnelle kein Ersatzteil<br />
zu beschaffen.<br />
Doch der Medikus liebte keine halben<br />
Sachen: eine Unmanier, so mittendrin<br />
aufzuhören … Da kam ihm plötzlich<br />
eine Idee: „Frau Dürr“, sagte er<br />
seiner schwitzenden, ebenso erleichterten<br />
wie konsternierten Patientin:<br />
„Frau Dürr, wisset Sie was, wenn Ihr<br />
Mo des Handschdügg rebariera kann,<br />
könnda mir die Sache zuendebringa.“<br />
Herr Dürr, Wilhelm mit Vornamen,<br />
dies erinnerte der Dentist genau, hatte<br />
doch anno ’41 mit seinem Bruder<br />
Karl in Stuttgart-Feuerbach eine Metallbauwerkstatt<br />
eröffnet. Und in der<br />
Tat, das Handstück kam bald darauf<br />
wie neu zurück – und so begann mit<br />
einem Höllenschmerz vor 70 Jahren<br />
der unaufhaltsame Aufstieg der Firma<br />
Dürr zum Weltmarktführer in der<br />
Fachrichtung Dentaltechnik, namentlich<br />
auf dem Gebiet der Spei cher fo lien<br />
fürs Rönt gen.<br />
Der Betrieb, inzwischen ins<br />
20 Kilometer entfernte Bietigheim-<br />
Bissingen umgesiedelt, erblühte zu<br />
einer Weltfirma mit heute mehr als<br />
1.000 Mitarbeitern und einem Umsatz<br />
von 240 Millionen Euro.<br />
Im Angebot führen die Schwaben<br />
feinste und filigranste Güter, von denen<br />
man in aller Regel gern Abstand<br />
hält: Druckluftgeräte („Tornado plus“)<br />
zum Zahntrocknen, Speichelsauger,<br />
Amalgamabscheider, Desinfektionsmittel,<br />
Spülungen und so weiter und<br />
natürlich Röntgengeräte, Sensoren,<br />
Kameras. Fabriziert wird an drei Orten<br />
in Ba den-Würt tem ber g und in einem<br />
Werk in der Nähe von New York.<br />
Die Betriebe („Das Beste hat System“)<br />
exportieren in die ganze Welt,<br />
nur noch ein Fünftel der Einnahmen<br />
wird in Deutschland erzielt, aber ein<br />
Drittel in Nordamerika. „Unsere Eigenkapitalquote<br />
liegt über 60 Prozent“,<br />
sagt Gründerenkel Martin Dürrstein<br />
(44, „Wir sind vom Stamm Karl“),<br />
der das Unternehmen seit zwölf Jahren<br />
führt und über 55 Prozent der Firmenanteile<br />
disponiert.<br />
Das Gedeihen und Gelingen der<br />
Firma ist auch, aber nicht ausschließlich<br />
und vielleicht nicht einmal zuvörderst<br />
schwäbisch-genieähnlichem<br />
Erfindergeist zu verdanken, sondern<br />
vielmehr einer aufs Äußerste getriebenen<br />
Akribie und Akkuratesse in der<br />
Herstellung und einem Zaubergespür<br />
dafür, was die Kund- bzw. Zahnärzteschaft<br />
benötigt. Kurzum, bei Dürr Dental<br />
wirken die Kräfte des Pragmatismus<br />
und herrschen die Pragmatisten.<br />
„Mein Großvater und Großonkel<br />
haben Ersatzteile für Bohrer produziert“,<br />
sagt Dürrstein, der aufgrund<br />
einer genealogischen Verwicklung tatsächlich<br />
Dürrstein heißt, eine Lehre bei<br />
Daimler und ein Wirtschaftsingenieur-<br />
Stu dium in Heil bronn absolviert hat.<br />
Bald hörten Karl und Wilhelm Dürr<br />
von den Zahnärzten, dass die Zähne<br />
beim Bohren häufig so erhitzt würden,<br />
dass ihre Wurzeln schaden nähmen.<br />
„Bei der Metallbearbeitung kühlen wir<br />
unsere Werkstücke doch mit Wasser,<br />
warum soll das beim Zähnebohren<br />
nicht gehen?“, sagten sich die beiden<br />
und bauten eine Wasserkühlung für<br />
das Gerät, und damit das Wasser nicht<br />
überall herumspritzte und -troff, bastelten<br />
die trickreichen Schwabenbrüder<br />
gleich noch die Absauganlage dazu.<br />
Auch über damals gängige Druckluftgeräte<br />
zum Trocknen der Zähne<br />
konnten die Dürrs nur lachen: Die bis<br />
dato ölgeschmierten Kompressoren<br />
der Dentisten mussten aufwendig das<br />
Restöl aus der komprimierten Luft filtern,<br />
denn sonst konnten weder Amalgam<br />
noch Krone haften.<br />
Im Metallgewerbe hatten die<br />
Dürrs schon Besseres gesehen: ölfreie<br />
Drucklufterzeuger. Auch die stehen<br />
heute weltweit in den Praxen, verziert<br />
mit den zwei blauen Streifen des<br />
Dürr’schen Firmenzeichens.<br />
Das einträglichste Geschäftsfeld<br />
der Schwaben ist heute jedoch die<br />
Röntgentechnik. In den 60er-Jahren<br />
hatten die Tüftler die Methoden der<br />
Entwicklungslabors von Fotofilmen<br />
auf die Belichtung von Röntgenauf-<br />
DER MENSCH LEBT NICHT<br />
VOM BIER ALLEIN<br />
Die Bitburger Holding der Eigentümerfamilie<br />
der Eifeler Brauerei<br />
diversi fiziert das Vermögen der<br />
verzweigten Sippschaft. Schließlich<br />
geht der Bierkonsum in Deutschland<br />
kontinuierlich zurück, da beruhigen<br />
Investments in zukunftsträchtige<br />
Gewerbe. Angeführt vom Stammesoberhaupt<br />
Matthäus Niewodniczanski<br />
verwaltet die Holding die Geschäfte<br />
des Mineralwasserab füllers Gerolsteiner<br />
Brunnen, des 2010 gekauften<br />
Spielzeug- und Kinder klamottenhändlers<br />
Sterntaler und seit 2011 auch eine<br />
Minderheitsbeteiligung an Dürr Dental.<br />
nahmen übertragen, was ihre Güte<br />
entscheidend verbesserte.<br />
Ob es nun um Kühlung und Kompressoren<br />
oder das Röntgenwesen<br />
ging, stets waren die Dürr’schen Ingenieure<br />
sowohl auf dem Quivive als<br />
auch auf neue Anwendungstechniken<br />
fixiert und dergestalt meist die Ersten<br />
auf dem Markt. Was durchaus einigen<br />
Mut erforderte, denn stets wagte man<br />
sich in neue Techniken vor. „Wir haben<br />
unsere Mitarbeiter immer aufgefordert,<br />
nach technischen Entwicklungen<br />
Ausschau zu halten“, sagt Dürrstein.<br />
Dies gilt auch und zumal für die Digitalfotografie,<br />
die seine Leute als Erste<br />
für das zahnärztliche Röntgen nutzbar<br />
machten. Die Markteinführung<br />
glich einem Freudenfest: „Das ging ab<br />
wie Schmidts Katze“, sagt Dürrstein.<br />
Im Digital-Röntgen auf Speicherfolien<br />
kommt kein Unternehmen den<br />
Bietigheim-Bissingenern gleich: „Inzwischen<br />
gibt es 25 Wettbewerber,<br />
jetzt sind wir die Gejagten.“<br />
Dürrstein, der seit 2003 die Geschäfte<br />
führt, treibt die Digitalisierung<br />
seines Sortiments voran. Großes<br />
Thema: die Vernetzung der einzelnen<br />
Geräte. „Ohne Software geht gar<br />
nichts mehr“, sagt Dürrstein. Folgerichtig<br />
ist die Programme-Entwicklung<br />
inzwischen die größte Abteilung<br />
im Hause.<br />
Die Erfolge im Digital-Geschäft<br />
und die Tatsache, dass die Nachfahren<br />
vom Stamme „Wilhelm“ von der Medizintechnik<br />
genug hatten, ermunterten<br />
die Erben der Bitburger-Brauerei im<br />
Jahr 2011, mit 35 Prozent bei Dürr Dental<br />
einzusteigen. „Ein idealer Partner“,<br />
sagt Dürrstein, denn „als Familienunternehmen<br />
sind sie auch langfristig<br />
ausgerichtet.“<br />
Die Firma rangiert an erster Stelle:<br />
„Wir gehören nicht zu denen, die<br />
50 Prozent vom Gewinn ausschütten.“<br />
Viel lieber steckt Dürrstein das Geld<br />
in die Produktentwicklung. Sie ben bis<br />
acht Pro zent der jährlichen Einnahmen<br />
sind der Erforschung des Fortschritts<br />
vorbehalten. Denn „wir wollen<br />
stets schneller wachsen als unsere<br />
Industrie“.<br />
U<br />
45<br />
Text / MICHAEL GATERMANN<br />
FOTO: DÜRR DENTAL<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
46<br />
47<br />
BEIM DFB<br />
Sonntagmorgen um halb neun. In so einem Sportverband ist immer etwas<br />
zu tun. Auch um diese Zeit. Der weiße Wagen auf dem Präsidentenparkplatz<br />
gehört nicht Wolfgang Niersbach. Denn Wolfgang Niersbach ist weg<br />
und ein Nachfolger noch nicht gewählt. Irgendjemand lässt es hier an der<br />
schuldigen Achtung vor so einem Präsidentenparkplatz fehlen.<br />
Text / PHILIPP SELLDORF<br />
Foto / BERT BOSTELMANN<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
48<br />
B<br />
eim Neujahrsempfang der<br />
Deutschen Fußball Liga<br />
(DFL) ging es diesmal nicht<br />
so heiter zu wie im vorigen<br />
Jahr. Im Januar 2015 hatte<br />
der DFL-Chef Christian Seifert (46)<br />
die deutsche Weltmeister-Bundesliga<br />
hochleben lassen und unter großem<br />
Gelächter im Saal die zwar steinreiche,<br />
aber für tendenziell töricht gehaltene<br />
englische Konkurrenz verspottet.<br />
Den Gästen, die aus London angereist<br />
waren, empfahl er, den auf der Bühne<br />
ausgestellten Weltpokal aus der Nähe<br />
zu betrachten – weil es wohl recht lang<br />
dauern könnte, bis die Premier League<br />
mal die edelste Trophäe des Fußballs<br />
auf die Insel bringen werde.<br />
Diesmal gab es bei Seiferts Ansprache<br />
im Frankfurter Thurn-und-Taxis-<br />
Palais nichts zu lachen. Die Spitzenkräfte<br />
der deutschen Profiklubs, die<br />
Verbandsleute, Sponsorenvertreter,<br />
Fernsehbosse und die aus London und<br />
New York eingeflogenen Vermarktungspartner<br />
bekamen eine moralschwere<br />
Rede zu hören, die von Problemen,<br />
noch mehr Problemen sowie<br />
besonders großen Problemen handelte.<br />
Vieles im Fußball sei 2015 „irritierend“<br />
gewesen und manches „verstörend“,<br />
sagte Seifert. Ob er die Vorgänge<br />
beim Deutschen Fußball Bund<br />
(DFB) der ersten oder der zweiten<br />
Kategorie zurechnete, sagte er nicht.<br />
Der DFB und die DFL leben in<br />
Frankfurt nebeneinander wie zwei<br />
Familien, die den Markt zum beiderseitigen<br />
Besten aufgeteilt haben, aber<br />
nie sicher sein können, ob sich die andere<br />
Partei nicht plötzlich doch mehr<br />
nimmt, als ihr bislang zustand.<br />
Beide Familien haben denselben<br />
Stammbaum, doch man beäugt und belauert<br />
sich. Und seit der DFB am Skandal<br />
um die dubiose Millionen-Transaktion<br />
vor der Weltmeisterschaft 2006<br />
laboriert, ist das Verhältnis komplizierter<br />
und schwieriger geworden.<br />
Zwar ist es nicht so schlimm wie im<br />
Westernklassiker „Für eine Handvoll<br />
Dollar“, in dem zwei kriminelle Sippen<br />
ihre nachbarliche Koexistenz pflegen,<br />
bis eines Tages die skrupellosen Rojos<br />
den kompletten Klan der Baxters auslöschen.<br />
Eine Schießerei zwischen den<br />
Leuten von DFL und DFB ist vorerst<br />
nicht zu befürchten.<br />
Aber in mancher Hinsicht ähnelt<br />
die gegenwärtige Konfrontation in<br />
Frankfurt/Main durchaus der fiktiven<br />
Kontroverse von San Miguel/New Mexiko.<br />
Die natürlichen Gegensätze und<br />
Differenzen der beiden Lager werden<br />
in der Krise deutlicher.<br />
Beim DFB macht sich die neue<br />
Lage im trotzigen Behauptungswillen<br />
der regionalen Amateurvertreter und<br />
im gedrückten Selbstbewusstsein der<br />
Werktätigen im Hauptquartier bemerkbar.<br />
An der Otto-Fleck-Schneise<br />
schaute man ja ohnehin immer etwas<br />
neidvoll auf die in Banken- und<br />
REINHARD GRINDEL<br />
Der Mann vom Wümmestrand soll<br />
neuer DFB-Präsident werden.<br />
Was ihn für das Amt qualifiziert, ist<br />
vor allem sein Wille, es auszuüben.<br />
Finanz marktnähe residierende DFL,<br />
die allzeit ein Stück moderner und<br />
schneller und schicker zu sein scheint.<br />
So halten sich die einen gemäß ihrer<br />
Aufgabenbestimmung für die Profis,<br />
während die anderen folgerichtig<br />
die Amateure bleiben müssen. „Der<br />
Amateur Koch kommt heute nicht“,<br />
höhnten DFL-Leute zur angekündigten<br />
Abwesenheit des kommissarischen<br />
DFB-Präsidenten Rainer Koch (57),<br />
der den Neujahrsempfang versäumte,<br />
weil er seinen Pflichten als Strafrichter<br />
am Oberlandesgericht München nachzugehen<br />
hatte.<br />
Andererseits haben die Amateure<br />
den Profis einen schönen Stoß versetzt,<br />
als sie im vorigen November<br />
den Schatzmeister Reinhard Grindel<br />
(54) aus Rotenburg an der Wümme<br />
zum Kandidaten für das vakante Präsidentenamt<br />
bestimmten und damit die<br />
Leute vom Profifußball unvermittelt<br />
vor vollendete Tatsachen stellten.<br />
Die Profis haben Mitspracherecht,<br />
aber im Präsidium und in der Wahlversammlung<br />
stellen die Vertreter der<br />
Amateure die Mehrheit. Der Name<br />
„Grindel“ war dem großen Publikum<br />
bisher ungefähr so gut bekannt wie der<br />
Name des schleswig-holsteinischen Fischereiministers;<br />
weder hat er ein Länderspiel<br />
bestritten noch in der Ersten<br />
oder Zweiten Liga ein Kopfballtor erzielt,<br />
was vor allem daran liegt, dass er<br />
niemals Fußballprofi war oder in Verdacht<br />
geriet, einer werden zu wollen.<br />
Das Beste, was er über seine Fußballerzeit<br />
sagen kann, ist ein Scherz.<br />
Er habe „vier Klassen über Stefan Effenberg<br />
gespielt – vier Altersklassen“,<br />
pflegt Grindel zu witzeln. In seinen<br />
jungen Jahren spielte er – wie der frühe<br />
Effenberg und der berüchtigte Bayern-Torwart<br />
Mein-Gott-Walter Junghans<br />
– für den SC Viktoria Hamburg;<br />
er hörte damit auf, weil ihn auf dem<br />
Platz die Brille störte und weil er keine<br />
Kontaktlinsen verträgt.<br />
Die nächste aktenkundige Station<br />
im Fußball absolvierte Grindel als<br />
Vorstandsmitglied und Teilzeit-Pressewart<br />
des Rotenburger SV. Nach dem<br />
Jura-Studium hatte er unter anderem<br />
als Fernsehjournalist gearbeitet, bevor<br />
er für die CDU in den Bundestag<br />
eintrat, dem er seit nunmehr 13 Jahren<br />
angehört, zuletzt im Status des<br />
Hinterbänklers.<br />
Sein Mandat will er niederlegen,<br />
wenn er auf dem wahrscheinlich im<br />
Mai stattfindenden DFB-Bundestag<br />
zum Präsidenten gewählt werden<br />
sollte, woran kaum zu zweifeln ist.<br />
Mit diesem Schicksal haben sich inzwischen<br />
auch die Leute aus der Bundesliga<br />
abgefunden, die anfangs noch<br />
geklagt und geschimpft hatten über<br />
das Überfallkommando der frechen<br />
DFB-Amateure. Ein besser geeigneter<br />
Bewerber hatte den Profis im Übrigen<br />
auch nicht einfallen wollen, schon gar<br />
nicht einer aus den eigenen Reihen.<br />
Heribert Bruchhagen (67), ab dem<br />
Sommer emeritierter Vorstandschef<br />
von Eintracht Frankfurt, wäre eine<br />
denkbare Lösung gewesen. Vielseitig<br />
erfahren, allseits anerkannt und zudem<br />
ein alter Freund und Stammtischbruder<br />
von Wolfgang Niersbach (65),<br />
dem vormaligen und in beiden Sphären<br />
populären DFB-Obersten.<br />
„Vielleicht hätte ich sogar Stimmen<br />
aus dem Amateurlager bekommen“,<br />
sagt Bruchhagen, „aber ich kann<br />
diesen Job nicht: Die Ehrenamtler auszeichnen,<br />
den 70-Jährigen gratulieren,<br />
Tagungen, Ausschuss-Sitzungen, Akten<br />
lesen, auf so was könnte ich mich<br />
gar nicht mehr konzentrieren. Das Anforderungsprofil<br />
erfülle ich nicht. Es<br />
reicht nicht, gewählt zu werden. Man<br />
muss es auch können.“<br />
Reinhard Grindel traut sich das alles<br />
und noch viel mehr zu. Ihn hat es<br />
nicht erschüttert, dass sich zunächst<br />
mal alle über ihn lustig gemacht haben,<br />
weil zum Zeitpunkt seiner Kandidatenkür<br />
prompt ein Wahlkampfvideo<br />
aus seiner niedersächsischen Heimat<br />
rundgeschickt wurde, das ihn reichlich<br />
provinziell aussehen ließ. „Er hat noch<br />
gar nicht angefangen und wird schon<br />
hingerichtet“, stellte man beim DFB<br />
ängstlich entsetzt fest.<br />
Aber der vermeintliche Delinquent<br />
hat die Polemik cool genommen: oberflächliche<br />
Massenerregung durch ein<br />
schnelllebiges Medienphänomen –<br />
nichts Neues für einen routinierten<br />
Politiker.<br />
Reinhard Grindel ist ein Mann von<br />
hohem Wuchs, der einen sehr festen<br />
Händedruck besitzt und mit ebenso<br />
fester Stimme schnell und gewandt zu<br />
reden versteht. Er spricht in Hauptund<br />
nicht in Nebensätzen und besitzt<br />
die beneidenswerte Fähigkeit des berufsmäßigen<br />
Politikers, über nahezu<br />
alles Bescheid zu wissen.<br />
Seine Kenntnisse, zum Beispiel<br />
über die aktuellen Ränkespiele im<br />
Weltverband Fifa, teilt er gern und<br />
ausführlich mit, jedoch nach dem<br />
„unter drei“ genannten Berliner<br />
Vertraulichkeitsprinzip.<br />
In der Eigenschaft des Präsidentschaftsanwärters<br />
will er bis zur förmlichen<br />
Ernennung öffentlich nicht<br />
Stellung nehmen; Interview-Anfragen<br />
weist er zurück, was vermutlich vernünftig<br />
ist. Ganz leicht fällt ihm das<br />
zwar nicht, es drängt den ehrgeizigen<br />
Mann durchaus ans Licht, aber er vermutet<br />
sich auf der Zielgeraden.<br />
Was ihn für das Staatsamt des<br />
DFB-Präsidenten qualifiziert, ist zunächst<br />
und vor allem die Tatsache,<br />
dass er bereit ist, es auszuüben. Auf<br />
Niersbachs Rücktritt war außer ihm<br />
und seinem Alliierten Rainer Koch<br />
niemand vorbereitet gewesen, obwohl<br />
sich Niersbachs Lage absehbar<br />
zugespitzt hatte – spätestens seit jenem<br />
Tag, als er im Alarmtempo eine<br />
Presse konferenz einberief, obwohl er<br />
der Presse nichts zu sagen hatte.<br />
WOLFGANG NIERSBACH<br />
Am 9.11.2015 erklärte der DFB-<br />
Chef, der Theo Zwanzigers<br />
„Schreckensherrschaft“ beendet<br />
hatte, seinen Rücktritt.<br />
Nie ist der Medienprofi Niersbach so<br />
peinlich ausgeglitten wie an diesem<br />
22. Oktober. „Auf einmal war klar:<br />
Der Wolfgang geht runter. Tenor: Er<br />
sagt was“, berichtet ein Zeuge. Aber<br />
was? Das hat Niersbach selbst nicht<br />
gewusst. Er fühlte sich bloß genötigt,<br />
nachdem kurz zuvor die geplante<br />
gemeinsame Erklärung mit seinem<br />
Freund Franz Beckenbauer (70) zum<br />
WM-Problem geplatzt war. „Bild“ hatte<br />
bereits im Internet den Befreiungsschlag<br />
verkündet.<br />
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger<br />
Theo Zwanziger (70) war Niersbach jedoch<br />
ein außerordentlich beliebter Präsident,<br />
der starken Rückhalt besaß. Die<br />
Prominenten in den Profiklubs standen<br />
weiter hinter ihm, und auch die meisten<br />
Chefs der Landes- und Regionalverbände<br />
hörten nicht auf, ihn trotz des öffentlichen<br />
Drucks zu stützen.<br />
„Ich habe mir nicht mal am Morgen<br />
des 9. November, also an dem Tag des<br />
Rücktritts von Wolfgang Niersbach,<br />
vorstellen können, dass ich zehn Stunden<br />
später Übergangspräsident des<br />
DFB sein würde“, erzählt Rainer Koch.<br />
„Ich bin an dem Montag aus dem<br />
Haus gegangen und hatte gedacht, um<br />
