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jugend im öffentlichen raum: sicherheit mittels videoüberwachung

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JUGEND IM ÖFFENTLICHEN RAUM:<br />

SICHERHEIT MITTELS VIDEOÜBERWACHUNG<br />

ODER/UND HERAUSFORDERUNG FÜR DAS SOZIALE<br />

MANAGEMENT?<br />

MASTER THESIS<br />

zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Advanced Studies“ – MAS<br />

<strong>im</strong> Rahmen des Universitätslehrgangs Sozialmanagement<br />

am<br />

Institut für Personal- und Organisationsentwicklung<br />

in Wirtschaft und Verwaltung an der<br />

Johannes Kepler Universität Linz<br />

in Zusammenarbeit mit der<br />

Sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der<br />

Johannes Kepler Universität Linz<br />

Bearbeiter: Günter Kienböck, Matrikel-Nr. ‚9003824<br />

Wildbergstraße 10 b<br />

4040 Linz<br />

Betreuerin: Ass.-Prof. in Dr. in Christine Stelzer-Orthofer


© Copyright Günter Kienböck 2008<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

II


EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG<br />

Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne<br />

fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt<br />

und die aus anderen Quellen entnommenen Stellen als solche gekennzeichnet habe.<br />

Linz, Mai 2008 Günter Kienböck<br />

III


VORWORT<br />

Seit 1990 bin ich beruflich überwiegend der Jugendarbeit verbunden. Eigentlich wollte ich<br />

nach der Geburt meines ersten Sohnes Schluss mit meinem Engagement in diesem Bereich<br />

machen. Aus diesem Ent-Schluss wurde aber nichts: Die Herausforderung in Ansfelden (als<br />

Jugendkoordinator die örtliche Jugendarbeit mitzuentwickeln), lockte mich wieder in diese<br />

Arbeit hinein. Ähnlich ging es mir bei der Themenfindung zu dieser Arbeit: Meine Gedan-<br />

ken kreisten erst über Themen, die mit Jugend nicht zu tun haben. Gelandet bin ich aber<br />

dann doch wieder bei einem Thema, das Jugendliche mit einschließt. Entscheidend dafür<br />

war sicherlich ein Faktor, der mich in letzter Zeit zunehmend nachdenklich machte: Der<br />

feststellbare Trend, dass Jugendliche zunehmend als Problem wahrgenommen und disku-<br />

tiert werden. Dabei wird <strong>im</strong>mer häufiger das Potential der Jugend von Heute für die Her-<br />

ausforderungen von Morgen unter den Tisch gekehrt und stattdessen über Kontroll- und<br />

Sicherheitsmaßnahmen nachgedacht. War zu Zeiten meiner Jugend diese Art der Kontrolle<br />

weder technisch möglich noch diese Sichtweise (Jugend als omnipräsentes Problem) vor-<br />

stellbar, so drängte sich diese Sichtweise als Ansatzpunkt für diese Arbeit in den Vorder-<br />

grund: Fordert mich diese Art junge Menschen – also vor allem deren Defizite – zu sehen,<br />

doch laufend als Jugendarbeiter und auch als Vater von angehenden Jugendlichen heraus.<br />

Für die Möglichkeit, diese Arbeit zu schreiben und die Ausbildung Sozialmanagement zu<br />

absolvieren, gilt es zweierlei Dank auszusprechen: Einerseits dem IPO als Ausbildungsträ-<br />

ger und andererseits der Stadtgemeinde Ansfelden als Dienstgeber, der meinem Wunsch<br />

nach Weiterbildung in aller Offenheit gegenüberstand und dessen Umsetzung auch ermög-<br />

lichte.<br />

Mein Dank gilt insbesondere Frau Professorin Christine Stelzer-Orthofer, die sich die Be-<br />

gleitung dieser Arbeit aufbürdete und mir <strong>im</strong> Zuge der Mühen dieses Unterfangens wieder-<br />

holt ein „Silberstreif am Horizont“ war. Besonderer Dank gilt auch Frau Dr. in Brigitte<br />

Kepplinger, die sich trotz ihrer Gefragtheit Zeit für die eine oder andere angeregte Diskus-<br />

sion zu den bearbeiteten Themen genommen hat.<br />

IV


Herzlicher Dank gilt auch Gabi Meyer, die trotz allerschönstem Wochenend-Wetter dieser<br />

Arbeit die notwendigen Korrekturen angedeihen ließ.<br />

Weil ich - angeregt durch die Themenstellung - <strong>im</strong>mer wieder an meine eigene Jugend zu-<br />

rückdenken musste, kamen auch wiederholt meine Eltern ins Blickfeld. Aber nicht nur ge-<br />

sehen seien sie, sondern auch besonders gedankt sei ihnen: Danke für eure Mühen mit mir,<br />

danke für eure Begleitung und eure Liebe, die nicht einmal durch den blödesten Jugend-<br />

streich nachhaltig getrübt wurde. Wer hätte je gedacht, dass meine Jugendsünden einmal in<br />

einer Master Thesis enden?<br />

Aber nicht nur meine Jugend tat sich <strong>im</strong>mer wieder vor mir auf, sondern auch die Zukunft<br />

„meiner“ beiden Söhne. Ich hoffe, dass ihr Beide – Rafael und Marlin - eure Jugend (oder<br />

überhaupt eure Zukunft) so verbringen könnt, dass sie eines freien Menschen würdig ist. Es<br />

ist faszinierend und bewegend, bei eurem Weg durch das Leben mit dabei sein zu dürfen<br />

und euer Lachen (und manchmal – ja auch die gehören dazu - eure Tränen) mitzuerleben:<br />

Dafür meinen innigsten Dank. Dieser gilt auch meiner Lebensgefährtin Guggi: Vor allem<br />

für dein Da-Sein und für das, was uns verbindet. Nicht nur bei dieser Arbeit war deine Un-<br />

terstützung wesentlich. Deine aufmunternden Worte haben mir über die größten Krisen <strong>im</strong><br />

Zuge dieser (schließlich doch recht umfangreichen) Arbeit hinweggeholfen. Ihr Drei – und<br />

nicht der Dow Jones – seid das Wichtigste auf der Welt.<br />

Dank gilt auch noch Schwesternherz Doris, Kolleg/innen und besten Freund/innen, sowie<br />

jungen Menschen in Ansfelden und anderswo: Aber wie ich (auch) bei dieser Arbeit akzep-<br />

tieren musste, dass das Eine zwar das Andere ergibt, aber irgendwann doch einmal Schluss<br />

sein muss, so sei dieser nun hier gesetzt mit diesem.<br />

Günter Kienböck<br />

Linz, am 10. Mai 2008<br />

V


INHALTSVERZEICHNIS<br />

1 Öffentlicher Raum.....................................................................................................................6<br />

1.1 Öffentliche Räume : Versuch einer Definition ..........................................................6<br />

1.2 Die Verdinglichung des Raumes als Grundproblem...............................................10<br />

1.3 Integriertes Verständnis von Raum............................................................................11<br />

1.3.1 Verhäuslichung von Funktionen des <strong>öffentlichen</strong> Raumes 13<br />

1.3.2 Prägung durch Mobilitätsstrukturen 14<br />

1.3.3 Mediatisierung städtischer Öffentlichkeit 16<br />

1.3.4 Verinselung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes 17<br />

1.3.5 Spiegelung der sozialen Polarisierung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum 18<br />

1.3.6 Diffusion und Verflüssigung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes 21<br />

1.3.7 Wandel der <strong>öffentlichen</strong> Räume durch die Individualisierung 22<br />

1.3.8 Informalisierung öffentlicher Verhaltensstandards 24<br />

1.4 Vom Nutzen des <strong>öffentlichen</strong> Raumes .....................................................................24<br />

1.5 Jugend <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum .....................................................................................27<br />

1.5.1 Eine Geringschätzung 27<br />

1.5.2 Die Wichtigkeit von öffentlichem (Frei)Raum für die Jugend 28<br />

1.5.3 Jugendliches Freizeitverhalten in der Stadt:<br />

Eine konfliktbeladene Situation 28<br />

1.5.4 Planerische Konsequenzen für eine <strong>jugend</strong>freundliche Gestaltung 31<br />

2 Die Jugend................................................................................................................................34<br />

2.1 Jugend: Versuch einer Definition...............................................................................34<br />

2.1.1 Die eine Jugend gibt es nicht 35<br />

2.1.2 Selbstbild der jungen Österreicher/innen 36<br />

2.2 Pubertät und Adoleszenz.............................................................................................36<br />

2.2.1 Die Pubertät 36<br />

2.2.2 Adoleszenz 37<br />

2.2.3 Herausforderungen in diesem Lebensabschnitt 38<br />

2.3 Jugend <strong>im</strong> „posttraditionellen Materialismus“..........................................................42<br />

2.3.1 Werte der Jugend 43<br />

2.3.2 Jugend unter Stress 44<br />

2.4 Freundschaften und Cliquen.......................................................................................45<br />

VI


2.4.1 Cliquen 46<br />

2.4.2 Cliquen und Konflikte 51<br />

2.5 Jungen.............................................................................................................................53<br />

2.5.1 Ursachen der Schwierigkeiten ein Junge zu sein 53<br />

2.5.2 Jungen: Opfer und Täter zugleich 55<br />

2.5.3 Ausprägungen der Rollenmuster bei Jungen 57<br />

2.6 Jugend und Gewalt .......................................................................................................58<br />

2.7 Jugendkr<strong>im</strong>inalität.........................................................................................................62<br />

2.7.1 Begriffsdefinition Jugendkr<strong>im</strong>inalität 62<br />

2.7.2 Zur Begrifflichkeit der Jugenddelinquenz 63<br />

2.7.3 Kr<strong>im</strong>inalität gilt als „normales“ Jugendphänomen 63<br />

2.7.4 Typische Delikte der Jugendkr<strong>im</strong>inalität 65<br />

2.7.5 Gründe für die Jugendkr<strong>im</strong>inalität 66<br />

2.7.6 Jugendliche Intensivtäter 66<br />

2.7.7 Jugendkr<strong>im</strong>inalität in Österreich 68<br />

2.7.8 Einschränkungen der Aussagekraft der<br />

polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalitätsstatistiken 69<br />

2.7.9 Gerichtliche Statistik und deren Aussagekraft zur Jugendkr<strong>im</strong>inalität 72<br />

2.7.10 Die Notwendigkeit einer (nicht vorhandenen) Dunkelfeldforschung 73<br />

2.8 Vandalismus...................................................................................................................75<br />

2.8.1 Vandalismus boomt in den Medien 75<br />

2.8.2 Vandalismus in Österreich nach Zahlen 76<br />

2.8.3 Jugendliche sind herausragende Tätergruppe 76<br />

2.8.4 Der Sinn hinter dem scheinbar sinnlosen Zerstören 77<br />

3 Videoüberwachung..................................................................................................................82<br />

3.1 Begriffsbest<strong>im</strong>mungen .................................................................................................82<br />

3.1.1 Videoüberwachung 82<br />

3.1.2 CCTV 83<br />

3.2 Nachweise der Wirkung der Videoüberwachung.....................................................83<br />

3.3 Die Effizienz der Videoüberwachung <strong>im</strong> Hinblick auf eine<br />

kr<strong>im</strong>inalpräventive Wirkung.....................................................................................84<br />

3.3.1 Grundsätzliches zur Qualität der Studien 84<br />

3.3.2 Interne Bewertungen 86<br />

3.3.3 Beispiel einer internen Evaluation: Regensburg 87<br />

VII


3.3.4 Beispiel interne Evaluation Bielefeld 90<br />

3.3.5 Interne Evaluation: Beispiel Bremen 94<br />

3.3.6 Wissenschaftliche Untersuchungen 97<br />

3.3.7 Wissenschaftliche Untersuchung: Beispiel Brandenburg 98<br />

3.3.8 Wissenschaftliche Untersuchung:: Beispiel Berlin 104<br />

3.3.9 Metaevaluationen 108<br />

3.3.10 Die Meta-Evaluation von Welsh und Farrington 109<br />

3.3.11 Die große Studie von Gill & Spriggs 110<br />

3.4 Effekte der Videoüberwachung auf das Sicherheitsgefühl...................................114<br />

3.4.1 Menschliche Sicherheit 114<br />

3.4.2 Das Sicherheitsgefühl 115<br />

3.4.3 Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht 115<br />

3.4.4 Messung der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht 118<br />

3.4.5 Auswirkung der Videoüberwachung auf das Sicherheitsgefühl 119<br />

3.5 Wer wird überwacht?..................................................................................................127<br />

3.5.1 Problem 1: Die Überwachung des Raumes 127<br />

3.5.2 Problem 2: Überforderung durch die Datenflut 128<br />

3.5.3 Problem 3: Die Straf-Täter sehen die Überwachung gelassen 129<br />

3.5.4 Wer wird überwacht? 130<br />

3.6 Ursachen der Videoüberwachung ............................................................................132<br />

3.6.1 Der gesellschaftliche Wandel 133<br />

3.6.2 Die Kommerzialisierung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes 140<br />

3.6.3 Die Rolle bzw. die Veränderung des geltenden Rechtes 142<br />

3.7 Auswirkungen der Videoüberwachung ...................................................................145<br />

3.7.1 Änderung des Anzeigenverhaltens 145<br />

3.7.2 Verlust von Kommunikation und Nähe der Exekutive 146<br />

3.7.3 Unerwünschte Beeinflussung des Verhaltens <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum 147<br />

3.7.4 Ausgrenzung 148<br />

3.7.5 Veränderung des Sozialverhaltens 149<br />

3.7.6 Stadt als unsicherer (und geteilter) Ort 151<br />

3.8 Situation in Österreich ...............................................................................................153<br />

3.8.1 Rechtliche Situation 153<br />

3.8.2 Ausmaß der Videoüberwachung 156<br />

3.8.3 Wirkungsevaluationen in Österreich 157<br />

VIII


3.9 Fazit der Videoüberwachung ....................................................................................164<br />

4 Lösungsansätze ......................................................................................................................166<br />

4.1 Herausforderungen in der real existierenden Gegenwärtigkeit der Situation ....168<br />

4.1.1 Jugendliche <strong>im</strong> Raum, der als nicht ihnen zugedacht gesehen wird 168<br />

4.1.2 Wahrnehmung der Jugendlichen als eine Ansammlung von Defiziten 170<br />

4.1.3 Jugendliche ohne Macht <strong>im</strong> Beteiligungs(sand)spielkasten 172<br />

4.2 Das Konzept der Raumaneignung als Basis einer Lösungssuche........................174<br />

4.3 Grundsätzliche Projektvoraussetzungen .................................................................178<br />

4.4 Gemeinwesenarbeit und sozialräumliche Jugendarbeit als ideale Ergänzung....178<br />

4.5 Wesentliche Aspekte der sozialräumlichen Jugendarbeit......................................180<br />

4.5.1 Gestaltung des Ortes der Jugendarbeit als<br />

Aneignungs- und Bildungs<strong>raum</strong> 180<br />

4.5.2 Positive Sicht öffentlicher Räume gegenüber der<br />

„gefährlichen Straße“ 181<br />

4.5.3 Revitalisierung öffentlicher Räume als <strong>jugend</strong>politisches Mandat 182<br />

4.5.4 Kooperation und Vernetzung 182<br />

4.6 Sozialräumliche Konzeptentwicklung als Projekt..................................................183<br />

4.6.1 Klärung von Zielen 184<br />

4.6.2 Der Sozial<strong>raum</strong> bildet die Ausgangslage 184<br />

4.6.3 Planen und Entscheiden 188<br />

4.7 Ergebnisse und Wirkungen sozialräumlicher Konzeptentwicklungsprozesse<br />

– Ein Ausblick.........................................................................................................190<br />

Literaturverzeichnis.......................................................................................................................193<br />

IX


I. THEMENAUFRISS<br />

In der <strong>öffentlichen</strong> Wahrnehmung - und damit einhergehend in der politischen Debatte –<br />

hat in den letzten Jahren ein offenkundiger Paradigmenwandel stattgefunden: Öffentlicher<br />

Raum und Jugendliche (eine wichtige Nutzer/innengruppe) werden zunehmend unter einem<br />

defizitären, problematisierenden und kr<strong>im</strong>inalisierenden Blickwinkel wahrgenommen<br />

und diskutiert. Der Wunsch nach Sicherheit best<strong>im</strong>mt die Debatte - die sozialpolitische Debatte<br />

rückt dabei in den Hintergrund. Insbesondere das Thema „Jugend und Vandalismus“<br />

rückt dabei in den Mittelpunkt. Als oft einzige Möglichkeit die Sicherheit auf <strong>öffentlichen</strong><br />

Plätzen in den Griff zu bekommen und präventiv gegen Störungen der <strong>öffentlichen</strong> Ordnung<br />

vorzugehen, wird Videoüberwachung gesehen bzw. umgesetzt.<br />

Als Jugendkoordinator bin ich mit dem Thema Jugendliche <strong>im</strong> öffentlichem Raum laufend<br />

konfrontiert. Dabei scheinen sich zwei Wirklichkeiten unversöhnlich gegenüber zu stehen,<br />

die an zwei Beispielen exemplarisch dargestellt seien:<br />

� Im August 2007 veröffentlichte der Gemeindebund eine Umfrage unter den österreichischen<br />

Bürgermeistern. Ergebnis: 58 % der Gemeinden bezeichnen Vandalismus<br />

als aktuelles Thema, 73 % der Bürgermeister meinen, dass Videoüberwachung<br />

das Sicherheitsempfinden in der Gemeinde heben würde.<br />

� Im Herbst 2006 wurde die Ansfeldner Jugendstudie (Auftraggeber: Jugendbüro<br />

Ansfelden, Durchführung: Universität Linz, Institut für Soziologie, Lernprojekt unter<br />

der Leitung von Fr. Dr. Marlies Tschemer) fertiggestellt. Dabei kristallisierte sich<br />

in der freien Nennung „Was wäre die wichtigste Verbesserung“ neben der Frage der<br />

interkulturellen Integration vor allem der Bereich öffentliche Plätze heraus. Dabei<br />

zeichnet sich klar ein grundsätzlich positiver Zugang zum Handlungsfeld „Jugend<br />

und öffentliche Plätze“ ab: Vor allem Verbesserungen des <strong>öffentlichen</strong> Raumes<br />

wurden hier eingefordert.<br />

Obwohl man – zumindest in der Wahrnehmung und <strong>im</strong> Bedarf an <strong>öffentlichen</strong> Räumen –<br />

1


von zwei Wirklichkeiten sprechen kann, ist die Realität der Entwicklung eine Eindeutige:<br />

Das Paradigma der Sicherheit <strong>mittels</strong> Kontrolle und Überwachung ist die herrschende<br />

Handlungsoption, um die <strong>öffentlichen</strong> Plätze „wieder in den Griff zu bekommen“. Die<br />

Videoüberwachung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum hat ihren Siegeszug angetreten und setzt diesen<br />

unbeirrt fort bzw. wird zunehmend intensiviert<br />

In Österreich gibt es wenig Widerspruch und Reflexion in dieser (sozial)politischen und <strong>öffentlichen</strong><br />

Debatte. Zu klar scheint der Trend der Jugend hin zum gewalttätigen und kr<strong>im</strong>inellen<br />

Verhalten. Zu eindeutig scheinen die positiven Wirkungen von der Überwachung der<br />

<strong>öffentlichen</strong> Plätze auf der Hand zu liegen. Widerspruch gibt es in diesem Diskussionsfeld<br />

in Österreich nur in beschränktem Maße – und hier vor allem von Seiten der Datenschützer/innen.<br />

Abseits von den Bedenken von Datenschützer/innen stellt sich für die Jugendarbeit eine<br />

Fülle von Fragen:<br />

� Entwickeln sich die Sichtweisen und Realitäten der wahrgenommenen <strong>öffentlichen</strong><br />

und politischen Debatte und den Bedürfnissen einer der wichtigsten Nutzer/innengruppe<br />

entscheidend auseinander?<br />

� Kommen Jugendliche und ihre Interessen, ihre Notwendigkeiten zu einer gedeihlichen<br />

Entwicklung <strong>im</strong> gesellschaftlichen Rahmen unter die Räder? Oder anders gefragt:<br />

Sind junge Menschen die ersten Opfer einer Veränderung eines neues Paradigmas<br />

der Sicherheit hin zu Repression und Kontrolle, die nach und nach die gesamte<br />

Gesellschaft erreichen wird? Drängt dieser Paradigmenwechsel nicht gerade<br />

den sozialen Sektor zunehmend in die Rolle des „Verwalters von Auffälligkeiten<br />

und Defiziten“ die <strong>im</strong> Zuge dieses Wechsels entstehen?<br />

� Ist die Jugend – und mir ihr die Jugendarbeit als Teil des sozialen Sektors – der zunehmenden<br />

Kr<strong>im</strong>inalisierung in der Debatte ausgeliefert, von Stadtplanung und -<br />

Nutzung zunehmend ausgeschlossen und der stückweisen Entziehung eines der<br />

wichtigsten Entwicklungsfelder - den <strong>öffentlichen</strong> Räumen - hilflos ausgesetzt?<br />

2


In dieser Master Thesis soll aufgezeigt werden, wie wichtig die Debatte um den <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum für die Jugend, die Gesellschaft und den sozialen Sektor ist. Für Träger/innen der<br />

Jugendarbeit, Beschäftigte und insbesondere Führungskräfte <strong>im</strong> Bereich der Jugendarbeit<br />

wird es zunehmend unerlässlich, sich verstärkt in diese Debatte der <strong>öffentlichen</strong> Plätze und<br />

deren künftige Gestaltung sowie Handhabung einzubringen, um diesen wesentlichen Lebens-<br />

und Entwicklungsbereich von (jungen) Menschen nicht den (erwachsenen) Stadtplaner/innen<br />

und Sicherheitsfachleuten alleine zu überlassen.<br />

Als Jugendkoordinator, der mit dieser Master Thesis den Lehrgang „Sozialmanagement“<br />

abschließen will, lautet daher die zentrale Frage: Ist Kontrolle und Überwachung auf <strong>öffentlichen</strong><br />

Plätzen der Weisheit letzter Schluss, oder gibt es konkrete Impulse aus dem Sozialmanagement,<br />

um Gestaltungsmöglichkeiten zu erarbeiten, die nicht auf reines Sicherheitsdenken<br />

fixiert sind, sondern „soziales Management“ der verschiedenen Interessen in <strong>öffentlichen</strong><br />

Räumen ermöglichen?<br />

3


2. AUFBAU DER ARBEIT UND METHODE<br />

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen Jugend und öffentliche Räume. Besonderes Augenmerk<br />

wird dabei der vorherrschenden Debatte dieser beiden „Phänomene“ gewidmet: Während<br />

beide tatsächlich eine wichtige Ressource für das gesellschaftliche Gedeihen spielen<br />

(könnten), werden beide vielfach unter dem Aspekt der (nicht mehr gewährleisteten) Sicherheit<br />

diskutiert und abgehandelt. Diese Master Thesis soll dazu beitragen, den Blick wieder<br />

verstärkt auf die Chancen und Potentiale – sowohl die der Jugend als auch die der <strong>öffentlichen</strong><br />

Räume – zu lenken.<br />

Im ersten Abschnitt wird daher der öffentliche Raum definiert und diskutiert. Dabei werden<br />

Raumtheorien andiskutiert, die bei einem offensiven, sozial geprägten Andenken von<br />

Raumfragen behilflich sein können. Insbesondere werden in diesem Abschnitt die speziellen<br />

Bedürfnisse von Jugendlichen an öffentliche Räume erörtert und der Frage nachgegangen,<br />

warum der öffentliche Raum ein derart umstrittener zwischen Jugend- und Erwachsenenwelt<br />

ist.<br />

Daran anknüpfend steht <strong>im</strong> zweiten Abschnitt die Jugend von heute <strong>im</strong> Fokus. Besonderes<br />

Augenmerk liegt dabei auf den Aspekten, die derzeit wesentlich die <strong>öffentlichen</strong> Debatte<br />

prägen: Das aggressive Verhalten, die Jugendkr<strong>im</strong>inalität und der <strong>jugend</strong>liche Vandalismus.<br />

Das dritte Kapitel widmet sich ganz der Sicherheit. Speziell die Sicherheit, die man sich von<br />

Kontrolle und Überwachung – insbesondere der Videoüberwachung - erwartet, wird hier<br />

durchleuchtet. Aufgrund von den drei Parametern der Effizienz der Videoüberwachung<br />

bezüglich Kr<strong>im</strong>inalitätsprävention, Sicherheitsempfinden und den tatsächlich überwachten<br />

Personen wird aufgrund vorliegender Studien die Wirkung von Videoüberwachung untersucht.<br />

Auch der Frage nach den tieferen Ursachen des Siegeszuges der Videoüberwachung<br />

wird hier nachgegangen. Schließlich werden hier auch unerwünschte „Nebenwirkungen“<br />

der Kameraüberwachung diskutiert. Grundsätzliches soll die Frage geprüft werden, ob die<br />

Videoüberwachung ein taugliches Mittel <strong>im</strong> Management von <strong>öffentlichen</strong> Plätzen ist.<br />

4


III. LÖSUNGSANSÄTZE<br />

Unabhängig davon, ob sich die Videoüberwachung <strong>im</strong> Zuge der Analyse als wirksames oder<br />

wirkungsloses Mittel <strong>im</strong> Management der <strong>öffentlichen</strong> Räume darstellt, eine Feststellung<br />

steht <strong>im</strong> (<strong>öffentlichen</strong>) Raum: Der <strong>im</strong>mens wichtige Bereich „Öffentliche Plätze und Gesellschaft“<br />

– der Fokus auf Jugendliche – sollte <strong>im</strong> sozialen Sektor eine wichtigere Rolle<br />

spielen und verdient mehr Aufmerksamkeit.<br />

Sozialmanagement kann sich eines reichen Fundus an Methoden bedienen. In der Verknüpfung<br />

von „Wissen was Sache ist“ (Inhalt) und „Wissen wie etwas zu tun ist“ (Sozialmanagementmethoden)<br />

verbirgt sich möglicherweise ein Schlüssel zum Öffnen der Problem-<br />

Büchse (oder Schatzkiste) „Jugend <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum“.<br />

Daher versucht diese Thesis <strong>im</strong> abschließenden Abschnitt – anknüpfend an bisherige Erfahrungen<br />

– mit Methoden des Projektmanagements ein Modell zu entwickeln, das für Gemeinden<br />

eine Handreichung darstellen kann, den <strong>öffentlichen</strong> Raum – je nach Ergebnis dieser<br />

Arbeit begleitend oder alternativ zur Kontrolle und Überwachung – sozial zu denken<br />

und sozial zu managen.<br />

5


1 ÖFFENTLICHER RAUM<br />

Jede/r nutzt ihn, jede/r nutzt ihn anders, jede/r versteht darunter etwas anderes: Kaum et-<br />

was ist so allgegenwärtig, vielgenutzt und trotzdem (aufgrund der Selbstverständlichkeit des<br />

Da-Seins) so wenig reflektiert wie der öffentliche Raum. Jede/r versteht darunter etwas an-<br />

deres: Die Straße, den örtlichen Hauptplatz, oder den Bereich des Lieblingscafés, der <strong>im</strong><br />

Freien liegt und an schönen Tagen zum Verweilen einlädt. Auch die (private) Einkaufspas-<br />

sage oder der städtische Park kommen für diese Assoziation in Frage. Fakt ist: Die rechtli-<br />

che (Eigentums)Situation spielt in der Regel für die Wahrnehmung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes<br />

keine Rolle. Grundsätzlich wird das als öffentlich wahrgenommen, wo sich (mehrere) Men-<br />

schen treffen und ihrer (Freizeit)Beschäftigung nachgehen. Nachdem es viele Varianten der<br />

Nutzung und des Erlebens des <strong>öffentlichen</strong> Raumes gibt, ist auch - abseits der juristischen<br />

(die in der Praxis kaum eine Rolle spielt) - die wissenschaftliche Definition eine schwierige.<br />

1.1 Öffentliche Räume : Versuch einer Definition<br />

Oliver Frey lehnt sich mit seiner Definition an Nissen (Nissen 1998: 170) an und unterscheidet<br />

drei verschiedene Typen von <strong>öffentlichen</strong> Räumen: 1<br />

• „öffentliche Freiräume“ (Grünflächen, Parks, Spielplätze, der Straßen<strong>raum</strong>)<br />

• „Öffentlich zugängliche verhäuslichte Räume“ (Kaufhäuser, U-Bahnhöhe etc.)<br />

• „Institutionalisierte öffentliche Räume“ (Sportanlagen, Vereine, Ballet- und Musikschulen, Schul-<br />

räume, Kirchenräume etc.)<br />

Für ihn wird der (urbane) öffentliche Raum über die dort stattfindende Nutzung definiert.<br />

Dabei spielen die allgemeinen Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten die entscheidende Rol-<br />

le: Alle Räume, die prinzipiell öffentlich aufgesucht und genutzt werden können, sind dem-<br />

1 Quelle: Frey, Oliver: Urbane öffentliche Räume als Aneignungsräume. Lernorte eines konkreten Urbanismus?.<br />

In: Deinet, Ulrich/Reutlinger, Christian (Hrsg.): "Aneignung" als Bildungskonzept der Sozialpädagogik,<br />

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, S 223<br />

6


nach als öffentliche Räume zu verstehen. 2<br />

Schubert geht mit seiner „typologischen Unterscheidung“ auf der Grundlage einer integrier-<br />

ten Theorie des <strong>öffentlichen</strong> Raumes (vgl. Kapitel Integriertes Verständnis von Raum) einen<br />

Schritt weiter und entwickelte „zwölf Settings gelebter öffentlicher Räume“, die die soziale<br />

Produktion urbaner öffentlicher Räume repräsentieren. 3<br />

Tabelle 1: Typologie gelebter öffentlicher Stadträume nach Schubert 4<br />

2<br />

vgl. Frey (2004), S 223<br />

3<br />

vgl. Schubert, Herbert: Städtischer Raum und Verhalten - Zu einer integrierten Theorie des <strong>öffentlichen</strong> Raumes.<br />

Leske+Budrich, Opladen 2000, S 56<br />

4<br />

Quelle: Schubert (2000), S 60<br />

7


1) Diese speziellen „Räume für Öffentlichkeiten“ wurden in den vergangenen Jahr-<br />

zehnten unter verteilungspolitischen Raumvorstellungen geschaffen. Schubert weist<br />

darauf hin, dass die Infrastruktureinrichtungen „sozialräumliche Funktionen der Integrati-<br />

on in Wohngebieten“ 5 übernehmen. Dabei handelt es sich vor allem um Räume <strong>im</strong> öf-<br />

fentlichen Eigentum, die gewisse Zugangsberichtigungen - wie z.B. Eintritt – ver-<br />

langen.<br />

2) Diese auffälligen Orte sind markante Zeichen der tieferen Wurzeln der urbanen<br />

Kultur, die damit sichtbar gemacht und bewahrt werden können. Sie erfordern eine<br />

besondere planerische Behutsamkeit.<br />

3) Im Wohnumfeld entsteht Öffentlichkeit in der Nähe des Wohnbereiches, die an die<br />

privaten Räume unmittelbar angrenzt. „Dieses Grundmuster markiert den Übergang von<br />

privaten Lebensräumen zu halb<strong>öffentlichen</strong>, d.h. eingeschränkt genutzten sowie zu öffentlich ver-<br />

trauten Außenräumen in der Nähe der Wohnungen.“ 6 Dabei handelt es sich sowohl um<br />

Privatgrundstücke als auch um öffentlich gewidmete Flächen.<br />

4) Diese Übergangsbereiche sind in der Regel nur aus der Privatsphäre her zugänglich,<br />

liegen aber <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Wahrnehmungsbereich.<br />

5) Verkehrsflächen und –rändern spielen erst in jüngerer Geschichte eine wichtige Rol-<br />

le <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum. „Sie repräsentieren – meistens als Straßen – Flächen für die Raumüberwindung<br />

mit technischen Fahrzeugen.“ 7<br />

6) Bei diesen „Innenräumen von <strong>öffentlichen</strong> Verkehrsmitteln“ hebt Schubert die Pat-<br />

terns der Sitzordnung hervor, die meist seriell und parallel organisiert ist. Damit<br />

wird das Kontaktrisiko unter Fremden zunehmend min<strong>im</strong>iert.<br />

7) Diese „konsumorientierten Erlebnissorte“ verfügen über eine große Anziehungs-<br />

kraft. Obwohl sie oftmals in privatem Eigentum sind, suggerieren sie urbane Öf-<br />

fentlichkeit. „Sie konstituieren Öffentlichkeit über die Bedingungen des Tausches in Handel so-<br />

5<br />

Quelle: Schubert (2000), S 56<br />

6<br />

Quelle: Schubert (2000), S 56 ff<br />

7<br />

Quelle: Schubert (2000), S 57<br />

8


wie Dienstleistung und sind von einer Tendenz gekennzeichnet, durch die Gestaltung attraktiver<br />

Räume, das Umfeld für die Tauschbeziehungen sowohl für die Kunden als auch für die Geschäftsleute<br />

zu opt<strong>im</strong>ieren.“ 8<br />

8) An diesen Orten kann die Ausführung von privaten Tätigkeiten von Fremden beo-<br />

bachtet werden. Häufig sind diese Räume in privatem Eigentum, aber auch Einrich-<br />

tungen durch öffentliche Träger und Nischen an Verkehrswegen sind damit ge-<br />

meint.<br />

9) Die Mitte von Siedlungen wird durch archetypische Raumvorstellungen besonders<br />

hervorgehoben. „Diese Orte werden nicht nur als ‚Herz’ und als historische Ke<strong>im</strong>zelle von<br />

Städten und Siedlungen inszeniert, sondern auch aktiv so gelebt.“ 9<br />

10) Dieser „vergessene“ Raumtyp befindet sich zwar meist in privater Hand, ist aber<br />

vor allem durch Jugendliche und Kinder (als Spielfläche oder Treffpunkt) angeeig-<br />

net worden.<br />

11) Diese neuere Raumvorstellung sieht unter einer netzwerkorientierten Perspektive<br />

den „Austausch, der unter Menschen außerhalb ihrer Privatsphäre stattfindet, als konstitutiv für<br />

Öffentlichkeit“ 10 an. Da hier der räumliche Kontext keine Rolle spielt, müssen diese<br />

Austauschsorte nicht lokal verankert sein: „Ihre Orte erweitern das gewohnte Spektrum von<br />

Vorstelllungen öffentlicher Außenräume um sozial konstituierte Kommunikationsräume wie Ver-<br />

einräume und Treffpunkte, die von den traditionellen Orten urbaner Öffentlichkeit – wie zum Bei-<br />

spiel zentrale Stadtplätze, öffentliche Infrastruktureinrichtungen, Konsumfeld und Wohnnahbereiche<br />

– relativ unabhängig sind.“ 11<br />

12) Diese Raumvorstellung ist eine nicht physikalische, schafft aber <strong>mittels</strong> lokalem Be-<br />

zug und Kommunikationsmöglichkeit Öffentlichkeit.<br />

Diese weitgefasste Definition von Schubert dokumentiert sichtbar, wie ein neues Verständ-<br />

8<br />

Quelle: Schubert (2000), S 57<br />

9<br />

Quelle: Schubert (2000), S 58<br />

10<br />

Quelle: Schubert (2000), S 58<br />

11<br />

Quelle: Schubert (2000), S 58<br />

9


nis von Raum weit über die naturwissenschaftliche Sichtweise hinausgeht.<br />

1.2 Die Verdinglichung des Raumes als Grundproblem<br />

Der Planung und den Planungswissenschaften liegt bei der Sichtweise auf den <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum in der Regel ein naturwissenschaftliches Raumverständnis zu Grunde. Ausgehend aus<br />

der Antike (Raum als Schachtel) und angelehnt an Newton wird mit dem „absoluten Raum“<br />

ein klassisches Bild der Physik fortgeschrieben, das den Raum und die körperlichen Objekte<br />

darin entkoppelt. In diesem Raumbild ist der funktionale Kontext der gesellschaftlich-<br />

sozialen Inhalte völlig ausgeblendet. Der Raum scheint dabei völlig unabhängig zu sein von<br />

den Menschen, die diesen organisieren und in ihm leben. Albert Einstein hat bereits 1954<br />

darauf hingewiesen, dass die Vorstellung eines leeren Raumes (des „Container“-Raums), der<br />

unabhängig von den Körpern existiert, selbst für die Naturwissenschaften unbrauchbar<br />

ist. 12 Nichts desto trotz hat sich in den Planungswissenschaften der relationale Ansatz (in<br />

dem Raum und Materie eine Einheit bilden) noch nicht sehr verbreiten können. Weil die<br />

Aufgaben der Planung und Gestaltung auf der Grundlage der euklidischen Geometrie gelöst<br />

werden, hat sich das klassisch physikalische Raumverständnis in der Praxis und in der<br />

Wahrnehmung nachhaltig gefestigt. „In den Disziplinen Städtebau, Architektur und Raumplanung<br />

herrscht zumeist die Vorstellung von ‚objektiven’ Räumen, die vermessbar und abgrenzbar sind. Dabei wird<br />

der öffentliche Raum auf ein neutrales Gefäß reduziert, das materielle, körperliche Objekte in sich auf-<br />

n<strong>im</strong>mt.“ 13<br />

Die soziale Raumnutzung wird vom physikalischen Raumverständnis abgespalten und als<br />

eigener Typ den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften zugeführt. 14 Die klassisch-<br />

physikalisch orientierten Planungszugänge orientieren sich am Modell einer „Stadtbildpla-<br />

12 Quelle: Löw, Martina: Einstein, Techno und der Raum. Überlegungen zu einem neuen Raumverständnis in<br />

den Sozialwissenschaften. In: Deinet, Ulrich/Gilles, Christoph/Knopp, Reinhold (Hrsg.): Neue Perspektiven in der<br />

Sozial<strong>raum</strong>orientierung. D<strong>im</strong>ensionen – Planung – Gestaltung. 2. Aufl., Frank und T<strong>im</strong>me Verlag für wissenschaftliche<br />

Literatur, Berlin 2007, S 9 ff<br />

13 Quelle: Frey (2004), S 219 ff<br />

14 vgl. Schubert (2000), S 11 ff<br />

10


nung“, die sich gerade dadurch verselbstständigt und zersplittert: „Relativ isoliert voneinander<br />

schaffen die Professionen der Architekten und Stadtplaner öffentliche Räume nach dem Paradigma der<br />

Rahmung durch Bebauung; die Professionen der Frei<strong>raum</strong>planer gestalten die dabei zwischen den privaten<br />

Grundstücken entstehenden Flächen nach dem Paradigma des <strong>öffentlichen</strong> Frei<strong>raum</strong>s und wieder andere<br />

konzipieren die verbindenden Verkehrsflächen. Dies führt <strong>im</strong> Wettbewerb, wer die schönsten <strong>öffentlichen</strong><br />

Räume schafft, zu einer eklektischen Design-Orientierung.“ 15 Da es aber keinen verbindlichen bzw.<br />

verständlichen Kodex für die gestalterischen Maßnahmen des <strong>öffentlichen</strong> Raumes gibt,<br />

entstehe eine große Un<strong>sicherheit</strong> und Unübersichtlichkeit: „Der Besitznahme öffentlicher Räume<br />

durch den Autoverkehr, der unkoordinierten Best<strong>im</strong>mung des Stadtbildes durch die Wirtschaftskraft der<br />

Bauherren oder auch der Schicht der Reklamezeichen, die den <strong>öffentlichen</strong> Raum in zentralen Bereichen der<br />

Städte geradezu überwuchert, wird eine stadtzerstörende Wirkung zugeschrieben.“ 16<br />

Die Verdinglich des Raumes und seine Sicht als „Container“ birgt auch – <strong>im</strong> speziellen<br />

Blick auf junge Menschen - Gefahren in sich, wie Christian Reutlinger herausarbeitet: „Da-<br />

durch drohen die biographischen Bewältigungsformen und die sozialemotionalen Bildungsaufgaben der Le-<br />

bensphase Jugend, also die Lebensbereiche von Jugendlichen, die nicht nach der systemrationalen Logik funk-<br />

tionieren, in der Unsichtbarkeit zu versinken. Deshalb muss vor jeder Verdinglichung des Sozial<strong>raum</strong>s<br />

gewarnt werden.“ 17<br />

1.3 Integriertes Verständnis von Raum<br />

Baulich-gestalterische Raumbildungen sind alleine nicht in der Lage, Öffentlichkeit zu er-<br />

zeugen, sondern können diese nur aufnehmen. Öffentlichkeit ist grundsätzlich ein gesell-<br />

schaftliches Phänomen, das von sozialen Entwicklungen best<strong>im</strong>mt wird. Um dieses erwei-<br />

terte Raumverständnis beschreiben zu können, wurde aufbauend auf Henri Lefebvre das<br />

15 Quelle: Schubert (2000), S 22<br />

16<br />

Quelle: Schubert (2000), S 21<br />

17<br />

Quelle: Reutlinger, Christian: Sozialpädagogische Räume - sozialräumliche Pädagogik. Chancen und Grenzen<br />

der Sozial<strong>raum</strong>orientierung. In: Deinet, Ulrich/Gilles, Christoph/Knopp, Reinhold (Hrsg.): Neue Perspektiven in<br />

der Sozial<strong>raum</strong>orientierung. D<strong>im</strong>ensionen – Planung – Gestaltung. 2. Aufl., Frank und T<strong>im</strong>me Verlag für<br />

wissenschaftliche Literatur, Berlin 2007, S 23<br />

11


„Paradigma der sozialen Produktion urbaner Räume“ abgeleitet. Es konzentriert sich dar-<br />

auf, dass Raummuster vom System der sozialen und gesellschaftlichen Organisation ge-<br />

schaffen wurden. Raum, Zeitgeschichte und Lebensformen sind in dieser integrierten Theo-<br />

rie ineinander verflochten. Unser Verständnis von Raum, das durch Wahrnehmung, Vor-<br />

stellung und durch Lebensvollzug <strong>im</strong> Sinne gelebter Räumlichkeit generiert wird, repräsen-<br />

tiert dabei die Entwicklung der wissenschaftlichen Raum-Erkenntnis <strong>im</strong> historischen Pro-<br />

zess: 18<br />

1. Der wahrgenommene Raum bezieht sich auf materiell–physikalische Räumlichkeit. Im<br />

Alltag orientiert sich die Wahrnehmung an den Routinen der Raumnutzung.<br />

2. Der vorgestellte Raum entspricht einem objektivierten Denkprinzip. Denn eine konkrete<br />

Räumlichkeit muss auf eine formale Raumvorstellung reduziert werden, wenn eine plange-<br />

leitete Gestaltung natürlicher und gebauter Umwelten beabsichtigt ist.<br />

3. Die gelebte Räumlichkeit bezieht sich auf die komplexe Gesamtsituation. Wie eine pasto-<br />

se Kruste überlagern sozial erzeugte Symbole den physikalischen Raum und verfestigen<br />

sich zur gelebten Räumlichkeit.<br />

Der öffentliche Raum spiegelt damit die Entwicklung der Gesellschaft und der Individuen<br />

und darf daher auch nicht zur Sache verdinglicht werden. Der Raum ist auch nicht als Ge-<br />

genstand abseits der historischen Entwicklung zu behandeln, sondern es gilt, ihn vielmehr<br />

„als sozialräumlichen Prozess aufzufassen, in dem sich Raum- und Sozialfiguren korrespondierend wan-<br />

deln.“ 19<br />

Frey weist darauf hin, dass die Nutzer/innen , die sozialen Akteur/innen in den Räumen,<br />

durch inkorporierte soziale Strukturen mit sozialen Erfahrungen und einer verinnerlichten<br />

Geschichte gekennzeichnet sind: „Aus der Wechselbeziehung zwischen den objektivierten sozialen<br />

Strukturen der Materie und den sie nutzenden Akteuren entsteht ihrerseits wiederum inkorporierte Ge-<br />

18 Quelle: Schubert (2000), S 102<br />

19 Quelle: Schubert (2000), S 36<br />

12


schichte. Die <strong>öffentlichen</strong> Räume sind Ergebnis einer gesellschaftlichen Produktion in einem langfristigen<br />

historischen Entwicklungsprozess.“ 20<br />

Die wesentlichen Linien in diesem sozialräumlichen Prozess nach Schubert sind folglich<br />

dargestellt, um die Entwicklung und die Situation des <strong>öffentlichen</strong> Raumes verständlich zu<br />

skizzieren.<br />

1.3.1 Verhäuslichung von Funktionen des <strong>öffentlichen</strong> Raumes<br />

Durch die großen technischen Errungenschaften (Elektrifizierung, Motorisierung und damit<br />

einhergehend neue Standards des Komforts wie Beheizung, Innenbeleuchtung, Abfallent-<br />

sorgung etc.) erlebte die Verhäuslichung <strong>im</strong> 18. Jahrhundert einen wesentlichen Schub. Vie-<br />

le Tätigkeiten, die vorher <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum ausgeführt wurden, wurden somit in die<br />

Innenräume verlagert. Diese Verhäuslichung ist als ein langanhaltender Trend während des<br />

Zivilisationsprozesses zu verstehen, der 3 markante Veränderungen bewirkt(e):<br />

1. Die Straßenöffentlichkeit verlagerte sich in gemeinschaftliche Höfe und privates<br />

Wohnen<br />

2. Lokale Märkte auf städtischen Plätzen verlagerten sich in öffentliche Bereiche<br />

der Markzentren und zum großflächigen Einzelhandel<br />

3. Soziale Treffpunkte auf Stadtplätzen wanderten in soziokulturelle Einrichtungen<br />

(Vereinshe<strong>im</strong>e, Kultureinrichtungen, Gaststätten). 21<br />

„Dieser Prozess gipfelt in einer Entlokalisierung sozialer Lebenszusammenhänge, die einerseits in einer<br />

Virtualisierung des Öffentlichen und andererseits in der Tendenz der Globalisierung und Weltsystembildung<br />

Ausdruck findet.“ 22<br />

Durch diesen Prozess der Verhäuslichung wurde die Bedeutung von privaten und über-<br />

dachten Räumen erhöht. Damit wurde einerseits der öffentliche Raum in Innenräume trans-<br />

20<br />

Quelle: Frey, (2004), S 221<br />

21<br />

vgl. Schubert (2000), S 38<br />

22<br />

Quelle: Schubert (2000), S 39<br />

13


feriert, andererseits wurden diese Innenräume als öffentliche Räume inszeniert. Diese in-<br />

szenierten (und privaten Räume) wie beispielsweise Einkaufszentren oder Parkhäuser ver-<br />

decken mit dem suggerierten <strong>öffentlichen</strong> Raum den privaten Charakter dieser Räume und<br />

die dahinter liegenden wirtschaftlichen Interessen. 23 Mit einer fatalen Wirkung auf den tat-<br />

sächlich <strong>öffentlichen</strong> Raum: „In den Köpfen der Bevölkerung setzt sich dieses Bild des sicheren und<br />

sauberen Raumes, des anständigen Benehmens der Passanten und des Ausschlusses von Personen mit abwei-<br />

chendem Verhalten als Idealtyp des Öffentlichen fest. Akzeptanz als öffentliche Räume finden nur urbane<br />

Bereiche, die die gesellschaftlichen Widersprüche ausgrenzen bzw. überdecken. Dabei wird kaum wahrge-<br />

nommen, dass es gerade die Rahmenbedingungen des Privateigentums sind, die solche klaren Ordnungsstruk-<br />

turen erlauben. Die <strong>öffentlichen</strong> Räume sind demgegenüber Spiegel der Stadtgesellschaft; ihre Nutzung lässt<br />

sich nicht in derselben Weise regulieren.“ 24<br />

Aber auch eine Ausdehnung von privaten Aktivitäten in den <strong>öffentlichen</strong> Raum hinein ist<br />

zu beobachten: Beispiele dafür sind Werbetafeln in Fußgängerzonen oder Sitzgelegenheiten<br />

der Gastronomie. „Dort dominieren dann auch private Umfangsformen und inszenierte Sicherheiten und<br />

Ordnungen; <strong>im</strong> weitestgehenden Fall kommt es zu einer Gleichsetzung öffentlicher Räume und dem Ein-<br />

kaufsbereich.“ 25 Es können allerdings auch positive Auswirkungen von diesen Privatisierungs-<br />

tendenzen ausgehen: diese Initiativen können beispielsweise Denkanstöße für den <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum bewirken und neue Qualitätsstandards kreieren. 26<br />

1.3.2 Prägung durch Mobilitätsstrukturen<br />

Durch die zunehmende Mobilität wurde auch die Öffentlichkeit zunehmend verleugnet,<br />

was dazu führte, dass die konsequente Trennung der Funktionen <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum be-<br />

gann. „Die wohl empfindlichste Einschränkung eines ungestörten Aufenthaltes in verschiedenen <strong>öffentlichen</strong><br />

Räumen der Stadt ist der in dem letzten halben Jahrhundert rapide gestiegene motorisierte Individualver-<br />

23<br />

vgl. Schubert (2000), S 39<br />

24<br />

Quelle: Schubert (2000), S 40<br />

25<br />

Quelle: Herlyn, Ulfert/Seggern, Hille/Heinzelmann, Claudia/Karow, Daniela: Jugendliche in <strong>öffentlichen</strong> Räumen<br />

der Stadt. Leske+Budrich, Opladen 2003, S 19<br />

26<br />

vgl. Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 19<br />

14


kehr.“ 27<br />

Durch die Konzentration auf die Planung des Straßenverkehrs wurden die Gebäude entlang<br />

der Straßen nur mehr als Fassade wahrgenommen und die Schnittpunkte privater Interessen<br />

hin zum <strong>öffentlichen</strong> Raum hin nicht beachtet. Der Aufenthalt auf der Straße ist durch die<br />

moderne Fortbewegungstechnik gehemmt, der öffentliche Raum verliert seine unabhängige<br />

Erfahrungsqualität. Eine neue Form der Isolation entsteht, weil die Menschen in ihren<br />

Fortbewegungsmitteln eingeschlossen sind und dem Raum kaum mehr als diesen Zweck<br />

der Fortbewegung zuschreiben. Folglich wird die Straße nicht mehr als öffentlicher Raum,<br />

sondern pr<strong>im</strong>är dem Verkehrssystem zugerechnet. Fußgänger treten auf diesen Straßen<br />

nicht mehr als Akteure auf, die den <strong>öffentlichen</strong> Raum konstituieren, sondern sind vielmehr<br />

in das Verkehrssystem inkludiert. Sie können aufgrund des langsamen Tempos zwar noch<br />

Kommunikationsangebote nutzen, die Kommunikationsfunktion ist allerdings min<strong>im</strong>al ge-<br />

worden. 28<br />

Dies hat auch Auswirkungen auf das konkrete Leben in der Öffentlichkeit: „Je mehr die Öf-<br />

fentlichkeit in den Städten von einer hohen räumlichen Mobilität gekennzeichnet ist, desto mehr wird das<br />

Schweigen zu einem Schutzwall individueller Privatheit. Es formte sich als persönliches Recht heraus, nicht<br />

von Fremden angesprochen zu werden und auch selbst die anderen zu ignorieren, um nicht deren Privatsphä-<br />

re zu verletzen. Im Gegensatz zu vorangegangenen Jahrhunderten wird die Begegnung <strong>im</strong> urbanen öffentli-<br />

chen Raum nicht mehr von Konventionen der Höflichkeit bei anonymer Kontaktaufnahme geprägt, sondern<br />

von weitgehender Ignoranz, als ob Menschen, die sich <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum begegnen, allein dort wären,<br />

bzw. der jeweilig andere nicht existent wäre.“ 29<br />

In der räumlichen Umsetzung findet man diese Prägung beispielsweise an der Sitzordnung<br />

in <strong>öffentlichen</strong> Verkehrsmitteln wieder (Parallelisierung des Blickes und serielle Anord-<br />

nung).<br />

27 Quelle: Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 17<br />

28 vgl. Schubert (2000), S 40 ff<br />

29 Quelle: Schubert (2000), S 41<br />

15


1.3.3 Mediatisierung städtischer Öffentlichkeit<br />

Prozesse wie z.B. die Globalisierung haben das Interesse vom Lokalen hin zur Öffentlich-<br />

keit der überlokalen Massenmedien verschoben. Das ursprünglich lokale Politikgeschehen<br />

(das sich sozusagen vor den eigenen Augen abspielte) wurde durch die Herstellung einer<br />

politischen Öffentlichkeit durch die modernen Massenmedien übernommen und der Erfah-<br />

rungs<strong>raum</strong> damit entscheidend ausgeweitet . „Unter diesem erweiterten Bezugshorizont ist die Integ-<br />

ration in die Stadtöffentlichkeit vom einzelnen Individuum kaum noch zu leisten. Durch die Entwicklung<br />

der Massenmedien hat der öffentliche Raum der Stadt seine politischen Funktionen weitgehend an den privaten<br />

Raum verloren.“ 30<br />

Interessen, die auf der Straße artikuliert werden, zeigen sich daher als politisch schwach. Die<br />

Massenmedien haben die Aufgaben der Öffentlichkeit übernommen. Durch die neuen In-<br />

formations- und Kommunikationstechnologien verlagerten sich zunehmend Funktionen<br />

aus dem <strong>öffentlichen</strong> Raum hin in den privaten Bereich (Fernsehen als Information, Inter-<br />

net-Chatten als Kommunikation). Ein Aspekt dabei ist auch die Verlagerung der privaten<br />

Sphäre hin zu den Umlandgemeinden. „Da Privatheit nicht mehr in der Wechselbeziehung zur Öf-<br />

fentlichkeit gewonnen werde, verlieren die urbanen <strong>öffentlichen</strong> Räume nach der politischen nun auch die lo-<br />

kale Funktion. Räumliche Nähe ist kein vorrangiges Kriterium mehr für die Wahl von Wohn- und Arbeits-<br />

oder auch Infrastrukturstandorten.“ 31<br />

Während in diesem Prozess die Menschen verstärkt in private Räume hineingehen, verlas-<br />

sen die Medien diese Privatsphäre und drängen in den <strong>öffentlichen</strong> Raum, um diesen als<br />

Ort der Massenkommunikation zu nutzen (beispielsweise Großbildschirme in U-<br />

Bahnstationen und auf zentralen Plätzen.) Dadurch fördern sie eine weitere Anonymisie-<br />

rung des <strong>öffentlichen</strong> Lebens, weil dadurch Begegnungen zwischen den Menschen vermie-<br />

den werden können.<br />

30 Quelle: Schubert (2000), S 42<br />

31 Quelle: Schubert (2000), S 43<br />

16


1.3.4 Verinselung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes<br />

Den gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen folgt die soziale und räumliche Fragmen-<br />

tierung. Voneinander relativ isolierte Erfahrungs- und Milieuräume führen zu einer Verinse-<br />

lung der Stadt. Schubert bezeichnet den dahinter liegenden Kontext als „Mikro-Makro-<br />

Paradox“. So kann man zwar <strong>mittels</strong> Internet weltweit kommunizieren, hat allerdings auf-<br />

grund fehlender Nah<strong>raum</strong>-Kontakte keine Bindungen <strong>im</strong> Wohnumfeld. „Bei dieser isolierten<br />

Massenkommunikation unter Bedingungen einer ‚t<strong>im</strong>e-space-compression’ entstehen Paradoxien wie ‚getrennte<br />

Nähe’ oder ‚abwesende Anwesenheit’.“ 32<br />

Diese Prozesse gehen an die Substanz der <strong>öffentlichen</strong> Räume: „Sennett hebt hervor, dass die<br />

Fragmentierung der Stadt das Wesensmerkmal des <strong>öffentlichen</strong> Raums auflöst: Die Überlagerung mehrerer<br />

Funktionen auf einer Fläche, die auch Nutzungsmischung genannt wird und Grundlage für einen komple-<br />

xen Erfahrungs<strong>raum</strong> ist, wurde vom Prinzip der Funktionstrennung beseitigt (1983, 375). Die wachsen-<br />

den Nutzungskonkurrenzen in der Stadt drängen <strong>öffentlichen</strong> Nutzungen weiter in den Privatbereich zu-<br />

rück. Bei knapper werdenden Flächenressourcen verringern die verkehrlichen und die wirtschaftlichtechnischen<br />

Nutzungen die Nutzbarkeit von <strong>im</strong>mer mehr Bereichen als öffentliche Räume.“ 33<br />

Dieser Prozess ist besonders bei Kindern (Stichwort: organisierte Kindheit) und Jugendli-<br />

chen nachvollziehbar: Die Verdrängung von jungen Menschen aus den <strong>öffentlichen</strong> Räu-<br />

men hin zu eigens geschaffenen - verinselten – Angeboten (Spielplätze, Jugendeinrichtun-<br />

gen, Sportverein ....) ist überall beobachtbar, eine „Straßenkindheit“ ist heute kaum mehr<br />

wo auszumachen: „Die Kinder agieren <strong>im</strong>mer mehr als kleine Erwachsene, die mit ihren Eltern ‚Situa-<br />

tionsdefinitionen aushandeln’ und Zeitpläne koordinieren. Zugleich werden sie zu selbstständigen Nutzern<br />

der städtischen Infrastruktur.“ 34<br />

Die (isolierte) Entwicklung der Innenstädte sieht Schubert ebenfalls als Ausdruck dieser<br />

Fragmentierung <strong>im</strong> Zuge der städtisch-räumlichen Funktionstrennung: Während sich cirka<br />

zu Ende des 19. Jahrhunderts diese Bereiche zunehmend in Geschäfts- und Kulturbereiche<br />

32 Quelle: Schubert (2000), S 44<br />

33 Quelle: Schubert (2000), S 45<br />

34 Quelle: Schubert (2000), S 45<br />

17


verwandelten, wurde die Wohnfunktion zunehmend verdrängt.<br />

1.3.5 Spiegelung der sozialen Polarisierung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum<br />

Die Tendenz der Verinselung spiegelt auch die soziale Entmischung wider, die eine wach-<br />

sende Spannung zwischen den Polen von Armut und Reichtum zur Folge hat. „Durch die<br />

zunehmende Verräumlichung sozialer Ungleichheit entschwindet dem <strong>öffentlichen</strong> Raum das entscheidende<br />

Kriterium der sozialen Mischung. Es entsteht eine ‚Stadt der Ausgegrenzten als kaum vernetzte Inseln ortsgebundener<br />

Armut’.“ 35<br />

Durch die tendenzielle Abnahme von ausgleichenden mittleren Wohlfahrtslagen, spitzt sich<br />

der soziale Kontrast zu. Durch Armut und Wohlstand werden die Städte räumlich polarisiert.<br />

Die Spaltung der Stadt zeigt sich anhand dreier D<strong>im</strong>ensionen: 36<br />

1. Die ökonomische Ungleichheit nach Einkommen, Eigentum und Position auf<br />

dem Arbeitsmarkt<br />

2. Soziale Unterschiede nach Bildung, Gesundheit, sozialer Teilhabe und Position<br />

auf dem Wohnungsmarkt<br />

3. Kulturelle Unterschiede nach ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Verhaltens-<br />

formen und normativen Orientierungen<br />

Das Konzept der residentiellen Segregation – die ungleiche Verteilung der Wohnstandorte<br />

sozialer Gruppen in der Stadt bzw. ihren Teilen, steht <strong>im</strong> Mittelpunkt aller stadtsoziologischen<br />

Ansätze. 37<br />

35 Quelle: Frey (2004), S 231<br />

36<br />

vgl. Schubert (2000), S 46<br />

37<br />

vgl. Dangschat, Jens S./Frey, Oliver: Stadt- und Regionalsoziologie. In: Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian/Maurer,<br />

Susanne/Frey, Oliver (Hrsg.): Handbuch Sozial<strong>raum</strong>. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden<br />

2005, S 155<br />

18


Diese Segregation des öffentliches Raumes hat sowohl Nach-, als auch Vorteile, wie Hartmut<br />

Häußermann und Walter Siebel (2002) argumentieren: 38<br />

Als Nachteile werden genannt:<br />

• Ökonomische Nachteile durch schlechteres Angebot, kaum informelle Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

in haushaltsbezogenen Dienstleistungen und geringe Instandsetzung und Modernisierung <strong>im</strong> Stadt-<br />

teil<br />

• Politische Nachteile durch negative Etikettierung und Stigmatisierung<br />

• Soziale Nachteile, da keine für den Aufstieg hilfreichen Kontakte <strong>im</strong> Viertel geschlossen werden<br />

können, Vorurteile durch fehlende Berührungspunkte zwischen Klassen und Gruppen.<br />

Aber auch Vorteile entstehen durch die Segregation:<br />

• Ökonomische Vorteile durch Wohngelegenheiten und Verdienstmöglichkeiten in Gemeinschaften<br />

von Zugewanderten<br />

• Politische Vorteile durch gemeinsame Interessensbildung- und Verständigungsprozesse<br />

• Soziale Vorteile durch Gefühle von Vertrautheit, Netzwerke und eine ethnische Infrastruktur<br />

In der aktuellen Stadtforschung wird zwischen einer hilfreichen, freiwilligen Segregation<br />

und einer erzwungenen Segregation unterschieden. Diese nachvollziehbare Gegenüberstel-<br />

lung macht allerdings analytisch und sozialpolitisch-praktisch wenig Sinn, da zwischen bei-<br />

den Formen funktionale Bezüge stehen, „denn die ‚erzwungene’ Segregation ist auch das Ergebnis<br />

‚freiwilligen’ Wegzuges der Mittelschichten aus ehemals sozial gemischten Gebieten.“ 39<br />

In der Raumsoziologie gelten die traditionellen Konzepte von Klassen und Schichten zur<br />

Analyse sozialer Ungleichheiten seit den 1980er Jahren überholt. Da sich der Zusammen-<br />

hang zwischen Bildungsstatus, beruflicher Position und Einkommen <strong>im</strong>mer stärker lockerte,<br />

wird heute in neuen soziokulturellen D<strong>im</strong>ensionen sozialer Ungleichheit gedacht und von<br />

38<br />

Quelle: Löw, Martina/Steets, Silke/ Stoetzer, Sergej: Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie, Verlag Barbara<br />

Budrich, Opladen & Farmington Hills 2008, S 42<br />

39<br />

Quelle: Dangschat/Frey (2005), S 156<br />

19


sozialen Lagen, sozialen Milieus und Lebensstilen ausgegangen. 40<br />

Diese Lebensstile finden sich auch in verräumlichter Form wieder: „Die <strong>öffentlichen</strong> Räume der<br />

gespaltenen Stadt bilden diese sozialen Disparitäten auch visuell ab. Der Stadtt<strong>raum</strong> stellt dabei nicht mehr<br />

nur Flächen für Infrastruktur, Wohngebiete und Verkehrsanlagen zur Verfügung, sondern fungiert ver-<br />

mehrt als Träger von stilspezifischen Bedeutungen. Die semiotische Umrüstung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes mit<br />

Symbolen, Zeichen und Design prägt entsprechende Images eines sozialen Status unter den Stadtquartieren.<br />

Der öffentliche Stadt<strong>raum</strong> wird zum Darstellungsmedium lokaler Konstellationen: so ist <strong>im</strong> urbanen öffent-<br />

lichen Raum sofort zu erkennen, ob man sich beispielsweise in einem Quartier des Tätowierungsmilieus oder<br />

des aufstiegsorientierten neuen Bürgertums befindet.“ 41<br />

Diese zeichenhafte Markierung von Stadträumen – die dadurch ein entsprechendes Image<br />

erhalten 42 - weist darauf hin, dass es keine klare Ordnung der Sozialstruktur gibt. Ein klares<br />

Oben und Unten der Schichten ist einer Unübersichtlichkeit von Lebensstilen und sozialen<br />

Milieus gewichen. Ein gemeinsames Milieu entwickelt sich aufgrund von Ähnlichkeiten in<br />

Lebensvollzügen, Verhaltensmustern und Einstellungen (Geschmack, Vorlieben, Bildung,<br />

soziale Herkunft) und kultureller Kompetenz. Entlang dieser Unterschiedlichkeiten von Le-<br />

bensstilen und Milieus erfährt die Stadt eine zusätzliche Selektivität: Bei jüngeren und Milie-<br />

us mit hohem Kulturkapital erfährt der öffentliche Raum verbreitet symbolische Auf- und<br />

Umwertungen, bei hohen und niedrigen Statusgruppen wird der öffentliche Raum eher ne-<br />

gativ assoziiert (Gefahr, Anonymität, Unkontrollierbarkeit ...). Gruppen mit einer positiven<br />

Bewertung des <strong>öffentlichen</strong> Raums nutzen diesen als Bühne (öffentliche Präsenz, „Herum-<br />

lungern“, Graffitis ...). Weil sich die Nutzer/innen stilspezifisch pluralisierter öffentlicher<br />

Räume nicht als Repräsentanten verschiedener Lebensstile, sondern als Fremde begegnen,<br />

entstehen Un<strong>sicherheit</strong>en. 43<br />

„Jedes Milieu bzw. jeder Lebensstil hat seinen eigenen Regelkanon entwickelt, der Außenseitern fremd ist.<br />

Die Fremdheit wird durch abweichende Körper- und Modezeichen sowie eigenartige Verhaltenskonventionen<br />

40 vgl. Dangschat /Frey (2005), S 157<br />

41<br />

Quelle: Schubert (2000), S 46<br />

42<br />

vgl. Frey (2004), S 222<br />

43<br />

vgl. Schubert (2000), S 46 ff<br />

20


nachdrücklich unterstrichen. Was für die Insider der eigenen Subkultur als Erkennungssymbol fungiert,<br />

wirkt zwischen den kulturell unterschiedlichen urbanen Lebensformen ab- und ausgrenzend. Die gegenseitige<br />

