melange-No1_Winterberg_Zei
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M U R N A U E R B I O G R A F I E N<br />
Peter Kreitmeir auf den Spuren<br />
seines vergessenen Großvaters<br />
Hans <strong>Winterberg</strong><br />
Hans <strong>Winterberg</strong><br />
Ein Murnauer Goldschmied<br />
entdeckt den Komponisten<br />
Hans <strong>Winterberg</strong> von Albrecht Dümling<br />
Peter Kreitmeir, der Murnauer Goldschmied, war schon früh vom Schlagzeug eines<br />
Freundes fasziniert. Angeregt durch die Trommeln und Becken, die in dessen Keller<br />
standen, begann er selbst auf allen zur Verfügung stehenden Gegenständen zu trommeln.<br />
Auch ohne Instrumente übte er die Unabhängigkeit seiner Hände. „Rhythmus,<br />
Schlagzeug und Musik wurden fortan mein Leben.“ Sein Vater hatte in der Wohnung<br />
eine kleine Goldschmiedewerkstatt eingerichtet. Wenn Adolf Kreitmeir nicht zuhause<br />
war, hörte sein Sohn Peter gern im Radio Beatles-Songs oder andere rhythmische<br />
Pop- und Rock-Musik, die er mitklopfte. Die herumliegenden Goldschmiedewerkzeuge<br />
verwandelten sich bei solchen Gelegenheiten in Musikinstrumente.<br />
Von der Schulzeit am Murnauer Gymnasium blieb Peter Kreitmeir vor allem die<br />
Schülerband „United Chain 68“ in guter Erinnerung, in der er als Schlagzeuger mitwirkte.<br />
Obwohl er sich schließlich für den Beruf des Goldschmieds entschied, blieb<br />
die Begeisterung für diese Art von Musik unvermindert. Besonders hatte es ihm die<br />
aus Chicago stammende Band „Earth, Wind and Fire“ angetan, nicht zuletzt wegen<br />
des dunkelhäutigen Schlagzeugers Maurice White, der bei den aufwändigen Bühnenshows<br />
auch als Sänger mitwirkte. Wann immer diese Musiker in der Münchner<br />
Olympiahalle gastierten, fand man Kreitmeir unter den Zuhörern. Viel später sollte<br />
sich sogar ein persönlicher Kontakt zu Maurice White ergeben.<br />
Vor einigen Jahren aber begann sich der 1955 am Ammersee geborene Goldschmied<br />
plötzlich auch für eine ganz andere Musikart zu interessieren, die ihn zuvor nie beschäftigt<br />
hatte: die moderne Orchester- und Kammermusik. Den Auslöser zu dieser<br />
unerwarteten Entdeckungsreise bildete eine persönliche Krise nach der Trennung<br />
von seiner Frau. Kreitmeir suchte Rat bei einer Therapeutin, die ihm riet, sich mit<br />
seinen Wurzeln zu beschäftigen. „Nur wenn Du Deine Wurzeln kennst, kannst Du<br />
wirklich gut leben.“ Dieser Satz regte ihn zu intensiver Familienforschung an.<br />
Sein Vater, der Goldschmied Adolf Kreitmeir, hatte sich in die 19-jährige Ruth <strong>Winterberg</strong><br />
verliebt, die damals ebenfalls in der Nähe von Herrsching am Ammersee<br />
wohnte. Im Sommer 1955 erblickte der kleine Peter das Licht der Welt. Aber schon<br />
fünf Monate später trennten sich die Eltern wieder. Der Vater erhielt das Sorgerecht<br />
für den Sohn, was damals ungewöhnlich war. Anders als die junge Mutter verfügte<br />
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er jedoch über ein gesichertes Einkommen.<br />
Mit Hilfe einer Anzeige „Klein Peter sucht<br />
Mama“ fand er Kontakt zu seiner zweiten<br />
Frau. Die neue Mama ließ für Peter Kreitmeir<br />
die leibliche Mutter in Vergessenheit<br />
geraten. Der Kontakt zu ihr brach ab. Nur<br />
hin und wieder wurde ihr Vater erwähnt,<br />
der Großvater also, den er nie gesehen<br />
hatte. Hans <strong>Winterberg</strong> sei ein Komponist<br />