17 Uhr wieder daheim zu sein. Stattdessen<br />
habe ich mich am Abend in einem<br />
ARD-,Brennpunkt‘ wiedergefunden.“<br />
Über den resoluten Bayern Koch<br />
heißt es, er sei als ranghöchster Amateurvertreter<br />
und somit potenzieller<br />
Spitzenkandidat das Opfer einer Intrige<br />
des niedersächsischen Landesverbandsvorsitzenden<br />
Karl, genannt<br />
„der Große“, Rothmund gewesen, der<br />
seinem Landsmann Grindel als „Steigbügelhalter“<br />
zur Seite gestanden hätte.<br />
So wird es erzählt. Das klingt packend<br />
und passt zum Ruf der selbstbewussten<br />
Landeschefs, die in den Medien stets als<br />
„Landesfürsten“ bezeichnet werden.<br />
Koch versichert aber, es habe<br />
„null Komma null Intrige gegeben“,<br />
weil er aus sehr vielen Gründen nicht<br />
DFB-Präsident werden möchte. Einen<br />
Platz in der Ahnengalerie widmen sie<br />
ihm vielleicht trotzdem, sein dynamisches<br />
Krisenmanagement hat Maßstäbe<br />
gesetzt.<br />
Dass ein Nachfolger für Niersbach<br />
gefunden werden müsste, das war<br />
den Männern im Führungszirkel des<br />
Verbandes allerdings schon vor dem<br />
Skandal bewusst gewesen; man hatte<br />
aber angenommen, dass Niersbach<br />
den Posten in Frankfurt für höhere<br />
Aufgaben in Nyon oder Zürich aufgeben<br />
würde: Uefa-Präsident, sogar<br />
Fifa-Präsident sollte er werden können,<br />
das traute man ihm zu.<br />
Aber dann kam am 16. Oktober<br />
2015 der „Spiegel“ vorab mit seiner<br />
Titelgeschichte über die angeblich gekaufte<br />
Weltmeisterschaft 2006 heraus.<br />
Verzweifelt hatte der DFB vor dem Erscheinen<br />
des Wochenmagazins noch<br />
ein Stück Deutungshoheit zu retten<br />
versucht, indem er eine komplizierte<br />
und mysteriöse Erklärung über<br />
49<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
50<br />
„Hinweise auf die Zweckentfremdung<br />
von 6,7 Millionen Euro“ verbreitete.<br />
Aber aus dem Würgegriff der öffentlichen<br />
Ankläger ist der große Verband<br />
nicht mehr herausgekommen.<br />
Anfangs drohte der DFB seinen<br />
Häschern noch mit Unterlassungsund<br />
Verleumdungsklagen und dem<br />
Einsatz gewiefter Medienanwälte,<br />
doch bald setzte er sich gegen keine<br />
noch so haltlose Beschuldigung mehr<br />
zur Wehr und nahm stattdessen die<br />
Rolle des schuldigen Sünders ein,<br />
obwohl bis heute niemand weiß, was<br />
mit den 6,7 Millionen geschehen ist<br />
und wie weit damals die deutschen<br />
Verstrickungen in die organisierten<br />
Fifa-Verbrechen reichten.<br />
Ende Februar soll der Untersuchungsbericht<br />
der Wirtschaftskanzlei<br />
Freshfields vorliegen und – als Zeichen<br />
von Glasnost und Perestroika – in vollem<br />
Umfang veröffentlicht werden.<br />
Mit überraschenden Enthüllungen<br />
rechnen die Kenner allerdings nicht<br />
mehr, die wesentlichen Geheimnisse<br />
bleiben wohl im Dunkeln.<br />
Franz Beckenbauer, als WM-<br />
Organisationschef die Schlüssel figur<br />
der Affäre, hat zwar ein denkwürdiges<br />
Interview zur Sache gegeben,<br />
die Substanz seiner Offenbarungen<br />
weckte jedoch außer Erheiterung eher<br />
ungute Assoziationen. Der englische<br />
„Guardian“ resümierte genüsslich die<br />
Kernbotschaften: „Ich habe nichts gewusst.“<br />
Und: „Ich kann mich an nichts<br />
erinnern.“ Und: „Wir haben das alle<br />
gemacht.“ Und: „Wir haben nur Anweisungen<br />
befolgt.“<br />
Höflicherweise hat die Zeitung<br />
nicht ausgesprochen, dass man eben<br />
diese Redensarten bereits aus einer<br />
anderen Epoche der deutschen Geschichte<br />
kennt.<br />
Nun hat der DFB schon viele Krisen<br />
überstanden und in all den Jahren<br />
gelernt, mit Kritik, Vorwürfen<br />
und Diffamierungen zu leben. Als<br />
im Jahr 2001 die DFL die Regie des<br />
Bundesliga-Betriebs übernahm, hatte<br />
Niersbach – damals Manager in der<br />
Öffentlichkeitsarbeit – darauf gehofft,<br />
dass der DFB nicht länger die<br />
THEO ZWANZIGER<br />
Während seiner Amtszeit (2006 –<br />
2012) war der jähzornige Jurist<br />
als Funktionär der Finsternis bei<br />
Freund und Feind gefürchtet.<br />
Rolle des Sündenbocks vom Dienst<br />
ertragen müsse.<br />
Das war jedoch ein Irrtum. Nach<br />
wie vor hallt Woche für Woche der<br />
Ruf „Fußballmafia DFB“ durch die<br />
Sta dien, er gehört zum Weltbild und<br />
Folklore-Repertoire der Fußballfans.<br />
Auch die DFL hat ihre Probleme<br />
mit den orthodoxen und manchmal<br />
militanten Anhängern; aber ihren Ärger<br />
lädt die Stehkurve üblicher- und<br />
traditionellerweise beim DFB ab, zumal<br />
der ja nun sittlich diskreditiert zu<br />
sein scheint. Neulich auf einem Plakat<br />
im Müngersdorfer Stadion in Köln: „6,7<br />
Millionen Fragen, keine Antworten –<br />
und trotzdem spielt ihr den Richter?“<br />
Die Zweifel an der moralischen<br />
Legitimität kamen den Kölner Anhängern<br />
auch deshalb, weil sich der<br />
Kölner FC-Manager Jörg Schmadtke<br />
allen Ernstes vor dem DFB-Sportgericht<br />
verantworten musste, nachdem<br />
er die Schiedsrichter als „Eierköppe“<br />
bezeichnet hatte. Über diese Lappalie<br />
hat sogar der zuständige Sportrichter<br />
gelächelt – und trotzdem nach mehr<br />
als zweistündiger Verhandlung die<br />
Geldstrafe wegen unsportlichen Verhaltens<br />
in Höhe von 6.000 Euro bestätigt.<br />
Viele halten das für typisches<br />
DFB-Verhalten.<br />
Der DFB ist zwar nicht mehr die<br />
graue Behörde, die er früher einmal<br />
war, als er einen Querschnitt aus Finanzministerium<br />
und Katasteramt zu<br />
bilden schien. Er ist jetzt Arbeitgeber<br />
für viele junge, engagierte Angestellte,<br />
die zeitgemäße Stilmittel für die<br />
Ansprache der 25.000 im Verband organisierten<br />
Amateurklubs entwickeln<br />
und pflegen.<br />
Aber wenn es um den Kern der<br />
Betriebsstruktur geht, dann ist der<br />
DFB immer noch ein einigermaßen<br />
altdeutsches Unternehmen mit strengem<br />
hierarchischem Aufbau und einer<br />
Umgangssprache, in der vorzugsweise<br />
Worte wie „Verpflegungsmehraufwand“<br />
vorkommen. Stets berüchtigt:<br />
die Dienstbesprechungen der Direktorien<br />
mit der stundenlangen Verlesung<br />
des Protokolls aus der Vorwoche.<br />
Und wenn der (im Zuge der<br />
WM-Affäre gekündigte) Personalchef,<br />
Stefan Hans (54), an Geburtstagen Geschenke<br />
an die Mitarbeiter verteilte,<br />
dann war das zwar gut gemeint, gleichwohl<br />
glich nach Angaben von Betroffenen<br />
die Gratulationszeremonie dem<br />
Muster eines Verwaltungsakts.<br />
Die Fortschritte, welche die DFB-<br />
Präsidenten dem Verband im 21. Jahrhundert<br />
brachten, haben eben diese<br />
Präsidenten sehr erfolgreich zunichtegemacht.<br />
Mit der Person des Präsidenten<br />
Theo Zwanziger ist einerseits der<br />
Segen einer liberalen Kulturrevolution<br />
und andererseits ein rigoroser Regentschaftsstil<br />
verbunden, den der aktuelle<br />
Generalsekretär Helmut Sandrock<br />
(59), wahrlich kein Mann großer<br />
Worte, als „Schreckensherrschaft“ bezeichnet<br />
hat.<br />
Wie sein phänotypisch erstaunlich<br />
verwandter Vorvorgänger Egidius<br />
Braun (90), ein Kartoffelproduzent aus<br />
dem Rheinland, trat der aus dem Westerwald<br />
stammende Steuer- und Verwaltungsfachmann<br />
Zwanziger in der<br />
Gestalt des väterlichen Predigers auf.<br />
Er war, wie es heißt, „ein Fifty-fifty-Typ“:<br />
Die eine Hälfte des Zwanzigers<br />
predigte vom politischen Auftrag<br />
des Fußballs, vom Einsatz für Gleichberechtigung<br />
und Integration und von<br />
der Befreiung für schwule Fußballer<br />
und lesbische Fußballerinnen.<br />
Die andere Hälfte des gütigen Reformers<br />
aber erwies sich als Patriarch<br />
mit despotischen Zügen und der Neigung<br />
zu cholerischen Ausbrüchen.<br />
Untergebene behandelte er wie Leib-<br />
eigene. Den Verband und dessen wertvollstes<br />
Inventar, die Nationalmannschaft,<br />
schien er mitunter als erweitertes<br />
Privateigentum zu betrachten.<br />
Den Bundestrainer Jogi Löw (56)<br />
ließ er einmal samt Nationalspieler-<br />
Gefolge zwischen zwei Länderspielen<br />
zum Geburtstag seines Heimatvereins<br />
VfL Altendiez anreisen. Teammanager<br />
Oliver Bierhoff (47) erklärte, es sei<br />
„nur eine Selbstverständlichkeit, dass<br />
wir den Fußballfans in Altendiez und<br />
Umgebung eine Freude bereiten“.<br />
Als er so scheinheilig diese schreiende<br />
Unwahrheit formulierte, hat<br />
er sich vielleicht an einen Vorfall erinnert,<br />
der sich ein Jahr zuvor während<br />
der WM in Südafrika zutrug: wie<br />
Zwanziger damals einen Wutanfall<br />
bekam, weil seine Ehrengäste aus der<br />
Mitte des Verbandes erst das Training<br />
des Nationalteams abwarten sollten,<br />
bevor sie – wie er versprochen hatte<br />
– mit den Spielern Fotos machen<br />
und Autogrammkarten einsammeln<br />
durften.<br />
Oder er hat an Zwanzigers Zornausbruch<br />
gedacht, als die Kanzlerin<br />
Angela Merkel nach einem Länderspiel<br />
die Mannschaftskabine besuchte, aber<br />
niemand ihm davon erzählt hatte, sodass<br />
er nicht dabei sein konnte. Es gibt<br />
sehr viele solcher Geschichten.<br />
Wolfgang Niersbach, das sagen alle,<br />
die ihn dort erlebt haben, hat das Haus<br />
nach der Schreckensherrschaft befriedet.<br />
„Er hat mit seiner Menschlichkeit<br />
dem Verband gutgetan“, heißt es.<br />
Der Rheinländer besitzt natürlichen<br />
Charme und die Gabe, für jeden<br />
ein nettes persönliches Wort zu<br />
finden. Die gesellschaftspolitischen<br />
Ambitionen seines Vorgängers stellte<br />
er in den Hintergrund, der Ball und<br />
die Bundesliga rückten wieder in den<br />
Mittelpunkt.<br />
Dass es ohne Niersbach nun wieder<br />
Spannungen zwischen DFB und<br />
DFL gibt, das findet ein Spitzenfunktionär<br />
des DFB, der lieber ungenannt<br />
bleibt, „nur logisch – wenn plötzlich<br />
der Lieblingspräsident abtritt und<br />
man den neuen noch nicht kennt“.<br />
Auf den neuen Mann sind auch die<br />
Vorstände des Frankfurter Renn-Klubs<br />
von 2010 e. V. sehr gespannt. In all<br />
den Turbulenzen ist ja ein wenig untergegangen,<br />
dass der DFB im Begriff<br />
ist, ein Vorhaben zu realisieren, das<br />
Niersbach als „Jahrhundertprojekt“<br />
initiiert und der zuständige Manager<br />
Bierhoff als „Leuchtturmprojekt für<br />
den Sport international“ bezeichnet<br />
hat: die geplante DFB-Akademie mit<br />
Jugendleistungszentrum und Verwaltungsneubau.<br />
Dafür, dass sie so pompös eingeführt<br />
wurde, sind die zuständigen Herren<br />
auf einmal bemerkenswert reserviert.<br />
Weder Bierhoff noch Generalsekretär<br />
Sandrock wollten Fragen zum<br />
Stand der Entwicklung beantworten.<br />
Während Bierhoff lieber Abstand hält<br />
RAINER KOCH<br />
Der resolute Bayer und Strafrichter<br />
am Oberlandesgericht München<br />
präsidiert dem DFB, aber<br />
nur zurzeit und kommissarisch.<br />
zu den brisanten Eventualitäten im<br />
Verband, ist Sandrock zunächst mal<br />
froh, dass ihm die Entlassung erspart<br />
geblieben ist, nachdem er bei der Arbeit<br />
an der WM-Affäre beinahe den<br />
Dienstweg verfehlt hatte.<br />
Gern gesprächsbereit ist hingegen<br />
der Vizepräsident und Schatzmeister<br />
des Pferderennklubs, dem die Stadt<br />
kurz vor Weihnachten die Räumungsforderung<br />
hat zukommen lassen, damit<br />
das Gelände für den DFB-Bau erschlossen<br />
werden kann.<br />
Carl-Philipp Graf zu Solms-Wildenfels<br />
(36) kämpft dafür, dass die<br />
seit Vorkriegszeiten hier ansässigen<br />
Galopper bleiben dürfen – am liebsten<br />
in friedlicher Nachbarschaft mit<br />
dem DFB. Das 350.000 Quadratmeter<br />
große Gelände bietet eine wunder bare<br />
Aussicht auf die Bankentürme, der<br />
Graf meint, dass darauf genug Platz<br />
für beide sei: Rösser und Fußballer.<br />
Aber diese Botschaft wird er an<br />
der relevanten Stelle nicht los: Der<br />
DFB redet nicht mit dem Rennklub. Er<br />
verweist stur an die Stadt als Grundstückseigentümerin.<br />
Die Stadt aber<br />
hält die Diskussion für beendet. Bei<br />
den Pferdefreunden herrscht Verbitterung.<br />
„Strukturen wie in Süditalien“<br />
hat Solms entdeckt, „ein Verhalten<br />
von Intransparenz“ und „ein eklatantes<br />
Abhängigkeitsverhältnis zwischen<br />
DFB, Politik und Stadt“.<br />
Wenn man ihm zuhört, dann<br />
scheint es kein Zufall mehr zu sein,<br />
dass schon wieder eine vermeintlich<br />
unantastbare deutsche Institution ins<br />
Zwielicht geraten ist. Nach Siemens<br />
und dem ADAC, nach VW und nach Uli<br />
Hoeneß. Für ihn sei es „eine Genugtuung“<br />
gewesen, als der Fifa-Skandal<br />
den DFB erreicht habe, sagt der Rennbahnvertreter.<br />
Zeit- und Kostenplan des Bauherrn<br />
sind bereits durcheinandergeraten.<br />
Die Rennbahnverteidiger kündigen an,<br />
den Klageweg zu beschreiten. Der DFB<br />
aber hat erst mal andere Sorgen: Die<br />
WM-Affäre kann ihn viel Geld kosten.<br />
Von 20 oder 25 Millionen Euro Steuernachzahlung<br />
ist die Rede, und ein paar<br />
Schwarzseher meinen gar, es drohe<br />
der generelle Verlust der Gemeinnützigkeit.<br />
Nach Strukturreformen und neuen<br />
Kontrollmechanismen verlangt jetzt<br />
das Profilager, aber der tonangebende<br />
Funktionär Rainer Koch meint: „Wir<br />
machen diese Erfahrungen doch häufiger.<br />
Es wird nach dem Gesetzgeber<br />
gerufen, wenn es eigentlich nur darum<br />
geht, die vorhandenen Gesetze anzuwenden.“<br />
Was ist also so faszinierend daran,<br />
ausgerechnet jetzt diesen wankenden<br />
Riesen DFB an die Hand zu nehmen?<br />
Reinhard Grindel antwortet darauf<br />
nicht offiziell, aber er scherzt, dass<br />
es ja für gescheiterte Hobbykicker<br />
nur zwei Wege zu den großen Fußballern<br />
gebe: als Schiedsrichter oder als<br />
Funktionär.<br />
U<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
52<br />
KONTROLLÖRE STATT<br />
INGENIÖRE<br />
Einflussreiche Siemens-Aktionäre sind in Sorge über den Mangel an<br />
„technischem Sachverstand“ in der Unternehmensführung.<br />
Text / BERND ZIESEMER<br />
Daniel Düsentrieb, der Vater der Hüpfstelze<br />
und des Schwarzlichts („Macht<br />
helle Räume dunkel“), brachte es auf<br />
den Begriff: „Dem Ingeniör ist nichts<br />
zu schwör.“ Ein ähnlich elementarer<br />
Kraftspruch schwebte wahrscheinlich<br />
Siemens-Chef Josef Käser (58) vor, als<br />
er seine Hauslyriker oder unseretwegen<br />
auch -lyrikerinnen um ein knusprig-heißes<br />
Firmenmotto bat.<br />
Denn anders ist das Hervorgehen<br />
von „Ingenuity for life“ aus dem unveränderlichen,<br />
vollkommenen, göttlichen<br />
Einen kaum zu erklären. Der<br />
neue Markenzusatz verfügt unbedingt<br />
über donaldeske Vehemenz und erfüllt<br />
alle Voraussetzungen.<br />
Englisch als provinzielles Mode-Accessoire:<br />
Das hat eine lange Tradition –<br />
von Ellen Betrix („The Care Company“)<br />
bis zu Josef Käser selbst, der unter dem<br />
Decknamen „Joe Kaeser“ auftritt.<br />
Auf der Siemens-<br />
Hauptversammlung<br />
am 26. Januar.<br />
Am 26. Januar prangte der Hinweis,<br />
der irgendwas mit Einfallsreichtum<br />
oder Erfindungsgabe fürs Leben oder<br />
für immer zu tun hat, auch in der<br />
Münchner Olympiahalle aus Anlass<br />
der Siemens-Hauptversammlung.<br />
Nun wäre Käser nicht Kaeser beziehungsweise<br />
der ausgepichte Taktiker,<br />
der er ohne Zweifel ist, wenn hinter<br />
dem frischen Firmenmotto nicht<br />
Kniff, Kalkül und Kühnheit steckten.<br />
Seit einigen Monaten gibt sich der<br />
Siemens-Chef verstärkt als Oberinge<br />
nieur, Irrsinns-Innovator und<br />
Start-up-Großstratege. Ganz, als wollte<br />
der Betriebswirt und Niederbayer jene<br />
kritischen Aktionäre begütigen, die<br />
über mangelnden Technikverstand und<br />
eine grassierende Erfindungsschwäche<br />
im Konzern klagen und darüber, dass<br />
bis ins Mittel-Management hinab Kontrolleure<br />
und Koordinatoren überhandnähmen,<br />
Betriebswirte und Buchhalter<br />
die Geschicke des Hauses bestimmten.<br />
Im Aufsichtsrat scharrt der Vorsitzende<br />
Gerhard Cromme (72, Doktorarbeit:<br />
„Die Kraftfahrzeughaftpflicht<br />
in Deutschland und Frankreich“) zwei<br />
weitere Juristen um sich, drei Kaufleute,<br />
einen Verwaltungsfachmann, eine<br />
Philologin und eine Philosophin. Einziger<br />
Ingenieur: der frühere BMW-Kommandeur<br />
Norbert Reithofer (59).<br />
Gewiss, für das erste Geschäftsquartal<br />
gab Siemens (Umsatz 2014/15:<br />
75,6 Mrd. Euro, Gewinn: 7,4 Mrd. Euro)<br />
erstaunlich gute Zahlen bekannt: Die<br />
Einnahmen kletterten um acht, der<br />
Ertrag gleich um 42 Prozent – wobei<br />
gerechterweise hinzugefügt werden<br />
muss, dass im vergangenen Jahr noch<br />
Son der ausgaben das Er geb nis beschwert<br />
hatten, deren Wegfall nun die<br />
Buchhaltung beflügelt.<br />
Institutionelle Investoren, wie Union<br />
Investment und der britische Fonds<br />
Hermes, monieren jedoch bereits seit<br />
geraumer Zeit den „fehlenden technischen<br />
Sachverstand“.<br />
Cromme hat auf die Kritik nicht reagiert<br />
– obwohl eine Neubesetzung des<br />
Aufsichtsrats auch aus anderen Gründen<br />
angezeigt wäre: Im Siemens-Konzil<br />
wachen in Gestalt von Nicole Leibinger-Kammüller<br />
(56, Trumpf-Chefin)<br />
und Jim Snabe (50, SAP-Aufsichtsrat)<br />
die Vertreter zweier Unternehmen, die<br />
man durchaus als Siemens-Konkurrenten<br />
bezeichnen kann, ohne sich gleich<br />
eine Gegendarstellung einzuhandeln.<br />
Auch die dringend notwendige,<br />
aber immer noch nicht in Angriff genommene<br />
Verjüngung des Siemens-<br />
Rats wäre für den bis 2018 gewählten<br />
Hauptwachtmeister Cromme eine gute<br />
Gelegenheit gewesen, um endlich<br />
mehr Techniker und Ingenieure in die<br />
Körperschaft zu holen.<br />
Auf der Siemens-Hauptversammlung<br />
warb er stattdessen für eine vorzeitige<br />
Wiederwahl dreier Vertrauter,<br />
unter ihnen auch Snabe und Leibinger-Kammüller.<br />
Sie sollen angeblich<br />
einen brisanten Wechsel vorbereiten:<br />