Ignoranz bei der Begegnung kann in rationaler Begründung als ‚Toleranz’ ausgegeben werden (vgl. Walzer<br />

1998,66), ist affektiv häufig aber angstbeladen. Denn die Regeln der Benutzung öffentlicher Räume treten<br />

über nonverbale Kommunikation in Widerspruch zueinander (vgl. Watzlawick et al. 1969), wobei die Negation<br />

der eigenen Regeln durch andere bedrohlich wirkt.“ 44<br />

1.3.6 Diffusion und Verflüssigung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes<br />

Durch die Entwicklung von Verkehr und (technisch unterstützter) Kommunikation hat sich<br />

die Orientierung vom <strong>öffentlichen</strong> Raum wegverlagert und damit die subjektive Raum-<br />

wahrnehmung als flüchtig und unstet beeinflusst. Der subjektive Aktions- und Orientie-<br />

rungs<strong>raum</strong> reicht weit über die eigene Stadt hinaus, es wird zwischen globalen und regiona-<br />

len Orten „geswitcht“. Der Fokus liegt nicht mehr <strong>im</strong> unmittelbaren Umfeld, die Abhän-<br />

gigkeiten und Interaktionen finden nicht mehr innerhalb eines „prinzipiell koordinierten<br />

Raumes“ statt. Die Aufgabe dieser prinzipiellen Koordination des Raumes hat den Verlust<br />

eines festen Raumschemas von gegliederten Orten zur Folge. Nach Manuel Castell entwi-<br />

ckelt sich dadurch eine neue Raumlogik, die mit der Begrifflichkeit „Space of Flows“ beschrieben<br />

wird. 45<br />

Dieser Raum der Ströme, der nach Castell aus drei Schichten besteht, ersetzt sozusagen den<br />

Raum der Orte: 46<br />

1. Kreislauf der elektronischen Innovation: Die neue Technologie bildet die materielle<br />

Grundlage des fließenden Raumes. In den erzeugten Netzwerken existieren Räume<br />

nicht mehr per se, sondern werden über Ströme definiert. Die realen Plätze ver-<br />

schwinden zwar nicht, werden aber vom Netzwerk absorbiert.<br />

44 Quelle: Schubert (2000), S 47 ff<br />

45 vgl. Schubert (2000), S 48 ff<br />

46 vgl. Schubert (2000), S 49<br />

21


2. Netzwerk von Knoten und Schnittpunkten: Entscheider-Eliten spannen das Netz-<br />

werk der Weltwirtschaft über die „Global Cities“. Dahinter staffeln sich die nachge-<br />

ordneten Ökonomien (nationale, regionale) und sind über „ihre Knotenpunkte mit der<br />

globalen Ökonomie nach der Logik der Kommunikationstechnologien flexibel verbunden“. 47<br />

3. Globale Organisation der Entscheider-Eliten: Die Eliten sind in ihren Vernetzungen<br />

und Beziehungen kosmopolitisch ausgerichtet. „Während die Bevölkerung ortsbezogen<br />

bleibt, konstituiert sich der Macht<strong>raum</strong> der Eliten global.“ 48<br />

Räumlich ist die Ausdehnung der etablierten Netzwerke an der internationalen Vereinheitli-<br />

chung von Lebensstilen und Symbolen erkennbar: Hotels oder VIP-Lounges an Flughäfen<br />

unterscheiden sich kaum mehr. Im Gegensatz dazu bleiben die Netzwerke der marginalen<br />

Schichten lokal ausgerichtet.<br />

„Der urbane öffentliche Raum löst sich somit als konkreter Sozial<strong>raum</strong> in eine Koexistenz verschiedener<br />

sozialer, kultureller und ökonomischer Logiken innerhalb derselben räumlichen Struktur auf (...) Er ist<br />

(...) nicht mehr eine grundlegende Existenzbedingung, sondern wegweisender Orientierungs<strong>raum</strong>. Dies ist der<br />

Grund, warum die Debatte um den <strong>öffentlichen</strong> Raum in der Stadt zum großen Teil auf Designfragen seiner<br />

konsumgerechten Gestaltung reduziert wird.“ 49<br />

1.3.7 Wandel der <strong>öffentlichen</strong> Räume durch die Individualisierung<br />

Heute bewegen sich nicht mehr geschlossene Massen durch den <strong>öffentlichen</strong> Raum, sondern<br />

„Mengen von Individuen, die ihre Wege individuell verrichten und <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum kreuzen“. 50<br />

Traditionelle Regeln lösen sich auf, int<strong>im</strong>ere Kontaktformen (Selbstenthüllungen wie z.b.<br />

sportliche Betätigung, lautes Reden oder auch int<strong>im</strong>ere Einblicke durch lockere Kleidung)<br />

47 Quelle: Schubert (2000), S 49<br />

48 Quelle: ebd.<br />

49 Quelle: Schubert (2000), S 50<br />

50 Quelle: ebd.<br />

22


gewinnen die Oberhand. Verhaltenskonventionen, die eine gewisse Distanz zu sich selbst<br />

herstellen, wurden damit aufgekündigt. „Der Widerspruch, der auf öffentliche Räume ausstrahlt, ist<br />

das Bestreben der Menschen <strong>im</strong> 20. Jahrhundert, emotionale Offenheit und psychologische Authentizität<br />

voreinander zu entwickeln, sich dabei aber gegenseitig dennoch zu kontrollieren.“ 51<br />

Das narzisstische Streben der einzelnen Individuen schreibt sich auch in die Gestaltung des<br />

<strong>öffentlichen</strong> Raumes ein. Schubert nennt folgende Kennzeichen: 52<br />

• Prestigefördernde Oberflächengestaltung<br />

• Erlangung von Bewunderung und Anerkennung<br />

• Heraushebung gegenüber angrenzenden Räumen<br />

• Betonung von emotionalen Erlebnisqualitäten<br />

• Offenheit für alle sozialen Gruppen<br />

Aber auch das individuelle Scheitern – also die negativen Seiten des Narzissmus – sind <strong>im</strong><br />

Raum erkennbar: 53<br />

• Verlust sozialer Bindungen durch die Bevölkerung<br />

• Missraten von Gestaltungszielen zu perfektionistischen Überlegenheitsgesten<br />

• Heftige Schwankungen des Selbstwertes zwischen Festivalisierung und Marginalisierung<br />

• Starke Abwehrreaktionen gegen soziale Randgruppen<br />

• Überschätzung der sozialen Integrationsqualitäten<br />

Durch die Selbstpräsenz in den <strong>öffentlichen</strong> Räumen (Sport, Erlebnisorientierung ...) ge-<br />

winnen die Menschen zurück, was sich durch die gesellschaftliche Modernisierung ver-<br />

flüchtigt hat: „Es sind Situationen, in denen sich die Individuen stark fühlen und das Gefühl verschaffen,<br />

Ursache und Wirkung des Handelns selbst in der Hand zu haben. In einer Zeit schwindender Gewissheiten<br />

wird das Selbst über solche Praktiken der Selbstdarstellung gestützt und braucht für diese Verhaltensschab-<br />

51<br />

Quelle: Schubert (2000), S 51<br />

52<br />

Quelle: Schubert (2000), S 53<br />

53 Quelle: ebd.<br />

23


lonen urbane öffentliche Räume, in deren Nischen sich die Selbste individuell verwirklichen können.“ 54<br />

1.3.8 Informalisierung öffentlicher Verhaltensstandards<br />

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich bestehende Verhaltens- und Klei-<br />

dungsstandards in <strong>öffentlichen</strong> Räumen informalisiert. „Im <strong>öffentlichen</strong> Raum der Städte bedeutet<br />

Informalisierung eine Erweiterung der Toleranzgrenzen bestehender Normen und führt dabei zu deren Auf-<br />

lockerung.“ 55<br />

Was früher verboten war, ist heute akzeptiert und erlaubt. Als Ursachen dafür nennt Schu-<br />

bert eine Lockerung der Normen und ein Nachlassen der Selbststeuerung, aber auch die<br />

verringerten Machtungleichgewichte in den Staatsgesellschaften nach dem zweiten Welt-<br />

krieg. „Der geringere Machtdruck von außen und die größere individuelle Entscheidungsfreiheit führen zu<br />

komplexeren Anforderungsregeln der Selbstkontrolle; dies erschwert es, das Ideal der Selbststeuerung hinrei-<br />

chend umzusetzen. Die Folge ist ein fragiles, unbeständiges Anforderungsniveau der Selbststeuerung; zum<br />

Beispiel resultieren daraus bei Kindern ungleichmäßige und instabile Selbstkontroll-Strukturen.“ 56<br />

1.4 Vom Nutzen des <strong>öffentlichen</strong> Raumes<br />

Besonders in den Städten ist öffentlicher Raum – und damit Öffentlichkeit - eine unabding-<br />

bare Voraussetzung für die Entfaltung einer urbanen Lebensweise, da Urbanisierung als ei-<br />

ne fortschreitende Polarisierung des gesellschaftlichen Lebens in eine öffentliche und priva-<br />

te Sphäre gelesen werden kann. Eine Störung dieser Wechselbeziehung bleibt für eine Entfaltung<br />

von Urbanität nicht ohne Folgen. 57<br />

„Öffentlichkeit stellt den Lebensnerv der verstädterten bürgerlichen Gesellschaf dar, insofern, als die freie<br />

54 Quelle: Schubert (2000), S 53<br />

55 Quelle: Schubert (2000), S 54<br />

56 Quelle: Schubert (2000), S 55<br />

57 vgl. Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 15<br />

24


Zugänglichkeit zu Informationen eine notwendige Voraussetzung für die Demokratie darstellt.“ 58<br />

Für die Einwohner/innen wie auch für Fremde erschließt sich die Stadt von den öffentli-<br />

chen Räumen her. Damit dient dieser Raum nicht nur der Orientierung, sondern hat einen<br />

besonderen Stellenwert für die Identifikation. 59<br />

Öffentlicher Raum bedeutet: „Orte zu haben für den Austausch von Waren und Gütern aller Art,<br />

aber auch von Information und Kommunikation; Orte zu haben für Repräsentation und Darstellung der<br />

verschiedenen sozialen Gruppen, aber auch der Individuen, um die Komplexität der Lebenswelten und ihrer<br />

Lebensformen anschaulich zu machen; Orte zu haben, an denen kulturelle und soziale Widersprüche deutlich<br />

werden und zur Sprache kommen können’ (Schäfers 2001a, 189).“ 60<br />

Bihler betont die (nach wie vor) wichtige Funktion des <strong>öffentlichen</strong> Raumes als zivilgesell-<br />

schaftlichen Aktions<strong>raum</strong>es (als Raum für Demonstrationen, Versammlungen, Informati-<br />

onsstände, Unterschriftensammlungen …) , der vor allem für die Herstellung lokaler (poli-<br />

tischer) Öffentlichkeit nach wie vor von zentraler Bedeutung ist. Gerade durch die allge-<br />

meine Zugänglichkeit – <strong>im</strong> Gegensatz zu technischen Formen (Internet), die noch nicht für<br />

alle Menschen zugänglich sind – und die symbolische Kraft von (besonderen) Plätzen ist<br />

der öffentliche Raum für die Gesellschaft notwendig und wichtig. 61 Er weist auch auf die<br />

wichtige Funktion des <strong>öffentlichen</strong> Raumes als Erlebnisort hin: „Öffentlicher Raum wird weiter-<br />

hin als Erlebnisgerüst und Zeichen der Identität dienen. Er ist wichtiger denn je für die Lesbarkeit der<br />

Städte.“ 62 Dabei spielen auch Veranstaltungen <strong>im</strong> Stadt<strong>raum</strong> eine wichtige Rolle. Öffentli-<br />

cher Raum spielt auch eine wichtige Rolle als Identitäts<strong>raum</strong> für die Menschen der jeweiligen<br />

Stadt. 63<br />

Dummreicher und Kolb darauf hin, dass erst die Benützung der Stadt (mit ihren Einrich-<br />

58 Quelle: vgl. Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 15<br />

59 vgl. ebd.<br />

60 Quelle: Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 16<br />

61<br />

vgl. Bihler, Michael A.: Stadt, Zivilgesellschaft und öffentlicher Raum. Reihe Region - Nation – Europa. Lit<br />

Verlag, Münster - Hamburg – London 2004, S 53 ff<br />

62<br />

Quelle: Bihler (2004), S 56<br />

63 vgl. Bihler (2004), S 57<br />

25


tungen, Angeboten bis hin zur Stadtmöblage) Identifikation mit dem Ort verschafft. „Erst<br />

die persönliche Verwendung von öffentlichem Raum wie Parks und Straßen (...) lassen de-<br />

ren Wert erkennen und schaffen persönliche Nähe zum Ort. Das soziale Handeln und Tun,<br />

wie einkaufen, spielen etc. schafft diese Art von persönlicher Nähe, die eine Beziehung mit<br />

einem Stadtviertel aufkommen lässt.“ 64<br />

Die Wichtigkeit öffentlicher Räume für Kinder und Jugendliche wird von Deinet als we-<br />

sentliches Element von Bildung beschrieben: „Kinder und Jugendliche lernen und bilden sich nicht<br />

nur in Institutionen der Schule, sondern insbesondere auch in ihren jeweiligen Lebenswelten, Nahräumen,<br />

Dörfern, Stadtteilen, vor allem auch <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum. Diese Bereiche sind die Orte des informellen<br />

Lernens, das die intentionalen Bildungsprozesse wesentlich mitprägt. Die Entwicklung sozialer Kompetenz<br />

in wechselnden Gruppen oder <strong>im</strong> Umgang mit fremden Menschen in neuen Situationen, die Erweiterung des<br />

Handlungs<strong>raum</strong>es und damit der Verhaltensrepertoires prägen auch die Fähigkeit für den Erwerb von<br />

Sprachkenntnissen und Bildungsabschlüssen.“ 65<br />

Auch Oliver Frey unterstreicht die Wichtigkeit öffentlicher Räume für Kinder und Jugendli-<br />

che: „In urbanen <strong>öffentlichen</strong> Räumen findet ein sozialer Lernprozess statt, was Toleranz und Umgang mit<br />

fremden Lebenssituationen fördert. Die Individuen lernen, Raum zu ergreifen, sich <strong>im</strong> Raum zu positionie-<br />

ren, sich Raum anzueignen. Fremdheit und Unterschiedlichkeit können <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum reflexiv ver-<br />

arbeitet werden. Gerade Kinder und Jugendliche können in <strong>öffentlichen</strong> Räumen Selbstständigkeit erlernen,<br />

da sie mit Gleichaltrigen eigenständig und kreativ Kontakte aufbauen können. Für sie besteht die Chance,<br />

sich aus der Enge einer privaten Familiensituation zur Gesellschaft hin zu öffnen. Toleranz, Umgang mit<br />

Fremdheit, Akzeptanz von Unterschiedlichkeit, Kennenlernen von ungleichzeitigen Geschwindigkeiten,<br />

Rücksichtnahme auf Schwächere sind Lernchancen <strong>im</strong> urbanen <strong>öffentlichen</strong> Raum.“ 66<br />

64<br />

Quelle: Dummreicher, Heidi/Kolb, Bettina: Sieben Thesen zur Qualität der Stadt. Öffentlicher Raum als Erlebens<strong>raum</strong>.<br />

Universität Wien, Wien 2000, S 6<br />

http://www.univie.ac.at/OEGS-Kongress-2000/On-line-Publikation/kolb.pdf<br />

65<br />

Quelle: Deinet (2007), S 51<br />

66 Quelle: Frey (2004), S 228<br />

26


1.5 Jugend <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum<br />

1.5.1 Eine Geringschätzung<br />

Bei der (wie vorher aufgezeigten notwendigen) interdisziplinären wissenschaftlichen Bear-<br />

beitung des Themas ist ein doppeltes Defizit zu orten: einerseits tut sich in den Sozialwis-<br />

senschaften eine Forschungslücke auf, die sich in der Jugendsoziologie <strong>im</strong> fehlenden<br />

Raumbezug zeigt, und in der Stadt- und Regionalsoziologie, die sich dem Thema Jugend<br />

und den dahinter liegenden Bedürfnissen kaum widmet. Ebenso wird in der Stadt- und<br />

Frei<strong>raum</strong>planung fortwährend auf die Situation und Bedürfnisse der jungendlichen Nut-<br />

zer/innen vergessen. Offensichtlich hat heute noch die provozierende These ihre Gültig-<br />

keit, „dass ‚die Nichtberücksichtigung der Interessen von Jugendlichen der eigentliche Skandal des modernen<br />

Städtebaus’ sei“. 67<br />

Die Gründe dieser Geringschätzung sind zu suchen „in der generellen Vernachlässigung der räum-<br />

lichen D<strong>im</strong>ension bei der Analyse sozialer Prozesse, in dem eigenartigen sozialräumlichen Probierverhalten<br />

von Jugendlichen zwischen dem Schutz- und Schon<strong>raum</strong> der Kinder und dem in der Regel von den Erwach-<br />

senen gewählten Wohnstandort und in der damit verbundenen Schwierigkeit, den Jugendlichen angesichts<br />

ihrer <strong>raum</strong>greifenden Aktivitäten konkrete Räume zuzuweisen.“ 68<br />

Geringschätzung schlägt den Jugendlichen in den <strong>öffentlichen</strong> Räumen auch durch die<br />

Wahrnehmung von Erwachsenen gegenüber: „Mit Jugendlichen in <strong>öffentlichen</strong> städtischen Räumen<br />

wird meist eine überzeichnete Vorstellung von provokanten und lauten jungen Leuten verbunden. Sie gelten<br />

als die Hauptverursacher von Vandalismus, sie lungern herum und erscheinen vielen Erwachsenen als be-<br />

drohlich.“ 69 Und dies obwohl „Die Analyse des alltäglichen Verhaltens der Jugendlichen, ihrer Aktivi-<br />

täten und Ausdrucksformen (...) ein weitaus unspektakuläres Bild“ 70 zeigt.<br />

Im realen Raum spiegelt sich diese Geringschätzung der Jugendlichen wider: „Durchweg wird<br />

Jugendlichen, vermittelt durch die gebaute Umwelt der untersuchten <strong>öffentlichen</strong> städtischen Räume, eine<br />

67 Quelle: Ulfert/Seggern/Heinzelmann, Karow (2003), S 13<br />

68 Quelle: ebd.<br />

69 Quelle: Quelle: Ulfert/Seggern/Heinzelmann, Karow (2003), S 241<br />

70 Quelle: ebd.<br />

27


mangelnde Wertschätzung entgegengebracht. Sie waren oftmals nicht als eigene Nutzergruppe vorgesehen und<br />

teilweise – was auffällige Verhaltensformen betrifft – gar nicht erwünscht. Spezifische räumliche Gestaltun-<br />

gen für Jugendliche, wie Holzunterstände, sind eher klägliche Versuche, auch für diese Altergruppe etwas<br />

anzubieten, was gleichzeitig nicht auf andere Nutzergruppen störend wirkt. Erwünscht können sich Jugend-<br />

liche in urbanen Räumen allenfalls kurzfristig als Konsumenten fühlen. Die Jugendlichen und insbesondere<br />

Jugendszenen oftmals zugedachte Rolle als belebender Faktor findet kaum eine Resonanz in der Gestaltung<br />

und Anlage der Räume, und den Jugendlichen wird von Seiten der Erwachsenen eher pauschale Skepsis<br />

entgegengebracht.“ 71<br />

1.5.2 Die Wichtigkeit von öffentlichem (Frei)Raum für die Jugend<br />

Die Wichtigkeit des Raumes für <strong>jugend</strong>liche Nutzer/innen sei hier nicht mehr <strong>im</strong> Detail<br />

argumentiert, da diese bereits <strong>im</strong> Kapitel „1.4. Vom Nutzen des Öffentlichen Raumes“ dar-<br />

gestellt wurde. Auch in der Ansfeldner Jugendstudie 2006 wurden von den befragten Ju-<br />

gendlichen die <strong>öffentlichen</strong> Flächen (vor allem Spielflächen, Sportflächen, Hauptplatz) in<br />

freier Nennung als die wesentlichste Herausforderung und den dringensten Handlungsbe-<br />

darf für eine <strong>jugend</strong>freundliche Gemeinde genannt. Insgesamt wurden Verbesserungen <strong>im</strong><br />

<strong>öffentlichen</strong> Raum 108 Mal in freier Nennung als wichtigste Verbesserungsmaßnahme ge-<br />

nannt. Abgeschlagen mit 39 Nennungen spielte die (in Ansfelden als heißes Thema wahrge-<br />

nommene) Frage der Integration die zweitwesentlichste Rolle 72 (angemerkt sei hierbei, dass<br />

diese beiden Fragen <strong>im</strong>mer wieder miteinander korrespondieren).<br />

1.5.3 Jugendliches Freizeitverhalten in der Stadt: Eine konfliktbeladene Situation<br />

Jugendliche verbringen ihre Freizeit <strong>im</strong> städtischen Umfeld vor allem mit Aktivitäten von<br />

71<br />

Quelle: Ulfert/Seggern/Heinzelmann, Karow (2003), S 244<br />

72<br />

vgl. Tschemer, Marlies: Ansfeldner Jugendstudie, Erstauswertung der Rohdaten, Johannes Kepler Universität,<br />

Linz 2006, <strong>im</strong> Besitz des Verfassers. Freie Nennungen auf die Frage: „Was wäre für dich die wichtigste Verbesserung?“,<br />

eigene Auswertung des Verfassers aufgrund der festgehaltenen freien Nennungen.<br />

28


Geselligkeit, Konsum und Sport. „Wir gehen davon aus, dass die verbreitete Suche nach Geselligkeit<br />

die Jugendlichen häufig auch in die <strong>öffentlichen</strong> Orte der Stadt führt und dort sich nicht selten mit Konsumaktivitäten<br />

verbindet.“ 73<br />

Das bringt folglich Konflikte mit der Erwachsenenwelt mit sich, weil sich die Prioritäten<br />

der sich in die Öffentlichkeit hinein orientierten Jugendlichen (Ausgehen) und die bevor-<br />

zugte Orientierung der Erwachsenen auf das Private (Wohnen) hin, diametral entgegen ste-<br />

hen. „Die meisten Jugendlichen (ca. 90 Prozent) bekennen sich dazu, in der Freizeit rumzuhängen, ein<br />

Ausdruck, mit dem Jugendliche nicht selten ihre Befindlichkeit in ihrer freien Zeit charakterisieren.“ 74<br />

Grundsätzlich ist das Freizeitbudget der Jugendlichen für den Aufenthalt <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum ohnehin stark eingeschränkt: neben der persönlichen Belastung 75 sind hier vor allem<br />

die komfortablen Möglichkeiten in den eigenen vier Wänden (Medien) und die vermehrte<br />

überregionale Freizeitbeschäftigung zu nennen. 76 Nichts desto trotz üben „die stärker erlebnis-<br />

orientierten Räume der inneren Stadt heute in besonderem Maße einen Reiz für Jugendliche aus, weil sie sich<br />

hier gegenüber anderen Personen, meist Erwachsenen, ‚in Szene setzen’ und profilieren können.“ 77<br />

Repräsentation und Selbstdarstellung, aber auch die Möglichkeit der Kommunikation und<br />

Interaktion sind wesentliche Funktionen des <strong>öffentlichen</strong> Raumes und für die Sozialisation<br />

der Jugendlichen von entscheidender Bedeutung. Bei dieser „Erprobung“ der Außenwir-<br />

kung von <strong>jugend</strong>lichem Handeln bilden sich <strong>im</strong>mer wieder Konflikte mit der Erwachse-<br />

nenwelt: „Vor allem handelt es sich hier um eine Auseinandersetzung mit der häufig Jugendlichen gegen-<br />

über verständnislosen Welt der Erwachsenen, in die Jugendliche letztlich integriert werden sollen. Auf dem<br />

Weg dahin finden jedoch mannigfache Abgrenzungen statt, um die eigene Identität zu stärken, was nicht<br />

selten zu latenten bzw. manifesten Konflikten führt.“ 78<br />

Ein weiter Grund für die Konflikte ist in den (oft szenetypischen) Deutungsmustern und<br />

73<br />

Quelle: Ulfert/Seggern/Heinzelmann, Karow (2003), S 26<br />

74<br />

Quelle: Ulfert/Seggern/Heinzelmann, Karow (2003), S 26<br />

75<br />

vgl. Kapitel: 2.3.2. Jugend unter Druck<br />

76<br />

vgl. Ulfert/Seggern/Heinzelmann, Karow (2003), S 27<br />

77<br />

Quelle: Ulfert/Seggern/Heinzelmann, Karow (2003), (2003), S 27<br />

78 Quelle: Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 30<br />

29


Symbolen zu finden. „Dies ist besonders öffentlichkeitswirksam, wenn es sich um deutlich abweichendes<br />

Verhalten handelt, das nicht nur andere Personen(gruppen) provoziert, sondern auch ihnen gegenüber Ge-<br />

waltbereitschaft signalisiert. Auch wenn sich Gewaltpotentiale nur bei einem geringen Prozentsatz von Ju-<br />

gendlichen finden, so ziehen sie doch in besonderer Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf<br />

sich.“ 79<br />

Weil Jugendliche <strong>im</strong>mer wieder unkonventionelle Möglichkeiten für ihren Aufenthalt su-<br />

chen – und <strong>im</strong> Falle des Nicht-Findens solcher Angebote die konventionellen Angebote<br />

nach ihren Bedürfnisse nutzen, entstehen ebenfalls <strong>im</strong>mer wieder Konflikte. Beispiele dafür<br />

sind zum Beispiel eine alternative Nutzung der Parkbank (es wird nicht auf der Sitzfläche,<br />

sondern auf der Lehne gesessen) oder – wie <strong>im</strong>mer wieder beobachtbar – der Rückgriff auf<br />

nicht altersadäquate Flächen wie z.B. Kinderspielplätze. 80<br />

Die Form des <strong>jugend</strong>spezifischen Aufenthaltes verstehen Breitfuß und Klausberger als eine<br />

Art Angebot an die Erwachsenen zur Auseinandersetzung, die vor allem in Siedlungsräu-<br />

men gut für eine Klärung genutzt werden kann. „Wo dieses Angebot durch Erwachsene wahrge-<br />

nommen wird, und die Auseinandersetzung von Verständnis geprägt ist, die Jugendlichen also nicht nur in<br />

die Rolle von ‚vernünftigen Erwachsenen’ gedrängt werden, ist eine Kl<strong>im</strong>averbesserung durchaus zu erzielen.<br />

Die Einhaltung der in der Siedlung geltenden Regeln, wie z.B. die Nachtruhe, ist durch persönliche Gesprä-<br />

che eher zu erzielen als durch rigide Sanktionen. Voraussetzungen für den Erfolg solcher Maßnahmen sind<br />

keine allzu große Anonymität in der Siedlung und ein vernünftiges Gesprächskl<strong>im</strong>a. Ein <strong>jugend</strong>freundli-<br />

ches Kl<strong>im</strong>a kann durch ein vernünftiges Frei<strong>raum</strong>konzept ebenso begünstigt werden, wie durch Handlungs-<br />

weisen der Verwaltung einer Wohnanlage und die Haltung der Bewohner gegenüber den Jugendlichen. Wenn<br />

die laute Minderheit eine <strong>jugend</strong>feindliche St<strong>im</strong>mung in der Siedlung schafft und diese durch Handlungen der<br />

Verwaltung noch verstärkt wird, ist häufig ein Abwandern der Jugendlichen auf andere Flächen oder eine<br />

Protesthaltung in Form von Zerstörung oder konfliktprovozierender Handlungen die Folge.“ 81<br />

Der Konflikt zwischen Jugendlichen und Erwachsenen <strong>im</strong> Wohnumfeld beginnt oftmals<br />

79 Quelle: Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow. (2003), S 31<br />

80 vgl. Breitfuß, Günter/Klausberger, Werner: Das Wohnumfeld. Qualitätskriterien für Siedlungsfreiräume. Eigenverlag<br />

Breitfuß-Klausberger OEG, Linz – Vöcklabruck 1999, S 67<br />

81 Quelle: Breitfuß/Klausberger (1999), S 67<br />

30


ereits mit der Planung: „Gibt es keinen Platz, der den Jugendlichen schon bei der Entstehung der<br />

Wohnanlage gewidmet wird, ist die Verdrängung von einem Aufenthaltsort auf den nächsten die Konse-<br />

quenz.“ 82<br />

Aber nicht nur die oftmals fehlgeschlagene Planung und Gestaltung des Raumes ist als Ur-<br />

sprung des Konfliktes zu nennen. Sehr oft steht eine generell <strong>jugend</strong>feindliche Grundhal-<br />

tung <strong>im</strong> Zentrum der Konflikte: „Das Ausmaß der Beschwerden über Jugendliche scheint angesichts<br />

beobachtbarer Realität übertrieben und ist wohl eher auf ein negatives Jugendlichenbild – der Jugendliche als<br />

(potentieller) Randalierer, als Gewalttäter – zurückzuführen und damit auf eine generell <strong>jugend</strong>feindliche<br />

Einstellung. Das heiße aber auch, dass alle planerischen Lösungsansätze zur Verbesserung der Frei<strong>raum</strong>situation<br />

allein nur sehr bedingt zu einer Konfliktlösung beitragen können.“ 83<br />

Die Ansfeldner Jugendstudie 2006 zeigte auf, dass aus Sicht der Jugendlichen die Nutzung<br />

der <strong>öffentlichen</strong> Flächen grundsätzlich konfliktbeladen ist. Grundsätzlich waren die Werte,<br />

ein Problem auf den jeweiligen Orten zu haben, höhere, als diese Orte konfliktfrei zu be-<br />

schreiben (mit Ausnahme zweier kleineren, relativ szenehomogen genutzter Skaterflächen<br />

und der privat betriebenen Lokale). In der Regel waren aber die Konflikte mit anderen Ju-<br />

gendlichen präsenter als jene mit anderen Bevölkerungsgruppen. Allerdings ist gerade der<br />

Kontakt mit Anrainer/innen der <strong>öffentlichen</strong> Flächen oftmals durch Konflikte gekenn-<br />

zeichnet: So geben <strong>im</strong>merhin 18,5 % der Befragten an, von Anrainer/innen ermahnt zu<br />

werden, 17 % wissen zu berichten, dass sie besch<strong>im</strong>pft werden. Fast 36 % geben an, dass<br />

sich Anrainer/innen sehr oft oder oft bei der Gemeinde oder der Polizei über deren Verhalten<br />

beschweren würden. 84<br />

1.5.4 Planerische Konsequenzen für eine <strong>jugend</strong>freundliche Gestaltung<br />

Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow haben aus ihrer Untersuchung von <strong>öffentlichen</strong><br />

82<br />

Quelle: Breitfuß/Klausberger (1999), S 69<br />

83<br />

Quelle: Gohde-Ahrens, Rixa: Jugendliche <strong>im</strong> städtischen Frei<strong>raum</strong> und ihre Berücksichtigung in der räumlichen<br />

Planung. Ermittlung von Frei<strong>raum</strong>ansprüchen Jugendlicher <strong>im</strong> Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg.<br />

Schriftenreihe des Fachbereiches Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung der Universität Hannover,<br />

Hannover 1998, S 24<br />

84<br />

vgl. Tschemer (2006)<br />

31


Räumen für die Jugend vier Konsequenzen gezogen 85 :<br />

1. Den einzelnen Räumen fehlt weitestgehend eine auf Typ und Örtlichkeit bezogene<br />

Planung <strong>im</strong> Interesse der Jugendlichen, obwohl dies möglich und erforderlich ist<br />

2. Die „streifende“ Benutzung von Freiräumen (beispielsweise <strong>im</strong> Zuge von Erkun-<br />

dungen) ist evident. Die Erreichbarkeit von Orten <strong>mittels</strong> Fuß-Fahrrad-<br />

Fahrbeziehungen ist <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Nahverkehr <strong>im</strong>mens wichtig, auch Haltestellen<br />

sind oftmals wichtige Treffpunkte. Eine sinnvolle vernetzte Einordnung von öffent-<br />

lichen Freiräumen ist für Jugendliche von <strong>im</strong>menser Bedeutung.<br />

3. Dass Jugendliche gerne unter sich wollen, darf nicht als Alibi für die Verdrängung<br />

auf spezielle oder an den Rand platzierte Räume dienen. Es muss auch möglich sein,<br />

dass sich Jugendliche in die Erwachsenenwelt hinbegeben können und braucht da-<br />

für auch entsprechende Orte.<br />

4. „Ein D<strong>im</strong>ensionssprung erfolgt oft bei den <strong>jugend</strong>spezifischen Eventorten für Parties, für Musik-<br />

veranstaltungen, große Sportereignisse, Open-Air Festivals, für das Unter-Sich-Sein in großen<br />

Mengen feiern.“ 86 Dies sind <strong>im</strong>mer wieder die ungenutzten, oder anders genutzten<br />

Orte (Brachen, Kiesteiche, alte Fabriken ....), die sich durch eine gewisse Offenheit<br />

der <strong>raum</strong>bezogenen Nutzung und einer ästhetischen Interpretationsfähigkeit aus-<br />

zeichnen. Hier weist sich gerade die kommerzielle Nutzung als sehr erfinderisch und<br />

ist anregend für Nicht-Kommerzielles.<br />

Zusammenfassend halten die Autor/innen fest: „Das heißt als planerische Konsequenz, dass dem<br />

<strong>öffentlichen</strong> Raum in Ganzen und den von uns untersuchten Typen darin, bezogen auf die Bedürfnisse von<br />

Jugendlichen, eine große Sorgfalt und Beachtung zukommen muss. Dies steht <strong>im</strong> krassen Gegensatz zu dem<br />

tatsächlichen räumlich-gestalterischen und organisatorischen Bemühen um Jugendliche, das oft darauf ausge-<br />

richtet ist, sie aus den <strong>öffentlichen</strong> Räumen fernzuhalten bzw. sie dort nur dann willkommen zu heißen,<br />

wenn sie als Konsumenten oder mit den gleichen Verhaltensweisen wie Erwachsene auftreten.“ 87<br />

85<br />

vgl. Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 247 ff<br />

86<br />

Quelle: Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 248<br />

87<br />

Quelle: Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow (2003), S 248<br />

32


Detaillierter auf konkrete Möglichkeiten der Planung von Jugendfreundlichkeit geht diese<br />

Arbeit nicht ein, da grundsätzlich der Gedanke eines prozesshaften Vorgehens (gemeinsa-<br />

men mit Jugendlichen) verfolgt wird und nicht möglichst konkrete Planungsanleitungen für<br />

konkrete Vorhaben. 88<br />

88 Exemplarisch zu konkreten Schritten sei verwiesen auf die Überlegungen von Herlyn/Seggern/Heinzelmann/Karow<br />

(2003), Kapitel: Raumspezifische Szenarien, S 249 ff<br />

33


2 DIE JUGEND<br />

Wie schon <strong>im</strong> Kapitel „1.5. Jugend <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum“ dargelegt, gibt es gerade <strong>im</strong> öf-<br />

fentlichen Raum Konflikte zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Das deutet bereits<br />

darauf hin, dass Jugendliche „anders sind“. Dieser Abschnitt widmet sich diesem „Anders-<br />

Sein“: Jugendliche stehen vor ganz anderen Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen<br />

als Erwachsene. Gerade die Pubertät bzw. die Adoleszenz sind ein besonderer Lebensab-<br />

schnitt, der ganz eigenen Dynamiken folgt. Wenn man über Jugendliche denkt oder redet,<br />

sollte man sich der Besonderheiten dieses Lebensabschnittes bewusst sein: Deshalb ist die-<br />

ser Lebensabschnitt folglich auch genauer beschrieben. Gegenwärtig – und in besonderem<br />

Maße <strong>im</strong> Kontext „öffentlicher Raum“ – beherrschen vor allem negative Wahrnehmungen<br />

und Zuschreibungen – Stichwörter: Kr<strong>im</strong>inalität, Gewalt und Vandalismus – das Bild der<br />

Jugend. Auch diesen Aspekten wird in diesem Abschnitt genauere Aufmerksamkeit gewid-<br />

met. Grundsätzlich versucht diese Arbeit, Phänomene wie Gewalt oder Kr<strong>im</strong>inalität verste-<br />

hend zu beschreiben, da dieses Verstehen die Grundvoraussetzung für Lösungsansätze dar-<br />

stellt. Keineswegs soll Gewalt oder Kr<strong>im</strong>inalität – weil dieser Vorwurf steht bei einem ver-<br />

stehenden Ansatz schnell <strong>im</strong> Raum – verharmlost oder gar geleugnet werden.<br />

2.1 Jugend: Versuch einer Definition<br />

Wenn man junge Menschen in ihrer Gesamtheit unter „Jugend“ zusammenfassen will, stößt<br />

man dabei außerhalb der juristischen Definition sehr schnell an Unübersichtlichkeiten. Zu<br />

unterschiedlich sind die Phänomene und Verhaltensweise der Jugendlichen, um sie als Ge-<br />

samtheit definieren zu können. Schon be<strong>im</strong> einzelnen Jugendlichen sind die Phänomene für<br />

diese Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter vielfältig und stark differierend, bei<br />

der Gesamtheit wird das Bild noch vielschichtiger: Die Pluralisierung der Jugendkulturen,<br />

Jugendliche einerseits mit heftigen pubertären Krisen und anderseits Jugendliche, die relativ<br />

harmonisch durch diese bewegte Zeit kommen, und eine <strong>im</strong>mer unklarere Zeit des Erwach-<br />

senswerdens (es gibt kein einheitlich best<strong>im</strong>mbares Ende der Jugendphase, dieser Lebens-<br />

34


abschnitt kann von 18 Jahren bis über 30 Jahren reichen) prägen eine starke Uneinheitlich-<br />

keit dieser gesellschaftlichen Gruppe.<br />

Genau so unterschiedlich wie die Jugendlichen selbst, sind auch die Haltungen der Erwach-<br />

senen ihnen gegenüber: „Sie schwanken zwischen Angst vor Jugendlichen und Hoffnungen auf ihre<br />

Kraft, zwischen der Sorge um ihre Reife und dem Neid auf ihre libidinöse Energie, zwischen der Skepsis, ob<br />

Jugendliche überhaupt noch beziehungs- und bindungsfähig sind und einer Glorifizierung der Jugendkulturen<br />

und deren Anstiftung zu neuer Gemeinschaftlichkeit.“ 89<br />

Die Spannung zwischen den Generationen hat sich verändert, sie ist aber weiterhin wirk-<br />

sam. Sie zeigt – wie es Schröder formuliert - „wie Jugendliche nach Autonomie streben und wie die<br />

Erwachsenen um ihre Macht ringen.“ 90<br />

2.1.1 Die eine Jugend gibt es nicht<br />

„Die Jugendphase verläuft heute vielschichtig und mehrd<strong>im</strong>ensional. Auch hinsichtlich des Zeitfaktors sind<br />

Veränderungen feststellbar: Noch in den 1950er und 60er Jahren war die Jugendphase viel einheitlicher.<br />

Damals dauerte die „Übergangsphase Jugend“ von der Kindheit in die Erwachsenenwelt zwischen sechs und<br />

acht Jahren. Heute sind 30–jährige Jugendliche keine Seltenheit, wenn man als Grundlage der Definition<br />

von „erwachsen“ materielle und auf andere Ressourcen bezogene Selbständigkeit (eigenes Einkommen, eigene<br />

Wohnung, eigene Familie usw.) ann<strong>im</strong>mt. Die Jugendphase ist so zu einem quantitativ aber zugleich auch<br />

qualitativ viel bedeutsameren Lebensabschnitt <strong>im</strong> Leben eines Menschen geworden.“ 91<br />

Heute wird auch von einer „Entstrukturierung“ der Jugend gesprochen: Es gibt keinen sta-<br />

bilen Fahrplan durch diese Phase und viele Elemente der Jugendlichkeit wurden von Er-<br />

wachsenen und auch von Kindern übernommen. Manche sprechen auch von einer „De-<br />

89 Quelle: Schröder, Ach<strong>im</strong>: Jugendliche. In: Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Handbuch Offene<br />

Kinder- und Jugendarbeit. 3. Aufl., VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, S 89 - 97, S 89 ff<br />

90 Quelle: Schröder (2005), S 90<br />

91 Quelle: Liebentritt, Sabine: Erwachsen werden heute - ein harter Job, In: Nichts passt. Fachreader zur Gewaltprävention<br />

in der Arbeit mit Jugendlichen. EfEU, Friedensbüro Salzburg, koje, Wien – Salzburg - Bregenz<br />

2002, S 7<br />

http://www.efeu.or.at/seiten/download/fachreader.pdf<br />

35


funktionalisierung“ der Jugendphase: Die Jugend hätte sozusagen ihre Funktion verloren,<br />

weil die gestellten Aufgaben an diesen Lebensabschnitt auch in einer anderen Lebensphase<br />

bewältigt werden können. 92<br />

2.1.2 Selbstbild der jungen Österreicher/innen<br />

Im „4. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich“ 93 wurde 2003 unter anderem auch das<br />

Selbstbild der jungen Menschen in Österreich zwischen 14 und 30 Jahren untersucht: „90 %<br />

der 14- bis 15-Jährigen und <strong>im</strong>merhin noch 70 % der 16- bis 17-Jährigen, jedoch nur mehr 42 % der 18-<br />

bis 19-Jährigen bezeichnen sich selbst als „Jugendliche“. Bereits jede/R zweite 18- bis 19-Jährige versteht<br />

sich hingegen als „jungeR Erwachsener“. (...) Die Jungerwachsenenphase dauert dann bis etwa zum 25.<br />

Lebensjahr an.“ 94<br />

Im Alter von 18 bis 19 Jahre fühlen sich 7 % als Erwachsene, 65 % der 26- bis 27-Jährigen<br />

fühlen sich als richtig erwachsen. Bei den 28- bis 30-Jährigen bezeichnen sich 80 % als Erwachsene,<br />

die anderen 20 % fühlen sich als „junge Erwachsene“. 95<br />

2.2 Pubertät und Adoleszenz<br />

Die Phase der Jugend ist vor allem geprägt durch die mannigfachen Lebensumbrüche der<br />

Pubertät und Adoleszenz. Diese beiden - entgegen der oft vorherrschenden Meinung han-<br />

delt es sich nicht um das selbe - Phänomene stellt Jugendliche vor viele Fragen und Heraus-<br />

forderungen und erklärt doch Krisen, in denen sich Jugendliche oftmals befinden.<br />

2.2.1 Die Pubertät<br />

Die Pubertät beschreibt die körperlichen Veränderungen, die junge Menschen zwischen 9<br />

92<br />

vgl. Schröder (2005), S 90<br />

93<br />

Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz: 4. Bericht zur Lage der Jugend in<br />

Österreich. Teil A: Jugendradar 2003. Wien, 2003<br />

94<br />

Quelle: Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2003), S 5<br />

95 vgl. ebd.<br />

36


und 13 Jahren (die einen früher, die anderen später) erfassen. Vor allem die Entwicklung<br />

der pr<strong>im</strong>ären und sekundären Geschlechtsmerkmale und das Erreichen der Geschlechtsrei-<br />

fe stehen hier <strong>im</strong> Zentrum. Pickel tauchen auf und plötzliche Wachstumsschübe verändern<br />

den Körper rasant. Dadurch resultierende „Ungelenke Bewegungen und ein Sichhässlichfühlen füh-<br />

ren zu Verunsicherungen und Scham. Pubertierende versuchen sich phasenweise zu verstecken, sie möchten<br />

manchmal <strong>im</strong> Boden versinken.“ 96<br />

Es wird zwischen Vorpubertät und eigentlicher Pubertät (Hochpubertät) unterschieden.<br />

Vorpubertät ist die „Zeitspanne zwischen dem ersten Erscheinen der sekundären Geschlechtsmerkmale<br />

und dem ersten Funktionieren der Geschlechtsorgane (Erstmenstruation und Erstpollution, also dem ersten<br />

Samenerguss).“ 97 Unter Pubertät versteht man die Zeitspanne zwischen diesem ersten Funk-<br />

tionieren der Geschlechtsorgane und dem Zeitpunkt, an dem die bisexuellen Tendenzen<br />

nachzulassen beginnen. Somit ist die Pubertät auch nach oben hin nicht genau begrenzt und<br />

liegt ungefähr am Ende des 16., Anfang des 17. Lebensjahres. 98<br />

2.2.2 Adoleszenz<br />

Die Adoleszenz betont vor allem den kulturellen Einfluss. Damit bezeichnet wird jene Zeit<br />

„die junge Menschen brauchen, um sich mit der durch den pubertären Umbruch ausgelösten Situation psy-<br />

chisch zu arrangieren, um den neuen Körper „bewohnen“ zu lernen und um sich ihren jeweiligen Platz in der<br />

Gesellschaft zu suchen.“ 99<br />

Die Adoleszenz ist in drei Zeitphasen einteilbar: 100<br />

� Die frühe Adoleszenz: Die Zeit der Pubertät – also die Zeit von zwischen 9 und 13<br />

Jahren bis hin zu zwischen 14 und 16 Jahren<br />

96 Quelle: Schröder (2005), S 91<br />

97<br />

Quelle: Klosinski, Gunther: Pubertät heute. Lebenssituationen – Konflikte – Herausforderungen. Kösel-<br />

Verlag, München 2004, S 19<br />

98<br />

vgl. Klosinski (2004), ebd.<br />

99 Quelle: Schröder (2005), S 91<br />

100 vgl. Schröder (2005), S 91 ff<br />

37


� Die mittlere Adoleszenz: Die Zeit, in der man sich in sozialen Beziehungen außer-<br />

halb des Elternhauses erprobt und teilweise die ökonomische Selbstständigkeit er-<br />

wirbt bzw. sich darauf vorbereitet und die vom Ende der Pubertät bis zu 18/19 Jah-<br />

ren reicht.<br />

� Die späte Adoleszenz, die daran anschließend hin zu 25 bis 30 Jahren reicht und in<br />

der man zu den jungen Erwachsenen zählt.<br />

Geprägt ist der Verlauf der Adoleszenz durch die kulturellen Angebote, die eine Gesell-<br />

schaft zur Verarbeitung des Umbruches in der Pubertät zur Verfügung stellt. Früher gab es<br />

in der Regel Initiationsriten, um mit den körperlichen und psychischen Wallungen in einem<br />

klaren Rahmen besser umgehen zu können. Die Adoleszenz war aufgrund dessen auf Tage<br />

oder wenige Wochen begrenzt. Heute ist die Adoleszenz offener und länger geworden. In<br />

unserer Kultur gibt es solche allgemeinverbindlichen Rituale nicht mehr. Zwar bilden sich<br />

speziell in Jugendkulturen <strong>im</strong>mer wieder rituelle Elemente heraus – aber diese zeigen eher<br />

die vielfältigen Möglichkeiten des Weges auf und sind nicht obligatorisch. 101<br />

2.2.3 Herausforderungen in diesem Lebensabschnitt<br />

Das Jugendalter stellt andere Anforderungen an die Selbstständigkeit als an das Kind-Sein.<br />

Hier entwickeln sich Aufgaben und Herausforderungen für Jugendliche, die große Span-<br />

nungen darstellen (zwischen Altem und Neuen, zwischen Bindung und Autonomie ...) und<br />

das Individuum in Adoleszenzkrisen der unterschiedlichsten Form bringen, die nicht gera-<br />

delinig oder einfach zu lösen sind.<br />

Schröder fasst die wesentlichen Grundaufgaben dieser Entwicklung in 4 Bereiche zusam-<br />

men 102 :<br />

A) Ablösung von der Familie und Hinwendung zu den Peers: Der Abschied von<br />

der Kindheit und die Ablösung von der Familie sind zu vollziehen. Diese Ablösung<br />

101 vgl. Schröder (2005), S 92<br />

102 vgl. Schröder (2005), S 92 ff<br />

38


ist ein stetes Hin und Her, eine Distanzierung von den Eltern ist mit einer Wieder-<br />

hinwendung verbunden. Ganz löst sich niemand von der Familie ab. Eine Entwick-<br />

lung der Eigenständigkeit ist aber zu vollziehen. Eine Distanz zu den Eltern ist<br />

schon alleine aufgrund des Inzesttabus von Nöten. Durch die hormonelle und sexu-<br />

elle Reifung werden die Jugendlichen förmlich aus den Familien hinausgetrieben.<br />

Welchen Weg der junge Mensch einschlägt und welche Gegensätze sich zu den El-<br />

tern auftun, „lässt sich in einer Gesellschaft, in der der Übergang in das Erwachsenenalter nicht<br />

mehr eindeutigen Ritualen unterworfen ist, weder allgemein gültig sagen, noch von den Eltern steu-<br />

ern.“ 103 Eine vergleichbare emotionale Funktion anstatt der Familie übern<strong>im</strong>mt in<br />

dieser Phase in der Regel die Gleichaltrigengruppe. Diese Peergroups 104 sind heute<br />

zu einem zentralen Sozialisationsfaktor geworden. In ihr fühlen sich die Jugendli-<br />

chen am ehesten aufgenommen, verstanden und ernst genommen.<br />

B) Liebesfähigkeit und Sexualität – Unterschied zwischen Wissen und Fühlen:<br />

Trotz aller Aufklärung ist das Sexuelle auch heute noch ein emotionales Gehe<strong>im</strong>nis,<br />

das jede/r für sich auf eigene Weise erobern und entdecken muss. Die biologische<br />

Fähigkeit, Leben zu erzeugen, kann ihre Wirkung erst entfalten, wenn int<strong>im</strong>e Bezie-<br />

hungen eingegangen werden. Int<strong>im</strong>ität erhält durch die Möglichkeiten der genitalen<br />

Sexualität neue Möglichkeiten. Es gilt dabei, Liebeserfahrungen aus der Kindheit<br />

mit den neuen sexuellen Möglichkeiten zu verbinden.<br />

C) Arbeitsfähigkeit – Chancen zu einer eigenständigen Lebensführung: Weil es<br />

in der kapitalistischen Gesellschaft dazugehört, seine Arbeitskraft auf dem Markt<br />

verkaufen – um eigenständig das Leben führen – zu können, gilt es, die dafür not-<br />

wendigen Fähigkeiten zu erwerben. Um den Erwachsenenstatus erreichen zu kön-<br />

nen, gilt es daher, Kompetenzen, Bildungsabschlüsse und Persönlichkeit auf markt-<br />

adäquate Weise zu entwickeln. Adoleszente Jugendliche reagieren auf vielfältige<br />

Weise: Teilweise mit vielfältigen Aktivitäten (Praktika, frühzeitige Arbeitsverhältnis-<br />

103 Quelle: Schröder, (2005), S 93<br />

104 vgl. Kapitel 2.4: Freundschaften und Cliquen<br />

39


se), teilweise mit Resignation oder Aggression und teilweise – gerade unter den ver-<br />

schärften Bedingungen von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau mit dem Greifen nach<br />

anderen Mitteln, um sich „über Tauschgeschäfte in marginalisierten Milieus über Wasser (zu)<br />

halten“ 105 .<br />

D) Umgang mit Widersprüchen <strong>im</strong> Selbst: Die vielfältigen Spannungen und Krisen<br />

des Jugendalters erledigen sich nicht von selbst. Wesentlich kommt es für Jugendli-<br />

che darauf an, ob sie auf Personen und Strukturen treffen, die ein Gegenüber und<br />

die Möglichkeit zur Reibung bieten und trotzdem nicht ablehnend oder abwertend<br />

dabei reagieren. Die zwiespältigen Gefühle, denen Jugendliche durchaus verzweifelt<br />

und scheinbar unentrinnbar gegenüber stehen, motivieren diese oft für (<strong>jugend</strong>kul-<br />

turelle) Szenen und Meinungen, die deutlich polarisieren und ein schwarz-weiß<br />

Schema ausdrücken. „Hier spiegeln sich <strong>im</strong> Außen die Erfahrungen aus dem Innen. Dieser<br />

Umweg über teils extreme Polarisierungen ist ein Privileg der Jugend.“ 106 Die Überwindung<br />

dieser Schärfe muss den Jugendlichen gelingen, die gegensätzlichen Erfahrungen <strong>im</strong><br />

Selbst gilt es zu akzeptieren, zu versöhnen und zu integrieren.<br />

105 Quelle: Schröder (2005), S 94<br />

106 Quelle: ebd.<br />

40


Klosinski zählt für diesen Lebensabschnitt sechs wesentlich zu lösende Aufgabenbe-<br />

reich auf:<br />

• Eine mehr oder weniger vollständige „äußere“ Trennung vom Elternhaus sowie eine „in-<br />

nere“ Unabhängigkeit<br />

• Eine psychosexuelle Identität<br />

• Die Fähigkeit tragende Bindungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten (sowohl sexuel-<br />

le Bindungen als auch Freundschaften)<br />

• Die Entwicklung eines persönlichen Wert- und Moralsystems<br />

• Die Bereitwilligkeit zur Arbeit und das Hineinfinden in eine entsprechende Tätigkeit<br />

• Eine Rückkehr zu bzw. eine Wiederbegegnung mit den Eltern (wobei hier von jeder<br />

107 Quelle: Klosinski (2004), S 26<br />

Seite partnerschaftliches Anerkennen Voraussetzung für diese neue Beziehung<br />

ist) 107<br />

41


2.3 Jugend <strong>im</strong> „posttraditionellen Materialismus“<br />

Der Jugendforscher Bernhard Heinzelmaier erklärt die aktuellen <strong>jugend</strong>lichen Denk- und<br />

Handlungsweisen der Jugendlichen vor dem Hintergrund des „posttraditionellen Materia-<br />

lismus“, der für ein Lebensprinzip steht, „das ein hohes Sicherheitsbedürfnis und große Affinität zu<br />

materiellen Dingen (Einkommen, Konsum, Karriere, Erlebnis) mit dem weitgehenden Fehlen von ideologi-<br />

schen und institutionellen Bindungen vereint. Diese Art von Materialismus ist ein quasi moralisch völlig<br />

unkontrollierter, von den meisten Wertebindungen befreiter Pragmatismus, der pr<strong>im</strong>är am individuellen Ei-<br />

geninteresse, am Eigennutzen des handelnden Subjekts ausgerichtet ist. Im Kern regiert hier das „Cui Bo-<br />

no“, das heißt ausschließlich die Frage nach dem persönlichen Nutzen leitet das Handeln der postmodernen<br />

Pragmatiker. 108 “<br />

Ein Aufwachsen unter diesem Paradigma bedeutet, das gesuchte Glück trotz aller Bemü-<br />

hungen nicht finden zu können. Heinzelmaier beschreibt diesen vorherrschenden Typus als<br />

einen Menschen, der grundsätzlich melancholisch, phasenweise auch tieftraurig, das Defizi-<br />

täre dieser Lebensart in der Regel nicht offen ausspricht, jedoch beständig empfindet. Der<br />

Preis für das materialistische Vergnügen sind Stress und <strong>im</strong>menser Leistungsdruck. Es ge-<br />

linge nicht, dieses gesellschaftlich-ökonomische Muster zu durchbrechen, weil nicht mehr<br />

gelernt wurde, in einem größeren als dem individuellen „Cui Bono“ zu denken und zu han-<br />

deln.<br />

Jugendliche lernen in diesem gesellschaflichten Kontext vor allem dreierlei: 109<br />

„Erstens: Nütze deine Jugend, um dich für den Konkurrenzkampf in der Leistungsgesellschaft „hochzurüs-<br />

ten“.<br />

Zweitens: Es geht dir umso besser <strong>im</strong> Leben, je mehr materielle Güter du konsumieren und je mehr intensive<br />

Erlebnisse du dadurch haben kannst.<br />

Und drittens: Werte sind eine persönliche Angelegenheit, jeder hat seine eigenen, jeder hat andere.“<br />

108 Quelle: Heinzelmaier, Bernhard: Jugend unter Druck: Das Leben der Jugend in der Leistungsgesellschaft und<br />

die Krise der Partizipation in der Ära des posttraditionellen Materialismus. E-Papier, Wien 2007, S 6<br />

109 Quelle: Heinzelmaier (2007), S 3<br />

42


2.3.1 Werte der Jugend<br />

Heinzelmaier weist darauf hin, dass die Werte der Jugend für den Komplex „Hochrüstung für<br />

den Konkurrenzkampf des Arbeitslebens“ stehen, da unter den „Top 10“ der T<strong>im</strong>escout Welle 12<br />

drei Aussagen rund um Ausbildung und Karriere zu finden sind.<br />

Tabelle 2: Werte der Jugend <strong>im</strong> Jahr 2007 110<br />

So finden die Werte „Eine gute Ausbildung“ mit knapp mehr als 70 %, „ein sicherer Job“<br />

mit knapp über 60 % und „Karriere“ mit fast 50 % prominente Plätze in diesem Ranking.<br />

Auch „genügend Geld“ findet mit mehr als 40 % doch breite Werte-Zust<strong>im</strong>mung. Demge-<br />

genüber stehen „klassische Werte“ wie „Der Glaube an Gott“, mit knapp über 10 %, „Vor-<br />

bilder“ mit 10 % und „Engagement in der Politik“ mit knapp 5 % Zust<strong>im</strong>mung weit abge-<br />

schlagen in der Zust<strong>im</strong>mung. Hier zeigt sich doch eine breite Desillusionierung, was mögli-<br />

che wertbildende Instanzen betrifft. Weil für Jugendliche – wie auch für das Gros der Er-<br />

wachsenen – zusätzlich das Pr<strong>im</strong>at der Wirtschaft stark <strong>im</strong> Vordergrund sehen, bzw. die<br />

Wirtschaft als das machtvollere System wahrgenommen wird, schlussfolgert Heinzelmaier:<br />

110 Quelle: Heinzelmaier (2007), S 4<br />

43


„Ein großer Teil der heutigen Jugendlichen sieht sein Leben kaum mehr mit dem großen gesellschaftlichen<br />

Ganzen verbunden. Sie können Institutionen, Parteien, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften etc. in<br />

keinen Zusammenhang mit ihren persönlichen Bedürfnissen und Interessen bringen, weil sie meinen, dass die<br />

Durchsetzung dieser Bedürfnisse und Interessen lediglich von ihnen selbst und den sie unterstützenden unmit-<br />

telbaren Bezugspersonen abhängt. Den Jugendlichen wurde ein Individualismus „ansozialisiert“, der zur<br />

Ausblendung des großen Systemzusammenhangs geführt hat und der sie ihr Heil pr<strong>im</strong>är in emotional hoch<br />

aufgeladenen Bezügen zu Familienmitgliedern und den engsten Freunden suchen lässt.“ 111<br />

2.3.2 Jugend unter Stress<br />

Heinzelmaier ortet das sich „Unter Druck Fühlen“ als eine „Grundbefindlichkeit des jungen Men-<br />

schen in unserer Zeit.“ 112 . Das Schl<strong>im</strong>me dabei: Je jünger die Jugendlichen sind, desto stärker<br />

fühlen sie sich unter Druck.<br />

Tabelle 3: Stresserfahrungen bei Jugendlichen 2007 113<br />

Während knapp über 60 % der jungen Menschen zwischen 11 und 29 Jahren über wach-<br />

111 Quelle: Heinzelmaier (2007), S 14<br />

112 Quelle: Heinzelmaier (2007), S 6<br />

113 Quelle: Heinzelmaier (2007), S 8<br />

44


senden Druck klagen, trifft dies auf fast 70 % der 11- bis 14-Jährigen zu. Arbeit und Schule<br />

machen aufgrund des regierenden Leistungsdrucks einem Drittel der 11- bis 29-Jährigen<br />

keinen Spaß mehr und über 45 % bei den 11- bis 14-Jährigen. Die Wichtigkeit der eigenen<br />

Leistung wird von vielen vor der Wichtigkeit der eigenen Person bei der Wahrnehmung<br />

durch die Umgebung gesehen.<br />

2.4 Freundschaften und Cliquen<br />

Ein typisches „Jugendphänomen“ sind Freundschaften und Cliquen. Besonders <strong>im</strong> öffentli-<br />

chen Raum fallen diese Cliquen auf und sorgen <strong>im</strong>mer wieder für Unmut, manchmal auch<br />

Angst – vor allem bei erwachsenen bzw. älteren Personen. Cliquen sind auch oft der „Ur-<br />

sprungsherd“ für unüberlegte Aktionen Jugendlicher. Dabei stellt die Clique einen wesentli-<br />

chen Sozialisations<strong>raum</strong> für Jugendliche dar. Kurz gesagt: Jung sein ohne Zugehörigkeit zu<br />

einem Freundeskreis ist für die meisten Jugendlichen undenkbar. Um Jugendliche und de-<br />

ren Verhalten verstehen zu können, ist ein genauerer Blick auf die Rolle und Dynamiken<br />

der Clique unabdingbar.<br />

„Sobald Kinder in ihrer eigenen Vorstellung aufhören, Kind zu sein, und beginnen sich als Jugendliche zu<br />

fühlen (<strong>im</strong> Regelfalls passiert das irgendwann zwischen dem 10. und dem 14. Lebensjahr), beginnt der Prozess<br />

des Selbständigwerdens bzw. die schrittweise Abnabelung von den Eltern.“ 114<br />

Die Eltern spielen zwar noch – bedingt durch eine starke emotionale Bindung eine wichtige<br />

Rolle – aber in vielen Dingen des Alltags verliert die Herkunftsfamilie an Bedeutung und<br />

<strong>im</strong>mer mehr Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung kommen aus den Freundeskreisen.<br />

„Alltägliche Probleme werden <strong>im</strong> Jugendalter kaum mehr <strong>im</strong> Gespräch mit den Eltern gelöst, sondern viel-<br />

mehr <strong>im</strong> Umfeld der Gleichaltrigen zum Thema gemacht. Da die FreundInnen nicht nur Interessen, sondern<br />

auch altersspezifische Erfahrungen und Probleme teilen, stellen FreundInnen für Jugendliche wichtige Ge-<br />

sprächsparterInnen dar. Konkret heißt das: Jugendliche holen sich bei ihren FreundInnen Rat, wenn es zu-<br />

hause, in der Schule oder auch in der Beziehung Probleme gibt. Sie vertrauen auf das Urteil ihrer Freun-<br />

114 Quelle: Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2003), S 7<br />

45


dInnen, weil sie glauben, dass ihre FreundInnen das, was sie selbst gerade erleben, nachvollziehen kön-<br />

nen.“ 115<br />

Die Bedeutung der Freund/innen ist bei den Jugendlichen stark gestiegen. Die Jugend-<br />

Wertestudie 2000 zeigte einen Bedeutungsanstieg von Freund/innen <strong>im</strong> Alterssegment der<br />

16- bis 24-Jährigen einen Anstieg von 1990 auf 2000 von 53 % auf 72 % (Freund/innen als<br />

wichtiger Lebensbereich) an. 116 Diese Zahlen zeigten sich 2003 stabil: „72 % der 14- bis 19-<br />

Jährigen bezeichnen FreundInnen als persönlich sehr wichtigen und weitere 25 % als ziemlich wichtigen Le-<br />

bensbereich. Gute FreundInnen zu haben, nennen 3 von 4 Jugendlichen <strong>im</strong> Alter von 14 bis 19 Jahren als<br />

ein persönlich sehr wichtiges Lebensziel.“ 117<br />

Wie die Daten des „4. Bericht zur Lage der Jugend“ belegen, spielen gleichgeschlechtlichte<br />

Freundschaften aber über alle Altergruppen hinweg eine größere Rolle als gegengeschlecht-<br />

liche Freundschaften. 118 Dies ist vor allem bei Burschen der Fall: in der Altersgruppe der<br />

14- bis 19-Jährigen geben diese zu 89 % an, einen oder mehrere gute Freunde zu haben und<br />

diesen zu vertrauen, während sie nur zu 22 % Freundinnen ins Treffen führen. Bei Mäd-<br />

chen in dieser Altersgruppe geben drei Viertel (76 %) an, eine oder mehrere gute<br />

Freund/innen zu haben, allerdings haben fast die Hälfte (46 %) auch sehr gute Freunde. 119<br />

2.4.1 Cliquen<br />

Cliquen – auch als Peer-Groups, also als Gruppe Gleichaltriger bezeichnet – gab es wohl<br />

schon <strong>im</strong>mer. Relativ neu ist allerdings der zentrale Einfluss auf die Sozialisation junger<br />

Menschen, der vor allem durch die „systematische, altersbegründete Ausgrenzung längst biologisch<br />

herangereifter Menschen aus der Erwachsenengesellschaft“ 120 begründet wurde, die in dieser Form<br />

115 Quelle: Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2003), S 7 ff<br />

116 vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2003), S 8<br />

117 Quelle: ebd.<br />

118 vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2003), S 8<br />

119 vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2003), S 9 ff<br />

120 Quelle: Krafeld, Franz Josef: Jungen und Mädchen in Cliquen. In: Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt<br />

(Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. 3. Aufl., VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesba-<br />

46


seit den Anfängen 1900 bekannt ist.<br />

Noch in den 50iger Jahren des vorigen Jahrhunderts galten Cliquen als bestenfalls ergän-<br />

zendes Sozialisationsfeld neben weit wichtigeren Feldern wie Familie, Arbeit, Nachbar-<br />

schaft, Milieu, etc. Durch die fortschreitende Auflösung der sozialen Milieus und die zu-<br />

nehmende Individualisierung verloren die gewohnten sozialen Bezugssysteme wesentlich an<br />