gewesen, hörte der Enkel dann - ein feiner<br />
Mann, jedoch als Musiker eher erfolglos<br />
und deshalb ein Hungerleider. Einmal sagte<br />
ihm sein Vater: „Jetzt kommt was im Radio<br />
von Deinem Großvater.“ Aber die anspruchsvolle<br />
und teilweise dissonante Musik,<br />
die aus dem Lautsprecher tönte, gefiel<br />
Peter Kreitmeir überhaupt nicht. „Das war<br />
für mich eigentlich ganz schreckliche Musik<br />
damals. Ich konnte damit überhaupt<br />
nichts anfangen.“ Da er über seinen Vater<br />
und die Stiefmutter genügend Großeltern<br />
hatte, schwand das Interesse an Hans <strong>Winterberg</strong><br />
schnell.<br />
der leiblichen Mutter und deren Vater.<br />
Durch Internet-Recherchen stieß er auf den<br />
Aufenthaltsort der Mutter Ruth, die allerdings<br />
schon in den sechziger Jahren den<br />
Kontakt zu ihrem eigenen Vater abgebrochen<br />
hatte.<br />
Kreitmeir seine Suche auf anderen Wegen<br />
fort.<br />
Einen Durchbruch bedeutete es, als er<br />
Anfang 2011 im Internet plötzlich ein Foto<br />
seines Großvaters entdeckte. Unter Fotomaterial<br />
der zwanziger und dreißiger Jahre<br />
aus Rundfunkzeitschriften der 1. Tschechoslowakischen<br />
Republik befand sich dort ein<br />
Bild mit der Unterschrift „Hans <strong>Winterberg</strong>,<br />
Komponist, 1934“. Über den Betreiber dieser<br />
Webseite erhielt Kreitmeir grundlegende<br />
Informationen, nämlich einen Artikel<br />
aus dem „Lexikon zur deutschen Musikkultur<br />
in Böhmen, Mähren, Sudetenschlesien“,<br />
herausgegeben vom Sudetendeutschen<br />
Musikinstitut in Regensburg.<br />
Diesem Lexikonartikel waren Hans <strong>Winterberg</strong>s<br />
Geburts- und Sterbedaten zu entnehmen.<br />
Geboren wurde er am 23. März<br />
1901 in Prag, er starb am 10. März 1991 in<br />
Bad Tölz. Damit eröffneten sich für Kreitmeir<br />
weitere Spuren. Durch einen Anruf<br />
beim Friedhofsamt in Bad Tölz erfuhr er,<br />
dass es dort tatsächlich ein Grab auf den<br />
Namen „Hans <strong>Winterberg</strong>“ gibt. Kreitmeir<br />
kannte diesen Friedhof schon, denn dort<br />
war sein Urgroßvater väterlicherseits begraben.<br />
Wer aber war der Inhaber von Hans<br />
<strong>Winterberg</strong>s Grab? Kreitmeir erhielt die Adresse eines Mannes,<br />
den sein Großvater bei seiner vierten Ehe adoptiert und zum Erben<br />
bestimmt hatte. Mit diesem nahm er sofort Kontakt auf und erfuhr<br />
nun viel über Leben und Werk des Komponisten.<br />
Nach frühem Klavierunterricht hatte Hans <strong>Winterberg</strong> an der<br />
Deutschen Akademie für Musik und darstellende Kunst bei dem<br />
bekannten Komponisten Fidelio Finke Komposition und bei Alexander<br />
von Zemlinsky, Arnold Schönbergs Schwager, Dirigieren<br />
studiert. Nach dem Studien-Abschluss wurde er Theaterkapellmeister<br />
in Brünn. Daneben schuf er zahlreiche Klavier- und Kammermusikwerke<br />
und begann 1934 die Arbeit an seiner ersten Sinfonie,<br />
der „Sinfonia dramatica“. In jenem Jahr entstand das Foto,<br />
das Peter Kreitmeir im Internet entdeckt hatte. Nach einigen Jahren<br />
in Brünn beschloss Hans <strong>Winterberg</strong>, das Dirigieren aufzugeben<br />
und sich in Prag ganz dem Komponieren zu widmen. Da er weiter<br />
lernbegierig war, studierte er noch einmal für drei Jahre Komposition<br />
bei Alois Hába, dem Spezialisten für Vierteltonmusik.<br />