nämlich jenen von Vorstandschef Josef<br />
Käser selbst, dessen Vertrag 2018<br />
ausläuft und der nach der vorgeschriebenen<br />
zweijährigen Abkühlungsphase<br />
2020 den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen<br />
könnte.<br />
Ausgerechnet Käser also, der in<br />
seinem Berufsleben niemals unmittelbar<br />
mit Forschung und Entwicklung zu<br />
tun hatte und in seinem Generalstab<br />
eine Chemikerin, einen Physiker und<br />
nur zwei Ingenieure, aber mittlerweile<br />
drei Wirte versammelt: Neben Betriebswirt<br />
Käser selbst zählen dazu<br />
Fachkollege und Finanzvorstand Ralf<br />
P. Thomas (54) und die Volkswirtin<br />
und Personalvorständin Janina Kugel<br />
(46); die Amerikanerin Lisa Davies<br />
(52), zuständig fürs Energie-Ressort,<br />
hat Chemie, Roland Busch (51, Infrastruktur)<br />
Physik studiert.<br />
Nur Klaus Helmrich (57, Digitales)<br />
und Siegfried Russwurm (52, Technik)<br />
verkörpern als Ingenieure das alte<br />
Herz und Hirn des Konzerns, haben<br />
im Komitee jedoch mittlerweile an<br />
Einfluss verloren.<br />
Das wäre halb so schlimm, setzte<br />
sich der Bedeutungsverlust des Ingenieurwesens<br />
nicht in den niederen<br />
Rängen fort: Seit einigen Jahren schon<br />
bemängeln Siemens-Ingenieure die<br />
schwindenden Aufstiegschancen im<br />
Haus. In den Arbeitgeber-Ranglisten<br />
deutscher Universitäten fiel der Konzern<br />
in nur drei Jahren von Platz drei<br />
auf Platz sechs zurück. Statistikern<br />
der Beratungsfirma Boston Consulting<br />
zufolge stieg Siemens unter den sogenannten<br />
innovativen Unternehmen<br />
der Welt von Platz 15 auf Rang 30 ab.<br />
Bei der Personalumfrage 2015 sollen<br />
sich, nach Angaben von Mittelsmännern,<br />
die Mitarbeiter der Entwicklungs-<br />
und Technikabteilungen in<br />
Garching und Erlangen kritisch über<br />
die Zustände geäußert haben.<br />
Der Verein von Belegschaftsaktionären,<br />
der Käser und Cromme traditionell<br />
kritisch gegenübersteht, rügt die<br />
Vormacht der „Excel“- und „Powerpoint“-Fetischisten:<br />
„Kollegen müssen<br />
auch mal in Ruhe forschen, ausprobieren<br />
können ohne ständige Con trolling-<br />
Begleitung.“ Ob „Ingenuity for life“<br />
geeignet sei, die Werte technischer Exzellenz<br />
wieder in den Vordergrund zu<br />
rücken, bezweifelt der Verein.<br />
Noch schärfere Worte findet der<br />
frühere Siemens-Manager Manfred<br />
Hoefle, der den „Managerismus“ im<br />
Konzern seit Jahren beanstandet. Unter<br />
Käser und seinen Vorgängern Peter<br />
Löscher (58) und Klaus Kleinfeld<br />
(58) habe sich Siemens von einem<br />
„Ingenieur-getriebenen zu einem finanzgetriebenen<br />
Konzern mit amerikanischem<br />
Einschlag“ entwickelt. So<br />
entstünden in München starke Strategie-,<br />
Kommunikations- und Finanzabteilungen.<br />
Mehr als 50 Leute befassten<br />
sich in München, laut Hoefle, allein<br />
mit möglichen Firmenübernahmen.<br />
Vor zehn Jahren waren es keine 20.<br />
Käser selbst fehle „ein tiefes Verständnis<br />
für Technik und damit das<br />
unternehmerische Gestaltungsvermögen“,<br />
behauptet Hoefle, der unter<br />
anderem in der Strategie pla nung und<br />
der zen tra len For schung tätig gewesen<br />
war. Das Gleiche gelte für viele seiner<br />
neuen „Innovationsmanager“, die<br />
selbst noch niemals in der Forschung<br />
und Entwicklung gearbeitet hätten.<br />
Geht Käser diese Probleme mit<br />
seiner „Innovationsoffensive“ vom<br />
vergangenen Dezember endlich an?<br />
Wenn ja, könnte Siemens davon in<br />
großem Ausmaß profitieren. Doch<br />
einige Investoren bezweifeln, dass es<br />
der Führung wirklich ernst ist.<br />
Siemens will 2016 die Ausgaben<br />
für Forschung und Entwicklung um<br />
300 Mio. auf 4,8 Mrd. Euro erhöhen<br />
– zuletzt lag ihr Anteil am Umsatz<br />
bei 5,9 Prozent –, und Käser verkündete:<br />
„Der Erfolg unseres Unternehmens<br />
und seine langfristige Zukunft<br />
liegen in unserer Innovationsstärke.“<br />
Verschwiegen wird aber, dass vor gut<br />
20 Jahren die Forschungsquote doppelt<br />
so hoch war und 1992 beispielsweise<br />
elf Prozent erreicht hatte. Unternehmensmotto<br />
damals: „Schrittmacher<br />
des Fortschritts“.<br />
Dass die eigene Innovationskraft<br />
möglicherweise doch nicht so ausgeprägt<br />
ist, schwant vielleicht auch Käser.<br />
Als Stimmungsaufheller pünktlich<br />
zur Hauptversammlung am 26. Januar<br />
berichtete die Presse über die geplante<br />
Übernahme der amerikanischen<br />
Firma CD-Adapco, die Si mu la ti onsprogramme<br />
entwickelt, die etwa das<br />
Verhalten von Flüssigkeiten und elektrochemischen<br />
Vorgängen simulieren.<br />
Der US-Betrieb erwirtschaftete mit<br />
rund 900 Mit ar bei tern einen Um satz<br />
von nicht einmal 200 Mil lio nen Dollar.<br />
970 Mio. Dollar will Siemens dafür<br />
bezahlen. Ein hanebüchen hoher Preis.<br />
Vor 20 Jahren hieß es: Mit seinen<br />
Milliardenreserven sei Siemens in<br />
Wahrheit eine Sparkasse mit angeschlossener<br />
Elektroabteilung. Inzwischen<br />
gilt, wie die Beispiele CD-Adapco<br />
oder vorher schon der mit 7,8 Mrd.<br />
Euro viel zu teuer erkaufte Gas- und<br />
Ölausrüster Dresser-Rand (s. Bilanz<br />
5/15 und 12/15) zeigen: Siemens ist<br />
mittlerweile ein Wettbüro mit zugehörigem<br />
Industriegeschäft. I<br />
53<br />
FOTO: SIEMENS AG<br />
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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
HANS<br />
FRIDERICHS<br />
Am 31.12.2015 hat Hans Friderichs<br />
Schluss gemacht. Eigentlich vier Jahre<br />
zu spät, meint er. Aber es ist eben<br />
nicht einfach, sich an Fristen zu halten<br />
– vor allem nicht an selbst gesetzte<br />
und noch viel weniger, wenn sie das<br />
Ende der Berufstätigkeit markieren.<br />
Der Schlussstrich durchtrennte<br />
Friderichs’ Urlaub genau in der Mitte.<br />
Noch eineinhalb Wochen blieb<br />
Friderichs danach mit seiner Frau im<br />
Schweizer Engadin, wo das Paar seit<br />
über 30 Jahren die Feiertage verbringt.<br />
Seit 20 Jahren sind auch vier befreundete<br />
Ehepaare dabei.<br />
„Üblicherweise machen wir dann<br />
Ski-Langlauf, dafür ist das Tal mit seinen<br />
teilweise schwierigeren Nebentälern<br />
ideal geeignet“, sagt der 84-Jährige.<br />
Inoffiziell hat sich Friderichs freilich<br />
schon früher aus dem Berufsleben<br />
verabschiedet: Im vergangenen August<br />
legte der FDP-Mann den Aufsichtsratsvorsitz<br />
bei der Kunststofftechnikfirma<br />
Allit aus Bad Kreuznach nieder.<br />
Es war sein letztes Mandat gewesen.<br />
Friderichs hatte den Führungswechsel<br />
vom Vater auf die zwei Söhne des Hauses<br />
begleitet.<br />
Nachdem sich der frühere Wirtschaftsminister<br />
aus den Kontrollgremien<br />
von Adidas und auch Airbus<br />
zurückgezogen hatte, nutzte er seine<br />
Erfahrungen, um mittelständische<br />
Unternehmer zu beraten. Eine Aufgabe,<br />
die Freude bereitete: „In Familienunternehmen<br />
ist man mit der Familie<br />
verbunden, und dabei ist viel Psychologie<br />
erforderlich.“<br />
Künftig berät er nur noch seinen<br />
Enkel, der in Frankfurt Finanzen und<br />
Management studiert und regelmäßig<br />
anrufe, „wenn es Probleme gibt,<br />
bei denen er gerne einen Gedankenaustausch<br />
mit dem Großvater hätte“.<br />
Das täte ihm gut, merkt Friderichs<br />
zufrieden an.<br />
Auch von der politischen Bühne<br />
hat sich Friderichs noch nicht ganz<br />
verabschiedet. Ende Februar will er<br />
bei sich daheim eine kleine Wahlparty<br />
veranstalten für FDP-Chef Christian<br />
Lindner, um „seiner Partei wieder in<br />
den Landtag zu verhelfen“.<br />
U<br />
HANS FRIDERICHS war fünf Jahre lang Wirtschaftsminister,<br />
von 1978 bis 1985 Vorstandssprecher der Dresdner Bank<br />
(als Nachfolger des von der RAF ermordeten Jürgen Ponto) und<br />
später u. a. Aufsichtsrat von Goldman Sachs, Leica und<br />
Adidas. Das Foto zeigt ihn 1973 auf der Regierungsbank in Bonn.<br />
54 Wie geht’s<br />
eigentlich … ?<br />
55<br />
MANFRED<br />
LAHNSTEIN<br />
MANFRED LAHNSTEIN amtierte 1982 als Finanz- und<br />
Wirtschaftsminister. Nach der Wahl von Helmut Kohl zum Kanzler<br />
warb ihn Bertelsmann an, verlieh dem SPD-Mitglied den Titel<br />
eines Vorstands und übertrug ihm den Bereich „Elektronische Medien“.<br />
Auf dem Foto sehen wir ihn 1978 mit Helmut Schmidt.<br />
In seinem Büro am Hamburger Rathausmarkt<br />
ist Manfred Lahnstein<br />
(78) ganz dicht dran an der Politik der<br />
Hansestadt: Aus seinem Fenster kann<br />
er dem Ersten Bürgermeister Olaf<br />
Scholz sozusagen über die Schulter<br />
schauen. Die Fenster befinden sich<br />
auf einer Höhe.<br />
Lahnstein ist gebürtiger Rheinländer,<br />
lebt aber seit 29 Jahren an der<br />
Elbe. Für sein Kultur-Engagement in<br />
der Hansestadt wurde ihm 2001 das<br />
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.<br />
Mit Hamburg ist Lahnstein<br />
auch durch seine enge Freundschaft<br />
mit Ehrenbürger Helmut Schmidt verbunden,<br />
die zu Bonner Zeiten begann<br />
und bis zu Schmidts Tod im November<br />
andauerte. Mittlerweile sei aber alles<br />
zu Schmidt gesagt, findet Lahnstein.<br />
Nur eins noch: „Wenn der Hamburger<br />
Flughafen wirklich nach Schmidt benannt<br />
wird, dann aber bitte mit dem<br />
Namenszusatz ‚Flughafen‘ anstelle des<br />
aktuellen ‚Airport‘.“<br />
Privat ist Lahnstein dabei durchaus<br />
international unterwegs: Gleich<br />
zu Beginn des neuen Jahres reiste er<br />
nach Haifa, wo er „lange Jahre“ Verwaltungsratsvorsitzender<br />
der dortigen<br />
Universität war. „Israel ist schon immer<br />
ein Schwerpunkt meines Lebens<br />
gewesen“, betont er. Und so verbindet<br />
er heute seine Leidenschaft für das<br />
Land mit seinen Aufgaben als Kuratoriumsvorsitzender<br />
der „Zeit“-Stiftung:<br />
Die Stiftung fördert auch Vorhaben an<br />
der Universität Haifa, die ihm seine<br />
Verdienste mit einem Ehrendoktortitel<br />
dankte. Lahnstein kümmert sich<br />
persönlich um diese Projekte.<br />
In seinem Büro stehen Fotografien<br />
seiner Weggefährten: Willy Brandt,<br />
Johannes Rau, Horst Köhler und, natürlich,<br />
Helmut Schmidt. Sie sind dort<br />
in geselliger Runde aufgestellt, als träfen<br />
sie sich zum regelmäßigen Gedankenaustausch.<br />
Sich selbst betrachtet<br />
Lahnstein weder als Politiker noch als<br />
Parteisoldat: „Ich war mehr ein politischer<br />
Beamter.“<br />
U<br />
Fotos / ANDREAS REEG<br />
und SIMONE SCARDOVELLI<br />
FOTOS:<br />
PICTURE ALLIANCE, IMAGO<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
NICHTS WIE WEG<br />
Russische Programmierer gehören zu den besten der Welt. Doch<br />
in ihrer Heimat haben sie keine Zukunft. Woran liegt das?<br />
Text / JAN VOLLMER<br />
Fotos / GULLIVER THEIS<br />
56 57<br />
SIMON DUNLOP hat drei<br />
Technikfirmen und eine<br />
IT-Fabrik in der Moskauer<br />
Innenstadt aufgebaut.<br />
Obwohl KATYA BAZILEVSKAYAS<br />
Digital-Verlag in Russland mit<br />
gutem Erfolg arbeitet, orientiert sie<br />
sich immer mehr nach New York.<br />
ALEXANDER BOCH baut<br />
360-Grad-Kameras. Auch sein<br />
Unternehmen soll eine<br />
amerikanische Marke werden.<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
58<br />
K<br />
atya Bazilevskaya steigt<br />
zwischen dem Hotel<br />
Kosmos und dem Denkmal<br />
für die Eroberer<br />
des Weltalls aus einem<br />
Taxi. Die 31-jährige Blondine trägt<br />
Nagellack (der etwas abblättert) im<br />
Farbton Altrosa und schwarze Plateau-Schuhe,<br />
auf denen sie gut eins<br />
zweiundachtzig misst.<br />
Hier, am Ende der Kosmonauten-Allee,<br />
erstreckt sich das ehemalige,<br />
noch vom Sowjetdiktator Josef Stalin<br />
(1878– 1953) eröffnete Ausstellungsgelände<br />
WDNCh, eine Abkürzung für<br />
„Exposition der Errungenschaften der<br />
Volkswirtschaft“: allenthalben Prachtund<br />
Säulenbauten im Stile eines absonderlichen<br />
sozialistisch-aristokratischen<br />
Realismus, frühere Repräsentanzen der<br />
Bruderstaaten, der Gewerkschaften,<br />
der Kaninchenzüchter. Jede Menge<br />
stalinistisches Zeug – heute Karussells,<br />
Schaustellerei, Kultur-, Sportveranstaltungen,<br />
das ganze Programm und eine<br />
Sehenswürdigkeit für Touristen.<br />
In den 90er-Jahren hatte die Stadt<br />
die Gebäude vermietet; die pompösen<br />
Pavillons dienten nun als Verkaufsstellen<br />
für Mikrowellen, Röhrenfernseher,<br />
Zauberwürfel. Gegenwärtig lässt man<br />
das Gelände für 1,25 Milliarden Euro<br />
instandsetzen und neu herrichten.<br />
Bald ist alles wie gelackt.<br />
Katya ist IT-Unternehmerin, genauer:<br />
Digital-Verlegerin. Vor zehn Jahren<br />
hat sie mit zwei Freunden die Life style-<br />
Seite Lookatme.ru gegründet und ihr<br />
später vier weitere, inzwischen gut laufende<br />
Online-Magazine hinzugefügt.<br />
Jetzt heißt die Firma „Look at Media“.<br />
Die Rechnerprogramme: alle selbst geschrieben.<br />
Von den rund 50 Mittzwanzigern,<br />
die sie beschäftigt, arbeitet jeder<br />
Dritte als Programmierer.<br />
Katya steht vor einem Juri-Gagarin-Relief<br />
in der kalten, klaren Luft des<br />
Moskauer Morgens. Beim Atmen stößt<br />
sie kleine Dampfwolken aus. Gulliver<br />
Theis schießt ein paar Fotos.<br />
2015 war ein schlechtes Jahr für<br />
die russische Wirtschaft: Das Brut to inland<br />
s pro dukt zog sich um 3,8 Pro zent<br />
zusammen, die In dus trie pro duk tion<br />
ließ um 3,3 Pro zent nach, die In fla tion<br />
kletterte auf 12,7 Pro zent. Russlands<br />
Wirtschaft ist so abhängig vom Öl, dass<br />
die Verfallskurven des Ölpreises und<br />
des Rubels fast parallel verlaufen. Die<br />
eine eiert der anderen Kurve hinterher.<br />
Nun, die Menschen kommen zurecht,<br />
so wie die fliegenden Händler<br />
und Fressbudenbesitzer im WDNCh-<br />
Park zurechtkommen zwischen den<br />
Artefakten des alten Imperiums.<br />
Junge Leute wie Katya sind für<br />
Russland unverzichtbar, um den Wandel<br />
zu einer modernen, vielfältigen<br />
Wirtschaft zu bewerkstelligen: IT-<br />
Unternehmertum statt Gerade-so-<br />
Zurechtkommen. Doch es gibt viel zu<br />
wenige von ihnen.<br />
Unter den Russen und Ukrainern,<br />
die in den 90er-Jahren ausgewandert<br />
sind, waren auch die späteren Gründer<br />
von Whatsapp und Paypal und frühe<br />
Investoren von Facebook, Twitter und<br />
Spotify. Auch Google-Gründer Sergey<br />
Brin ist gebürtig aus Moskau, allerdings<br />
schon 1979 mit seiner Familie<br />
ausgewandert.<br />
In diesen Monaten verabschiedet<br />
sich die zweite Welle der russischen<br />
Unternehmertalente: Sie gehen nach<br />
New York, nach Berlin, nach London.<br />
Erst gestern ist Katya von einem Trip<br />
aus New York zurückgekehrt. Es ist<br />
nicht so, dass Russland der Digital-<br />
Wirtschaft keine Bedeutung beimessen<br />
würde: Regierungschef Dmitrij<br />
Medwedew, ein Mann, der sehr an<br />
Technik interessiert ist, hat sich einst<br />
von Steve Jobs persönlich das „Iphone<br />
4“ vorführen lassen.<br />
Im Südwesten Moskaus plant und<br />
baut man seit 2009 am For schungsund<br />
Un ter neh mens zen trum Skolkowo,<br />
einer Innovationsstadt auf einer<br />
Fläche von vier Quadratkilometern,<br />
vermarktet als eine Art russisches Silicon<br />
Valley. 2020 soll alles fertig sein.<br />
Aber nur vielleicht. Skolkowo ist ein<br />
weiterer Beleg dafür, dass Präsident<br />
Putin und sein Premier Medwedew<br />
von Renommierprojekten mehr halten<br />
als von Strukturreformen.<br />
Aber man hört auch von Razzien,<br />
von Geldmangel. Noch 2014 hatte<br />
Putin gemeldet, dass das Internet<br />
Katya (l.), Vasily (M.) und<br />
Alexej (r.) haben eines ihrer<br />
ersten Magazine „The Village“<br />
genannt. Sie wollten damit<br />
Moskau lebenswerter machen.<br />
ein „CIA-Spezialprojekt“ sei. Und der<br />
Ukraine-Feldzug und die darauffolgenden<br />
Wirtschaftssanktionen haben viele<br />
Investoren aus dem Land getrieben.<br />
Doch ohne Geldgeber keine Gründungen.<br />
„Silikonovaya dolina“ hin oder her.<br />
Vom WDNCh nimmt mich Katya<br />
in einem Taxi mit zum Büro von Look<br />
at Media. In einem verglasten Konferenzraum<br />
sitzen ihre Mitgründer Vasily<br />
(32) und Alexej (32). Das Gespräch<br />
mit den dreien fühlt sich an wie ein Interview<br />
mit einer erfolgreichen, aber<br />
sehr angenehmen Blues-Band. Katya<br />
kommt aus einer Akademiker-Familie,<br />
streng sowjetisch; Vasily und Alexej<br />
haben zusammen mit der Enkelin von<br />
Michail Gorbatschow am MGIMO studiert,<br />
der Moskauer Diplomatenhochschule.<br />
Vasily hatte den Studienplatz bei<br />
einer Fernsehshow gewonnen, Alexej<br />
bei einem Journalisten-Wettbewerb.<br />
„Im MGIMO geht’s um Beziehungen,<br />
nicht um Bildung“, sagt Alexej. Beide<br />
haben ihr Studium abgebrochen. Enttäuschte,<br />
junge Intelligenzija.<br />
„Als wir mit unserem ersten Magazin<br />
anfingen, gab es nicht wirklich<br />
eine Stadt“, erzählt Katya. „Wir haben<br />
nur in unseren Wohnungen, Autos und<br />
Büros gelebt, aber es gab keinen Raum<br />
dazwischen. Alles dazwischen war unangenehm,<br />
war Russland, man wollte<br />
da nur schnell durch.“ Während sie<br />
erzählt, hält sie schützend die Hände<br />
über den Kopf, als rede sie von einem<br />
Schneesturm.<br />
„Mit unserem Online-Magazin<br />
wollten wir junge Unternehmer in der<br />
Stadt verbinden und inspirieren. Einen<br />
Ort für uns schaffen. Deswegen heißt<br />
es ‚The Village‘. Wir haben uns das<br />
so vorgestellt: Jemand macht ein gutes<br />
Café auf, ein anderer einen coolen<br />
59<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
60<br />
Fahrradladen, irgendwer kümmert sich<br />
dann darum, dass Fahrradwege entstehen<br />
… aber dann ist Russland passiert.“<br />
Nach der Parlamentswahl 2011, die<br />
– laut OSZE – von zahlreichen Unregelmäßigkeiten<br />
und Manipulationen<br />
geprägt gewesen war, hatten Sicherheitskräfte<br />
2012 die Proteste auf dem<br />
Bo lot naja-Platz brutal niedergeschlagen,<br />