Bedeutung zugunsten der selbstgeschaffenen Zusammenhänge von Gleichaltrigen. Einen<br />

zusätzlichen Schub erhielt diese Entwicklung durch die zunehmende Brüchigkeit von Kon-<br />

zepten der Normalbiografie in den letzten 30 Jahren durch wachsende (soziale) Unsicher-<br />

heiten. 121<br />

34 % aller Jugendlichen sind laut dem österreichischen Jugendradar 2003 in einem festen<br />

Freundeskreis bzw. in einer Clique integriert. Mit zunehmendem Alter sinkt die Cliquenori-<br />

entierung zugunsten von loseren Freundschaften. Etwa ein Viertel der Befragten geht zum<br />

Cliquenprinzip (quer durch alle Altersschichten) auf Distanz und fühlt sich weder einem<br />

festen noch einem losen Freundeskreis zugehörig. In den Cliquen sind sowohl Jugendliche<br />

mit Paarbeziehungen, als auch jene ohne – zu annähernd gleichen Prozentsätzen vertreten.<br />

Generell lässt sich feststellen, dass die Cliquen – wieder quer durch die Altergruppen – nicht<br />

strikt altershomogen sind, sondern eher Gruppen, in denen gemeinsame Interessen und All-<br />

tagserfahrungen unter annähernd Gleichaltrigen identitätsstiftend sind. Jugendliche, die in<br />

eine Clique eingebunden sind, fühlen sich vor allem ihrer „Stamm-Clique“ verbunden: 68 %<br />

der 14- bis 19-Jährigen, die sich als Mitglied einer Clique ausgeben, sind nur in einer einzi-<br />

gen Clique, 17 % sind in zwei, 9 % sind in drei Cliquen und nur 5 % sind in vier oder mehr<br />

Cliquen integriert. Jene, die Teil einer Clique sind, haben durchaus intensiven Kontakt zu<br />

dieser: 63 % der 14- bis 19-jährigen Cliquenmitglieder treffen sich mehrmals pro Woche<br />

und weitere 29 % mindestens einmal pro Woche. Mit zunehmenden Alter (bei den über 19-<br />

Jährigen) steigt die Zugehörigkeit zu mehreren Cliquen und die Intensität der Cliquenkontakte<br />

lässt nach. 122<br />

den 2005, S 71<br />

121 vgl. Krafeld (2005), S 71 ff<br />

122 vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2003), S 15 ff<br />

47


Die Ansfeldner Jugendstudie des Jahres 2006 kommt zu einem ähnlichen Befund. Die jun-<br />

gen Menschen zwischen 12 und 21 Jahren geben an, hauptsächlich mit denselben Leuten<br />

die Freizeit zu verbringen (36,5 % trifft voll zu/48,2 % trifft eher zu). Hier kennt man als<br />

Jugendlicher zwar noch die meisten Jugendlichen aus der Nachbarschaft (46,7 % trifft voll<br />

zu, 24,6 % trifft eher zu), trifft sich aber nicht unbedingt mit diesen. Die Feststellung: „Ich<br />

treffe mich oft mit Jugendlichen aus der Nachbarschaft“ trifft lediglich für 22,6 % voll zu,<br />

für 19,1 % trifft dies eher zu. Demgegenüber spielen die ähnlichen Interessen eine wesentli-<br />

chere Rolle: 68,9 % der Befragten geben an, gemeinsame Hobbys zu haben.<br />

Der „typische Freundeskreis“ stellt sich in Ansfelden wie folgt dar: 92,5 % der Befragten<br />

geben an, eher stark zusammen zu halten, die Clique besteht zu 61,9 % aus mehr als 5<br />

Freund/innen und trifft sich zu 44,9 % mehr als 3 Mal in der Woche (Gegenfeststellung:<br />

„Wir treffen uns bis 3 Mal die Woche“). Die Cliquen sind überwiegend geschlechtlich ge-<br />

mischt (68,1 %), auch eine Mischung be<strong>im</strong> Alter ist feststellbar (55,4 % geben an unter-<br />

schiedlichen Alters zu sein) und man bleibt zu 41 % gern unter sich. Größtenteils sind die<br />

Cliquen sehr regional orientiert – 57, 4 % der Jugendlichen einer Clique rekrutieren sich aus<br />

einem Bereich, der binnen 10 Minuten erreichbar ist. 123<br />

Krafeld weist darauf hin, dass für die Altergruppe der 13 bis 15-Jährigen vor allem ge-<br />

schlechtshomogene Cliquen typisch - über dieses Alter hinaus aber gemischte Gruppen üb-<br />

lich - sind. Größere und relativ offene Cliquen sind hauptsächlich in unteren sozialen<br />

Schichten zu finden. Ausnahme bilden hier die reinen Mädchencliquen: Diese sind in jeder<br />

Schicht gerade so groß, dass sie sich in einer privaten Wohnung treffen können (beste<br />

Freundinnen). Vergleichbar kleine Cliquen sind am ehesten noch in bildungsorientierten<br />

Mittelschichten zu finden. Diese sind speziell auf intensive Beschäftigung mit best<strong>im</strong>mten<br />

Hobbys und Aktivitäten konzentriert. Sonst sind Jungendcliquen und gemischte Cliquen<br />

meist wesentlich größer. 124<br />

In den gemischten Cliquen gibt es in der Regel eine Fortschreibung der typischen Ge-<br />

123 vgl. Tschemer (2006)<br />

124 vgl. Krafeld (2005), S 72 ff<br />

48


schlechterrollen: „In den Cliquen selbst reproduzieren sich vielmehr in ganz hohem Masse diejenigen ge-<br />

schlechtstypischen Verhaltensmuster, die in dieser Gesellschaft, bzw. genauer, in den jeweiligen Milieus vor-<br />

herrschend oder als selbstverständlich gelten. Manches spricht sogar dafür, dass sie dort teilweise eher ver-<br />

stärkt als abgebaut werden.“ 125 Mädchen ist es durch die Cliquen zwar gelungen einen zusätzli-<br />

chen Frei<strong>raum</strong> für sich zu gewinnen, andererseits sind sie aber durchaus auf die Jungen an-<br />

gewiesen: Sie werden mitgenommen und haben dadurch Zugang zu erlebnisintensiven All-<br />

tagserfahrungen, die ihnen vormals oft untersagt bleiben. Aber sie haben dadurch auch oft<br />

hinzunehmen, was in der Clique läuft bzw. passiert und sind teils eher zum Mitlaufen, teils<br />

eher zum Zuschauen und teils ganz vom Geschehen ausgeschlossen. 126<br />

Aber auch für Jungen sind Cliquen nicht nur paradiesisch: Weil sie nicht gelernt haben, mit<br />

ihren Ängsten und Un<strong>sicherheit</strong>en umzugehen, ist schon das Gefühl der Angst ein Versa-<br />

gen vor der Mann-Norm. Da Jungen darüber in der Regel nicht ins Gespräch kommen,<br />

denkt jeder, er sei der einzige, der so empfindet und so versucht jeder seine Gefühle vor<br />

jedem zu verbergen. Mit best<strong>im</strong>mten Strategien wandeln sie diese Un<strong>sicherheit</strong>en in For-<br />

men um, die unter Männern anerkannt sind (Herumbalgen, auf die Schulter hauen). Mit ih-<br />

rer Inszenierung der Männlichkeit (oder maßloser Überlegenheit) bis hin zur Gewalttätigkeit<br />

erreichen Jungen, dass niemand ihre Schwächen und ihr Leiden erkennt, teilweise auch so<br />

weit, dass sie diese selbst nicht mehr bemerken können. 127<br />

In diesen Cliquen spiegeln sich einerseits gesellschaftliche Entwicklungen und Vorstellun-<br />

gen wider, andererseits zeigt sich <strong>im</strong>mer wieder auch eine <strong>jugend</strong>liche Eigenständigkeit und<br />

auch Widerständigkeit und ein eigensinniger Weg gegen den Zugriff von Erwachsenenwel-<br />

ten. Mittlerweile sind Cliquen <strong>im</strong>mer häufiger „für Jugendliche ein – wenn nicht gar der zentrale –<br />

Ort, an dem überhaupt noch soziale Einbindung besteht und wo sich Identitätsbildung und Persönlichkeits-<br />

entwicklung auf den personalen Austausch mit anderen stützen kann.(...) Cliquen stellen letztlich <strong>im</strong>mer<br />

wieder einen Versuch dar, sich in einer Welt, in der Zukunft zunehmend ungewiss ist, selbstorganisiert und<br />

125 Quelle: Krafeld (2005), S 73<br />

126 vgl. Krafeld (2005) S 73<br />

127<br />

vgl. Müller, Mathias:, Jungenleben – Männerwelten. In: Männer gegen Männergewalt (Hrsg.): Handbuch der<br />

Gewaltberatung, OLE-Verlag, Hamburg 2002, S 89 ff<br />

49


selbstbest<strong>im</strong>mt mit Altersgleichen Gegenwart anzueignen, und damit ein Stück Lebensbewältigung konkret<br />

anzugehen.“ 128<br />

Vor allem Jugendliche, die sich darüber beklagen, dass ihnen nie jemand zugehört habe oder<br />

die sich über mangelndes Interesse ihnen gegenüber beklagen, finden sich <strong>im</strong>mer häufiger in<br />

gerade auffälligen Cliquen. 129<br />

Die Suche nach Sicherheit gewinnt in einer Zeit, die generell von Un<strong>sicherheit</strong>en geprägt ist,<br />

zunehmend in diesen Cliquen an Bedeutung. Dadurch wird der pubertätstypische Prozess,<br />

der vor allem durch die Frage: „Wie werde ich eine richtige Frau?/Wie werde ich ein richti-<br />

ger Mann?“ geprägt ist, angeheizt und lässt Jugendliche in Cliquenzusammenhängen beson-<br />

ders rigide zu Mustern greifen, die sie als Ausweis von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit be-<br />

greifen. Aus der Clique heraus werden <strong>im</strong>mer wieder Versuche gestartet, sich in der wach-<br />

senden Geschlechterrolle zu probieren, sich zu beweisen und sich in die Begegnung mit<br />

dem anderen Geschlecht einzuüben. 130<br />

In vielfältiger Hinsicht sind diese Cliquen für die Jugendlichen für ihre Identitäts- und Per-<br />

sönlichkeitsentwicklung zentral. Auch für die Ablösung vom Elternbaus spielt die Clique<br />

eine wesentliche Rolle. „Die Peer-Gruppe lässt das Gefühl des Common Sense entstehen, mit dem man<br />

sich identifizieren muss, um dazuzugehören. Ein Wechselspiel aus Kompetenzen des Einzelnen und Akzep-<br />

tiertwerden durch die Mitglieder der Gruppe bewirkt mit die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls:<br />

Damit kann die Gleichaltrigengruppe als ein entwicklungsförderliches Übungsfeld angesehen werden, das<br />

notwendig ist, um sich von den Beziehungen zu den pr<strong>im</strong>ären Bezugspersonen, d.h. von Vater und Mutter,<br />

zu lösen.“ 131<br />

Für diese Loslösungsbewegung gilt <strong>im</strong> Übrigen: „Je größer die Abhängigkeit vom Elternhaus in<br />

Form von innerer Bindung ist oder war, desto größer und heftiger wird die Absetzbewegung der Jugendlichen<br />

vollzogen.“ 132<br />

128<br />

Quelle: Krafeld (2005), S 72<br />

129<br />

vgl. ebd.<br />

130<br />

vgl. Krafeld (2005), S 73<br />

131<br />

Quelle: Klosinksi (2004), S 33<br />

132<br />

Quelle: Klosinski (2004), S 33<br />

50


2.4.2 Cliquen und Konflikte<br />

Zusätzlich gehört es für die Cliquen und deren Entfaltung substantiell dazu, dass sie sich in<br />

ihrer Umwelt – und das auch durchaus sehr konflikthaft (weil diese Plätze eigentlich nicht<br />

für sie gedacht sind) - Territorien aneignen. 133<br />

Jugendliche lassen sich in diesen Cliquen auch zu Handlungen hinreißen, die sie alleine nicht<br />

machen würden. Der Jugendstrafverteidiger Zieger hält dazu fest: „Gruppen entfalten (...) eine<br />

Gruppendynamik, die die jungen Gruppenmitglieder zu Handlungen verleitet, die sie als Einzelne nie bege-<br />

hen würden, die persönlichkeitsfremd erscheinen, die in ihrer Spontaneität, oft auch in ihrer Brutalität die<br />

einzelnen Teilnehmer später selbst erschrecken. Der Gruppeneinfluss führt zu gruppenkonformen Verhalten,<br />

zu einer motivationalen Gleichschaltung, verstärkt vorhandene Tendenzen, verleitet zu Aktionismus, ent-<br />

hemmt die Mitglieder, die – ohne sich dies bewusst zu machen – ihre Verantwortlichkeit an die übergeordnete<br />

Instanz der Gruppe abtreten.“ 134<br />

Klosinski sieht die Hinwendung der Jugendlichen zur Clique begleitet durch eine Verlage-<br />

rung der wachsenden intrafamilialen Gewalt (die vom Jugendlichen ausgeht) nach außen<br />

hin. Geborgenheitsgefühle in der Familie verwandeln sich in Ängste, kleingehalten oder<br />

„vergewaltigt“ zu werden. Familientraditionen werden oft als Zwänge wahrgenommen. Die<br />

Eltern werden entwertet, Idole überhöht und Jugendliche unterwerfen sich den Regeln der<br />

Gruppe. „Stellen sich Eltern in den Weg, kommt es zum Kampf, zur Adoleszentenkrise mit reaktiver<br />

intrafamilialer Gewalt auf beiden Seiten. Die Bedeutung der Peer-Gruppe für aggressives und abweisendes<br />

Verhalten wird in ihrer Bedeutung häufig unterschätzt: Körperlich akzelerierte (also fortgeschritten entwi-<br />

ckelte) Kinder und Jugendliche, die den Risikopfad der Frühentwicklung beschreiten, sich stark <strong>im</strong> Ablö-<br />

sungs- und Autoritätskonflikt mit den Eltern befinden uns sich einer Clique anschließen, unterliegen umso<br />

mehr der Gruppendynamik, je weniger Einfluss die Eltern noch auf sie ausüben. Gewalttätige Jugendliche<br />

sind überdurchschnittlich häufig in Jugend-Cliquen, in denen ein hohes Maß an Gewaltakzeptanz be-<br />

133 vgl. Krafeld (2005), S 74<br />

134 Quelle: Zieger, Matthias: Verteidigung in Jugendstrafsachen. 4. Aufl., C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2002, S<br />

9<br />

51


steht. 135 “<br />

Klosinski weist in diesem Zusammenhang auf vier Gesetze der Gruppendynamik hin, wie<br />

sie Battegay (1986) formulierte: 136<br />

• Konvergenz der Meinungen und Verhaltensweisen: Abweichende Meinungen und Haltun-<br />

gen werden auf ein Mittelmaß zusammengedrückt, prinzipiell wird alles Fremdartige<br />

aus der Gruppe ausgeschlossen bzw. abgewehrt<br />

• Rang- und Hackordnung: Die Aggression innerhalb der Gruppe wird an eine Ordnung<br />

gebunden, die „Alpha-Mitglieder“ werden definiert, die anderen ordnen sich unter<br />

• Gemeinsamer Gegner: Dient zur gemeinsamen Definition, der Außenfeind gegenüber<br />

dem man zusammensteht<br />

• Das verstärkende Prinzip: Je größer der Faktor der Angst ist (egal ob durch Bedrohung<br />

von Innen oder Außen), desto ungehemmter muss die innere Psychodynamik wir-<br />

ken. „Unter dem Druck der Angst wird die Gruppe den Kampf gegen die gemeinsame Gefahr,<br />

gegen den Außenfeind, aufnehmen und dadurch vom inneren Konflikt ablenken.“ 137 Der innere<br />

Konflikt bzw. das aggressive Potential wird über diesen Mechanismus nach außen<br />

hin abgeleitet.<br />

Allerdings schränkt der deutsche Sicherheitsbericht 2006 die Gefahr einer Kr<strong>im</strong>inalisierung<br />

durch Cliquenzugehörigkeit ein: „Der geringste Teil solcher Gleichaltrigengruppen ist von Gewalt und<br />

Delinquenz gekennzeichnet. So fand eine aktuelle deutsche Studie, dass Gewalt und Delinquenz „prekäre“<br />

Cliquen kennzeichnete, in denen sich etwa 10 % der Jugendlichen befinden. Zumeist handelte es sich bei<br />

ihnen um stark vorbelastete Jugendliche. Deren Hintergrund wird durch familiäre Konflikte und eine be-<br />

lastete Beziehung zu den Eltern, eine geringe Bildung, negative Erfahrungen in der Schule, schlechte Zu-<br />

kunftsoptionen und vielfältige Ausschlusserlebnisse gekennzeichnet. Andere Cliquenarten wären für sie gar<br />

135 Quelle: Klosinski (2004), S 35<br />

136 vgl. Klosinski (2004), S 35 ff<br />

137 Quelle: Klosinski (2004), 36<br />

52


nicht zugänglich. Diese Form des Zusammenschlusses mit Gleichaltrigen ist insoweit durch Alternativlosigkeit<br />

gekennzeichnet.“ 138<br />

2.5 Jungen<br />

Wenn man sich über öffentliche Räume – vor allem unter dem Sicherheitsaspekt – Gedan-<br />

ken macht, rücken naturgemäß vor allem männliche Jugendliche in den Mittelpunkt des In-<br />

teresses. Genauso wie sich aber die Lebenswelten der Jugendlichen pluralisiert haben, so<br />

gibt es eine Vielfalt männlicher Lebensentwürfe und verschiedenster Typen von Burschen.<br />

Diese Lebensentwürfe sind aber in der Regel nicht frei wählbar: Sie hängen von den eigenen<br />

sozialen Lebensressourcen - den Zugängen zu Bildung, Finanzen, Anregungsmilieus und<br />

Personen - sowie von kommunikativen Kompetenzen ab. 139<br />

2.5.1 Ursachen der Schwierigkeiten ein Junge zu sein<br />

Die Situation von Männern und Jungen hat sich während der letzten Jahrzehnte massiv ver-<br />

ändert: Einerseits riefen die Erfolge der emanzipatorischen Frauenbewegung - die männli-<br />

che Dominanzen in Frage stellten bzw. einstürzen ließen - eine große Un<strong>sicherheit</strong> bei brei-<br />

ten Teilen der männlichen Bevölkerung hervor (und tun das nach wie vor). Andererseits<br />

haben die modernen gesellschaftlichen Entwicklungen den „klassischen Mann“ in vielen<br />

Bereichen in Frage gestellt: Potentielle Arbeitslosigkeit, die Auflösung he<strong>im</strong>atspendender<br />

Milieus, die geringere Bedeutung der Muskelkraft, Angebote androgyner Konsummuster<br />

kratzen als Beispiele dieser Entwicklung am klassischen Rollenverständnis des Mannes. Oft<br />

haben Burschen noch ein gängiges Verhaltensrepertoire mitbekommen, das in mancher<br />

138<br />

Quelle: Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht.<br />

Berlin 2006, S 359<br />

http://www.bmi.bund.de/Internet/Content/Common/Anlagen/Broschueren/2006/2__Periodischer__Sich<br />

erheitsbericht/2__Periodischer__Sicherheitsbericht__Langfassung__de,templateId=raw,property=publicationFile.<br />

pdf/2_Periodischer_Sicherheitsbericht_Langfassung_de.pdf<br />

139<br />

vgl. Sielert, Uwe: Jungen. In: Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und<br />

Jugendarbeit. 3. Aufl., VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, S 65<br />

53


Hinsicht heute nicht mehr ausreicht, um den neuen Herausforderungen unserer Zeit adä-<br />

quat zu begegnen. Tief verankerte geschlechtsspezifische Verhaltenstendenzen stehen einer<br />

wirksamen Bewältigung der neuen Situation <strong>im</strong> Wege und können zu einer Reihe problema-<br />

tischer Ergebnisse <strong>im</strong> Alltag führen: Kontaktprobleme mit Mädchen, Konkurrenzdruck,<br />

Selbstzweifel, psychosomatische Beschwerden, gewaltsame Konfliktaustragung sind nur<br />

eine paar Beispiele dieser negativen Auswirkungen. 140<br />

Eine besondere Schwierigkeit von männlichen Jugendlichen liegt darin, dass sie die meiste<br />

Zeit ihrer Kindheit mit Frauen verbringen, von denen sie versorgt und behütet werden.<br />

Obwohl Kinder spätestens mit Vollendung des 2. Lebensjahres über das Wissen verfügen,<br />

dass es unterschiedliche Geschlechter gibt, haben sie sowohl <strong>im</strong> häuslichen Umfeld, <strong>im</strong><br />

Kindergarten als auch in der Schule kaum Zugang zu männlichen Bezugspersonen. Jungen<br />

wissen zwar, dass sie ein anderes Geschlecht als ihre Mutter haben, können diesen Unter-<br />

schied aber inhaltlich nicht füllen. Männer treten den Jungen nicht als emotional spürbares<br />

Gegenüber bei der Suche der eigenen Geschlechtsidentität gegenüber, sondern beschränken<br />

sich vor allem auf drei – typisch männliche – Funktionen: 141<br />

• Auf eine strafende Sanktionsinstanz<br />

• Auf die Organisation von spektakulären Ereignissen (Sonntagsausflüge)<br />

• Auf die Förderung von Aktion und Aggression (Herumtoben)<br />

Die Gefühle von Niedergeschlagenheit, Trauer, Kleinheit und Bedürftigkeit werden durch<br />

Männer kaum an Burschen vermittelt. Dem Jungen fehlt damit ein Vorbild, an dem er sich<br />

„ganzheitlich“ orientieren kann. Folglich gibt es Irritationen, die mit Hilfe einer Umweg-<br />

Definition von Männlichkeit versucht werden zu bewältigen: Männlichkeit wird zum bloßen<br />

Gegenteil von Weiblichkeit. „Erlebt er dann bei einer Frau zum Beispiel, dass sie Angst hat, wird für<br />

ihn Ängstlichkeit zum Synonym für Weiblichkeit. Verhalten, das dem erlebten Vorbild der Mutter zu<br />

nahe kommt, wird bedrohlich, denn ein Junge, der sich wie eine Frau verhält, entspricht nicht der Norm<br />

eines „richtigen Jungen“. Statt also die Mutter nachzuahmen, macht er vielleicht genau das Gegenteil von<br />

140<br />

vgl. Sielert (2005), S 66<br />

141<br />

vgl. Müller (2002), S 84<br />

54


dem, was er bei ihr erfährt, selbst wenn er ihr Verhalten positiv bewertet.“ 142<br />

2.5.2 Jungen: Opfer und Täter zugleich<br />

Burkhard Oelemann beschreibt Jungen in seinem gleichnamigen Dossier als „Cool, aber ein-<br />

sam ...“. 143 Jungen stellen (auch in der Kr<strong>im</strong>inalität) den überwiegenden Großteil der Täter<br />

und der Opfer. Aufgrund der Abwesenheit von Männern in deren Sozialisation versuchen<br />

sich Jungen be<strong>im</strong> Zusammentreffen gegenseitig davon zu überzeugen, dass sie der vorherr-<br />

schenden Mann-Norm entsprechen. Je größer dabei die jeweilige Un<strong>sicherheit</strong> ist, desto<br />

deutlicher wird versucht, dieses Manko vor sich und den anderen zu verbergen: „Da aber<br />

jeder Mensch Situationen von Angst erlebt, trifft bei heranwachsenden Männern eine Gruppe von ‚Versa-<br />

gern’ aufeinander Und jeder Einzelne ist bemüht, das vor sich und den anderen zu verbergen. Zugleich<br />

denkt jeder Einzelne, er sei selbst der einzige ‚Versager’. Der Wunsch nach Kompensation hält Einzug.<br />

Gewalt und andere Auffälligkeiten wie Mutproben dienen dann der Leugnung von eigenen Gefühlen der<br />

Unzulänglichkeit und des Mangels. Jungen wachsen orientierungslos in einem Raum ohne Grenzen auf.<br />

Schwäche gilt als schwächlich. Weich als weichlich. Diese Leitsätze müssen ein differenziertes und lebbares<br />

Vorbild ersetzen“. 144<br />

Das Streben nach diesen Leitsätzen und alten Rollenmustern bezahlen Jungen mit einem<br />

durchaus hohen Preis:<br />

„So sind in Deutschland 54 % aller Gymnasiasten Mädchen, aber 56 % aller Hauptschüler und 64 %<br />

aller Sonderschüler Jungen; von allen Mädchen macht jedes vierte Abitur, von den Jungen jeder fünfte;<br />

knapp 50 % mehr Jungen als Mädchen bleiben in der Schule sitzen, wiederum 50 % mehr Jungen als<br />

Mädchen bleiben ohne Schulabschluss. ... Sie leiden öfter unter Sprach-, Lese und Rechtschreibschwäche,<br />

zeigen mehr Verhaltensauffälligkeiten, sind doppelt so häufig Bettnässer wie Mädchen, stottern viermal so<br />

oft und siebenmal häufiger wird bei ihnen das „Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom“ (ADS) diagnostiziert.<br />

142<br />

Quelle: Müller (2002), S 85<br />

143<br />

Quelle: Oelemann, Burkhard: "Cool, aber einsam ... Wie Jungen ihr Leben erleben. Forum Intervention,<br />

o.O. 2003,<br />

http://www.eduhi.at/dl/Cool_aber_einsam.pdf<br />

144<br />

Quelle: Olemann (2003), S 6<br />

55


Das hat zur Folge, dass viele Jungen bereits von Allgemein- oder Kinderärzten medikamentös ruhig gestellt<br />

werden, weil sie unter ihrer Orientierungslosigkeit leiden und den widersprüchlichen Anforderungen durch die<br />

Geschlechterrolle nicht gerecht werden können. Die erlebte Alltagserfahrung für die überwiegende Mehrzahl<br />

von Jungen einerseits und Männern andererseits st<strong>im</strong>mt demnach in einer Hinsicht häufig überein: Nicht<br />

Über- sondern Unterlegenheit ist für sie eine gängige Erfahrung.“ 145<br />

Für Männer generell stellt sich die Situation nach Oelemann nicht wesentlich besser dar: 146<br />

� Sie Leben rund 7 Jahre kürzer als Frauen<br />

� Sie sind häufiger krank<br />

� Sie begehen 3 bis 4 Mal häufiger Suizid<br />

� Sie bilden das Gros bei körperlicher Gewalt auf Opfer- und Täterseite (ca. 90 %<br />

sind Täter, ca. 2/3 sind Opfer)<br />

� Sie stellen 96 % der Gefängnisinsassen<br />

� Sie stellen 95 % der tödlichen Arbeitsunfälle<br />

� Sie sind häufiger alkohol- und drogenabhängig<br />

� Sie bilden 70 % der Obdachlosen<br />

Männliche Jugendliche selbst, wünschen sich in überwiegender Mehrheit „normal“ zu sein:<br />

Also ein bisschen von allem, aber halt nicht übertrieben. „Manchmal gelingt das auch, oft bleibt es<br />

ein Wunschbild, weil der stumme Zwang der ideologischen Männlichkeit stärker ist.“ 147 Andererseits<br />

steht die in Mode gekommene Abwertung alles Männlichen vielen Jungen dabei <strong>im</strong> Weg,<br />

ein gelingendes Verhältnis zu ihren starken Seiten zu entwickeln und in die Balance zu<br />

kommen.<br />

145<br />

Quelle: Oelemann, Burkhard: Vater Morgana oder: "Neue" Väterlichkeit, die ungestillte Sehnsucht. Gewaltberatung<br />

Hamburg, Hamburg 2002, S 6<br />

http://www.gewaltberatung-hamburg.org/mgm2007/<strong>im</strong>ages/stories/pdf/_vatermorgana.pdf<br />

146<br />

vgl. Oelemann (2002), S 3<br />

147 Quelle: Sielert (2005), S 66<br />

56


2.5.3 Ausprägungen der Rollenmuster bei Jungen<br />

Trotz mancher Variationen sind die beschriebenen Verhaltensmuster noch in der Erziehung<br />

von Burschen geltende Rollenmuster. Nicht jeder zeigt auf jede D<strong>im</strong>ension die klassische<br />

männliche Ausprägung, aber es kommt auch niemand an diesen Prinzipien gänzlich vorbei.<br />

Sielert beschreibt 4 grobe Ausprägungen, die heute feststellbar sind: 148<br />

• Jene, die noch keine „Programmstörung“ wahrgenommen haben. Sie verharren in<br />

den alten Mustern. Die weiblichen Bezugspersonen verhalten sich komplementär<br />

zur patriarchalischen Männerrolle. Kleine Irritationen werden verdrängt, ignoriert, geleugnet.<br />

• Jene, die äußerlich pazifisieren: Sie passen sich durch ein androgynes Outfit und<br />

„weichere“ Verhaltensweisen auf die modernen Verhältnisse ein, <strong>im</strong> Kern reagieren<br />

sie (vor allem in Stresssituationen) aber noch traditionell männlich.<br />

• Jene, die sich auf klassische Männerrollen und entsprechende männerbündlerische<br />

Cliquen zurückziehen: Sie verhärten und lösen auftretende Konflikte gewaltsam-<br />

• Die meisten aber „pendeln auf der Suche nach einer eigenen männlichen Identität zwischen ver-<br />

schiedenen Jungenbildern hin und her, identifizieren sich probeweise und basteln sich auf den erfolgreichen<br />

Erfahrungen ihren eigenen Weg.“ 149<br />

148 vgl. Sielert (2005), S 68<br />

149 Quelle: Sielert (2005), S 68<br />

57


2.6 Jugend und Gewalt<br />

Die alarmierend wachsende Gewaltbereitschaft und -ausübung der Jugendlichen steht <strong>im</strong><br />

Mittelpunkt der <strong>öffentlichen</strong> und medialen Diskurse. Auf Ursachen und Entstehung der<br />

Gewalt kann in dieser Arbeit angesichts des dafür notwendigen umfangreichen Rahmens<br />

nicht eingegangen werden, sind doch eine Vielzahl von persönlichen, sozialen und struktu-<br />

rellen Faktoren dafür ins Treffen zu führen. Allerdings gilt es einen grundsätzlichen Blick<br />

hinter die angeregte Gewaltdiskussion zu richten, da es doch Belege dafür gibt, dass das<br />

Ausmaß und die Entwicklung nicht dermaßen besorgniserregend sind wie oft dargestellt<br />

wird.<br />

Eine grundsätzliche niedrige Gewaltbereitschaft konstatiert die Studie zu „Jugend und Ge-<br />

walt“ des Österreichischen Instituts für Jugendforschung aus dem Jahre 2006. 150 So lehnen<br />

beispielsweise über 90 % der Befragten (500 Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren, Öster-<br />

reichweit und repräsentativ) Gewalt als Mittel der Konfliktlösung ab.<br />

Tabelle 4 : Zust<strong>im</strong>mungen zu Aussagen über Gewalt 151<br />

150<br />

Österreichisches Institut für Jugendforschung: Jugend und Gewalt: Gewalt innerhalb und außerhalb der Schule.<br />

Wien 2006<br />

http://www.oeij.at/site/article_list.siteswift?so=all&do=all&c=download&d=article%3A186%3A1<br />

151<br />

Quelle: Österreichisches Institut für Jugendforschung (2006), S 4<br />

58


Wie diese Grafik veranschaulicht, spielen in der Selbsteinschätzung der Jugendlichen die<br />

Konfliktlösung ohne Gewalt und auch das „Aus dem Weg gehen“ von Gewaltsituationen<br />

die größte Rolle. Sich durch Gewalt Respekt zu verschaffen, spielt mit 3 % eine sehr unter-<br />

geordnete Rolle.<br />

Auch <strong>im</strong> Vergleich mit der Jugend-Wertestudie des Forschungsinstitutes aus dem Jahre<br />

2000 ergibt sich bei gleichen Fragestellungen ein durchaus positiver Befund: „Vergleicht man<br />

die Altersgruppe der 15- bis 20-Jährigen der Jugend-Wertestudie 2000 nach der Zust<strong>im</strong>mung zu Aussagen<br />

über Gewalt mit den Ergebnissen der aktuellen Befragung, zeigt sich, dass 7 Jahre später um 17 % mehr<br />

Jugendliche der Ansicht sind, dass jeder Konflikt auch gewaltfrei lösbar ist. 1999 st<strong>im</strong>mte jeder 2. Jugendli-<br />

che der Aussage „Hin und wieder kann es schon zu einer Schlägerei kommen“ zu, 2006 sind nur 29 %<br />

der Jugendlichen dieser Ansicht. 25 % der 15- bis 20-Jährigen waren 1999 bereit, wichtige Sachen durch<br />

Einsatz von Gewalt durchzusetzen, jetzt sind dies um 12 % weniger Befragte. Der Vergleich der beiden<br />

Erhebungen zeigt deutlich, dass das Gewaltpotenzial der Jugendlichen gesunken ist.“ 152<br />

Gewalt zeigt sich in dieser Studie (auch diese Studie konstatiert gravierende Geschlechter-<br />

unterschiede, Mädchen sind wesentlich weniger gewaltbereit) abhängig vom Bildungsniveau<br />

(je gebildeter, desto weniger Gewaltbereitschaft) und sinkt mit steigendem Alter. 153<br />

Persönliche Gewalterfahrungen sind breit gestreut: 77 % der Befragten waren bereits Opfer<br />

von Gewalt. Das Gros bildet dabei allerdings die verbale Gewalt: 47 % wurden bereits an-<br />

geschrieen, 44 % wurden verspottet oder bloßgestellt. Insgesamt wurden 63 % der Jugend-<br />

lichen verbal attackiert, körperlich erlitten 52 % der Jugendlichen Gewalterfahrungen. Diese<br />

körperliche Gewalterfahrung spielt sich in der Arbeit bei 2 % der Befragten in der Arbeit<br />

ab, bei 15 % in der Schule, bei 18 % in der Familie und bei 28 % woanders. Beispielsweise<br />

hat jede/r dritte Jugendliche bereits Ohrfeigen kassiert, allerdings haben 49 % diese Schläge<br />

Zuhause bekommen. 154<br />

Das Gros der körperlichen Gewalt außerhalb des Themenkomplexes Familie/Arbeit/ Schu-<br />

152 Quelle: Österreichisches Institut für Jugendforschung (2006), S 5<br />

153 vgl. Österreichisches Institut für Jugendforschung (2006), S 5 ff<br />

154 vgl. Österreichisches Institut für Jugendforschung (2006), S 7 ff<br />

59


le bilden – wie in der unten folgenden Tabelle dargestellt - Verwicklungen in Schlägerein<br />

und das Bekommen einer Ohrfeige. Die Jungen sind öfters in Gewalthandlungen involviert<br />

als Mädchen, wobei Mädchen häufiger Opfer bei sexuellen Belästigungen sind.<br />

Tabelle 5: Körperliche Gewalt 155<br />

Als Gewalttäter traten 66 % der Befragten hervor. Dabei wendeten 61 % der Jugendlichen<br />

verbale Gewalt an und 30 % gaben an, bereits körperliche Gewalt ausgeübt zu haben.<br />

Bei der körperlichen Gewaltausübung spielten wieder die Ohrfeigen eine wesentliche Rolle:<br />

22 % der Jugendlichen hatten schon jemanden eine ausgeteilt. 14 % hatten sich an einer<br />

Schlägerei beteiligt, 2 % hatten jemanden mit Gewalt schon etwas weggenommen, 2 % hat-<br />

ten jemanden so verprügelt, dass es auch später noch sichtbar war und 0 % gaben an, je-<br />

manden sexuell belästigt zu haben. Grundsätzlich wenden Burschen um 16 % mehr körper-<br />

liche Gewalt an als Mädchen, von denen insgesamt 22 % einmal körperliche Gewalt ange-<br />

wandt hatten.<br />

Aber nicht nur die Studie des ÖJF zeigt ein weniger dramatisches Ansteigen der Jugendge-<br />

155 Quelle: Österreichisches Institut für Jugendforschung (2006), S 12<br />

60


walt als die öffentliche Debatte vermuten lässt. Auch Befunde aus Deutschland zeigen ein<br />

ähnliches Bild.<br />

In einer Studie aus Greifswald in Deutschland, die die Jahre 1998 – 2002 und 2006 umfasst,<br />

kommen die Autoren zum Resümee: „Im Bereich der Opfererfahrungen durch Gewalt (...) ergibt sich<br />

für den Referenzzeit<strong>raum</strong> eine relativ stabile Entwicklung in den Jahresprävalenzraten (bezogen auf den<br />

rückwärtigen Einjahreszeit<strong>raum</strong>) mit einer mittleren Opferrate von 16,7 % (1997: 17,1 %, 2001:<br />

15,7 %, 2005: 16,8 %). ... Hinsichtlich der Entwicklung der einzelnen Gewaltdelikte ergeben sich ten-<br />

denziell für die schweren Gewaltvikt<strong>im</strong>isierungen rückläufige Raten. ... Eine Ausnahme ergibt sich bei den<br />

einfachen Körperverletzungsdelikten. Hier ist 2005 ein Anstieg in den Jahresprävalenzraten gegenüber<br />

1997 um 16,3 % festzustellen (von 9,8 % auf 11,4 %). Allerdings zeigen die Analysen des Anzeigever-<br />

haltens und der physischen sowie materiellen Opferfolgen, dass sich <strong>im</strong> Bereich der minderschweren Gewalt-<br />

vikt<strong>im</strong>isierungen eine veränderte Sensibilisierung in der Bewertung der erlebten Vikt<strong>im</strong>isierungen und deren<br />

Folgen vollzogen hat, die sich in entsprechend höheren Prävalenzraten bei bagatellhaften einfachen Körperver-<br />

letzungen niederschlägt. ... Insgesamt ergeben die Analysen (auch <strong>im</strong> interregionalen Trendvergleich mit an-<br />

deren Studien) ein vergleichsweise niedriges und konstantes Niveau der Gewaltopferraten unter den Greifs-<br />

walder Jugendlichen. ... Im Bereich der Gewaltdelinquenz zusammengenommen zeigen sich ... für den Refe-<br />

renzzeit<strong>raum</strong> relativ konstante Verhältnisse (Anmerkung: auf hohem Niveau). ... Dementsprechend ist<br />

auch eine relativ stabile Entwicklung <strong>im</strong> Bereich der gewaltaffinen Einstellungen und Bewertungen feststell-<br />

bar.“ 156<br />

Auch <strong>im</strong> zweiten periodischen Sicherheitsbericht der deutschen Ministerien für Inneres und<br />

Justiz 2006 ist <strong>im</strong> Kapitel „Kinder und Jugendliche als Täter und Opfer zusammengefasst:<br />

„Anhaltspunkte für eine Brutalisierung junger Menschen sind ebenfalls weder den Justizdaten noch den Er-<br />

kenntnissen aus Dunkelfeldstudien oder den Meldungen an die Unfallversicherer zu entnehmen. Es zeigt<br />

sich vielmehr <strong>im</strong> Gegenteil, dass in zunehmenden Maße auch weniger schwerwiegende Delikte, die nur gerin-<br />

156 Quelle: Dünkel, Frieder/Gebauer, Dirk/Geng, Bernd: Gewalterfahrungen, gesellschaftliche Orientierungen<br />

und Risikofaktoren von Jugendlichen in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald 1998 - 2002 – 2006.<br />

Erste zentrale Ergebnisse einer Langzeitstudie zur Lebenssituation und Delinquenz von Jugendlichen in der<br />

Universitäts- und Hansestadt Greifswald. Ernst-Moritz-Arndt Universität, Greifswald 2007, S 116 ff<br />

http://www.rsf.unigreifswald.de/fileadmin/mediapool/lehrstuehle/duenkel/Schuelerbefragung_HGW_1998_2002_2006.pdf<br />

61


ge Schäden und keine gravierenderen Verletzungen zur Folge hatten, zur Kenntnis der Polizei gelangen.“ 157<br />

2.7 Jugendkr<strong>im</strong>inalität<br />

2.7.1 Begriffsdefinition Jugendkr<strong>im</strong>inalität<br />

Unter Jugendkr<strong>im</strong>inalität <strong>im</strong> engeren (strafrechtlichen) Sinne ist jedes strafbare Verhalten<br />

Strafmündiger zu verstehen, die dem Jugendstrafrecht unterstehen. Kinder unterliegen bis<br />

zur Vollendung des 14. Lebensjahres keinerlei Strafrecht, können daher strafrechtlich nicht<br />

zur Verantwortung gezogen werden. 158 Dem Jugendstrafrecht bzw. der Jugendgerichtsbar-<br />

keit (JGG) unterstehen Jugendliche von 14 bis 18 Jahren. Mit der Absenkung des zivilrecht-<br />

lichen Volljährigkeitsalters 2001 von 19 auf 18 Jahre – die in der Folge auch <strong>im</strong> Strafgesetz<br />

schlagend wurde – wurde der Begriff „Junge Erwachsene“ in das Strafrecht eingeführt.<br />

Darunter fallen Personen, die zwar schon das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. Le-<br />

bensjahr vollendet haben. Für diese Altergruppe gelten zwar prozessuale Erleichterungen,<br />

die <strong>im</strong> Jugendgerichtsgesetz geregelt sind, allerdings nicht mehr die Strafbest<strong>im</strong>mungen des<br />

JGG. Hier unterliegen sie grundsätzlich dem Strafgesetz, jedoch gibt es Sonderbest<strong>im</strong>mun-<br />

gen, die in manchen Bereichen erleichternd wirken (Herabsetzung bzw. Entfall von Unter-<br />

grenzen von Strafandrohungen etc.) 159 . „Grund für die Einführung von Sonderbest<strong>im</strong>mungen für<br />

diese zweite Altersgruppe war vor allem, dass neuere entwicklungspsychologische Forschungen kontinuierlich<br />

fortschreitende Veränderungen des Reifungsprozesses ergeben haben, die eine auf diese Besonderheiten der<br />

Adoleszenz abgestellte besondere strafrechtliche Bedachtnahme sinnvoll erscheinen lassen.“ 160<br />

157 Quelle: Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 354<br />

158 Das bedeutet aber nicht, dass das Handeln von Kindern ohne Konsequenzen bleiben muss. Bei gravierendem<br />

Fehlverhalten schaltet sich das Jugendamt ein. Die Palette der Konsequenzen kann von Erziehungsberatung<br />

der Eltern bis hin zur Abnahme des Kindes und Unterbringung bei einer Pflegefamilie bzw. in einem<br />

He<strong>im</strong> reichen.<br />

159 Vgl. Bundesministerium für Inneres (2008a): Sicherheitsbericht 2006. Kr<strong>im</strong>inalität 2006. Vorbeugung, Aufklärung<br />

und Strafrechtspflege. Bericht über die innere Sicherheit in Österreich. Wien 2008, S 415,<br />

http://www.parlinkom.at/PG/DE/XXIII/III/III_00114/<strong>im</strong>fname_100251.pdf<br />

bzw. Friis, Roland: Das Wichtigste zum Jugendstrafrecht. Wien o.J.,<br />

http://www.strafverteidiger-friis.at/DAS-WICHTIGSTE-ZUM-JUGENDSTRAFRECHT/DAS-<br />

WICHTIGSTE-ZUM-JUGENDSTRAFRECHT.pdf<br />

160 Quelle: Jesionek, Udo: Reaktionen auf entwicklungsbedingte Straffälligkeit junger Menschen. In: Cizek, Bri-<br />

62


2.7.2 Zur Begrifflichkeit der Jugenddelinquenz<br />

Von der Jugendkr<strong>im</strong>inalität begrifflich abzugrenzen ist die Jugenddelinquenz: Dieser kr<strong>im</strong>i-<br />

nologisch - soziologische Begriff ist weiter gefasst als die strafrechtliche Definition: „In An-<br />

lehnung an den angelsächsischen Begriff "juvenile delinquency" ist unter "Jugenddelinquenz" Mehreres zu<br />

verstehen: In personeller Hinsicht meint man damit diejenigen Personen, die in einer Zwischenphase zwischen<br />

Kind- und Erwachsenheit stehen und sich in ihrem Sozialisationsprozess befinden. Diese Phase kann bis<br />

weit in das dritte Lebensjahrzehnt hinein reichen. Gegenständlich werden vom Begriff der "Jugenddelin-<br />

quenz" nicht nur Verstöße gegen materielles Strafrecht, sondern auch sonstige abweichende Verhaltensweisen<br />

erfasst, die symptomatisch für dissoziale Verhaltensweisen sein können, etwa Schuleschwänzen, Bandenzu-<br />

gehörigkeit oder Alkoholmissbrauch. Schließlich soll durch die Verwendung des Begriffes "Delinquenz" eine<br />

Abgrenzung von strafrechtlichen Termini ermöglicht werden, denn diese Begriffe orientieren sich pr<strong>im</strong>är an<br />

den Vorstellungen der Erwachsenenwelt. Den motivationalen und sonstigen Besonderheiten des Verhaltens<br />

junger Menschen werden sie nicht gerecht. Endlich sollen stigmatisierende Wirkungen, wie sie die Verwen-<br />

dung von Begriffen wie "Schuld", "Straftat", "Verbrechen" oder "Kr<strong>im</strong>inalität" ausgehen, vermieden wer-<br />

den.“ 161<br />

2.7.3 Kr<strong>im</strong>inalität gilt als „normales“ Jugendphänomen<br />

Typisch für die Jugendkr<strong>im</strong>inalität– da ist sich die Fachliteratur durchwegs einig – ist, dass<br />

sie „ubiquitär“ (allgegenwärtig, also in allen gesellschaftlichen Gruppen unabhängig von<br />

Schichtzugehörigkeit oder Nationalität vertreten) und „normal“ (als ein Ausdruck der<br />

schwierigen Phase von Pubertät und Adoleszenz) ist. Jugenddelinquenz ist darüber hinaus<br />

„episodenhaft“ bzw. „passager“, das heißt sie „erledigt“ sich – egal ob entdeckt und sank-<br />

tioniert oder unentdeckt – in der Regel von selbst.<br />

gitte/Schipfer, Karl (Hrsg.): Zwischen Identität und Provokation. Das Spannungsfeld Jugendliche - Erwachsenwerden<br />

– Familie. Dokumentation des Symposiums Familie in Wissenschaft und Praxis. 20. – 22. November<br />

2002, Strobl am Wolfgangsee. ÖIF Materialien Heft 19, Wien 2004, S 35<br />

161 Quelle: Schulz, Felix: Jugendkr<strong>im</strong>inalität. o.O. o.J.,<br />

http://www.kr<strong>im</strong>lex.de/artikel.php?BUCHSTABE=J&KL_ID=93<br />

63


„Die statistischen Zahlen erweisen einen rasanten Anstieg der Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung vom 14. bis zum<br />

21./22. Lebensjahr und danach ein deutliches, kontinuierliches Absinken mit zunehmendem Lebensalter.<br />

Bei jungen Männern steigt die Kurve der Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung zwischen dem 14. und dem 21. Lebensjahr<br />

von Null (Strafunmündigkeit) auf knapp 8 % an, und senkt sich dann auf 3 % bis zum 50. Lebensjahr.<br />

Junge Frauen haben zwar insgesamt eine deutlich geringere Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung aufzuweisen, aber auch<br />

dort steigt die Kurve zwischen dem 14. und dem 21. Lebensjahr von Null auf etwa 2 %, um dann bis zum<br />

50. Lebensjahr auf 1 % zurückzugehen.“ 162<br />

„Es wird kaum einen jungen Menschen geben, der nicht zumindest zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr<br />

eine ganze Reihe strafbarer Handlungen, mitunter auch Handlungen, die formal schwerer strafbar sind,<br />

begangen hat. Wir wissen aus der Dunkelfeldforschung, dass mehr als 90 % dieser strafbaren Handlungen<br />

nie zur Kenntnis der Behörden kommen, das heißt, nicht verfolgt werden. Trotzdem wird aus den meisten<br />

jungen Menschen ein erwachsener rechtstreuer Bürger.“ 163<br />

„Die „normale“ Jugendkr<strong>im</strong>inalität <strong>im</strong> Sinne einer seltenen, kurzfristigen Auffälligkeit <strong>im</strong> Bereich der Ba-<br />

gatell- und Kleinkr<strong>im</strong>inalität ist zwar allgemein verbreitet (ubiquitär), aber vorübergehend (episodenhaft).<br />

Sie wird nur zu einem ganz geringen Teil den Instanzen der formellen Sozialkontrolle überhaupt bekannt<br />

(Nichtregistrierung), und ihre „Täter“ hören zumeist von selbst wieder damit auf, Straftaten zu begehen,<br />

ohne dass eine förmliche Reaktion durch Polizei oder Justiz erfolgt wäre (Spontanbewährung). Jugendkr<strong>im</strong>i-<br />

nalität als altersspezifisches und alterstypisches Phänomen ist eher selten ein Hinweis auf (erhebliche) Erzie-<br />

hungs- oder sonstige Defizite, sondern hat viel mit den Reifungsprozessen zu tun, die <strong>im</strong> Jugendalter bewältigt<br />

werden müssen ...“ 164<br />

Wie an diesen drei zitierten Stellen zu erkennen ist, sind sich Vertreter aus Gerichtsbarkeit,<br />

Polizei und Rechtsvertretung grundsätzlich darin einig, dass Jugendkr<strong>im</strong>inalität grundsätz-<br />

lich ein „normales“ Phänomen ist.<br />

Aber auch die mangelnde „Professionalität“ führt zu der hohen Rate der Jugendkr<strong>im</strong>inalität<br />

162 Quelle: Zieger (2002), S 3<br />

163 Quelle: Jesionek (2004), S 35<br />

164<br />

Quelle: Wiebke, Steffen: Junge Intensivtäter -kr<strong>im</strong>inologische Befunde. Bayrisches Landeskr<strong>im</strong>inalamt,<br />

München 2003, S 9 ff<br />

http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak2/kr<strong>im</strong>i/DVJJ/Aufsaetze/Steffen2003.pdf<br />

64


<strong>im</strong> Vergleich zur Gesamtkr<strong>im</strong>inalität: „Das Ausmass, mit dem junge Menschen höher als Erwachsene<br />

mit Kr<strong>im</strong>inalität belastet sind, ist zu einem Teil das Ergebnis der systematischen Unterrepräsentierung von<br />

Erwachsenen infolge der geringeren Sichtbarkeit und Kontrollierbarkeit und grösseren Professionalität der<br />

von diesen verübten Delikte, zum anderen eine Folge der leichteren Überführbarkeit von jungen Men-<br />

schen.“ 165<br />

2.7.4 Typische Delikte der Jugendkr<strong>im</strong>inalität<br />

Typische Jugenddelikte sind vor allem einfacher Diebstahl (insbesondere Ladendiebstahl),<br />

schwerer Diebstahl (Automaten und KFZ), einfache und schwere (insbesondere gemein-<br />

schaftliche) Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Schwarzfahren und Verkehrsdelikte<br />

(Fahren ohne Führerschein). In den letzten Jahren kommen noch verstärkt Sachbeschädi-<br />

gung und das „Abziehen“ (Wegnehmen von meist Statusgegenständen durch Drohungen)<br />

dazu. 166<br />

Grundsätzlich ist die Jugendkr<strong>im</strong>inalität eine „leichtere“ als die der Erwachsenen: „Relativiert<br />

wird diese Höherbelastung von jungen Menschen dadurch, dass es sich überwiegend um leichte Kr<strong>im</strong>inalität<br />

handelt, die zumeist weniger schwer ist als die Kr<strong>im</strong>inalität von Erwachsenen. Sowohl nach der Polizeilichen<br />

Kr<strong>im</strong>inalstatistik als auch nach der Strafverfolgungsstatistik dominieren bei Jugendkr<strong>im</strong>inalität die Eigen-<br />

tums- und Vermögensdelikte, darunter namentlich der Ladendiebstahl, ausweislich der Strafverfolgungssta-<br />

tistik auch die Verkehrsdelikte. Das Deliktsspektrum erweitert sich erst mit zunehmendem Alter. Bei<br />

Straftaten, die typischerweise von Erwachsenen begangen werden, sind in der Regel weit höhere Schäden zu<br />

verzeichnen als bei den typischerweise von jungen Menschen verübten Eigentums- und Vermögensdelik-<br />

ten.“ 167<br />

165 Quelle: Heinz, Wolfgang: Jugendkr<strong>im</strong>inalität in Deutschland. Kr<strong>im</strong>inalstatistische und kr<strong>im</strong>inologische Befunde.<br />

Aktualisierte Ausgabe Juli 2003. Universität Konstanz, Konstanz 2003, S 85<br />

http://www.uni-konstanz.de/rtf/kik/Jugendkr<strong>im</strong>inalitaet-2003-7-e.pdf<br />

166 vgl. Zieger (2002), S 5<br />

167 Quelle: Heinz (2003), S 85<br />

65


2.7.5 Gründe für die Jugendkr<strong>im</strong>inalität<br />

Die Gründe, die für Jugendkr<strong>im</strong>inalität ausschlaggebend sind, sind natürlich vielfältig und<br />

können <strong>im</strong> Rahmen dieser Arbeit nicht ausschöpfend behandelt werden. Neben den bisher<br />

beschriebenen Faktoren in den vorhergehenden Kapiteln kann man mit Zieger zusammen-<br />

fassend festhalten: „Welchen Verlauf die Probleme und Konflikte nehmen, in denen sich die Gruppe der<br />

14- bis 21-jährigen befindet, hängt weitgehend von Sozialisation, Familienverhältnissen (gab es genug Zärt-<br />

lichkeit, Zuwendung und Zeit für die Kinder?), Wohn-, Arbeits- und sonstigen Lebensbedingungen, Erfolg<br />

oder Misserfolg bei der Ausbildung und der Frage ab, ob es gelingt, die Freizeit aktiv, selbstbest<strong>im</strong>mt und<br />

konstruktiv zu gestalten. (...) Junge Menschen können die mit dem Anstieg sozialer Gegensätze zunehmen-<br />

de Diskrepanz zwischen den subjektiven Ansprüchen (von teurer Markenkleidung bis hin zu gehobener<br />

Ausbildung) und den fehlenden Möglichkeiten, diese durchzusetzen (fehlende Geldmittel, keine abgeschlossene<br />

Schuldbildung) schwer ertragen. 168<br />

Besonders gefährdet erscheinen Jugendliche, die es mit folgenden Belastungen zu tun ha-<br />

ben: „unvollständige Familien, Ablehnung durch den neuen Lebensgefährten eines Elternteils; „Pendeler-<br />

ziehung“ mit inkonsistentem Erziehungsverhalten der wechselnden Erziehungspersonen (Mutter – Groß-<br />

mutter – Onkel – verschiedene He<strong>im</strong>e – Trebegängerzeiten – zwischendurch wieder kurzfristige Aufenthalte<br />

bei den Eltern), Gewalt in der Familie, eigene Gewalterfahrungen als Opfer; Suchtprobleme in der Familie,<br />

eigene Suchtprobleme“. 169<br />

2.7.6 Jugendliche Intensivtäter<br />

Von der „normalen“ Jugendkr<strong>im</strong>inalität abzugrenzen, ist allerdings eine kleine Gruppe von<br />

Jugendlichen, die sogenannten „Intensivtäter“. Diese begehen wiederholt und auch schwere<br />

Straftaten. Die genaue Größe dieser Gruppe ist schwer zu schätzen, da sie nur aufgrund des<br />

Hellfeldes 170 hochgerechnet werden kann. Zieger schätzt diese Gruppe der jungen „Inten-<br />

sivtäter“ auf etwa 5 % der Gesamt-Jugendlichen, die allerdings rund 30 % der gesamten Ju-<br />

168 Quelle: Zieger (2002), S 8<br />

169 Quelle: ebd.<br />

170 Die Basis für diese Schätzungen bilden die registrierten Straftaten<br />

66


gendkr<strong>im</strong>inalität – insbesondere der Gewalttaten - ausmachen. 171<br />

Die Kr<strong>im</strong>inologische Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei (KFG) hat auf der Basis<br />

polizeilicher Registrierungen Daten zur Mehrfachauffälligkeit von jungen Tatverdächtigen<br />

vorgelegt, die ein ähnliches Bild zeichnen. Dabei wurden knapp über 900 Jugendliche, die<br />

<strong>im</strong> Alter von 14 oder 15 Jahren polizeilich registriert wurden über 5 Jahre <strong>im</strong> Bezug auf ihre<br />

kr<strong>im</strong>inelle Auffälligkeit beobachtet. Für ein Drittel dieser Jugendlichen war der Polizeikon-<br />

takt ein „einmaliger Ausrutscher, ein weiteres Drittel wurde mit zwei bis vier Straftaten re-<br />

gistriert und ein letztes Drittel mit fünf und mehr Straftaten. „Von diesem zuletzt genannten<br />

Drittel wurden 83 % aller der Kohorte zur Last gelegten Delikte verübt, allein von den weniger als 10 %<br />

der Tatverdächtigen mit 20 und mehr Straftaten 52 % der Gesamtdelinquenz.“ 172<br />

Zieger geht von folgender Faustregel aus, die aufgrund praktischer Erfahrung gewonnen<br />

wurde: „Wer mehr als fünfmal auffällig wurde, kann zu dieser Gruppe gerechnet werden. Das bedeutet<br />

aber umgekehrt: Bei bis zu vier Registrierungen darf man von den Grundsätzen der Normalität und Episodenhaftigkeit<br />

des Straffälligwerdens ausgehen.“ 173<br />

Leider gibt es bis heute nicht gelungen, aussagekräftige Kriterien zu finden, die eine frühe<br />

Entscheidung zulassen, wer zu der Problemgruppe der Intensivtäter gehört oder nicht.<br />

Darüber hinaus gibt es eine allgemeine Ratlosigkeit, wie mit dieser Gruppe richtig umzuge-<br />

hen wäre. Auch eine Inkonsistenz <strong>im</strong> Setzen der Sanktionen (erzieherische und unterstüt-<br />

zende Maßnahmen einerseits und Anwendung des Strafrechtes) prägen den Umgang mit<br />

dieser Problemgruppe. 174<br />

Da es sich diese Arbeit aber ohnehin nicht zum Ziel gesetzt hat, den Bereich der Intensivtä-<br />

ter auszuleuchten, geht es um die grundsätzliche – also tendenziell um die „normale“ - Ju-<br />

gendkr<strong>im</strong>inalität.<br />

171 vgl. Zieger (2002), S 4<br />

172 Quelle: Steffen (2003), S 5<br />

173 Quelle: Zieger (2002), S 5<br />

174 vgl. Zieger (2002), S 18<br />

67


2.7.7 Jugendkr<strong>im</strong>inalität in Österreich<br />

Fakt ist: Laut den polizeilichen Statistiken ist in Österreich die Jugendkr<strong>im</strong>inalität (auch) in<br />

den letzten Jahren <strong>im</strong> Steigen begriffen. Fakt ist aber auch, dass die Zahl der gerichtlichen<br />

Verurteilungen in den letzten Jahren gesunken ist. Beide Quellen haben aber – wissen-<br />

schaftlich betrachtet – ihre Schwächen und geben letztendlich nicht stichhaltig Aussage ü-<br />

ber die tatsächliche Entwicklung der Jugendkr<strong>im</strong>inalität.<br />

Tabelle 6: Ermittelte Jugendliche Tatverdächtige in Österreich 175<br />

Wie an dieser Statistik erkennbar ist, ist die Zahl der Jugendlichen Tatverdächtigen seit dem<br />

Jahr 2001 <strong>im</strong> Steigen begriffen. Auch 2007 setzte sich dieser Trend fort: Insgesamt wurden<br />

33.068 tatverdächtige Jugendliche ermittelt. 176<br />

Das Steigen zieht sich beinahe nahtlos durch alle ausgewiesenen Deliktsbereiche, lediglich<br />

bei Verbrechen gegen Leib und Leben kam es <strong>im</strong> Vergleich zum Vorjahr zu einem Sinken,<br />

wobei sich der Trend auf gleichem Niveau vorhergehender Jahre einzupendeln scheint.<br />

Zahlen vor 2002 sind in diesem Bereich kaum heranzuziehen, da mit 31.12.2001 das Zäh-<br />

lungsverfahren umgestellt wurde: Wurde bis dahin die Zahl der verdächtigen Personen re-<br />

gistriert, wird seit Anfang 2002 die Zahl der verübten Delikte festgehalten. Das bedeutet,<br />

175 Quelle: Bundesministerium für Inneres, (2008a), Sicherheitsbericht 2006, S 191<br />

176 Quelle: Bundesministerium für Inneres (2008c): Kr<strong>im</strong>inalstatistik des BM.I für das Jahr 2007, Wien 2008,<br />

http://www.bmi.gv.at/downloadarea/kr<strong>im</strong>stat/2007/Jahresstatistik_2007.pdf<br />

68


dass die Taten eines Mehrfachstraftäters auch als mehrfache Täter registriert werden. 177<br />

2.7.8 Einschränkungen der Aussagekraft der polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalitätsstatistiken<br />

Leider geben diese Zahlen aber kein unmittelbares Bild der Entwicklung der Jugendkr<strong>im</strong>ina-<br />

lität wieder. Der Sicherheitsbericht schränkt die empirischen Aussagekraft der Zahlen selbst<br />

ein. Folgende Faktoren können die Kr<strong>im</strong>inalitätsstatistik beeinflussen bzw. verzerren: 178<br />

1) Eine geänderte Aktivität der Sicherheitsbehörden<br />

2) Eine geänderte Anzeigenneigung der Bevölkerung<br />

3) Eine tatsächliche Änderung der Anzahl der begangenen Strafhandlungen<br />

Heinz nennt zu diesen 3 Einschränkungen noch 2 weitere 179 :<br />

� Die Gesetzgebung oder Rechtssprechung selbst<br />

� Die Erfassungsgrundsätze für die Statistiken oder das Registrierverhalten<br />

Wissenschaftlich wird die Aussagekraft der polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalstatistik vielfach hinter-<br />

fragt. Vor allem eine gesteigerte Anzeigenbereitschaft wird dabei ins Treffen geführt:<br />

„Es wird geschätzt, dass etwa 50 % der heutigen Ermittlungsverfahren gegen junge Menschen Vorwürfe<br />

betreffen, die früher meist durch Eltern, Schule, Ausbildungsstelle oder der Nachbarschaft informell (Erzie-<br />

hungsmaßnahme der Eltern, Schadenausgleich) und somit rein erzieherisch beigelegt wurde. In der heutigen,<br />

eher anonymen Gesellschaft überwiegt die verpolizeilichte Sozialkontrolle. Hinzu kommt in der jetzigen<br />

weitgehend „versicherten“ Gesellschaft die Notwendigkeit, durch eine Strafanzeige die Voraussetzung für<br />

eine rasche Schadensregulierung durch die Versicherung zu schaffen.“ 180<br />

„Aus Dunkelfeldstudien gibt es Hinweise darauf, dass sich die Anzeigebereitschaft insbesondere gegenüber<br />

177 vgl. Bundesministerium für Inneres (2008a), S 15<br />

178 vgl. Bundesministerium für Inneres (2008a), S 17<br />

179 vgl. Heinz (2003), S 84<br />

180 Quelle: Zieger (2002), S 6<br />

69


<strong>jugend</strong>typischen Verhaltensweisen erhöht hat. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sei es, dass alterstypisches<br />

Verhalten („Schulhofraufereien“) nicht mehr als solches toleriert, sondern bei der Polizei angezeigt wird, sei<br />

es, dass vermehrt unbeteiligte Dritte verbale und körperliche Streitigkeiten zwischen Jugendlichen oder auch<br />

anderes potenziell strafrechtlich relevantes Verhalten der Polizei mitteilen (erleichtert nicht zuletzt durch die<br />

weite Verbreitung von Mobiltelefonen), sei es, dass die gerade in den letzten Jahren erheblich zugenommenen<br />

Bemühungen um die Kinder und Jugendkr<strong>im</strong>inalitätsprävention auch zu veränderten Einstellungen gegen-<br />

über potenziell delinquentem Verhalten von Kindern und Jugendlichen <strong>im</strong> Sinne einer gestiegenen Aufmerksamkeit,<br />

Sensibilität und dann auch Anzeigebereitschaft geführt haben.“ 181<br />

Die Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalstatistik (PKS) mehr als Instrument der Messung der Sozialkon-<br />

trolle denn als Messinstrument für die Entwicklung der Kr<strong>im</strong>inalität sieht Wolfgang Heinz<br />

die Aussagekraft der Statistik:<br />

„Fast alle Sachverhalte, die in der Polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalstatistik - und damit in allen weiteren, auf dem<br />

polizeilichen Arbeitsergebnis aufbauenden Statistiken - als "registrierte" Fälle ausgewiesen werden, werden<br />

der Polizei durch Anzeigen bekannt. Insofern zeigt registrierte Kr<strong>im</strong>inalität vor allem, in welchem Bereich<br />

informelle Sozialkontrolle als inadäquat und ineffektiv empfunden wird, wodurch sich Opfer, Informant und<br />

Anzeigeerstatter beschwert fühlen und was sie (nicht unbedingt strafrechtlich) verfolgt wissen wollen. Deshalb<br />

beschränkt sich auch ‚Kr<strong>im</strong>inalität’ nach ‚Begriff, Erscheinung, Wissen und kr<strong>im</strong>inalpolitischen Problemen<br />

... weitgehend auf die amtlich bekannt gewordenen Rechtsbrüche’. Folglich spiegelt registrierte Kr<strong>im</strong>inalität<br />

<strong>im</strong> Wesentlichen die unterschiedliche Intensität und Struktur der Sozialkontrolle wider.“ 182<br />

Er führt aus, dass die Anzeigenraten von unterschiedlichen Faktoren abhängen: Sie<br />

schwanken nach Delikttypus, weisen regionale Divergenzen auf, hängen ab von Täter-<br />