1930 hatte Hans <strong>Winterberg</strong> die katholische Musikstudentin Maria<br />
Maschat geheiratet, die 1935 die gemeinsame Tochter Ruth zur<br />
Welt brachte. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag<br />
wurde auch dort die nationalsozialistische Rassenpolitik eingeführt.<br />
Die Ehe eines Juden mit einer Nichtjüdin galt nun als „privilegierte<br />
Mischehe“ und bedeutete für Hans <strong>Winterberg</strong> einen wertvollen<br />
Schutz. Sein Vater, der Fabrikant Rudolf <strong>Winterberg</strong>, war bereits<br />
1932 gestorben. Seine Witwe, Hans <strong>Winterberg</strong>s Mutter, war dagegen<br />
ungeschützt. Im Juli 1942 wurde Olga <strong>Winterberg</strong> nach Theresienstadt<br />
deportiert und kam von dort sofort ins Vernichtungslager<br />
Maly Trostinez. Ihr Sohn blieb verschont - bis am 2. Dezember<br />
1944 dessen Ehe aufgelöst wurde. Die Gründe für die Scheidung<br />
sind unbekannt. Die Beteiligten müssen damals jedoch gewusst<br />
haben, dass die Scheidung für den jüdischen Ehemann einem Todesurteil<br />
gleichkam.<br />
Ohne seine nichtjüdische Ehefrau galt Hans <strong>Winterberg</strong> nun als<br />
Jude wie alle anderen auch. Am 25. Januar 1945 wurde er in die<br />
Festungsstadt Theresienstadt eingeliefert, wo die Nazis ein Zwangsghetto<br />
für Juden eingerichtet hatten. Die Insassen litten dort unter<br />
miserablen Verhältnissen. Für viele von ihnen bedeutete der Aufenthalt<br />
in Theresienstadt nur eine Zwischenstation auf dem Weg<br />
ins Vernichtungslager Auschwitz. Auch die Komponisten Pavel<br />
Haas, Gideon Klein, Hans Krása und Viktor Ullmann, die in Theresienstadt<br />
ein staunenswertes Musikleben aufgebaut hatten, waren<br />
im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert worden.<br />
Als Hans <strong>Winterberg</strong> im Januar 1945 in Theresienstadt ankam,<br />
erwartete man schon das Ende des Krieges. Tatsächlich rollten am<br />
8. Mai russische Panzer durch das Ghetto, von den Insassen jubelnd<br />
begrüßt. Zu den 17.000 Menschen, die damals in Theresienstadt<br />
befreit wurden, gehörte auch Hans <strong>Winterberg</strong>.<br />
Freiheit auf <strong>Zei</strong>t<br />
Ein deutscher Jude aus Prag<br />
Aber Jahrzehnte später machte sich Peter<br />
Kreitmeir – angeregt durch seine Therapeutin<br />
- systematisch auf die Suche nach<br />
Da sie ihm kaum Auskünfte über Hans<br />
<strong>Winterberg</strong> geben konnte, setzte Peter<br />
Jedoch nur für kurze <strong>Zei</strong>t konnte er die Freiheit genießen. Denn<br />
schon bald griffen ihn tschechische Volksmilizen auf und brachten<br />
ihn erneut in die alte Festungsstadt. Seine Lebensbedingungen<br />
verschlechterten sich sogar, denn statt in die Häuser der Großen<br />
Festung kam er nun ins Zellengefängnis der Kleinen Festung.<br />
Der einzige Grund für seine Verhaftung war, dass er sich 1930 bei<br />
der tschechischen Volkszählung für die deutsche Nationalität entschieden<br />
hatte. Die tschechische Bevölkerung hatte mehr als sechs<br />
Jahre unter dem Terror der deutschen Besatzung gelitten. Nun<br />
wollte sie sich rächen und machte Jagd auf angebliche Nazis und<br />
ihre Kollaborateure. Es kam zu Selbstjustiz, bei der auch viele<br />
Unschuldige brutal ermordet wurden. Zehntausende wurden festgenommen,<br />
meist ohne konkrete Anklagen.<br />
Anders als viele seiner Leidensgenossen hat Hans <strong>Winterberg</strong><br />