wo Zehn tau sende gegen Wahl betrug<br />
und Pu tins Rück kehr in den Kreml<br />
de mons triert hatten. Für viele junge<br />
Russen steht „Bolotnaja“ für jenen<br />
Moment, an dem sie die Hoffnung auf<br />
Wandel begraben haben.<br />
Seither geht man auch mit der Digital-Szene<br />
nicht zimperlich um: Es wurden<br />
Gesetze gegen Blogger erlassen.<br />
Pawel Durow, der Gründer von V-Kontakte,<br />
dem russischen Facebook-Pendant<br />
mit über 250 Millionen registrierten<br />
Nutzern, wurde ins Exil gedrängt.<br />
Katya und ihre Mitstreiter haben<br />
die Hoffnung, Moskau verändern zu<br />
können, nicht aufgegeben. Doch auch<br />
sie versuchen seit einigen Jahren, sich<br />
in den USA festzusetzen.<br />
Ihr erstes Netz-Magazin, „Hopes &<br />
Fears“, und Native Grid, ein Lieferant<br />
von Verwaltungsanwendungen für Internetseiten,<br />
sind in Amerika schon<br />
gestartet. Vasily lebt mittlerweile in<br />
New York; Katya pendelt seit 2015<br />
zwischen Moskau und New York,<br />
Alexej beginnt in diesem Jahr damit.<br />
Zwei Direktflüge gibt es täglich von<br />
New York nach Moskau. Manchmal<br />
begegnen sich die russischen Gründer<br />
auf den Flughäfen, zwischen alter und<br />
neuer Heimat. Wenn man die Entwicklungs-<br />
und Programmier-Teams<br />
noch in Moskau lässt, ist NYC ein guter<br />
Startpunkt: Die Gründerszene dort<br />
ist bunt und lebendig, und die Zeitverschiebung<br />
beträgt nur acht Stunden.<br />
Nach San Franzisko wären es schon elf.<br />
Auch Alex Boch sitzt regelmäßig in<br />
diesen Aeroflot-Maschinen zwischen<br />
New York/JFK und Moskau/Scheremetjewo.<br />
Boch ist 37, und seine Zeit<br />
ist knapp bemessen. Wenn man ihn<br />
treffen will, dann am besten vor einem<br />
Meeting, denn das hat er im Stadtzen-<br />
trum. Zügig geht der Mann an der<br />
Christi-Erlöser-Kathedrale vorbei, der<br />
„Pussy Riot“-Kirche, überquert eine<br />
sonnig-kalte Fußgängerbrücke über<br />
die Moskwa und marschiert Richtung<br />
Digitaler Oktober, zum Gründerzentrum<br />
in der alten Moskauer Schokoladenfabrik<br />
Roter Oktober.<br />
In seiner linken Hand trägt er einen<br />
Koffer mit einem Virtual Reality<br />
Headset. Es sieht aus wie eine Taucherbrille<br />
mit Bildschirm. In seiner<br />
rechten Hand hält er seine eigene Erfindung:<br />
Eine Kamera mit drei Linsen,<br />
die 360-Grad-Filme aufnehmen kann,<br />
und die braucht man für die „virtuelle<br />
Realität“. „Panorics“ hat er seine<br />
Firma genannt: „Face book hat zwei<br />
Milliarden Dollar in die Technik investiert,<br />
Disney 65 Millionen. You tube<br />
kann 360-Grad-Filme verarbeiten.<br />
Alle großen sind dabei, es kommt auf<br />
dem Massenmarkt an. Und wir produzieren<br />
bisher die beste Kamera für<br />
360-Grad-Filme.“<br />
Aufgewachsen im Stadtteil Troizk,<br />
hatte Alexander Boch 1993, damals<br />
15 Jahre alt, einen Getränke-Lieferser-<br />
Die scheinbare Wirklichkeit wird<br />
die Unterhaltungsindustrie<br />
verändern: Mit Bochs 360-Grad-<br />
Kameras kann man die Filme<br />
für den neuen Markt drehen. Aber<br />
aus Russland, sagt er, könne<br />
man keine Technik verkaufen.<br />
vice aufgebaut. Gemeinsam mit einem<br />
Fahrer kaufte er nach der Schule bei<br />
einem Großmarkt „Cola“, „Pepsi“,<br />
„Fanta“ und „Sprite“, verstaute alles<br />
im Kofferraum eines alten „Ladas“<br />
und schrubbte auf den vereisten Pisten<br />
zwischen Troizk und dem Vorort<br />
Stupino hin und her.<br />
Nach der Uni arbeitete er bei den<br />
örtlichen Zweigstellen internationaler<br />
Banken und begegnete auf einer Konferenz<br />
Oliver Samwer, den Gründer<br />
von Rocket Internet in Berlin. Seither<br />
macht es Boch dem Deutschen nach<br />
und gründet Firmen: ein russisches<br />
E-Darling, eine Kopie von Zalando,<br />
eine eigene Modevermarktungs-Seite,<br />
schließlich Panorics für die Kameras.<br />
„Willst du die 360-Grad-Brille mal<br />
ausprobieren?“, fragt er. Ich setze die<br />
Brille auf. Man kann damit tatsächlich<br />
in eine scheinbare Wirklichkeit eintauchen:<br />
Wenn man den Kopf nach links<br />
wendet, schwenkt auch die Perspektive<br />
im Film nach links, dann erscheint<br />
der Schriftzug „Golden Girls“. Ich sehe<br />
mich um und bin in einem plüschigen,<br />
dämmrigen Hinterzimmer, vier<br />
halb nackte Frauen tanzen. Die Brille<br />
funktioniert erschreckend gut.<br />
„Für die Entertainment-Industrie<br />
ist das ein Game Changer“, sagt Boch.<br />
Bis 2020 will er 30 Millionen Geräte<br />
verkauft haben. Neben dem Betrieb,<br />
die die Kameras herstellt, hat er gleich<br />
noch eine 360-Grad-Film-Produktion<br />
gegründet. Alles, was Boch jetzt noch<br />
braucht, ist ein neuer Geldgeber …<br />
… aber in Russland finden sich praktisch<br />
keine Investoren, weil es kaum<br />
eine Möglichkeit gibt, eine Beteiligung<br />
wieder zu verkaufen, und auch keine<br />
Internetfirmen, die Neugründungen<br />
übernähmen. Europäische und amerikanische<br />
Investoren und IT-Unternehmen<br />
zeigen auch kein Interesse. Kein<br />
Exit, kein Investment.<br />
Klar, es gibt schon Geld in Moskau,<br />
das arbeiten will, aber ein Anleger,<br />
der nur für seinen Kumpel, den<br />
Stahl-Oligarchen, ein paar Millionen<br />
verwaltet, so einer ist für Boch uninteressant.<br />
Für IT-Firmen braucht man<br />
Smart Money, Geld von Leuten, die aus<br />
der IT-Industrie kommen und das Geschäft<br />
verstehen.<br />
61<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
62<br />
Falls Panorics eines Tages erfolgreich<br />
sein sollte, dann bestimmt nicht in<br />
Russland. Boch gibt es nicht gern zu,<br />
aber eigentlich arbeiten sowieso nur<br />
noch seine Programmierer und Ingenieure<br />
in der Stadt: Denn die sind hier<br />
billiger. Sein Haus, seine Frau, sein<br />
Hund: längst in New York.<br />
Alle Startupper träumen von der<br />
Eroberung des US-Marktes. Ob dabei<br />
eher der Wunsch nach Ausdehnung<br />
oder Migration die größere Rolle<br />
spielt, lässt sich freilich nicht immer<br />
sagen.<br />
Von Boch im Digitalen Oktober<br />
ist es ein Sprung zum DI Telegraph,<br />
wo die russischen Kommunikationsunternehmen<br />
einst ihren Sitz hatten.<br />
Während sich auf Moskaus glamouröser<br />
Twerskaja-Straße schwarze Limousinen<br />
an schwarze Geländewagen<br />
drängen, empfängt mich im vierten<br />
Stock, unter rauem Beton von 1927,<br />
der Londoner Simon Dunlop (48):<br />
sportlicher Typ, kurze graue Haare,<br />
dünner, ausgewaschener Fließpullover,<br />
breites Lächeln.<br />
Der Dunlop hat aus dem vierten<br />
Stock des DI Telegraph einen Coworking<br />
Space gemacht, eine IT-Kirche<br />
mit durchgehenden Fenstern und sieben<br />
Meter hohen Decken. Im vorderen<br />
Bereich ist eine Bühne für Veranstaltungen<br />
aufgebaut. Hinter der ersten<br />
Glaswand sitzen rund 20 verschiedene<br />
Firmengründer an Schreibtischen,<br />
hinter der zweiten befinden sich die<br />
Büros seiner Unternehmung DI. Das<br />
steht für Dream Industries, das u. a.<br />
einen Musik- und einen Bücher-Streaming-Dienst<br />
anbietet.<br />
„Jeder, der hier neu ist, muss erst<br />
mal zwei Tage in der Küche arbeiten“,<br />
sagt Dunlop lachend. „So lernt man<br />
die Leute kennen. Ist auch gut gegen<br />
Simon Dunlops IT-Fabrik<br />
profitiert von dem Potenzial der<br />
russischen Programmierer.<br />
Aber die Zukunft, sagt Dunlop,<br />
liegt woanders. Nicht in Russland.<br />
zu große Egos.“ In der Kantine stellen<br />
sich zwei 20-jährige Kolleginnen Dunlops<br />
mit ihren Kaffeetassen scherzend<br />
zu uns, als wären sie Freundinnen<br />
von ihm.<br />
Ich frage ihn, ob er in Moskau bleiben<br />
wolle. „Schau’ dich um“, sagt er:<br />
„140 Leute arbeiten hier im Telegraph.<br />
120 kommen für das Coworking rein.<br />
4.000 bis 5.000 Leute kommen zu den<br />
Events. Das Durchschnittsalter ist 24<br />
oder 25. Alles supertalentierte, hoch<br />
motivierte Leute, und sie lieben diesen<br />
Ort. Das ist ein riesiger Vorteil!“<br />
Dunlop ist ein Geschäftsmann der<br />
Sorte „Abenteurer“. Er kam 1993 nach<br />
Moskau und heuerte bei der Niederlassung<br />
des amerikanischen Tabakmultis<br />
Philip Morris an.<br />
Der Sibirier und Volkstribun Boris Jelzin<br />
(1931 – 2007), Russlands erster demokratisch<br />
gewählter Präsident, hatte<br />
der russisch-orthodoxen Kirche damals<br />
die Einfuhr von Alkoholika und Zigaretten<br />
genehmigt. Dunlop verhandelte<br />
in jenen Jahren mit „Vater Wladimir“,<br />
einem Kirchenmann, der mit einem<br />
Mercedes und einem großen Motorola-Telefon<br />
herumfuhr und die Dame am<br />
Empfang von Philip Morris segnete. Als<br />
sich nach der Rubel-Krise ab 1997 die<br />
Regale der Supermärkte leerten, begann<br />
Dunlop mit einem Partner einen<br />
Snack zu produzieren: geröstetes Brot<br />
in den Geschmacksrichtungen roter<br />
Kaviar, schwarzer Kaviar, Meerrettich,<br />
Schaschlik. Dunlops Häppchen wurden<br />
ein Verkaufsschlager. Nach ein<br />
paar Jahren veräußerte er den Betrieb,<br />
um etwas anderes zu machen.<br />
Dunlop hat gelernt, mit den Gepflogenheiten<br />
der russischen Geschäftswelt<br />
zu leben: mit der Bürokratie, dem<br />
Beamten-Filz – dem System, das Katya<br />
und ihre Mitgründer so verabscheuen.<br />
Aber in der Welt der Digital-Wirtschaft<br />
bedeutet das nicht viel. „Man<br />
kann kein Geschäft aufbauen, das nur<br />
hier ist, es gibt größere Märkte. Man<br />
kann hier kein Geld auftreiben, weil<br />
die Investoren woanders sind. Man<br />
kann hier kein Geschäft verkaufen,<br />
weil die Käufer woanders sind“, sagt<br />
er. Mit seinen Streaming-Diensten<br />
versucht Dunlop, im Ausland Fuß zu<br />
fassen. Seit Januar operiert seine Werbetechnik-Firma<br />
Instreamatic in New<br />
York, nur die Entwicklung bleibt hier.<br />
Dunlop wirft einen Blick durch die<br />
Glastür, zu den Startuppern. „Wenn<br />
ich 22 wäre und eine gute Idee hätte …<br />
ich würde lieber in einer Stadt wohnen<br />
wollen, die schon in der Zukunft angekommen<br />
ist.“<br />
I<br />
63<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
64<br />
B<br />
ZAUBERTRANK FÜR MARKEN<br />
Pro Sieben Sat 1 beteiligt sich in großem Stil an Gründerfirmen.<br />
Und zahlt in zwei harten Währungen: in Euro und mit TV-Werbung.<br />
Herr Wegner, Sie beteiligen sich<br />
an jungen Unternehmen und<br />
stellen ihnen dafür im Gegenzug<br />
Werbezeit zur Verfügung. Jetzt<br />
wollen Sie dieses Konzept auf<br />
ganz Europa ausdehnen.<br />
Ja, dank der vielfältigen Synergien mit<br />
unserem TV-Geschäft liegen wir in<br />
Deutschland ziemlich weit vorn. Wir<br />
haben das angesprochene Media-Investmentgeschäft<br />
in Deutschland eingeführt<br />
und international ausgerollt.<br />
Daneben haben unsere strategischen<br />
Investitionen enorm an Bedeutung<br />
gewonnen. Unser strategisches Ziel:<br />
digitale Geschäftsfelder sukzessive zu<br />
globalisieren, um die Erfolgsgeschichte<br />
von P7S1 fortzuschreiben.<br />
B Gibt es einen Modellfall?<br />
Digitalvorstand Christian Wegner<br />
(41) investiert in Start-ups,<br />
die Emotionalisierung brauchen.<br />
Ein Beispiel ist unser Etraveli-Deal in<br />
Skandinavien. Nach dem Aufbau unseres<br />
vertikalen Netzwerkes zum Thema<br />
Reisen in Deutschland haben wir den<br />
Reisevermittler 2015 als ersten Schritt<br />
zur Internationalisierung gekauft. Unsere<br />
zweite Stoßrichtung ist, erfolgreiche<br />
deutsche Verticals zu exportieren.<br />
Grundsätzlich analysieren wir sehr<br />
pragmatisch, wo gute Firmen zum<br />
Verkauf stehen und in welchem Markt<br />
sich ein Einstieg anbietet. Die Basis<br />
bildet immer unsere starke Position<br />
in Deutschland.<br />
B Welche Gründungen sind für Sie<br />
besonders attraktiv?<br />
Die größten Erfolge zeigen sich bei<br />
Produkten, die die Massen interessieren,<br />
Erklärungsbedarf haben und<br />
Vertrauen und Emotionalisierung<br />
erfordern. Hier kann unser Hebel<br />
„TV-Werbung“ am besten greifen.<br />
Wir haben in diesem Geschäftsfeld<br />
eine eigene Mannschaft aufgebaut.<br />
Die schaut sich genau an, wie gut das<br />
Führungsteam eines Unternehmens<br />
ist, wie wettbewerbsfähig das Produkt<br />
ist – kann es langfristig gegen internationale<br />
Giganten wie Google und Facebook<br />
bestehen? Dann betrachten wir<br />
die Synergien, sind wir der beste Eigentümer?<br />
Und können die Start-ups<br />
schnelles Wachstum auf Vertriebsseite<br />
überhaupt stemmen? Fallen alle Antworten<br />
positiv aus, steigen wir ein.<br />
B Ist Fernsehwerbung für junge<br />
Digitalfirmen überhaupt aussichtsreich?<br />
Das ist leicht erklärt: Wir wissen aus<br />
der klassischen Wirtschaftswelt, wie<br />
stark Fernsehwerbung den Konsumgüterherstellern<br />
hilft, Marken bekannter<br />
zu machen und ihre Produkte<br />
erfolgreich zu verkaufen. Das Zusammenwirken<br />
mit Online unterschätzen<br />
viele. Über TV-Werbung wird eine<br />
Marke schnell so bekannt, dass sie die<br />
Menschen aktiv im Netz suchen und<br />
wiederfinden. Fernsehen hat dadurch<br />
einen erheblichen indirekten Effekt<br />
auf alle digitalen Medien. Der Zugang<br />
zu diesen Werbeflächen wirkt auf Marken<br />
wie eine Art Zaubertrank.<br />
B Sie konzentrieren sich auf sogenannte<br />
vertikale Themennetzwerke<br />
im Internet mit einem<br />
mittelfristigen Umsatzpotenzial<br />
von jeweils mindestens 100 Millionen<br />
Euro jährlich. Vier gibt<br />
es bereits: Reisen, Schönheit &<br />
Accessoires, Vergleichsportale im<br />
Netz, Gesundheit & Wohlbefinden.<br />
Kommen weitere dazu?<br />
Mit Sicherheit, schließlich verfolgen<br />
wir mit unserer übergeordneten<br />
Strategie das Ziel, unabhängiger vom<br />
klassischen Werbegeschäft zu werden.<br />
Konkret soll im Jahr 2018 die Hälfe unseres<br />
Umsatzes aus anderen Bereichen<br />
als dem traditionellen TV-Geschäft<br />
kommen. Parallel investieren wir weiter<br />
in die bestehenden Verticals. Unser<br />
Plan ist, in den kommenden drei bis<br />
vier Jahren rund zehn verschiedene<br />
Cluster aufzubauen, die alle von Fernsehen<br />
profitieren.<br />
B<br />
Wonach wählen Sie potenzielle<br />
Beteiligungen aus?<br />
Wir fahren dabei eine dreigleisige<br />
Strategie: Über unsere globalen Scouting-Büros<br />
in Los Angeles, San Franzisko,<br />
New York, London und Tel Aviv<br />
wissen wir immer schon sehr früh,<br />
welche Trends für uns interessant sein<br />
könnten. Über unsere M&A-Teams<br />
screenen wir kontinuierlich, wo interessante<br />
Firmen zum Verkauf stehen,<br />
Deutschland braucht mehr Unternehmertum!<br />
Gemeinsam mit seinen Partnern startet<br />
BILANZ deshalb eine Gründeroffensive. Teil davon<br />
ist ein Gründerwettbewerb mit dem<br />
höchstdotierten Hauptpreis der Republik:<br />
Der Sieger bekommt 100.000 Euro.<br />
Alles Nähere: www.bilanz.de/ der-wettbewerb<br />
Unsere Partner<br />
65<br />
Interview / MARK C. SCHNEIDER<br />
64<br />
FOTO: PRO SIEBEN SAT 1<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN 63<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
66<br />
VOM KASTEN<br />
INS NETZ<br />
Wie sich der<br />
Fernsehkonzern P7S1<br />
wandelt.<br />
Digitalvorstand Christian Wegner<br />
hat große Ambitionen: „Wir zeigen<br />
der Welt: Die digitale Transformation<br />
funktioniert.“ Sein Programm<br />
nennt der Fernsehkonzern Pro Sieben<br />
Sat 1 „Reichweite trifft Idee“.<br />
Man tauscht Werbezeiten gegen<br />
Beteiligungen an Unternehmen<br />
bzw. am Umsatz. Prominentestes<br />
Beispiel: Modehändler Zalando,<br />
den die „Schrei vor Glück“-Werbung<br />
im Fernsehen groß machte.<br />
Im Internethandel hat sich P7S1<br />
heute in gut 60 Unternehmen engagiert.<br />
Der Konzern strukturiert<br />
sie in vier Kategorien, neudeutsch<br />
Verticals genannt. Dazu gehören<br />
die Internetseiten:<br />
– Reisen: Etraveli, Weg.de,<br />
Tropo, Mydays, Billiger-Mietwagen,<br />
Reise.com, Wetter.com<br />
– Schönheit & Accessoires:<br />
Valmano, Amorelie, Flaconi<br />
– Vergleichsportale: Verivox,<br />
Preis 24, Moebel.de, 12 Auto<br />
– Gesundheit & Wohlbefinden:<br />
Gymondo, Vitafy, 7 NXT.<br />
um die herum wir ein neues Vertical<br />
bilden können. Und über unsere Media<br />
for Equity-Minderheitsbeteiligungen<br />
konzentrieren wir uns auf deutsche<br />
Unternehmen, an denen wir im<br />
Erfolgsfall auch eine Mehrheit anstreben.<br />
Das haben wir gerade bei Flaconi<br />
(Parfüm und Kosmetik) und Amorelie<br />
(Sexspielzeug und Dessous) so umgesetzt:<br />
Dank unserer Minderheitsbeteiligung<br />
kannten wir Team, Markt und<br />
Produkt bereits sehr genau. Daraufhin<br />
haben wir die Mehrheit gekauft.<br />
B<br />
Wann beteiligen Sie sich allein an<br />
Firmen, wann mit Partnern?<br />
Idealerweise wollen wir die Firmen,<br />
die wir kaufen, allein übernehmen<br />
– sofern wir die notwendigen internen<br />
Skills haben. Das erleichtert die<br />
Transaktion, denn wir können vom<br />
Start weg schneller und unkomplizierter<br />
mit dem Management arbeiten<br />
und uns auf eine einheitliche Strategie<br />
festlegen. Konstellationen, in denen<br />
wir über Partner nachdenken, sind<br />
beispielsweise Deals wie die Übernahme<br />
des Verbraucherportals Verivox.<br />
Das Privat Equity-Unternehmen Oakley<br />
Capital ist als Altaktionär mit 20<br />
Prozent dabei geblieben, um das Unternehmen<br />
gemeinsam weiterzuentwickeln<br />
und weitere Investitionen zu<br />
stemmen. Wenn jemand über Assets<br />
oder Skills verfügt, die wir nicht mitbringen,<br />
ist er uns natürlich willkommen.<br />
Und auch im Bereich der Frühphasen-Investments<br />
arbeiten wir sehr<br />
gerne mit Partnern zusammen. So haben<br />
wir mit Axel Springer gemeinsam<br />
in Digitalunternehmen investiert.<br />
erreichen. Neue Beteiligungen werden<br />
den Umsatz zusätzlich erhöhen.<br />
B Wie wollen Sie den Umsatz im<br />
Digitalgeschäft steigern?<br />