Opfer-Konstellationen, von Versicherungsbedingungen und der subjektiv eingeschätzten<br />

Schadenshöhe. 183<br />

Auch die deutsche Polizei warnt vor einer Überbewertung der Polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalitäts-<br />

181 Quelle: Wiebke, Steffen: Jugendkr<strong>im</strong>inalität und ihre Verhinderung zwischen Wahrnehmung und empirischen<br />

Befunden. Gutachten zum 12. Deutscher Präventionstag am 18. und 19. Juni 2007 in Wiesbaden. o.O.<br />

2007, S 187<br />

http://www.praeventionstag.de/html/GetDokumentation.cms?XID=227<br />

182 Quelle: Heinz (2003), S 15<br />

183 vgl. Heinz (2003), S 16 ff<br />

70


statistik, die sich <strong>im</strong> Hellfeld bewegt: „Wie zahlreiche Studien der letzten Jahre belegen, ist insbeson-<br />

dere <strong>im</strong> Jugendbereich das Dunkelfeld der polizeilich nicht nur Kenntnis gebrachten Straftaten und –täter<br />

enorm hoch. Insoweit können schon geringfügige Veränderungen der Relationen von Hell- und Dunkelfeld<br />

infolge vermehrter Mitteilungen an die Polizei zu gravierenden Zunahmen der <strong>im</strong> Hellfeld von Polizei und<br />

Justiz registrierten jungen Menschen führen, ohne dass dem eine tatsächliche Zunahe oder Änderungen des<br />

normabweichenden Verhaltens von Jugendlichen oder Kindern zugrunde liegen.“ 184<br />

184 Quelle: Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 356<br />

71


2.7.9 Gerichtliche Statistik und deren Aussagekraft zur Jugendkr<strong>im</strong>inalität<br />

Ein zweiter Zugang, der das Ausmaß der Jugendkr<strong>im</strong>inalität erhellen könnte, sind die Zah-<br />

len der gerichtlichen Verurteilungen. Diese stellen sich in Österreich wie folgt dar:<br />

Tabelle 7: Verurteilte Jugendliche in Österreich 185<br />

Wie aus dieser Aufstellung ersichtlich ist, ist die Zahl der <strong>jugend</strong>lichen Verurteilungen ins-<br />

gesamt <strong>im</strong> Sinken begriffen. Wie der Sicherheitsbericht festhält, sind die Verurteilungen seit<br />

Beginn der 1990er Jahre generell rückläufig und bewegen sich signifikant unter der Band-<br />

breite der Zahlen seit 1990 (3.815 Verurteilungen <strong>im</strong> Jahr 1992 und 3.178 Verurteilungen <strong>im</strong><br />

Jahr 2003). Allerdings stellen diese Zahlen aufgrund zweier Einschränkungen keinen empi-<br />

rischen Befund der Jugendkr<strong>im</strong>inalität dar: Erstens wurde die obere Altergrenze für Jugend-<br />

185 Quelle: Bundesministerium für Inneres (2008a), S 412 ff<br />

72


liche <strong>im</strong> Jahr 2008 von 19 auf 18 Jahre gesenkt, zweitens wurden <strong>im</strong> Jugendstrafrecht in die-<br />

ser Zeit alternative Erleidungsformen wie z.B. die Diversion entwickelt und gesetzlich fest-<br />

geschrieben.<br />

2.7.10 Die Notwendigkeit einer (nicht vorhandenen) Dunkelfeldforschung<br />

Um einen tatsächlichen Einblick in die Entwicklung der Jugendkr<strong>im</strong>inalität zu erhalten,<br />

bräuchte es eine Dunkelfeld-Forschung (Täterinterviews, Befragungen, teilnehmende Beo-<br />

bachtung etc.). Diese Dunkelfeld-Forschung gibt es in Österreich aber bis dato nicht. 186 .<br />

Im Sicherheitsbericht 2006 der Bundesregierung wird dieses Fehlen der Forschung vor al-<br />

lem mit der budgetären Situation und der ungewissen Zuständigkeit (ob denn solche Forschungen<br />

zu den pr<strong>im</strong>ären Aufgaben der Sicherheitsverwaltung gehöre) begründet. 187<br />

In Deutschland findet diese Dunkelfeldforschung (zumindest in einem gewissen Rahmen)<br />

statt und ermöglicht damit einen klareren Blick auf die Jugendkr<strong>im</strong>inalität bzw. deren Ent-<br />

wicklung. Dabei zeigt sich wiederholt, dass zwar die Daten <strong>im</strong> Hellfeld (Polizeiliche Kr<strong>im</strong>i-<br />

nalstatistik) auch in Deutschland steigen, die dahinterliegende Entwicklung sich jedoch in<br />

der Regel nicht so dramatisch entwickelt.<br />

So schreibt Boers über die bundesdeutsche Situation 2006 zusammenfassend: „Während die<br />

Gewaltkr<strong>im</strong>inalität Jugendlicher <strong>im</strong> Hellfeld in best<strong>im</strong>mten Bereichen weiterhin ansteigt, ist die Entwick-<br />

lung <strong>im</strong> Dunkelfeld jedenfalls seit Ende der neunziger Jahre tendenziell rückläufig. Nach aktuellen Befun-<br />

den aus der in Münster und Duisburg durchgeführten Panelstudie „Jugendkr<strong>im</strong>inalität in der modernen<br />

Stadt“ zur Verbreitung und zum Altersverlauf der Jugenddelinquenz <strong>im</strong> Dunkelfeld ist auch in diesen<br />

Städten eher ein leichter Rückgang der selbstberichteten Delinquenz zu beobachten.“ 188<br />

186 vgl. Fuchs, Walter: Zwischen Deskription und Dekonstruktion: Empirische Forschung zur Jugendkr<strong>im</strong>inalität<br />

in Österreich von 1968 bis 2005. Eine Literaturstudie. irks working paper no 5, Wien 2007, S 34<br />

http://www.irks.at/downloads/05_irks-fuchs.pdf<br />

187 vgl. Bundesministerium für Inneres (2008a), S 17<br />

188 Quelle: Boers, Klaus/Walburg, Christian/Reinecke, Jost: Jugendkr<strong>im</strong>inalität - Keine Zunahme <strong>im</strong> Dunkelfeld,<br />

kaum Unterschiede zwischen Einhe<strong>im</strong>ischen und Migranten. Befunde aus Duisburger und Münsteraner<br />

Längsschnittstudien. o.O. 2006, S 22<br />

http://www.dasroteteam.de/docs/JugKr<strong>im</strong>Migr2.pdf<br />

73


Auch Wiebke kommt in seinem Gutachten zu einem ähnlichen Schluss: „Die empirischen Be-<br />

funde widersprechen der Wahrnehmung einer <strong>im</strong>mer häufigeren, <strong>im</strong>mer jüngeren und <strong>im</strong>mer schl<strong>im</strong>meren<br />

Jugendkr<strong>im</strong>inalität, sie stützen sie zumindest nicht.“ 189 . Er weist darauf hin, dass die Entwicklung<br />

<strong>im</strong> Dunkelfeld nur zu einem Teil in die Richtung der registrierten Kr<strong>im</strong>inalität geht, und<br />

insbesondere bei Gewalthandlungen eher eine rückläufige Tendenz <strong>im</strong> Dunkelfeld feststell-<br />

bar sei und die Anzeigebereitschaft für den registrierten Anstieg verantwortlich zeichne.<br />

Allerdings gibt es auch in Deutschland Grenzen der empirischen Sicherheit, wie Heinz fest-<br />

hält: „Das in den Kr<strong>im</strong>inalstatistiken erfasste sog. "Hellfeld" der Kr<strong>im</strong>inalität ist nur ein kleiner und ü-<br />

berdies nicht repräsentativer Ausschnitt der Gesamtkr<strong>im</strong>inalität, von der ein erheblicher Teil <strong>im</strong> "Dunkel-<br />

feld" verbleibt. Das Dunkelfeld selbst ist nach Umfang und Struktur auch durch die neueren Methoden der<br />

Dunkelfeldforschung, insbesondere durch Täter- oder Opferbefragungen, nur für Teilbereiche und auch für<br />

diese nur begrenzt aufhellbar.“ 190 Er weist darauf hin, dass sich an Anlehnung an US-<br />

amerikanischen Forschungsergebnissen zeigt, dass sich Hellfeld und Dunkelfeld selbst über<br />

einen längeren Zeit<strong>raum</strong> sogar gegengleich entwickeln können und „die Crux einer jeden Aus-<br />

sage zur Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung ist, dass unklar ist, ob die statistischen Zahlen die Entwicklung der<br />

"Kr<strong>im</strong>inalitätswirklichkeit" widerspiegeln oder ob sie lediglich das Ergebnis einer Verschiebung der Grenze<br />

zwischen Hell- und Dunkelfeld sind.“ 191<br />

189 Quelle: Wiebke (2007), S 191<br />

190 Quelle: Heinz (2003), S 83<br />

191 Quelle: ebd.<br />

74


2.8 Vandalismus<br />

Im August 2007 ließ der Österreichische Gemeindebund mit der Presseaussendung „Van-<br />

dalismus n<strong>im</strong>mt stark zu“ zu einer Online-Studie, bei der Bürgermeister aus 197 mitmach-<br />

ten aufhorchen: „Der Vandalismus n<strong>im</strong>mt in den Gemeinden stark zu. Das wurde durch eine Umfrage<br />

von kommunalnet.at bei Österreichs Gemeinden bestätigt. 58 % der Gemeinden geben an, dass Vandalis-<br />

mus ein aktuelles Thema ist. Rund 58 % dieser Gemeinden sehen sich zudem nicht ausreichend vor vanda-<br />

listischen Übergriffen geschützt. 73 % meinen, dass Videoüberwachung das Sicherheitsempfinden in der<br />

Gemeinde heben würde.“ 192<br />

Betroffen seien vor allem Gemeinden zwischen 1.000 und 4.000 Einwohnern (besonders<br />

Gemeinden zwischen 1000 und 1999 Einwohnern stechen dabei hervor), der Schaden für<br />

Kommunen durch Vandalismus wird durch den Gemeindebund auf 20 Millionen Euro<br />

jährlich hochgerechnet.<br />

2.8.1 Vandalismus boomt in den Medien<br />

In den Medien ist die zunehmende Sachbeschädigung generell ein boomendes Thema: Die<br />

Archivsuche bei zwei ausgewählten Tageszeitungen (Oberösterreichische Nachrichten und<br />

Kurier) zum Schlagwort Vandalismus deutet in diese Richtung: Während die OÖN <strong>im</strong> Jahr<br />

2000 32 Treffer zu diesem Schlagwort anführt, steigt diese Zahl über die Jahre hinweg kon-<br />

tinuierlich auf 80 <strong>im</strong> Jahr 2005 und springt <strong>im</strong> Jahr 2006 auf 133 Einträge und weiter auf<br />

138 <strong>im</strong> Jahr 2007. Be<strong>im</strong> Kurier bietet sich ein ähnliches Bild: War Vandalismus 2000 noch<br />

in 42 Beiträgen ein Thema, so wird hier <strong>im</strong> Jahr 2005 erstmals die 100er Marke gebrochen,<br />

sinkt 2006 wieder auf 91 Einträge und steigt 2007 auf 134 Einträge.<br />

192 Quelle: Österreichischer Gemeindebund: Vandalismus n<strong>im</strong>mt stark zu. Presseaussendung, Wien 10.08. 2007,<br />

http://www.gemeindebund.at/news.php?id=432<br />

75


2.8.2 Vandalismus in Österreich nach Zahlen<br />

Das Bild eines über die Jahre hin stark wachsenden Deliktes spiegelt der Sicherheitsbericht<br />

2006 in diesem Umfang nicht wieder: Während die eher leichte Sachbeschädigung nach §<br />

125 STGB über die Jahre hinweg kontinuierlich – aber nicht sprunghaft – von knapp<br />

65.000 Delikten <strong>im</strong> Jahr 2001 auf 66.931 Delikte <strong>im</strong> Jahr 2006 (Vorjahr 65.428) 193 ansteigt,<br />

sinkt die schwere Sachbeschädigung nach § 126 STGB von knapp 6.100 Delikten <strong>im</strong> Jahr<br />

2001 auf 4.556 Delikte <strong>im</strong> Jahr 2006. 194 .(Vorjahr: 4.709)<br />

2.8.3 Jugendliche sind herausragende Tätergruppe<br />

Unzweifelhaft sind Jugendliche dabei eine herausragende Tätergruppe: Von <strong>im</strong> Jahr 2006<br />

13.573 (Vorjahr 13.611) ermittelten Tatverdächtigen nach § 125 STGB sind 3.590 Personen<br />

(Vorjahr 3.212) zwischen 14 und 18 Jahre alt, von den nach § 126 STGB insgesamt 1.562<br />

Ermittelten (Vorjahr 1.532) <strong>im</strong>merhin 630 Personen (Vorjahr 499) dieser Altergruppe zuge-<br />

hörig. 195<br />

Den Befund, dass Jugendliche die wesentliche Tätergruppe bilden, bestätigt die Deutsche<br />

Polizei: „Der Anteil der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen ins diesem Deliktsbereich ist überpropor-<br />

tional hoch. Während der Anteil der Kinder an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen bei 5,5 % liegt, be-<br />

trägt er bei der Sachbeschädigung 9,9 %. In der Altersgruppe der Jugendlichen liegt der Anteil an den Tatverdächtigen<br />

insgesamt bei 12,2 %, bei der Sachbeschädigung jedoch bei 26,7 %. 196<br />

193<br />

Alle Vorjahreszahlen beziehen sich auf 2005. Quelle: Bundesministerium für Inneres: Kr<strong>im</strong>inalitätsbericht. Statistik<br />

und Analyse 2005. Wien 2006,<br />

http://www.parlinkom.at/PG/DE/XXIII/III/III_00005/<strong>im</strong>fname_070806.pdf<br />

194<br />

Quelle: Bundesministerium für Inneres (2008b): Kr<strong>im</strong>inalitätsbericht Statistik und Analyse 2006. Wien 2008, S<br />

101<br />

http://www.parlinkom.at/PG/DE/XXIII/III/III_00114/<strong>im</strong>fname_100252.pdf<br />

195<br />

Quelle: Bundesministerium für Inneres (2008b), S 12<br />

196 Quelle: Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalprävention der Länder und des Bundes: Hauptsache kaputt?, Stuttgart o.J.,<br />

http://www.polizei-beratung.de/vorbeugung/<strong>jugend</strong>kr<strong>im</strong>inalitaet/taeter_von_vandalismus/fakten/<br />

76


2.8.4 Der Sinn hinter dem scheinbar sinnlosen Zerstören<br />

Für viele scheint Vandalismus die „sinnloseste“ Form der Kr<strong>im</strong>inalität zu sein, da dabei le-<br />

diglich die Zerstörung <strong>im</strong> Vordergrund steht. Doch gerade bei dieser scheinbaren „Sinnlo-<br />

sigkeit“ ist ein Blick auf die (möglichen) Motive der Täter für ein Verstehen hilfreich. Wulf<br />

Dessin weist fragend darauf hin, ob nicht „gerade dieser „Sachbeschädigungwunsch“ eine Ersatzbe-<br />

friedung für an sich gesellschaftlich durchaus respektable Bedürfnisse“ 197 ist.<br />

� Häufig spielen be<strong>im</strong> vandalistischen Verhalten Frustrationsmotive eine wichtige<br />

Rolle (Wut, Rache, Langeweile, Selbsthass). Der Vandalismus dient als Ventil für<br />

angestaute Aggressionen, die sich mal gegen Personen, mal gegen gewisse Bevölke-<br />

rungsgruppen, mal gegen Dinge richten kann. Dabei kann - muss aber nicht - zwi-<br />

schen der Frustrationsursache und dem Gegenstand der Zerstörung kein unmittel-<br />

barer Zusammenhang bestehen.<br />

� Ebenso spielen Anerkennungsmotive eine Rolle. Dazu gehören beispielsweise (van-<br />

dalistische) Mutproben für die Regelung der Gruppenhierarchie.<br />

� Vandalismus kann einfach Spaß und Lust bedeuten und ein intensiver sinnlich-<br />

ästhetischer Reiz sein. Tessin verweist dabei auf den Aufsatz von Allen und Green-<br />

burger (aesthetic theory of vandalism, 1978), in dem die Autoren auf die moderne<br />

Kunst verweisen, wo die Dinge ebenfalls nicht in ihrer „heilen“ Schönheit darge-<br />

stellt werden, sondern in Kaputtheit und Zerrissenheit. Ferner verweisen sie auf die<br />

hollywoodsche Faszination der Katastrophenfilme und die sinnliche Faszination die<br />

beispielsweise Autounglücke und Brände auf uns ausüben. Vandalismus ist also<br />

sinnliche Erregung pur.<br />

� Darüber hinaus hat der Nervenkitzel der Zerstörung mit Entfaltungsmotiven zu<br />

tun. Diese (teilweise pubertären) Motive haben zu tun mit Exper<strong>im</strong>entierfreude,<br />

Neugier, mit Ausprobieren, mit Machterprobung, Grenzüberschreitung, mit Frei-<br />

197 Tessin Wulf: , Frei<strong>raum</strong> und Verhalten. Soziologische Aspekte der Nutzung und Planung städtischer Freiräume.<br />

Eine Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, S 64<br />

77


heitsdrang (ich lasse mich nicht durch einen spießigen Verhaltenskodex gängeln) und künstlerischen-kreativen<br />

Bedürfnissen (Graffitis) zu tun. 198<br />

Tessin schlussfolgert daraus: „Am vandalistischen Verhalten der meist ja männlichen Jugendlichen<br />

sind also nicht die ihm zugrundeliegenden Bedürfnisse problematisch oder gar „falsch“ als vielmehr die aus<br />

ihnen (z.T. aus Mangel an Alternativen) abgeleiteten Verhaltenswünsche. Vandalismusbekämpfung hieße<br />

also, den betroffenen Jugendlichen, alternative Möglichkeiten zu bieten, ihre Frustration abzubauen, Anerkennung<br />

zu finden, sich auszuprobieren.“ 199<br />

Auch Hill weist darauf hin, dass Vandalismus als <strong>jugend</strong>licher Gestaltungswille zu interpre-<br />

tieren sei: „So muss Vandalismus – entsprechend einigen Forschungsergebnissen der angelsächsischen<br />

Vandalismusforschung – auch als eine Form <strong>jugend</strong>lichen Gestaltungswillens interpretiert werden: Es ver-<br />

ändert sich etwas durch die umgestürzte Parkbank, durch die ‚enthauptete‘ Laterne, durch die Reihe abge-<br />

rissener Papierkörbe am Busbahnhof. Vandalismus ist quasi die negative Form von Gestaltungsäußerun-<br />

gen, die keine andere Alternative findet. Er ist zugleich ein stummes Zeichen von Protest und eine anonyme<br />

Demonstration situativer Macht über die Verhältnisse: wenn kein Erwachsener die Missetäter erwischt,<br />

sichert das eine rud<strong>im</strong>entäre Form von Erfolgserlebnis aus einer insgesamt destruktiven Aktion.“ 200<br />

Georg Franck sieht Vandalismus als Reaktion der ungerechten Verteilung von Möglichkei-<br />

ten innerhalb der Stadt und als Zeichen der Schaffung von Identität, in Konkurrenz zum<br />

Markt, der sich der Werbung bedient: „Die Wut der Werber ist in der Sache nämlich nicht so ver-<br />

schieden vom Vandalismus der Sprayer. Die einen betreiben legal und professionell, was die anderen <strong>im</strong> Un-<br />

tergrund treiben. Hier wie dort geht es um den Aufbau und um die Durchsetzung von Identität. Die Wer-<br />

ber bauen die Identität von Marken auf und setzen die Prominenz von Waren durch. Die Sprayer bauen an<br />

ihrer eigenen Identität und machen ihre Codes durch die Effizienz der Störung prominent. Wie die Dichte<br />

der Werbung die obere Hälfe des sozialen Gefälles markiert, markiert die Dichte der Graffiti die unte-<br />

198 vgl. Tessin (2004), S 64 ff<br />

199 Quelle: Tessin (2004), S 65 ff<br />

200<br />

Quelle: Hill, Burkhard: "Musik-Machen" in Gleichaltrigengruppen als sozialpädagogisches Angebot. Siegen<br />

o.J.,<br />

http://www.musiktherapie.uni-siegen.de/forum/<strong>jugend</strong>liche/vortraege/31hill.pdf<br />

78


e.“ 201<br />

Er führt weiter aus: „Die Vandalen machen kaputt, was ihnen sagt, dass sie nicht mithalten können.<br />

Die Neigung zur Rache an den Verhältnissen wächst mit der Ungleichheit, mit der die Kaufkraft verteilt<br />

wird. In einer Umgebung, die einen auf Schritt und Tritt daran erinnert, dass man ist, was man sich leisten<br />

kann, entsteht ein ideales Reizkl<strong>im</strong>a. Der Reiz kann auch als Aufforderung verstanden werden, sich zu<br />

nehmen, was einem niemand gibt. Armut und Werbung reizen zu Übergriffen entlang der Besitzgren-<br />

zen.“ 202<br />

Als – zumindest temporäre Flucht aus der Ohnmacht sieht Handler den Vandalismus: „Ge-<br />

walt gegen Personen und Vandalismus gegen Eigentum ist eine psychologische Reaktion, um ein negatives<br />

Lebensgefühl in Erregung zu verwandeln und Lust daraus zu gewinnen, dass man ein soziales Tabu ver-<br />

letzt. Die tiefer liegende Motivation von einem Delikt wie Vandalismus ist also, eine Bestätigung dafür zu<br />

erhalten, dass auch machtlose Personen, die normalerweise von mächtigen Institutionen und Personen kon-<br />

trolliert werden, von Zeit zu Zeit aus ihrer Ohnmacht entfliehen, rebellieren und ihre Umwelt - zumindest<br />

teilweise - kontrollieren können.“ 203<br />

Eine plausible Leseart des Vandalismus ergibt sich aus dem Ansatz der Aneignungstheorie.<br />

Dabei wird davon ausgegangen, dass junge Menschen sich ihre Umwelt aneignen müssen in<br />

Form einer Gestaltung bzw. Veränderung dieser. In einer vorgefertigten Umwelt ist eine<br />

(neue) Gestaltung des Raumes aber kaum mehr möglich: „Um in einer solchen Welt trotzdem<br />

handlungsfähig zu sein, müssen die Kinder und Jugendlichen in Spannung mit der Arbeitsgesellschaft resp.<br />

mit der entfremdeten Umwelt treten. Die Zerstörung von städtischen Einrichtungsgegenständen bzw. Van-<br />

dalismus (...) sind Beispiele für den Aufbau der beschriebenen Spannung. Würde sich eine Gruppe von Ju-<br />

gendlichen an den für sie vorgesehenen, für diesen Zweck geplanten Orten treffen, so könnte sie nichts Eige-<br />

nes tun, die räumliche Welt ist schon fertig gestaltet. Um dennoch etwas zu verändern, <strong>im</strong> Sinne von ‚sich zu<br />

eigen machen’, selbst etwas zu bewirken, zerstören oder verändern sie etwas aus der fertigen, vorgefundenen<br />

201 Quelle: Franck, Georg: Werben und Überwachen. Zur Transformation des städtischen Raums. In: Hempel,<br />

Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, S 148<br />

202 Quelle: Frank (2005), S 148 ff<br />

203<br />

Quelle: Handler, Veronika: Ursachen des Vandalismus – psychologisch betrachtet. In: Gendarmerie aktiv,<br />

Wien 2004<br />

http://www.gendarmerie-aktiv.at/zeitung/200404_vandalismus.html<br />

79


Welt. Sie geben damit den Gegenständen eine neue, eigene Funktion, es ist von nun an ‚ihre’ räumliche<br />

Welt (ihre Sitzbank), die z.B. zum Zentrum ‚ihres Treffpunktes’ wird. Durch diese Abweichungen von der<br />

Norm treten sie in eine Spannung mit den Erwachsenen, mit den Ordnungshütern.“ 204<br />

Aus dem Sichtwinkel der (anders kaum mehr möglichen) Aneignung erklärt auch Godhe-<br />

Ahrens den Vandalismus: „Jugendliche setzen den restriktiven städtischen Umweltbedingungen und der<br />

Enteignung von Räumen eigene Aneignungsaktivitäten entgegen (vermutlich eher ein männlicher Teil von<br />

ihnen), z.B. in der Umnutzung und Veränderung von Gegenständen: Zäune knacken, über Mauern klet-<br />

tern, auf verbotenen Flächen Fußball spielen u. ä.; Graffiti an Hauswänden ist auch ein symbolischer Akt<br />

der Raumaneigung. Jugendliche suchen sich ‚neue’ Räume, sie entwickeln ‚neue’ Bewegungs- und Aneig-<br />

nungsformen.<br />

Vandalismus und best<strong>im</strong>mte Formen der Jugendkr<strong>im</strong>inalität sind auch eine Antwort auf der Suche nach<br />

dem ‚Kick’ der Gefühle, nach Risiko und persönlichen Grenzerlebnissen (‚Thrilling’); dies betrifft aber ent-<br />

gegen medienverzerrten Darstellungen <strong>im</strong>mer nur einen kleineren Teil v.a. von männlichen Jugendlichen.<br />

Hier spielen sicher auch die baulich-räumlichen Beschaffenheiten der Wohnumwelten eine Rolle: Leere, Lan-<br />

geweile, Anregungsarmut, Nutzungsverbote etc., also ein Verlust sinnlicher Erfahrungsmöglichkeiten und<br />

damit auch von Selbsterfahrung können zerstörerisches Verhalten begünstigen.“ 205<br />

Vandalismus sollte aber auch als durchaus ernstzunehmende Botschaft der Jugendlichen<br />

ihre Unzufriedenheit betreffend gelesen werden: „Wenn für Jugendliche kein geeigneter Frei<strong>raum</strong><br />

geschaffen wird, entweder weil seit der Erstausstattung der Freiflächen für Kleinkinder die Ausstattung nicht<br />

ergänzt wurde, oder weil die Jugendlichen in der Siedlung als Störfaktor wahrgenommen werden, kann es als<br />

Zeichen für die unbefriedigende Situation zu destruktiven Aktionen, wie der Zerstörung der Möblierungen<br />

kommen, deren Nutzung ihnen nicht zugebilligt wird.“ 206<br />

Wie an diesen Erklärungsmodellen für Vandalismus erkennbar ist, gibt es konkrete Gründe<br />

und Motivationen für vandalistische Aktionen, die nicht unbedingt mit „sinnloser“ Zerstö-<br />

rungswut zu erklären sind. N<strong>im</strong>mt man die Tat und Täter (in selteneren Fällen Täterinnen)<br />

204 Quelle: Reutlinger (2007), S 32 ff<br />

205 Quelle: Godhe-Ahrens (1998), S 24<br />

206 Quelle: Breitfuß/Klausberger (1999) S 73<br />

80


ernst, kann man durchaus Botschaften aus diesen Taten herauslesen, die natürlich auch<br />

Handlungsansätze für den Kampf gegen Vandalismus bilden können.<br />

81


3 VIDEOÜBERWACHUNG<br />

Wenn heute über Sicherheit (und speziell über die Sicherheit an <strong>öffentlichen</strong> Plätzen) disku-<br />

tiert wird, kommt man am Thema Videoüberwachung nicht vorbei. Von Befürwortern der<br />

Videoüberwachung wird diese sehr schnell als DIE Lösung bei Problemen oder Störungen<br />

auf <strong>öffentlichen</strong> Plätzen ins Spiel gebracht. Auf der anderen Seite fürchten Gegner dieser<br />

Art von Überwachung den „gläsernen Menschen.“ Videoüberwachung ist längst nicht<br />

mehr der modernste technische Zugang <strong>im</strong> Sektor der Sicherheitstechnik: Durch die sicht-<br />

bare Präsenz und durch die Symbolik, die die „elektronischen Augen“ umgibt, ist sie jedoch<br />

ein Ankerpunkt in der Diskussion über Sicherheit heute. Mit der Videoüberwachung ver-<br />

bunden ist eine umfangreiche Diskussion über Privatheit und Bürger/innenrechte: Diese<br />

umfangreichen Aspekte können jedoch aufgrund ihrer eigenen Komplexität <strong>im</strong> Zuge dieser<br />

Arbeit nicht abgehandelt, sondern bestenfalls gestreift werden.<br />

3.1 Begriffsbest<strong>im</strong>mungen<br />

3.1.1 Videoüberwachung<br />

„Unter „Videoüberwachung“ wird die Beobachtung, d.h. die systematische und längerdauernde visuelle und<br />

allenfalls auch akustische Kontrolle einer Örtlichkeit mit Hilfe von Videokameras verstanden. Sie liefert<br />

jedenfalls Bilddaten, allenfalls zusätzlich auch akustische Daten.“ 207<br />

Eine (insbesondere juristische) Abgrenzung erfolgt zu den sogenannten „Web-Cam“-<br />

Anwendungen. Diese Videokamera-Technik verfolgt keinen Kontrollzweck, sondern soll<br />

nur Bilder von Örtlichkeiten (z.B. für Internet-Anwendungen) zur Verfügung stellen.<br />

Videoüberwachung kommt in der Praxis entweder als „real t<strong>im</strong>e monitoring“ (RTM) oder<br />

mit Aufzeichnung der kameraerfassten Daten vor. Be<strong>im</strong> RTM wird in Echtzeit der oder die<br />

207<br />

Quelle: Datenschutzkommission: Datenschutzbericht 2005 - 2007, Wien 2007, S 64<br />

http://www.dsk.gv.at/Datenschutzbericht2007.pdf<br />

82


Bildschirm(e) beobachtet, während bei der Aufzeichnung die Daten gespeichert werden. 208<br />

3.1.2 CCTV<br />

Der Begriff CCTV - Closed Circuit Television – ist der in Großbritannien geläufige Termi-<br />

nus technicus für Videoüberwachung. Auch in der deutschsprachigen Fachliteratur wird<br />

dieser Begriff <strong>im</strong>mer wieder verwendet. Beschrieben wird damit der geschlossene Schalt-<br />

kreis aus Kamera und Monitor. Durch die (einfache) Ergänzung mit einem Videogerät kann<br />

eine entscheidende Wirkungserweiterung erfolgen: Die Bildsequenzen können aufgezeichnet<br />

und gespeichert werden. 209<br />

3.2 Nachweise der Wirkung der Videoüberwachung<br />

In der Diskussion um die Einführung oder den Ausbau der Videoüberwachung werden<br />

<strong>im</strong>mer wieder „Studien“ 210 für den Beleg der Wirkung der Videoüberwachung herangezo-<br />

gen. Während Befürworter/innen der Videoüberwachung von beachtlichen Erfolgen der<br />

Videoüberwachung anhand dieser „Studien“ zu berichten wissen, weisen Gegner/innen auf<br />

mangelhafte Effekte bzw. sogar auf negative Entwicklungen nach der Installierung von Vi-<br />

deoüberwachungssystemen hin. Aufgrund von drei wesentlichen Parametern in der Diskus-<br />

sion (Effektivität, Sicherheitsgefühl und „Zielgruppe“) werden folglich ausgewählte Unter-<br />

suchungen zur Wirksamkeit der Videoüberwachung diskutiert. Unter dem Strich bleibt je-<br />

doch die Frage der Effektivität der Videoüberwachung – zumindest in der sachlichen Dis-<br />

kussion – der entscheidende Parameter in der Pro- und Contra-Abwägung. Deshalb wird<br />

der Wirkungs-Fragestellung in diesem Abschnitt der meiste Raum eingeräumt. Weil es spe-<br />

ziell rund um die Evaluationen in Deutschland durchaus hitzige Debatten und damit ver-<br />

208<br />

vgl. Datenschutzkommission (2007), S 64<br />

209<br />

vgl. Hempel, Leon/Metelmann, Jörg: Bild – Raum – Kontrolle. Videoüberwachung als Zeichen gesellschaftlichen<br />

Wandels. In: Hempel, Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt<br />

am Main 2005, S 10<br />

210<br />

Wie sich <strong>im</strong> Laufe dieses Kapitels zeigen wird, ist der Begriff Studie nicht wirklich zutreffend und wird<br />

hier daher unter Anführungszeichen gesetzt.<br />

83


unden wichtige Weichenstellungen gab, kommt diese Arbeit nicht umhin, diese Debatten<br />

mit aufzunehmen. Insbesondere zeigt sich an diesen „Begleitgeräuschen“ auch sehr gut die<br />

dahinter steckende Intention der Auftraggeber mancher „Studie“.<br />

3.3 Die Effizienz der Videoüberwachung <strong>im</strong> Hinblick auf eine kr<strong>im</strong>inalpräventive<br />

Wirkung<br />

Meist soll die Videoüberwachung konkrete (unerwünschte) Zustände bekämpfen: Die Kri-<br />

minalität allgemein soll bekämpft werden, Taschendiebstähle sollen verhindert bzw. die Tä-<br />

ter aufgrund der Videoaufzeichnungen ausgeforscht werden, Vandalismus soll zurückge-<br />

drängt werden, etc. Um mögliche Bedenken gegen eine geplante Videoüberwachung zu zer-<br />

streuen, wird daher oft auf Untersuchungen verwiesen, die der CCTV große Erfolge in der<br />

Bekämpfung der unerwünschten Zustände in ausgewählten Modellregionen bescheinigen.<br />

3.3.1 Grundsätzliches zur Qualität der Studien<br />

Um ein realistisches Bild der Effektivität von Videoüberwachung zu erhalten, gilt es auch,<br />

die Qualität vorhandener Untersuchungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Leider genü-<br />

gen nur wenige Evaluationen den Kriterien, die eine unabhängige Wissenschaft an diese<br />

stellt. 211 Im „Mutterland der Videoüberwachung“ – Großbritannien – wurden die meisten<br />

frühen Studien, die einen positiven Effekt der Kr<strong>im</strong>inalprävention <strong>mittels</strong> CCTV bescheini-<br />

gen, selbst vom „Ausschuss für Naturwissenschaften und Technologie“ des britischen O-<br />

berhauses mit der Feststellung „data to support conclusions on the benefits of CCTV surveillance are<br />

weak“ 212 in Frage gestellt. Die englischen Wissenschafter Gill und Spriggs stellen in ihrer<br />

umfangreichen Studie 2005 fest, dass vor allem die Frage, wie Videoüberwachung funktio-<br />

211<br />

Vgl. Töpfer, Eric: Videoüberwachung - Eine Risikotechnologie zwischen Sicherheitsversprechen und Kontrolldystopien.<br />

In: Zurawski, Nils (Hrsg.): Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes. Verlag<br />

Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2007, S 35<br />

212<br />

Quelle: House of Lords: Fifth Report. Digital Images as Evidence. Committee on Science and Technology,<br />

London 1998<br />

http://www.parliament.the-stationery-office.co.uk/pa/ld199798/ldselect/ldsctech/064v/st0506.htm#a24<br />

84


niert und nicht wie sie wirkt, untersucht wurde. 213<br />

Für das Gros der Studien in Deutschland stellt der Berliner Politikwissenschaftler Eric Töp-<br />

fer ein ähnlich schlechtes Zeugnis aus: „.Auch in Deutschland waren es die Polizei oder die Innen-<br />

ministerien selbst, die ihren Überwachungsanlage nach methodisch fragwürdigen Zahlenspielen einen zumin-<br />

dest relativen Erfolg attestierten.“. 214 Ähnlich hart urteilt der Berliner Politik- und Literaturwis-<br />

senschaftlicher Leon Hempel über viele Untersuchungen: „Die Aussagekraft dieser pseudowis-<br />

senschaftlichen Evaluationen lässt sich in der Regel anzweifeln, ihre Bedeutung für die öffentliche und politi-<br />

sche Meinungsbildung jedoch nicht. Sie stützen Ad-hoc-Gesetzgebungen, also überstürzte und meist auf ei-<br />

nen äußerlichen Symbolgehalt reduzierte gesetzgeberische Reaktionen auf Themen unter dem Einfluss von<br />

Medien und <strong>öffentlichen</strong> Diskussionen, wie sie in Zeiten allgemeiner Verunsicherung aufgrund realer Bedrohungen<br />

in <strong>im</strong>mer kühnerer Selbstgefälligkeit der Politik heute zahlreich zu beobachten sind.“ 215<br />

In Österreich 216 best<strong>im</strong>mt vor allem die (mediale) Veröffentlichung von Erfolgszahlen<br />

durch die jeweiligen Betreiber eine Rolle. Widerspruch dagegen gibt es vor allem von Seiten<br />

von Datenschützer/innen. Eine breitere Diskussion über die Einführung von Videoüber-<br />

wachung findet in Österreich <strong>im</strong> Vergleich zu Deutschland generell nicht statt. Dies spiegelt<br />

sich sowohl in der Wissenschaft (kaum österreichische Veröffentlichungen zum Thema,<br />

keine mir bekannte umfangreichere Studie 217 ), <strong>im</strong> (Nicht)Vorhandensein von kritischen In-<br />

ternetinhalten 218 , sowie in der kaum geführten (kritischen) medialen und <strong>öffentlichen</strong> De-<br />

batte wider.<br />

213 vgl. Gill, Martin/Spriggs, Angela: Assessing the <strong>im</strong>pact of CCTV. Home Office Research Study 292. Home<br />

Office Research, Development and Statistics Directorate, London 2005, S 2<br />

www.homeoffice.gov.uk/rds/pdfs05/hors292.pdf<br />

214 Quelle: Töfper (2007), S 36<br />

215 Quelle: Hempel, Leon: Zur Evaluation von Videoüberwachung. In: Zurawski, Nils (Hrsg.): Surveillance Studies.<br />

Perspektiven eines Forschungsfeldes. Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2007, S 123<br />

216 siehe Kapitel 3.8. Situation in Österreich<br />

217 Eine telefonische Anfrage betreffend wissenschaftlicher Evaluation von Videoüberwachung in Österreich<br />

bei der Arge Daten am 22.02.08 bestätigte, dass solcherlei in Österreich nicht vorhanden ist<br />

218 Die Site der Arge Daten (www.argedaten.at) sei hier explizit ausgenommen. Im Gegensatz zu den zahlreichen<br />

privaten Internetseiten in Deutschland, die sich mit Videoüberwachung oder Datenschutz beschäftigen,<br />

wird man in Österreich jedoch kaum fündig.<br />

85


3.3.2 Interne Bewertungen<br />

Oftmals werden in der Debatte zur Effektivität der Wirkung von Videoüberwachung inter-<br />

ne Evaluationen durch die Betreiber vorgelegt bzw. angeführt. Dabei steht wiederholt nicht<br />

die wissenschaftliche Annäherung an die Wirklichkeit, sondern das Agieren aus einem be-<br />

st<strong>im</strong>mten Interesse heraus <strong>im</strong> Mittelpunkt. Nichts desto trotz spielen diese internen Bewer-<br />

tungen be<strong>im</strong> Ausbau der Videoüberwachung eine entscheidende Rolle. Gerade deshalb soll-<br />

te man in einer fundierten Meinungsbildung diesen Auswertungen bzw. Interpretationen<br />

besonderes Augenmerk widmen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt sind diese Bewertun-<br />

gen zumindest hinterfragbar. Wie Hempel in seiner Analyse zur Evaluation der Videoüber-<br />

wachung anmerkt, weisen diese Bewertungen eine Fülle von Mängeln auf: Sie sind ad hoc<br />

durchgeführt, verfügen häufig über pauschalierende Darstellungen von Ergebnissen, die<br />

Methodik wird in Praxisberichten oft weder transparent noch nachprüfbar dargestellt, die<br />

Art und Weise der Datenerhebung bleibt unbenannt, die Skalierung der Ergebnisse in Dia-<br />

grammen ist manipulierend und die „statistische Alchemie“ basiert oft auf ohnehin umstrit-<br />

tenen Kr<strong>im</strong>inalstatistiken. Darüber hinaus werden Ergebnisse in Prozentwerten angegeben,<br />

ohne auf ein Verhältnis dieser Zahlen zur Gesamtheit der untersuchten Fälle hinzuweisen.<br />

219<br />

219 Vgl. Hempel (2007), S 122<br />

86


3.3.3 Beispiel einer internen Evaluation: Regensburg<br />

Als „In einem besonderen Maße aufschlussreich für die Betrachtung und Problematisierung von internen<br />

Evaluationen“ 220 führt Hempel das Videoüberwachungs-Pilotprojekt in Regensburg an. Ins-<br />

besondere deshalb, weil die Ergebnisse eine Entscheidungsgrundlage für die Änderung des<br />

bayrischen Polizeiaufgabengesetztes vom 1. September 2001 bildeten. Seither sind ständige<br />

Bildaufzeichnungen an kr<strong>im</strong>inalitätsbelasteten <strong>öffentlichen</strong> Plätzen und Straßen erlaubt. 221<br />

Begründet wurde dieses Pilotprojekt mit der <strong>im</strong> bayrischen Durchschnitt hohen Straßen-<br />

kr<strong>im</strong>inalität und dem Anstieg der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht in best<strong>im</strong>mten Innenstadtbereichen,<br />

die durch die Studie „Räumliche Verteilung und Untersuchung von Angst-Räumen in Re-<br />

gensburg“ 1995 von Heike Seiler konstatiert, sowie durch eine Bürgerbefragung <strong>im</strong> Jahr<br />

1999 durch das geographische Institut der Technischen Universität München und dem<br />

Zentralen Psychologischen Dienst der Bayrischen Polizei vertieft wurden. 222<br />

Hempel bezieht sich in seinen Ausführungen zur Evaluation der Videoüberwachung am<br />

Beispiel Regensburg auf die Antrittsvorlesung des Rechtswissenschafters Henning Ernst<br />

Müller an der Universität Regensburg am 2. Februar 2001 und fasst dessen wesentliche Kritikpunkte<br />

wie folgt zusammen: 223<br />

� Mangels Personal und mangels technischer Ausstattung war eine Überwachung nur<br />

eingeschränkt möglich<br />

� Die überwiegende Anzahl der Kamerastandorte war nicht identisch mit den „Angst-<br />

räumen“, die Seiler in ihrer Diplomarbeit festgestellt hatte (u.a. bedingt durch den<br />

Rückgriff auf ein bestehendes Verkehrsüberwachungssystem) 224<br />

220 Quelle: Hempel (2007), S 123<br />

221<br />

vgl. Polizei Bayern: Videoüberwachung in Regensburg. Presseaussendung, Regensburg 10.01.2008<br />

http://www.polizei.bayern.de/niederbayern/regensburg/schuetzenvorbeugen/kr<strong>im</strong>inalitaet/index.html/3133<br />

1<br />

222<br />

vgl. Polizei Bayern: Polizeidirektion Regensburg: Videoüberwachung in Regensburg. Regensburg o.J., S 1<br />

http://www.polizei.bayern.de/content/3/1/3/3/1/video_berwachung_regensburg.pdf<br />

223<br />

vgl. Hempel (2007), S 124<br />

224<br />

vgl. Müller, Henning Ernst: Zur Kr<strong>im</strong>inologie der Videoüberwachung. Humanistische Union, Berlin 2003<br />

http://www.humanistische-union.de/themen/innere_<strong>sicherheit</strong>/<strong>sicherheit</strong>_vor_freiheit/mueller/<br />

87


� Bereits seit Beginn der 1990er Jahre – und nicht erst mit Durchführung der Video-<br />

überwachung war die Straßenkr<strong>im</strong>inalität in Regensburg rückläufig<br />

� Die Darstellung der Ergebnisse sei wenig aussagekräftig, da die Delikte nicht diffe-<br />

renziert wurden und auch insgesamt ein falscher Eindruck vom Kr<strong>im</strong>inalitätsge-<br />

schehen in Regensburg erweckt würde<br />

Auch die Regensburger Polizei veröffentlichte in ihrem Bericht durchaus bescheidene Er-<br />

folge. Im Vergleichszeit<strong>raum</strong> vom 1. Juni 1997 bis 31. Mai 2001 stellte sie zwar einen gene-<br />

rellen Rückgang der Delikte von 183 auf 158 fest, hält aber auch fest, dass „Der große Fahn-<br />

dungserfolg – d.h. Aufzeichnung einer konkreten Straftat auf Videoband“ 225 der Regensburger Polizei<br />

versagt blieb. Die Straßenkr<strong>im</strong>inalität – deren Bekämpfung ein großes Ziel war – ist <strong>im</strong> Jahr<br />

2000 <strong>im</strong> Vergleich zum Vorjahr um gerade 2 % zurückgegangen. Darüber hinaus kam es<br />

<strong>im</strong>mer wieder zu Straftaten, die von der Polizei mangels Ressourcen nicht beobachtet wer-<br />

den konnten. Das „Punkerunwesen“ in der Innenstadt wurde in den Jahren 2000 und 2001<br />

fast auf Null reduziert. Allerdings werden dafür auch verstärkte generelle Kontrollmaßnahmen<br />

verantwortlich gemacht. 226<br />

Nichtsdestotrotz fällt das Resümee der Regensburger Polizei durchwegs positiv aus: „Die<br />

Videoüberwachung an Brennpunkten öffentlich zugänglicher Straßen und Plätze ist eine sinnvolle Maß-<br />

nahme, potentielle Straftäter abzuschrecken, nachhaltig das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken und<br />

gegebenenfalls auch Tatverdächtige zu ermitteln.“ 227<br />

Hempel schlussfolgert in seinen Ausführungen gänzlich anders: „Zieht man den finanziellen<br />

Rahmen und den damit eng verbundenen technischen Aufwand des Regensburger Projekts in Betracht und<br />

studiert den Bericht über den Erfolg der Maßnahme, so muss dieser Schluss aufgrund der Begründung, Pla-<br />

nung und Durchführung, also aufgrund der insgesamt bestehenden methodischen Dürftigkeit des Pilotpro-<br />

225 Quelle: Polizei Bayern (o.J.), S 3<br />

226 vgl. ebd.<br />

227 Quelle: Polizei Bayern (o.J.), S 4<br />

88


jekts, als Frömmigkeitsbekundung der Polizei gegenüber dem Innenminister bezeichnet werden.“ 228<br />

Anschließend an das Pilotprojekt werden seit 1. September 2001 drei Örtlichkeiten mit 4<br />

Kameras überwacht und die Bilder für eine nachträgliche Recherche für 30 Tage gespei-<br />

chert.<br />

Im Bericht der Polizei stellt sich die Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung an diesen 3 Örtlichkeiten wie<br />

folgt dar:<br />

Tabelle 8: Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung an videoüberwachten Orten in Regensburg 229<br />

Wie an der Tabelle zu erkennen ist, steigt die Gesamtkr<strong>im</strong>inalität trotz Videoüberwachung<br />

kontinuierlich an.<br />

Zusammenfassend hält der Bericht fest, dass diese Steigerung der Deliktzahlen die übliche<br />

Wellenbewegung, die sich mit den Erfahrungen anderer videoüberwachter Örtlichkeiten<br />

deckt, abbildet. Abschließend wird festgestellt: „Spektakuläre polizeiliche Erfolge <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit der Videoüberwachung konnten bisher <strong>im</strong>mer noch nicht verzeichnet werden.“ 230<br />

228 Quelle: Hempel (2007), S 123<br />

229 Quelle: Polizei Bayern (o.J.), S 6<br />

230 Quelle: ebd.<br />

89


3.3.4 Beispiel interne Evaluation Bielefeld<br />

Ein interessantes Beispiel für die (umstrittene) Qualität von Untersuchungen über die Wir-<br />

kungen von Videoüberwachungen – und für deren Auswirkungen – ist das Fallbeispiel des<br />

Ravensberger Parks in Bielefeld. Erstens handelt es sich dabei um das erste Videoüberwa-<br />

chungs-Pilotprojekt in Nordrhein-Westfallen (und wurde daher ausgiebig in Medien und<br />

Fachkreisen diskutiert), zweitens spiegelt es die methodischen Mängel der Evaluation wieder<br />

und drittens wurde aufgrund dieser Ergebnisse das Polizeigesetz verschärft. 231<br />

Seitens des Innenministers von Nordrhein-Westfalen gab es am 21.9.2000 grünes Licht für<br />

das Pilotprojekt: In dem <strong>öffentlichen</strong> Bielefelder Park sollten die Eingänge durch vier Ka-<br />

meras überwacht werden. 232 Davor hatte die Polizei den Park als Kr<strong>im</strong>inalitätsbrennpunkt<br />

identifiziert: Eine Vermengung der örtlichen Drogenszene mit Punkern, Obdachlosen und<br />

Trinkern wurde konstatiert. Folglich wurden vom 23. Februar 2001 bis 31. März 2002 vier<br />

Videokameras eingesetzt. 233<br />

Die Landeskoalition hatte <strong>im</strong> Vorfeld beschlossen, dass eine wissenschaftliche Bewertung<br />

dieser Maßnahme durch Klaus Boers (Institut für Kr<strong>im</strong>inalwissenschaften/Universität<br />

Münster) erfolgen sollte, und dieser einen Bericht bis 31. Oktober 2001 für das Innenminis-<br />

terium erstellen sollte. In diesem Bericht hielt Boers fest, dass u.a. wegen der Undurchführ-<br />

barkeit eines Pre-Tests zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Be-<br />

gleitung in Bielefeld sehr begrenzt sind. 234 Darüber hinaus stellte er ein „insgesamt geringes und<br />

für eine empirische Evaluation von Interventionseffekten ein zu geringes Kr<strong>im</strong>inalitätsvorkommen“ 235 fest.<br />

231<br />

Vgl. Glatzner, Florian: Die Staatliche Videoüberwachung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes als Instrument der Kr<strong>im</strong>inalitätsbekämpfung.<br />

Magisterarbeit, Münster 2006, S 30<br />

www.foebud.org/video/magisterarbeit-florian-glatzner.pdf<br />

232 Vgl. Veil, Katja: Raumkontrolle. Videokontrolle und Planung für den <strong>öffentlichen</strong> Raum, Diplomarbeit <strong>im</strong><br />

Rahmen des Studiums der Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin, Berlin 2001, S<br />

11<br />

http://de.geocities.com/veilkatja/<br />

233<br />

Vgl. Kubera, Thomas: Videoschutz Bielefeld, Gütersloh o.J.<br />

http://www.thomas-kubera.de/videoschutz.htm<br />

234<br />

Vgl. Möller, Claudia: Videoschutz <strong>im</strong> Ravensberger Park - Projektarbeit zur Videoüberwachung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum, o.O. o.J.<br />

http://www.thomas-kubera.de/auszuege01.htm#M%F6ller<br />

235<br />

Quelle: Boers, Klaus: Möglichkeiten einer empirischen Begleitforschung der polizeilichen Videoüberwa-<br />

90


Nachdem Boers folglich diesen Auftrag nicht annahm, wurde die Evaluation von zehn Stu-<br />

denten der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Abteilung Bielefeld unter der Leitung<br />

von Prof. Dr. Hans-Jörg Bücking und Thomas Kubera übernommen. 236<br />

Kubera ist aber nicht nur Leiter der Evaluation, sondern gleichzeitig auch Leiter der Polizeiinspektion<br />

Ost be<strong>im</strong> Polizeipräsidium Bielefeld und Leiter des Videoschutz-Projekts. 237<br />

Wenig überraschend ist daher das Fazit von Kubera: „Die Videoüberwachung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum ist sicher kein Allheilmittel, sehr wohl aber eine interessante technische Ergänzung polizeilicher Ar-<br />

beit. Gerade in einer Zeit knapper Mittel kann sie die ressourcenschonendere und intelligentere Alternative<br />

sein, Kr<strong>im</strong>inalitätsbrennpunkten wirkungsvoll zu begegnen. Auch wenn die Überwachung zur Aufklärung<br />

von konkreten Straftaten offensichtlich weniger geeignet ist, zeigt sie doch Wirkung <strong>im</strong> Verhalten potentieller<br />

Zielgruppen und <strong>im</strong> Sicherheitsgefühl des Bürgers. Überwachte Gebiete können wieder regulär genutzt und<br />

sozial belebt werden.“ 238<br />

Dabei beruft sich Kubera auf sinkende Straftaten in Beobachtungszeit<strong>raum</strong> 1999 bis 2001,<br />

die insgesamt um 28,8 % zurück gegangen seien. Bei Drogendelikten von erheblicher Bedeutung<br />

konstatiert er sogar einen Rückgang von 100 %. 239<br />

Seine Studentin Claudia Möller stellt in der Projektarbeit „Videoschutz <strong>im</strong> Ravensberger<br />

Park“ <strong>im</strong> Kapitel „Eine historische Betrachtung des Videoschutzes in der Stadt Bielefeld<br />

unter Berücksichtigung erster Erfahrungen“ fest, dass es alleine <strong>im</strong> Jahr 1999 fünf Großein-<br />

sätze der Polizei gab, bei denen die Zahl von Zugehörigen der Drogenszene von 70 Perso-<br />

nen von Mai 1999 auf 10 Personen <strong>im</strong> September 1999 reduziert wurden und führt weiter<br />

aus: „Trotz der Videoüberwachung 2001 nahm in diesem Jahr die Kr<strong>im</strong>inalität <strong>im</strong> Vergleich zu 2000<br />

wieder zu. Bereits in nur neun Monaten diesen Jahres liegt hier schon eine Anzahl von 69 Straftaten vor.<br />

chung <strong>im</strong> Ravensberger und Roachdale Park in Bielefeld. Kr<strong>im</strong>inologisches Gutachten. Westfälische Wilhelms-Universität,<br />

Münster 2001, S 24<br />

http://www.befreite-dokumente.de/eingereichte-akten/44-1-1800-1/<br />

236 vgl. Glatzner (2006), S 34<br />

237 vgl. Glatzner, S 36<br />

238 Quelle: Kubera (o.J.)<br />

239 vgl. ebd.<br />

91


Sieben dieser Delikte fallen hier lediglich in die Statistik, da sich das Ordnungsamt <strong>im</strong> Ravensberger Park<br />

befindet (Betrug z. N. von Sozialversicherungen). Die Anzahl der BTM 240 -Delikte reduzierte sich auf 10,<br />

davon war nur eine <strong>im</strong> Zusammenhang mit harten Drogen. (...) Im Jahr 2000 gab es <strong>im</strong> Park nur noch<br />

sieben Straftaten von erheblicher Bedeutung. Von Januar bis September 2001 gab es neun Straftaten dieser<br />

Art. (...).“ Sie schlussfolgert: „Inwieweit durch die Videoüberwachung eine Verdrängung der Drogenab-<br />

hängigen oder der anderen Randgruppen in andere Bereiche vorliegt, müsste durch eine Milieustudie ermittelt<br />

werden, ansonsten ist dazu <strong>im</strong> Moment keine andere konkrete Aussage zu treffen.“ 241<br />

Dem von Kubera konstatierten dramatischen Rückgang relativiert Haiko Lietz mit der Veröffentlichung<br />

der polizeilichen Statistik als „einerseits richtig und falsch“ 242<br />

Tabelle 9: Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung <strong>im</strong> videoüberwachten Park/Bielefeld 243<br />

Dabei ist erkennbar, dass zwar <strong>im</strong> von Kubera angewandten Vergleichszeit<strong>raum</strong> 1999 bis<br />

2001 die Zahlen wesentlich sanken, jedoch <strong>im</strong> Vergleichszeit<strong>raum</strong> 2000 und 2001 gestiegen<br />

sind. Während sich Kubera alleinig auf einen Placebo Effekt – ausgelöst durch die öffentli-<br />

che Debatte der Videoüberwachung stützt, führt der Bielefelder Verein zur Förderung des<br />

240<br />

In Deutschland fallen diese Delikte unter das Betäubungsmittelgesetz, in Österreich als Suchtgiftgesetz<br />

bezeichnet<br />

241<br />

Quelle: Möller (o.J.)<br />

242 Quelle: Lietz, Haiko: Videoüberwachung: Sicherheit oder Scheinlösung. In: Telepolis, München 06.07.2004<br />

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17813/1.html<br />

243 Quelle: Lietz (2004) – Daten der Polizei Bielefeld<br />

92


<strong>öffentlichen</strong> bewegten und unbewegten Datenverkehrs 244 andere Gründe an: Der Park sei<br />

zur damaligen Expo geschönt worden und darüber hinaus hätte die nahe Drogenanlaufstelle<br />

ihr Angebot für Suchtkranke verbessert. 245 Auch Glatzner zeigt diese Mängel in der Bewer-<br />

tung der Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung aufgrund der Videoüberwachung auf: „Obwohl beispielswei-<br />

se am Anfang des Abschlussberichtes auf die durchgeführten kr<strong>im</strong>inalitäts-entschärfenden Maßnahmen, wie<br />

das Schneiden der Hecken oder das Verbessern der Beleuchtung hingewiesen wurde, wird die Kr<strong>im</strong>inalitätsreduktion<br />

<strong>im</strong> Folgenden nur der Videoüberwachung zugeschrieben.“ 246<br />

Am 31. März 2002 wurde das Projekt abgebrochen, da aufgrund des Rückganges der Kri-<br />

minalitätsbelastung die Rechtsgrundlagen des (alten) Polizeigesetzes NRW nicht mehr ge-<br />

währleistet waren. Im April 2004 wurde die Videoüberwachung wieder in Betrieb genom-<br />

men, da die neue Fassung des Polizeigesetzes NRW die notwendigen Grundlagen dafür ge-<br />

schaffen hatte. 247 In der Zwischenzeit wurde am 25. Juli 2003 der Paragraf 15 a des Poli-<br />

zeigesetzes dahingehend geändert, dass nicht mehr "Straftaten von erheblicher Bedeutung"<br />

am zu überwachenden Ort vorhanden sein müssen, sondern dass ein "Kr<strong>im</strong>inalitätsbrenn-<br />

punkt", an dem "wiederholt Straftaten begangen wurden" vorliegt und "Tatsachen die An-<br />

nahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden." 248 Der<br />

Grund für diese Verschärfung: „Das Kabinett berief sich dabei auf die Ergebnisse des Pilotprojekts<br />

der Bielefelder Polizei zur Videoüberwachung. In einer Pressemitteilung vom 17. Juli 2002 hat das Innen-<br />

ministerium mitgeteilt: Der Erfolg ließ sich in Zahlen messen: Schon nach einem Jahr war in Bielefeld die<br />

Zahl der erfassten Straftaten von erheblicher Bedeutung um mehr als die Hälfte gesunken.“ 249<br />

244 Homepage: http://www.foebud.org/<br />

245 Vgl. Lietz (2004)<br />

246 Quelle: Glatzner (2006), S 36<br />

247 Vgl. Glatzner, (2006), S 33<br />

248 vgl. Lietz (2004)<br />

249 Quelle: Lietz (2004)<br />

93


3.3.5 Interne Evaluation: Beispiel Bremen<br />

Es gibt aber auch interne Evaluationen, die sich der Komplexität der Kr<strong>im</strong>inalität differen-<br />

zierter nähern und ein besseres Bild über die Effektivität der Videoüberwachung ermögli-<br />

chen. Ein solches Beispiel bildet der Bericht des Bremer Senators für Inneres und Sport<br />

„Videoüberwachung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum als Teil der Kr<strong>im</strong>inalitätsbekämpfung – Erfahrungsbericht“<br />

vom 12. Dezember 2005. 250<br />

Am 4. Oktober 2002 wurde am Bremer Bahnhofsvorplatz eine sogenannte Dome-Kamera<br />

(360 Grad drehbar, ausgestattet mit Zoom-Objektiv und fernsteuerbar) auf einem Mast der<br />

Bremer Straßenbahn AG installiert. Gründe dafür waren, dass dieser Platz aufgrund einer<br />

Kr<strong>im</strong>inalitätsanalyse sich als Raum mit der höchsten Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung in Bremen her-<br />

ausgestellt hatte und <strong>im</strong> Rahmen einer Bürgerbefragung durch die Polizei als „Angst<strong>raum</strong>“<br />

ausgewiesen wurde. 251<br />

Die Videoüberwachung wurde hauptsächlich zur Bekämpfung der Straßenkr<strong>im</strong>inalität<br />

(Körperverletzung, Eigentumsdelikte, Verstoße gegen das Betäugungsmittelgesetz) einge-<br />

setzt. Zur Darstellung der Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung wurden aufgrund der Kleinräumigkeit<br />

des Gebietes die Zahlen des Informationssystem-Anzeigen (ISA) der Polizei herangezogen,<br />

das lokalspezifische Anzeigen registriert und nicht die Daten der Polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalsta-<br />

tistik. Des weiteren wird zum Vergleich der Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung eine einjährige Phase vor<br />

der Inbetriebnahme der Kamera dokumentiert. Darüber hinaus werden die Deliktarten dif-<br />

ferenziert dargestellt. Damit werden in der Folge unzulässige Pauschalierungen vermieden<br />

und nachvollziehbare Schlüsse auf einzelne Deliktarten ermöglicht. 252<br />

Dieser Erfahrungsbericht berichtet von einem teils drastischen Rückgehen der Kr<strong>im</strong>inalität<br />

– und differenziert nach Deliktgruppen.<br />

250 Bremische Bürgerschaft: Bericht des Senators für Inneres und Sport "Videoüberwachung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum als Teil der Kr<strong>im</strong>inalitätsbekämpfung - Erfahrungsbericht". Mitteilung des Senats vom 12. Dezember<br />

2005. Drucksache 16/867. Bremen 2005<br />

http://www.bremische-buergerschaft.de/drucksachen/143/2894_1.pdf<br />

251 vgl. Bremische Bürgschaft (2005), S 3<br />

252 vgl. Hempel (2007), S 125 ff<br />

94


Abbildung 10: Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung am videoüberwachten Platz/Bremen 253<br />

Der Bericht -<br />

Wie in der Tabelle ersichtlich ist, sind vor allem Raubdelikte und auch gefährliche Körper-<br />

verletzungen zurückgegangen, während die Zahl der leichten Körperverletzungen leicht ge-<br />

stiegen ist.<br />

Folgend stellt der Bericht dar, dass der erhebliche Rückgang bei den Fahrraddienststählen<br />

wohl in der Demontage der Fahrradbügel auf dem Bahnhofsvorplatz zurückzuführen sei<br />

„und damit <strong>im</strong> Wesentlichen auf eine Veränderung der dortigen Tatgelegenheitsstrukturen zurückzuführen<br />

ist.“ 254 Darüber hinaus werden andere bauliche Maßnahmen, die zur Attraktivierung des<br />

Raumes geführt haben, erwähnt.<br />

Bei Straftaten <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz wurde ein Verdrän-<br />

gungseffekt konstatiert, worauf man an den wiederholt wechselnden Ausweichorten jeweils<br />

mit zusätzlicher Polizeipräsenz reagierte. Während ein Rückgang der gefährlichen und<br />

schweren Körperverletzung <strong>im</strong> überwachten Bereich zu verzeichnen war, stagnierten die<br />

Zahlen der einfachen und fahrlässigen Körperverletzung. Im Bericht wird das darauf zu-<br />

rückgeführt, dass diese „häufig aufgrund von Streitigkeiten unter Angehörigen sozialer Randgruppen,<br />

die sich regelmäßig auf dem Bahnhofsvorplatz aufhalten, begangen werden“ und schlussfolgert daraus<br />

253 Quelle: Bremische Bürgerschaft (2005), S 4<br />

254 Quelle: ebd.<br />

95


„Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die präventiven Möglichkeiten der offenen Videoüberwachung<br />

begrenzt sein können, wenn es sich bei den Straftaten um Spontan-, Beziehungs- oder <strong>im</strong> Rausch begangene<br />

Delikte handelt, die von den Tätern meistens unvermittelt und irrational begangen werden. Sie sind sich der<br />

Existenz der Kamera in dem Moment nicht bewusst und stellen deshalb ihre Tatbegehung nicht darauf ab.“<br />

255<br />

Schlussendlich führt der Bericht aus, dass Videoüberwachung ein Element einer umfassen-<br />

den Sicherheitsstrategie sein kann, aber kein Allheilmittelmittel darstellt. Sie könne weder<br />

die polizeiliche Präsenz, noch allgemeine notwendige Attraktivitätssteigerungen des Raumes<br />

ersetzen. Außerdem sind die „Einsätze verschiedener Organisationseinheiten zu strukturieren und an-<br />

dere Behörden, Organisationen, private Einrichtungen und die Anrainer des Bahnhofvorplatzes für ein<br />

konzentriertes Vorgehen zu gewinnen“. 256<br />

255 Quelle: Bremische Bürgschaft, (2005), S 5<br />

256 Quelle: Bremische Bürgschaft (2005), S 7<br />

96


3.3.6 Wissenschaftliche Untersuchungen<br />

Für eine qualifizierte Meinungsbildung gilt es aber vor allem wissenschaftliche Untersu-<br />

chungen heranzuziehen. Diese gibt es zwar äußerst selten – es gibt sie aber doch. Im deut-<br />

sprachigen Raum habe ich <strong>im</strong> Zuge der Recherchen zwei wissenschaftlich fundierte Unter-<br />

suchungen gefunden, die in dieser Arbeit folglich auch dargestellt werden.<br />

Von amerikanischen und britischen Kr<strong>im</strong>inologen wurde mit der Maryland Scientific Me-<br />

thod Scale (MSMS) eine Richtlinie für kr<strong>im</strong>inalpräventive Untersuchungen erstellt, mit der<br />

externe Einflussgrößen besser kontrolliert werden können. Diese fünfstufige Skala be-<br />

schreibt die Qualitätskriterien einer qualifizierten und aussagekräftigen Untersuchung:<br />

1. Zusammenhang zwischen Maßnahme und einer Messung der Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung zu einem<br />