die schlimmen Haftbedingungen in Theresienstadts Kleiner Festung<br />
überlebt. Gemäß den Beneš-Dekreten verlor er seine tschechoslowakische<br />
Staatsbürgerschaft. Nach einem kurzen Aufenthalt<br />
in Prag, wo er wieder komponierte, wurde der Komponist<br />
1947 als Staatenloser nach Bayern ausgewiesen. In den ersten<br />
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er seine Noten retten können. So kam es<br />
am 17. Januar 1949 im Nationaltheater<br />
Mannheim zur Uraufführung seiner ersten<br />
Sinfonie. Am Pult stand der bekannte Dirigent<br />
Fritz Rieger, der sich auch als Chef<br />
der Münchner Philharmoniker mehrfach<br />
für Werke Hans <strong>Winterberg</strong>s einsetzte. Fast<br />
bis zum Tod des Komponisten hatte der<br />
Bayerische Rundfunk regelmäßig dessen<br />
Kompositionen aufgenommen.<br />
Die Entdeckung<br />
von <strong>Winterberg</strong>s Musik<br />
Nach seinem Tod geriet Hans <strong>Winterberg</strong><br />
in Vergessenheit. In den gängigen Musiklexika<br />
fehlt sein Name bis heute. Enthalten<br />
ist er nur in dem erwähnten Lexikon des<br />
Sudetendeutschen Musikinstituts. Dem<br />
dort veröffentlichten Artikel hatte Peter<br />
Kreitmeir entnehmen können, dass sein<br />
Großvater als Lektor für den Bayerischen<br />
Rundfunk gearbeitet hatte. Er erfuhr dann<br />
von Musikaufnahmen dieser Sendeanstalt,<br />
die er nach langen Bemühungen schließlich<br />
auf 20 CDs erhielt. Nun endlich konnte er<br />
sich in Ruhe in diese Musik vertiefen, die<br />
er als zehnjähriges Kind noch spontan abgelehnt<br />
hatte. Als Erwachsener hatte Kreitmeir<br />
mehr Verständnis. „Heute verstehe<br />
ich die Musik meines Großvaters viel besser<br />
und empfinde sie als etwas Ergreifendes<br />
und Wunderbares. Es gehört wohl eine gewisse<br />
Reife dazu, zu verstehen, um welche<br />
große Kunst es sich bei dem Werk meines<br />
Großvaters handelt.“ Zum besseren Zugang<br />
zu dieser Musik verhalfen auch ihre vielen<br />
rhythmischen Elemente. „Diese Umstände<br />
machten mich sehr froh, da doch auch für<br />
mich der Rhythmus das Wichtigste in der<br />
Musik ist.“<br />
Die Suche nach seinem Großvater ließ<br />
den Murnauer Goldschmied nicht mehr<br />
los. Er recherchierte weiter, erhielt Studienbescheinigungen,<br />
Meldezettel und sogar<br />
die Karteikarte, die den Abtransport des<br />
Großvaters nach Theresienstadt im Januar<br />
1945 vermerkte. Auf der Suche nach weiteren<br />
Informationen kontaktierte Peter<br />
Kreitmeir im Juni 2013 den von mir geleiteten<br />
Berliner Förderverein musica reanimata,<br />
der sich seit 1990 um die Wiederentdeckung<br />
NS-verfolgter Komponisten<br />
bemüht. Er berichtete mir von der Suche<br />
nach seinem Großvater und fragte, ob unser<br />
Verein ihm dabei helfen könne.<br />
Von Kreitmeir erfuhr ich, dass der Nachlass<br />
seines Großvaters im Sudetendeutschen<br />
Musikinstitut in Regensburg liegt.<br />
Da ich den Institutsleiter Dr. Andreas Wehrmeyer<br />
schon aus Berlin kannte, reiste ich<br />
nach Regensburg, wo ich am 12. Juli 2013<br />
den umfangreichen <strong>Winterberg</strong>-Bestand sehen<br />
konnte. Dazu gehörten die Noten von<br />
Sinfonien, Klavierkonzerten, Klavier- und<br />
Kammermusik – ein wahrer Schatz. Allerdings<br />
stand auf den Noten-Boxen der irritierende<br />
Vermerk „Gesperrt“.<br />
Wenige Tage später kam es am Chiemsee<br />