Zum einen sind wir in überaus dynamischen<br />
Bereichen aktiv, die zweistellig<br />
wachsen. Da wir in der Regel nur<br />
Geschäfte führen, in denen wir uns<br />
gut auskennen, wachsen wir meist<br />
schneller als der Markt und gewinnen<br />
Marktanteile. Daher generieren wir<br />
unser Wachstum maßgeblich aus dem<br />
organischen Geschäft. Darüber hinaus<br />
werden wir weitere Übernahmen vollziehen,<br />
die natürlich auch den Umsatz<br />
treiben. Und wir bauen immer wieder<br />
eigene Unternehmen auf, die aus Geschäftsideen<br />
von Mitarbeitern entstehen,<br />
die sie dann umsetzen wie etwa<br />
beim Web-Produzenten Studio 71.<br />
Kurzum: Wir werden das Umsatzziel<br />
hoffentlich noch übertreffen.<br />
B<br />
Was motiviert Mitarbeiter, selbst<br />
Gründer zu werden?<br />
Die sind selbst schon stark motiviert,<br />
zudem fördern wir systematisch neue<br />
Ideen und deren Umsetzung durch<br />
den Mitarbeiter. Dann finanzieren und<br />
unterstützen wir, stellen ihm ein Team<br />
zur Seite. Wenn es gut läuft, gründet er<br />
dann aus, baut seine eigene Firma auf.<br />
B<br />
Inwieweit beeinflusst der Wandel<br />
das Image von P7S1? Für<br />
die meisten bleibt es doch ein<br />
TV-Konzern.<br />
Das stimmt. Allein durch den Namen<br />
Pro Sieben Sat1 denkt jeder erst einmal<br />
Jede Kategorie muss mittelfristig<br />
an ein Fernsehunternehmen. Von<br />
ein Umsatzpotenzial von mindestens<br />
der DNA her sind wir das ja auch.<br />
100 Millionen Euro jährlich<br />
Wenn die Hälfte des Umsatzes aber<br />
aufweisen. Der 2014 aufgebaute<br />
Reise-Schwerpunkt kommt auf<br />
B Haben Sie einen festen Etat für<br />
Übernahmen?<br />
mittelfristig jenseits des Fernsehens<br />
erwirtschaftet wird, bedingt das konsequenterweise<br />
mehr als 160 Millionen Euro Jahresumsatz.<br />
Wegner will in seinem<br />
Vorstandsbereich („Digital & Adjacent“)<br />
den Umsatz vervielfachen:<br />
2012 betrug er 335 Millionen Euro,<br />
2018 sollen es mindestens 1,5 Milliarden<br />
Euro sein. Auch Konzernchef<br />
Thomas Ebeling (56) zeigt Ehrgeiz:<br />
Er gibt vor, den Konzernumsatz<br />
bis 2018 auf 4,2 Milliarden Euro<br />
zu steigern – 2012 waren es<br />
Wir setzen uns bewusst keine festen<br />
Summen, sondern beurteilen lieber<br />
unvoreingenommen jeden Deal,<br />
der sinnvoll sein und den Unternehmenswert<br />
steigern könnte. Vergangenes<br />
Jahr haben wir mit mehr als 500<br />
Millionen Euro verhältnismäßig viel<br />
investiert. In den Jahren zuvor waren<br />
es jeweils 30 bis 150 Millionen Euro.<br />
Insofern rechnen wir damit, das Umsatzziel<br />
von 1,5 Milliarden Euro bis<br />
eine Transformation<br />
der Firma. Unser Bereich „Digital and<br />
Adjacent“ ist eine eigene Geschäftseinheit,<br />
separat vom Kerngeschäft<br />
aufgebaut, mit eigenständigen Profilen.<br />
Das ist unser zweites Standbein.<br />
Entscheidend ist, dass wir ein Unternehmen<br />
bleiben. Pro Sieben Sat1 wird<br />
auch künftig stark vom Fernsehen getrieben,<br />
erweitert um ein Umfeld, das<br />
digitale unternehmerische Aktivitäten<br />
1,85 Milliarden. I 2018 auch ohne große Übernahmen zu ermöglicht.<br />
I<br />
HUNGER AUF MEHR<br />
Foodpanda expandiert in Schwellenländern mit<br />
Bringdiensten. Ein Lehrstück über Tücken des Wachsens.<br />
Ende 2015 erlebte Ralf Wenzel (36),<br />
Mitgründer und Chef der Berliner Firma<br />
Foodpanda, wie es ist, nach einer<br />
Phase durchaus sportlich zu nennenden<br />
Wachstums mit Rückschlägen umgehen<br />
zu müssen.<br />
Immerhin hat sich der Lieferdienstvermittler<br />
aus dem Rocket-Internet-Reich<br />
in mehr als 25 Länder<br />
ausgebreitet – und ist mittlerweile mit<br />
mehr als 300 Millionen Dollar finanziert.<br />
Unter den Geldgebern finden<br />
sich bekannte Adressen wie die Investmentbank<br />
Goldman Sachs.<br />
Doch Anfang Dezember musste<br />
Wenzel das Geschäft in Vietnam an<br />
einen Konkurrenten verkaufen. Das<br />
Land gilt als Wachstumsmarkt. Aber<br />
nicht für Foodpanda. Mit der Digitalisierung<br />
sei man dort noch nicht so<br />
weit, teilte er mit. Auch der Markt für<br />
Lieferdienste sei sehr übersichtlich.<br />
Damit nicht genug: Ende Dezember<br />
wurde bekannt, dass Foodpanda<br />
Foodpanda setzt auf die Beliebtheit<br />
des Pandas in Asien. Herbe<br />
Rückschläge bleiben nicht aus.<br />
sich auf einen Schlag von gut 300<br />
Mitarbeitern in Indien trennt, einem<br />
Großteil der Beschäftigten. Der Dienst<br />
ist dort in 200 Städten vertreten und<br />
bietet das Essen von 12.000 Restaurants<br />
an. Grund für den Stellenabbau:<br />
angeblich eine groß angelegte Automatisierung<br />
des Geschäftes.<br />
Foodpanda ist 2012 entstanden und<br />
startete unter diesem Namen in Singapur.<br />
Das Unternehmen tritt unter weiteren<br />
Marken wie Hellofood oder Delivery<br />
Club auf und konzentriert sich auf<br />
Schwellenländer. „Fehler zu machen ist<br />
wichtig als Unternehmer“, sagt Wenzel<br />
– und lässt sich von den Rückschlägen<br />
nicht abschrecken.<br />
I<br />
Ein Interview mit Ralf Wenzel<br />
finden Sie auf www.bilanz.de<br />
NEUES<br />
VOM<br />
WETTBEWERB<br />
Das siegreiche<br />
Gründerteam erhält<br />
100.000 Euro<br />
Preisgeld und ein<br />
„Coaching“ von<br />
Gründerlegende<br />
Peter Thiel in San<br />
Franzisko, Flugticket<br />
natürlich inklusive.<br />
Peter Thiel,<br />
Mitgründer von<br />
Paypal, Finanzier<br />
u. a. von Facebook,<br />
Airbnb und<br />
Palantir, hat sich<br />
jüngst an einem<br />
weiteren deutschen<br />
Unternehmen<br />
beteiligt: Zinspilot,<br />
einem Vermittler<br />
von Tages- und<br />
Festgeldanlagen.<br />
Eile ist geboten,<br />
zahlreiche<br />
Bewerbungen liegen<br />
vor. Einsendeschluss<br />
ist Ende März.<br />
67<br />
Text / MARK C. SCHNEIDER<br />
FOTO: FOODPANDA<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
68 69<br />
RECHNER AUF RÄDERN<br />
Das „Auto der Zukunft“ wird ja täglich gerade irgendwo erfunden. Natürlich auch<br />
in Kalifornien. Aber den Faraday-Leuten scheint es wirklich ernst zu sein.<br />
Text<br />
JÜRGEN SCHÖNSTEIN<br />
Fotos<br />
TOMO MUSCIONICO<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
S<br />
ie liegt jetzt gut ein Jahr<br />
zurück, jene denkwürdige<br />
Nacht, die sich Richard<br />
Kim (35) und seine Leute<br />
mal wieder um die Ohren<br />
schlugen: Der Chefdesigner von<br />
Faraday Future, der jungen Elektro-<br />
Autofirma aus Los Angeles, die<br />
noch kein einziges Fahrzeug auf die<br />
Straße gebracht hat, rätselte mit<br />
seinem 65-köpfigen Team wie gewöhnlich<br />
bis in die frühen Morgenstunden<br />
und in verzweifelter Begeisterung<br />
darüber, wie das Automobil der Zukunft<br />
aussehen sollte und was es können<br />
müsste.<br />
Seine Kunst sowohl wie seine<br />
Kenntnisse hatte Kim, der Gestalter,<br />
zuvor bei vornehmsten Adressen der<br />
Gilde veredelt und raffiniert: bei Audi<br />
und später bei BMW, wo er an Leib<br />
Diese Anekdote, die Kim und Sampson<br />
wohl häufiger erzählen, denn sie wirkt<br />
an den Rändern etwas abgegriffen,<br />
zeigt, wie aufgelockert und aus dem<br />
Augenblick heraus bei dem kalifornischen<br />
Elektroauto-Hersteller gewirtschaftet<br />
wird.<br />
Aber sie zeigt nicht minder, dass<br />
man bei der Firma Faraday, die sich<br />
in einem ehemaligen Nissan-Entwicklungslabor<br />
in Gardena (im Süden des<br />
Großraums Los Angeles) ausgebreitet<br />
hat, einiges auch den Schicksalsfügungen<br />
überlassen muss, die eine gewisse<br />
Konzeptlosigkeit stets mit sich bringt.<br />
Dem Zukunftsglauben jedenfalls<br />
kommt so viel Fatum sehr entgegen,<br />
Zuversicht wallt: Seit dem vergangenen<br />
Herbst wurden die Arbeitsplätze<br />
von 400 auf 750 fast verdoppelt, internationale<br />
Vertretungen, darunter<br />
auch ein Büro in Düsseldorf, aktiviert<br />
– noch ehe jemand auch nur eine einzige<br />
Verkörperung des Zukunftsautos<br />
zu Gesicht bekommen hätte.<br />
In der Gilde erregt der Vorwärtsdrang<br />
von Faraday sowohl Respekt als<br />
auch Misstrauen: Seit Elon Musk in<br />
Fremont bei San Franzisko das E-Limousinengeschoss<br />
„Tesla“ mit einigem<br />
Erfolg, wenngleich unter hohen Verlusten<br />
fabriziert, betrachten die drängenden<br />
Kräfte der Autoindustrie, die<br />
ihrerseits mit alternativen Antrieben,<br />
Mobilitäts-, Selbstfahr- und Elektroangeboten<br />
experimentieren, die jungen<br />
Wilden aus Kalifornien mit Argwohn.<br />
Als Kim und Sampson und ihre<br />
Leute nach nur neun Monaten ihr Batmobil-Ufo-Konzeptauto<br />
unter dem<br />
Namen „FF Zero 1“ Anfang Januar<br />
auf der Elektronikmesse CES in Las<br />
Vegas vorstellten, da war die Neugier<br />
natürlich groß.<br />
Doch außer dem Sehen konnte<br />
der „Zero 1“ keinen Sinn befriedigen<br />
und den Fortbewegungsdrang schon<br />
einmal gar nicht: Der über-spacige<br />
Blickfang, der aus seinen Elektromotoren,<br />
von denen er gleich über deren<br />
vier verfügt, angeblich hochexplosive<br />
1.000 PS schöpfen soll, kommt aus eigener<br />
Kraft keinen Zentimeter voran.<br />
Die Studie ist lediglich ein Präsentationsmodell,<br />
ja: Konversationsobjekt.<br />
Die annoncierte Selbstfahrtechnik<br />
ist noch nicht entwickelt; und die<br />
von Sampson beschworene „nahtlose<br />
Vernetzung mit dem Lebensstil“<br />
der in Betracht kommenden Fahrer<br />
wird im „Zero 1“ durch eine lapidare<br />
Aussparung im Lenkrad veranschaulicht,<br />
in die ein Handcomputer passt.<br />
„<br />
Mein Ziel<br />
ist die<br />
totale Neuerfindung<br />
dessen,<br />
was wir als<br />
Mobilität<br />
bezeichnen<br />
“<br />
NICK<br />
SAMPSON<br />
70<br />
71<br />
und Positur des elektrischen „I3“ mitgewirkt<br />
hatte.<br />
In den Werbefilmen, mit denen<br />
sein Arbeitgeber Faraday Future bis<br />
dahin auf sich aufmerksam machen<br />
wollte, hatten noch irgendwelche ominös<br />
geschwungenen Schatten dafür<br />
herhalten müssen, um die vollmundig<br />
angekündigte Phantasmagorie eines<br />
„Zukunftsautos“ zu versinnbildlichen<br />
– doch irgendwann, das war ja allen<br />
ganz klar, musste etwas Wirkliches,<br />
Wahrhaftiges, etwas Vorzeigbares her.<br />
In jener Nacht fiel der Blick des<br />
Chefentwicklers Nick Sampson (57)<br />
zufällig auf Kims Schreibtisch, wo eine<br />
beiläufig gekritzelte Skizze herumlag:<br />
halb Batmobil, halb Ufo. „Nehmen wir<br />
doch das da für unsere Konzept-Plattform“,<br />
schlug Sampson vor.<br />
„<br />
Vieles an<br />
den<br />
heutigen<br />
Autos<br />
ist so, weil<br />
es so<br />
sein muss<br />
“<br />
RICHARD<br />
KIM<br />
spricht, die ganze Wirtschaftszweige<br />
umkrempeln sollen, was Menschen,<br />
die sich als internationale Kenner ausweisen<br />
wollen, heute verbal gern zur<br />
Disruption zwangsveredeln. Sei es auf<br />
der CES in Las Vegas oder der Auto<br />
Show in Detroit – manchmal scheint’s<br />
fast, als ob es den Innungsvertretern<br />
peinlich wäre, noch über Hubraum<br />
und PS, über Straßenlage und Seitenstabilität,<br />
über Verbrauch und Wartungszyklen<br />
zu reden.<br />
Stattdessen hauen sie auf den Putz<br />
mit Download-Raten oder prahlen<br />
und protzen mit Sensorbildschirmen<br />
im Armaturenbrett. Wie beim Handcomputer,<br />
dem sogenannten Smartphone,<br />
wo das Telefonieren längst zur<br />
Nebensache geworden ist, wird auch<br />
beim Auto das Fahren immer selbststrukturen<br />
auszuprobieren. Und das<br />
„Iphone“ im Lenkrad – nun ja, das sei<br />
halt eine Metapher, eine sehr wörtliche<br />
Übersetzung der digitalen Vernetzung.<br />
Dazu muss man wissen, dass die Autoleute<br />
im Allgemeinen, weiß Gott nicht<br />
nur Faraday im Besonderen, schier besessen<br />
sind vom „Iphone“ und ihr Wille,<br />
einen fahrbaren Rechner zu entwickeln,<br />
bisweilen schon ans Obsessive grenzt.<br />
Volkswagen-Markenchef Herbert<br />
Diess (57) stellte den neuen E-„Golf<br />
Touch“ ebenda in Las Vegas als „ein<br />
Smartphone auf Rädern“ vor, ein Begriff,<br />
den auch Daimler-Boss Dieter<br />
Zetsche (62) schon seit einiger Zeit als<br />
Kennzeichnung für Mercedes-Konzepte<br />
im Munde führt.<br />
Das „Iphone“ muss immer dann<br />
herhalten, wenn jemand von Ideen<br />
„Wir ge ben Ant wor ten auf Fra gen, von<br />
denen die Leute nicht ein mal wuss ten,<br />
dass sie sie hat ten“, sagt Kim.<br />
Die Kritiken der Las-Vegas-Show<br />
fielen gemischt aus: Die „FAZ“ lobte<br />
den Faraday-Auftritt als „rotzfrech“,<br />
die Banausen von „Forbes“ hingegen<br />
geißelten die Création aus Gardena<br />
als „lächerlich“. Wahrscheinlich haben<br />
beide recht.<br />
Ich treffe Sampson und Kim in<br />
einer Penthaus-Suite auf dem Dach<br />
des 40-stöckigen Casino-Hotels Mandalay<br />
Bay am südlichen Las Vegas<br />
Strip. Hier haben die beiden Faraday-Strategen<br />
während der CES-Tage<br />
Quartier bezogen.<br />
Ja, sicher, es sei alles noch etwas<br />
„abstrakt“, sagt Kim. Eine Plattform<br />
halt, um Stilformen und Oberflächen-<br />
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IDEEN / INNOVATIONEN<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
72<br />
verständlicher als Nachteil der ganzen<br />
Fortbewegung abgetan.<br />
Das ist auch bei Faraday Future<br />
nicht viel anders: Sicher, der „Zero<br />
1“ ist ein Rennwagen, der – wenn er<br />
denn fahrtüchtig wäre – sozusagen<br />
augenblicklich oder doch immerhin<br />
in drei Sekunden von null auf hundert<br />
beschleunigen könnte und dessen einziger<br />
Sitz darum von Raumfahrttechnikern<br />
entwickelt wurde.<br />
Doch im Geschäftsmodell, das<br />
Sampson beschreibt, kommt der Spaß<br />
am Steuern selten vor. Im Gegenteil:<br />
„Einige unserer Kunden werden vielleicht<br />
noch den Wunsch haben, ein<br />
Auto zu besitzen“, erklärt der Brite,<br />
der früher bei Sportwagenfirmen wie<br />
Jaguar und Lotus gearbeitet hat und<br />
zuletzt bei Tesla für die Fahrgestellund<br />
Bodengruppen-Entwicklung zuständig<br />
gewesen war. „Aber es gibt<br />
viele Menschen, die aus Prinzip kein<br />
Auto haben und trotzdem auf Mobilität<br />
nicht verzichten wollen.“<br />
Autos für Nicht-Autobesitzer?<br />
„Und Sie dürfen nicht den Content<br />
vergessen“, legt Sampson nach, den<br />
„Inhalt“ also. Content? „Ja, denken Sie<br />
beispielsweise an Netflix.“ Sein Ziel,<br />
sagt Sampson, sei nichts Geringeres<br />
„als eine totale Neuerfindung dessen,<br />
was wir als Mobilität bezeichnen“. In<br />
solchen Momenten versteht man, warum<br />
Faraday Future ein rätselhaftes<br />
Strichesymbol als Firmenzeichen hat ...<br />
Um zu verstehen, was das FF-Konzept<br />
ausmacht, muss man eine Betrachtung<br />
darüber anstellen, wer hinter<br />
Faraday Future eigentlich steckt.<br />
Mitbegründer und Haupt-Geldgeber<br />
des Unternehmens ist der chinesische<br />
Multimilliardär Jia Yueting (43),<br />
der sein Vermögen mit dem Medienkonzern<br />
Leshi Internet Information<br />
& Technology (LeTV) gemacht hat,<br />
das man als das „Netflix von China“<br />
bezeichnet, und der bei Faraday offiziell<br />
nur als „Partner“ oder „Alliierter“<br />
auftritt.<br />
LeTV stellt neben vielem anderem<br />
auch Fernsehgeräte und Handcomputer<br />
her; im vergangenen Oktober kündigte<br />
Yueting zudem die Übernahme<br />
eines Anteils von 70 Prozent an dem<br />
Fahrdienst und Uber-Konkurrenten<br />
Yidao Yongche an.<br />
Seit Ende 2014 aber gehören auch<br />
Elektroautos zum LeTV-Sortiment:<br />
Jia hat die Leshi Super Electric Car<br />
Company gegründet, und gemeinsam<br />
mit der staatlichen Beijing Automotive<br />
Industry Holding Corp. in eine<br />
weitere US-Elektroauto-Gründung investiert<br />
namens Atieva in Menlo Park<br />
(Silicon Valley), das von ehemaligen<br />
Tesla-Leuten ins Leben gerufen worden<br />
ist.<br />
Diese inner- und außerbetriebliche<br />
Konkurrenz würde durchaus die Hast<br />
erklären, mit der Faraday Future sein<br />
nicht ganz bühnenreifes Konzeptauto<br />
ins Rampenlicht schob. Wenn man den<br />
Sprach- und PR-Nebel, den das Unternehmen<br />
schon seit Monaten verbreitet,<br />
mal durchschneidet, kommt etwa<br />
Folgendes dabei ans Licht:<br />
Faraday Future will Elektrofahrzeuge<br />
herstellen, deren Entwicklungskosten<br />
dank einer „variable platform<br />
achitecture“ (Sampson), also einer<br />
klassischen Karosserie-Basis, auf der<br />
äußerlich verschiedene Modelle aufbauen,<br />
verhältnismäßig gering ausfallen.<br />
Die Faraday-Plattform könne, sagt<br />
Sampson, ohne wesentliche Änderungen<br />
für Zwei- und Viersitzer, für Sportund<br />
Geländewagen mit einem, zwei,<br />
drei oder gar vier Antriebs aggregaten<br />
eingesetzt werden.<br />
Auf dieser Plattform säßen die Batterien<br />
in „Strängen“, die je nach Leistungsbedarf<br />
des Modells kürzer oder<br />
länger seien und die Sampson mit den<br />
Lichterketten an Weihnachtsbäumen<br />
vergleicht: „Wenn eine Batterie ausfällt,<br />
dann funktionieren die anderen<br />
immer noch weiter.“<br />
Technisch gesehen, ist dies allerdings<br />
nicht so umstürzlerisch, wie es<br />
Sampson darstellt: Das elektrische Innenleben<br />
eines „Teslas“ beispielsweise<br />
sieht nicht viel anders aus.<br />
Doch die FF-Ingenieure wollen ja<br />
nicht nur Fahrzeuge bauen und verkaufen.<br />
„Klar, einige unserer Kunden<br />
werden auch weiterhin ein Auto besitzen<br />
wollen“, sagt Sampson. „Aber<br />
was ist, wenn sie sich nicht auf ein<br />
Modell festlegen möchten? Wenn sie<br />
am Morgen eine Limousine und am<br />
Nachmittag lieber einen Sportwagen<br />
hätten?“ Und überhaupt, warum solle<br />
das Geschäft für den Hersteller an der<br />
Hofausfahrt des Händlers enden?<br />
„Wenn Sie ein Mobiltelefon kaufen,<br />
dann kaufen Sie im Grunde genommen<br />
auch kein Gerät, sondern<br />
eine Dienstleistung: Sie zahlen für Datenmengen<br />
und Gesprächsminuten,<br />
laden Anwendungen runter, kaufen<br />
Filme. Es gibt so viele Einnahmequellen!<br />