Zeitpunkt<br />

2. Messung der Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung bevor und nachdem die Maßnahme eingeführt wurde, aber oh-<br />

ne vergleichbare Kontrollgruppe<br />

3. Messung der Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung bevor und nachdem die Maßnahme eingeführt wurde, ein-<br />

schließlich einer Exper<strong>im</strong>ental- und einer vergleichbaren Kontrollgruppe<br />

4. Messung der Kr<strong>im</strong>inalitätsbelastung mit diversen Exper<strong>im</strong>ental- und Kontrollgruppen<br />

5. Zufallsmessungen mit diversen Exper<strong>im</strong>ental- und Kontrolleinheiten 257<br />

Die Stufe vier stellt dabei ein methodisches Mindestmaß dar.<br />

257 Quelle: Hempel (2007), S 127 ff<br />

97


3.3.7 Wissenschaftliche Untersuchung: Beispiel Brandenburg<br />

Erstmals wurde in Deutschland <strong>im</strong> Zuge der Einführung von Videoüberwachung in Bran-<br />

denburg eine wissenschaftliche Begleitung durchgeführt. Durch Professor Dr. Manfred<br />

Bornewasser von der Universität Greifswald wurde ein Gutachten zur kr<strong>im</strong>inologisch-<br />

soziologischen Bewertung erstellt. Parallel dazu führte der Greifswalder Professor Dr. Classen<br />

eine juristische Bewertung durch. 258<br />

Nach der entsprechenden Gesetzesänderung war es der Polizei gestattet worden, öffentlich<br />

zugängliche Straßen und Plätze <strong>mittels</strong> Kamera zu überwachen. Im November und Dezem-<br />

ber 2001 wurde mit der Überwachung in Brandenburg an vier Standorten begonnen:<br />

• Bahnhofvorplatz Potsdam (sechs Kameras)<br />

• Bahnhofvorplatz Erkner (zwei Kameras)<br />

• Bahnhofsvorplatz Bernau (zwei Kameras)<br />

• Außenbereich einer Großdiskothek in Rathenow (drei Kameras).<br />

Bei Bernau, Erkner und Potsdam handelt es sich um stark frequentierte Pendlerbahnhöfe<br />

an der Berliner Peripherie. 259<br />

Der Brandenburger Innenminister Jörg Schönböhm fasste in einer Presseaussendung die<br />

Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Evaluation markant zusammen: „Die Videoüberwachung<br />

ist eine wirksame polizeitaktische Maßnahme zur Bekämpfung der Kr<strong>im</strong>inalität an Kr<strong>im</strong>inalitätsbrenn-<br />

punkten sowie ein wirksames Einsatzmittel zur vorbeugenden Bekämpfung der Kr<strong>im</strong>inalität.“ 260 und<br />

sprach sich daher für eine Fortsetzung der Videoüberwachung aus.<br />

Die Zahlen sprechen auf den erste Blick für sich: Während in Brandenburg die Fallzahlen<br />

um lediglich 6,5 % zurückgegangen waren, sank die Gesamtkr<strong>im</strong>inalität vor den Potsdamer<br />

258 vgl. Land Brandenburg (2006a): Schönböhm: Videoüberwachung hat sich in Brandenburg bewährt. Presseaussendung<br />

des Ministerium des Innern Brandenburg, Potsdam 26.01.06,<br />

http://www.lds-bb.de/sixcms/detail.php?id=245916<br />

259 Vgl. Püschel, Hannes: Einführung und Etablierung der Videoüberwachung in Brandenburg, Köln 2007,<br />

http://www.linksnet.de/artikel.php?id=3322<br />

260 Quelle: Land Brandenburg (2006a)<br />

98


Kameras um ca. 30 %, jene in Rathenow um 60 % und jene in Erkner um gar zirka 60 %.<br />

Nur Bernau scherte aus diesem Überwachungserfolg aus: Nach einem schlagartigen Sinken<br />

unmittelbar nach Einführung der Überwachung stiegen die Gesamtzahlen zwischen 2001<br />

und 2004 um 30 %. Darüber hinaus wurden keine Verdrängungseffekte festgestellt, son-<br />

dern <strong>im</strong> Gegenteil: In angrenzenden Gebieten fiel die Kr<strong>im</strong>inalität durch einen „positiven<br />

Ausstrahlungseffekt“ sogar noch stärker als in den überwachten Gebieten. 261<br />

Ein erster Blick in die Statistik hellt diese Zahlen schon etwas auf:<br />

Tabelle 11 : Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung an Kamerastandorten/Brandenburg 262<br />

• die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Greifswald Prof. Dr. Bornewasser<br />

Wie man an dieser Statistik unschwer erkennen kann, gehen vor allem die Diebstahlsdelikte<br />

261 vgl. Landtag Brandenburg: Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 788 des Abgeordneten<br />

Dr. Hans-Jürgen Scharfenberg, Drucksache 4/2057, Potsdam 2005<br />

http://www.parldok.brandenburg.de/parladoku/w4/drs/ab_2000/2057.pdf<br />

262 Quelle: Landtag Brandenburg (2005), S 3<br />

99


dramatisch zurück., während die anderen Deliktsarten teilweise stagnieren, teilweise auch<br />

steigen.<br />

In seiner umfangreichen wissenschaftlichen Evaluation bezeichnet Bornewasser die Ergebnisse<br />

der Videoüberwachung als „ermutigend“, schränkt aber gleichzeitig ein: 263<br />

• Dass die Videoüberwachung zwar an zwei von vier Standorten (Erkner, Rathenow)<br />

zu deutlichen und dauerhaften Reduktionen des Fallaufkommens führt, sich jedoch<br />

in den beiden anderen Standorten bereits wieder Rückläufe gegenüber den anfänglichen<br />

Erfolgen zeigen<br />

• Dass die Befunde andeuten, dass die Diebstahlsdelikte deutlich und dauerhaft zurückgehen,<br />

andere Deliktarten (z.B. Körperverletzungsdelikte) jedoch kaum einer<br />

dauerhaften Reduktion unterworfen sind<br />

• Dass sich die Frage stellt, ob die sehr auffälligen Ausstrahlungseffekte z.B. in Potsdam<br />

auch auf andere Ursachen bzw. Nutzung dieser Räume zurückgehen<br />

Bezüglich der steigenden Kr<strong>im</strong>inalitätszahl trotz Überwachung in Bernau (von 97 Delikten<br />

2001 auf 131 Delikte <strong>im</strong> Jahr 2004) konstatiert er einen Gewöhnungseffekt: „Dieser anfängli-<br />

che Abschreckungseffekt – in ihm schlagen sich vermutlich die Neuartigkeit der Maßnahme, eine umfassen-<br />

de Öffentlichkeitsarbeit und ein angemessenes Personalkonzept nieder - wird daraufhin von einem Gewöh-<br />

nungseffekt (parallel mit einer veränderten Personalstruktur und der Erledigung der Arbeit in Zugleichfunktion)<br />

überlagert und die erwarteten Reduktionen gehen wieder zurück.“ 264<br />

Während es (temporäre) deliktspezifische Verringerungen bei Fahrraddiebstählen und<br />

Sachbeschädigungen <strong>im</strong> überwachten Gebiet zu verzeichnen gibt – und die positiven Aus-<br />

strahlungseffekte sogar <strong>im</strong> Gebiet der Innenstadt zu einer Kr<strong>im</strong>inalitätsreduktion führen 265 ,<br />

kommen Fahrraddiebstähle <strong>im</strong> direkt angrenzenden Gebiet seltener, und Sachbeschädigung<br />

263 vgl. Bornewasser, Manfred: Evaluation der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze<br />

<strong>im</strong> Land Brandenburg – Endbericht. Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald 2005. In: Landtag Brandenburg:<br />

Bericht der Landesregierung an den Landtag über die polizeiliche Videoüberwachung öffentlich zugänglicher<br />

Straßen und Plätze zu präventiven Zwecken <strong>im</strong> Land Brandenburg. Drucksache 4/2347. Potsdam<br />

2006, S 2<br />

http://www.parldok.brandenburg.de/parladoku/w4/drs/ab%5F2300/2347.pdfhttp://www.parldok.branden<br />

burg.de/parladoku/w4/drs/ab%5F2300/2347.pdf<br />

264 Quelle: Bornewasser (2005), 23 ff<br />

265 vgl. Bornewasser (2005), S 25<br />

100


häufiger vor. 266<br />

In Erker verändert sich vor der Kamera das Straftatenspektrum: Während der Diebstahl<br />

von 60 % der begangenen Strafteten 2001 auf 47 % <strong>im</strong> Jahr 2004 sinkt, steigen die Sachbe-<br />

schädigungen in diesem Zeit<strong>raum</strong> von rund 10 % auf 17 % an. 267 Insgesamt sinken aber<br />

beide Deliktbereich <strong>im</strong> videoüberwachten Bereich, <strong>im</strong> direkt angrenzenden Bereich kommt<br />

Fahrraddiebstahl relativ seltener, Sachbeschädigung aber wiederum häufiger vor. 268 Roh-<br />

heitsdelikte (Körperverletzung) reduzieren sich nicht.<br />

In Potsdam sinken die Diebstähle sowohl <strong>im</strong> überwachten, wie auch angrenzenden Bereich<br />

bis 2003 deutlich , <strong>im</strong> videoüberwachten Bereich steigen diese - <strong>im</strong> Gegensatz zum angren-<br />

zenden - wieder ab 2004. Die Rohheitsdelikte sinken <strong>im</strong> angrenzenden Bereich bis 2004, <strong>im</strong><br />

videoüberwachten lässt sich kein Trend erkennen. Auffällig in Potsdam: Der Deliktbereich<br />

Fahrraddiebstahl sinkt trotz Videoüberwachung nicht und könnte durch örtliche Gegebenheiten<br />

begründet sein. 269<br />

Für Rathenow konstatiert Bornewasser, dass die Überwachungsmaßnahme an der kritischen<br />

Disco zu erheblichen Rückgängen der Fallzahlen führt. Allerdings dürfte hier ein Verdrän-<br />

gungseffekt hineinspielen, weil eine nahe gelegene Tankstelle, als auch eine andere Disco<br />

teilweise zum Rückzugsgebiet von rechtsextremen Jugendlichen mutierten: „Diese Verdrän-<br />

gung ist zwar nicht unbedingt gewollt, sie lässt sich allerdings auch nicht ganz vermeiden, da sich durch die<br />

Videoüberwachung die Einstellungen nicht ändern lassen.“ 270 Darüber hinaus führt er aus, dass die<br />

Reduktionen in Rathenow nicht eindeutig durch die Videoüberwachung ursächlich erklärt<br />

werden können und kritisch auf die sehr geringen Fallzahlen <strong>im</strong> überwachten Bereich hin-<br />

zuweisen ist.<br />

Grundsätzlich weist Bornewasser in seiner Untersuchung darauf hin, dass die Videoüberwa-<br />

266 vgl. Bornewasser (2005), S 29<br />

267 vgl. Bornewasser (2005), S 32<br />

268 vgl. Bornewasser (2005), S 41<br />

269 vgl. Bornewasser (2005), S 50<br />

270 Quelle: Bornewasser (2005), S 59<br />

101


chung deutliche Rückgänge <strong>im</strong> Deliktbereich Diebstahl bewirkt. Spontane Körperverlet-<br />

zungen sind von der Überwachung nicht tangiert. Problematisch bewertet er den „Gewöh-<br />

nungseffekt“, gegen den man nur mit ständiger Öffentlichkeitsarbeit, mehr Technik, wirk-<br />

samen und schnellen Zugriffen und schlussendlich mit mehr und gut motiviertem Personal<br />

ansteuern könne.<br />

Am 26.09.2006 wurde eine Novelle zum Polizeigesetz <strong>im</strong> Brandenburg beschlossen, dass<br />

vor allem auf die Bereiche Videoüberwachung, Wohn<strong>raum</strong>überwachung, Eingriffe in die<br />

Telekommunikation und die anlassbezogene Kennzeichenfahndung abzielt. Damit sollte die<br />

bis Jahresende befristete Videoüberwachung öffentlicher Plätze und Straßen zu einer dau-<br />

erhaften Einrichtung werden. Die Videoüberwachung soll zwar nicht ausgeweitet werden,<br />

aber eine Daueraufzeichnung bis 48 Stunden soll ermöglicht werden. 271<br />

Insgesamt konnten in Brandburg <strong>im</strong> Zeit<strong>raum</strong> 2001 bis 31.08.2005 128 Täter durch die Vi-<br />

deoüberwachung nach Tatbegehung gestellt werden. Die jährlichen Sachkosten (Mietkosten<br />

der Videotechnik und Datenübertragung - ohne Personalkosten) belaufen sich auf ca. €<br />

260.000. 272 Wie viele von Gestellten tatsächlich als Täter verurteilt wurden und wie oft Ma-<br />

terial, das durch die Videoüberwachung gewonnen wurde, zu dieser Verurteilung beitrug,<br />

wurde statistisch leider nicht erfasst. 273<br />

Mit Ende des Jahres 2007 wurde die Überwachungsanlage in Rathenow abgebaut. Für Jörg<br />

Barthel, dem Leiter des Polizeischutzbereiches Havelland war die Überwachung ein Erfolg.<br />

Bei diesem Pilotprojekt sei es darum gegangen. zu testen, für welche Deliktsbereiche die<br />

Videoüberwachung das passende Instrument sei. Nach fünf Jahren Test sei klar, dass die<br />

erwartete präventive Wirkung nicht so groß sei, wie man erwartet habe. Die Zahl der Delik-<br />

te <strong>im</strong> überwachten Bereich sei zwar zurückgegangen, allerdings sei dies nicht unbedingt auf<br />

die Kameras zurückzuführen, vielmehr habe sich das Kr<strong>im</strong>inalitätsgeschehen in den Jahren<br />

271<br />

vgl. Land Land Brandenburg (2006b): Kabinett beschließt Änderung des Polizeigesetzes. Presseaussendung<br />

der Staatskanzlei, Potsdam 26.09.2006<br />

http://www.stk.brandenburg.de/cms/detail.php?gsid=lbm1.c.370364.de<br />

272<br />

vgl. Landtag Brandenburg (2005)<br />

273 vgl. Püschel (2007)<br />

102


verändert. Die abschreckende Wirkung der Kameras bei „Affekt“-Straftaten gehe gegen<br />

Null. Darüber hinaus sei die Videoüberwachung zu teuer und Polizisten in Fleisch und Blut<br />

hätten eine größere abschreckende Wirkung als Kameras. 274<br />

Auch die Videoüberwachung am Bahnhofsvorplatz in Bernau wurde Ende 2007 eingestellt.<br />

Ausschlaggebend dafür war die Einschätzung durch den Schutzbereich Barn<strong>im</strong>, dass es sich<br />

um keinen Kr<strong>im</strong>inalitätsschwerpunkt mehr handelt. Laut Innenministerium seien die Straf-<br />

taten von 2001 bis 2006 um 27 % gesunken, die örtliche Polizei registrierte diese Verbesse-<br />

rung allerdings erst 2004. Der Rückgang der Delikte sei dort aber nicht auf die Videoüber-<br />

wachung zurückzuführen, sondern auf die gesamte Polizeiarbeit, führte der örtliche Polizeidirektor<br />

aus. 275<br />

274<br />

vgl. Kniebeler, Markus: Nach sechs Jahren endet die polizeiliche Videoüberwachung in Rathenow. In: Märkische<br />

Allgemeine, Potsdam 13.11.2007,<br />

http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11064175/61759/#http://www.maerkischeallgemeine.de<br />

/cms/beitrag/11064175/61759/%23<br />

275<br />

vgl. Weilbacher, Jan C.: Die Kameras werden wieder abgeschaltet. Märkische Oberzeitung, Frankfurt (Oder)<br />

03.08.2007<br />

http://www.moz.de/index.php/Moz/Article/category/Bernau/id/195489<br />

103


3.3.8 Wissenschaftliche Untersuchung:: Beispiel Berlin<br />

Dass hinter der Installierung von Videoüberwachungssystemen nicht zwingend wissen-<br />

schaftlich-sachliche Überlegungen und Analysen stehen, lässt sich gut am Beispiel – und der<br />

damit verbundenen intensive Debatte - der Berliner Verkehrsbetriebe zeigen.<br />

Seit dem Jahr 2000 erfolgen videobasierende Aufzeichnungen auf Bahnhöfen der Berliner<br />

Verkehrsbetriebe (BVG). 276 Am 31. März 2006 führten die BVG auf den Bahnhöfen der U-<br />

Bahnlinien U2, U6 und U 8 Videolangzeitarchivierung als Pilotprojekt für die Dauer von 12<br />

Monaten ein. Zusätzlich erfolgen Aufzeichnungen in Verbindung mit Notrufsäulen auf<br />

Bahnhöfen und teilweise auf einzelnen Linien in Zügen. Außerdem erfolgt eine sporadische<br />

Video-Live-Beobachtung durch die Leitstelle. 277 . Der Unterausschuss für Datenschutz des<br />

Berliner Abgeordnetenhauses hatte dem Versuch <strong>im</strong> Vorfeld unter der Maßgabe zuge-<br />

st<strong>im</strong>mt, dass die Ergebnisse wissenschaftlich ausgewertet und die Verhältnismäßigkeit des<br />

Kameraeinsatzes geprüft werden. Im Anschluss an diese Einigung am 19. Juli 2005 zeigte<br />

sich BVG-Vorstand Necker sehr zufrieden: „Wir können auf ausgewählten Linien dann rund um<br />

die Uhr aufzeichnen und erhöhen damit auch deutlich das subjektive Sicherheitsgefühl unserer Fahrgäs-<br />

te.“ 278<br />

In der Folge wurde das Institut „D: 4 BaSE/Büro für angewandte Statistik“ mit der Durch-<br />

führung der Studie betraut und von Dr. Leon Hempel und Dipl.Chem. Christian Alisch<br />

durchgeführt, wobei Daten vom 3. März 2006 bis zum 16. Oktober 2006 ausgewertet wur-<br />

den. 279<br />

276 vgl. Hempel, Leon/Alisch Christian: Evaluation der 24-Stunden Videoaufzeichnung in U-Bahnstationen der<br />

Berliner Verkehrsbetriebe(BVG); Zwischenbericht. D:4 BaSE/Büro für angewandte Statistik und Evaluation,<br />

Berlin 2006, S 3<br />

http://berlin.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/berlin/2007/04_Evaluationsbericht.pdf<br />

277 vgl. Hempel/Alish (2006), S 7<br />

278<br />

Quelle: Berliner Verkehrsbetriebe: Pilotversuch auf ausgewählten U-Bahnlinien. Berliner Datenschützer und<br />

BVG einigen sich auf Videoaufzeichnung. Presseaussendung vom 19. Juli 2005,<br />

http://www.bvg.de/index.php/de/Bvg/Detail/folder/301/rewindaction/Index/archive/1/id/276/name/Pi<br />

lotversuch+auf+ausgew%26auml%3Bhlten+U-Bahnlinien<br />

279<br />

vgl. Laninger, Tanja: Videokameras in U-Bahn bringen keine Sicherheit. In: Berliner Morgenpost, Berlin<br />

16.10.2007,<br />

http://www.morgenpost.de/desk/1268075.html<br />

104


Anfang 2007 wurde bekannt, dass die BVG den Auftrag zur wissenschaftlichen Begleitfor-<br />

schung des Pilotprojektes einseitig aufgekündigt hatte. Stattdessen sollte eine Umfrage unter<br />

den Fahrgästen zur Akzeptanz und Zufriedenheit mit der Videoüberwachung durchgeführt<br />

werden. Zu den Gründen der Kündigung wollten sich die BVG nicht äußern. Bekannt war<br />

allerdings auch, dass Hempel und Alish einen Zwischenbericht abgeliefert hatten. Damit<br />

waren natürlich Spekulationen über das Ergebnis verbunden. In einem internen Schreiben<br />

verkündete der BVG-Vorstandsvorsitzende Thomas Necker diesen Schritt in einem inter-<br />

nen Schreiben damit, „dass eine Verbesserung der objektiven Sicherheit für unsere Fahrgäste bei derzeit<br />

festzustellenden steigenden Kr<strong>im</strong>inalitätszahlen <strong>im</strong> Bereich des ÖPNV in Berlin mit dieser Art der Evalu-<br />

ation nicht nachgewiesen werden kann.“ 280 Die BVG entschied sich, nach Ablauf des Pilotprojek-<br />

tes 2007, die Aufzeichnung der Videodaten bis zum Ende des Jahres auf alle 170 U-<br />

Bahnhöfe auszuweiten. Laut eigenen Angaben habe sich die Videoaufzeichnung <strong>im</strong> Pilot-<br />

projekt bewährt, um tätliche Übergriffe, aber auch Sachbeschädigungen innerhalb der U-<br />

Bahnhöfe besser aufzuklären. 281<br />

Um in Berlin „eine öffentliche Diskussion um den Nutzen und die Folgen einer stärkeren Videoüberwa-<br />

chung bei der BVG“ führen zu können, erstritt die Humanistische Union 282 Einsicht in den<br />

Zwischenbericht.<br />

Nach der erstrittenen Veröffentlichung des Untersuchungsberichts und entsprechenden<br />

Pressereaktionen verwies die BVG auf eklatante Mängel in der Evaluation. Die Berliner Zei-<br />

tung zitiert BVG-Vorstand Necker, der feststellt: „die Studie betrachte nur einen kurzen Zeit<strong>raum</strong>,<br />

sei methodisch fragwürdig und "unwissenschaftlich". BVG-eigene Statistiken zeigten, dass die Videoauf-<br />

zeichnung auf den drei Linien bei Graffiti und Vandalismus zu einem geringeren Anstieg der Delikte als<br />

280<br />

Quelle: Lüders, Sven (2007a): Videoüberwachung in den U-Bahnen bringt keinen Sicherheitsgewinn. Humanistische<br />

Union, Berlin 08.10.2007,<br />

http://berlin.humanistischeunion.de/themen/videoueberwachung/videoueberwachung_detail/back/videoueberwachung-<br />

1/article/videoueberwachung-in-den-u-bahnen-bringt-keinen-<strong>sicherheit</strong>sgewinn/<br />

281 ebd.<br />

282 Die Humanistische Union ist eine unabhängige Bürgerrechtsorganisation. Seit deren Gründung 1961 setzt<br />

sie sich für den Schutz und die Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte ein.<br />

www.berlin.humanistische-union.de<br />

105


auf den übrigen Linien geführt habe. 283 Bei einem Gespräch zwischen Humanistischer Union<br />

und BVG bekräftigte die BVG ihre Kritik an dem veröffentlichten Zwischenbericht (in<br />

Klammern der Widerspruch der Humanistischen Union): „der Untersuchungszeit<strong>raum</strong> sei zu<br />

kurz (das räumt die Studie selbst ein), die Daten der polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalstatistik POLIKS enthielten<br />

systematische Fehler, weil die Zuordnung der Straftaten zum ÖPNV stark vom Ort der Anzeigenerstat-<br />

tung abhinge (deshalb gewichtet die Studie alle Zahlen der Polizeistatistik nur mit 50 %). 284 Die BVG<br />

berief sich bei diesem Gespräch auf eigene Zahlen: Dass die Kameras einen spürbaren Sicherheitsgewinn<br />

bringen, gehe aus Kundenumfragen hervor. 285<br />

Folglich beschloss die BVG eine Ausweitung auf alle 170 Berliner U-Bahnhöfe bis Jahres-<br />

ende 2007. 286 In November 2007 beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus die heftig um-<br />

strittene Novelle des Landespolizeigesetzes mit einer St<strong>im</strong>me Mehrheit. Kern der Reform<br />

des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) ist die Ausdehnung der Möglichkeiten<br />

zur Videoüberwachung und zur Handy-Ortung. 287<br />

Warum hatte die BVG derart heftig auf die Ergebnisse von Hempel und Alish auf den Zwi-<br />

schenbericht der „Evaluation der 24-Stunden Videoaufzeichnung in U-Bahnstationen der<br />

Berliner Verkehrsbetreibe (BVG)“ 288 reagiert?<br />

283<br />

Quelle: Rogalla, Thomas: Polizei filmt künftig in der U-Bahn. Gesetzesänderung für mehr Videoüberwachung.<br />

In: Berliner Zeitung, Berlin 10.10.2007,<br />

http://www.berlinonline.de/berlinerzeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2007/1010/lokales/0073/index.html?group=berlinerzeitung&sgroup=&day=today&suchen=1&keywords=bvg&search_in=archive&author=&ressort=&von=09.1<br />

0.2007&bis=11.10.2007<br />

284<br />

Quelle: Lüders, Sven (2007b): Nicht überall, wo Sicherheit draufsteht, ist auch Sicherheit drin, Humanistische<br />

Union, Berlin 29.11.2007,<br />

http://berlin.humanistischeunion.de/themen/videoueberwachung/videoueberwachung_detail/back/videoueberwachung-<br />

1/article/nicht-ueberall-wo-<strong>sicherheit</strong>-draufsteht-ist-auch-<strong>sicherheit</strong>-drin/<br />

285<br />

vgl. Lüders (2007b)<br />

286 vgl. Studie: Videoüberwachung in Berliner U-Bahn brachte keinen Sicherheitsgewinn. In: Telepolis, Hannover<br />

09.10.07,<br />

http://www.heise.de/newsticker/meldung/97141<br />

287<br />

vgl. Krempl, Stefan: Hauchdünne Mehrheit für Verschärfung des Berliner Polizeigesetzes. In: Heise online,<br />

Hannover 22.11.2007,<br />

http://www.heise.de/newsticker/meldung/99443<br />

288 vgl. Hempel/Alish (2006)<br />

106


Womöglich deshalb, weil Hempel konstatierte, dass sich eine Veränderung der Kr<strong>im</strong>inali-<br />

tätsrate nicht abzeichnete? Oder weil sich darüber hinaus, sogar eher ein leichter Anstieg der<br />

Vergleichszahlen <strong>im</strong> Bereich der Sachbeschädigungen abzeichnete?. 289<br />

Hempel fasst die Ergebnisse <strong>im</strong> Management Summary wie folgt zusammen: „Die gegenwärti-<br />

ge Nutzung rechtfertigt die 24-Stunden-Videoaufzeichnung hinsichtlich best<strong>im</strong>mter Delikte wie Angriffe auf<br />

Mitarbeiter oder Raub, hinsichtlich Sachbeschädigung oder Taschendiebstahl bislang nicht. Auch ist in Be-<br />

zug auf die Gesamtheit aller durchschnittlich bekannten Vorfälle bei der gegenwärtigen Nutzung des In-<br />

struments keine erhebliche Veränderung der Sicherheitslage in der Berliner U-Bahn zu erwarten. Eine<br />

Verbesserung hinsichtlich der Kommunikation zwischen Ermittlungsbehörden und BVG ist deshalb drin-<br />

gend erforderlich, wenn die 24-Stunden-Videoaufzeichnung einen effektiven Erfolg bei der Straftatenverfolgung<br />

erfüllen soll.“ 290<br />

Im Untersuchungszeit<strong>raum</strong> wurden insgesamt 261 Ereignisse durch die Kameras erfasst,<br />

davon durch die 24-Stunden-Aufzeichnung an den Bahnhöfen 78 Delikte. Von diesen 78<br />

waren 32 % auswertbar. Von den insgesamt erfassten 261 Ereignissen erfolgten in 224 Fäl-<br />

len Anfragen durch die Polizei, die restlichen Anfragen erfolgten vor allem durch Personal<br />

und Fahrgaste. Für die Auswertung der 261 Fälle wurden 330 Arbeitsstunden benötigt.<br />

Durchschnittlich dauerte daher eine Auswertung durchschnittlich knapp über 1 Stunde und<br />

40 Minuten. Wenn man bedenkt, dass <strong>im</strong> Jahr 2005 zwischen April und Dezember <strong>im</strong> Be-<br />

reich der U-Bahn insgesamt 8729 Delikte polizeilich bekannt geworden sind, stellt sich na-<br />

türlich die Frage, wer denn bei einer selbst funktionierenden und flächendeckenden Video-<br />

überwachung diese Fülle von notwendigen Arbeitsressourcen abdecken könnte, bzw. wie<br />

diese zu finanzieren seien. 291<br />

289 vgl. Hempel/Alish (2006), S 6<br />

290 Quelle: Ebd.<br />

291 vgl. Hempel/Alish (2006) S 32 ff<br />

107


3.3.9 Metaevaluationen<br />

Wie bisher aufgezeigt, zeigen die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen zur Wirkung<br />

der Videoüberwachung ein durchaus uneinheitliches Bild. Damit gibt es in der Abwägung<br />

von Pros und Contras dieser Überwachung – gerade für Entscheidungsträger – eine unklare<br />

Entscheidungsbasis. „Für politische Entscheidungsträger sind inkonsistente Ergebnisse ein und derselben<br />

Maßnahme eine Herausforderung. Zugleich bleibt aber auf politischer Seite die Notwendigkeit einer Orientierung,<br />

wenn nicht gar ein Entscheidungszwang bestehen.“ 292<br />

Daher macht es Sinn, mehrere Evaluationen zusammenzufassen und <strong>im</strong> Vergleich nach<br />

einheitlicheren und klareren Linien zu sehen. „Aufgrund einer größeren Datenbasis soll unter statis-<br />

tischen Gesichtspunkten die Zuverlässigkeit von Aussagen erhöht werden. Aus politischer Sicht sind sie<br />

trotz uneinheitlicher Ergebnisse sinnvoll, um zwischen einzelnen Bewertungen politisch einscheidungsfähig zu<br />

bleiben.“ 293<br />

Bei der Suche nach vorhandenen Meta-Evaluationen wird man <strong>im</strong> deutsprachigen Raum<br />

derzeit (noch) nicht fündig. Die deutsprachige Literatur verweist vor allem auf zwei Meta-<br />

Studien, die in Großbritannien durchgeführt wurden.<br />

292 Quelle: Hempel (2007), S 130<br />

293 Quelle: ebd.<br />

108


3.3.10 Die Meta-Evaluation von Welsh und Farrington<br />

Im Jahr 2000 erstellten Welsh und Farrington <strong>im</strong> Auftrag des britischen Home Office die<br />

erste große Metaevaluation „Cr<strong>im</strong>e prevention effects of closed circuit television: a systema-<br />

tic review“. 294 Bei dieser Evaluation wurden insgesamt 22 Studien zusammengefasst. Alle<br />

diese Studien entsprachen den angelegten Kriterien, 24 weitere vorhandene Studien wurden<br />

ausgeschlossen, weil sie diesen Kriterien nicht entsprachen (kein Exper<strong>im</strong>entalbereich mit<br />

vergleichbarem Kontrollgebiet bzw. keine vorhandenen Kr<strong>im</strong>inalitätsraten für beide Gebie-<br />

te). Von diesen 22 Studien konnte bei der Hälfte ein erwünschter Effekt auf die Kr<strong>im</strong>inali-<br />

tät, bei fünf ein unerwünschter Effekt und bei fünf keinerlei Effekt nachgewiesen werden.<br />

Eine Studie zeigte einen unsicheren Effekt. Von 18 Untersuchungen – die anderen 4 ent-<br />

hielten keine auswertbaren Daten – wurde gefolgert, dass es zwar einen erwünschten Effekt<br />

auf die Gesamtkr<strong>im</strong>inalität gab, dieser aber eine eher bescheidene Verringerung der Kr<strong>im</strong>i-<br />

nalität um gerade 4 % erbrachte. 295<br />

Nach Deliktarten zeigte sich, dass bei Gewaltverbrechen keinerlei Wirkung festgestellt wer-<br />

den konnte, es aber bei Eigentumsdelikten – insbesondere KFZ-Delikten - signifikante Er-<br />

folge gab. In Stadtzentren und in Wohngebieten wurde eine unwesentliche Verringerung<br />

von 2 % der Kr<strong>im</strong>inalität festgestellt, ganz anders – und das ist ein großer Erfolg der Vi-<br />

deoüberwachung – sieht die Situation in Parkhäusern aus: Dort wurde eine Verringerung<br />

von 41 % gegenüber den Kontrollräumen gemessen. Vor allem begleitende Maßnahmen<br />

wie z.B. bessere Beleuchtung führten zu diesem Erfolg. 296<br />

294 Welsh, Brandon C./Farrington, David P.: Cr<strong>im</strong>e prevention effects of closed circuit television: a systematic<br />

review, Home Office Research Study 252. Home Office Research, Development and Statistics Directorate,<br />

London 2002,<br />

http://www.homeoffice.gov.uk/rds/pdfs2/hors252.pdf<br />

295 vgl. Welsh/Farrington (2002), S 41<br />

296 vgl. Welsh/Farrington (2002) S 42<br />

109


3.3.11 Die große Studie von Gill & Spriggs<br />

Eine der umfangreichsten – und in der Debatte oft zitierten – Metastudie bildet die Studie<br />

„Assessing the <strong>im</strong>pact of CCTV“ 297 von Martin Gill und Angela Spriggs. Diese wurde 2005<br />

von der „University of Leicester“ für das „Home Office“ erstellt. In dieser umfangreichen<br />

Studie wurden neben den Auswirkungen auf die verschiedenen Formen der Kr<strong>im</strong>inalität<br />

auch der Einfluss der Videoüberwachung auf die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht, mögliche Verschie-<br />

bungseffekte und die Kosten der Videoüberwachung untersucht.<br />

Dabei wurden 14 CCTV-Systeme in 13 unterschiedlichen, über das ganze Land verteilter<br />

und anonymisierter, Städte untersucht. Die Auswahlbedingungen wurden vom Home Of-<br />

fice vorgegeben. Die Untersuchungen wurden anhand der polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalstatistik<br />

vor und nach der Installation der Anlagen <strong>im</strong> Untersuchungsgebiet durchgeführt. Diese Da-<br />

ten wurden mit den Ergebnissen aus einem ähnlichem Kontrollgebiet und einem anschlie-<br />

ßenden Puffergebiet verglichen, um die generelle Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung sowie Verlage-<br />

rungseffekte festhalten zu können. Begleitend gab es 12 Befragungen, der in den untersuch-<br />

ten Gebieten lebenden Bevölkerung und eine Untersuchung, ob es auch noch andere Ein-<br />

flussfaktoren auf die Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung in den evaluierten Gebieten gibt. 298 Die Ört-<br />

lichkeiten der 14 Überwachungsanlagen setzten sich wie folgt zusammen: sieben in Wohn-<br />

gebieten, vier in Innenstädten, eine auf einem großstädtischen Krankenhausgelände, ein<br />

System, das 60 Parkplätze in London überwacht, eines in einem Vorort.<br />

Der „Impact on Cr<strong>im</strong>e“ fällt relativ bescheiden aus: Von 13 Systemen, die das Ziel der Ver-<br />

ringerung der Kr<strong>im</strong>inalität hatten, konnte nur bei sechs Systemen ein Rückgang erreicht<br />

werden, bei nur zwei Fällen war ein Rückgang der Gesamtkr<strong>im</strong>inalität signifikant festzustel-<br />

len (wobei bei einem System auch noch weitere Faktoren ausschlaggebend waren). In sieben<br />

Fällen stieg die Kr<strong>im</strong>inalität an, jedoch könnten diese Anstiege auch nationalen Trends und<br />

weiteren Faktoren anzurechnen sein. 299<br />

297 vgl. Gill/Spriggs (2005)<br />

298 vgl. Gill/Spriggs (2005), S V<br />

299 vgl. Gill/Spriggs (2005), S VI<br />

110


Die folgende Tabelle von Glatzner wertet die Untersuchung aus und bildet eine übersicht-<br />

liche Zusammenstellung bezüglich der Veränderung der Kr<strong>im</strong>inalität in video-überwachten<br />

Zonen.<br />

Tabelle 12: Einfluss der Videoüberwachung auf Gesamtkr<strong>im</strong>inalität 300<br />

300 Quelle: Glatzner (2006), S 47<br />

111


Wie sich in der Tabelle zeigt, ist der Erfolg der Videoüberwachung ein relativer. Die Ergeb-<br />

nisse sind von Standort zu Standort sehr verschieden. Am stärksten wirkte die Kontrolle in<br />

Autoparks, in Innenstadtgebieten gab es sehr uneinheitliche Ergebnisse und in Wohngebie-<br />

ten gab es keine längerfristigen positiven Wirkungen. Es zeigt sich also, dass man Effekte<br />

auf die Gesamtkr<strong>im</strong>inalität nicht schlüssig ziehen kann, und deshalb eine Differenzierung<br />

der Deliktarten (was diese Studie auch tut) notwendig ist.<br />

Am erfolgreichsten war die Videoüberwachung bei den Eigentumsdelikten. Von den 13 un-<br />

tersuchten Systemen, die ein Eindämmen dieses Deliktbereiches als Ziel hatten, ergaben<br />

sich insgesamt 23 Fälle (KFZ-bezogene Kr<strong>im</strong>inalität, Diebstahl, Einbruch, Sachbeschädi-<br />

gung [ohne Alkoholeinwirkung] und Ladendiebstahl), von denen in 16 Fällen die Zahl der<br />

Eigentumsdelikte sank, davon drei Mal signifikant. Angemerkt sei jedoch: Nur bei einem<br />

dieser drei Fälle gab es keine anderen kr<strong>im</strong>inalitätsreduzierenden Maßnahmen. Zwei der drei<br />

Fälle bezogen sich auf KFZ-bezogene Kr<strong>im</strong>inalität. Sechs mal wurde auch eine Steigerung<br />

der Eigentumsdelikte verzeichnet, davon zwe<strong>im</strong>al signifikant. Vor allem Großparkplätze<br />

scheinen sich daher für Videoüberwachung zu eignen. 301<br />

Anders stellt sich das Bild bei den Affektdelikten dar. Neun Systeme untersuchten die Wir-<br />

kung auf Körperverletzungen, Drogendelikte sowie Sachbeschädigung und Störung der öf-<br />

fentlichen Ordnung unter Einfluss von Alkohol. Von insgesamt 19 Fällen gingen bei nur<br />

vier die Delikte zurück. Drei Fälle lagen dabei <strong>im</strong> Trend mit der Einwicklung des Kontroll-<br />

gebietes und in einem Fall – der einzig signifikante – wurde zusätzlich ein privater Sicher-<br />

heitsdienst eingestellt. In den anderen 15 Fällen stieg die Deliktanzahl an, davon in sieben<br />

wie <strong>im</strong> vergleichenden Kontrollgebiet, darüber hinaus gab auch saisonelle Schwankungen,<br />

bzw. mehr Aufgriffe durch die Polizei. 302<br />

Hempel fasst die Ergebnisse der Studie folglich zusammen: „Erneut lässt sich insgesamt nur ein<br />

leichter Rückgang der Kr<strong>im</strong>inalität feststellen. Wiederum trifft dies vor allem auf geplante Straftaten, wäh-<br />

301 vgl. Glatzner (2006), S 51<br />

302 vgl. Glatzner, (2006), S 54<br />

112


end sich bei affektgeleiteten Handlungen keine signifikanten Veränderungen abzeichnen. Erneut fallen<br />

auch die Ergebnisse ganz unterschiedlich aus. In einigen Fällen sinkt die Kr<strong>im</strong>inalitätsrate, in anderen steigt<br />

sie wiederum signifikant an. Auch zeigt sich abermals, dass die Kr<strong>im</strong>inalität an geschlossenen Orten wie<br />

Parkplätzen, die außerdem von vielen Kameras erfasst werden eher zurückgeht, als an Orten mit nur einem<br />

geringeren Erfassungsgrad. Die Anzahl der Kameras spielt allerdings keine Rolle, sondern vielmehr die Or-<br />

ganisation der Überwachung. Ferner können Verdrängungseffekte nachgewiesen werden. Die Autoren der<br />

Studie kommen dann auch zu dem Schluss, dass die zentrale Wirkung der Kameras der Abschreckungsef-<br />

fekt ist. Gleichzeitig können Kameras aber auch dazu führen, dass beobachtete Straftaten nicht angezeigt<br />

werden. Gleichwohl wird eingeräumt, dass es einen erheblichen Nachholbedarf hinsichtlich der Organisation<br />

der Überwachung gebe.“ 303<br />

„Die Videoüberwachungs-Systeme haben eine Menge Geld gekostet, aber nicht die gewünschten Resultate<br />

erbracht“ 304 , resümiert Gill <strong>im</strong> Spiegel.<br />

Gegenüber Telepolis erläutert Gil, dass „die Ergebnisse weder den Befürwortern noch den Gegnern<br />

der Videoüberwachung gefallen werden. Videoüberwachung sei ein Mittel, das die Gesellschaft gerade erst zu<br />

verstehen beginne. (...) Sie ist mehr als nur eine technische Lösung. Sie erfordert menschliche Intervention, um<br />

mit größter Effizienz zu funktionieren. Die Probleme, die mir ihr angegangen werden können, sind kom-<br />

plex. Es muss ein größeres Verständnis dafür geben, dass es nicht leicht ist, Straftaten zu reduzieren und zu<br />

verhindern, und dass schlecht konzipierte Lösungen, unabhängig von der Höhe der Investitionen, keinen<br />

Erfolg haben“ 305<br />

303 Quelle: Hempel (2007) S 131<br />

304<br />

Quelle: Kurzid<strong>im</strong>, Michael: Kameras erkennen Kr<strong>im</strong>inelle – nicht. In: Spiegel online, Hamburg 12.07.2007<br />

http://www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,493769,00.html<br />

305<br />

Quelle: Rötzer, Florian: Videoüberwachung reduziert Kr<strong>im</strong>inalität nicht. In: Telepolis, München 25.02.2005<br />

http://www.heise.de/tp/r4/html/result.xhtml?url=/tp/r4/artikel/19/19543/1.html&burl=/tp/r4/artikel/1<br />

9/19543/1.html&words=Gill&T=gr%E4bner<br />

113


3.4 Effekte der Videoüberwachung auf das Sicherheitsgefühl<br />

In der Debatte um die Videoüberwachung wird – insbesondere wenn die Effizienz dieser<br />

Maßnahme umstritten ist – <strong>im</strong>mer wieder auf die positiven Auswirkungen auf das Sicher-<br />

heitsgefühl der Menschen verwiesen und damit eine Installierung von Kameras gerechtfer-<br />

tigt. Als ein wesentliches Element der Debatte, verdient sich dieses Sicherheitsgefühl also<br />

einen genaueren Blick.<br />

3.4.1 Menschliche Sicherheit<br />

Bevor sich diese Arbeit dem Sicherheitsgefühl kr<strong>im</strong>inologischer Bedeutung widmet, lohnt es<br />

sich einen Blick auf die grundsätzlichen Bedingungen menschlicher Sicherheit zu richten.<br />

Diese entsteht – so Elmar Altvater - durch vier wesentliche Faktoren: 306<br />

(1) durch verlässliche Regeln in einem Gemeinwesen<br />

(2) durch Vermeidung von Instabilitäten und die Wiederherstellung stabiler Verhältnis-<br />

se (z.B. nach finanziellen Krisen)<br />

(3) durch "Daseinsvorsorge" in jenen Passagen des menschlichen Lebens, in denen In-<br />

dividuen oder Familien nicht selbst in der Lage sind, für notwendige Lebensressour-<br />

cen zu sorgen (Bildung, Gesundheit, Alterssicherung, Nahrung und Unterkunft,<br />

etc.)<br />

(4) durch Zugang zu allen wesentlich existentiellen Gütern.<br />

„Kurz: Menschliche Sicherheit wird durch die Bereitstellung öffentlicher Güter gewährleistet. Daher lässt sich<br />

der Diskurs über menschliche Sicherheit von demjenigen über öffentliche Güter nicht sinnvoll trennen.“ 307<br />

306 vgl: Altvater, Elmar:: "Menschliche Sicherheit" - Entwicklungsgeschichte und politische Forderungen. Thesen<br />

zu einem umfassenden friedenspolitischen Konzept. Universität Kassel 2003,<br />

http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Theorie/altvater.html<br />

307 Quelle: Altvater (2003)<br />

114


3.4.2 Das Sicherheitsgefühl<br />

Über den Sacherverhalt, der landläufig als „Sicherheitsgefühl“ bezeichnet wird, befasst sich<br />

die Kr<strong>im</strong>inologie in zunehmenden Maße seit den 1960er Jahren unter den Begrifflichkeiten<br />

(Un)<strong>sicherheit</strong>sgefühl, Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht und Kr<strong>im</strong>inalitätssorgen. 308<br />

Was ist aber dieses Sicherheitsgefühl, von dem die Polizei selbst sagt: „Kr<strong>im</strong>inalitätsängste spie-<br />

geln dabei nicht <strong>im</strong>mer den tatsächlichen individuellen potenziellen Gefährdungsgrad einzelner Personengrup-<br />

pen wider. Vielfach gibt die objektive Sicherheitslage weit weniger Anlass zur Sorge als das subjektive Si-<br />

cherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger.“ 309 ?<br />

3.4.3 Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht<br />

Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht beinhaltet einerseits eine kognitive (Risikoeinschätzung selbst Opfer<br />

werden zu können), andererseits eine emotionale bzw. affektuelle Komponente (Furcht-<br />

empfinden). Zu unterscheiden ist darüber hinaus eine konative Komponente, die sich auf<br />

das Verhalten (insbesondere Schutz- und Vermeidungsverhalten) richtet. Davon abzugren-<br />

zen ist die kognitive Wahrnehmung der Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung, die zwar mit der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht<br />

korreliert, aber doch einen eigenen Sachverhalt darstellt. 310<br />

Mit der Forschung beginnend, vermutete man, dass tatsächliche Vikt<strong>im</strong>isierung die Ursache<br />

für die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht ist. Allerdings ergaben die meisten Untersuchungen nur schwa-<br />

che Zusammenhänge zwischen polizeilichen Kr<strong>im</strong>inalitäts-Registrierungen und Kr<strong>im</strong>inali-<br />

308 vgl. Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 486,<br />

309 Quelle: Zentrale Geschäftsstelle Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalprävention der Länder und des Bundes: Städtebau und Kr<strong>im</strong>inalprävention.<br />

Eine Broschüre für die planerische Praxis. Stuttgart o.J., S 1<br />

http://www.polizeiberatung.de/mediathek/kommunikationsmittel/sonstige_medien/index/content_socket/sonstiges/display/97<br />

/<br />

310 vgl. Windzio, Michael/S<strong>im</strong>onson, Julia/Pfeiffer, Christian/Kle<strong>im</strong>ann, Matthias: Kr<strong>im</strong>inalitätswahrnehmung und<br />

Punitivität in der Bevölkerung - Welche Rolle spielen die Massenmedien? Ergebnisse der Befragungen zu<br />

Kr<strong>im</strong>inalitätswahrnehmung und Strafeinstellungen 2004 und 2006. Kr<strong>im</strong>inologisches Forschungsinstitut<br />

Niedersachsen, Hannover 2007, S 10<br />

http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb103.pdf<br />

115


tätsfurcht. 311 Zahlreiche Studien in den folgenden Jahrzehnten bestätigten, dass das Unsi-<br />

cherheitsgefühl einerseits und die tatsächliche Kr<strong>im</strong>inalitätslage und -entwicklung oft nicht<br />

korrespondieren. 312 Festgestellt wurde vielmehr, dass die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht mit anderen<br />

sozialen Indikatoren zusammenhängt. Beispielsweise sank die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht in<br />

Deutschland seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, während andere Problem-<br />

bereiche (Friedenserhaltung, Umweltschutz, wirtschaftliche Situation) einen Bedeutungsge-<br />

winn erzielten. Daher kann interpretiert werden, dass Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht weniger aus objek-<br />

tiven Bedrohungsszenarien resultiert, „sondern aus einer selektiven Wahrnehmung allgemeiner sozia-<br />

ler Problemkonstellationen resultiert. Es scheint, als würde die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht unmittelbar an Bedeu-<br />

tung verlieren, sobald andere Problembereiche in den Vordergrund rücken.“ 313 Generell kommt mit<br />

dem Sicherheitsgefühl über die Kr<strong>im</strong>inalitätssituation hinaus zum Ausdruck, wie der Zustand<br />

des Gemeinwesens insgesamt bewertet wird. 314<br />

Eine wesentlichere Beeinflussung auf das subjektive Sicherheitsgefühl als die objektive<br />

Kr<strong>im</strong>inalitätssituation dürften vor allem die Medien spielen. Harald Kania schreibt in seiner<br />

Dissertation zum Thema „Kr<strong>im</strong>inalitätsvorstellungen in der Bevölkerung“, dass sich die<br />

Massenmedien durch ihre Art der Berichterstattung einer rationalen gesellschaftlichen Ver-<br />

arbeitung des Phänomen Kr<strong>im</strong>inalität in den Weg stellen und den Blick auf eine allgegen-<br />

wärtige Bedrohung der Schwerstkr<strong>im</strong>inalität lenken, und dabei Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht erzeugen<br />

bzw. ankurbeln. Dieser Befund wird auch durch eine Studie des Bereichs „Eigentum &<br />

Feuer“ <strong>im</strong> Kuratorium für Verkehrs<strong>sicherheit</strong> in Zusammenarbeit mit der Österreichische<br />

Gesellschaft für Marketing (OGM) 2007 erhärtet: Von den 500 befragten Personen, gaben<br />

5 % der Studienteilnehmer/innen an, sich durch Kr<strong>im</strong>inalität sehr beunruhigt zu fühlen.<br />

Laut eigenen Angaben der Teilnehmer/innen waren dafür in erster Linie die Medien Auslö-<br />

311 vgl. Kania, Harald: Kr<strong>im</strong>inalitätsvorstellungen in der Bevölkerung - Eine qualitative Analyse von Alltagsvorstellungen<br />

und -theorien über Kr<strong>im</strong>inalität, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der<br />

Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg <strong>im</strong> Breisgau<br />

2004, S 33<br />

http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/3595/pdf/071125_Diss_Kania_Veroeffentlichungsfassung.pdf<br />

312 vgl. Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 486<br />

313 Quelle: Windzio/S<strong>im</strong>onson/Pfeiffer/Kle<strong>im</strong>ann (2007), S 10<br />

314 vgl. Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 487<br />

116


ser der Furcht. 315<br />

Dabei tritt ein Verstärkungskreislauf in Gang: Im Zuge dieses Prozesses werden die Me-<br />

dienberichte als realistisch bis eher untertreibend wahrgenommen und folglich „eilen also die<br />

durch Medienprodukte losgetretenen subjektiven Erwartungen der Versorgung durch eben diese voraus“. 316<br />

Abgesehen von der Anheizung der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht ist die Rolle der (Boulevard)Medien<br />

eine durchaus weiter zweifelhafte: Einerseits werden die Hintergründe von Kr<strong>im</strong>inalität (ge-<br />

sellschaftliche Wurzeln, Entstehungsbedingungen) wenig bis nicht gezeigt bzw. analysiert,<br />

andererseits wird die Bedeutung intakter Strukturen der informellen Sozialkontrolle für eine<br />

Kr<strong>im</strong>inalitätsprävention nicht oder kaum beleuchtet. 317<br />

Die Macht der Medien auf die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht wird darin begründet, dass die Bür-<br />

ger/innen gerade bei sehr seltenen Delikten auf die Information Dritter angewiesen sind, da<br />

hier kaum eigene Erfahrungen und Beobachtungen vorliegen. Entscheidend für die Auswir-<br />

kung auf das Sicherheitsempfinden ist auch, wie diese Medienberichte <strong>im</strong> sozialen Netzwerk<br />

interpretiert wird. 318<br />

Kania fasst diesen Prozess zusammen: „Diese eigenständige Kr<strong>im</strong>inalitätsrealität wird jeden Tag aufs<br />

Neue konstruiert, und zwar durch die morgendliche Tageszeitung, durch das vormittägliche Gespräch mit<br />

einem Kollegen, durch Radiomeldungen auf der He<strong>im</strong>fahrt oder durch den abendlichen Kinofilm und vor<br />

allem durch die allgegenwärtigen Berichte <strong>im</strong> Fernsehen. Dabei bedeutet diese ‚Kr<strong>im</strong>inalität’ oft nicht nur<br />

Angst, Ärger und Verlust (zumindest auf Seiten der Opfer), sondern eben auch ‚Spannung’, ‚Unterhaltung’<br />

und die Faszination des Verbotenen (ohne die Gefahr, erwischt und bestraft zu werden)“. 319<br />

Müller sieht die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht sogar als einen wichtigen politischen Faktor, da diese<br />

von politisch Verantwortlichen zum Teil bewusst genutzt oder gar ausgelöst wird, aber an-<br />

dererseits von dieser teilweise auch – beispielsweise in der Konkurrenz zur Opposition –<br />

315 vgl. Kuratorium für Verkehrs<strong>sicherheit</strong>: Krankheit und Einbrüche machen Angst, Wien 2007<br />

http://www.kfv.at/index.php?id=1007<br />

316 Quelle: Kania (2004), S 24<br />

317 vgl. Kania (2004), S 22<br />

318 vgl. Windzio/S<strong>im</strong>onson/Pfeiffer/Kle<strong>im</strong>ann (2007), S 11<br />

319 Quelle: Kania (2004), S 17 ff<br />

117


zum politischen Handeln genötigt wird. 320<br />

EU-weit ist die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht leicht <strong>im</strong> Wachsen begriffen. Von 1996 bis 2002 wuchs<br />

der Anteil jener, die auf die Frage „Wie sicher fühlen Sie sich, wenn Sie nach Einbruch der<br />

Dunkelheit allein zu Fuß in der Gegend unterwegs sind, in der Sie wohnen“ mit „etwas<br />

unsicher“ oder „sehr unsicher“ geantwortet haben von 32 % auf 35 %. Österreich liegt da-<br />

bei mit über den Zeit<strong>raum</strong> annähernd gleichen 19 % nur knapp hinter Dänemark (mit 15<br />

%) <strong>im</strong> Spitzenfeld der gefühlten Sicherheit, Deutschland mit einer sinkenden Angst von 34<br />

% <strong>im</strong> Jahr 2002 (39 % 1996) <strong>im</strong> Mittelfeld und Länder wie Großbritannien, Italien und<br />

Griechenland mit jeweils 43 % (2002) und stark steigender Furcht bilden die Schluss-<br />

lichter. 321<br />

3.4.4 Messung der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht<br />

Die gängige Methode, um die Entwicklung der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

Videoüberwachung zu messen, ist eine Befragung der betroffenen Personen unmittelbar<br />

vor und nach der Installierung der Kameras. Dabei wird in Anlehnung an den weltweit ge-<br />

nutzten Standardindikator für Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht üblicherweise gefragt: „Wie sicher fühlen<br />

Sie sich in ihrer Wohngegend, wenn Sie bei Dunkelheit allein auf die Straße gehen oder ge-<br />

hen würden?" Diese Frage kann natürlich auch die jeweilige videoüberwachte Zone (zentra-<br />

le Plätze etc.) abgeändert werden. Bei diesen Messungen gibt es mehrere methodische Be-<br />

denken. Fraglich ist beispielsweise, ob die sprachliche Reflexion über Furcht mit dem<br />

zugrunde liegenden tatsächlichem Gefühlsempfinden identisch ist. Oder ob es bei der Dis-<br />

kussion <strong>im</strong> Vorfeld nicht schon ein Gefühl nach mehr Sicherheitsbedürfnis ausgelöst wur-<br />

de. Auch durch Nennung zusätzlicher Aspekte (z.B. wurden in Großbritannien durch die<br />

<strong>im</strong>mensen Kosten der Videoüberwachung Personalkosten bei der Polizei eingespart) kann<br />

320<br />

vgl. Müller (2003)<br />

321<br />

vgl. Dittmann, Jörg: Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht sinkt in Deutschland entgegen dem EU-Trend. In: Zentrum für Umfragen,<br />

Methoden und Analysen (ZUMA): ISI 34, Informationsdienst Soziale Indikatoren, Ausgabe 34, , Mannhe<strong>im</strong><br />

2005, S 6 ff<br />

http://www.gesis.org/Publikationen/Zeitschriften/ISI/pdf-files/isi-34.pdf<br />

118


der Gewinn an (erfragtem) Sicherheitsgefühl in sein Gegenteil verkehrt werden. Daher wäre<br />

es grundsätzlich erforderlich, entsprechende Befragungen zeitlich und thematisch unabhän-<br />

gig von einer lokalen Videoüberwachungsdiskussion durchzuführen bzw. diese nach einem<br />

längeren Zeit<strong>raum</strong> mit einer Befragungswiederholung zu kontrollieren. 322<br />

Wie Müller feststellt, stellt es „noch keine Evaluationsforschung betreffend Beeinflussung des Sicher-<br />

heitsgefühls durch Videoüberwachung dar, wenn Personen nach ihrer Einstellung zur Videoüberwachung<br />

gefragt werden, auch dann nicht, wenn sie sich für die Kameraüberwachung mit dem Argument aussprechen,<br />

sie würden sich dann sicherer fühlen.“ 323<br />

3.4.5 Auswirkung der Videoüberwachung auf das Sicherheitsgefühl<br />

Obwohl - wie vorher ausgeführt – das Sicherheitsgefühl bzw. die Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht eine<br />

sehr komplexe bzw. empirisch sehr fragile Angelegenheit ist, spielt es einen wichtigen As-<br />

pekt in der Debatte um die Wirksamkeit der Videoüberwachung.<br />

Nichts desto trotz sind die Aussagen in den Evaluationen zu diesem Thema oftmals ziem-<br />

lich schwach.<br />

Bei der <strong>im</strong> Kapitel 3.3.5. zitierten Evaluation in Bremen bezieht sich die Polizei darauf, dass<br />

„seit Beginn der Videoüberwachung Einzelhändler, die ihre Geschäfte <strong>im</strong> Bereich des Bahnhofes betreiben,<br />

sowie Passanten sich den in dem überwachten Bereich eingesetzten Polizeibeamten gegenüber positiv über die<br />

Videoüberwachung geäußert und sie als einen Beitrag zu mehr Sicherheit beschrieben“ 324 haben. Darüber<br />

hinaus haben Polizeivollzugsbeamte <strong>im</strong> Rahmen ihres Hochschulstudiums 98 Personen be-<br />

fragt, die mehrheitlich angaben, sich sicherer zu fühlen. Jedoch räumt der Bericht sachlich-<br />

erweise ein, dass bezüglich Sicherheitsempfinden der Bevölkerung keine wissenschaftlich<br />

gestützten Aussagen getroffen werden können, weil hierzu eine umfassende Untersuchung<br />

notwendig wäre. 325<br />

322<br />

vgl. Müller (2003)<br />

323<br />

Quelle: Müller (2003)<br />

324<br />

Quelle: Bremische Bürgerschaft (2008), S 8<br />

325<br />

vgl. Bremische Bürgerschaft (2005), S 8<br />

119


Auch in der Bielefelder Evaluation (vergleiche Kapitel 3.3.4.) wird aufgrund schwacher<br />

Grundlagen eine Hebung des Sicherheitsgefühl diagnostiziert. „In Befragungen teilten vor allem<br />

die weiblichen Besucher und Mitarbeiter der Volkshochschule mit, dass sie sich sicherer fühlen würden, als<br />

vor der Installierung der Kameras. Einige sagten allerdings auch, dass die Angst bei Dunkelheit den Park<br />

zu durchqueren, sich schon nach den ersten Maßnahmen der Stadt (bessere Ausleuchtung und Auslichtung<br />

des Buschwerkes in Verbindung mit der Polizeipräsenz) gelegt hätte.“ 326 Diese Befragungen waren<br />

allerdings stichprobenartiger Natur und nicht repräsentativ.<br />

Gill und Spriggs ziehen in ihrer <strong>im</strong> vorigen Kapitel ausführlich dargestellten Studie eine<br />

durchwegs kritische Bilanz betreffend Sicherheitsgefühl: Obwohl die Reduzierung der Kri-<br />

minalitätsangst ein wesentliches Ziel der Projekte war, resümieren die Studienautoren:<br />

„CCTV was found to have played no part in reducing fear of cr<strong>im</strong>e; indeed those who were aware of the<br />

cameras admitted higher levels of fear of cr<strong>im</strong>e than those who were unaware of them. The reduction in fear<br />

levels was more likely to be the result of less cr<strong>im</strong>e, reflected in reduced reported vict<strong>im</strong>isation and reduced<br />

recorded cr<strong>im</strong>e.” 327<br />

Immerhin zeigte sich in fünf Fällen eine Erhöhung der Furcht in videoüberwachten Berei-<br />

chen – durch jene, die sich der Überwachung bewusst sind. Erst durch die Videoüberwachung<br />

dürften hier unsicherere Räume produziert worden sein. 328<br />

Darüber hinaus stellt die Studie eine generelle Desillusionierung der Menschen nach Instal-<br />

lierung der Kameras fest: Die Zust<strong>im</strong>mung dieser Maßnahme sank nach der Implementie-<br />

rung um bis zu 20 %. Gill sieht darin eine Anpassung an die tatsächlichen Möglichkeiten<br />

jenseits der (zu) hohen Erwartungen an diese Maßnahme. „Während sich etwa 80 % der Men-<br />

schen eine Senkung der Kr<strong>im</strong>inalitätsrate durch die Installation von Kameras erhofft hatten, glaubten nach<br />

erfolgter Installation nur noch 45 % an eine kr<strong>im</strong>inalitätssenkende Wirkung. Ebenso fiel die Zahl derjenigen,<br />

die auf schnellere Reaktionen der Polizei hofften, von 56 % auf 35%.“ 329<br />

326 Quelle: Kubera (o.J.)<br />

327 Quelle: Gill/Spriggs (2005), S 60<br />

328 vgl. Glatzner (2006), S 59<br />

329 Quelle: Glatzner (2006), S 59<br />

120


Bornewasser untersuchte in seiner Brandenburger Studie auch die Auswirkungen der Vi-<br />

deoüberwachung auf das Sicherheitsgefühl intensiv. In fünf Befragungswellen von Oktober<br />

2002 bis April 2005 wurden insgesamt über 3000 Menschen (1.588 in den videoüberwach-<br />

ten Räumen, 1.825 in den nicht überwachten Kontrollräumen) befragt und darüber hinaus<br />

<strong>im</strong> April 2004 126 Interviews geführt. In der ersten Befragungswelle lagen die gefühlten Si-<br />

cherheitswerte in den überwachten Zonen leicht über den nicht überwachten Kontrollräu-<br />

men (z.B. 25,5 % sehr sicher am Tag <strong>im</strong> videoüberwachten Bereich gegenüber 21,6 % <strong>im</strong><br />

nicht überwachten; 2,8 sehr unsicher in der Nacht <strong>im</strong> überwachten Bereich gegenüber 4,9<br />

<strong>im</strong> nichtüberwachten). In den folgenden Befragungen kommt es <strong>im</strong> Laufe der Zeit zu einer<br />

starken Angleichung des Sicherheitsgefühles in den verschiedenen Räumen. 330<br />

Vor allem Geschäftstreibende profitierten von einem erhöhten Sicherheitsgefühl dank der<br />

Videoüberwachung. Bei Anwohnern/Passanten/Pendlern gab es hingegen keinen Unter-<br />

schied in überwachten oder nichtüberwachten Bereichen zu messen. Im Laufe der Zeit<br />

wurde selbst bei den Geschäftstreibenden der Unterschied zwischen den nicht- und den<br />

videoüberwachten Gebieten kleiner, was Bornemann mit Gewöhnungseffekten oder einer<br />

generell abflachenden Abschreckung durch die ausbleibende Polizeipräsenz an den überwachten<br />

Plätzen deutet. 331<br />

Auch nach der konkreten Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht - also der Angst selbst konkret Opfer zu wer-<br />

den - fragte Bornemann. Hier waren nur min<strong>im</strong>ale Differenzen zwischen überwachten und<br />

nicht überwachten Zonen festzustellen, die Verlaufsmuster waren identisch und Abwei-<br />

chungen zufällig. Eine Beeinflussung der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht <strong>mittels</strong> Videoüberwachung<br />

findet demnach nicht statt. 332<br />

Im Zuge der Interviews <strong>im</strong> Frühjahr 2004 fragte Bornemann auch nach den Einflussfakto-<br />

ren auf das Sicherheitsgefühl. Dabei spielen - wie in der Abbildung unten ersichtlich - <strong>im</strong><br />

wesentlichen die Beleuchtung bei Nacht, das Wissen um die Videoüberwachung vor Ort,<br />

330 vgl. Bornewasser (2005), S 67<br />

331 vgl. Bornewasser (2005), S 69 ff<br />

332 vgl. Bornewasser (2005), S 70<br />

121


die Begleitung oder Anwesenheit anderer Personen, Polizeipräsenz, Pressemitteilungen über<br />

Straftaten und die Anwesenheit von Jugendlichen, Betrunkenen und Gruppierungen eine<br />

Rolle. Interessant dabei ist, dass die Videoüberwachung hier nur eine nachgereihte Wirkung<br />

hat und in der Regel die Helligkeit und die Anwesenheit anderer Personen eine wesentliche-<br />

re positive Rolle spielt. Auf der negativen Seite sind Belästigungen sehr präsent.<br />

Tabelle 13: Allgemein wirkende Einflussfaktoren auf das Sicherheitsgefühl 333<br />