zu einer ersten persönlichen Begegnung<br />
mit Peter Kreitmeir.<br />
Ihm berichtete ich von dem Archiv und<br />
der merkwürdigen Sperrung. Gemeinsam<br />
betrachteten wir Materialien und Dokumente<br />
zu Hans <strong>Winterberg</strong>, die der Enkel<br />
zusammengetragen und in einer großen<br />
Kiste mitgebracht hatte. Um diese Funde<br />
der interessierten Fachwelt vorzustellen,<br />
bat ich ihn, für das Mitteilungsblatt von<br />
musica reanimata einen Artikel zu schreiben.<br />
Der durch Abbildungen ergänzte Aufsatz<br />
erschien im Oktober 2013 in Heft 81<br />
der mr-Mitteilungen. Die Leser erfuhren<br />
hier wohl zum ersten Mal von dem vergessenen<br />
Komponisten.<br />
Der Knebel-Vertrag und<br />
seine glückliche Aufhebung<br />
Die Tatsache, dass der musikalische Nachlass<br />
seines Großvaters gesperrt war, ließ Peter<br />
Kreitmeir keine Ruhe. Um mit eigenen<br />
Augen die Noten zu sehen, machte er sich<br />
schließlich im Frühjahr 2015 selbst auf den<br />
Weg nach Regensburg. Ihm, dem Enkel,<br />
öffnete der Institutsleiter Dr. Andreas Wehrmeyer<br />
bereitwillig die Schuber mit den<br />
Kompositionen Hans <strong>Winterberg</strong>s. Schließlich<br />
kopierte er für ihn auch den Vertrag,<br />
den der Erbe im Jahr 2002 mit dem Sudetendeutschen<br />
Musikinstitut geschlossen<br />
hatte. Dort war vermerkt, dass der Nachlass<br />
Hans <strong>Winterberg</strong>s bis Ende 2030 in<br />
keiner Kartei und keinem Bestandsverzeichnis<br />
des Instituts erwähnt werden<br />
dürfe. Auskünfte über die Herkunft des<br />
Nachlasses durften nicht gegeben werden.<br />
In diesem Vertrag stand außerdem, dass<br />
die jüdische Herkunft des Komponisten<br />
nicht erwähnt werden durfte.<br />
Der Enkel empfand diese Verfügung zu<br />
Recht als empörend. Im Internet hatte er<br />
inzwischen detaillierte Informationen über<br />
die Familie <strong>Winterberg</strong> bekommen. Der Betreiber<br />
dieser genealogischen Webseite war<br />
niemand anderes als Randol Schoenberg,<br />
der in Los Angeles lebende Enkel des Komponisten<br />
Arnold Schönberg. In einem aufsehenerregenden<br />
Rechtsstreit hatte er die<br />
Republik Österreich verklagt und im Jahr<br />
2006 die Rückgabe von fünf wertvollen<br />
Klimt-Gemälden an die jüdischen Erben<br />
durchsetzen können; der diesem Fall gewidmete<br />
Film „Die Frau in Gold“ kam 2015<br />
in die Kinos. Mit diesem mutigen Anwalt<br />
setzte sich Kreitmeir in Verbindung und<br />
schickte ihm am 7. Mai 2015 den ungewöhnlichen<br />
Vertrag, den er soeben erhalten<br />
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hatte. Auch der Schönberg-Enkel war schockiert.<br />
Da Kreitmeir ihm die Veröffentlichung<br />
des Vertrages gestattete, gab er ihn<br />
an den Musikproduzenten Michael Haas<br />
weiter. Dieser hatte ein Buch „Forbidden<br />
Music“ geschrieben und betrieb eine gleichnamige<br />
Webseite, auf der er über verfolgte<br />
Komponisten informierte.<br />
Am nächsten Tag, dem 8. Mai, fand in Terezin<br />
ein Gedenkkonzert statt, zu dem Peter<br />
Kreitmeir und der Autor anreisten. Wir hörten<br />
die Musik und Grußworte der deutschen<br />
und tschechischen Parlamentspräsidenten,<br />
die an die Befreiung des Ghettos<br />
vor 70 Jahren erinnerten. Unerwähnt blieb,<br />
dass der Komponist Hans <strong>Winterberg</strong> seine<br />
Freiheit nur sehr kurz genießen durfte und<br />