Und hier sehen wir auch unser<br />
Geschäftsmodell.“<br />
Die Kundschaft soll also nicht das<br />
Auto selbst erwerben, sondern eine bestimmte<br />
Menge an Kilometern abonnieren.<br />
Der Wagen steht auch nicht<br />
in der Garage oder auf dem Parkplatz<br />
vor dem Haus, sondern er kommt auf<br />
Wunsch und mithilfe einer Telefonanwendung<br />
von ganz allein und fahrerlos<br />
vorgefahren.<br />
Diese Idee – das Auto kommen<br />
zu lassen, statt zu ihm zu gehen – ist<br />
derzeit mächtig en vogue: Anfang Januar<br />
hat General Motors (u. a. Opel,<br />
Cadillac, Chevrolet) angekündigt, ein<br />
selbstfahrendes Mietauto zu entwickeln,<br />
und zwar gemeinsam mit Lyft,<br />
dem Konkurrenten des Fahrdienstes<br />
Uber. Rund 460 Millionen Euro lässt<br />
sich GM den Einstieg bei Lyft kosten.<br />
Für seine eigenen Modelle verspricht<br />
FF freilich noch etwas mehr:<br />
nämlich persönlicheres Flair. LeTV,<br />
sagt Sampson, habe ein eigenes Automobil-Betriebssystem<br />
entwickelt, das<br />
das gemietete Selbstfahrauto komplett<br />
personalisiere: von der Musik, die aus<br />
den Lautsprechern kommt, und den<br />
Videos auf den Bildschirmen über die<br />
Sitzeinstellung bis zur bevorzugten<br />
Innentemperatur.<br />
Dass auch dieses Angebot so neu<br />
nicht ist – Tesla will schon in zwei<br />
Jahren selbstfahrende Autos auf<br />
den Markt bringen –, kann die Faraday-Geldgeber<br />
nicht von ihrem Vorhaben<br />
abbringen: Eine Milliarde Dollar<br />
will das Unternehmen in eine Auto-<br />
fabrik stecken. Gebaut werden soll<br />
sie im strukturschwachen Nevada, wo<br />
auch Tesla zurzeit die Gigafactory 1 (s.<br />
BILANZ 10/15) errichtet, in der Batterien<br />
hergestellt werden.<br />
Im vergangenen November versicherte<br />
Jia Yueting dem Gouverneur<br />
von Nevada, Brian Sandoval, in<br />
einem förmlichen Schreiben, dass<br />
er, Jia, persönlich mit seinem Vermögen<br />
für FF bürge. Faraday plant<br />
eine rund 280.000 Quadratmeter<br />
große Fer tigungshalle auf dem Apex-<br />
Industrie gelände, einem weitgehend<br />
unerschlossenen, staubigen Areal in<br />
der Wüste nördlich von Las Vegas, wo<br />
es bisher außer Amerikas größter<br />
Müllkippe kaum Sehenswürdigkeiten<br />
gibt.<br />
Kein Wunder, dass sich Nevada<br />
schnell bereit erklärte, die Anlage mit<br />
335 Millionen Dollar zu bezuschussen,<br />
215 Millionen in Form von Steuervergünstigungen,<br />
die freilich an die Bedingung<br />
geknüpft sind, dass Faraday<br />
wirklich in Betrieb geht.<br />
Darüber hinaus übernimmt der<br />
Bundesstaat auch einen Teil der Erschließungskosten<br />
im Gegenwert von<br />
schätzungsweise 120 Millionen Dollar.<br />
Als Gegenleistung verspricht Faraday<br />
Future 4.500 Arbeitsplätze.<br />
In diesen Tagen beginnen die Planierarbeiten,<br />
Ende 2017 soll die Fabrik<br />
stehen, versichert Sampson. Ob dann<br />
auch die Herstellung beginnen kann<br />
und wie hoch die Fertigungskapazität<br />
sein soll, die Antworten darauf lässt<br />
er wohlweislich, oder nicht, offen –<br />
auch auf einen Termin, wann das erste<br />
FF-Modell in Serie geht, will er sich<br />
nicht festlegen.<br />
„<br />
Wir ge ben<br />
Antworten<br />
auf Fragen,<br />
von denen<br />
die Leute<br />
nicht einmal<br />
wussten,<br />
dass sie sie<br />
haben<br />
“<br />
RICHARD<br />
KIM<br />
„Unsere Fahrzeuge werden erst dann<br />
ausgeliefert, wenn wir sicher sein können,<br />
dass wir sie in höchster Qualität<br />
bauen können.“ Dies sei „in einigen<br />
Jahren“ der Fall, „ganz bestimmt“ aber<br />
vor 2020. Doch bis die Produk tion<br />
richtig in Schwung kommt, dürften<br />
noch zehn Jahre vergehen – und auch<br />
das nur unter der Voraussetzung, dass<br />
nichts dazwischenkommt.<br />
Gewiss, Formgebung und Konstruktion<br />
des „Zero 1“ sind Angelegenheiten<br />
der Virtualität: 3-D-Drucker<br />
und VR-Sichtgeräte, die aussehen wie<br />
massive Taucherbrillen, haben Reißbrett<br />
und Modellwerkstatt ersetzt.<br />
Die Entwicklungszeit eines Prototypen<br />
lasse sich dadurch, verglichen mit<br />
herkömmlicher Verfahrensweise, auf<br />
ein Drittel verkürzen, versichert Kim.<br />
Doch um die Verkehrssicherheit<br />
und strukturellen Eigenschaften zu<br />
testen, genügen natürlich keine Rechnermodelle<br />
– dazu braucht man Testfahrzeuge.<br />
Man baue derzeit den ersten fahrtüchtigen<br />
Prototypen, sagt Kim. Aber<br />
wie der aussehen wird – da hält er sich<br />
bedeckt. Wenn unbefugte Besucher<br />
kommen, werden die Modelle, die im<br />
FF-Entwicklungslabor herumstehen,<br />
mit schwarzen Tüchern verhüllt.<br />
So viel ist sicher: Große Ähnlichkeiten<br />
mit dem „FF Zero 1“ sind nicht<br />
zu erwarten. Das in Las Vegas vorgestellte<br />
Gerät verkörpere zwar „die Design-DNA“<br />
von Faraday Future. Aber<br />
eine Neuerfindung stehe nicht bevor,<br />
ein Automobil bleibt dann doch ein Automobil:<br />
„Da gibt es zu viele Vorgaben,<br />
vom Luftwiderstand über Versicherungsvorschriften<br />
bis zu gesetzlichen<br />
Regelungen – vieles an den heutigen<br />
Autos ist so, weil es so sein muss.“<br />
Doch weil die erwartete (aber noch<br />
nicht vollständig gelöste) Selbstfahrtechnik<br />
auch eine besonders junge<br />
Zielgruppe anspricht, die vielleicht<br />
noch nicht mal alt genug für einen<br />
Führerschein ist, werde das FF-Design<br />
in jedem Fall futuristisch und unverwechselbar<br />
sein: „Wenn ein FF an Ihnen<br />
vorbeifährt, dann werden Sie ihn<br />
nicht übersehen können.“ I<br />
73<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
74<br />
KOPF<br />
Flüchtlingschaos und Euro-Krise,<br />
dazu die Unsicherheit über die Konjunktur<br />
in China und die Verwirbelungen<br />
an den Finanzmärkten – die Teilnehmer des<br />
46. Weltwirtschaftsforums in Davos<br />
hatten allen Grund zu Sorge, Bedenken und Jammerei.<br />
HOCH!<br />
NIKLAS ZENNSTRÖM (49),<br />
Gründer des Internet-Telefonund<br />
Videodienstes Skype.<br />
B Herr Zennström, Sie sind häufiger<br />
zu Gast in Davos …<br />
… ja, immer wieder gern. Davos ist<br />
wahnsinnig interessant. In Europa gibt<br />
es großartige Firmen. Ich will die besten<br />
Unternehmer als Partner für mich<br />
gewinnen.<br />
B<br />
Sie investieren verstärkt in<br />
Europa?<br />
Derzeit ausschließlich. Vor vier Jahren<br />
habe ich vermieden, „raise money“<br />
und „Europa“ in einem Satz zu sagen.<br />
Niemand hätte damals Geld investiert.<br />
Heute hat sich das Blatt gewendet.<br />
B<br />
Ja, es herrscht zwar kein Überangebot<br />
an Wagniskapital in<br />
Europa, aber auch kein unbedingter<br />
Mangel mehr. Was würden<br />
Sie jungen Unternehmern<br />
raten?<br />
Sie müssen groß und langfristig denken<br />
und bloß nicht zu früh verkaufen!<br />
Ein guter Unternehmer hat vor allem<br />
Spaß daran, eine großartige Firma aufzubauen.<br />
Sein Augenmerk liegt auf<br />
„Cyber Security“. Oscar-<br />
Preisträger Kevin<br />
Spacey erzählt von einem<br />
Hacker-Angriff auf seine<br />
E-Mail-Adresse.<br />
75<br />
Und doch: Am Ende herrschte vielleicht<br />
nicht gerade Zuversicht, aber<br />
wenigstens der Glaube an die eigenen<br />
Kräfte, die mit den Widrigkeiten<br />
schon fertig würden. Die Unternehmen haben<br />
die Digitalisierung angenommen, sie<br />
wirtschaften robust und solide, das Internet<br />
der Dinge sorgt für Antrieb und Stimulus,<br />
und die Weltwirtschaft soll, Voraussagen des<br />
Internationalen Währungsfonds zufolge,<br />
ihr Wachstum auf 3,4 Prozent beschleunigen.<br />
Also: Kopf hoch, es geht voran.<br />
Text / ANNETTE PAWLU<br />
Fotos / MIKE MASONI<br />
Unter #wef2016 finden sich<br />
Tausende weitere Videound<br />
Foto-Einträge in den<br />
sozialen Netzwerken.<br />
KLAUS KLEINFELD (58),<br />
einst Siemens-Vorsitzender<br />
(2005 – 2007), heute Chef des<br />
US-Aluminiumkonzerns Alcoa.<br />
B Herr Kleinfeld, Sie leben in New<br />
York: Verfolgen die Medien dort<br />
das Flüchtlingschaos in Deutschland?<br />
Ganz im Gegenteil. In den USA kriegt<br />
man von einer Krise in Deutschland<br />
sehr wenig mit. Natürlich haben die<br />
Medien über die Kölner Vorfälle an<br />
Silvester berichtet. Aber insgesamt ist<br />
das in den USA kein dominierendes<br />
Thema. Hier in Davos sprechen allerdings<br />
alle von der Flüchtlingskrise.<br />
B Wie stehen Sie persönlich dazu?<br />
Ich kann das ja nur aus der Distanz<br />
beurteilen. Ich bin zu weit vom eigentlichen<br />
Geschehen weg. Aus der<br />
Entfernung kann ich nur sagen: Angela<br />
Merkel macht das gut.<br />
B Was halten Sie eigentlich von<br />
Ihrem Nachfolger Josef Käser?<br />
Den habe ich ja eingestellt. Der macht<br />
das doch gut.<br />
B<br />
Beim Kauf des amerikanischen<br />
Öl- und Gasausrüsters Dresser-<br />
Rand für teure 7,8 Milliarden<br />
Euro hat er allerdings ordentlich<br />
danebengegriffen …<br />
Das war Pech – er konnte ja auch nicht<br />
ahnen, dass der Ölpreis plötzlich so<br />
einbrechen würde.<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
RUPERT STADLER (52),<br />
Vorstandsvorsitzender von Audi.<br />
„Wenn wir drei oder vier Prozent Wachstum hätten, dann bin ich davon<br />
überzeugt, dass wir von keiner Flüchtlingskrise sprechen würden“<br />
76<br />
B Herr Stadler, es gab ja schon mal<br />
bessere Zeiten für die Automobilindustrie<br />
und namentlich für den<br />
VW-Konzern. Viel auf Achse in<br />
Davos?<br />
(lacht) Ich bin auf dem Weg von Meeting<br />
zu Meeting. Der Automarkt ist im<br />
Moment sehr, sehr spannend. Ich beschäftige<br />
mich hier vor allem mit dem<br />
Thema Digitalisierung. Das wird die<br />
nächsten Jahre für uns ganz entscheidend<br />
werden.<br />
B<br />
Das andere große Thema hier ist<br />
die Flüchtlingskrise.<br />
Stimmt. Ich verfolge die Berichterstattung<br />
mit großer Sorge. Keiner weiß,<br />
was kommt. Leider habe ich hier nicht<br />
genug Zeit, um ein Panel zu diesem<br />
Thema zu besuchen. Wäre sicherlich<br />
spannend.<br />
4.500 Flaschen Wein,<br />
16.700 Flaschen Wasser,<br />
8.200 Flaschen Saft,<br />
1.056 Flaschen Champagner,<br />
50.000 Pralinen –<br />
im Hotel Steigenberger<br />
Belvédère fanden 300<br />
Veranstaltungen statt.<br />
JÜRGEN GROSSMANN (63),<br />
Eigentümer des Stahlkonzerns<br />
Georgsmarienhütte und früherer<br />
Vorstandschef von RWE (2007 – 2012).<br />
B Herr Großmann, Sie sind gemeinsam<br />
mit Ihrer Frau und<br />
Ihren beiden Töchtern in den Ort<br />
gekommen.<br />
Ja, die finden das hier auch spannend.<br />
Wir haben ein paar Sessions zusammen<br />
gemacht. Hauptsächlich zum Thema<br />
Digitalisierung und Cyber Security.<br />
B Auch zur Flüchtlingskrise?<br />
Klar, darüber sprechen hier ja alle. Das<br />
Ergebnis ist, dass das Problem weder<br />
lösbar noch bewältigbar ist. Ich bin<br />
in den 50er-Jahren aufgewachsen. Da<br />
waren Flüchtlinge normal. Es gab auch<br />
keinen Besitzstand, den man hätte<br />
wahren können. Heute haben wir aber<br />
einen Besitzstand, und um den haben<br />
die Menschen Angst. Die Flüchtlinge,<br />
die wir heute haben, stammen zudem<br />
aus einem anderen Kulturkreis, die haben<br />
einen ganz anderen Background.<br />
Die zu integrieren wird schwer möglich<br />
sein. 80 Prozent der Flüchtlinge<br />
sind Männer. Damit haben wir uns das<br />
Problem ins Land geholt: Es fehlen die<br />
Frauen und Kinder.<br />
B Herr Ersek, Sie haben hier beim<br />
WEF als Sprecher an einer Veranstaltung<br />
zur Flüchtlingskrise<br />
teilgenommen. Wie würden Sie<br />
das Problem lösen?<br />
Deutschland und die Welt haben andere<br />
Probleme als die Flüchtlingskrise.<br />
Alle sprechen plötzlich von einer<br />
„Flüchtlingskrise“, weil wir kein<br />
Wachstum haben. Wir haben eine<br />
Wirtschafts-, keine Flüchtlingskrise.<br />
Die Schwachen müssen jetzt für alles<br />
herhalten – und das sind im Moment<br />
eben die Flüchtlinge. Ich glaube, dass<br />
ein Land wie Deutschland über eine<br />
gewisse Zeit locker eine oder zwei<br />
Millionen Menschen aufnehmen kann.<br />
B Mit der Aufnahme ist es nicht<br />
getan. Die Menschen müssen<br />
verpflegt, in die Gesellschaft und<br />
in den Arbeitsmarkt integriert<br />
werden.<br />
Wir sind so besorgt über unsere Wirtschaft<br />
und darüber, dass wir keine Lösungen<br />
parat haben. China steht vor<br />
großen Herausforderungen, wir leiden<br />
unter einer schwierigen Zinspolitik,<br />
wir wissen nicht, was als Nächstes<br />
kommt – alles sieht so düster aus.<br />
Selbst in normalen Haushalten bereitet<br />
das Nicht-Wachstum den Leuten<br />
Sorgen. Die Menschen haben Angst<br />
um ihren Job, um ihr nächstes Gehalt.<br />
Und was machen sie? Sie schieben das<br />
Problem auf die Flüchtlinge. Wenn es<br />
Wachstum gäbe auf der Welt, wenn<br />
wir drei oder vier Prozent Wachstum<br />
hätten, dann bin ich davon überzeugt,<br />
dass wir von keiner Flüchtlingskrise<br />
sprechen würden.<br />
B<br />
Nun, die Sorgen über den ungeordneten<br />
Flüchtlingszustrom<br />
sind durchaus nicht unbe gründet.<br />
Ich habe Angst, dass Deutschland die<br />
Krise intern nicht bewältigen kann.<br />
Der Rechtsruck wird immer größer, die<br />
Angst vor dem Nicht-Wachstum auch.<br />
Die Flüchtlinge werden jetzt zum<br />
Sündenbock für etwas gemacht, woran<br />
sie gar keine Schuld tragen. Es sind<br />
HIKMET ERSEK (55)<br />
ist als Einwandererkind in Österreich<br />
aufgewachsen. Er war Profi-Basketballer<br />
in Wien und leitet heute den<br />
US-Finanzdienstleister Western Union.<br />
ja Flüchtlinge. Die sind von zu Hause<br />
weggegangen, weil es da unerträglich<br />
ist. Sie sind Verfolgte. Niemand geht<br />
freiwillig von zu Hause weg. Wenn<br />
wir alle Migranten zusammenzählten,<br />
wären sie die fünftgrößte Nation<br />
der Welt. Sie haben aber keine Flagge,<br />
sie haben keine Vertreter, sie haben<br />
keine politische Institution, sie<br />
haben kein Land. Und das erzeugt<br />
Emotionen.<br />
B<br />
Wie bewerten Sie das Krisenmanagement<br />
der Bundesregierung?<br />
Angela Merkel hat eine Vision. Das<br />
sehe ich so, und das sehen viele andere<br />
Global Leaders auch. Sie hat nur<br />
keine kurzfristige Lösung, und wie die<br />
Long Term-Lösung aussehen könnte,<br />
muss sie den Wählern erklären! Der<br />
Schlüssel ist Integration. Wir sollten<br />
uns ein Beispiel an den USA nehmen.<br />
Wer fünf Jahre eine Greencard hat,<br />
bekommt die Staatsbürgerschaft und<br />
kann ein Jahr später wählen. Das ist<br />
doch toll. Und das ist fair. Das gibt’s<br />
in Europa nicht.<br />
B<br />
Sie sind in der Türkei aufgewachsen<br />
und als Kind nach Österreich<br />
gekommen. Sprechen Sie aus eigener<br />
Erfahrung so optimistisch<br />
über Integration?<br />
Sicherlich! Obwohl ich doppelsprachig<br />
aufgewachsen bin, war ich, als<br />
ich nach Österreich gekommen bin,<br />
immer „Der Türk“. Und das, obwohl<br />
ich sogar wienerisch gesprochen habe.<br />
Aber es hat geklappt. Heute leite ich<br />
eine „Fortune 500“-Company und<br />
bin auch Honorarkonsul von Österreich<br />
in Denver.<br />
B<br />
Wie müssen wir die Integration<br />
also angehen?<br />
Die Sprache ist die größte Barriere.<br />
Die Flüchtlinge müssen ganz, ganz<br />
schnell Deutsch lernen. Nur so kann<br />
der erste Schritt zur Integration gelingen.<br />
Integration heißt aber auch, dass<br />
die Flüchtlinge sich integrieren wollen<br />
und sollen. Wer kriminell ist, muss<br />
auch mit Konsequenzen rechnen. Die<br />
Flüchtlinge müssen unser Wertesystem<br />
anerkennen.<br />
B<br />
Das klingt nach harter Integrationsarbeit<br />
…<br />
… die Deutschland aber schaffen kann,<br />
wenn es jetzt sofort die richtigen Maßnahmen<br />
ergreift. Integriert die Kinder<br />
der Zuwanderer! Das ist der Schlüssel.<br />
Wer jetzt schon 30 Jahre alt ist, wird<br />
sich nur noch schwer anpassen lassen.<br />
Aber die Kinder, die werden stolze<br />
Deutsche sein! Die werden in der<br />
Fußball-Nationalmannschaft spielen,<br />
die werden zur Bundeswehr gehen,<br />
die werden die deutsche Hymne<br />
singen.<br />
77<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
Nouriel Roubini, der Wirtschaftsprofessor, der die Immobilienblase 2008<br />
vorausgesagt hat, schaut für BILANZ in die Zukunft<br />
NOURIEL ROUBINI (57),<br />
Wirtschaftswissenschaftler an<br />
der New York University.<br />
CARSTEN KENGETER (48),<br />
seit 2015 Vorstandsvorsitzender<br />
der Deutschen Börse AG, davor Chef<br />
des Investmentbanking der UBS.<br />
B Herr Kengeter, hat sich der<br />
Besuch für Sie gelohnt?<br />
Es war ein gutes WEF mit guter Stimmung.<br />
Die Hauptthemen waren Technologie<br />
und Zukunft. Überschattet<br />
aber wird alles sicherlich von der unsicheren<br />
politischen Situation im Nahen<br />
Osten. Das Problem wird sein, dass wir<br />
uns daran einfach gewöhnen müssen.<br />
Die Amplituden werden größer – die<br />
Probleme, die wir bewältigen müssen,<br />
sicher auch.<br />
B<br />
Können wir die Flüchtlingskrise<br />
bewältigen?<br />
Wir können das schon schaffen – aber<br />
wir müssen auch alle wissen, dass wir<br />
uns ändern müssen. Das wird nicht einfach.<br />
Aber ich gehe mit einer positiven<br />
Stimmung ins Jahr 2016.<br />
78<br />
B Mit Ihren Vorhersagen zum Weltwirtschaftsgeschehen<br />
lagen Sie in<br />
der Vergangenheit relativ selten<br />
daneben. Schauen wir einmal in<br />
die Glaskugel: Was bringt 2016?<br />
Die Leute fragen mich ständig, ob wieder<br />
eine neue Krise wie 2008 ausbricht.<br />
Wird es wieder einen Kollaps geben?<br />
Ich glaube, so schlimm wie 2008 wird’s<br />
nicht. Aber wir registrieren eine große<br />
Marktvolatilität. Für eine große Finanzkrise<br />
müsste China allerdings komplett<br />
kollabieren. Und das wird nicht geschehen.<br />
Aber ich rechne mit einer harten<br />
Landung. Das heißt im Falle Chinas,<br />
dass das Wachstum auf fünf Prozent<br />
sinken wird. Aber wir sprechen hier<br />
nicht von null Prozent. Also erst einmal<br />