In Regensburg führte Gabriele Glocke mit einer Studiengruppe 2001 eine Untersuchung<br />

mit 120 Passant/innen zwischen 19 und 85 Jahren durch. Davor führte sie eine Explorati-<br />

onsstudie zum Thema „Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht und Tatgelegenheitsstrukturen“ durch. Dabei<br />

konnten sich Hundert Regensburger Bürger/innen frei zu Themen wie „Kontrollpräsenz“<br />

und „Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht“ äußern. Dabei nahmen – obwohl das Pilotprojekt erst einige Mo-<br />

nate davor angelaufen war – nur 10 Befragte eigenständig Bezug auf die Videoüberwa-<br />

chung. Bei der Untersuchung stellte Glocke fest, dass zwar 53 % die Videoüberwachung<br />

befürworten, aber dies nicht begründen konnten und sich die Befragung für die Befragten<br />

oft als peinlich herausstellte, da sie deren Unwissenheit darlegte. Im Schnitt erinnerte man<br />

sich an 1,2 von 7 Kamerastandorten, von mindestens 5 möglichen Wissenselementen über<br />

die Art der Kameranutzung waren <strong>im</strong> Schnitt 0,5 % bekannt und ein Drittel wähnte sich<br />

irrtümlicherweise <strong>im</strong> überwachten Bereich. Glocke stellte daher fest: „Sie befürworten Kameras,<br />

weil sie Kameras befürworten“. Obwohl sich die Hinweisschilder der Kameras auf die Sicherheit<br />

für Passant/innen beziehen, nahmen nur 29, 2 % der Befragten auf die Sinnkategorie Kri-<br />

333 Quelle: Bornewasser (2005), S 84<br />

122


minalitätsfurcht Bezug, wobei ein Drittel der Nennungen sich darauf bezog, sich nicht sicherer<br />

zu fühlen. 334<br />

Dass be<strong>im</strong> Sicherheitsgefühl nicht die Überwachung, sondern vielmehr ein Raumgefühl eine<br />

wesentliche Rolle spielt, zeigt die Untersuchung von Nils Zurawski „Kultur, Kontrolle,<br />

Weltbild – Projekt Videoüberwachung Hamburg“ 335 . Die zweistufige Studie (qualitative In-<br />

terviews und quantitative Umfrage) ging den Zusammenhängen von räumlichen Vorstel-<br />

lungen, subjektiven Sicherheitsempfindungen und Videoüberwachung nach. Die wichtigsten<br />

Ergebnisse zeigen: 336<br />

• Die emotionale Bindung an einen Raum verringert Un<strong>sicherheit</strong>en. In positiv erleb-<br />

ten Räumen wird Videoüberwachung als Sicherheitsmaßnahme weniger positiv be-<br />

wertet als in negativ besetzten Räumen.<br />

• Die Zust<strong>im</strong>mung zur Videoüberwachung ist sehr stark <strong>raum</strong>- und situationsgebun-<br />

den. Prozentzahlen, die eine sehr hohe Zust<strong>im</strong>mung zeigen, sind daher mit Vorsicht<br />

zu betrachten 337 , da dahinter eine Fülle von kontextuellen Vorstellungen stecken.<br />

Einfache Ja- oder Nein-Fragen berücksichtigen die Komplexität nicht.<br />

• In der Beurteilung eines Raumes ist die Bedeutung von Videoüberwachung eine<br />

334<br />

vgl. Klocke, Gabriele: Vom Hintertürchen des Nichtwissens. Was Regensburger BürgerInnen über die Videoüberwachung<br />

in ihrer Stadt wissen und denken. In: Bürgerrechte und Polizei/CILIP, Berlin 2001,<br />

http://www.cilip.de/ausgabe/69/video.htm<br />

335<br />

vgl. Zurawski, Nils (2007a): „Kultur, Kontrolle, Weltbild. Räumliche Wahrnehmung und Videoüberwachung<br />

in urbanen Räumen“. Videoüberwachung in Hamburg. Abschlussbericht (März 2007). Institut für<br />

kr<strong>im</strong>inologische Sozialforschung der Universität Hamburg, Hamburg 2007<br />

http://www1.uni-hamburg.de/kr<strong>im</strong>inol/surveillance/abschlussbericht_A.pdf<br />

336<br />

vgl. Zurawski, Nils (2007b): Videoüberwachung in Hamburg, Teil B. Institut für kr<strong>im</strong>inologische Sozialforschung<br />

der Universität Hamburg, Hamburg 2007, S 65<br />

http://www1.uni-hamburg.de/kr<strong>im</strong>inol/surveillance/abschlussbericht_B.pdf<br />

337<br />

Ergebnisse der Befragung auf der Reeperbahn zeigen exemplarisch diesen Trend: Die Zust<strong>im</strong>mung zu<br />

der Aussage “Videoüberwachung verbessert die Sicherheit der Bürger” lag bei 59,8% (32,2% volle Zust<strong>im</strong>mung). Bei<br />

der Frage “Ich fühle mich durch die Kameras vor Überfällen und Diebstählen besser geschützt” sank die Zust<strong>im</strong>mung auf<br />

43% (18,7%)zu. Bei der Aussage “Ich würde Kameras auch in meiner Straße begrüßen“ sank die Zust<strong>im</strong>mung weiter<br />

ab auf lediglich 27,2% (16%) zu. Die Bewertung der auf St. Pauli lebenden Personen unterschied sich nicht<br />

signifikant von anderen.<br />

123


sehr geringe, Kameras können zu einem gewissen Grad dazu beitragen, diesen als<br />

eher unsicher einzuschätzen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Raum vorher unbe-<br />

kannt war und keinerlei emotionale Einstellung oder Bindung gegeben ist. Darüber<br />

hinaus „kann Videoüberwachung ablehnende Haltungen zu Räumen verstärken, indem die Ka-<br />

meras auf Un<strong>sicherheit</strong>en hinweisen, die nun auf diesen Raum projiziert werden können.“ 338<br />

Zurawski fasst die Ergebnisse folglich zusammen: „Raum und dessen Wahrnehmung und Bedeu-<br />

tung für den Einzelnen spielen eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung von Videoüberwachung. Sie ba-<br />

sieren auf Erfahrungen und Vorstellungen, die einer Videoüberwachung vorausgehen. Kameras beeinflussen<br />

weniger den Raum, als dass die individuelle Raumvorstellung die Einstellung zu Videoüberwachung lenkt.<br />

Insgesamt zeigt sich an diesen Zusammenhängen ein komplexes und dynamisches Bild gesellschaftlicher<br />

Wahrnehmung von Raum, Sicherheit und Kontrollmechanismen, welches sich jenseits einfacher Argumenta-<br />

tion von Videoüberwachung und öffentlicher Sicherheit befindet, zumal Un<strong>sicherheit</strong>en nur zum Teil mit<br />

Aspekten, die sich auf Kr<strong>im</strong>inalität beziehen, in Verbindung gebracht werden können. Über die Wirk-<br />

samkeit von Videoüberwachung sagt diese Studie nichts aus, auch wenn wir <strong>im</strong> Anschluss an unsere Studie<br />

sagen können, dass das oft proklamierte Ziel ‚die Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls’ unseres Er-<br />

achtens nicht durch Kameras erreicht werden kann.“ 339<br />

Den Zusammenhang zwischen Raum- und Sicherheitsgefühl unterstreicht auch der „Zweite<br />

periodische Sicherheitsbericht“ aus Deutschland: „Wenn Indikatoren der Messung von Unsicher-<br />

heitsgefühlen verwendet werden, die nach Örtlichkeiten und Zeiten differenzieren, sind Un<strong>sicherheit</strong>sgefühle<br />

für die Zeit der Nacht stets am stärksten ausgeprägt. Es findet sich ein plausibles Muster: Je unbekannter<br />

der Ort und die sich dort aufhaltenden Menschen sind, bzw. je weniger potenzielle Unterstützer verfügbar<br />

sind, desto ausgeprägter ist auch das subjektive Un<strong>sicherheit</strong>sgefühl.“ 340<br />

Darüber hinaus hält der Bericht fest, dass „die Ausprägung der Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht der Bevölkerung<br />

best<strong>im</strong>mter Gebiete oder Regionen nicht durch die Belastung dieser Gebiete mit registrierter Kr<strong>im</strong>inalität<br />

erklärbar“ ist. 341 .<br />

338<br />

Quelle: Zurawski (2007b), S 66<br />

339<br />

Quelle: Zurawski, (2007b), S 66<br />

340<br />

Quelle: Bundesministerium des Innern/Bundesministerium für Justiz (2006), S 506<br />

341 Quelle: Bundesministerium des Innern/Bundesministerium für Justiz (2006), S 507<br />

124


Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse der Linzer Stadtbefragung<br />

2004 342 . Grundsätzlich wird in dieser Bürger/innen-Umfrage festgestellt, dass sich das Si-<br />

cherheitsgefühl der Linzer/innen in der Wohngegend <strong>im</strong> Zeit<strong>raum</strong> von 1995 auf 2004 er-<br />

höht hat: Von 11 % sehr sicher auf 15 % und von 21 % sehr unsicher auf 16 %. Dabei<br />

wurden auf <strong>mittels</strong> offener Frage ohne vorgegebene Antworten die zukünftigen als notwen-<br />

dig erachteten Schwerpunkte zur Erhöhung der Sicherheit erfragt: Die gewünschten<br />

Schwerpunkte führen „Präsenz, verstärkte Kontrolle“ mit 32 % und die „Verkehrsüberwa-<br />

chung“ mit 10 % an. Die „Videoüberwachung“ spielt dabei mit 1 % eine sehr untergeordnete<br />

Rolle. 343<br />

Tabelle 14: Gewünschte zukünftige Sicherheitsschwerpunkte in Linz 344<br />

342 Stadtforschung Linz: Analyse Bürgerbefragung 2004, Linz 2005<br />

http://www.linz.at/zahlen/110%5FForschungsprojekte/BBef2004.pdf#xml=?cmd=pdfhits&DocId=3213&<br />

Index=d%3a%5cdaten%5cdt%2dsearch%5cwebserver%5clinz%5fde&HitCount=74&hits=187+1f7+292+30f<br />

+355+39a+3df+42a+46f+4bd+5b9+63a+6c1+740+79d+7f0+875+8f2+975+9c6+a4a+ac9+b4d+bcd+c2<br />

d+c7e+d0c+d5f+db4+e0f+e84+ea8+ee1+f23+f90+1010+107b+10b1+10e1+1117+1147+117d+11ae+11<br />

e6+12b9+131c+1379+13db+143a+149c+1500+157b+15a4+15c7+15e8+162d+1685+16d7+1731+1786+<br />

17b7+17f1+182c+189f+18df+1919+1963+198c+19c2+19f3+1a28+1a55+1a70+1a88+&hc=2018&req=st<br />

adtforschung%26<br />

343 In den Detailauswertungen gibt es hier auch kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtvierteln<br />

344 Quelle: Stadtforschung Linz (2005), S 20<br />

125


Allerdings ist es auch mit diesen allseits gewünschten Maßnahmen schwierig, das gefühlte<br />

Sicherheitsgefühl positiv zu beeinflussen. Selbst hier deuten die Befunde keine eindeutige<br />

Wirkung an: Erhöhe Polizeipräsenz kann keinerlei Effekte nach sich ziehen, oder sogar in<br />

eine unerwünschte Richtung gehen: „Das kann einerseits damit in Zusammenhang gebracht werden,<br />

dass die meisten Menschen Bedrohungen, wie die Darlegungen zur sozialen Kr<strong>im</strong>inalitätsfurcht gezeigt ha-<br />

ben, gar nicht in ihren eigenen Stadtteilen verorten. Ferner kann eine hohe Polizeipräsenz bzw. deren Ver-<br />

änderung in der näheren Umgebung durchaus auch als Hinweise darauf interpretiert werden, dass offenbar<br />

ein Anlass dafür bestehen könnte <strong>im</strong> Sinne dessen, dass vermehrt Kr<strong>im</strong>inalitätsprobleme <strong>im</strong> Umfeld beste-<br />

hen.“ 345<br />

Die Lage stellt sich nur dann anders dar, wenn nicht nur Präsenz und Kontrolle erhöht<br />

werden, sondern die Kontakte zwischen Polizei und Bürger/innen (z.B. <strong>mittels</strong> Kontaktbü-<br />

ro) tatsächlich verbessert werden. Ziel dieser Ansätze des „Community Policing“ ist es un-<br />

ter anderem, lokale Problemlagen in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen <strong>im</strong> Stadtteil<br />

genau zu analysieren und die lokalen Instanzen der informellen Kontrolle zu stärken. 346<br />

Furchtreduzierende Effekte treten nur dann auf, wenn nicht nur eine erhöhte Präsenz ob-<br />

jektiv gegeben ist, „sondern von den Bürgern auch subjektiv wahrgenommen wird und mit einer Redukti-<br />

on äußerlich sichtbarer Anzeichen sozialer Desorganisation einhergeht. Die Verminderung von Kr<strong>im</strong>inali-<br />

tätsfurcht wird also vor allem darüber vermittelt, dass subjektiv die Gewissheit einer positiven Beziehung zur<br />

Polizei <strong>im</strong> Stadtteil etabliert werden und über das kommunale Engagement der Polizei tatsächlich auch der<br />

soziale Zusammenhalt zwischen den Bürgern befördert werden kann, und zugleich äußerlich erkennbare<br />

Anzeichen sozialer Desorganisation abgebaut werden. Demnach hat die Kommunikation <strong>im</strong> sozialen Nah-<br />

<strong>raum</strong> – neben der Wahrnehmung fremder, bislang unbekannter Erscheinungen und neben unspezifischen<br />

Hinweisen auf mögliche Bedrohungen – einen erheblichen Einfluss auf die subjektive Einschätzung von Risiken<br />

und Bedrohungen.“ 347<br />

345 Quelle: Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 510<br />

346 vgl. Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 512<br />

347 vgl. Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (2006), S 513<br />

126


3.5 Wer wird überwacht?<br />

Grundsätzlich sollte die Videoüberwachung das Ziel haben, „Täter“ abzuschrecken bzw.<br />

diese durch die Mithilfe der Kameras nach begangener Tag zu überführen. Diesem Vorha-<br />

ben stellen sich allerdings <strong>im</strong> Wesentlichen drei Phänomene in den Weg, die leider auch zu<br />

„unerwünschten Nebenwirkungen“ führen:<br />

1) Grundsätzlich werden nicht Personen überwacht, sondern der Raum<br />

2) Die Menge an Informationen kann nicht zielführend verarbeitet werden<br />

3) Die Straftäter selbst stehen der Videoüberwachung gelassen gegenüber<br />

3.5.1 Problem 1: Die Überwachung des Raumes<br />

Wie Zurawski ausführt, steht bei der Videoüberwachung nicht eine best<strong>im</strong>mte Person unter<br />

Beobachtung, sondern jede Person, die sich <strong>im</strong> überwachten Raum befindet. Daher kann<br />

auch jede Person „potentiell das Objekt einer Überprüfung von vorher festgelegten Parametern werden.<br />

Bei einer Übereinst<strong>im</strong>mung werden weitergehende Maßnahmen eingeleitet – Fehler eingeschlossen. Ein sol-<br />

ches System ist weniger personen – als vielmehr kontextorientiert und bezieht sich auf Räume, Orte, Zeitabschnitte,<br />

Kategorien von Personen und auf die Repräsentationen von Wirklichkeiten“ 348<br />

„Aus dem Zusammenspiel von Datensammeln, Überwachungsparadigmen und der Repräsentation von<br />

Wirklichkeit durch Muster ergeben sich weitrechende Konsequenzen. Kartierungen – mentale oder kartogra-<br />

fische - die auf diesen Daten und ihren sozial-räumlichen Imaginationen aufbauen, sind vielfältig und kön-<br />

nen folgenreich für mögliche Betroffene sein. Was hier über eine kartografische Darstellung von Daten mög-<br />

lich wird, ist die gezielte soziale Sortierung von Menschen und Gruppen von Menschen anhand von Ort und<br />

Raum. Dabei geht es nicht mehr um das Individuum, sondern um statische Gesamtheiten, die eine eigene<br />

Wirklichkeit bilden und eventuell ein Eigenleben bekommt, welches dann direkt auf die sozial-räumlichen<br />

Vorstellungen anderer Menschen zurückwirkt. Es entsteht ein feedback loop einer sich selbst erfüllenden<br />

348 Quelle: Zurawski, Nils (2007 c): Wissen und Weltbilder. Konstruktionen der Wirklichkeit, cognitive mapping<br />

und Überwachung. In: Zurawski, Nils (Hrsg.): Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes.<br />

Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2007, S 92<br />

127


Prophezeiung.“ 349<br />

3.5.2 Problem 2: Überforderung durch die Datenflut<br />

Die Kr<strong>im</strong>inologen Clive Norris und Gary Armstrong stellen <strong>im</strong> Zuge ihrer Studie, bei der<br />

sie 600 Stunden die Beobachter in drei Videokontrollzentren selbst beobachtet haben, die<br />

Frage, wie es denn für die Überwacher möglich sei, bei der Überwachung belebter Plätze<br />

oder Einkaufszentren verdächtiges Verhalten zu erkennen. Die Überforderung der Beob-<br />

achter durch diese gewaltigen Informationsmengen hindurchzublicken, führte zu einer ein-<br />

fachen Antwort: „die Operateure werfen ein Auge auf die sozialen Gruppen, die am ehesten für abwei-<br />

chend gehalten werden.“ 350<br />

Nicht dass die Menschen hinter den Monitoren schlechte Menschen wären, aber das Über-<br />

maß der Informationen führt geradezu zwangsweise dazu, „dass häufig stereotype Klassifizierun-<br />

gen bei der Entscheidung, wer überwacht werden muss, herangezogen werden, sowie zu einer Reihe vereinfa-<br />

chender und relativ unergiebiger Arbeitsregeln in bezug darauf, welche Verhaltensweisen auf eine verbrecheri-<br />

sche Absicht hindeuten. Der Überwachungsblick ist <strong>im</strong>mer noch einseitig, sowie willkürlich und diskr<strong>im</strong>i-<br />

nierend.“ 351<br />

Diese Beobachtung wird durch Frank Helten, die in zwei Berliner Shopping-Malls die Kon-<br />

trollräume unter genauere Begutachtung nahm, gestützt. Er resümiert: „Die Beobachtungsweise<br />

des Sicherheitspersonals konzentriert sich nicht so sehr auf die Überwachung von konkreten Personen, viel-<br />

mehr werden vorab selektierte Orte und auffälliges Verhalten der „üblichen Verdächtigen“ beobachtet. Da-<br />

zu zählen: Schüler/Jugendliche, Männer, Alkoholiker und Obdachlose, hauptsächlich aber Ausländer<br />

(„Südeuropäer“)“ 352<br />

349 Quelle: Zuraswki (2007c), S 96 ff<br />

350 Quelle: Norris, Clive/Armstrong, Gary: Smile, you 're on camera. Flächendeckende Videoüberwachung in<br />

Großbritannien. In: Bürgerrechte & Polizei/CILIP, Berlin 1998,<br />

http://www.cilip.de/ausgabe/61/norris.htm<br />

351 Quelle: Norris, Clive: Vom Persönlichen zum Digitalen. Videoüberwachung, das Panopticon und die technologische<br />

Verbindung von Verdacht und gesellschaftlicher Kontrolle. In: Hempel, Leon/Metelmann, Jörg<br />

(Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, S 384 ff<br />

352 Quelle: Helten, Frank: Reaktive Aufmerksamkeit. Videoüberwachung in Berliner Shopping Malls. In: Hem-<br />

128


Bedingt durch die Überforderung aus der Bilderflut resultierend, lassen die Ergebnisse er-<br />

kennen, „dass sich reaktive und selektive Überwachungskonstellationen ergeben, die sowohl die symbolische<br />

Macht der VÜ-Technik nutzen, als auch rationalisierte Überwachungsnormen zur Betriebsopt<strong>im</strong>ierung an<br />

strategischen Orten praktizieren. Diese zielen pr<strong>im</strong>är nicht auf eine unmittelbare Kontrolle von Personen,<br />

sondern von Verhalten, von Betriebsabläufen und von räumlichen Ordnungen.“ 353<br />

3.5.3 Problem 3: Die Straf-Täter sehen die Überwachung gelassen<br />

Weil das Verhalten als verdächtig gilt, wenn es ungewöhnlicht ist, richten die Beobachter<br />

ihren Blick auf das „auffällige“ Verhalten. Wie Norris feststellt, ist es unwahrscheinlich, Tä-<br />

ter zu identifizieren, bevor sie zuschlagen, denn diese versuchen schließlich ihre Pläne zu<br />

verbergen, nicht aufzufallen und daher als „normal“ durchzugehen. 354<br />

In Bezug auf die Untersuchung von Ditton und Short (1988) weist Hempel darauf hin, dass<br />

die meisten Täter sehr genaue Kenntnis über die Standorte der Kameras haben. Sie wissen<br />

genau, welche Bereiche von den Kameras gefilmt werden und welche nicht <strong>im</strong> Kamera-<br />

blickfeld liegen. Weiters ist die Einstellung von Tätern selbst gegenüber den Kameras eine<br />

weniger negative als man glauben könnte. „Immerhin behaupteten zehn von 27 Tätern, dass sie sich<br />

durch das Vorhandensein von Kameras selbst sicherer fühlten.“ 355<br />

Weiters führt Hempel die Täterbefragungen von Gill und Loveday (2003) ins Treffen, bei<br />

der auch nach Deliktarten unterschieden wurde: „Das Ergebnis lässt aufmerken. Von den 32 Tä-<br />

tern, die sich über die Präsenz einer Kamera bewusst waren, bestätigten lediglich 2 Taschendiebe (2,59% des<br />

Gesamtsamples), dass das Vorhandensein einer Kamera einen Einfluss auf die Ausübung ihrer Tat gehabt<br />

habe. Insgesamt haben die Maßnahme es lediglich erschwert, den Taschendiebstahl auszuführen. Der tat-<br />

sächliche Abschreckungseffekt durch die sichtbare Präsenz einer Kamera scheint also eher marginal, was<br />

durch die Ergebnisse der Evaluationen ebenfalls bestätigt schien, sofern es sich nicht um abgeschlossene und<br />

pel, Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, S 167<br />

353 Quelle: Helten (2005), S 170<br />

354 vgl. Norris (2005), S 381<br />

355 Quelle: Hempel (2007), S 120<br />

129


gut überschaubare Orte, die Parkplätze handelt.“ 356<br />

3.5.4 Wer wird überwacht?<br />

Angesichts der oben angeführten Problemlagen stellt sich natürlich die Frage, wer denn nun<br />

tatsächlich in das Auge der Kamera genommen wird.<br />

Eric Töpfer führt dazu bündig aus, „Dass bei der ‚Säuberung’ innerstädtischer Einkaufs- und Erleb-<br />

nismeilen weniger schwere Straftaten ins Visier geraten, sondern vielmehr marginalisierte und unerwünschte<br />

Randgruppen“. Als Beleg zieht er dazu die Erfahrungen mit Videoüberwachung in Leipzig<br />

und Westerland/Sylt heran. 357<br />

Lutz Ellrich weist exemplarisch auf Arbeiten aus dem Umfeld der „Cultural Studies“ hin,<br />

bei denen die Auswirkungen der Videoüberwachung untersucht wurden. „John Fiske etwa<br />

zeigte, wie die scheinbar neutrale, zum allseits gedeihlichen Erhalt sicherer Städte installierte Technik eine<br />

Politik rassischer Differenz begünstig und hochgradig effizient macht.“ 358<br />

Aldo Legnaro schreibt, sich ebenfalls auf Fiske beziehend: „Das Weiße hat die Macht, sich<br />

selbst als 'das Normale' zu setzen, und Überwachung ‚makes the city operate as a machine<br />

of whiteness’." 359<br />

Norris und Armstrong stellen ihre Untersuchungsergebnisse wie folgt dar: „Männer, vor allem<br />

wenn sie jung sind und schwarze Hautfarbe haben, sind bei dieser Beobachtung überrepräsentiert. 90 % der<br />

gezielt Observierten sind männlich, 40 % sind Jugendliche. Schwarze werden anderthalb bis zweieinhalb<br />

mal so häufig observiert, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde. (...) Von den fast 900 geziel-<br />

ten Überwachungen, die wir dokumentieren konnten, führten nur 45 zu Einsätzen (vornehmlich wegen<br />

Straftaten und Ordnungswidrigkeiten), und nur zwölf hatten eine Festnahme zur Folge. Davon bezog sich<br />

356<br />

Quelle: Hempel (2007), S 138<br />

357<br />

Quelle: Töpfer (2007), S 42<br />

358<br />

Quelle: Ellrich, Lutz: Gefangen <strong>im</strong> Bild? "Big Brother" und die gesellschaftliche Wahrnehmung der Überwachung.<br />

In: Hempel, Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am<br />

Main 2005, S 36<br />

359 Legnaro, Aldo: Aus der Neuen Welt: Freiheit, Furcht und Strafe als Trias der Regulation, Berlin 2000,<br />

http://www.isip.uni-hamburg.de/04%20Texte/AL%20Trias.htm<br />

130


die Hälfte auf kleinere Ordnungswidrigkeiten.“ 360<br />

In der Studie zeigt sich, dass 36 % der Menschen, die länger überwacht wurden „aus keinem<br />

offensichtlichen Grund“ gefilmt wurden. 24 % der Personen wurden gezielt aufgrund ihres<br />

Verhaltens überwacht, 34 % aber deshalb, weil sie zu einer best<strong>im</strong>mten gesellschaftlichen<br />

Gruppierung oder kulturellen Minderheit gehörten. Der ungerechtfertigte Verdacht verteilte<br />

sich ungleichmäßig auf alle gesellschaftlichen Gruppen: 65 % der Jugendlichen wurden oh-<br />

ne best<strong>im</strong>mten Grund überwacht – dem gegenüber stehen 21 % der über Dreißig-Jährigen.<br />

68 % der Schwarzen gegenüber 35 % der Weißen wurden grundlos überwacht, genauso wie<br />

47,5 % der Männer und 16 % der Frauen. 361<br />

Auch Frank Helten machte bei der Untersuchung in den Berliner Shopping Malls ähnliche<br />

Beobachtungen. Insbesondere wenn eine Videoüberwachung stattfindet, werden Verstöße<br />

gegen die (oft strengen) Hausordnungen in der Alltagswirklichkeit großzügig ausgelegt und<br />

Verstöße vom Sicherheitspersonal oft toleriert, übersehen oder nicht angemessen interpre-<br />

tiert. „Da Shopping-Mall-Manager ebenso wie das Sicherheitspersonal wissen, dass eine strikte Anwen-<br />

dung der Hausordnung Kunden abstoßen würde, müssen sie eine Güterabwägung vornehmen, die häufig<br />

zugunsten des Konsumenten ausfällt, der in der Sicht der Shopping-Mall-Betreiber einen aktiven Part in der<br />

Ausübung sozialer Kontrolle spielt. Rigider werden Verstöße gegen die Regeln der Hausordnung gehand-<br />

habt, wenn damit Handlungen wie Rauchen, Rad- oder Skateboardfahren etc. geahndet werden sollen, von<br />

denen das Sicherheitspersonal ann<strong>im</strong>mt, dass die Durchschnittsbesucher aufgrund geteilter Überzeugungen<br />

und Feindbilder – vor allem gegenüber Jugendlichen – entsprechende Eingriffe gutheißen. 362<br />

360 Quelle: Norris/Armstrong (1988)<br />

361 vgl. Norris (2005), S 382<br />

362 Quelle: Helten (2005), S 161<br />

131


3.6 Ursachen der Videoüberwachung<br />

Wenn man die tatsächliche Effizienz der Videoüberwachung analysiert und - wie in dieser<br />

Arbeit dargestellt - die Wirkung dieser Maßnahme bezogen auf Kr<strong>im</strong>inalität und Sicher-<br />

heitsgefühl wenig bis keinen Einfluss hat, stellt sich die Frage, warum die Kameras trotzdem<br />

diesen Siegeszug in die <strong>öffentlichen</strong> Räume angetreten haben. Natürlich greifen vermutete<br />

Erklärungen wie „wachsendes Un<strong>sicherheit</strong>sgefühl“ oder „steigende Kr<strong>im</strong>inalität“ zu kurz<br />

und beschreiben das Phänomen – wenn überhaupt – zu oberflächlich.<br />

Fakt ist: Das Geschäft mit der Überwachung ist ein stark wachsendes. Alleine in Großbri-<br />

tannien sind schätzungsweise vier Millionen Kameras installiert, die den öffentlich zugängli-<br />

chen Raum überwachen. 363 Eine Umfrage unter 1.400 Geschäften und Institutionen in sie-<br />

ben europäischen Hauptstädten <strong>im</strong> Sommer 2002 ergab, dass jede dritte öffentlich zugängli-<br />

che Einrichtung ihre Räumlichkeiten und auch teilweise angrenzende Verkehrsflächen mit<br />

Kameras überwacht. 364 Die Sicherheitsindustrie boomt in einer Art und Weise, dass nach<br />

Gilbert van Elsbergen die Installation von Überwachungstechnologie volkswirtschaftlich als<br />

Pro-Argument gewertet muss. 365 . Die ökonomische Potenz dieser - privaten - Sicherheits-<br />

industrie, die „durch die oberflächlichen Hochglanz-Versprechen von Entwicklern und Herstellern und<br />

ihren Marketingabteilungen und Lobbyisten“ 366 , die laut Töpfer die Faszination für neue Technik<br />

und den naiven Glauben an eine einfache Lösung <strong>im</strong> komplexen Themenbereich sozialer<br />

Probleme nähren, spielt eine wesentliche Rolle <strong>im</strong> Ausbau der Videoüberwachung. Gleich-<br />

zeitig lässt der Sparzwang der <strong>öffentlichen</strong> Hand – auch <strong>im</strong> Bereich der <strong>öffentlichen</strong> Sicher-<br />

heit – die technische Überwachung als eine kostengünstige Alternative zu personalintensi-<br />

ven Kontrolltätigkeiten vor Ort bieten. Natürlich muss dabei „hinterfragt werden, ob der Gewinn<br />

für die Haushälter auch ein Gewinn für die öffentliche Sicherheit ist“. 367<br />

363 Quelle: Hempel (2007), S 117<br />

364 vgl. Töpfer (2007), S 33<br />

365 vgl. van Elsbergen Gilbert (2007), Kr<strong>im</strong>inologische Implikationen der Videoüberwachung. In: Zurawski,<br />

Nils (Hrsg.): Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes. Verlag Barbara Budrich, Opladen &<br />

Farmington Hills 2007, S 108<br />

366 Quelle: Töpfer (2007), S 38<br />

367 Quelle: Töpfer (2007), S 40<br />

132


Von vielen Erklärungsmodellen will ich auf lediglich drei zurückgreifen, die in engem Zu-<br />

sammenhang mit der grundsätzlichen Intention dieser Arbeit – Jugend und öffentlicher<br />

Raum – stehen und ein Verständnis für die rasante Entwicklung der Videoüberwachung<br />

eröffnen:<br />

1) Der gesellschaftliche Wandel – und damit <strong>im</strong>pliziert ein neues Verständnis von Gesell-<br />

schaft, Sicherheit und Kr<strong>im</strong>inalität;<br />

2) die Kommerzialisierung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes und damit verbunden eine zusätzliche<br />

Dynamik des gesellschaftlichen Wandels;<br />

3) die Rolle der Gesetzgebung<br />

3.6.1 Der gesellschaftliche Wandel<br />

Unsere Welt ist seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts <strong>im</strong> Umbruch. Hatten sich seit Mit-<br />

te des 20. Jahrhunderts noch zwei Gesellschaftsentwürfe (die freie Marktwirtschaft mit sozi-<br />

alwirtschaftlicher Prägung einerseits und der realsozialistische Entwurf andererseits) feind-<br />

lich gegenübergestanden, brach Ende der Achtzigerjahre der Realsozialismus in sich zu-<br />

sammen und der (Neo)Liberalismus setzte sich als relevantes Denkkonzept in den Köpfen<br />

und der konkreten Ausgestaltung der Lebens- und Gesetzentwürfe fest. „Der Neoliberalismus<br />

ist jene Form der Politik, mit dem Ziel, die sozialen Errungenschaften, wie zum Beispiel Arbeitsschutz oder<br />

Mitbest<strong>im</strong>mung zurückzudrängen, und die wirtschaftlichen Interessen auf Kosten der sozialen Sicherheit<br />

durchzusetzen. Dadurch entsteht eine Art Restauration, eine negative Anpassungsspirale der sozialen Rechte,<br />

eine Art Sozialdarwinismus, das der Wiederkehr des Sozialchauvinismus Tür und Tor öffnet.“ 368<br />

Ein global entfesselter Markt, die fortschreitende Globalisierung prägt seither die Entwick-<br />

lung der Gesellschaft: Die Flexibilisierung der Arbeitskräfte, Modernisierung und Umstruk-<br />

turierung des <strong>öffentlichen</strong> Dienstes, die Orientierung der Unternehmen am „shareholder<br />

368 Quelle: Mörth, Ingo/Baum, Doris (Hrsg.): Gesellschaft und Lebensführung an der Schwelle zum neuen Jahrtausend.<br />

Gegenwart und Zukunft der Erlebnis-, Risiko-, Informations- und Weltgesellschaft. Referate und<br />

Arbeitsergebnisse aus dem Seminar "Soziologische Theorie" WS 1999/2000. Johannes Kepler Universität,<br />

Linz 2000, S 79<br />

http://soziologie.soz.uni-linz.ac.at/sozthe/staff/moerthpub/STSGesellschaft.pdf<br />

133


value“, der Rückzug von Politik und Staat aus der ökonomischen Gestaltungsfähigkeit, der<br />

Druck auf Reduzierung der sozialen Sicherheit sind nur einige Schlagworte um die Entwick-<br />

lung zu beschreiben. Traditionelle Lebensmuster und Bezugssysteme befinden sich in Auf-<br />

lösung, der einzelne Mensch wird zunehmend als „Ich-AG“ gefordert, und muss sich eben-<br />

so wie jedes beliebige andere Produkt am Markt behaupten.<br />

Das Bedürfnis nach Sicherheit, nach sozialer Absicherung, kann oder will vom Staat <strong>im</strong>mer<br />

weniger befriedigt werden. „Die Macht der Ökonomie, der Technokratie, der Finanzmärkte und die<br />

Unfähigkeit des Staates, welcher sich <strong>im</strong>mer weiter aus der Wirtschaft zurückzieht und folglich seine dring-<br />

lichste Aufgabe, nämlich die soziale Sicherheit eines jeden Bürgers in einem Land zu gewährleisten, nicht<br />

mehr wahrnehmen kann, sind Brennpunkte der heutigen Industriegesellschaft.“ 369<br />

Diese Entwicklung hin zur Un<strong>sicherheit</strong>, kann man nach Beck als Entwicklung zur „Risiko-<br />

gesellschaft“ lesen. Während es bei der „Industrie- oder Klassengesellschaft“ vor allem um<br />

Verteilungsfragen des erwirtschafteten Reichtums ging, stellt sich die wesentliche Vertei-<br />

lungsfrage in der Risikogesellschaft etwas anders: „Wie können die <strong>im</strong> fortgeschrittenen Modernisie-<br />

rungsprozess systematisch mitproduzierten Risiken und Gefährdungen verhindert, verharmlost, dramatisiert,<br />

kanalisiert und dort, wo sie nun einmal in Gestalt „latenter Nebenwirkungen“ das Licht der Welt erblickt<br />

haben, so eingegrenzt und wegverteilt werden, dass sie weder den Modernisierungsprozess behindern noch die<br />

Grenzen des „Zumutbaren“ überschreiten?“ 370<br />

Um die latente individuelle Un<strong>sicherheit</strong> zu kompensieren, steigt die gesellschaftliche Be-<br />

deutung persönlicher Sicherheit und Kontrolle. Sicherheit wird nicht mehr in erster Linie als<br />

gemeinschaftliches Ziel aller durch gegenseitige Unterstützung verstanden, sondern als indi-<br />

viduelle Absicherung und soziale Abgrenzung gegenüber anderen. Dabei werden Abwei-<br />

chung und Kr<strong>im</strong>inalität als die zentralen Bedrohungen wahrgenommen. Sicherheit wird<br />

heute „weniger <strong>im</strong> Humboldtschen 371 Sinne als Sicherheit vor staatlichen Eingriffen, als Plädoyer für einen<br />

369 Quelle: Mörth/Baum (2000), S 79<br />

370<br />

Quelle: Mörth/Baum (2000), S 78<br />

371<br />

Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt, kurz: Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835)<br />

war ein deutscher Gelehrter, Staatsmann und Mitbegründer der Universität Berlin (heute: Humboldt-Universität<br />

zu Berlin).<br />

134


gebändigten rechtsstaatlichen Staat oder <strong>im</strong> wohlfahrtstaatlichen Sinne als soziale Absicherung angesehen,<br />

sondern als persönliche Sicherheit vor Bedrohungen und Gefahren.“ 372 Individuelle Sicherheit und<br />

Abgrenzung werden zum gesellschaftlichen Leitbild, bei dem andere zentrale gesellschaftli-<br />

che Prinzipien und Wertvorstellungen nur mehr eine nachgeordnete Rolle spielen.<br />

Im Zuge des Strebens nach individueller Sicherheit in Abgrenzung zu anderen, etabliert sich<br />

ein gesellschaftliches Kl<strong>im</strong>a, bei dem auch zunehmend subjektive Ordnungsvorstellungen<br />

eine Bedeutung gewinnen: man will nicht mehr angebettelt werden, man will keine Betrun-<br />

kenen sehen müssen, man will nicht mit Armut und anderen gesellschaftlichen Zuständen<br />

konfrontiert werden. Abweichendes Verhalten wird nicht mehr mit den gesellschaftlichen<br />

Umständen erklärt, sondern wird individualisiert und damit als persönliche Verfehlung<br />

wahrgenommen, die jeder Einzelne zu verantworten und damit auch deren Folgen zu tragen<br />

hat. 373<br />

Gleichzeitig ist der individualisierte Mensch <strong>im</strong>mer weniger bereit anzuerkennen, dass das<br />

Risiko ein Grundmerkmal der menschlichen Existenz ist, dass soziale Konflikte gesell-<br />

schaftlich produziert sind und damit zum kollektiv geschaffenen allgemeinen Lebensrisiko<br />

gehören. 374<br />

Soziologisch kann man den gesellschaftlichen Wandel auch als Transformation der Diszip-<br />

linargesellschaft zur Kontrollgesellschaft lesen. Michel Foucault beschrieb die Disziplinarge-<br />

sellschaft als Gesellschaftsformation, die auf der Technik der Einschließung beruhte. Diese<br />

Einschließung durchzog das ganze Leben. Die Weiterreichung erfolgte von einem diszipli-<br />

nierendem Einschließungsmilieu zum anderen: Familie, Schule, Universität, Militär, Büro,<br />

Fabrik, etc. (bei Versagen auch Gefängnis, oder psychiatrische Anstalt).<br />

Die Welt war reglementiert wie die Produktionsabläufe in einer Fabrik. Das Individuum war<br />

372 Quelle: Singelnstein, Tobias/Stolle, Peer: Von der sozialen Integration zur Sicherheit durch Kontrolle und<br />

Ausschluss. In: Zurawski Nils (Hrsg.): , in: Surveillance Studies, Perspektiven eines Forschungsfeldes. Verlag<br />

Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills, 2007, S 55<br />

373 vgl. Singelnstein/Stolle (2007), S 54<br />

374 vgl. Singelnstein/Stolle (2007), S 55<br />

135


in ein umfassendes Beziehungssystem eingeschlossen, das ein umfangreiches Netz sozialer<br />

Kontrolle darstellte: Kirche, Klubs, Berufsvereine, Parteien. Dieses dichte Netz von Bezie-<br />

hungen schrieb der einzelnen Person ein streng geordnetes Alltagsleben vor. Ergänzt wurde<br />

dieses Disziplinarreg<strong>im</strong>e durch die Kulturindustrie: Dieses integrierte neben dem Körper<br />

auch die Seele. „Denn hier durfte sich der in der Produktion eingespannte und disziplinierte Körper nach<br />

Feierabend erholen, um sich für den nächsten Tag wiederherzustellen.“ 375<br />

Die „Einschließungsmilieus“ (der alten Disziplinargesellschaft) befinden sich in einer<br />

schweren Krise: Man spricht laufend über die Probleme von Familie, Schule, Parteien, Ge-<br />

werkschaften, Kirche und den Nationalstaaten. Aus den ehemals versicherten, betreuten,<br />

aber auch disziplinierten Individuen entstehen freie Unternehmen. Sie sind freier von<br />

Zwängen, aber auch frei von gesellschaftlicher Fürsorge.<br />

In Anlehnung als Gilles Deleuze, der für diese neue Gellschafsformation den Begriff „Kon-<br />

trollgesellschaft“ prägt, schreibt Mörth: „Die Ersetzung der Einschließungsmilieus, durch eine per-<br />

manente Kontrolle hat bereits begonnen. So, wie das Unternehmen die Fabrik ablöst, tritt die permanente<br />

Weiterbildung an die Stelle der Schule, die kontinuierliche Kontrolle an die Stelle der Prüfung. In den Dis-<br />

ziplinargesellschaften hört man nie auf, anzufangen: von der Schule gelangt man in die Kaserne, von der<br />

Kaserne in die Fabrik. In den Kontrollgesellschaften wird man dagegen nie mit etwas fertig: Unternehmen,<br />

Weiterbildung, Dienstleistung, ... Die Kontrollgesellschaft bietet dem Individuum eine Freiheit des Vergnü-<br />

gens, die in der Welt der Einschließung so nicht möglich war. Das Fürchterliche an der Kontrolle ist aber,<br />

dass sie in den Fluchtorten selbst stattfindet. Die heutige Kontrollgesellschaft bejaht den Spaß, aber sie kontrolliert<br />

und verändert ihn. 376<br />

Heute geht es weniger um die Bearbeitung von sozialen Konflikten oder um die Interventi-<br />

on in konkrete Bedrohungsszenarien, die eine Schädigung nach sich ziehen könnten. Vielmehr<br />

ist an dessen Stelle das Risiko „als erwartbarer, technisch zu regulierender Sacherverhalt“ 377<br />

getreten. Der Definition, Verteilung, Bekämpfung und Abschirmung von diesem Risiko<br />

375 Quelle: Mörth/Baum (2000), S 51<br />

376 Quelle: Mörth/Baum (2000), S 53<br />

377 Quelle: Singelnstein/Stolle (2007), S 55<br />

136


kommt eine erhebliche Bedeutung zu. „Das Risiko basiert auf einer Wahrscheinlichkeitsrechnung,<br />

deren Grundlage Faktoren und Merkmale bilden, die als Risiko erhöhend klassifiziert werden. Diese<br />

Denklogik ‚entdeckt’ und produziert mit ihrem Streben nach möglichst genauer Prognose und Erfassung von<br />

Risikofaktoren ständig neue Risiken. Somit macht das Risiko als Gegenstand sozialer Kontrolle heute be-<br />

reits deutlich mehr und wesentlich frühere Eingriffe und Maßnahmen notwendig, die unabhängig von einer<br />

konkret bestehenden Bedrohungslage erfolgen.“ 378<br />

Damit wird der Gegenstand „staatliche Sozialkontrolle“ vorverlagert und ausgeweitet.<br />

Demgegenüber wird ein Verständnis von Sicherheit gestellt, das in der Realität nicht haltbar<br />

ist. „Dies gilt zum einen, da umfassender Schutz vor Risiken gar nicht möglich ist. Dabei steigt die Unsi-<br />

cherheit nicht, OBWOHL wir in einer der sichersten und auf Sicherheit setzenden Gesellschaft leben, son-<br />

dern gerade DESWEGEN. Das ständige Streben nach Sicherheit kann zwar unter Umständen einen<br />

objektiven Sicherheitsgewinn darstellen – subjektiv wird damit aber weitere Un<strong>sicherheit</strong> produziert. Die<br />

herrschende Un<strong>sicherheit</strong> entsteht also durch die Differenz zwischen einer gesellschaftlich produzierten - und<br />

prinzipiell unbegrenzt steigerbaren - Sicherheitserwartung und dem begrenzten Vermögen der Gesellschaft,<br />

diese in der Praxis auch zu gewährleisten. Zum anderen ist Sicherheit auch deswegen nicht zu erreichen, da<br />

die ständige Un<strong>sicherheit</strong> einen notwendigen Gegenpart zur größer werdenden, individualisierten Freiheit des<br />

Liberalismus darstellt.“ 379<br />

Die Bedrohung dieser Freiheit begründet daher nicht nur Sicherheitsmaßnahmen, sondern<br />

führt auch zur Selbstbeschränkung des Einzelnen, da die Freiheit auch <strong>im</strong> Liberalismus<br />

nicht ungezügelt ausgelegt werden darf.<br />

Dieses neue Bild von Sicherheit – also die Wegwendung von der sozialen Sicherheit diag-<br />

nostiziert auch Lutz Ellrich: „Die traditionellen politischen Institutionen reduzieren jenes Engagement,<br />

das mit dem Projekt des Sozial- beziehungsweise Wohlfahrtsstaats verknüpft ist, und verlegen den Schwer-<br />

punkt ihrer Eingriffe in die gesellschaftlichen Prozesse auf das Feld der sogenannten inneren Sicherheit. Die-<br />

se Art der Obhut umfasst allerdings <strong>im</strong>mer weniger die Belange der Altersvorsorge und der Krankenpflege.<br />

Gesteigerte Investitionen in technische Überwachungs- und Kontrollsysteme gehen – darüber herrscht kaum<br />

378 Quelle: Singelnstein/Stolle (2007), S 56<br />

379 Quelle: Singelnstein/Stolle (2007), S 57<br />

137


Dissens – heute mit einer Entsicherung des individuellen Daseins einher. Der schwindenden Privatheit zahl-<br />

reicher (zum Beispiel int<strong>im</strong>er) Handlungen steht die Reprivatisierung vormals sozial entschärfter Lebensrisiken<br />

gegenüber.“ 380<br />

Auch Nils Leopold zeichnet dieses neue Verständnis nach Sicherheit und dessen Folgen<br />

nach: „Heute erscheint es als nahezu selbstverständlich, wenn der Staat proaktiv gegen mögliche Gefahren<br />

vorgehend, Risiken und Gefahrenquellen antizipiert und seine Institutionen nach diesen Zielsetzungen um-<br />

strukturiert. Zur Erfüllung dieses umfassenden präventiven Selbstverständnisses bedarf es aus staatlicher<br />

Sicht umfassender Informationen aus allen Bereichen der Gesellschaft.“ 381<br />

Auch Krasmann analysiert diese Zusammenhänge ähnlich: „Der Modus der Kontrolle, den Vi-<br />

deoüberwachung erzeugt, entspricht, so lässt die These sich weiter zuspitzen, in nuce einer Gouvernementali-<br />

tät der Gegenwart , die sich durch Strategien wie den ‚Rückzug des wohltätigen Staates’ zugunsten von mehr<br />

Initiative, Engagement und Eigenverantwortung des Bürgers sowie durch Prozesse der ‚Privatisierung’,<br />

‚Kommodifzierung’ oder ‚Markvergesellschaftung’ kennzeichnen lässt.“ 382<br />

Aus den vorher beschriebenen Entwicklungen resultiert auch – so Töpfer - ein neues Bild<br />

von Kr<strong>im</strong>inalität. Diese wird nicht mehr als ein pathologisches gesellschellschaflichtes Phä-<br />

nomen verstanden, dem mit der Bekämpfung seiner Ursache (soziale Missstände Armut<br />

etc.) bzw. gut gemeinter Resozialisierungsmaßnahmen beizukommen sei. Vielmehr sind<br />

Verbrechen ein unausrottbares Übel, dem als Risiko versicherungsmathematisch zu begeg-<br />

nen sei. „Mit dieser kr<strong>im</strong>inalpolitischen Kehre wandelt sich die repressive, auf individuelle Verdächtige und<br />

Störer ausgerichtete Polizeiarbeit und wird ergänzt und zum Teil abgelöst von einem präventiven und ver-<br />

dachtstunabhängigen, auf Risikogruppen und –orte fokussierten Polizieren in Netzwerken <strong>öffentlichen</strong> und<br />

privater Akteure.“ 383<br />

380<br />

Quelle: Ellrich(2005), S 45<br />

381<br />

Quelle: Leopold, Nils: Rechtskulturbruch. Die Ausbreitung der Videoüberwachung und die unzulängliche<br />

Reaktion des Rechts. In: Hempel, Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag,<br />

Frankfurt am Main 2005, S 285<br />

382<br />

Quelle: Krasmann, Susanne: Mobilität: Videoüberwachung als Chiffre einer Gouvernementalität der Gegenwart.<br />

In: Hempel, Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main<br />

2005, S 309<br />

383<br />

Quelle: Töpfer (2007), S 41<br />

138


Die parallele Entwicklung einer umfassenden Kontrolle und des Bedeutungsgewinnes des<br />

repressiven Ausschlusses diagnostizierten auch Singelnstein und Stolle: „Statt den normverlet-<br />

zenden Individuen die soziale Reintegration offen zu halten, werden sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen,<br />

d.h. es wird ihnen in unterschiedlicher Intensität gesellschaftliche Partizipation vorenthalten - von der sozialen<br />

Benachteiligung über die Ressourcchenbegrenzung bis hin zur physischen Vernichtung.“ 384<br />

Die Definition dieser Risikogruppen und –orte ist <strong>im</strong> Wesentlichen eine Machtfrage und<br />

hängt stark mit wirtschaftlichen Intentionen zusammen.<br />

„Die eigentliche Normabweichung als Handlung bekommt in diesem Zusammenhang eine andere Bedeu-<br />

tung. Sie wird nicht mehr als Symptom angesehen, sondern als das eigentliche Problem, das so weit wie mög-<br />

lich <strong>im</strong> Vorfeld erkannt und dort verhindert bzw. unterdrückt werden soll. Damit kommt der Kontrolle eine<br />

umfassendere Bedeutung zu: Sie soll selbst unmittelbar für Sicherheit <strong>im</strong> Sinne der (Wieder-) Herstellung<br />

von sozialer Ordnung und nicht nur für die Feststellung und Verfolgung von abweichendem Verhalten sor-<br />

gen“. 385<br />

Überwachung wird daher unabhängig von konkreten Anlassfällen und hat die Tendenz all-<br />

umfassend zu werden. Zunehmend setzt sich ein allseitiges Misstrauen durch und jede/r<br />

wird als potentielle Gefahr angesehen. Nicht mehr ein Normenverstoß oder eine Gesetzes-<br />

übertretung wird abgewartet, sondern die „Kontrolle ist nicht mehr als Reaktion konzipiert, sondern<br />

proaktiv ausgestaltet. Folgerichtiges Ziel eines solchen Verständnisses ist ein allgegenwärtiger, umfassender<br />

Einsatz von Kontrolltechniken, dem gegenwärtig (noch) durch mangelnde Ressourcen und verfassungsreichliche<br />

Beschränkungen Einhalt geboten wird.“ 386<br />

Zu einer identen Analyse der Entwicklung kommen auch Hempel und Metelmann: „In der<br />

Polizei- und Sicherheitsarbeit lässt sich <strong>im</strong> Laufe der vergangenen Jahre ein Wandel von reaktiven Strate-<br />

gien zu proaktivem Risikomanagement feststellen, das sich <strong>mittels</strong> verschiedenster Verfahren wie DNA-<br />

Tests oder eben Videoüberwachung in den Innenstädten auf die Erstellung von Datenbanken, Täterprofilen<br />

und die Möglichkeit präventiven Handelns konzentriert. In der Risikogesellschaft bildet nicht mehr ein<br />

384 Quelle: Singelnstein/Stolle (2007), S 50<br />

385 Quelle: Singelnstein/Stolle (2007), S 49<br />

386 Quelle: Singelstein/Stolle (2007), S 49<br />

139


konkreter Verdacht die Basis, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum zum Täter werden<br />

könnte.“ 387<br />

3.6.2 Die Kommerzialisierung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes<br />

Zunehmend wird die Transformation des urbanen Raumes in der Diskussion unter dem<br />

Stichwort „Revitalisierung der Innenstädte thematisiert. Stadtzentren werden in diesem Pro-<br />

zess wieder zu Konsumräumen umgestaltet, um die wirtschaftliche Potenz der Einkaufs-<br />

kraft, die sich in der Vergangenheit sehr stark um die Einkaufszentren an der Peripherie<br />

scharrte, wieder zurück in die Zentren zu bringen. Um in diesen Konsumräumen eine<br />

kaufanregende Wohlfühlatmosphäre zu schaffen (und damit auch unerwünschte - siehe o-<br />

ben beschriebenes Risikoparadigma - Gruppen hinwegzuhalten) bedient man sich - ebenso<br />

wie in den Einkaufszentren am Rande der Stadt - der Videoüberwachung. 388<br />

Töpfer weist darauf hin, dass angesichts der gewachsenen wirtschaftlichen Bedeutung von<br />

Konsum und Dienstleistung <strong>im</strong> globalen, nationalen und lokalen Standortwettbewerb we-<br />

sentlich auf das positive Image der urbanen Räume ankommt. In diesem Kontext postmoderner<br />

Stadtentwicklung sei auch der Aufstieg der Videoüberwachung zu lesen. 389<br />

Diese Entwicklung ist eine durchaus dynamische Entwicklung, die Georg Frank bündig auf<br />

den Punkt bringt: „Zwei Entwicklungen haben die Städte stärker verändert, als Architektur und Städ-<br />

tebau es vermocht hätten: Die Invasion der Marken und die Invasion der Kameras.“ 390 Franck be-<br />

schreibt folglich diese Kommerzialisierung aus einem „Paarlauf“ von Werbung und Über-<br />

wachung. Die Videoüberwachung schließt die Interessen von Überwachung und Marketing<br />

kurz: „Es dient der Konditionierung eines dem Konsum förderlichen Erlebnis<strong>raum</strong>s. Die Abwehr störender<br />

Einflüsse und die Beeinflussung <strong>im</strong> geneigt machenden Sinn gehen ineinander über. Die Shopping Malls und<br />

Erlebniswelten sind nicht nur <strong>im</strong> kl<strong>im</strong>atechnischen Sinn konditionierte Räume, sie sind es auch <strong>im</strong> Sinn des<br />

387<br />

Quelle: Hempel/Metelmann (2005), S 14<br />

388<br />

vgl. Hempel/Metelmann (2005), S 15<br />

389<br />

vgl. Töpfer (2005), 259<br />

390<br />

Quelle: Franck (2005), S 141<br />

140


Lebensgefühles, das sie den Besuchern vermitteln. 391 Sowohl die Werbung, als auch die Videoüber-<br />

wachung bedrängen den <strong>öffentlichen</strong> Erlebnis<strong>raum</strong> mit einer Art Privatisierung. Keines die-<br />

ser beiden Elemente verwehrt den Zugang in diesen Raum, aber beide fordern ihren Tribut.<br />

Die Werbung „erhebt (...) eine Gebühr in der Form des geforderten Konsums. Sie taucht auf, wohin wir<br />

blicken. Wir geben Aufmerksamkeit aus und leiden unter der Kontamination des Erlebnis<strong>raum</strong>s. Den<br />

Nutzen haben die, die die Aufmerksamkeit abschöpfen und uns die Aussicht verderben, aber auch diejeni-<br />

gen, die Oberflächen an die Werbewirtschaft vermieten.“ 392 . Die Videoüberwachung erklärt - wie <strong>im</strong><br />

Kapitel „Wer wird überwacht“ ausgeführt – Mitglieder gewisser Gesellschaftsgruppen ohne<br />

eine konkrete Straftat begangen zu haben – vorsorglich als unerwünscht: „Eine Person, die so<br />

aussieht, als könnte sie Straftaten begehen oder stören wollen, wird selbst zu einem unerwünschten Indivi-<br />

duum“. 393 Dabei arbeitet Franck ein interessantes Paradoxon heraus: Beide Phänomene<br />

markieren - allerdings unterschiedlich - das soziale Gefälle innerhalb der Stadt. Während die<br />

Werbung mit dem Steigen des sozialen Status in den betreffenden Stadtvierteln abn<strong>im</strong>mt –<br />

sich die Reichen diese Belästigung also vom Leib halten können – aber auch die „tiefen Lagen<br />

von dem Gerangel um Beachtung gezeichnet“ 394 sind, verhält es sich mit der Überwachung anders:<br />

„Die Kameradichte n<strong>im</strong>mt mit dem sozialen Status ab. Die Überwachung ist dort am intensivsten, wo am<br />

meisten Reichtum ist. Elend sind die Quartiere, die niemand mehr überwachen will oder kann.“ 395<br />

Frank Helten sieht die Shopping Malls überhaupt als Labor, in dem sich Mechanismen der<br />

Videoüberwachung – bedingt durch die Tatsache, dass sich diese an strategischen Orten mit<br />

hoher Besucherfrequenz befinden – allmählich „als spontane Verräumlichung von Überwachung<br />

oder als Bausteine einer Ökologie der Übehrwachung“ 396 in das Stadtgeflecht einschreiben. Die Fol-<br />

gen dieser Entwicklung - und hier greife ich dem Kapitel „Auswirkungen der Videoüberwa-<br />

chung“ voraus - drohen aber weit über die bloße Überwachung hinauszugehen: „So mutiert<br />

391 Quelle: Franck (2005), S 143<br />

392 Quelle: Franck (2005) S 143<br />

393 Quelle: Krasmann (2005), S 320 ff<br />

394 Quelle: Franck (2005), S 148<br />

395 Quelle: Franck, (2005), 149 ff<br />

396 Quelle: Helten (2005), S 162<br />

141


die videoüberwachte Shopping Mall zu einem postmodernen Labor oder Teilzeitgefängnis zur Konditionie-<br />

rung des Konsumenten, dessen Performanz per Video aufgezeichnet wird, was Erkenntnisse darüber liefert,<br />

wie das Einkaufen und verweilende Konsumieren opt<strong>im</strong>iert werden könnte. Der Fokus der Überwachung in<br />

der Überwachungsgesellschaft ändert sich und bildet neue Schwerpunkte: Neben der Kontrolle und Sanktio-<br />

nierung abweichenden Verhaltens und der Opt<strong>im</strong>ierung des Betriebsablaufes könnte die Zukunft der VÜ<br />

und weiterer Überwachungstechnologien durch die Funktion gekennzeichnet sein, die ‚Leichtigkeit’ des Konsumierens<br />

zu beschleunigen.“ 397<br />

3.6.3 Die Rolle bzw. die Veränderung des geltenden Rechtes<br />

Eine wesentliche Ursache in der Verbreitung der Videoüberwachung basiert auf dem (sich<br />

veränderten) geltenden Recht.<br />

Marianne Gras weist darauf hin, dass Großbritannien auch deshalb zum „Mutterland der<br />

Videoüberwachung“ mutierte, weil es in England und Wales keinerlei rechtliche Hindernis-<br />

se dafür gab: „Eine Entwicklung (ist) bis zu dieser Stufe möglich gewesen, weil das Rechtssystem traditionell<br />

keinerlei Recht auf „Privacy“ (Privatheit) <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum anerkennt. 398<br />

Die Überwachungs-Freiheit wurde zwar als bedenklich wahrgenommen, eine gesetzliche<br />

Regelung wurde aber nie ernsthafter angedacht. Gegen möglichen Missbrauch wurden zwar<br />

„Codes of Practice“ – zunächst freiwillig, inzwischen obligatorisch – entwickelt, die eine<br />

funktionierende Praxis sicherstellen sollen. Diese schaffen zwar einen Rahmen, der rechtliche<br />

Status ist jedoch unklar und ohne Konsequenzen bei Nichteinhaltung. 399<br />

Der starke Zuwachs an installierten Kameras und die Tendenz zu leichterer Billigung der<br />

Videoüberwachung auch in den kontinentaleuropäischen Ländern ist darin begründet, „dass<br />

bei der Bewertung ein Systems oftmals eben nur diese eine Installation in den Blick genommen wird. Sie wird<br />

so auch in der Regel für zulässig gehalten, denn für sich genommen stellt eine einzelne Kamera kaum eine<br />

397 Quelle: Helten (2005) S 172<br />

398 Quelle: Gras, Marianne: Überwachungsgesellschaft. Herausforderung für das Recht in Europa. In: Hempel,<br />

Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, S 295<br />

399 vgl. Gras (2005), S 295 ff<br />

142


Bedrohung der Grundrechte dar. Erst durch die Gesamtwirkung vieler Installationen entsteht die Notwen-<br />

digkeit, ihre Zahl zu beschränken.“ 400 Genau darin sieht Gras auch die Crux der Entwicklung:<br />

Aus einem eher flüchtigen Eingriff <strong>im</strong> Einzelfall (aus durchaus berechtigten Interessen her-<br />

aus, z.B. einen Überfall <strong>im</strong> Geschäft abzuwenden) entsteht eine zunehmend flächendecken-<br />

de Überwachung.<br />

Auch bei den Beispielen, die <strong>im</strong> Kapitel „Effektivität der Videoüberwachung“ genauer dar-<br />

gestellt werden, ist zu erkennen, dass die Änderung des geltenden Rechts naturgemäß eine<br />

wesentliche Grundlage für den Ausbau der Videoüberwachung ist.<br />

Nils Leopold sieht in der Vermischung verschiedener Anforderungen und Interessen <strong>im</strong><br />

Politikfeld der sogenannten inneren Sicherheit und des vorherrschenden Zweckdenkens<br />

eine Ausweichbewegung des Rechtsstaates, die eingeschränkte Grund- bzw. Bürgerrechte in<br />

Kauf n<strong>im</strong>mt: „Zu den spezifischen Ausweichstrategien des Gesetzgebers gehört es deshalb auch, das recht-<br />

staatlich kaum fassbare Ziel der Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung anzuführen. Unter Ver-<br />

weis auf ein in seinen eigentlichen Ursachen nicht näher belegbares, empirisch höchst heterogenen nachweisba-<br />

res Un<strong>sicherheit</strong>sgefühl soll damit eine vermeintlich nicht weiter angreifbare Legit<strong>im</strong>ation des Videoeinsatzes<br />

geschaffen werden. Damit ist eine argumentative Selbst<strong>im</strong>munisierungsstrategie umrissen, die einer rationalen<br />

gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Chancen und Risiken der VÜ erkennbar, entgegensteht.“ 401<br />

Grundsätzlich ist (auch) die Videoüberwachung – neben den nationalen Best<strong>im</strong>mungen –<br />

<strong>im</strong> Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geregelt. Damit ist der<br />

Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre geregelt. Allerdings lässt die EMRK durch Artikel<br />

8 Abs. 2 „staatliche Eingriffe“ zu, solange diese auf der Basis gesetzlicher Regelungen statt-<br />

finden und „notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“, das heißt verhältnismäßig<br />

sind. 402<br />

Diese Verhältnismäßigkeit ist jedoch laut Gras weniger ein zu rechtlich klärender, sondern<br />

vielmehr ein politisch auszuhandelnder Faktor: „Zunächst ist sie pr<strong>im</strong>är ein rechtliches Instrument<br />

400 Quelle: Gras (2005), S 297<br />

401 Quelle: Leopold (2005), S 291<br />

402 vgl. Gras (2005), S 299<br />

143


für die oben erwähnte Interessensabwägung zwischen zwei Parteien. Eine einzelfallbezogene Entscheidung<br />

der Gerichte darüber, wie viel Überwachung insgesamt gegenüber wie viel Kr<strong>im</strong>inalprävention und strafrecht-<br />

licher Aufklärung geboten ist, ist weitaus schwieriger herbeizuführen. Letzteres ist wohl die Grundfrage,<br />

aber der Rahmen um darüber zu entscheiden, ist nicht ohne weiteres dem Recht zu entnehmen. Im Kern ist<br />

dies eher eine politische Entscheidung als eine gerichtlich durchführbare Interessenabwägung.“ 403<br />

403 Quelle: Gras (2005), S 300<br />

144


3.7 Auswirkungen der Videoüberwachung<br />

In der Diskussion oft wenig berücksichtigt sind die Auswirkungen - also die „unerwünsch-<br />

ten Nebenwirkungen“ - der Videoüberwachung auf Mensch und Gesellschaft. Mögliche<br />

Auswirkungen spielen auch in den Evaluationen keine erhellende Rolle. Dies ist insofern<br />

bedenklich, da in der Debatte um die Videoüberwachung wiederholt weitreichende Beden-<br />

ken geäußert wurden. Töpfer spricht sogar an Anlehnung an die Gentechnologie von einer<br />

„Risikotechnologie“, da „ihr Einsatz mit dem Anspruch gerechtfertig wird, auf technologischem Wege zur<br />

Eindämmung und Kontrolle gesellschaftlicher Risiken beizutragen, während gleichzeitig von ihren mögli-<br />

cherweise unkontrollierbaren Folgen für Individuen und Gesellschaft gewarnt wird.“ 404 .<br />

Wie <strong>im</strong> vorigen Kapitel „Ursachen der Videoüberwachung“ dargestellt, ist die Grenze zwi-<br />

schen Ursachen und Auswirkungen der Videoüberwachung eine fließende: Ursachen sind<br />

nicht nur Grundlage der Einführung der Videoüberwachung sondern verstärken sich selbst<br />

durch die real existierende Videoüberwachung. Dabei entwickeln vorhandene Tendenzen<br />

eine Spirale nach „unten“: Die Gesellschaft wird <strong>im</strong>mer unsicherer, die Kommerzialisierung<br />

des <strong>öffentlichen</strong> Raumes bekommt eine zusätzliche Dynamik, das geltende Recht wird zu-<br />

nehmend repressiver, etc.<br />

Der Standsatz der Videoüberwachungsbefürworter „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch<br />

nichts zu befürchten“ trifft den Sachverhalt nicht richtig. Denn selbst jene, die nichts zu<br />

verbergen haben, haben doch auch die Auswirkungen der Videoüberwachung auf die Ent-<br />

wicklung von Mensch, Gesellschaft und Stadt zu befürchten und sind ebenfalls davon be-<br />

troffen.<br />

3.7.1 Änderung des Anzeigenverhaltens<br />

Eine sehr konkrete Befürchtung ist beispielsweise, dass die Kameras das Melde- und Anzei-<br />

genverhalten der Bürger/innen – und damit die soziale Kontrolle insgesamt – verändern.<br />