nur wenig später als Deutscher erneut in<br />
Theresienstadt eingeliefert wurde.<br />
Unmittelbar nach diesem Gedenkkonzert<br />
ermutigte ich Michael Haas, auf seiner Internet-Seite<br />
die skandalöse Sperrung des<br />
<strong>Winterberg</strong>-Nachlasses bekannt zu machen.<br />
Haas bereitete darauf einen ausführlichen<br />
Beitrag zu diesem Komponisten vor, den<br />
er am 10. Juni online stellte. Hier konnte<br />
nun eine große Internet-Gemeinde <strong>Winterberg</strong>s<br />
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Aufnahmen seiner Werke hören. Nicht zuletzt<br />
fand man auf dieser Internet-Seite den<br />
skandalösen Knebel-Vertrag.<br />
Diese Informationen lösten eine weltweite<br />
Resonanz aus. Den Bayerischen Rundfunk<br />
regten sie zu einem kurzen Beitrag an, in<br />
dem neben Peter Kreitmeir auch der Leiter<br />
des Regensburger Instituts zu Wort kam.<br />
Nur wenige Tage nach der Ausstrahlung<br />
entschloss sich der Erbe, der Aufhebung<br />
des Vertrages zuzustimmen. 2002, als er<br />
den Vertrag unterzeichnete, hatte er nicht<br />
einmal von der Existenz eines Enkels gewusst.<br />
Er hatte den Nachlass wohl auch<br />
deswegen an das Sudetendeutsche Musikinstitut<br />
gegeben, weil der Vater des Komponisten<br />
eine Textilfabrik im Sudetenland<br />
besessen und Hans <strong>Winterberg</strong> Kontakte<br />
zu sudetendeutschen Verbänden aufgenommen<br />
hatte. 1964 hatte er eine Sudeten-Suite<br />
komponiert. Warum aber hatte<br />
der Adoptivsohn Hans <strong>Winterberg</strong> nur als<br />
Sudetendeutschen und nicht als Juden sehen<br />
wollen?<br />
Peter Kreitmeir vermutet, dass Lebensangst<br />
und auch die Angst vor Antisemitismus ihn<br />
zum Abschluss dieses merkwürdigen Vertrags<br />
bewogen hatten. Mehrfache Gespräche<br />
mit dem Enkel und schließlich die<br />
Rundfunksendung überzeugten den Erben<br />
dann aber, dass diese Sperrklausel sinnlos<br />
war.<br />
Seitdem steht der im Sudetendeutschen<br />
Musikinstitut in Regensburg befindliche<br />
Nachlass Hans <strong>Winterberg</strong>s allen Interessenten<br />
offen. Peter Kreitmeir erhielt bereits<br />
zahlreiche Anfragen von Musikern und Verlegern<br />
aus dem In- und Ausland. Als vor<br />
wenigen Wochen der Deutschlandfunk eine<br />
Sendung zu Hans <strong>Winterberg</strong> vorbereitete,<br />
erklärte er in einem Interview: „Ich bin sehr<br />
überrascht und es ist eine ganz große<br />
Freude zu sehen, was mit dem Werk gerade<br />
passiert und wie groß das Interesse weltweit<br />
ist an der Musik. Das war mir auch erstmal<br />
nicht so klar. Aber jetzt entwickelt sich etwas<br />
Phantastisches.“ Seinem Großvater,<br />
von dem er so lange nichts gewusst hatte,<br />
fühlt sich Peter Kreitmeir mittlerweile sehr<br />
nahe. Immer wieder hört er dessen Musik<br />
und sucht nach weiteren Informationen zu<br />
dessen Leben und Werk.<br />
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überwindend. All das trifft auf die Band „Die<br />
<strong>Zei</strong>tzeugen“ zu, und dennoch haben es die fünf sympathischen<br />
Musiker aus Murnau geschafft, für sich den<br />
Nimbus eines Geheimtipps zu erhalten.<br />
Für Melange ist ein Treffen in ihrem Probenraum über<br />
der Druckerei Wiesendanger verabredet.<br />
In der nächsten Ausgabe: Ein exklusives Interview<br />
mit den <strong>Zei</strong>tzeugen<br />
49<br />
Foto: Heribert Riesenhuber