besteht kein Grund zur Panik.<br />
B Aber?<br />
Der Markt braucht eine Korrektur. Die<br />
Kurse werden um zehn, vielleicht sogar<br />
um 20 Prozent fallen. Davon wird<br />
sich der Markt auch absehbar nicht<br />
erholen. Aber er wird sich auf dem Level<br />
stabilisieren. Das Problem ist nur,<br />
dass wir im Moment in vielen Schwierigkeiten<br />
stecken: Währungs-, Aktien-<br />
und Wirtschaftsprobleme in China.<br />
Auch in den USA verlangsamt sich das<br />
Wirtschaftswachstum signifikant. Die<br />
geopolitische Lage im Nahen Osten<br />
wird immer gefährlicher. Das müssen<br />
wir auch alles aushalten. Außerdem:<br />
Der Ölpreis ist kollabiert.<br />
B<br />
Der niedrige Ölpreis wirkt wie<br />
ein Konjunkturprogramm.<br />
Das stimmt. Aber davon profitieren<br />
nicht alle Marktteilnehmer. Alle Öl-Exporteure<br />
bekommen Probleme. Sogar<br />
Saudi-Arabien, aber auch die USA. Die<br />
nächste Finanzkrise klopft schon an<br />
die Tür. Und Europa ist ein einziger<br />
Schlamassel. 20 Millionen Menschen<br />
sind auf der Flucht – sie klopfen an das<br />
Tor Europas. Nicht zu vergessen, dass<br />
ein großes Risiko für den Grexit oder<br />
den Brexit besteht, für den Austritt<br />
Griechenlands aus dem Euro-Verbund<br />
und Großbritanniens aus der EU.<br />
B<br />
Für wie wahrscheinlich halten Sie<br />
den sogenannten Brexit?<br />
Für sehr wahrscheinlich. Aus vier<br />
Gründen. Erstens: die Flüchtlingskrise.<br />
Die Briten sagen, dass sie in diesem<br />
verrückten Europa nicht mehr mitmachen<br />
wollen. Die wollen ja nicht einmal<br />
polnische Klempner in ihrem Land.<br />
Zweitens: die Gefahr des Terrorismus.<br />
Die Briten wollen ihre Insel abschotten.<br />
Drittens: Die Labour-Partei ist sehr<br />
euro skeptisch geworden. Vier: Der konservative<br />
Premier David Cameron hat<br />
Forderungen an die EU gestellt, die die<br />
EU kaum erfüllen wird. Ich erwarte<br />
eine große Konfrontation. Falls es also<br />
ein Referendum geben wird, wird ein<br />
Brexit sehr, sehr wahrscheinlich sein.<br />
B<br />
Was schlagen Sie zur Lösung der<br />
Flüchtlingskrise vor?<br />
Es gibt keine einfache Lösung. Die<br />
Deutschen können nicht noch weitere<br />
Flüchtlinge aufnehmen. Das würde<br />
die rechten Parteien zu sehr stärken.<br />
Allerdings wäre eine Schließung der<br />
Grenzen das Ende von Schengen. Es<br />
wäre der komplette Zusammenbruch<br />
Europas. Was passieren muss, ist, dass<br />
die Flüchtlinge in der Türkei bleiben.<br />
Die Türkei muss darum mehr Geld<br />
bekommen. Außerdem muss die griechische<br />
Seeflotte unterstützt werden.<br />
Die Griechen haben hier zu wenig Hilfe<br />
von der EU.<br />
Diskussionsrunden zum Mittag,<br />
Empfänge (sehr exklusiv ist<br />
etwa der von der Elite-Uni<br />
Harvard) und Gespräche rund<br />
um die Uhr – ein WEF-Teilnehmer<br />
schon völlig erschöpft.<br />
79<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
Die Aufgabe der Kunst<br />
BOROS<br />
besteht darin,<br />
Türen zu öffnen,<br />
wo sie keiner sieht.<br />
80<br />
Peter Weibel<br />
81<br />
CHARLES-ÉDOUARD BOUÉE,<br />
Vorstandsvorsitzender der<br />
Unternehmensberatung Roland Berger.<br />
JOHN CRYAN (55),<br />
Nachfolger von Anshu Jain<br />
und Ko-Vorstandsvorsitzender<br />
der Deutschen Bank.<br />
B Herr Cryan, dies war Ihr erster<br />
Besuch als Deutsche-Bank-Chef,<br />
oder?<br />
Ja, das ist richtig. Ich hatte unglaublich<br />
viele Termine. Es war viel zu tun – aber<br />
sehr positiv. Ich hatte viele großartige<br />
Treffen.<br />
B<br />
Dabei läuft es ja für die Deutsche<br />
Bank zurzeit nicht ganz so gut …<br />
Ja, wir waren oft in den Medien in der<br />
letzten Zeit. Aber ich sehe das positiv.<br />
Meine Message ist: Wir sind optimistisch.<br />
Wir machen tolle Fortschritte.<br />
Wir werden stark aus der Krise gehen.<br />
EU-Kommissar Günther Oettinger<br />
plädiert für eine einheitliche<br />
europäische Digitalwirtschaft – und<br />
ein ebensolches Asylrecht.<br />
B Herr Bouée, wie ist die Stimmung<br />
unter den Forumsteilnehmern?<br />
Ich habe unglaublich viele Unternehmer<br />
und Manager getroffen. Alle sind<br />
sehr besorgt.<br />
B Worüber?<br />
Der Ölpreis und die Depression, in der<br />
wir uns deshalb befinden. Und natürlich<br />
über die Flüchtlingskrise.<br />
B Und Sie selbst – was sagen Sie?<br />
Wir müssen die Menschen so schnell<br />
es geht integrieren. Und wir müssen<br />
die Zuwanderung begrenzen. Sofort.<br />
Sonst wird Deutschland das nicht<br />
schaffen.<br />
B<br />
Integration und Begrenzung. Ist<br />
das die Lösung?<br />
Nicht wirklich. Alles ist schon zu weit<br />
fortgeschritten. Es gibt keine Lösung<br />
mehr.<br />
EIN KUNSTMAGAZIN<br />
BLAU erscheint monatlich<br />
in der WELT und im ausgewählten<br />
Zeitschriftenhandel<br />
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PRIVAT<br />
DER LEIBARZT ALS LOTSE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
Geschäftstüchtige Ärzte haben mal wieder eine neue Einnahmequelle<br />
entdeckt, diesmal die sogenannte Lifestyle-Medizin: Coaching bis zum Exitus.<br />
Text / MICHAEL GATERMANN<br />
82<br />
Möhren sind gesund, Laufen ist gut für<br />
dich, Stress und Strapaze aber sind des<br />
Teufels. Schon klar, aber auch nicht<br />
immer wahr: hängt alles auch vom<br />
Stoffwechsel ab.<br />
Die einen können Karotten nicht<br />
ordnungs- und vorschriftsgemäß abbauen<br />
– ein hoher Blutzuckerspiegel,<br />
Unwohlsein und gewisse Indispositionen<br />
sind die Folge. Die anderen laufen<br />
und laufen und laufen – und verbessern<br />
weder Form noch Verfassung, ja,<br />
nicht einmal ihr Aussehen. Und dass<br />
beruflicher oder privater Ärger den<br />
einen fertigmacht, den anderen aber<br />
aufputscht wie Doping, ist auch keine<br />
Neuentdeckung. Wie das Leben überhaupt<br />
nichts Neues ist.<br />
Damit man künftig aber rechtzeitig<br />
erfährt, was einem wirklich guttut,<br />
und damit die Ärzte ein wenig dazuverdienen,<br />
haben sie ein passendes<br />
Geschäftsmodell erfunden: „Lifestyle-<br />
Medizin“ nennen sie ihr Angebot, das<br />
natürlich aus Kalifornien stammt und<br />
mit der Hinwendung zum Quantified<br />
Self zusammenhängt, hierzulande als<br />
Selbstoptimierung en vogue.<br />
Sogenannte Health Consultants reisen<br />
bereits mit dem entsprechenden<br />
Vokabular durchs Land und predigen<br />
in Betrieben und Beratungsfirmen über<br />
Mood Tracking, Health Score und natürlich<br />
Digitalization; immer mehr Kliniken<br />
und Ärzte bieten Rund-um-sorglos-Pakete<br />
für die Gesundheit an, stellen<br />
Ist-Analysen an, erheben Risiken<br />
und entwickeln Programme zur Verbesserung<br />
von Wohlbefinden und -behagen.<br />
Selbstverständlich bleibt auch<br />
das geistige Gleichgewicht nicht von<br />
einer Einbeziehung verschont. Denn<br />
man denkt ganzheitlich.<br />
All das ist nicht neu. Wohl aber die angeschlossene<br />
Dauerbetreuung durch<br />
regelmäßige Besuche beim Vertrauensarzt,<br />
der seinen Patienten oder besser:<br />
Kunden durchs Leben manövrieren<br />
und im Fall der Fälle immer die Adresse<br />
des richtigen Spezialisten parat hält.<br />
Kurz, der Leibarzt als Lebenslotse.<br />
„Er muss etwas von Endokrinologie,<br />
der Lehre von den Hormonen,<br />
sowie von Genetik verstehen und außerdem<br />
breite Kenntnis der Medizin<br />
haben“, sagt Thomas Wendel (43), der<br />
in München eine Praxis für Lifestyle-<br />
Medizin betreibt.<br />
Zu seiner Kundschaft zählen Manager<br />
wie Johannes Huth (55), Europachef<br />
der Beteiligungsfirma KKR,<br />
und Alexander Dibelius (56), ehedem<br />
Deutschland-Chef von Goldman Sachs<br />
und heute des Fi nan zin ves tors CVC.<br />
Der geschäftstüchtige Wendel bietet<br />
einen sogenannten „Premium-Sensor“<br />
an, einen Test, der die Untersuchung<br />
von über 90 Gen-Variationen<br />
umfasst und eine Risikoeinschätzung<br />
für Brust- oder Prostatakrebs, Diabetes,<br />
Bluthochdruck oder die alters bedingte<br />
Makula-Degeneration des Auges liefert<br />
und dergleichen mehr. Kosten für den<br />
Selbstvermesser: um die 1.000 Euro.<br />
Für weniger als die Hälfte ist der<br />
„Nutrition-Sensor“ zu haben, der die<br />
genetische Disposition im Hinblick<br />
auf mehr als 1.000 Nahrungsmittel<br />
untersucht, den persönlichen Bedarf<br />
an Vitaminen und Mineralstoffen ermittelt<br />
und ähnliche Unbedingtheiten<br />
mehr. Außer der Rechnung erhält der<br />
zahlungskräftige Klient einen feinen<br />
Ernährungsplan.<br />
Fortan arbeiten Arzt und Kunde<br />
nur an einem Ziel: dass der Kunde lebendig<br />
bleibt, zumindest, bis er stirbt,<br />
jedenfalls so lange wie möglich. „In<br />
den USA ist Super Aging ein großes<br />
Thema“, sagt Lifestyle-Arzt Wendel.<br />
„Ziel ist es, auch jenseits der 80 Jahre<br />
noch vital und selbstständig zu leben.“<br />
Aus den vielen Gesundheitsdaten<br />
des Patienten „müssen sie so etwas<br />
wie eine Wetterkarte herstellen, die<br />
Ergebnisse vermitteln und dann als<br />
Coach das Befolgen der Ratschläge<br />
sicherstellen“, sagt Wendels Geschäftspartner<br />
Nicolas Zech (42), der<br />
im Hauptberuf eine Fruchtbarkeitsklinik<br />
in Bregenz mitunterhält.<br />
Auch Kliniken haben das lukrative<br />
Betreuungsgeschäft für sich entdeckt.<br />
Vorsorgezentren wie Beltz Medical in<br />
Ulm und Hamburg (Fleetinsel) erweitern<br />
ihr Diagnose-Sortiment derzeit<br />
um Coaching-Angebote, desgleichen<br />
die Helios-Hospitäler.<br />
Am weitesten gediehen sind die<br />
Dinge bei Bernard große Broermann<br />
(72, s. Interview Seite 85). Der Eigentümer<br />
der Asklepios-Kliniken tritt nun<br />
erstmals mit seinem eigenen Namen in<br />
Erscheinung: Die Marke „Broermann<br />
Health“ bietet Komplettbetreuung.<br />
Vor einem halben Jahr hat der<br />
Gesundheitskaufmann seinen ersten<br />
Stützpunkt in Hamburg eröffnet, und<br />
zwar in der Asklepios-Klinik im Stadtteil<br />
St. Georg: edle Hölzer, edle Sessel,<br />
edles Hochgeschwindigkeits-Internet<br />
– und das ohne Desinfektions- und<br />
Äthergeruch.<br />
Nichts soll hier an Krankenhaus<br />
und Krankheit, sondern möglichst<br />
an Kempinski erinnern. Kürzlich hat<br />
Broermann eine zweite Niederlassung<br />
auf Sylt eingeweiht, weitere sollen in<br />
allen deutschen Großstädten folgen.<br />
83<br />
Das ist endlich einmal ein gesundes Eis: Möhren und Erbsen am Stiel. Nun ja, jedem<br />
das Seine. Man muss aber auch nicht übertreiben. Manchmal tut’s schon ein Leibarzt.<br />
FOTO: GETTY<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
84<br />
BEGLEIT-ÄRZTE<br />
Diese Kliniken bieten<br />
Medizin-Coaching an.<br />
BROERMANN HEALTH<br />
Umfassendes Betreuungsangebot<br />
www.broermannhealth.com<br />
CORPORATE HEALTH<br />
Check-ups und laufende<br />
medizinische Betreuung.<br />
www.corporatehealth-ag.com/<br />
zentrum-check-up<br />
EUROPEAN PREVENTION CENTER<br />
Lifestyle Coaching mit gutem<br />
Rat und Betreuung in Sachen Ernährung,<br />
Bewegung, Entspannung.<br />
www.epc-checkup.de<br />
FLEETINSEL-KLINIK<br />
Nach der Diagnose gibt’s eine persönliche<br />
Begleitung für die Gesunderhaltung<br />
von Körper (Ernährung,<br />
Fitness) und Geist.<br />
www.diagnostik-zentrum.de<br />
HELIOS PREVENTION CENTER<br />
Hier kann man einzelne Betruungsbereiche<br />
buchen: Ernährung,<br />
Bewegung oder Balance.<br />
www.helios-preventioncenter.de<br />
VIVANTES PREVENTION CENTER<br />
Gesundheits-Coaching,<br />
Stressmanagement,<br />
Ernährungs- und Schönheitsberatung,<br />
persönliche Trainer.<br />
www.vivantes.de<br />
Und noch ein Angebot, das sich<br />
direkt an Unternehmen wendet:<br />
WIR FÜR GESUNDHEIT<br />
Das Gemeinschaftsunternehmen<br />
der Klinikketten Asklepios,<br />
Helios und Rhön bietet Firmenmitarbeitern<br />
Policen an, die deren<br />
Gesundheitsberatung und im<br />
Ernstfall Klinikaufenthalte wie bei<br />
Privatpatienten sichert.<br />
www.wir-fuer-gesundheit.de P<br />
Kunden werden auf Herz und Nieren<br />
geprüft, wie man früher zu sagen<br />
pflegte. Heute sind darunter zu verstehen:<br />
Laboranalysen von Harn und<br />
Blut, Sonografie von Organen und<br />
Gefäßen, Magnetresonanztomografie<br />
des Kopfes, Echokardiografie des<br />
Herzens, Lungenfunktionstests und<br />
bei Bedarf noch tausend andere Bespiegelungen<br />
und Inspektionen.<br />
„Der Kunde soll wissen, wie es<br />
steht und welche Konsequenzen<br />
zu ziehen sind“, sagt Michael Ehnert<br />
(52), der leitende Arzt des Programms,<br />
und verspricht, sich dabei<br />
deutlich auszudrücken: „Wir sprechen<br />
deutsch, Ärzte-Latein liegt uns<br />
nicht.“ Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse<br />
stellt auch Ehnert<br />
ein Aktionsprogramm zusammen für<br />
Ernährung, Bewegung, Schlaf, Vitamine<br />
und Mineralstoffe. Und auch<br />
ihm geht es danach um Beistand und<br />
Betreuung: „Wir wollen eine Bindung<br />
aufbauen, das Leben begleiten – eben<br />
nach dem Leibarztprinzip.“<br />
Rund 100 Kunden haben „Broermann<br />
Health“ bislang gekauft, zwei<br />
Drittel sind Männer, die meisten<br />
zwischen 30 und 65 Jahre alt. Das<br />
Vollprogramm kostet 4.200 Euro im<br />
Jahr. Auch billigere Angebote sind<br />
erhältlich, gesetzliche und private<br />
Krankenkassen zahlen meist etwas<br />
dazu; wie viel, ist von Kasse zu Kasse<br />
verschieden und manchmal auch Verhandlungssache.<br />
„Wir wollen unsere Kunden langfristig<br />
an uns binden“, sagt Projektleiter<br />
Hajo Hessabi (46). Allen medizinischen<br />
Rat, den die Kunden brauchen,<br />
sollen sie nach Möglichkeit vom<br />
selben Arzt bekommen: „Der holt<br />
sich bei komplexen Fragen die Expertise<br />
vom Spezialisten, empfiehlt<br />
im Ernstfall auch einen Facharzt und<br />
besorgt den Termin.“<br />
Zurzeit entwickeln die Broermänner<br />
gemeinsam mit einem Hersteller<br />
von Fitness-Armbändern ein Gerät,<br />
das die Daten zu körperlicher Verfassung<br />
und Herzgesundheit regelmäßig<br />
via Internet an den „Leibarzt“ funken<br />
kann. „Der kann so die Gesundheit des<br />
Kunden viel besser im Auge behalten<br />
und sich melden, wenn er Unregelmäßigkeiten<br />
registriert“, sagt Hessabi.<br />
Das Datengeschäft ist ein Multimilliardenmarkt.<br />
Pharmaunternehmen,<br />
Versicherungskonzerne und<br />
IT-Multis haben den Medizindaten-<br />
Verkehr als lukratives Zukunftsgeschäft<br />
iden ti fi ziert. Siemens verknüpft<br />
weltweit seine Computertomografen<br />
und Röntgengeräte, um<br />
bislang un ge nutz te Dia gno sedaten<br />
zusammenzuführen; Goo gle und<br />
Apple stecken Abermilliar den ins<br />
Health-Gewerbe, IBM und SAP haben<br />
ihre ultraschnellen Datenverarbeitungssysteme<br />
„Wat son“ und<br />
„Ha na“ auf Klinikdaten und Krebs -<br />
re gis ter abgerichtet, um Befunde und<br />
Behandlungen zu verbessern. Über<br />
100.000 Ge sund heitsanwendungen<br />
stehen inzwischen weltweit zum<br />
Herunterladen bereit.<br />
Bernard große Broermann verkörpert<br />
die wandelnde Werbung für<br />
das Super Aging. Er dauerläuft fast<br />
jeden Tag, achtet natürlich auf eine<br />
gesunde Ernährung und trinkt wenig<br />
Alkohol. Er steht hinter seinem Programm:<br />
„Ich selbst war die erste Testperson<br />
und nehme selbstverständlich<br />
daran teil.“<br />
P<br />
AUCH DIE SEELE IM BLICK<br />
Asklepios-Gründer Bernard große Broermann über<br />
sein medizinisches Coaching-Programm.<br />
B Herr Broermann, wie sind Sie<br />
auf die Idee zum Coaching-<br />
Angebot „Broermann Health“<br />
gekommen?<br />
Mein ursprüngliches Berufsziel war<br />
die Entwicklung von Medikamenten,<br />
die eine Krankheit heilen können<br />
und nicht nur Symptome lindern.<br />
Auf einer US-Reise entdeckte ich<br />
ein Buch über den Zusammenhang<br />
zwischen Ernährung und späterer<br />
Erkrankung. Beim Lesen wurde mir<br />
erstmals sehr deutlich bewusst, dass<br />
die Prävention eigentlich die wirksamste<br />
kausale Behandlung ist. Ich<br />
bin fest davon überzeugt, dass jeder<br />
Mensch sein Gesundheitsschicksal<br />
zu einem guten Teil selbst bestimmen<br />
kann. Hier setzt „Broermann<br />
Health“ an: Es bietet die sinnvolle<br />
Verbindung von medizinischem<br />
Check-up, Training und einem persönlichen<br />
Gesundheitsarzt. Dazu<br />
kommt ein individuell ausgearbeiteter<br />
Präventionsplan und die intensive<br />
Begleitung des Teilnehmers.<br />
B Mit welchen Teilnehmerzahlen<br />
rechnen Sie?<br />
Wir registrieren bereits jetzt eine<br />
gute Nachfrage von Unternehmen,<br />
die das Angebot insbesondere für<br />
ihr Topmanagement nutzen. Das<br />
Nachfragepotenzial wurde bislang ja<br />
durch kein qualitativ hochwertiges<br />
Angebot befriedigt, weil es häufig<br />
nur um Teilaspekte ging und nicht<br />
wie bei uns um nachhaltige Gesunderhaltung.<br />
B<br />
An welche Zielgruppen richtet<br />
sich das Angebot?<br />
Im Grunde an alle gesundheitsbewussten<br />
Menschen. Unsere Kunden<br />
sind heute zwischen 30 und 80 Jahre<br />
alt. Wir verfügen heute über das<br />
Wissen, um das Risiko zahlreicher<br />
Krankheiten deutlich zu senken.<br />
Dennoch kennen viele Menschen<br />
weder ihr individuelles Krankheitsrisiko,<br />
noch verfügen sie über die<br />
Kenntnisse zur richtigen Vorbeugung<br />
der drohenden Krankheiten.<br />
Da setzen wir an.<br />
B<br />
Stichwort Ernährung und Bewegung:<br />
Da fehlt es den meisten<br />
Menschen ja nicht am Wissen,<br />
sondern an der Disziplin. Wie<br />
wirkt der begleitende Arzt auf<br />
seinen Patienten ein?<br />
Der Präventionsarzt hält regelmäßigen<br />
Kontakt mit dem Teilnehmer<br />
und kontrolliert, ob er seine Ziele<br />
erreicht. Gegebenenfalls werden<br />
die Ziele angepasst. Wichtig ist außerdem,<br />
dass die Ziele so definiert<br />
werden, dass sie den Patienten nicht<br />
demotivieren. Wer gern Schokolade<br />
isst, der muss nicht komplett darauf<br />
verzichten. Gesundes Verhalten soll<br />