„Es kann davon ausgegangen werden, dass Passanten aufgrund einer Kamera weniger Delikte melden, da<br />

404 Quelle: Töpfer (2007), S 35<br />

145


die Technik suggeriert, die Polizei und andere beauftragte Institutionen würden sich um die Sicherheitsbelan-<br />

ge <strong>im</strong> überwachten Raum kümmern. So kann die Kamera eine Diffusion der Verantwortung bewirken, da<br />

diese ausschließlich der Technik übertragen wird. Umfragen <strong>im</strong> Bereich des <strong>öffentlichen</strong> Nahverkehrs zeigen,<br />

dass Fahrgäste davon ausgehen, Polizei und Sicherheitsdienste haben für die Sicherheit zu sorgen. Erste<br />

Befragungen Londoner Busbetreibern deuten hierauf hin. (...) Seit Einführung der Kameras können in Bus-<br />

sen zeitlich begrenzte Erfolge u.a. bei der Bekämpfung von Vandalismus verbucht werden, zugleich hat sich<br />

das Melde- und Anzeigeverhalten der Fahrgäste jedoch erheblich verändert. Kam es vor der Inbetriebnahme<br />

zu durchschnittlich 40 Anzeigen <strong>im</strong> Monat – die aber aufgrund fehlenden Beweismaterials oftmals nicht<br />

zur Strafverfolgung führten – sank die Zahl der Meldungen und Anzeigen seit Einführung der Kameras<br />

auf durchschnittlich unter zehn.“ 405<br />

3.7.2 Verlust von Kommunikation und Nähe der Exekutive<br />

Durch die Distanz der Videoüberwachung geht außerdem die Kommunikation zwischen<br />

Überwachern und Überwachten <strong>im</strong> Nah<strong>raum</strong> verloren. Daher kann sie – <strong>im</strong> Vergleich zu<br />

Streifenbeamten – nur sehr beschränkt die Rolle eines Mediators einnehmen: Sie n<strong>im</strong>mt den<br />

Beobachteten die Möglichkeit unmittelbar zu reagieren, z.B. <strong>mittels</strong> Entschuldigung, Erklä-<br />

rungen oder ergänzender Informationen. „Der Überwachte ist zwar Informationsobjekt, nicht aber<br />

Kommunikationssubjekt.“ 406 Somit wird <strong>mittels</strong> Videoüberwachung – <strong>im</strong> Gegensatz zur sozia-<br />

len Kontrolle – eine räumliche Differenz gezeugt, die „die sozialräumliche Realität des öffentli-<br />

chen Raumes neu strukturiert und damit eine, die urbanen Ballungsräume <strong>im</strong>mer dichter überziehende Geografie<br />

der Macht begründet.“ 407<br />

Gleichzeitig schwächt diese Distanz aber auch die Sicherheit: Eine Kamera kann <strong>im</strong> Gegen-<br />

satz zu engagierten Anwesenden nicht unmittelbar in das Geschehen eingreifen. Wegen der<br />

<strong>im</strong>mensen Kosten die Videoüberwachung verursacht, stellt Norris darüber hinaus einen<br />

405<br />

Quelle: Hempel (2007), S 143<br />

406<br />

Quelle: Klauser, Francisco: Raum = Energie + Information. Videoüberwachung als Raumaneignung. In:<br />

Hempel, Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, S<br />

195<br />

407<br />

Quelle: Klauser (2005), S 189 ff<br />

146


Wechsel von lokalisierten zu zentralisierten Überwachungsstationen – die mehrere separate<br />

Systeme zentral zusammenfassen – fest, mit der Folge: „Obwohl mehr gesehen werden kann, kann<br />

jedoch weniger gewusst werden. Insofern die Entfernung größer wird, verliert sich situationsbedingtes Wis-<br />

sen.“ 408 Einerseits schränkt sich dadurch die „panoptische Macht der Überwachung“ ein,<br />

andererseits geht dabei auch das Wissen der Exekutive um ihre „Pappenhe<strong>im</strong>er“ verloren.<br />

3.7.3 Unerwünschte Beeinflussung des Verhaltens <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum<br />

Ob Videoüberwachung das menschliche Verhalten beeinflusst, ist empirisch schwer nach-<br />

zuweisen. Es gibt allerdings Befunde, die diesen Schluss nahe legen.<br />

Krasmann zeigt beispielsweise auf, dass Maschinen sehr wohl das menschliche Verhalten<br />

beeinflussen und Verhaltensweisen prägen können. „So inkorporieren Menschen das Wissen dar-<br />

um, wie technische Instrumente zu bedienen sind, oder passen ihre Lebensweise dem Komfort an, den jene<br />

bieten. Insofern kann man durchaus sagen, dass Maschinen Macht ausüben, nicht von sich aus und doch<br />

ohne dass jemand ‚dahinter’ Regie führte.“ 409<br />

Sie sieht Videoüberwachung nicht als Disziplinartechnik, die Einstellungen ändern oder er-<br />

ziehen will, sondern vielmehr als ein Instrument, das darauf abzielt, dass die Passanten das<br />

Funktionsgefüge nicht stören. Weil es keine soziale Kommunikation oder die Möglichkeit<br />

einer direkten Interaktion zwischen Menschen nicht gibt, werden Normen abhängig vom<br />

räumlichen Kontext und sind damit unverhandelbar: „Die Videotechnik hingegen erzeugt keine<br />

Ordnung, sondern reflektiert die Ordnung, die sie scannt, und setzt das räsonierende, sich selbst kontrollie-<br />

rende Individuum bereits voraus. Dieses kann sich adressiert fühlen oder auch nicht, und es kann sich selbst<br />

ausrechnen, welche Verhaltensweise und welches Erscheinungsbild hier erwartet und erwünscht sind. Es<br />

muss sich nur die Umgebung ansehen, den Fokus und die Bewegung des Kameraauges nachvollziehen und<br />

dies schließlich auf sich selbst beziehen, auf die Figur, die es macht vor dem Hintergrund, vor dem es für<br />

einen möglichen Betrachter am Kontrollbildschirm sichtbar wird.“ 410<br />

408<br />

Quelle: Norris (2005), S 370<br />

409<br />

Quelle: Krasmann (2005), S 308<br />

410<br />

Quelle: Krasmann (2005), 316<br />

147


Die Untersuchung der Berliner Shopping Malls führt Helten zum Schluss: „dass sichtbare VÜ<br />

eine Verhaltensanpassung bewirkt und als Symbol dafür steht.“ 411 Es könne aufgrund der symboli-<br />

schen Wirkung nicht von der Hand gewiesen werden, „dass wahrgenommene Videoüberwachung<br />

als Verstärker wirkt, das eigene Verhalten zu kontrollieren und zu normieren.“ 412<br />

Auch langfristige psychische Folgen der Überwachung sind laut der von Psychologen be-<br />

schriebenen „Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit“ möglich. „Diese Theorie besagt,<br />

dass, wenn sich ein Mensch seiner ständigen Überwachung bewusst wird, er sich dann als Objekt wahr-<br />

n<strong>im</strong>mt und sich dementsprechend normgerecht verhält. Eine unter Beobachtung stehende Person, so vermuten<br />

Psychologen, wird insgesamt umsichtiger, furchtsamer und argwöhnischer. Die Videoüberwachung (<strong>im</strong> Dau-<br />

erbetrieb), die <strong>im</strong> Gegensatz zu gewöhnlichen polizeidienstlichen Tätigkeiten permanent und anonym durchgeführt<br />

werden kann, ist somit ein typisches Beispiel für die Gefährdung individueller Handlungsfreiheit.“ 413<br />

3.7.4 Ausgrenzung<br />

Mit Videoüberwachung werden - wie Chen-Yu Lin ausführt - exklusive Räume geschaffen.<br />

Die Überwachung führt soweit, dass es sogar zur „Sippenhaftung“ kommt: „Die exklusive<br />

Nutzung ‚sauberer’ und ‚sicherer’ Räume scheint <strong>im</strong> Sinne der Videoüberwachung nur für die normkonfor-<br />

men Bürger vorgesehen. Nachdem die auffälligen Randgruppen vertrieben wurden, geht es anschließend um<br />

die Einhaltung der vorgegebenen Regeln in dem überwachten Bereich. Wer nicht die von Überwachern be-<br />

st<strong>im</strong>mten Regeln beachtet, dem droht ebenfalls das Schicksal der Vertriebenen. (...) Demnach handelt es sich<br />

bei Videoüberwachung lediglich um eine technische Notlösung der sozialen Probleme, die meistens nicht nur<br />

die Kr<strong>im</strong>inalität, sondern auch damit verbundene gesellschaftliche Probleme verdrängt, wobei notwendige soziale<br />

Prozesse zur tatsächlichen Konfliktbeseitigung ausbleiben.“ 414<br />

411 Quelle: Helten (2005), S 170<br />

412 Quelle: Helten (2005) S 171<br />

413 Quelle: Lin, Chen-Yu: Öffentliche Videoüberwachung in den USA, Großbritannien und Deutschland - Ein<br />

Drei-Länder-Vergleich. Dissertation zur Erlangung des sozialwissenschaftlichen Doktorgrades der sozialwissenschaftlichen<br />

Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen , Göttingen 2006, S 81<br />

http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/2006/lin/lin.pdf<br />

414 Quelle: Lin (2006) S 81<br />

148


Jan Wehrhe<strong>im</strong> sieht in der Kombination räumlicher Ausschluss und Disziplinierung den<br />

Versuch, die Stadt neu zu ordnen bzw. das urbane Leben an partikularen Interessen auszu-<br />

richten: „Dies erscheint am deutlichsten in „kommerzialisierten Räumen“ wie Passagen, Einkaufszentren<br />

oder auch Business Improvement Districts (vgl. Wehrhe<strong>im</strong> 2002). Disziplinierung bedeutet auch hier die<br />

Regulation von Handeln, sie dient dem Zweck der Integration, d.h. der Partizipation unter der Bedingung<br />

der Konformität, und beinhaltet ein „Nützlichmachen“ (Cremer-Schäfer/Steinert 2000: 46). Der Nutzen<br />

besteht <strong>im</strong> Konsum. Ist Disziplinierung, also das Bewahren eines Kunden nicht möglich, dient Ausgrenzung<br />

indirekt dem Konsum: Die für die übrigen Nutzer als störend definierten Personen werden entfernt, der<br />

„feel-good-factor“ erhöht sich und führt so zu verstärktem Konsum der konformen Konsumenten. Diszipli-<br />

nierung und Verdrängung werden zwar mit moralischen Defiziten der zu Exkludierenden begründet, da sie<br />

gegen die scheinbar guten Sitten des Konsumierens und Flanierens verstoßen, aber sie folgen letztendlich ökonomischrationalen<br />

Kriterien.“ 415<br />

Im Zuge dieser Neuordnung der Stadt formieren sich auch neue formale Normen, mit de-<br />

ren Überwachung sich auch die normativen Erwartungen verändern: „Dadurch können sich<br />

neue Verhaltensstandards und somit auch neue Ordnungen etablieren. Gleichzeitig ist das Aufstellen neuer<br />

Normen zwangsläufig darauf angelegt, Abweichungen und Dysfunktionalität zu produzieren, denn ohne<br />

Normen keine Normverstöße (vgl. Bauman 1997: 118). Ausgrenzung, oder hier genauer ‚Ausschließung’<br />

(vgl. Cremer-Schäfer/Steinert 1998), ist eine weitere Funktion von CCTV, die Normabweichung dient als<br />

Legit<strong>im</strong>ation von Ausschließung. Kameras werden zur Detektion von (neuen) Normverstößen eingesetzt und<br />

deren Sanktionierung variiert mit dem Zweck, dem ein Raum dienen soll und den personellen Möglichkeiten<br />

diese auch umzusetzen.“ 416<br />

3.7.5 Veränderung des Sozialverhaltens<br />

Dass die „Maschine Videoüberwachung“ tief in das soziale Handeln hineingeht, beschreibt<br />

Christine Ketzer in ihrer Inauguraldissertation: „Die (sozial-) pädagogische Intervention geht zu-<br />

415 Quelle: Wehrhe<strong>im</strong>, Jan: Technische Konstruktion urbaner Ordnung. In: Menzel, Birgit/Ratzke, Kerstin<br />

(Hrsg.): Grenzenlose Konstruktivität? Standortbest<strong>im</strong>mung und Zukunftsperspektiven konstruktivistischer<br />

Theorien abweichenden Verhaltens. BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg 2006, S 255<br />

http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/publikationen/bisverlag/2006/mengre06/pdf/mengre06.pdf<br />

416 Quelle: Wehrhe<strong>im</strong> (2006) S 257<br />

149


ück, wenn in einem sich verändernden Strafrecht nicht mehr versucht wird, Delinquente zu reintegrieren,<br />

sondern Kr<strong>im</strong>inalität als dazugehörend akzeptiert wird und – wie de Marinis es formulierte – In- und Out-<br />

Zonen geschaffen werden, in denen best<strong>im</strong>mte Dinge geduldet oder eben nicht geduldet werden. Es besteht<br />

weder die wirtschaftliche Notwendigkeit noch der moralische Druck, die Ausgeschlossenen wieder in die Ge-<br />

sellschaft zu integrieren (...). Sie fallen schlicht aus der Gesellschaft heraus, denn technische Kontroll- und<br />

Überwachungssysteme können hier in Verbindung mit Computertechnologie vermeintlich Konformität, Sicherheit<br />

und Ordnung herstellen.“ 417<br />

Sie führt in dieser Arbeit aus, dass die Überwachungstechnik (z.B. Ortungssysteme über das<br />

Handy etc.) bereits dermaßen in die Gesellschaft eingeschrieben ist, dass sie bis in die Er-<br />

ziehung der Kinder hineinwirkt: „Der durch diese Systeme entstehende Konformitätsdruck ist nicht<br />

mehr moralisch legit<strong>im</strong>iert, sondern schlicht wird über das Vorhandensein technischer Kontrollsysteme ver-<br />

mittelt. (...) Die Kontrolle legit<strong>im</strong>ierte sich z.B. <strong>im</strong> Ansatz der Kontrollgesellschaft nicht mehr über die Mo-<br />

ral, sondern über die Sicherheit, ein Trend, der sich <strong>im</strong> familiären Umfeld ebenso wie in anderen gesellschaft-<br />

lichen Bereichen zeigt. Die technischen Kontrollsysteme ermöglichen nicht nur diese andere Art der Kontrolle,<br />

sie setzen vielmehr Erziehungswerte, indem sie als neuer Erziehungsmaßstab fungieren und die totale Kontrolle<br />

propagieren.“ 418<br />

Zunehmend wird versucht, soziale Probleme <strong>mittels</strong> (Überwachungs)technik, sowie fal-<br />

schen Erwartungen und Versprechen zu lösen: „Hier muss die Pädagogik aufmerksam sein, dass<br />

Erziehung nicht unter dem Vorzeichen der technischen Möglichkeiten neu definiert wird, da solche Systeme<br />

quasi das angestammte Wirkfeld der Pädagogik umformulieren und per Technik wegrationalisieren. Das<br />

heißt, nicht nur die Folgen einer technisch organisierten Kontrolle stellen ein Problem dar, sondern bereits die<br />

<strong>im</strong> Vorfeld ihrer Implementierung geweckten Erwartungen, die nämlich eine „schöne, heile Welt“ ohne Kon-<br />

flikte suggerieren. Wichtig wäre es an dieser Stelle, die Grenzen der Technik klar aufzuzeigen und zu ver-<br />

deutlichen, dass zwischenmenschliche und soziale Probleme sich nie durch Technik bewältigen lassen, sondern<br />

417 Quelle: Ketzer, Christine: Securitas ex Machina. Von der Bedeutung technischer Kontroll- und Überwachungssysteme<br />

für Gesellschaft und Pädagogik, Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der<br />

Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Köln 2005, S 180<br />

http://deposit.ddb.de/cgibin/dokserv?idn=982095422&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=982095422.pdf<br />

418 Quelle: Ketzer (2005), S 186<br />

150


diese sie nur verschieben und verlagern kann.“ 419<br />

3.7.6 Stadt als unsicherer (und geteilter) Ort<br />

Videoüberwachung und das neue Sicherheitsparadigma können die Einstellung gegenüber<br />

Städten, langfristig baulich-räumliche Strukturen und die Nutzung der Stadträume verän-<br />

dern: „Städte könnten zunehmend als unsichere Orte wahrgenommen werden. Damit würde einer neuen<br />

‚Stadtfeindlichkeit’ Vorschub geleistet. Grundsätzlich sind Städte vergleichsweise „unübersichtliche Orte“<br />

und könnten damit unter den Generalverdacht geraten, Versteck für alle möglichen Formen von Sicherheits-<br />

bedrohung zu sein (...) Folgt <strong>im</strong> Zeitalter der Informations- und Kommunikationstechnik der Festungsmauer<br />

das elektronische Portal?” 420<br />

Die Stadträume würden folglich nach ihrem Sicherheitsstatus unterschiedlich bewertet und<br />

damit in sichere und unsichere Räume polarisiert werden können, die von unerwünschter<br />

Nachbarschaft gekennzeichnet sein könnten und von Sicherheitszonen voneinander ge-<br />

trennt werden. „In den Großstädten entstünde ein Inselsystem von sich überlagernden Milieus (die ortsge-<br />

bundenen Armutsmilieus, die Arbeits-, Freizeit- und Wohnorte der Lebensstilgruppen und das Milieu in-<br />

ternational orientierter, hoch qualifizierter Arbeitskräfte), die bestrebt sind, sich mit tiefer gehender sozialer<br />

Spaltung kontrolliert von einander abzugrenzen. „Sicherheitszonen“ um „gefährdete Einrichtungen“ könn-<br />

ten entstehen, die über das bisher gekannte Maß hinausgehen, z. B. auch Wohngebäude betreffen. Je nach<br />

gewünschtem Sicherheitsstatus könnten temporär begrenzbare Zugangsbeschränkungen für best<strong>im</strong>mte Stadt-<br />

bereiche ausgesprochen und technisch überwacht werden. (...) Öffentliche Räume würden ihren Charakter<br />

durch zunehmende technische Überwachung verändern − bis hin zum Verlust von <strong>öffentlichen</strong> Räumen und<br />

zur Vermischung von <strong>öffentlichen</strong> und privaten Räumen. Befürchtet wird beispielsweise, dass öffentliche<br />

Räume ‚zu privatrechtlich sanktionierten Enklaven des gehobenen Konsums’ werden“ 421<br />

Als letzte Konsequenz – so Floeting – könnte das subjektive Sicherheitsgefühl die mensch-<br />

419 Quelle: Ketzer (2005), S 188 ff<br />

420 Quelle: Floeting, Holger: Sicherheitstechnologien und neue urbane Sicherheitsreg<strong>im</strong>es. Ita manu:script, Österreichische<br />

Akademie der Wissenschaften, Wien 2006, S 18<br />

http://epub.oeaw.ac.at/ita/ita-manuscript/ita_06_05.pdf<br />

421 Quelle: Floeting (2006), S 20<br />

151


lichen Aktivitäten weg von der realen Stadt hin zu virtuellen Aktivitäten verlagern.<br />

Schlussendlich stellt sich die Frage: „wie Städte aussehen, die bei sinkenden finanziellen Mitteln zu-<br />

nehmende Anteile für Sicherheitsinfrastrukturen investieren müssen oder wollen. Die Gefahr besteht, dass<br />

sich die baulichen, technischen und regulatorischen Sicherheitsmaßnahmen in den Städten als wirksam gegen<br />

Bedrohungen erweisen und dennoch dafür sorgen, dass urbane Lebensräume zerstört und städtisches Leben<br />

behindert wird − und damit letztlich ein Ziel des Terrors gegen Städte erreicht wird. 422<br />

422 Quelle: Floeting (2006), S 21<br />

152


3.8 Situation in Österreich<br />

3.8.1 Rechtliche Situation<br />

In Österreich bilden neben den internationalen Best<strong>im</strong>mungen zwei Grundlagen die rechtli-<br />

che Situation für die Videoüberwachung. Einerseits regelt das Datenschutzgesetz 2000 die<br />

Videoüberwachung für Private (gleichgestellt sind auch öffentliche Bereiche, die Aufgaben<br />

der Privatwirtschaft ausüben). Andererseits ist für Behörden die Videoüberwachung durch<br />

das Sicherheitspolizeigesetz geregelt.<br />

Jede private Videoüberwachung, die digitale Daten aufzeichnet (und die über rein private<br />

Zwecke hinausgeht – also z.B. strafrechtlich relevante Daten aufzeichnen will), ist dem Da-<br />

tenverarbeitungsregister (DVR) bei der Datenschutzkommission zu melden. Die Anlage<br />

darf grundsätzlich erst dann in Betrieb genommen werden, wenn die Registrierung <strong>im</strong> DVR<br />

erfolgte. Private dürfen grundsätzlich nicht <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Bereich videoüberwachen, sondern<br />

nur dort, „wo das Bestehen bzw. der Schutz eines „Hausrechts <strong>im</strong> weiteren Sinn“ denkbar ist.“ 423<br />

Wer eine Anlage in Betrieb n<strong>im</strong>mt (oder bereits in Betrieb hat) und dieser Meldepflicht<br />

nicht nachkommt, begeht eine Verwaltungsübertretung und kann mit einer Geldstrafe von<br />

bis zu € 9.445,-- belegt werden.<br />

Gegen nicht bewilligte Anlagen kann man <strong>mittels</strong> Eingabe nach § 30 DSG 2000 bei der<br />

DSK Beschwerde führen. „Diese wird den Fall prüfen, und sich um die Beseitigung rechtswidriger Zu-<br />

stände bemühen, wobei sie allerdings die Einstellung einer privaten Videoüberwachung nicht erzwingen<br />

kann. Dazu wäre eine Klage bei Gericht auf Unterlassung erforderlich.“ 424<br />

Ob eine Anlage <strong>im</strong> Datenverarbeitungsregister gemeldet ist oder nicht, kann man bei der<br />

Datenschutzkommission – bei Glaubhaftmachung, dass man Betroffene/r der jeweiligen<br />

Überwachung ist und der Auskunft keine überwiegende schutzwürdige Gehe<strong>im</strong>haltungsin-<br />

teressen des Auftraggebers oder anderer Personen entgegenstehen - kostenlos erkunden.<br />

423 Datenschutzkommission (2007)<br />

424 Quelle: Datenschutzkommission: Videoüberwachung <strong>im</strong> privaten Bereich. Wien o.J.<br />

http://www.dsk.gv.at/faq_de/faqd_video_allgemein.htm<br />

153


Grundsätzlich ist auch die Datenschutzkommission mit der derzeitigen Rechtslage unzu-<br />

frieden: „Mangels einschlägiger detaillierter gesetzlicher Regelungen war es notwendig, Leitlinien für die<br />

Registrierung von Videoüberwachungsmeldungen zu entwickeln, um dem DVR Anhaltspunkte dafür zu<br />

geben, wann es registrieren darf und wann ein ablehnender Bescheid für die Beschlussfassung durch das Kol-<br />

legium der DSK vorzubereiten ist“. 425 Die DSK artikuliert daher <strong>im</strong> Datenschutzbericht 2007 ihr<br />

dringendes Bedürfnis nach einer näheren gesetzlichen Regelung <strong>im</strong> Zusammenhang mit den<br />

Meldungen an das DVR „hinsichtlich der Zulässigkeit der Durchführung von Videoüberwachung für<br />

nichtbehördliche (‚private’) Zwecke. (...) Im Spannungsverhältnis zwischen der Privatautonomie, die den<br />

Schutz der eigenen Sicherheit z.B. vor Einbruch oder Sachbeschädigung durch Videoüberwachung, als<br />

selbstverständlich zulässig postuliert, und den Datenschutzinteressen von gefilmten Personen muss ein<br />

Gleichgewicht geschaffen werden. Dabei ist angesichts der Allgemeinheit der zugrunde liegenden geltenden<br />

Regelungen ein so großer Interpretationsspiel<strong>raum</strong> gegeben, dass die Vollziehung mangels ausdrücklicher<br />

gesetzlicher Regelungen überfordert erscheint. Die DSK hofft daher, dass das <strong>im</strong> Regierungsprogramm in<br />

Aussicht gestellte Gesetz über die Videoüberwachung bald vorliegen wird.“ 426<br />

Die Videoüberwachung für behördliche Zwecke ist gesetzlicher eindeutiger geregelt. Sie<br />

bedarf laut Datenschutzgesetz einer besonderen Grundlage. Die Best<strong>im</strong>mungen sind <strong>im</strong><br />

Sicherheitspolizei (vgl. § 54 Abs. 6 und 7 SPG) geregelt. Die Sicherheitsbehörden dürfen die<br />

Videoüberwachung nur an „<strong>öffentlichen</strong> Orten“ betreiben, also an Orten, die von einem<br />

nicht von vornherein best<strong>im</strong>mten Personenkreis betreten werden können (§ 27 Abs. 2<br />

SPG).<br />

In Österreich begann man sich <strong>im</strong> Innenministerium – motiviert durch die bundesdeutsche<br />

Entwicklung und Beispiele in Großbritannien - gegen Ende 2002 intensiver mit dem Thema<br />

Videoüberwachung zu beschäftigten, <strong>mittels</strong> Öffentlichkeitsarbeit die öffentliche Meinung<br />

aufzubereiten und in einer Arbeitsgruppe über gesetzliche Änderungen nachzudenken. Die<br />

Bemühungen wurden nach dem Madrider Bombenanschlag 2004 intensiviert. 427<br />

425<br />

Quelle: Datenschutzkommission (2007), S 61<br />

426<br />

Quelle: Datenschutzkommission (2007), S 47<br />

427<br />

vgl. Kunnert, Gerhard: Big Brother in U-Bahn, Bus und B<strong>im</strong>. Videoaufzeichnungen in <strong>öffentlichen</strong> Ver-<br />

154


Die Gesetzgebung zur polizeilichen Videoüberwachung in Österreich dürfte sich grundsätz-<br />

lich sehr an den „positiven“ Erfahrungen in Großbritannien und Deutschland einerseits, als<br />

an der Terrorbekämpfung (nach New York 2001 und Madrid 2004) orientieren, wie das<br />

Symposium des Bundesministerium für Inneres „Videoüberwachung zu <strong>sicherheit</strong>s- und<br />

kr<strong>im</strong>inalpolizeilichen Zwecken“ am 23. Juni 2004 wiederholt dokumentiert. Für diese Ver-<br />

anstaltung – bei der u.a. hochrangige Polizeibeamte aus Deutschland über die Erfolge der<br />

Videoüberwachung aufgrund interner Bewertungen berichten, gab der Präsident des Kura-<br />

toriums Sicheres Österreich - Michael Sika - <strong>im</strong> Eröffnungsstatement auch gleich die Stoß-<br />

richtung vor: „Es kann daher das Motto nur lauten: ein Ja zur Schaffung der rechtlichen Grundlage für<br />

die Videoüberwachung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum durch die Polizei zum Zweck der Erhöhung der Sicherheit der<br />

Menschen.“ 428 Sowohl <strong>im</strong> Zuge der Novelle des Sicherheitspolizeigesetztes 2005 (Schaffung<br />

sogenannter „gefährlicher Orte“ - die wesentliche Grundlage für folgende Überwachungs-<br />

anlagen bildet - durch Ergänzung § 54 durch Absatz 6 429 )als auch jener des Jahres 2006<br />

(Verwendung von Datenmaterial Dritter 430 ) wurden die Best<strong>im</strong>mungen betreffend Befug-<br />

nisse zur Videoüberwachung erweitert.<br />

Diese - vom Sicherheitsapparat gewünschte - gesetzliche Entwicklung löst bei Juristen Un-<br />

behagen aus. Bei der Herbsttagung der Österreichischen Juristenkommission zur „Sicher-<br />

heit <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum“ wird die zunehmende Überwachung durchwegs kritisch disku-<br />

tiert. Der Rechtsprofessor Christian Funk diagnostiziert aufgrund des gesetzlichen Flick-<br />

werks und Unschärfen „ein rechtsstaatliches Untermaß, das die Entwicklung eines Eingriffs-<br />

Übermaßes begünstigt. Ein Placebo scheinbarer rechtlicher Schrankensetzung, das dem Dammbruch zum<br />

kehrsmitteln aus datenschutzrechtlicher Sicht, In: Juridikum 2006/1. Der gläserne Mensch. Verlag Österreich,<br />

Wien 2006, S 43<br />

http://www.verlagoesterreich.at/pdf/voe/magazine/juridikum/200601/09.pdf<br />

428<br />

Quelle: Sika, Michael: Sicherheit hat Vorrang. In: Bundesministerium für Inneres (Hrsg): Videoüberwachung zu<br />

<strong>sicherheit</strong>s- und kr<strong>im</strong>inalpolizeilichen Zwecken. Schriftenreihe BM.I. – Band 3, BMI-KSÖ-Enquete: 23. Juni<br />

2004. Neuer wissenschaftlicher Verlag, Wien - Graz 2004, S 7<br />

429<br />

vgl. Republik Österreich: Bundesgesetzblatt, 151. Bundesgesetz: SPG-Novelle 2005<br />

http://ris1.bka.gv.at/authentic/findbgbl.aspx?name=entwurf&format=html&docid=COO_2026_100_2_137<br />

404<br />

430<br />

Quelle: Brünner, Christian: Sicherheitspolizeigesetz (SPG) – Novelle 2006, Graz o.J.<br />

www.uni-graz.at/~bruenn/vo-vw-verfahren-2h/zusammenfassung-novelle-spg-06.doc<br />

155


Überwachungsstaat Vorschub leistet“ 431<br />

3.8.2 Ausmaß der Videoüberwachung<br />

Seit mit Anfang 2005 die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Räume erlaubt ist,<br />

wurden bis Anfang Jänner 2008 folgende 16 öffentliche Plätze mit Überwachungssystemen<br />

(nach § 54 Abs. 6 SPG) ausgestattet 432 :<br />

Wien: Karlsplatz/Kärntnertorpassage; sowie Schwedenplatz und Westbahnhof; Schwechat:<br />

Flughafen; Wiener Neustadt; Vösendorf – Shopping City Süd (Parkplatz); St. Pölten (vorü-<br />

bergehend); Linz: Altstadt und Hinsenkampplatz; Klagenfurt: Pfarrplatz, Villach Lederer-<br />

gasse, Graz Jakominiplatz und Hauptbahnhof; Salzburg Stadt: Rudolfskai und Südtiroler<br />

Platz; Innsbruck: Rapoldipark.<br />

Darüber hinaus gibt es mit 2007 300 gemeldete Videoanlagen 433 und eine beachtliche An-<br />

zahl von illegalen (also nicht gemeldeten Kameras), deren Anzahl nur geschätzt werden<br />

kann. Die Schätzungen reichen dabei von 100.000 434 über 200.000 435 bis zu 250.000 436 Ü-<br />

berwachungsanlagen. Allein in Linz wird die Anzahl der Kameras auf etwa 5000 ge-<br />

schätzt 437 .<br />

431<br />

Quelle: Funk, Bernd-Christian: Schutzzonen und Bildaufzeichnung - Sicherheits-Placebo oder Dammbruch<br />

zum Überwachungsstaat?. In: Österreichische Juristenkommission (Hrsg.): Sicherheit <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum. Neuer<br />

Wissenschaftlicher Verlag, Wien-Graz 2006, S 20<br />

432<br />

vgl. Platter, Günter: Anfragebeantwortung an die Präsidentin des Nationalrates Barbara Prammer. GZ:<br />

BMI-LR2220/0911-II/2/a/2008, Wien 07.03.2008,<br />

http://www.parlinkom.at/PG/DE/XXIII/AB/AB_03124/<strong>im</strong>fname_102913.pdf<br />

433<br />

Quelle: Datenschutzkommission (2007), S 61<br />

434<br />

vgl. Soklov, Daniel: Videoüberwachung in Österreich kommt mit Salamitaktik. In: heise online, Hannover<br />

13.04.2007<br />

http://www.heise.de/newsticker/Videoueberwachung-in-Oesterreich-kommt-mit-Salamitaktik--<br />

/meldung/88186<br />

435<br />

vgl. Wetz, Andreas: "Boom bei Spionagekameras". Die Presse, Wien 19.10.2007<br />

http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/338173/index.do<br />

436<br />

vgl. Steinhauser, Albert/Abg. z. NR: Entschließungsantrag. Parlamentarische Materialien, 528/A(E)<br />

XXIII.GP, Wien 06.12.2007<br />

http://www.parlament.gv.at/PG/DE/XXIII/A/A_00528/<strong>im</strong>fname_094165.pdf<br />

437<br />

vgl. 5000 Kameras überwachen Linz. In: Oberösterreichische Nachrichten, Linz 18.03.2006,<br />

156


3.8.3 Wirkungsevaluationen in Österreich<br />

In Österreich geht man davon aus, dass Videoüberwachung funktioniert, große Erfolge er-<br />

zielt und keinerlei Nachteile mit sich bringt. Es werden zwar interne Daten veröffentlicht,<br />

eine wirklich fundierte (wissenschaftliche) Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der<br />

Videoüberwachung erfolgt aber offensichtlich nicht. Trotz bemühter Recherchen wurde mir<br />

keine aussagekräftige Evaluation bekannt, auch die ARGE Daten hat über keinerlei aussa-<br />

gekräftige Evaluation Kenntnis 438 . Darüber hinaus zeigen sich die entsprechenden Stellen<br />

generell wenig auskunftsfreudig und stellen nur sehr grobe, nicht differenzierte oder aufge-<br />

schlüsselte Zahlen zur Verfügung. Je nach Anlass werden Zahlen kommuniziert, die auf an-<br />

derer Seite als nicht erhoben dargestellt werden bzw. werden Daten genannt, die sich an<br />

anderer Stelle als nicht nachvollziehbar erweisen. Effekte auf das Sicherheitsgefühl oder<br />

mögliche Verdrängungseffekte finden keinerlei Rücksichtnahme in österreichischen Evalua-<br />

tionsbemühungen. Kurz gesagt: Die österreichischen Behörden sind sich offensichtlich un-<br />

reflektiert sicher, dass Videoüberwachung ohnehin funktioniert.<br />

Selbst nachfragende Politiker bekommen nur dürre und häufig nichtssagende Informatio-<br />

nen.<br />

Im Zuge der Diskussion über die Videoüberwachung in der Linzer Altstadt wandte sich<br />

der Linzer Stadtrat Johann Mayr am 19. August 2005 439 an die Innenministerin und wollte<br />

wissen, welche Ergebnisse von der Videoüberwachung erwartet werden. Fragen wie „In wel-<br />

chen Deliktsgruppen erwartet das Innenministerium welche Veränderung? ... Welche Evaluierungsmethode<br />

wird gewählt? Welche Kontrollgebiete <strong>im</strong> Sinne von Kontrollgruppen einer wissenschaftlichen Überprüfung<br />

werden gewählt? Welchen internationalen wissenschaftlichen Mindestnormen bei der Evaluierung unterwirft<br />

sich das Ministerium bei der Erfolgskontrolle? ... Welche begleitenden Maßnahmen plant das Bundesminis-<br />

terium für Inneres? ... Wird bei der Evaluierung darauf geachtet, dass die Wirkungen der einzelnen Maß-<br />

http://www.nachrichten.at/archiv?query=shlyc:client/ooen/ooen/textarch/j2006/q1/m03/t18/ph/s001/002_001.dcs&ausgabe=H:Hauptausgabe&d<br />

atum=18.03.2006&seite=001&set=21&PHPSESSID=381081b330fc082e30e5d6de6ca33e9d<br />

438 Telefonische Anfrage des Verfassers bei der Arge Daten am 22.02.2008<br />

439<br />

vgl. Mayr, Johann, Stadtrat: Schreiben an Bundesministerin Liese Prokop betreffend Auskunft über Videoüberwachung<br />

in Linz, 19. August 2005<br />

157


nahmen korrekt auseinander gehalten werden, um Fehlschlüsse bei der Maßnahmenerfolgskontrolle zu ver-<br />

meiden.“ 440 prägen dieses 3-seitige Schreiben, deren Beantwortung sicherlich einen genaueren<br />

Blick auf die Möglichkeiten dieser Maßnahme ermöglicht hätte.<br />

Im Antwortschreiben durch Mag. Peter Webinger am 6. September 2005 hält sich das In-<br />

nenministerium kurz: Neben dem Hinweis auf das geltende Sicherheitspolizeigesetz und<br />

dem Hinweis auf einen flankierenden Streifendienst werden die Fragen zur Evaluation<br />

kaum einmal gestreift: „ Jeder Videoüberwachung geht nicht nur eine profunde Analyse insbesondere in<br />

puncto Quantität und Qualität der Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung bzw. zu verzeichnende gefährliche Angriffe <strong>im</strong><br />

Sinne des SPG, sondern auch eine Verhältnismäßigkeitsabwägung dahingehend voran, ob der intendierte<br />

Zweck nicht auch durch alternative polizeiliche Maßnahmen, wie z.B. Verstärkung des Überwachungs- und<br />

Streifendienstes und Schwerpunktaktionen, erreicht werden kann. Wird eine Videoüberwachung durchgeführt,<br />

so werden die Effekte begleitend beobachtet und durch Analyseexperten ausgewertet.“ 441<br />

Am 14. März 2006 wurden die 4 Kameras in der Linzer Altstadt durch die Innenministerin<br />

Prokop persönlich in Betrieb genommen. 442 In den Medien wurde diese Inbetriebnahme<br />

mit dem Verweis auf die Erfolge der Videoüberwachung in der Shopping City Süd kom-<br />

mentiert: Lt. ORF konnte dort ein Rückgang der Straftaten um 70 % verzeichnet werden 443 ,<br />

die Oberösterreichischen Nachrichten berichten von minus 70 % bei den PKW-<br />

Einbrüchen 444 .<br />

Bereits <strong>im</strong> Juli nach der Inbetriebnahme kolportierten die Sicherheitsbehörden beieindru-<br />

ckende Erfolge der Sicherheitsmaßnahmen in den Medien: Nach 223 Körperverletzungen<br />

440 Quelle: Mayr (2005)<br />

441<br />

Quelle: Webinger, Peter: Antwortschreiben an Mayr Johann. Bundesministerium für Inneres. Kabinett der<br />

Bundesministerin. GZ 36005/27-KBM/05. Wien 06. 09 2005<br />

442<br />

vgl. Novak, Sabine (2006a): Videokameras in Linzer Altstadt erst mit Verzögerung in Betrieb. In: Oberösterreichische<br />

Nachrichten, Linz 15.03.06,<br />

http://www.nachrichten.at/archiv?query=shlyc:client/ooen/ooen/textarch/j2006/q1/m03/t15/ph/s025/001_001.dcs&ausgabe=H:Hauptausgabe&d<br />

atum=15.03.2006&seite=025&set=21<br />

443<br />

vgl. Videoüberwachung in Linz startet. In: ORF online, Linz 14.03.2006,<br />

http://ooe.orf.at/stories/95528/<br />

444 vgl. Novak (2006a)<br />

158


2005 waren bis Juli 2006 erst 60 aktenkundig. Es wurden 45 % weniger Anzeigen wegen<br />

Suchtgiftdelikten erstattet. Es gab nur ein „ein halbes Duzend große Raufereien, um die<br />

Hälfte weniger als 2005“ und 15 Straftaten wurden von den Kameras aufgezeichnet. Ob<br />

nun die beiden ersten Halbjahre verglichen wurden, oder ob das Halbjahr 2006 mit dem<br />

ganzen Jahr 2005 verglichen wurde, geht aus dem Artikel nicht hervor. Der zitierte Polizei-<br />

jurist Erwin Fuchs bringt diese Zahlen allerdings mit den generell verstärkten Sicherheits-<br />

bemühungen – vermehrte Streifentätigkeit und Sperrstunden-Überprüfungen mit Mitarbei-<br />

tern des Magistrats in Verbindung. 445 Nicht einmal ein Jahr später sieht die Sache in der<br />

medialen Darstellung schon anders aus: „Im Vorjahr ist die Zahl der Körperverletzungen <strong>im</strong> Linzer<br />

Bermudadreieck um 44 Prozent gesunken. Bei der Linzer Polizei führt man das allein auf die vier Video-<br />

kameras zurück, die rund 80 Prozent der Altstadt überblicken und 24 Stunden lang durchgehend alles<br />

aufzeichnen.“ 446 Weder der Streifendienst, noch die <strong>im</strong> August 2006 eingeführte neue Sperr-<br />

stundenregelung (Sperrstunde um 4 Uhr) spielen demnach mehr eine Rolle.<br />

Unmittelbar als Erfolg der Videoüberwachung kommuniziert wird ein Sinken der angezeig-<br />

ten Straftaten in der Altstadt um 40 % (Zeit<strong>raum</strong> Jänner bis Juli 2006 <strong>im</strong> Vergleich zum<br />

Vorjahr) auch bereits in einer Aussendung der Polizei Anfang September anlässlich der Er-<br />

öffnung der Videoüberwachungsanlage am Linzer Hinsenkampplatz am 30. August 2006<br />

durch die Innenministerin. 447<br />

Im September 2006 stellt der Parlamentsabgeordnete Johann Maier eine Anfrage an die<br />

Bundesministerin, in der er unter anderem wissen will:<br />

445<br />

vgl. Novak, Sabine (2006b): Nur noch halb so viele Rauferein in Altstadt. In: Oberösterreichische Nachrichten,<br />

Linz 27.07.2006<br />

http://www.nachrichten.at/archiv?query=shlyc:client/ooen/ooen/textarch/j2006/q3/m07/t27/ph/s024/001_001.dcs&ausgabe=H:Hauptausgabe&d<br />

atum=27.07.2006&seite=024&set=5&PHPSESSID=d79e54d362def8b0b5dee8d786dd6317<br />

446<br />

vgl. Videokameras schrecken ab. In: Oberösterreichische Nachrichten, Linz 21.05.2007,<br />

http://www.nachrichten.at/archiv?query=shlyc:client/ooen/ooen/textarch/j2007/q2/m05/t21/ph/s021/001_001.dcs&ausgabe=H:Hauptausgabe&d<br />

atum=21.05.2007&seite=021&set=2<br />

447<br />

vgl. Landespolizeikommando Oberösterreich: Videoüberwachung Linz Hinsenkampplatz in Betrieb, Presseaussendung<br />

vom 4. September 2006<br />

http://www.bundespolizei.gv.at/lpdreader/lpd_news_standard.aspx?id=65546B4471364B2B4C486B3D&inc<br />

=ooe<br />

159


„Wie viele personenbezogene Bilddaten wurden von den Sicherheitsbehörden bislang verwendet, die Rechts-<br />

träger des <strong>öffentlichen</strong> oder privaten Bereiches <strong>mittels</strong> Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten<br />

rechtsmäßig ermittelt und den Sicherheitsbehörden bis zum Stichtag 30.09.2006 übermittelt haben (Auf-<br />

schlüsselung auf Bundesländer)? (...)<br />

Welche konkreten kr<strong>im</strong>inalpolizeilichen Erfolge sind durch den Einsatz von genehmigten Videokameras<br />

bzw. Videoüberwachungssystemen in den überwachten Gebieten, Örtlichkeiten, Gebäuden oder Straßen in<br />

den Jahren 2005 und 2006 belegbar (ersuche um Darstellung der Erfolge)?<br />

In welchen genehmigten videoüberwachten Gebieten, Örtlichkeiten, Gebäuden bzw. Straßen gab es in diesem<br />

Zeit<strong>raum</strong> dadurch einen nachweisbaren Rückgang von Straftaten (präventive Wirkung) (ersuche um detail-<br />

lierte Darstellung)?<br />

Können Sie ausschließen, dass sich die Straftaten durch die Videoüberwachung lediglich an andere Orte, die<br />

noch nicht überwacht werden, verlagert haben? (...)<br />

Welche sonstigen Nachteile sind durch die Videoüberwachung von Gebieten, Örtlichkeiten, Gebäuden oder<br />

Straßen aufgetreten?“ 448<br />

Die Innenministerin gibt sich in der Beantwortung kurz angebunden: Zu den ermittelten<br />

Personen aufgrund von Videoüberwachung wird festgehalten, dass von den Sicherheitsbe-<br />

hörden keine statistischen Aufzeichnungen geführt werden und eine Erfassung <strong>im</strong> Nachhi-<br />

nein zu teuer wäre.<br />

Zu der angefragten Evaluation gibt es überhaupt nur wenig brauchbare Daten: „Im Bezug auf<br />

konkrete polizeiliche Erfolge werden keine gesonderten statistischen Aufzeichnungen geführt, da dies in kei-<br />

ner Relation zum administrativen Aufwand stehen würde. Ergänzend darf jedoch darauf hingewiesen wer-<br />

den, dass es zu einem ausgesprochen starken Rückgang der bekannt gewordenen Straftaten an folgenden<br />

Kr<strong>im</strong>inalitätsbrennpunkten gekommen ist (verglichen wurde jeweils der entsprechende Zeit<strong>raum</strong> vor und nach<br />

der Aktivierung der Videoüberwachung) 449 :<br />

448<br />

Quelle: Maier, Johann (Abg. z. NR): Anfrage an die Bundesministerin für Inneres betreffend „Videoüberwachung<br />

in Österreich“. Parlamentarische Materialien 4727/J XXII. GP, Wien 19.09.2006,<br />

http://www.parlinkom.gv.at/PG/DE/XXII/J/J_04727/<strong>im</strong>fname_069890.pdf<br />

449<br />

Quelle: Prokop, Liese: Anfragebeantwortung an die Präsidentin des Nationalrates. GZ: BMI-LR2220/0321-<br />

II/2/a/2006, Wien 16.11.2006, S 2 ff<br />

160


Tabelle 15: Veränderung der Gesamtkr<strong>im</strong>inalität bei Videoüberwachung 450<br />

Auch die Frage zu möglichen Verdrängungseffekten wird eher salopp beantwortet: Es kann<br />

nicht ausgeschlossen werden, dass ein best<strong>im</strong>mter Teil der Kr<strong>im</strong>inalität an videoüberwachten Örtlichkeiten<br />

verdrängt wird. Erfahrungen in anderen europäischen Staaten, die bereits länger mit dem Instrument Vi-<br />

deoüberwachung arbeiten, zeigen, dass es durch den Einsatz der Videoüberwachung einerseits mittelfristig zu<br />

einem realen Rückgang der Deliktshäufigkeit kommt. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewie-<br />

sen, dass die bloße Verdrängung von best<strong>im</strong>mten Kr<strong>im</strong>inalitätsformen aber durchaus ebenfalls ein strategi-<br />

sches Ziel der Videoüberwachung sein kann. Dies in erster Linie dann, wenn es gilt, eine Drogenszene von<br />

einer Jugendszene abzudrängen. 451<br />

Darüber hinaus wird festgehalten, dass bezüglich der Videoüberwachung keine Nachteile<br />

bekannt sind.<br />

Im Jänner 2008 wiederholt Johann Meier seine 2006 gestellten Anfragen, um die Daten für<br />

http://www.parlinkom.gv.at/PG/DE/XXII/AB/AB_04659/<strong>im</strong>fname_070617.pdf<br />

450 Quelle: Prokop (2006), S 3<br />

451 Quelle: Prokop (2006), S 3<br />

161


das Jahr 2007 zu erhalten. 452<br />

Die Beantwortung durch Innenminister Platter fällt ähnlich oberflächlich aus wie in der Be-<br />

antwortung 2006: Bezüglich ermittelter Personen durch die Videoüberwachung werden<br />

noch <strong>im</strong>mer keine statistischen Aufzeichnungen geführt und „Im Bezug auf konkrete polizeiliche<br />

Erfolge, werden in der II/BK/Abteilung 4 keine gesonderten statistischen Aufzeichnungen geführt, da dies<br />

in keiner Relation zum administrativen Aufwand stehen würde.“ 453<br />

Die großen Erfolge in der Prävention werden durch 4 Beispiele (siehe folgende Tabelle)<br />

belegt und zusammenfassend kommentiert: „Aufgrund der Rückgänge in den angeführten Berei-<br />

chen, ist aus analytischer Sicht der Schluss zulässig, dass die Videoüberwachungen auch präventiv eine<br />

nachhaltige Wirkung zeigen.“ 454<br />

Tabelle 16: Veränderung der Gesamtkr<strong>im</strong>inalität bei Videoüberwachung 455<br />

Der starke Rückgang <strong>im</strong> Jahr 2007 gegenüber dem Jahr 2006 wird mit einer detaillierteren<br />

Datenerfassung- Abfrage und Auswertungsmethodik erläutert, mit der nun der videoüber-<br />

wachte Bereich präziser ausgewertet werden kann.<br />

Die Fragen nach möglichen Verdrängungseffekten bzw. möglichen Nachteilen durch die<br />

Videoüberwachung werden wortgleich mit der Anfragebeantwortung 2006 beantwortet.<br />

452 vgl. Maier, Johann (Abg. z. NR): Anfrage an den Bundesminister für Inneres betreffend „Videoüberwachung<br />

in Österreich“. Parlamentarische Materialien 3108/J XXIII. GP, Wien 10.01.2008<br />

http://www.parlinkom.gv.at/PG/DE/XXIII/J/J_03108/<strong>im</strong>fname_097431.pdf<br />

453 Quelle: Platter (2008), S 8<br />

454 Quelle: Platter (2008), S 9<br />

455 Quelle: Platter (2008), S 8 ff<br />

162


Genaueres zu ermittelten Tatverdächtigen weiß aber der ORF zu berichten. Dieser berichtet<br />

am 24.10.2007 von 82 Fahndungserfolgen in der Linzer Altstadt, wo die Kameras die rele-<br />

vanten Hinweis-Bilder zum Täter geliefert haben sollen. 456 Bei Kenntnis der Beantwortung<br />

durch den Innenminister stellt sich hierbei natürlich die Frage, ob nicht hinter dem Rücken<br />

des Ministeriums kostenintensive Aufzeichnungen geführt werden.<br />

Kritik an der herrschenden Überwachungspraxis gibt es in Österreich von seiten der Daten-<br />

schützer.<br />

So besorgte sich die ARGE Daten die Deliktzahlen für SCS und den Schwedenplatz. Sie<br />

bestätigte zwar den Rückgang der gesamten Delikte bei der SCS (115 Delikte <strong>im</strong> Jahr [März<br />

2004 bis Februar 2005] vor der Überwachung, <strong>im</strong> Folgejahr mit Überwachung 60 Delikte),<br />

stellt aber fest, dass aber Sachbeschädigung während der Überwachung um 60 % (von 10<br />

auf 16 Fälle) gestiegen sein. Bei Untersuchung der Halbjahreswerte stieß die ARGE auf in-<br />

teressante Details: „Waren in der ersten Jahreshälfte ohne Videoüberwachung 68 Diebstahlsdelikte zu<br />

verzeichnen (03-08/04), sank diese <strong>im</strong> ersten Jahreshälfte mit Videoüberwachung auf 14 Delikte, also ein<br />

Minus von 80%. Offenbar zeigte sich die präventive Wirkung von Videoüberwachung. Die Wirkung war<br />

jedoch nur von kurzer Dauer. Im darauffolgenden Halbjahr mit Videoüberwachung stiegen die Delikte<br />

wieder um 35 % (auf 19 Delikte) an. Interessant aber auch der Halbjahresvergleich <strong>im</strong> Jahr vor der Vi-<br />

deoüberwachung. Hier gingen die Delikte von 68 Diebstählen (1. HJ) auf 34 (2. HJ) zurück, also satte<br />

50 % ohne jede Videoüberwachung.“ 457<br />

Auch für den Schwedenplatz zieht die ARGE Daten ernüchternde Bilanz: Während das In-<br />

nenministerium einen erheblichen Rückgang der Gesamtkr<strong>im</strong>inalität von 38,4 % vermel-<br />

det 458 , kontert die Arge: „Neben Diebstahl sind Körperverletzung und Drogenkr<strong>im</strong>inalität die Top-<br />

456<br />

vgl. Fahndungserfolge durch Videoüberwachung. In: Orf online, Linz 24.10.2007,<br />

http://ooe.orf.at/stories/230891/<br />

457<br />

Quelle: Arge Daten: Polizeiliche Videoüberwachung – wenig Grund zur Euphorie, Wien 12.04.2006,<br />

http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGEDATEN&s=39982svs<br />

458 vgl. Platter (2008), S 8 ff<br />

163


Delikte, Sachbeschädigungen eher von geringerer Bedeutung. Die Rückgangsraten über alle Deliktgruppen<br />

zusammen (ohne Drogenkr<strong>im</strong>inalität) betrugen über das Jahr hinweg bescheidene 17 %, ein Wert der wohl<br />

eher durch die verbesserte Polizeipräsenz, als durch die Videoüberwachung zu begründen ist. (...) Auffällig<br />

und daher aus propagandistischen Gründen besonders hervorgekehrt ist der "Rückgang" der Drogendelikte.<br />

Etwa drei Monate nach Installation der Videoüberwachung wurde am Schwedenplatz kein Drogenfall mehr<br />

registriert. Leider kann das nicht als Erfolg gewertet werden, wenn gleichzeitig der Drogenbericht des BMI<br />

für das letzte Jahr einen bundesweiten Anstieg der Drogendelikte um 2% gegenüber dem Vorjahr feststellt.<br />

Am Schwedenplatz wurde offenbar die Prognose der Videoskeptiker zu hundert Prozent erfüllt: Mobile<br />

Kr<strong>im</strong>inalität weicht nach kürzester Zeit auf nicht überwachte Orte aus, ohne dass es zu einer Verhaltensänderung<br />

kommt.“ 459<br />

Demgegenüber werten die Sicherheitsbehörden aber gerade diese Verdrängung als Erfolg:<br />

„Es ist eine ganz klare Strategie der Polizeidirektion Wien, diesen Platz absolut drogenfrei zu halten. Dort<br />

wo es Jugendliche gibt, darf es keine Drogen geben. Natürlich kann man mit solchen Videomaßnahmen<br />

genau solche Strategien umsetzen.“ 460<br />

Noch dazu sollen Aktivisten des Vereines „Quintessenz“ die Überwachungsanlage gehackt<br />

haben und die Polizei dabei beobachtet haben, dass diese in private Wohnungen hineinfilm-<br />

ten. 461<br />

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass es in Österreich keine wissenschaftli-<br />

che Evaluation von Videoüberwachung gibt.<br />

3.9 Fazit der Videoüberwachung<br />

Die Einführung bzw. der weitere Ausbau von Videoüberwachung wird als Fazit der bisheri-<br />

gen Ausführungen nicht als wirkliche Lösung von möglichen Problemen auf <strong>öffentlichen</strong><br />

459<br />

vgl. Arge Daten (2006)<br />

460<br />

Quelle: Zwettler, Erich: Videoüberwachung in der kr<strong>im</strong>inalpolizeilichen Praxis. In: In: Bundesministerium für<br />

Inneres (Hrsg): Videoüberwachung zu <strong>sicherheit</strong>s- und kr<strong>im</strong>inalpolizeilichen Zwecken. Schriftenreihe BM.I. –<br />

Band 3, BMI-KSÖ-Enquete: 23. Juni 2004. Neuer wissenschaftlicher Verlag, Wien - Graz 2004, S 50<br />

461 vgl. Quintessenz: Von NSA zu Wiener Cops, Wien 31.12.2005<br />

http://www.quintessenz.at/d/000100003453<br />

164


Plätzen gesehen. Dies vor allem, weil sie den zusammenschauenden Kriterien und wechsel-<br />

seitigen Bedingungen von Räumen und den Menschen nicht genügt und noch weniger, weil<br />

sie etwas an den übergeordneten Dynamiken (sozialen Notlagen) etwas entgegen zu setzen<br />

hat. Als symbolische Maßnahme mag die Videoüberwachung den Ansprüchen von man-<br />

chen genügen, tatsächliche Lösungskompetenz ist der Videoüberwachung allerdings nur<br />

selten – unter gewissen Voraussetzungen, wie genauer Planung und entsprechenden, spe-<br />

ziellen räumlichen Gegebenheiten und Einbindung in ein Maßnahmenbündel - zu diagnos-<br />

tizieren. Auch in der konkreten Auswirkung in Kr<strong>im</strong>inalitätsentwicklung oder der Erhö-<br />

hung des subjektiven Sicherheitsgefühls ist Videoüberwachung in der Regel nicht bis wenig<br />

erfolgreich (zumindest wenn man wissenschaftliche Kriterien zur Prüfung heranzieht). Im<br />

Gegenteil: Die Videoüberwachung fördert wie gezeigt die weitere Ausgrenzung von sozia-<br />

len Randgruppen, wandelt teilweise den Raum zusätzlich in „Angstorte“ und grenzt die<br />

mögliche Aneignung von <strong>öffentlichen</strong> Plätzen bei Jugendlichen weiter ein. Dort wo ohne-<br />

hin sozialer Druck und Notlagen <strong>im</strong> Vordergrund stehen, sorgt die Überwachung für weite-<br />

ren Verdrängungs- oder Ausschließungsdruck und ist Teil einer Strategie, die sich - statt<br />

dem tatsächlichen sozialpolitischen Handlungsbedarf - lieber um eine Debatte über die<br />

(vermeintliche) Sicherheit kümmert. Zusammenfassend kann man über Videoüberwachung<br />

mit Detlef Nogola zusammenfassend festhalten: Die Videoüberwachung verdankt ihren<br />

prominenten Status einem doppelten Mythos: Weder verhindert sie zuverlässig Devinanz,<br />

noch bedingt sie unvermeidlich einen Polizeistaat orwellscher Ausprägung. 462<br />

462 vgl. Kammerer, Dietmar: "Are you dressed for it?" Der Mythos der Videoüberwachung in der visuellen Kultur.<br />

In: Hempel, Leon/Metelmann, Jörg (Hrsg.): Bild-Raum-Kontrolle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main<br />

2005, S 91<br />

165


4 LÖSUNGSANSÄTZE<br />

Obwohl in dieser Arbeit die Themen Raum, Jugend und die Videoüberwachung getrennt<br />

abgehandelt wurden, ist diese Trennung und Isolierung in eigene Zugänge in der Praxis<br />

(und auch – wie sich in der Arbeit gezeigt hat – theoretisch) nicht möglich. Zu verwoben<br />

sind diese Bereiche von Natur aus in sich, wie Martina Löw in der Raumsoziologie aufzeigt<br />

und hier zusammenfassend noch einmal dargestellt sei: „Um die Dynamik der Räume, ihre Pro-<br />

zesshaftigkeit, ihr Gewordensein, ihre Vielfältigkeit, aber auch ihre Strukturierungskraft zu begreifen,<br />

schlage ich vor, Räume als relationale (An)Ordnungen von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten zu<br />

begreifen. Mit dem Begriff der (An)Ordnung wird betont, dass Räume erstens auf der Praxis des Anord-<br />

nens (als Leistung der wahrnehmend-kognitiven Verknüpfung sowie auch als Platzierungspraxis) basieren,<br />

Räume aber zweitens auch eine gesellschaftliche Ordnung vorgeben. Diese Ordnung <strong>im</strong> Sinne von gesell-<br />

schaftlichen Strukturen ist sowohl dem Handeln vorgängig als auch Folge des Handelns. [...] Neben politi-<br />

schen, ökonomischen, rechtlichen etc. Strukturen existieren demnach auch räumliche (und zeitliche) Struktu-<br />

ren. Sie gemeinsam bilden die gesellschaftliche Struktur. Räumliche Strukturen müssen, wie jede Form von<br />

Strukturen, <strong>im</strong> Handeln verwirklicht werden, strukturieren aber auch das Handeln. Die Dualität von<br />

Handeln und Struktur ist in diesem Sinne auch die Dualität von Raum. Das bedeutet, dass räumliche<br />

Strukturen eine Form von Handeln hervorbringen, welches in der Konstitution von Räumen eben jene räum-<br />

lichen Strukturen reproduziert. Die Rede von einer Dualität von Raum bringt so die Überlegung zum<br />

Ausdruck, dass Räume nicht einfach nur existieren, sondern dass sie <strong>im</strong> Handeln geschaffen werden und als<br />

räumliche Strukturen, eingelagert in Institutionen, Handeln steuern.“ 463<br />

Ein möglicher Lösungsansatz muss daher über einen eind<strong>im</strong>ensionalen Ansatz hinausgehen<br />

und kann nicht auf einem herausgelösten Aspekt (z.B. das Individuum ohne den Raum mit-<br />

zudenken oder andererseits den Raum als leeren - erst zu befüllbaren - Container zu den-<br />

ken) basieren. Das individuelle Subjekt muss gemeinsam mit dem Raum verstanden werden:<br />

Im Sinne der Begriff der Lebenswelt findet sich diese Individualität wieder, die durch räum-<br />

463 Quelle: Löw (2007), S 16 ff<br />

166


liche und soziale Bezüge geformt wird. 464<br />

Wenn man über Lösungsansätze in dem Spannungsfeld (in diesem Zusammenhang ver-<br />

standen als sowohl positiv wie auch negativ assoziierte Begrifflichkeit) Jugend und öffentli-<br />

cher Raum nachdenkt, und versucht diese Lösungsansätze aus einer sinnvollen Jugendarbeit<br />

bzw. Impulsen aus dem sozialen Management herauszuarbeiten, sollte man diese Verwo-<br />

benheit <strong>im</strong> Blick haben. Mit einem „geschärften Blick“ kann man aus dem Raum relativ ein-<br />

fach soziale Wirklichkeiten herauslesen:<br />

� Die grundsätzliche soziale Situation: Armut, Arbeitslosigkeit, Wohlstand und Bil-<br />

dung bilden sich <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum ab (Beispielhaft ist dies am Zustand der je-<br />

weiligen Stadtteile erkennbar oder auch in der Sichtbarkeit von Armut durch z.B.<br />

Betteln oder Obdachlose). Aber auch Herrschaft und Macht schreibt sich über die<br />

Stadtplanung in den <strong>öffentlichen</strong> Raum ein.<br />

� Die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen (bzw. des einzelnen Jugendlichen) heute:<br />

Werte, Überzeugungen, Haltungen und Verhaltensformen, die die Jugend heute<br />

prägen, finden sich <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum wieder (Zeichen, Symbole, wie z.B. Graf-<br />

fiti, Trendsport, Cliquen ....)<br />

� Die räumliche Situation <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum selbst: Ob ein Aufenthalt bzw. eine<br />

Aneignung leicht möglich ist oder ob es schwer überwindbare Barrieren gibt, ob es<br />

genügend Raum für Jugendliche gibt oder ob sie an den Rand gedrängt sind, spielt<br />

sich <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum erkennbar wieder.<br />

Um die Probleme <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum zu lösen, müsste man auch darüber liegende (sozia-<br />

le) Probleme lösen. Da es abseits der (Spitzen)Politik und vor allem <strong>im</strong> Bereich des Sozial-<br />

managements oder auf kommunaler Ebene schwierig ist, die soziale bzw. sozialpolitische<br />

464 vgl. Deinet, Ulrich: Die Sozial<strong>raum</strong>debatte in der Jugendhilfe. In: Deinet Ulrich/Krisch Richard (Hrsg.): Der<br />

sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden und Bausteine zur Konzeptentwicklung und Qualifizierung.<br />

Leske + Budrich, Opladen 2002, S 32<br />

167


Situation kurzfristig und nachhaltig zum Besseren zu ändern und alle sozialen Notlagen zu<br />

bekämpfen, müssen in der Projektentwicklung zumindest die beiden Aspekte Lebenswirk-<br />

lichkeit der Jugendlichen und Raum miteinander verknüpft und bearbeitet werden. Aller-<br />

dings darf man sich nicht von der grundsätzlichen gesellschaftlichen und sozialen Frage<br />

verabschieden: Soll es (irgendwann einmal) eine tatsächlich wirksame Lösung der Probleme<br />

<strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum geben, müssen die sozialen Fragen auch auf „großer“ Ebene <strong>im</strong>mer<br />

wieder thematisiert und Verbesserungen eingefordert werden.<br />

4.1 Herausforderungen in der real existierenden Gegenwärtigkeit der<br />

Situation<br />

Bei der Konzeptionierung von Lösungsmöglichkeiten ist es wichtig, folgende Realitäten <strong>im</strong><br />

Auge zu behalten und bei der Projektentwicklung mit zu berücksichtigen.<br />

4.1.1 Jugendliche <strong>im</strong> Raum, der als nicht ihnen zugedacht gesehen wird<br />

Wie in den Ausführungen <strong>im</strong> Abschnitt zum „Öffentlichen Raum“ in dieser Arbeit darge-<br />

stellt, wird dieser zunehmend funktionalisiert und privatisiert und damit verstärkt (zumin-<br />

dest durch die zugedachte Nutzung) den Jugendlichen und ihren Frei<strong>raum</strong>bedürfnissen ent-<br />

zogen. Die Planung und Umsetzung der Stadtgestaltung findet grundsätzlich durch Erwach-<br />

sene <strong>im</strong> Sinne deren Interessen und unter Ausschluss der Jugendlichen statt. Die Räume<br />

bilden – wie Martina Löw ausführt – die gesellschaftliche Realität <strong>im</strong> Raum ab. 465 Nachdem<br />

Räume Zugangschancen und Ausschlüsse steuern können, werden über Raumkonstitutionen<br />

auch Macht- und Herrschaftsverhältnisse ausgehandelt. 466<br />

Jugendliche – und auch die Jugendarbeit – werden in der Konstituierung des <strong>öffentlichen</strong><br />