auch genussvoll sein.<br />
B<br />
Bekommen die begleitenden<br />
Mediziner auch ein spezielles<br />
Training?<br />
Wir setzen ausgewählte Mediziner<br />
überwiegend mit internistischem<br />
und kardiologischem Schwerpunkt<br />
ein. Auch sportmedizinisches Wissen<br />
gehört dazu. Alle Coaches sind<br />
mit der Philosophie von „Broermann<br />
Health“ vertraut und legen Wert auf<br />
eine ganzheitliche Betrachtungsweise.<br />
Unsere Spezialisten halten stets<br />
die seelischen Befindlichkeiten des<br />
Menschen im Blick.<br />
BERNARD GROSSE<br />
BROERMANN<br />
Der Multimilliardär setzt auf das<br />
Geschäft mit der Gesundheit.<br />
P<br />
85<br />
Yoga, Gehen, Traben oder Galoppieren? Per DNA-Analyse will der Arzt<br />
feststellen können, welches Training dem Patienten am meisten nützt.<br />
FOTO: GETTY<br />
FOTO: PICTURE ALLIANCE<br />
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BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
DÜSSELDORF, BERLIN, DUISBURG – FRANKFURT<br />
Welche Schauen der kunstsinnige Geschäftsmensch in diesem Frühjahr besuchen sollte:<br />
Burri, Shore, Leeson, Lüpertz, de Chirico. Und die italienischen Manieristen!<br />
86<br />
Das neue Jahr beginnt mit guten Vorsätzen,<br />
einer davon sollte selbstverständlich<br />
sein, noch mehr Kunstausstellungen<br />
zu besuchen. Und die Auswahl<br />
ist hierzulande groß genug – ja,<br />
bei rund 10.000 im Jahr verliert man<br />
rasch den Überblick. Hilfreich ist ein<br />
erster Merkzettel, damit bereits in den<br />
ersten drei Monaten die eine oder andere<br />
Geschäftsreise mit einem Kulturgenuss<br />
verbunden werden kann.<br />
Sollten Sie also nach Düsseldorf<br />
kommen, so ist die dortige Alberto-Burri-Ausstellung<br />
im K21 (5. März bis 3. Juli)<br />
ein Muss: Der italienische Avantgardist<br />
(1915 – 1995) war einer der großen<br />
Neuerer der Nachkriegsmalerei. Eine<br />
„Me ta pher von der Ver wun dung der<br />
Welt“ glaubte der Kunstkritiker Werner<br />
Haft mann in den Werken zu erkennen,<br />
die Burri aus einfachen und abgewetzten<br />
Materialien zusammenstellte:<br />
Verschlissene Sack lein wand, mit derben<br />
Sti chen ver näht, spannt sich wie<br />
ein Netz über Flä chen, Teer- und<br />
Brandflecken setz en sinistre Ak zentuierungen,<br />
und wenn „rote Farbe wie<br />
Blut aus dem Bild leib“ rinnt, stei gert<br />
dies nur die „tragische Evokationskraft<br />
verrottender Abfälle“ (Haftmann).<br />
In New York wurde die Ausstellung<br />
im Guggenheim Museum gefeiert, in<br />
Deutschland sollte man sie nicht verpassen.<br />
Zumal dann, wenn Sie schon<br />
immer wissen wollten, was die Modeunternehmerin<br />
Miuccia Prada so sammelt<br />
und was am Kunstmarkt zuletzt<br />
für Furore gesorgt hat.<br />
In der Hauptstadt lohnt sich ein<br />
Besuch des C/O Berlin: Es ist das interessanteste<br />
Ausstellungshaus für Fotografie<br />
im Land und ein gelungenes<br />
Beispiel bürgerlichen Engagements<br />
und beeindruckenden Kulturmanagements<br />
in der sonst so umfassend von<br />
der öffentlichen Hand getragenen Kulturlandschaft<br />
Berlins.<br />
HOLLEINS KUNSTWELT<br />
Ab dem 6. Februar ist dort die Retrospektive<br />
des einflussreichen amerikanischen<br />
Fotografen Stephen Shore<br />
(68) zu sehen. Dieser große Pionier<br />
der Farbfotografie hat für immer unser<br />
visuelles Verständnis geprägt.<br />
Eine andere bedeutende Medienkünstlerin<br />
kann man ab Ende Februar<br />
in Duisburg entdecken, im einzigartigen<br />
Lehmbruck Museum: Lynn Hershman<br />
Leeson (74). Die Amerikanerin<br />
hat sich viel früher als andere mit dem<br />
brisanten Thema der Identität im Digitalzeitalter<br />
auseinandergesetzt.<br />
Wenn man schon einmal in Duisburg<br />
ist, dann sollte man auch unbedingt<br />
die Markus-Lüpertz-Ausstellung<br />
im Museum Küppersmühle für Moderne<br />
Kunst besuchen: Die Schau zeigt<br />
vom 11. März bis zum 29. Mai die großen<br />
Werkzyklen dieses herausragenden<br />
deutschen Malers, der bei all seiner Anerkennung,<br />
Allgegenwart und Bedeutung<br />
sowohl am Kunstmarkt als auch<br />
in der Rezeption nicht ausreichend bewertet<br />
und gewertschätzt wird.<br />
Für die Kunstgeschichte von immenser<br />
Bedeutung, für das Publikum<br />
ein großes Sehvergnügen, für den<br />
Kunstmarkt ein komplexer Fall sind<br />
die Werke von Giorgio de Chirico<br />
(1888 – 1978), die ab Mitte März in der<br />
Staatsgalerie Stuttgart zu sehen sind.<br />
Der Begründer der Metaphysischen<br />
Malerei sollte Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
nicht nur die Kunstwelt mit seinen<br />
rätselhaften Bildern erobern und<br />
die Moderne, besonders den Surrealismus,<br />
grundlegend beeinflussen. De<br />
Chirico brach darüber hinaus auch mit<br />
den Konventionen der Rezeption und<br />
des Erfolgs an sich, vollzog auf dem<br />
Höhepunkt seines Ruhms eine radikale<br />
Kehrtwendung seines Stils hin zu<br />
einer klassischeren, klassizistischen<br />
Malweise, wandte sich von den Strömungen<br />
der Avantgarde ab und malte<br />
gleichzeitig zahlreiche Kopien seiner<br />
früheren, gefeierten Werke. Damit verstörte<br />
dieser Künstler in der gesamten<br />
zweiten Hälfte seines langen Schaffens<br />
sowohl die Kritiker als auch seine<br />
Sammler. Heute werden seine Werke<br />
und das künstlerische Konzept, das er<br />
mit ihnen zum Ausdruck bringt, gänzlich<br />
neu bewertet.<br />
Keiner Neubewertung bedarf es bei<br />
dem großen Ausstellungsereignis in<br />
Frankfurt, wo ab dem 24. Februar die<br />
Kunst des italienischen Manierismus<br />
im Städel Museum Einzug hält. Erstmals<br />
überhaupt kann man in Deutschland<br />
in einer großen Überblicksausstellung<br />
die Meisterwerke von Pontormo,<br />
Bronzino, Rosso Fiorentino, Vasari<br />
und anderen bewundern. Es ist eine<br />
elegante, raffinierte, kapriziöse und<br />
extreme, bisweilen gar bizarre Kunst<br />
der italienischen Spätrenaissance –<br />
und eine spektakuläre Ausdrucksform<br />
des Glanzes, der Macht und des Kunstwillens<br />
des Florenz’ der Medici. Wenn<br />
das nicht ein anregender Abschluss<br />
für eine Geschäftsreise in die Finanzmetropole<br />
Frankfurt ist … P<br />
MAX HOLLEIN<br />
ist der berühmteste und einflussreichste<br />
Museumsdirektor des Landes<br />
und womöglich der beste Manager<br />
Frankfurts. Er hat das Städel, die Schirn<br />
Kunsthalle und das Liebieghaus<br />
zu internationaler Geltung geführt.<br />
87<br />
Lynn Hershman Leeson als<br />
„Roberta Breitmore“: Fünf Jahre lang<br />
lebte sie mit einer zweiten Identität.<br />
COURTESY OF LYNN HERSHMAN LEESON<br />
ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ<br />
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BAADERS BESTE<br />
REGISTER<br />
IMPRESSUM<br />
88<br />
STECKRÜBEN WIE GUT GESCHNITTENE ANZÜGE<br />
TRÜFFELSCHWEIN<br />
Mühlenkamp 54, 22303 Hamburg<br />
www.trueffelschwein-restaurant.de<br />
Die Häuserecke in Hamburg-Winterhude,<br />
eigentlich sehr schön gelegen,<br />
hat diverse gastronomische Experimente<br />
erlebt. Warum, so dachte ich,<br />
sollte dort ausgerechnet ein Restaurant<br />
mit dem durchaus kindischen Namen<br />
„Trüffelschwein“ funktionieren? Das<br />
liegt nun gut zwei Jahre zurück. Längst<br />
bin ich vom Saulus zum Paulus geworden.<br />
Mir gefällt, was Küchenchef Kirill<br />
Kinfelt mit Gelbflossenmakrelen, Kaisergranat<br />
und Iberico-Schweinen anstellt<br />
(drei Gänge 69 Euro). Und der<br />
Instanz offenbar auch: ein Stern vom<br />
„Michelin“.<br />
POISSON<br />
Wolfsstraße 6 – 14, 50667 Köln<br />
www.poisson-restaurant.de<br />
Das „Poisson“ ist wie Köln: weder Primus<br />
noch Schöngeist – aber Liebling.<br />
Der Fisch ist frisch, das Wild ohne<br />
Blingbling zubereitet. Alles mit offener<br />
Küche, die sehr zur modernen Gemütlichkeit<br />
beiträgt. Die schönsten Plätze<br />
sind die am Fenster, die Stehtische<br />
mitten im Raum entbehrlich. Ach ja,<br />
das „Poisson“ ist kein Discounter: Die<br />
Fischsuppe kostet 18, das Mittelstück<br />
vom Kabeljau 36 Euro.<br />
Fünf saubere Empfehlungen für den Reinigungsmonat.<br />
TAFELSPITZ MIT<br />
MEERRETTICHSAUCE UND<br />
BOUILLONGEMÜSE<br />
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und Anleitung<br />
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Kaiser Franz Joseph soll ihn fast jeden<br />
Mittag gegessen haben: den Tafelspitz,<br />
das Nationalgericht Österreichs. Nur<br />
wenige Fleischspeisen sind so bekömmlich,<br />
kalorienarm und dabei<br />
so wohlschmeckend. Und kaum eine<br />
ist so robust in der Zubereitung: Ob<br />
das Fleisch nun drei, vier oder fünf<br />
Stunden vor sich hinköchelt, ist – bei<br />
gleichbleibender Qualität – völlig egal.<br />
Ideal für Gäste, die um Mitternacht<br />
noch einmal Hunger bekommen.<br />
WUNDER-WAAGE<br />
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Köche sind dick. Denkste! Die meisten<br />
sind dünn, manche sogar athletisch,<br />
zumindest aber normalgewichtig.<br />
Die Mehrheit der Feinschmecker und<br />
Foodies zieht gleich. Man möchte gut<br />
und gerne essen, aber auf keinen Fall<br />
zulegen: Gerade jetzt, nach all den<br />
Schwelge- und Fressereien. Da hilft nur<br />
Kontrolle. Mit der klassischen Wunder-Waage<br />
aus Italien. Garantiert ohne<br />
Big Data und Chipcard. Aber aus Aluminiumguss<br />
und mit präziser Wiegemechanik.<br />
Preis? Den Gegenwert eines<br />
Drei-Sterne-Menüs für zwei Personen.<br />
STECKRÜBENEINTOPF<br />
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„Was ist das?“, fragte mich die junge<br />
Frau an der Kasse, als ich ihr die Steckrübe<br />
aufs Band schob: „Sellerie?“ Inzwischen<br />
sind Steckrübengerichte so<br />
häufig wie Männer in gut geschnittenen<br />
Anzügen. Sehr schade. Denn gekocht<br />
oder gedünstet, entwickelt das<br />
Wintergemüse ein feines, süßliches<br />
Aroma, das – zumal in Verbindung mit<br />
Kümmel – zum Besten gehört, was die<br />
Gemüseküche zu bieten hat. P<br />
FRED BAADER<br />
war mit seiner Agentur Baader Lang<br />
Behnken einer der Großen<br />
in der deutschen Werbewirtschaft.<br />
2013 veröffentlichte der Hamburger<br />
Genussmensch sein erstes Kochbuch.<br />
A<br />
ACHLEITNER,<br />
ANN-KRISTIN 14<br />
Adidas 9<br />
ALLMENDINGER, JUTTA 15<br />
Audi 8<br />
AUSCHEL, ROLAND 9<br />
B BAGEL-TRAH, SIMONE 90<br />
BARTELS, LUDGER 10<br />
BAZILEVSKAYA, KATYA 57<br />
BECKENBAUER, FRANZ 49<br />
BENIOFF, MARC 23<br />
BIERHOFF, OLIVER 51<br />
Bitburger Holding 45<br />
BLUME, OLIVER 34<br />
BOCH, ALEXANDER 57<br />
BOUÉE,<br />
CHARLES-ÉDOUARD 80<br />
BRAUN, EGIDIUS 50<br />
BROERMANN,<br />
BERNARD GR. 83, 85<br />
Broermann Health 83<br />
BRUCHHAGEN,<br />
HERIBERT 48<br />
BÜLOW, SIEGFRIED 36<br />
BUSCH, ROLAND 53<br />
C CAMERON, DAVID 78<br />
Capri Sun Holding 30<br />
CD-Adapco 53<br />
CROMME, GERHARD 52<br />
CRYAN, JOHN 80<br />
D DAVIES, LISA 53<br />
Deutsche Bank 14, 80<br />
DFB 46<br />
DFL 48<br />
DIBELIUS, ALEXANDER 83<br />
DIESS, HERBERT 36, 71<br />
Dresser-Rand 53, 75<br />
Dürr Dental 44<br />
DÜRRSTEIN, MARTIN 45<br />
DUFFNER, GEORG 10<br />
DUNLOP, SIMON 57<br />
DUROW, PAWEL 60<br />
E EIGENDORF, JÖRG 15<br />
ERSEK, HIKMET 77<br />
Etraveli 64<br />
F Faraday Future 68<br />
Fast Retailing 40<br />
Foodpanda 67<br />
FRIDERICHS, HANS 54<br />
FRIEDL, CHRISTIAN 37<br />
G General Motors 72<br />
Goldman Sachs 10<br />
GRINDEL, REINHARD 48<br />
GROSSMANN, JÜRGEN 76<br />
H HAINER, HERBERT 9<br />
HANS, STEFAN 50<br />
HEIZMANN, JOCHEM 37<br />
HELMRICH, KLAUS 53<br />
Henkel 90<br />
HENZLER, HERBERT 15<br />
HERRMANN,<br />
WOLFGANG 15<br />
HOEFLE, MANFRED 53<br />
HOPP, DIETMAR 18<br />
H&M 38<br />
HÜCK, UWE 36<br />
HUTH, JOHANNES 83<br />
I Infosys 23<br />
J JIA YUETING 72<br />
JOUSSEN, FRIEDRICH 12<br />
K KAGERMANN, HENNING 15<br />
KAISIG, CARSTEN 33<br />
KÄSER, JOSEF 10, 52, 75<br />
KÄSER, NATALIE 10<br />
KAWANO, SHO 43<br />
KENGETER, CARSTEN 79<br />
KIM, RICHARD 70<br />
KINFELT, KIRILL 88<br />
KLEINFELD, KLAUS 53, 75<br />
KOCH, KLAUS-DIETER 42<br />
KOCH, RAINER 48<br />
KUGEL, JANINA 53<br />
L LAHNSTEIN, MANFRED 54<br />
LEIBINGER-KAMMÜLLER,<br />
NICOLE 53<br />
LINDNER, CHRISTIAN 53<br />
Look at Media 58<br />
LÖSCHER, PETER 53<br />
LÖW, JOGI 51<br />
LÜPERTZ, MARKUS 87<br />
Lyft 72<br />
M McDERMOTT, BILL 17<br />
MEDWEDEW, DIMITRIJ 58<br />
MERKEL, ANGELA 75, 77<br />
MÜLLER, MATTHIAS 36<br />
MUSK, ELON 70<br />
N NIDA-RÜMELIN, JULIAN 26<br />
NIERSBACH, WOLFGANG 47<br />
NIEWODNICZANSKI,<br />
MATTHÄUS 45<br />
O OETTINGER, GÜNTHER 80<br />
P PLATTNER, HASSO 17<br />
Poisson 88<br />
Porsche 34<br />
PÖTSCH, HANS DIETER 36<br />
PRADA, MIUCCIA 87<br />
Pro Sieben Sat 1 64<br />
PUTIN, WLADIMIR 58<br />
R REITHOFER, NORBERT 52<br />
RORSTEDT, KASPER 9, 90<br />
ROTHMUND, KARL 49<br />
ROUBINI, NOURIEL 78<br />
RUSSWURM, SIEGFRIED 53<br />
S Salesforce 19, 23<br />
SAMPSON, NICK 70<br />
SAMWER, OLIVER 59<br />
SANDROCK, HELMUT 50<br />
SAP 16<br />
SATTELBERGER,<br />
THOMAS 27<br />
SCHINDLER, PHILIPP 15<br />
SCHOLZ, OLAF 55<br />
SCHMADTKE, JÖRG 50<br />
SCHMIDT, HELMUT 55<br />
SCHNEIDER, MANFRED 15<br />
SEIFERT, CHRISTIAN 48<br />
SEIFERT, WERNER G. 15<br />
SHORE, STEPHEN 87<br />
Siemens 52<br />
SIKKA, VISHAL 18<br />
SNABE, JIM 18, 53<br />
SPACEY, KEVIN 75<br />
STADLER, RUPERT 76<br />
STÄDTER,<br />
UWE-KARSTEN 37<br />
Steckrüben 88<br />
T Tafelspitz 88<br />
The Village 59<br />
THIEL, PETER 67<br />
THOMAS, RALF P. 53<br />
Trüffelschwein 88<br />
Tui 12<br />
U Uber 72<br />
Uniqlo 38<br />
V VAN BYLEN, HANS 90<br />
Volkswagen 34<br />
W WEENING, ROBERT 33<br />
WEGNER, CHRISTIAN 64<br />
WENDEL, THOMAS 83<br />
WENZEL, RALF 67<br />
WIEDEKING, WENDELIN 34<br />
WILD, CHRISTOPH 30<br />
WILD, HANS-PETER 29<br />
WILD, RAINER 31<br />
WILD, ROBERT 30<br />
WINTERKORN, MARTIN 36<br />
Y YANAI, TADASHI 38<br />
Yidao Yongche 72<br />
Z Zara 38<br />
ZECH, NICOLAS 83<br />
ZENNSTRÖM, NIKLAS 75<br />
Zero 1 70<br />
ZETSCHE, DIETER 71<br />
ZU SOLMS-WILDENFELS,<br />
CARL-PHILIPP GRAF 51<br />
ZWANZIGER, THEO 49<br />
BILANZ Deutschland<br />
Wirtschaftsmagazin GmbH,<br />
Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg<br />
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STEPHAN KNIEPS, MELANIE LOOS,<br />
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Autoren: FRED BAADER,<br />
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DR. WOLFGANG KADEN,<br />
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JAN VOLLMER, SIBYLLE ZEHLE,<br />
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Freie Mitarbeit: JASMIN DOEHL,<br />
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GATERMANN, NIKOLAS KAMKE,<br />
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Neudörfl<br />
BILANZ erscheint als Beilage der WELT<br />
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BILANZ Deutschland, gültig ab 1.1.2016<br />
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E-Paper erhältlich unter:<br />
www.lesershop24.de und www.ikiosk.de<br />
89<br />
FOTOS: TRÜFFELSCHWEIN, POISSON, HEINER BAYER<br />
ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ<br />
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILANZ--s3-beilagen-86 2565b33269f433cee4ea8d831d88b969
PRIVAT<br />
HANS VAN BYLEN<br />
In Kürze übernimmt der 54-jährige Belgier<br />
die Leitung der Markenfabrik Henkel.<br />
Er kennt das Haus aus dem Effeff. Denn<br />
ein anderes hat er nie von innen gesehen.<br />
BILANZGEWINNER<br />
2016<br />
Im Mai tritt der Belgier das höchste<br />
Amt im Staate Henkel (Umsatz:<br />
16,4 Milliarden Euro) an. Vorgänger<br />
Rorsted transferiert sich zu Adidas.<br />
Als der Wechsel bekannt wird, bricht<br />
der Henkel-Kurs um vier Prozent ein.<br />
Aber nicht vor Freude.<br />
90<br />
2005<br />
Endlich: Der Ehrgeizige steigt in den<br />
Olymp auf. Vorstandsressort: Kosmetik<br />
und Körperpflege („Schwarzkopf“).<br />
Es steht nicht gut um jene<br />
Sparte, man denkt über einen Verkauf<br />
nach. Doch Van Bylen greift<br />
durch, schließt jede zweite Fabrik,<br />
streicht 90 von 150 Marken und<br />
macht die Kosmetiksparte zur profitabelsten<br />
im Konzern. Ein Wunder!<br />
2001<br />
Nach einem Jahr bei Henkel-Paris<br />
kehrt Van Bylen ins Düsseldorfer<br />
Direktorium zurück. Seine Neigung:<br />
Gesichtspflege und Mundhygiene.<br />
Sein Herrschafts gebiet: West- und<br />
Südeuropa, Naher Osten, Afrika.<br />
„<br />
ER IST ERFAHREN,<br />
SOUVERÄN UND<br />
KOMPETENT, UM ES<br />
KURZ ZU FASSEN.<br />
“<br />
SIMONE BAGEL-TRAH<br />
Henkels<br />
Aufsichtsratschefin<br />
fasst sich kurz.<br />
An der Universität<br />
Antwerpen verfasst<br />
Van Bylen seine<br />
Abschlussarbeit: „De<br />
marketingaspecten<br />
inzake Franchising“<br />
(157 Seiten).<br />
1995<br />
Van Bylen steigt auf zum Vizegeschäftsführer<br />
für Kosmetik. Bravo!<br />
1984<br />
Henkel erregt Van Bylens Interesse:<br />
Er bewirbt sich als Waschmittel-Vertreter.<br />
Acht Jahre später zieht er nach<br />
Düsseldorf, wird Marketing-Direktor<br />
in der Zentrale für Körperpflege-<br />
Produkte („Fa“, „Bac“).<br />
Kollegen sagen,<br />
dass Van Bylen<br />
ver rückt nach<br />
belgischer Schokolade<br />
sei. Zum Ausgleich<br />
rennt er ein paar<br />
Mal um den Block.<br />
1979<br />
Die Universität Antwerpen nimmt<br />
ihn auf, Van Bylen widmet sich zunächst<br />
der Betriebswirtschaft, hernach<br />
dem Business Management. Nebenbei<br />
arbeitet er im Supermarkt.<br />
1961<br />
Van Bylen (sprich: Beilen) erblickt<br />
das Licht in Antwerpen-Berchem.<br />
Für den perfekten Halt<br />
testet der Chef die<br />
meisten Henkel-Haarprodukte<br />
höchstpersönlich<br />
– nur nicht<br />
jene zum Haarefärben.<br />
Van Bylen liebt die<br />
„Konkrete Malerei“<br />
des Düsseldorfer<br />
Künstlers<br />
Ulrich Erben.<br />
DAS INNOVATIVE DUSCH-WC<br />
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