Raums oftmals erst dann interessant, wenn es in dieser durch Erwachsenen vorgefertigten<br />

Welt zu Konflikten kommt. Weil die Verteilung der Macht <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum in der<br />

465 vgl. Löw (2007), S 16<br />

466 vgl. Löw (2007), S 19<br />

168


Praxis eine relativ eindeutige ist, ist die Jugendarbeit permanent in der Rolle der klassischen<br />

„Feuerwehr“ mit der Aufgabe, die Situation <strong>im</strong> Sinne der Machthabenden zu klären: Dies<br />

bedeutet in der Regel, dass die Jugendlichen <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum ruhiggestellt werden sol-<br />

len. Damit ist die Jugendarbeit in einer unlösbaren Situation: Konflikte, die eigentlich in<br />

stadtplanerischen und folglich politischen (Fehl)Entscheidungen ihren Ursprung haben, sol-<br />

len <strong>im</strong> Sinne der Machtverhältnisse <strong>im</strong> Rahmen dieser sich fortschreibenden Fehlentschei-<br />

dungen gelöst werden.<br />

Ein Beispiel, wie es in der Praxis der Jugendarbeit <strong>im</strong>mer wieder vorkommt: Am Spielplatz,<br />

der eigentlich für Kleinkinder gedacht ist, treffen sich Jugendliche. Eltern von Kleinkindern<br />

oder Anrainer/innen richten ihre Beschwerde – <strong>im</strong> Wissen, dass dieser Platz nicht für die<br />

Jugendlichen gedacht ist – an die Stadtverwaltung oder an die Polizei direkt. Diese „Beset-<br />

zungsmaßnahme“ durch Jugendliche wird grundsätzlich nicht als notwendiges Ausweichen<br />

mangels Alternativen für die Jugendlichen gelesen (siehe Kapitel 1.5. Jugend <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong><br />

Raum), sondern als Störung der Funktionalität (verschärft durch Lärm und Vermüllung),<br />

die durch Intervention und Einflussnahme durch die Jugendarbeit gelöst werden soll. Die<br />

Jugendarbeit ist somit in einer Rolle, die in diesem Kontext mangels Alternativen nicht zu<br />

managen ist: Agierende finden sich dabei grundsätzlich in einer Loose-Loose-Situation wie-<br />

der: Gelingt es, die Jugendlichen zu disziplinieren – ihnen sozusagen diesen Raum wieder zu<br />

entreißen - unterstreicht die Jugendarbeit sowohl die eigene, als auch die Ohnmächtigkeit<br />

der Jugendlichen gegenüber anderen Interessen bzw. Interessenten. Sie verliert damit Ges-<br />

taltungsspiel<strong>raum</strong> und folglich auch Zugänge zu ihrer eigentlichen Klientel. Gelingt der Ju-<br />

gendarbeit diese Beruhigung der konfliktbelasteten Zonen nicht, wird in der Regel mit re-<br />

pressiven Maßnahmen (Polizeikontrollen, Alkoholverbote, Sicherheitsdienste, Videoüber-<br />

wachung) reagiert, den Jugendlichen auf diese Weise die mögliche Aneignung des Raumes<br />

entzogen und die Jugendarbeit bzw. deren Lösungskompetenz in Frage gestellt.<br />

Daher braucht es bei anzudenkenden Lösungsmaßnahmen zumindest zwei Gewissheiten,<br />

die am Anfang der Lösungsentwicklung abzuklären sind:<br />

1. Jugendarbeit darf nicht verstanden werden – und sich nicht selbst verstehen – als<br />

„Krisenfeuerwehr“ in (Konflikt)Situationen, die durch größere Zusammenhänge auf<br />

169


anderen Ebenen geschaffen werden. Für die Auftraggeber/innen bzw. Entwick-<br />

ler/innen von Lösungskonzepten muss klar sein, dass die Jugendarbeit nicht in diese<br />

Rolle einseitiger Umsetzung der existierenden Machtverhältnisse gedrängt werden<br />

darf, da ansonsten die Lösungsansätze bereits aufgrund der fehlenden Grundbasis<br />

zum Scheitern verurteilt sind.<br />

2. Es muss klar sein, dass junge Menschen Recht auf Raum haben. Dieser Raum ist in<br />

Abst<strong>im</strong>mung mit Jugendlichen und idealerweise mit Unterstützung durch Jugendar-<br />

beiter/innen zu gestalten und in der Folge auch gegenüber anderen Interessen abzu-<br />

sichern. Raum ist hierbei nicht nur als Schaffung von Jugendtreffpunkten zu verste-<br />

hen, sondern es sind auch die Interessen von Jugendlichen in allgemein <strong>öffentlichen</strong><br />

Plätzen abzusichern.<br />

4.1.2 Wahrnehmung der Jugendlichen als eine Ansammlung von Defiziten<br />

Diese Arbeit setzt sich (nicht ohne Grund) mit den „dunklen“ Seiten – also den Defiziten –<br />

Jugendlicher auseinander: Die Konfrontation mit diesen Defiziten ist Alltag in der Praxis<br />

der Jugendarbeit. Dies ist nicht unbedingt durch die Jugendlichen – sondern eher durch das<br />

Umfeld – bedingt. Jugendliche werden einseitig als (zu bearbeitendes) Problem wahrge-<br />

nommen: Stadtverantwortliche reflektieren Jugendliche oftmals als Zerstörer <strong>öffentlichen</strong><br />

Gutes und Problembringer an <strong>öffentlichen</strong> Plätzen, Anrainer/innen reflektieren Jugendliche<br />

als Vermüller, Störer und Bedrohung der <strong>öffentlichen</strong> Ordnung an <strong>öffentlichen</strong> Plätzen, die<br />

Meinungsbildung, Berichterstattung, Forschung und schließlich auch die Jugendarbeit ori-<br />

entiert sich zunehmend an Defiziten (wie Kr<strong>im</strong>inalität, Gewalt, Vandalismus ...) und bildet<br />

diese in unverhältnismäßig überzeichneten D<strong>im</strong>ensionen ab. Diese wahrgenommenen Defi-<br />

zite können für die Jugendarbeit natürlich auch ein gutes Geschäft bilden: Immer wieder<br />

stellen diese Defizite eine Überforderung bestehender Strukturen dar und bilden die Grund-<br />

lage für die Schaffung von Jugendprojekten bzw. legit<strong>im</strong>ieren die Jugendarbeit, die perma-<br />

nent unter (Anerkennungs- und Rechtfertigungs-) Druck steht. 467 Unbestritten steigen die<br />

467 vgl. Lindner, Werner: "Prävention" in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Ein Nachruf zu Lebzeiten. In:<br />

170


Herausforderungen an junge Menschen an: „Wie die Wachstumsraten etwa bei psychischen Er-<br />

krankungen, Stresssymptomen, Drogengebrauch oder Ersteinstieg be<strong>im</strong> Nikotingenuss dokumentieren,<br />

nehmen die Bewältigungsanforderungen von Kindern und Jugendlichen auf der individuell-subjektiven Ebene<br />

offenbar zu. Parallel dazu wird die Anzahl Jugendlicher in den nächsten Jahren ansteigen, ohne dass dies<br />

mit den Institutionen der Betreuung, Bildung und beruflichen Integration hinreichend synchronisiert würde.<br />

Gegenwärtig und in Zukunft werden <strong>im</strong>mer mehr Kinder und Jugendliche belastenden Lebensumständen<br />

und erhöhten Anforderungen an Verarbeitungs- und Integrationsfähigkeiten für subjektiv befriedigende Le-<br />

bensentwürfe ausgesetzt. Für sie ergibt sich ein Hochspannungsfeld s<strong>im</strong>ultan wirksamer Abtrennungen von<br />

angemessenen Entfaltungs- und Entwicklungschancen aus rasend in sich selbst rotierendem Konsum- und<br />

Erlebniskommerz, Bewältigungsstress, Leistungsdruck, <strong>öffentlichen</strong> Finanzfiaskos, der Erosion pädagogischer<br />

Moratorien und der Krise sozialer Unterstützungssysteme.“ 468<br />

Diese Orientierung an den Defiziten bildet sich folglich auch konkret räumlich ab: Jugend-<br />

einrichtungen und öffentliche Freiräume für Jugendliche werden defizitär (unoriginell, lieb-<br />

los, billig) geplant, räumlich abgesichert (Zäune, abseits zentral zugänglicher Zonen gelegen)<br />

und streng kontrolliert (Polizeikontrollen, Sicherheitsdienst, Videoüberwachung). Inhaltlich<br />

findet sich diese Defizitorientierung an der präventiven Ausrichtung der Jugendarbeit wie-<br />

der.<br />

Wenn Jugendarbeit in diese Defizitorientierung mit einsteigt, begibt sie sich zumindest in<br />

drei wesentlichen Bereichen auf sehr dünnes Eis 469 :<br />

1) Sie gibt Präventionsversprechen ab, die durch die Jugendarbeit nicht lösbar<br />

sind (sondern gesellschaftliche und soziale Herausforderungen bilden und<br />

oft nur auf übergeordneten [Macht]ebenen lösbar sind)<br />

2) Sie stigmatisiert und diskr<strong>im</strong>iniert die eigene Zielgruppe (indem Defizite und<br />

Probleme zumindest unterstellt, manchmal auch die damit einhergehenden<br />

Gefahren dramatisiert und fachliche Ziele in Richtung Prävention umfrisiert<br />

Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. 3. Aufl., VS Verlag<br />

für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, S 258 ff<br />

468 Quelle: Lindner (2005), S 255<br />

469 vgl. Lindner (2003), S 259 ff<br />

171


werden<br />

3) Sie macht sich folglich <strong>im</strong> Bereich eines offensiven Eintretens für <strong>jugend</strong>li-<br />

che Belange (sofern dabei überhaupt noch solch defizitär gesehene Jugendli-<br />

che in solch einem Ansatz miteingebunden sind oder sein wollen) hand-<br />

lungsunfähig.<br />

Zu Beginn einer Lösungsentwicklung muss daher sowohl für Auftraggeber/innen als auch<br />

Projektentwickler/innen ein positiver, offensiver und ressourcenorientierter Blick auf die<br />

Jugendlichen <strong>im</strong> Zentrum stehen: Jugendliche müssen mit ihren Stärken, Fähigkeiten und<br />

Möglichkeiten gesehen und erkannt werden. Nur dieser offensive Blick lässt tatsächlich in-<br />

novative, in die Zukunft gerichtete Maßnahmen zu, da es nicht darum gehen darf, die Defi-<br />

zite zu verwalten und damit permanent selbst in einer defizitären Situation zu sein.<br />

4.1.3 Jugendliche ohne Macht <strong>im</strong> Beteiligungs(sand)spielkasten<br />

Jung sein bringt es mit sich, in wesentlichen Entscheidungsbelangen nicht viel mitzureden<br />

zu haben. Die Notwendigkeit von Partizipation von Jugendlichen ist fachlich – sowohl aus<br />

der Sicht auf Jugendliche (Bildungsprozess hin zur Mündigkeit) als auch <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

eine gelingende Stadtentwicklung (Jugendfreundlichkeit, Entwicklung von Jugendangebo-<br />

ten) unumstritten, die Praxis sieht in der Realität in der Regel aber anders aus. Wenn man<br />

die gängigen Beteiligungsmöglichkeiten (Jugendforen, Jugendparlament, Projektgruppen...)<br />

einer kritischen Prüfung unterzieht, stellt man fest, dass es bei diesen Beteiligungsformen<br />

oftmals um „Peanuts“ geht. Häufig geht es in diesen Foren darum, getroffene Entschei-<br />

dungen oder ohnehin gewollte (Jugend)Maßnahmen <strong>im</strong> Sinne eines <strong>jugend</strong>gerechten Marke-<br />

tings oder möglichst billig (ehrenamtliche Hilfsarbeit) in die Realität umzusetzen. Die wirk-<br />

lich wesentlichen Entscheidungen werden nach wie vor grundsätzlich entlang der Machtli-<br />

nien und von Erwachsenen getroffen. In der Realität stellt sich das folgendermaßen dar:<br />

Von Erwachsenen wird entschieden, dass beispielsweise ein Jugendzentrum mit festgelegten<br />

finanziellen Aufwand und an einem festgelegten Standort mit einem festgelegten Grund-<br />

konzept geschaffen wird. Im Zuge der Schaffung dieses Jugendzentrums dürfen junge Men-<br />

172


schen <strong>im</strong> Sinne einer „Partizipation“ bei dem Ausmalen der Räumlichkeiten helfen und viel-<br />

leicht auch mitentscheiden, welche Form und welche Farbe das entsprechende Sofa haben<br />

darf. Nachdem die Altersbest<strong>im</strong>mungen und Hausregeln des Jugendzentrums durch Auf-<br />

traggeber/innen oder Projektbetreiber/innen grundsätzlich festgelegt wurden, dürfen die<br />

Jugendlichen <strong>im</strong> Rahmen eines „partizipativen Dialoges“ sich an der Detailauslegung dieser<br />

Reglungen beteiligen bzw. bekommen diese in Form einer vorgeschobenen Diskussion auf<br />

gleicher Augenhöhe nicht zur Aushandlung, sondern zur „verstehenden Kenntnisnahme“<br />

vorgelegt. Der Grund dafür ist nicht unbedingt <strong>im</strong> Unwillen der Jugendarbeiter/innen an<br />

einer möglichen Beteiligung von Jugendlichen begründet, sondern liegt in der Regel an der<br />

notwendigen Verteidigung der meist unter intensiven Kraftanstrengungen erstrittenen<br />

(Klein)Räume für Jugendliche gegenüber anderen Interessen. Folge: Der (pädagogische)<br />

Anpassungsdruck, dem die Jugendlichen unterliegen, ist teilweise rigider, als man ihn in pri-<br />

vaten Lokalitäten oder in Kultureinrichtungen vorfindet.<br />

Fakt ist: Jugendliche haben nichts mitzuentscheiden, vor allem dann nicht, wenn sie viel-<br />

leicht auch noch auffällig werden. Wenn sich ein einzelner Anrainer über Gruppen von Ju-<br />

gendlichen auf einem <strong>öffentlichen</strong> Platz beschwert, dann ist er in der Regel in der Machtpo-<br />

sition die Situation für seine Interessen zu gewinnen. Anrainer/innen, Exekutive und Ent-<br />

scheidungsträger/innen handeln dann meist aus einem Guss: Die Jugendlichen haben sich -<br />

ohne Mitsprache oder Verhandlungsmandat - diesem einzelnen Willen zu beugen. Nicht auf<br />

gleicher Augenhöhe zwischen Jugendlichen und betroffenen Anrainer/innen wird ein Dia-<br />

log versucht und eine gemeinsame Lösung ausverhandelt, sondern eher werden noch beste-<br />

hende Regelungen restriktiver formuliert, zusätzliche Verbote erlassen, zusätzliche Verbots-<br />

schilder aufgestellt oder bei deren Unwirksamkeit, die Jugendlichen durch Einsatz repressi-<br />

ver Maßnahmen vertrieben oder in letzter Konsequenz die Einrichtungen (seien es Jugend-<br />

zentren oder Spielplätze) wieder abgeschafft.<br />

Es wird zwar viel über Partizipation gesprochen und es gibt auch (vereinzelt) Ansätze, in<br />

denen Partizipation von Kindern und Jugendlichen versucht und auch verwirklich wird.<br />

Problematisch sind viele diese Ansätze aber in zweierlei Hinsicht: Einerseits geht es in der<br />

Regel um dezidierte und dadurch oft isolierte Jugendthematiken (Spielplätze) und anderer-<br />

173


seits betreffen diese Ansätze eher weiche Bereiche (Ausstattung) und keine harten (Ent-<br />

scheidungs-)Bereiche. Eine weiterreichende – und damit gesellschaftlich wirksame Beteili-<br />

gung - ist <strong>im</strong> Regelfall nicht möglich. Als positiver Ansatz ist sicherlich das Wahlrecht ab 16<br />

Jahre zu werten – damit wird zumindest ein Teil der Macht (und damit Mitgestaltungsmög-<br />

lichkeit) in die Hände junger Menschen gelegt. Damit wird vielleicht ein größeres Maß von<br />

Aufmerksamkeit von erwachsenen Entscheidungsträger/innen auf die jungen Menschen<br />

gerichtet.<br />

Damit Jugendliche – und auch Jugendarbeiter/innen die notwendige Partizipationsmöglich-<br />

keit und damit Gestaltungsmöglichkeit erhalten, sind wirksamere Modelle einer (verbindli-<br />

chen) Partizipation bei der Projektentwicklung zu berücksichtigen.<br />

4.2 Das Konzept der Raumaneignung als Basis einer Lösungssuche<br />

Bei dem Konzept der Raumaneignung geht es nicht nur um die Struktur, sondern <strong>im</strong> We-<br />

sentlichen um die Qualität von Räumen. Durch die in Räumen liegenden (neuen) Möglich-<br />

keiten werden diese zu sozialen Räumen. Diese Möglichkeiten der Raumaneignung zeigen<br />

gerade Jugendliche <strong>im</strong>mer wieder auf: Obwohl der Raum verinselt, verplant und funktiona-<br />

lisiert ist, werden auch heute Räume –teilweise mit hohem Risiko – angeeignet, Jugendliche<br />

inszenieren sich (Trendsport) und bilden sich ab (Graffities). 470<br />

Ihre Ursprünge hat das Aneignungskonzept in der sogenannten kulturhistorischen Schule<br />

der sowjetischen Psychologie, vor allem Leontjew wird hier genannt. Die zugrunde liegende<br />

Überlegung hinter diesem Ansatz besteht darin, „die Entwicklung des Menschen als tätige Ausei-<br />

nandersetzung mit seiner Umwelt und als Aneignungsprozess der gegenständlichen und symbolischen Kultur<br />

zu verstehen.“ 471<br />

Holzkamp überträgt den Leontjewschen Begriff der Gegenstandsbedeutung (die Vergegens-<br />

470 vgl. Deinet, Ulrich: Aneignung und Raum - sozialräumliche Orientierungen von Kindern und Jugendlichen.<br />

In: Deinet, Ulrich/Gilles, Christoph/Knopp, Reinhold (Hrsg.): Neue Perspektiven in der Sozial<strong>raum</strong>orientierung.<br />

D<strong>im</strong>ensionen – Planung – Gestaltung. 2. Aufl., Frank und T<strong>im</strong>me Verlag für wissenschaftliche Literatur,<br />

Berlin 2007, S 48<br />

471 Quelle: Deinet (2007), S 49<br />

174


tändlichung gesellschaftlicher Erfahrung, die <strong>im</strong> Aneignungsprozess erschlossen werden<br />

muss) auf die gesellschaftliche Ebene komplexer sozialer Beziehungen, „die in der individuellen<br />

Entwicklung ebenfalls von einfachen (gegenständlichen) Formen bis zu hochkomplexen Zusammenhängen<br />

verallgemeinert werden müssen.“ 472<br />

Deinet lehnt sich in seinem Aneignungskonzept an Holzkamp an und geht davon aus, „dass<br />

sich die konkreten Verhältnisse der Gesellschaft, so wie sie Kinder und jüngere Jugendliche, die nicht am<br />

Produktionsprozess teilnehmen, erleben, diesen vor allem räumlich vermittelt werden. Leontjews Gegens-<br />

tandsbedeutung <strong>im</strong> Aneignungsprozess ist für Kinder und Jugendliche quasi eingebettet in den ‚Raum’ unserer<br />

Gesellschaft, in die konkreten, durch die Strukturen geschaffenen, räumlichen Gegebenheiten.“ 473<br />

Da die – vor allem städtischen Räume – heute nicht naturbelassen, sondern bearbeitet,<br />

strukturiert und funktionalisiert sind, müssen sich die jungen Menschen diese Räume und<br />

ihre eingeschriebenen Bedeutungen wie Gegenstände und Werkzeuge der unmittelbaren<br />

Umgebung aneignen. Die schöpferische Leistung, als Eigentätigkeit, die den Aneignungs-<br />

prozessen innewohnt, wird durch die realen Anforderungs- und Möglichkeitsstrukturen ge-<br />

formt. Die äußeren Bedingungen und Anregungen sind die wesentlichen Faktoren, die die<br />

Möglichkeit einer Aneignung als Eigentätigkeit best<strong>im</strong>men. 474<br />

Martina Löw hat – wie <strong>im</strong> Kapitel Mediatisierung des <strong>öffentlichen</strong> Raumes beschrieben –<br />

darauf hingewiesen, dass sich, bedingt durch die neuen Medien und die starke Verinselung<br />

der Lebensräume, ein neues Bild von Raum konstituiert hat, bei dem Raum als beweglich,<br />

uneinheitlich und diskontinuierlich wahrgenommen wird. Für Deinet kann der Aneig-<br />

nungsbegriff insofern aktualisiert werden, „als er nach wie vor die tätige Auseinandersetzung des<br />

Individuums mit seiner Umwelt meint und bezogen auf die heutigen Raumveränderung der Begriff dafür sein<br />

kann, wie Kinder und Jugendlich eigentätig Räume schaffen (Spacing) und die (verinselten) Räume ihrer<br />

Lebenswelt verbinden. (...) Aneignung der Lebenswelt heute bedeutet, Räume zu schaffen (Spacing) und sich<br />

nicht nur vorhandene gegenständlich anzueigenen.“ 475<br />

472<br />

Quelle: Deinet (2007), S 49<br />

473<br />

Quelle: Deinet (2007) S 49<br />

474<br />

vgl. Deinet (2007), S 50 ff<br />

475<br />

Quelle: Deinet (2007), S 59<br />

175


Deinet meint mit dem Aneignungsbegriff: 476<br />

� eigentätige Auseinandersetzung mit der Umwelt<br />

� (kreative) Gestaltung von Räumen mit Symbolen etc.<br />

� Inszenierung Verortung <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum (Nischen, Ecken, Bühnen) und in Institutionen<br />

� Erweiterung des Handlungs<strong>raum</strong>es (die neuen Möglichkeiten, die in neuen Räumen liegen)<br />

� Veränderung vorgegebener Situationen und Arrangements<br />

� Erweiterung motorischer, gegenständlicher, kreativer und medialer Kompetenz<br />

� Eigentätige Nutzung neuer Medien zur Erschließung virtueller sozialer Räume<br />

� Erprobung des erweiterten Verhaltensrepertoires und neuer Fähigkeiten in neuen Situationen<br />

� Entwicklung situationsübergreifender Kompetenzen <strong>im</strong> Sinne einer ‚Unmittelbarkeitsüberschrei-<br />

tung’ und ‚Bedeutungsverallgemeinerung’<br />

Reutlinger streicht diese Möglichkeiten eines sozial<strong>raum</strong>orientierten Ansatzes ebenfalls her-<br />

aus:„Sozial<strong>raum</strong>orientierte Jugendarbeit unterstützt Aneignungs- und Bildungsprozesse auch außerhalb<br />

ihrer Orte, insbesondere <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum. Mit ihrem ‚sozialräumlichen Blick’, d.h. durch die mit Hilfe<br />

qualitativer Methoden gewonnenen Erkenntnisse über Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, unter-<br />

stützt sie Prozesse zur Revitalisierung öffentlicher Räume für Kinder und Jugendliche, die diesen intensive<br />

Aneignungs- und Bildungsmöglichkeiten gibt.“ 477<br />

Reutlinger denkt dabei über räumliche Bezugnahmen hinaus. Er beruft sich dabei auf seine<br />

empirischen Untersuchungen in Deutschland, Frankreich und Spanien, die zeigen, dass Ju-<br />

gendliche heute unter den Bedingungen der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft nicht nur<br />

aneignungsfähige für sie gedachte Flächen benötigen, sondern vor allem materielle und ge-<br />

sellschaftliche Teilhabe: „Überspitzt ließe sich formulieren, dass die Jugendlichen heute keine Abenteu-<br />

erspielplätze mehr brauchen, denn durch die gesellschaftlichen Veränderungen ist ihr ganzes Leben zum A-<br />

476 Quelle: Deinet (2007), S 60<br />

477 Quelle: Reutlinger (2007), S 31<br />

176


enteuer geworden.“ 478<br />

Heutige Aneignungsformen ‚reiben’ sich nicht mehr an der Gesellschaft, sondern sozial-<br />

räumliche Strukturen werden ‚wild“ angeeignet. Diese Bewältigungsformen vermitteln in-<br />

nerhalb der Gruppe zwar Zugehörigkeit, die Jugendlichen sind aber der Gesellschaft nicht<br />

mehr zugehörig. Jugendliche sind damit – ohne Erwachsenen zugänglich zu sein - in der<br />

Unsichtbarkeit verschwunden. Jugendliche schotten sich räumlich sozusagen ab und bleiben<br />

unter sich. In diesem physisch-materiellen Raum (Reutlinger verwendet das Beispiel einer<br />

Bretterbude) kann keine gesellschaftliche Integration mehr erfolgen, da bedingt durch die<br />

gesellschaftliche Spaltung, die soziale Funktion davon entkoppelt ist. 479<br />

Für Reutlinger besteht der Eindruck, dass wir es mit einer jungen Generation zu tun haben,<br />

die keinerlei Zugang in diese Welt hat und nicht mehr eintreten kann. Dadurch, dass Men-<br />

schen (durch gesellschaftlichen Ausschluss, Arbeitslosigkeit, Weiterreichung von Maßnah-<br />

me zu Maßnahme) überflüssig werden, gehe es nicht mehr nur darum, die sichtbaren Le-<br />

bensbereiche zu erforschen und zu bearbeiten, sondern jene Lebensbereiche, mit denen<br />

Kinder und Jugendliche keine Reaktion erzeugen, nichts provozieren können, in den Blick<br />

zu nehmen: „Es geht um das Verständnis der Lebensbereiche als eine Einheit: In einer unübersichtlichen<br />

Welt, in welcher die Bezüge <strong>im</strong>mer komplizierter und unübersichtlicher werden, müssen verstärkt beide Le-<br />

bensbereiche in den Blick genommen werden: Die sichtbaren Bereiche, in denen die Jugendlichen gefordert<br />

sind, in denen sie sich darstellen müssen, und diejenigen Lebensbereiche, die eher dafür da sind, den ständig<br />

ansteigenden Druck, bedingt durch den Kampf um soziale Zugangsmöglichkeiten, Generationenkonkurrenz,<br />

Bewältigungs- und Bewährungsdruck usw. bewältigen zu können. (...) Und dies ist die Hauptidee meines<br />

Ansatzes der ‚unsichtbaren Bewältigungskarten’: Indem Jugendliche diesen Mithaltedruck biographisch be-<br />

wältigen, gestalten sie ihre sozialen Räume. Bei diesen sozialen Räumen handelt es sich um gesellschaftlich<br />

ausgeklinkte Rückzugsräume. Manchmal sind diese physisch-materiell und territorial verortbar, (...), ver-<br />

stärkt aber virtuelle, nicht sicht- und greifbar. Junge Menschen wollen trotz ihrer Erfahrung des Nicht-<br />

Mithalten-Könnens akzeptiert sein. (...) Sie müssen, trotz der vermeintlichen Unmöglichkeit etwas bewirken<br />

478 Quelle: Reutlinger (2007), S 35<br />

479 vgl. Reutlinger (2007), S 35<br />

177


zu können, handlungsfähig bleiben und ihr Leben bewältigen und über die Gestaltung eigene Räume konsti-<br />

tuieren.“ 480<br />

4.3 Grundsätzliche Projektvoraussetzungen<br />

Wolfgang Hinte geht davon aus, dass es bei der Umsetzung der Sozial<strong>raum</strong>orientierung eine<br />

Vielzahl von Widerständen geben kann und benennt unter anderem folgende Aspekte als<br />

Grundlagen einer möglichen Implementierung: 481<br />

• Entsprechende politische Entschlüsse zur Sozial<strong>raum</strong>orientierung auf Kommunal-<br />

ebene<br />

• Lokaler Konsens über die Kernphilosophie<br />

• Erschließung von Ressourcen <strong>im</strong> Sozial<strong>raum</strong> zwecks gemeinsamer Nutzung auf Sei-<br />

ten aller Träger<br />

• Übernahme und Verteilung von Zuständigkeiten von jeweils einem oder auch meh-<br />

rerer Träger<br />

• Regelhaft installierte Kooperation auf Fachkräfteebene zwischen <strong>öffentlichen</strong> und<br />

freien Trägern<br />

• Regelmäßige und gemeinsame Qualifizierung der beteiligten Fachkräfte<br />

4.4 Gemeinwesenarbeit und sozialräumliche Jugendarbeit als ideale<br />

Ergänzung<br />

Idealerweise agiert die Jugendarbeit mit einem sozialräumlichen Ansatz nicht alleine Vor<br />

Ort, sondern ist in einem breiteren Kontext von Gemeinwesenarbeit eingebettet.<br />

Deinet arbeitet die Verbindungen und Vorteile einer stadtteilbezogenen Arbeit (angelehnt<br />

480 Quelle: Reutlinger (2007), S 36 ff<br />

481 vgl. Deinet (2002), S 18<br />

178


an Hinte) und der sozialräumlichen Jugendarbeit heraus. 482 Dort wo Hinte von der „Betrof-<br />

fenheit der Wohnbevölkerung“ spricht und eine nichtmanipulative pädagogische Herange-<br />

hensweise an die Alltagwirklichkeit einfordert, kann die sozialräumliche Jugendarbeit mit<br />

der Max<strong>im</strong>e, sich an den alltags- und lebensweltlichen Äußerungen von Jugendlichen zu<br />

orientieren, anknüpfen. „Sozialräumliche Jugendarbeit versucht darüber hinaus Problemstellungen und<br />

Interessen von Kindern und Jugendlichen aber auch ihre konkreten Aneignungsmöglichkeiten <strong>im</strong> Stadtteil zu<br />

beziehen und nutzt in der Kinder- und Jugendarbeit entwickelte Methoden der Sozial<strong>raum</strong>analyse als<br />

Grundlage der Bedarfsermittlung.“ 483<br />

Analog zu Hinte, der den Verzicht auf eine „Belehrungs-Pädagogik“ fordert, versucht die<br />

sozialräumliche Jugendarbeit selbstbest<strong>im</strong>mte Aneignungsprozesse zu ermöglichen und<br />

Lernprozesse zu fördern. So wie Hinte durch das Aufgreifen von stadtteilbezogenen (lösba-<br />

rer) Problemlagen noch vor der „Klientelisierung“ aufgreifen will, so versucht die sozial-<br />

räumliche Jugendarbeit aus konkreten alltagsweltlichen Themen und Problemlagen Arbeits-<br />

ansätze zu entwickeln. So wie Hinte bei den Selbsthilfepotentialen der Menschen ansetzt, so<br />

geht die sozialräumliche Jugendarbeit ebenfalls von den vorhandenen Potentialen in den<br />

Jugendlichen (abseits eines defizitären) Ansatzes aus. So wie Hinte eine Etikettierung von<br />

Problemgruppen verhindern will, so erkennt offene Jugendarbeit die Verschiedenartigkeit<br />

der (Jugend)kulturen an und akzeptiert diese, macht diese (z.B. ethnischen) Unterschiede<br />

nicht zum Ausgangspunkt einer „speziellen“ Pädagogik, sondern sieht die Förderung der<br />

Begegnung und Akzeptanz zwischen verschiedenen Kulturen <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum als we-<br />

sentlichen Zugang der sozialräumlichen Arbeit. „Sozialräumliche Jugendarbeit sieht einen wesentli-<br />

chen Aufgabenbereich in der Moderation von Konflikten zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen und<br />

definiert sich aber als Mandatsträger für Kinder und Jugendliche.“ 484<br />

Wesentlich ist beiden Ansätzen eine notwendige Kooperation und Vernetzung. „Eine sozial-<br />

räumlich orientierte Kinder- und Jugendarbeit sucht Kooperationspartner nicht nur innerhalb der Jugendhilfe,<br />

sondern auch in Institutionen und Bereichen darüber hinaus. Nur so können soziale Räume als Aneig-<br />

482<br />

vgl. Deinet (2002), S 22 ff<br />

483<br />

Quelle: Deinet (2002), S 22<br />

484<br />

Quelle: Deinet (2002), S 23<br />

179


nungsräume für Kinder und Jugendliche qualifiziert werden.“ 485<br />

Deinet stellt also fest, dass grundsätzlich das gemeinsame Ziel verfolgt wird, die Handlungs-<br />

und Selbstorganisationsfähigkeiten der jeweiligen Zielgruppe zu erweitern. „Der Unterschied<br />

zwischen der modernen Gemeinwesenarbeit und einer sozial<strong>raum</strong>orientierten Kinder- und Jugendarbeit be-<br />

steht nicht <strong>im</strong> Hinblick auf die grundsätzlichen Arbeitsprinzipien, sondern differenziert sich dahingehend,<br />

dass Kinder- und Jugendarbeit vornehmlich Kinder und Jugendliche <strong>im</strong> Blick hat, während die gemeinwesen-<br />

orientierte Arbeit viel stärker erwachsenenorientiert ist und alle Bürgerinnen und Bürger eines Sozial<strong>raum</strong>es<br />

in den Blick n<strong>im</strong>mt. Dementsprechend ist das Verhältnis zur räumlichen Umgebung, zur Nutzung von<br />

Räumen sehr stark unterschiedlich. Für Erwachsene haben best<strong>im</strong>mte räumliche Strukturen <strong>im</strong> Stadtteil<br />

sehr funktionale und rationale Bedeutungen und werden gebrauchswertsorientiert verwendet.“ 486 Die An-<br />

eignung macht hier sozusagen den großen Unterschied.<br />

4.5 Wesentliche Aspekte der sozialräumlichen Jugendarbeit<br />

4.5.1 Gestaltung des Ortes der Jugendarbeit als Aneignungs- und Bildungs<strong>raum</strong><br />

Dabei geht es um die Schaffung einer möglichst aneignungs- und bildungsfördernden Um-<br />

gebung - und weniger um intentionale Bildungsangebote, Programme oder Projekte - an<br />

und in den Orten der Jugendarbeit. „Aus dem sozialräumlichen Verständnis der Gestaltung von<br />

Räumen als soziale Räume heraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Bildung, die in der Form in der<br />

Jugendarbeit nicht genutzt werden. In dem der „Raum“ der Jugendarbeit anregend wirkt, Kindern und Ju-<br />

gendlichen Gestaltung und Veränderung, Konfrontation und alternative Erfahrungen ermöglicht, wird er<br />

selbst zu einem Aneignungs- und Bilds<strong>raum</strong> <strong>im</strong> Bereich des informellen Lernens.“ 487<br />

Wichtig dabei sind - neben dem möglichen Oszillieren (also dem wandeln) zwischen Innen-<br />

485 Quelle: Deinet (2002), S 23<br />

486 Quelle: Deinet (2002), S 24<br />

487 Quelle: Deinet (2002), S 40<br />

180


und Außen(welt) - das Materialangebot und die strukturierende Kompetenz der Mitarbei-<br />

ter/innen für das Zustandekommen von Situationsveränderungen.<br />

„Im Gegensatz zu den durchfunktionalisierten Institutionen, mit den Kinder und Jugendliche sonst zu tun<br />

haben, hat die Offene Kinder- und Jugendarbeit auch räumlich und architektonisch die Chance, einen Ges-<br />

taltungs<strong>raum</strong> zu bilden, der sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass <strong>im</strong>mer wieder Räume und Bereiche<br />

umgestaltet werden können. Solche Gestaltungsprozesse haben neben der aktiven Aneignung des Raumes<br />

hinaus sehr stark soziale Bezüge, weil es darum geht, sich <strong>im</strong> Haus mit anderen Cliquen zu arrangieren,<br />

Ideen und Entwürfe in einer Clique bzw. Gruppe zu einem Entwurf zu entwickeln, den Gestaltungsprozess<br />

selbst zu organisieren etc.“ 488<br />

4.5.2 Positive Sicht öffentlicher Räume gegenüber der „gefährlichen Straße“<br />

Der Blickwinkel in der Beschreibung von Orten richtet sich zuerst auf die Qualität dieser<br />

Räume und nicht auf die Gefahren, weil diese Orte für Jugendliche meist eine ganz andere<br />

Bedeutung als Spiel- oder Erfahrungsorte haben. 489 Jugendliche schaffen sich durch He-<br />

rumhängen, Blödeln und Action einen Spiel<strong>raum</strong> in der sozialen Realität und erproben so<br />

ihr Selbstverständnis in Abgrenzung zu ihrer Umwelt. „’Herumhängen, Blödeln, Action machen’<br />

beschreiben sicher nur einige Qualitäten, die öffentliche Räume für <strong>jugend</strong>liche attraktiv machen. Aber be-<br />

reits damit wird deutlich: gegenüber dem verbreiteten Konstrukt der ‚gefährlichen’ Straße hat eine sozial-<br />

räumliche Jugendarbeit eine ganz andere Sicht auf die Qualitäten von Räumen. Überspitzt könnte man<br />

sagen: Prävention bedeutet, den Öffentlichen Raum zum ‚Herumhängen...’ zurückzugewinnen und nicht<br />

nur, ihn ‚sicherer’ zu machen.“ 490<br />

488 Quelle: Deinet (2002), S 41<br />

489 vgl. Deinet (2002), S 42<br />

490 vgl. Deinet (2002), S 42<br />

181


4.5.3 Revitalisierung öffentlicher Räume als <strong>jugend</strong>politisches Mandat<br />

Jugendarbeit ist aus Sicht der Jugendlichen selbst Bestandteil öffentlicher Räume und macht<br />

ihre Aneignungs-Angebote für die Erweiterung und Veränderung nutzbar. „Jugendarbeit wird<br />

aber auch selbst zum Medium der Raumaneigung, indem sich Kinder und Jugendliche die Räume der Ju-<br />

gendarbeit aneignen und verändern. Aufgabe der Jugendarbeit ist es, diese Zusammenhänge zu erkennen,<br />

entsprechend zu reagieren und sie entsprechend <strong>im</strong> Aneignungskonzept umzusetzen.“ 491<br />

Jugendarbeit als Ausgangspunkt der Erweiterung des Handlungsspiel<strong>raum</strong>es hat damit eine<br />

<strong>jugend</strong>politische D<strong>im</strong>ension. Sozialräumliche Jugendarbeit, die subjekt- und lebensweltori-<br />

entiert ist, überschreitet die formale, geografische D<strong>im</strong>ension: „Kinder- und Jugendarbeit mit<br />

diesem Selbstverständnis hat das Mandat, sich für Kinder und Jugendliche <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum einzuset-<br />

zen, mit ihnen gemeinsam oder als Mandatsträger advokatorisch öffentliches politisches Bewusstsein für die<br />

Themen von Kindern und Jugendlichen (wieder)herzustellen und sich für die Aneignung, Revitalisierung und<br />

Sicherung öffentlicher Räume zu engagieren.“ 492<br />

4.5.4 Kooperation und Vernetzung<br />

Bei der Umsetzung von sozialräumlichen Ansätzen geht es wesentlich auch um Vernetzung<br />

und Kooperation, wobei die Jugendarbeit wertvolle Impulse einbringen kann. „Aus ihrem<br />

sozialräumlich/<strong>jugend</strong>politischen Mandat heraus, bei dem es um die Revitalisierung öffentlicher Räume geht,<br />

ist die Kinder- und Jugendarbeit beispielsweise auch Partner von Spiel<strong>raum</strong>planung und Stadtentwicklung.“<br />

493<br />

Eine Lebensweltanalyse der Jugendlichen macht dann wirklich Sinn, wenn alle Einrichtun-<br />

gen innerhalb des jeweiligen Sozial<strong>raum</strong>s zusammenarbeiten. Dabei können sich die Mitar-<br />

beiter/innen der verschiedenen Einrichtungen gegenseitig unterstützen und von der Einbe-<br />

ziehung von anderen Arbeitsformen Nutzen ziehen. Eine solche Analyse bildet die Grund-<br />

lage für eine gemeinsame Planung und Schwerpunktsetzungen bei den Maßnahmen und<br />

491<br />

Quelle: Deinet (2002), S 42<br />

492<br />

Quelle: Deinet (2002), S 43<br />

493<br />

Quelle: Deint (2002), s 43<br />

182


Einrichtungen. „Entscheidende Fragen für diesen Prozess lauten: Was müsste auf Grund der Analyse<br />

der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen <strong>im</strong> Stadtteil geschehen? Welche Maßnahme/Einrichtung<br />

kann welche neue Funktion und Rolle übernehmen? Welche alten Funktionen und Angebote können ver-<br />

ändert oder evtl. abgebaut werden? Welche Rahmenbedingungen der Einrichtungen (z.B. Lage <strong>im</strong> Stadtteil,<br />

räumliche Ressourcen) machen welche Schwerpunktsetzungen möglich?“ 494<br />

4.6 Sozialräumliche Konzeptentwicklung als Projekt<br />

DAS Projekt auf DIE Antwort auf Probleme <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Raum gibt es wohl nicht. Al-<br />

lerdings geben Deinet und Krisch wesentliche Anregungen darin, bereits eine Konzeptent-<br />

wicklung als Projekt anzulegen. In diesen Prozess fließen die Situationen und Herausforde-<br />

rungen der Gegenebenheiten vor Ort ein und bilden Grundlage für wesentliche Schritte<br />

und Entwicklungslinien.<br />

Damit ist auch getroffen, was Sandra Nüß als „Projektarbeit als Chance für Innovationen“<br />

beschreibt: „Ein Projekt ist unter anderem dadurch definiert, dass es eine neuartige, komplexe Aufgaben-<br />

stellung hat. Das heißt: Es handelt sich nicht um eine Routineangelegenheit und grenzt sich somit vom All-<br />

tagsgeschäft und den Regelangebot ab. Projekte arbeiten beispielweise mit neuen Konzepten, greifen neue<br />

Themen auf, sprechen andere als die üblichen Zielgruppen an oder erfordern neue Arbeitsstrukturen. Per<br />

Definition geht es bei Projekten also <strong>im</strong>mer auch um Innovationen. (...) In der Folge können dadurch Pro-<br />

gramme, Verfahren und Abläufe der Einrichtung bzw. Organisation überprüft, opt<strong>im</strong>iert oder hervorge-<br />

bracht sowie Strukturen verändert oder ersetzt werden. Das Ergebnis von Projektarbeit kann so beispiels-<br />

weise die Entwicklung neuartiger Konzepte und Angebote oder das Erschließen und die Ansprache neuer<br />

Zielgruppen und Kunden sein.“ 495<br />

Damit sinnvoll gearbeitet werden kann, sind für die Konzeptionierung natürlich entspre-<br />

chende Ressourcen einzuplanen. Grundsätzlich ist ein Zeit<strong>raum</strong> von ein- bis eineinhalb Jah-<br />

494<br />

Quelle: Deinet (2002), S 44<br />

495<br />

Quelle: Nüß, Sandra: Projektmanagement. In: Schubert, Herbert (Hrsg.): Sozialmanagement. Zwischen Wirtschaftlichkeit<br />

und fachlichen Zielen. 2. Aufl., VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, S 182<br />

183


e vorzusehen. 496<br />

4.6.1 Klärung von Zielen<br />

Wie bei jedem Projekt, gilt es zuerst die Ziele abzuklären. Auch wenn mit Methoden gear-<br />

beitet wird, die den Sozial<strong>raum</strong> erforschen und auch Grundlage für eine Neukonzeption der<br />

Arbeit oder Einrichtung sein können, ergeben sich diese grundlegenden Ziele nicht aus den<br />

praktischen Erfahrungen <strong>im</strong> Zuge des Prozesses, sondern: „Die Festlegung der Ziele hat weitrei-<br />

chende Konsequenzen sowohl für die Sozial<strong>raum</strong>analyse und Konzeptentwicklung als auch für die Gestaltung<br />

und Bewertung der eigenen Praxis.“ 497<br />

Es macht in der Analyse, der Konzeptentwicklung und folgend für den Erfolg in der Praxis<br />

einen großen Unterschied, ob es darum geht, störende Jugendliche weg von der Straße in<br />

Einrichtungen hinein gelockt werden sollen oder ob es darum geht, isolierte Jugendliche<br />

von zu Hause <strong>mittels</strong> sinnvoller Freizeitgestaltung in den <strong>öffentlichen</strong> Raum hineinzubrin-<br />

gen. Während des Prozesses wird man diese unterschiedlichen Zielformulierungen mit ver-<br />

schiedenen Fragestellungen, verschiedenen Jugendgruppen als Fokus und verschiedenen<br />

Konzepten bearbeiten.<br />

4.6.2 Der Sozial<strong>raum</strong> bildet die Ausgangslage<br />

Grundlage einer sozialräumlichen Konzeptentwicklung ist der Sozial<strong>raum</strong>/die Lebenswelt<br />

der Jugendlichen. Auf einer detaillierten Analyse dieser Lebenswelten bauen Anforderun-<br />

gen, Ziele und Aufgaben der Jugendarbeit auf.<br />

„Grundlage sozialräumlicher Konzeptentwicklung ist eine Sozial<strong>raum</strong>- und Lebensweltanalyse, die neben<br />

der Verwendung von statistischem Material zur Bevölkerungsstruktur und anderen relevanten Daten des<br />

jeweiligen Sozial<strong>raum</strong>s in einer Lebensweltanalyse qualitative Methoden empirischer Sozialforschung <strong>im</strong><br />

496<br />

vgl. Deinet/Krisch (2002), S 50<br />

497<br />

Quelle: Scherr, Albert: Benötigt sozialräumliche Konzeptentwicklung Theorien? In: Deinet Ulrich/Krisch Richard<br />

(Hrsg.): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden und Bausteine zur Konzeptentwicklung<br />

und Qualifizierung. Leske + Budrich, Opladen 2002, S 66<br />

184


Rahmen einer „kleinen Feldforschung“ einsetzt.“ 498<br />

Solche Methoden sind beispielsweise:<br />

• Stadtteilbegehung mit Jugendlichen<br />

• Nadelmethode<br />

• Cliquenraster<br />

• Institutionenbefragung<br />

• Strukturierte Stadtteilbegehung<br />

• Autofotografie<br />

• Subjektive Landkarten<br />

• Zeitbudget von Jugendlichen<br />

• Fremdbilderkundung 499<br />

Vor Einsatz der ausgewählten Methoden geht es um die präzise Erarbeitung von Fragen,<br />

um einerseits die Richtung in die geforscht werden soll zu best<strong>im</strong>men und andererseits die<br />

entsprechende Methode auszuwählen. Fragen können in etwa lauten:<br />

„Wie erleben Kinder und Jugendliche ihren Stadtteil?<br />

Welche Qualitäten haben Orte und Räume?<br />

Wie sieht die Struktur der Lebensräume best<strong>im</strong>mter Zielgruppen aus?“ 500<br />

498 Quelle: Deinet, Ulrich/Krisch, Richard: Sozialräumliche Konzeptentwicklung als Projekt: Schritte und Modelle.<br />

In: Deinet Ulrich/Krisch Richard (Hrsg.): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden und Bausteine<br />

zur Konzeptentwicklung und Qualifizierung. Leske + Budrich, Opladen 2002, S 45<br />

499 Eine detaillierte Darstellung dieser Methoden findet sich bei Krisch, Richard: Methoden der sozialräumlichen<br />

Konzeptentwicklung. In: Deinet, Ulrich/Krisch Richard (Hrsg.): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit.<br />

Leske+Budrich, Opladen 2002, S 87 ff oder auch bei: Ortmann, Norbert: Methoden der Erkundung von<br />

Lebenswelten. In: Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Konzepte entwickeln. Anregungen und Arbeitshilfen<br />

zur Klärung und Legit<strong>im</strong>ation. Juventa Verlag, Weinhe<strong>im</strong> und München 1996, S 26 ff<br />

500 Quelle: Deinet/Krisch (2002), S 47<br />

185


Einbeziehung relevanter Literatur und Studien<br />

Wie bei anderen Forschungsvorhaben auch, gilt es auch hier, einen Überblick über die aktu-<br />

elle Literatur, den aktuellen Forschungsstand und Ergebnisse von relevanten Jugendstudien<br />

zu sichten. Diese ergänzenden Unterlagen werden natürlich auf die konkreten Verhältnisse<br />

vor Ort angewandt.<br />

Ziel dieser Lebensweltanalyse ist ein qualitativer Einblick in die Lebenswelt der Jugendli-<br />

chen <strong>im</strong> best<strong>im</strong>mten Sozial<strong>raum</strong>, der als Grundlage für die Konzeptentwicklung der Ju-<br />

gendarbeit dient. 501 Die Anforderungen die sich aus dieser Analyse für die Jugendarbeit ergeben,<br />

schließen direkt an die Lebenswelten der Jugendlichen an. 502<br />

In die Analyse können auch Kriterien eingearbeitet werden, die später auch in die Arbeits-<br />

konzeption eingeschrieben werden. Solche Kriterien können beispielsweise sein:<br />

• Aktivierung und Beteiligung, um Prozesse der Partizipation in Gang zu setzen<br />

• Geschlechterorientierung, mit der auch spezifische Interessen und Bedürfnisse von<br />

Mädchen und Jungen berücksichtigt werden<br />

• Kooperation und Vernetzung mit anderen Personen und Institutionen 503<br />

501<br />

vgl. Deinet/Krisch (2002), S 50<br />

502<br />

vgl. Deinet, Ulrich/Krisch,Richard: Der „sozialräumliche“ Blick der Kinder- und Jugendarbeit. In: Deinet,<br />

Ulrich/Gilles, Christoph/Knopp, Reinhold (Hrsg.): Neue Perspektiven in der Sozial<strong>raum</strong>orientierung. D<strong>im</strong>ensionen<br />

– Planung – Gestaltung. 2. Aufl., Frank und T<strong>im</strong>me Verlag für wissenschaftliche Literatur, Berlin 2007,<br />

S 160<br />

503<br />

vgl. Deinet/Krisch (2002), S 52<br />

186


Ute Dithmar regt an, aufgrund des schwierigen Umfanges solch einer Konzeptentwicklung<br />

folgende Phasen einzuplanen 504 :<br />

1. Schaffung einer Arbeitsbasis<br />

Über das Warum des Prozesses soll Klarheit herrschen, alle Beteiligten sol-<br />

len über die Gründe, den Zusammenhang der Entstehung und die verfolg-<br />

ten Ziele Bescheid wissen.<br />

2. Bestandsaufnahme von vorhandenen Wissensbeständen<br />

Das vorhandene sozialräumliche Wissen der Mitarbeiter/innen ist Aus-<br />

gangspunkt. Es gilt jedoch, dieses Wissen zu ordnen, zu reflektieren und zu-<br />

sammenzutragen. Es geht quasi darum, das Wissen aus den einzelnen Köp-<br />

fen gemeinsam sichtbar und nutzbar zu machen. Damit wird erkennbar, was<br />

schon bekannt ist und was nicht. „Diese systematische ‚Vergewisserung der eigenen<br />

Praxis’ erscheint banal, ist aber eine zentrale Voraussetzung für die Konzeptentwicklung,<br />

weil sie die Wirksamkeit der eigenen Praxis ordnen und bewerten hilft.“ 505<br />

3. Durchführung der systematischen Lebensweltanalyse<br />

Ausgehend von den entwickelten Fragen (siehe oben) werden die angeführ-<br />

ten Feldforschungs-Methoden angewandt.<br />

4. Ergebnisverarbeitung<br />

Die gewonnenen Ergebnisse werden für eine Gestaltung der zukünftigen<br />

Arbeitspraxis nutzbar gemacht. „Diese Verschränkung bildet den neuralgischen<br />

Punkt der Konzeptentwicklung und umfasst die Arbeitsschritte der Verdichtung, Struk-<br />

turierung und Interpretation der Daten (d.h. was bedeuten die Informationen für die Gestaltung<br />

meiner professionellen Praxis?).“ 506<br />

504 vgl. Dithmar, Ute: Sozialräumliche Konzeptentwicklung in der Jugendarbeit - Erfahrungen aus der Praxis.<br />

In: Deinet, Ulrich/Gilles, Christoph/Knopp, Reinhold (Hrsg.): Neue Perspektiven in der Sozial<strong>raum</strong>orientierung.<br />

D<strong>im</strong>ensionen – Planung – Gestaltung. 2. Aufl., Frank und T<strong>im</strong>me Verlag für wissenschaftliche Literatur,<br />

Berlin 2007, S 193 ff<br />

505 Quelle: Dithmar (2007), S 195<br />

506 Quelle: Dithmar (2007), S 200<br />

187


Dieser Prozessabschnitt verläuft meist als krisenhafter Prozess, der zu inten-<br />

siven Auseinandersetzungen der Beteiligten führt.<br />

Nach den Ergebnissen dieser Analyse kann die Entwicklung von konkreten Konzeptionen<br />

für die Einrichtung/en und Projekte erfolgen. Diese Konzeption beinhaltet Zielorientierun-<br />

gen, Arbeitschwerpunkte und Angebote für die eigene Praxis.<br />

Aufgrund der Lebensweltanalyse kann <strong>im</strong> Rahmen der gemeinsamen Planung über Schwer-<br />

punktsetzungen und Maßnahmen in den Einrichtungen diskutiert und entschieden werden.<br />

Entscheidende Fragen für diesen Prozess lauten:<br />

Was müsste aufgrund der Analyse der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen <strong>im</strong> Stadtteil geschehen?<br />

Welche Maßnahme/Einrichtung kann welche neue Funktion und Rolle übernehmen?<br />

Welche alten Funktionen und Angebote können verändert oder evtl. abgebaut werden? Welche Rahmenbe-<br />

dingungen der Einrichtungen (z.B. Lage <strong>im</strong> Stadtteil, räumliche Ressourcen) machen welche Schwerpunktsetzung<br />

möglich? 507<br />

4.6.3 Planen und Entscheiden<br />

In einem Prozess der Synthese werden die Ergebnisse der Sozial<strong>raum</strong>analyse, die Ergebnis-<br />

se des Ist-Zustandes und die Selbsterkenntnisse der Mitarbeiter/innen zusammengeführt,<br />

miteinander abgeglichen, diskutiert und folglich als Schritt der Neukonstruktion von innovativen<br />

Zielen bzw. Handlungsorientierungen weiter gedacht und entwickelt. 508<br />

„Ziele sind Aussagen über Zustände, Handlungen und Vorgänge, die erreicht werden sollen. Ziele beziehen<br />

sich <strong>im</strong>mer auf einen festgelegten Zeit<strong>raum</strong>.“ 509<br />

Für eine Orientierung <strong>im</strong> Zuge der Zielformulierung ist die Zielpyramide von Gilles hilf-<br />

507 Quelle: Deinet/Krisch (2007), S 162<br />

508 vgl. Gilles Christoph (2007), Qualität durch Konzeptentwicklung: Die Sozial<strong>raum</strong>analyse als Basis einer<br />

innovativen Zielfindung, in: Neue Perspektiven der Sozial<strong>raum</strong>orientierung, S 176<br />

509 Quelle: Gilles (2007), S 176<br />

188


eich:<br />

Abbildung 1: Zielpyramide nach Gilles 510<br />

An der Spitze der Pyramide steht das Leitbild, das die Philosophie, das Selbstverständnis<br />

der Einrichtung und die übergeordneten Zielvorstellungen der Einrichtung(en) oder der<br />

Arbeit beschreibt.<br />

Darunter finden sich die Handlungsstandards (auch Qualitätsstandards genannt). Mit diesen<br />

werden leitende Rahmenziele oder Prinzipien beschrieben, die das gesamte Handeln der<br />

Einrichtung betreffen und dem Arbeitschwerpunkte, Handlungsziele und Angebote, sowie<br />

die Struktur zugeordnet wird.<br />

Darunter gruppieren sich die Arbeitsschwerpunkte. Hier sind die jeweiligen Aktivitäten und<br />

Angebote gebündelt.<br />

510 Quelle: Gilles, Christoph: Qualität durch Konzeptentwicklung. Die Sozial<strong>raum</strong>analyse als Basis einer innovativen<br />

Zielfindung. In: Deinet, Ulrich/Gilles, Christoph/Knopp, Reinhold (Hrsg.): Neue Perspektiven in der Sozial<strong>raum</strong>orientierung.<br />

D<strong>im</strong>ensionen – Planung – Gestaltung. 2. Aufl., Frank und T<strong>im</strong>me Verlag für wissenschaftliche<br />

Literatur, Berlin 2007, S 177<br />

189


Die Handlungsziele formulieren die Ziele, die mit den jeweiligen Angeboten oder Aktivitä-<br />

ten erreicht werden sollen.<br />

Angebote und Projekte beschreiben die konkret umzusetzenden Vorhaben.<br />

Die Indikatoren der Zielerreichung beschreiben die festgehaltenen Ziele und dienen der<br />

Evaluation der Zielsetzungen. „Indikatoren sind Anzeiger, an denen man die Praxisumsetzung und<br />

den Erfolg, der in Leitbild, Handlungsstandards und Arbeitsschwerpunkten festgelegten Ziele erkennen und<br />

überprüfen kann. Die Ergebnisse der Evaluation erlauben Aussagen über das Ganze der pädagogischen<br />

Praxis.“ 511<br />

Eine sinnvolle Evaluation findet auf mehreren Ebenen statt. Gilles erwähnt folgende Ebe-<br />

nen, die bei einer solchen integriert sein sollen:<br />

• Auf der Strukturebene werden Indikatoren entwickelt, die eindeutig zu quantifizieren und zu mes-<br />

sen sind<br />

• Die Prozessebene beschränkt sich auf den eigentlichen pädagogischen Prozess – also das, was wäh-<br />

rend des Angebotes passieren soll<br />

• Die Wirkungsebene beschreibt, welche Erwartungen in Bezug auf die Auswirkungen der pädagogischen<br />

Arbeit über das Angebot hinaus bestehen 512<br />

4.7 Ergebnisse und Wirkungen sozialräumlicher Konzeptentwicklungsprozesse<br />

– Ein Ausblick<br />

Die Materie Jugend und öffentlicher Raum ist (wie <strong>im</strong> Zuge dieser Arbeit gezeigt) eine sehr<br />

komplexe Angelegenheit. Wie bereits festgehalten, ist DIE Lösungsmöglichkeit für ein kon-<br />

fliktärmeres Mit- oder Nebeneinander von Jugendlichen und erwachsenen Nutzer/innen<br />

oder Interessent/innen einfach nicht festzumachen. Videoüberwachung ist – abgesehen von<br />

symbolischen Versprechungen – keine wirksame Lösung, da sie vielleicht das eine oder an-<br />

dere Symptom bekämpfen kann, aber grundsätzlich abseits von (gesellschaftlichen, sozialen<br />

511<br />

Quelle: Gilles (2007), S 180<br />

512<br />

Quelle: Gilles (2007), S 180<br />

190


und räumlichen) Ursachen wirkt (oder eben nicht). Bei der Sichtung und dem Durchdenken<br />

von möglichen Lösungsansätzen, zog der sozialräumliche Ansatz meine Aufmerksamkeit<br />

auf sich. Ein wesentlicher Grund für die Entscheidung für diesen Ansatz war, dass wir es<br />

hier nicht mit einem fertigen Modell zu tun haben (das für die eine Stadt oder Situation<br />

passt und für die andere nicht), sondern dass dieser Prozess grundsätzlich überall eingesetzt<br />

werden kann, da er an der Situation und den Kompetenzen der jeweiligen Orte ansetzt. Die<br />

Prozessergebnisse erlauben also, differenzierte, an der Sozial<strong>raum</strong>struktur angepasste Ange-<br />

bote zu initiieren. Darüber hinaus profitieren auch Projektbetreiber/innen von diesen Pro-<br />

zessen: Mitarbeiter/innen erfahren mehr über die Lebenssituationen von Jugendlichen,<br />

können deren Bedürfnisse besser einschätzen und „Nicht selten geraten dabei Zielgruppen in den<br />

Blick, die vorher nicht gesehen wurden, Arbeitsschwerpunkte werden stärker auf den Bedarf zugeschnitten<br />

und einrichtungsbezogene Arbeitsweisen zugunsten einer mobilen, aufsuchenden Arbeit verändert.“ 513 Die<br />

Jugendarbeit als ‚ein Raum unter vielen’ kann hier entsprechend der Bedürfnisse und Interessen, aber auch<br />

der <strong>im</strong> Sozial<strong>raum</strong> bestehenden ‚Angebotsnischen’ ihre besondere und differenzierte Qualität’ entfalten.“ 514<br />

Schließlich kann die Jugendarbeit selbst gegenüber Dritten oder Außenstehender verständli-<br />

cher begründet werden. „Die Darlegung von konkreten Problemstellungen und Vorgängen <strong>im</strong> Bezug<br />

zum Stadtteil und der damit gegründete konzeptionelle Bezug der Jugendarbeit, führt zu einer nachvollziehbareren<br />

Beschreibung der oft schwer darstellbaren ‚offenen Jugendarbeit.“ 515<br />

Damit verändert sich auch die Bedeutung der Einrichtung und der Mitarbeiter/innen. Die<br />

Mitarbeiter/innen werden zu Sozial<strong>raum</strong>-Expert/innen, die auch für andere Einrichtungen<br />

vor Ort zu wertvollen Wissensträger/innen und –vermittler/innen werden. 516 Dies betrifft<br />

sowohl soziale Einrichtungen als auch Öffentlichkeit und politische Gremien: „Anders als<br />

zuvor, werden sie wieder als handelnde Akteure innerhalb der Kommune wahrgenommen und geachtet.“ 517<br />

Der gemeinwesenorientierte Blick der bisher standortorientierten Mitarbeiter/innen wird<br />

513<br />

Quelle: Dithmar (2007), S 211<br />

514<br />

Quelle: Deinet/Krisch (2002), S 58<br />

515<br />

Quelle: Deinet/Krisch (2002), S 59<br />

516<br />

vgl. Deinet/Krisch (2002), S 59<br />

517<br />

Quelle: Dithmar (2007), S 212<br />

191


gefördert und damit die Situation „außerhalb“ der Einrichtung wesentlich besser einge-<br />

schätzt. 518 Der Ansatz der „Sozial<strong>raum</strong>orientierung“ wird für viele erst durch den Prozess<br />

greifbar, auch wenn vorher schon (mit Elementen) sozialräumlich gearbeitet wurde. 519<br />

Schließlich erweitert der Prozess den Kontakt zu bisher unbekannten Jugendlichen. „Dies ist<br />

oft mit Anerkennung der JugendarbeiterInnen gekoppelt, was wiederum nicht nur deren Bekanntheit <strong>im</strong><br />

Stadtteil steigert, sondern auch zu vielen Anfragen über die Angebote der Einrichtung führt.“ 520 Darüber<br />

hinaus können sich die Anbieter der verschiedenen Jugendeinrichtungen aufgrund von trag-<br />

fähigen Kontakten und Kooperationen gut untereinander abst<strong>im</strong>men und müssen Heraus-<br />

forderungen nicht mehr alleine meistern, sondern können gemeinsam nach Lösungen su-<br />

chen. 521<br />

Im Gegensatz zu Maßnahmen, die vor allem die Sicherheit in den Vordergrund stellen bzw.<br />

diese vorgaukeln, also Maßnahmen, die defizitär orientiert und vom Misstrauen zwischen<br />

den verschiedenen Bevölkerungsgruppen geprägt sind (und die diese Kluft nicht nur doku-<br />

mentieren, sondern auch zementieren), bietet sich mit Hilfe von sozialräumlichen Ansätzen<br />

die Chance, neue Zugänge und Partnerschaften zu schaffen und Menschen verschiedener<br />

Interessen an einen Tisch zu bringen, den einen oder anderen lange grassierenden Konflikt<br />

einer Lösung zuzuführen und schließlich auch die Interessen von Jugendlichen in ihrem<br />

Lebensumfeld – in ihrem Ort, in ihrer Stadt – abzusichern und Jugendlichen damit wieder<br />

„ganzheitliche“ Entwicklungs- und Lernchancen zu ermöglichen.<br />

518 vgl. Deinet/Krisch (2002), S 59<br />

519 vgl. Dithmar (2007), S 211<br />

520 Quelle: Deinet/Krisch (2002), S 60<br />

521 vgl. Dithmar (2007), S 213<br />

192


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s&DocId=3213&Index=d%3a%5cdaten%5cdt%2dsearch%5cwebserver%5clinz%5fde&Hi<br />

tCount=74&hits=187+1f7+292+30f+355+39a+3df+42a+46f+4bd+5b9+63a+6c1+740+<br />

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=2018&req=stadtforschung%26<br />

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http://www.nachrichten.at/archiv?query=shlyc:client/ooen/ooen/textarch/j2007/q2/m05/t21/ph/s021/001_001.dcs&ausgabe=H:<br />

Hauptausgabe&datum=21.05.2007&seite=021&set=2<br />

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Videoüberwachung in Linz startet. In: ORF online, Linz 14.03.2006,<br />

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Zurawski, Nils (2007b): Videoüberwachung in Hamburg, Teil B. Institut für kr<strong>im</strong>inologische<br />

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Abruf: 19.12.2007<br />

Zurawski, Nils (2007 c): Wissen und Weltbilder. Konstruktionen der Wirklichkeit, cognitive<br />

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Zwettler, Erich: Videoüberwachung in der kr<strong>im</strong>inalpolizeilichen Praxis. In: In: Bundesministerium<br />

für Inneres (Hrsg): Videoüberwachung zu <strong>sicherheit</strong>s- und kr<strong>im</strong>inalpolizeilichen Zwecken.<br />

Schriftenreihe BM.I. – Band 3, BMI-KSÖ-Enquete: 23. Juni 2004. Neuer wissenschaftlicher<br />

Verlag, Wien - Graz 2004, S 45 – 52.<br />

Alle Downloads überprüft am 08.05.2008.<br />

212

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