Ist eine therapeutische Nerve... - uhlen verlag wien
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<strong>Ist</strong> <strong>eine</strong> <strong>therapeutische</strong> <strong>Nerve</strong>nblockade mit<br />
elektrischen Strömen möglich ?<br />
Kurt Ammer<br />
In dieser Ausgabe der ÖZPMR findet sich <strong>eine</strong> Übersichtsarbeit<br />
(1) <strong>eine</strong>s amerikanischen Kollegen, der seit<br />
Jahren für <strong>eine</strong> durch Elektrostimulation verursachten<br />
Sympathikusblockade argumentiert (2-6). Nach eigener<br />
Angabe hat Dr Schwartz wesentliche Anregungen<br />
für s<strong>eine</strong> Arbeit vom österreichischen Neurochirurgen<br />
F Jenkner erhalten, der ebenfalls die elektrische <strong>Nerve</strong>nblockade<br />
propagiert hatte (7-12). Jenkner war auch<br />
wesentlich am Impuls-Design des Impulsstroms<br />
IG50/70 beteiligt, der als österreichische Elektrotherapie-Spezialität<br />
fast ausschließlich in Geräten der Firma<br />
Schuhfried zu finden ist. Die von Jenkner postulierten<br />
Wirkmechanismen <strong>eine</strong>r elektrischen <strong>Nerve</strong>nblockade<br />
haben dazu geführt, dass er nach <strong>eine</strong>m<br />
mono- polaren gepulsten Strom gesucht hat, der <strong>eine</strong>n<br />
Leitungsblock erzielen soll. Die IG50/70 besteht aus<br />
kurzen, 0,1msec dauernden Einzelimpulsen anschwellender<br />
und abschwellender Amplitude, die in Gruppen<br />
von 50msec angeordnet sind. Die Pausen zwischen<br />
den Impulspaketen beträgt 70msec (7).Die von Jenkner<br />
angegebenen Merkmale <strong>eine</strong>s wirksamen TENS-<br />
Stroms sind in Tabelle 1 dargestellt (12).<br />
Einfluss der Polarität<br />
Jenkner berichtete, dass symmetrische bipolare Impulse<br />
in der Schmerztherapie <strong>eine</strong> nur geringe Sofortwirkung<br />
hätten, die 3 Monate nach der Therapie weitgehend<br />
wieder verschwunden ist (12). Asymmetrische<br />
Tabelle 1<br />
Merkmale wirksamer TENS_Ströme (nach 12)<br />
Parameter Ausprägung<br />
Einzelimpuls Monopolarer Rechteckimpuls<br />
Impulsdauer Kürzer als 0,2 ms (=200 µs), optimal 100 µs<br />
Editorial<br />
Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Hanuschkrankenhaus, Wien<br />
bipolare Impulse hatten <strong>eine</strong> etwas bessere Akut- und<br />
Dauereffekte. Die Effekte monopolarer Ströme waren<br />
deutlich ausgeprägter, besonders wenn der Strom als<br />
amplitudenmodulierter Burst konfiguriert war. Die<br />
Akutwirkung trat bei monopolaren Strömen (35- 54%<br />
der Fälle) etwa doppelt so häufig auf wie bei bipolaren<br />
Stromformen (72 bis 88% der Fälle). Die Schmerzdämpfung<br />
3 Monate nach Therapie war bei bipolaren<br />
Strömen in 5 bis 10% vorhanden, während monopolare<br />
Ströme <strong>eine</strong> Erfolgsquote in 67 bis 84% aufwiesen.<br />
Legt man elektrischen Strom an <strong>eine</strong> <strong>Nerve</strong>nfaser,<br />
wird das Membranpotential an der Kathode vermindert,<br />
und bei ausreichender Depolarisation <strong>eine</strong> Erregung<br />
ausgelöst. An der Anode hingegen werden die<br />
Fasern hyperpolarisiert und damit die Schwelle für die<br />
Auslösung <strong>eine</strong>s Aktionspotentials erhöht.. Dies kann<br />
bis zur Blockade der Fortleitung von Aktionspotentialen<br />
führen (Anodenblock). Die Anode möglichst nahe<br />
an den zu stimulierenden Nerv zu bringen, spekuliert<br />
offensichtlich mit der Auslösung <strong>eine</strong>s Anodenblocks,<br />
um am <strong>Nerve</strong>n die Fortleitung von Erregung zu unterbinden.<br />
Stellatumblockade<br />
Jenkner interpretierte die beobachtete Schmerzreduktion<br />
nach Elektrotherapie als Ausdruck <strong>eine</strong>r elektrisch<br />
induzierten <strong>Nerve</strong>nblockade. Der Autor argu-<br />
20-50 (optimal 35 /s), in Gruppen zu 7 Einzelimpulsen angeordnet,<br />
Impulsfrequenz 5 Impulsgruppen pro Sekunde, an- und abschwellende Amplitude der Einzelimpulse<br />
(amplitudenmodulierter burst)<br />
Stromstärke Bis 30m A (eventuell auch mehr)<br />
Ladung /Einzelimpuls 2-254 µCoulomb<br />
Anodengröße Klein (d.h. hohe Stromdichte)<br />
11
ÖZPMR, Österr. Z. Phys. Med .Rehabil 16/1 (2006)<br />
mentierte, dass sowohl somatische als auch sympathische<br />
<strong>Nerve</strong>nfasern von dieser Blockade betroffen sind,<br />
wobei die Beeinflussung sympathischer Fasern durch<br />
Veränderungen der Perfusion erfasst werden könnten.<br />
Tatsächlich hat Jenkner Behandlungseffekte im Bereich<br />
der Halswirbelsäule mittels Rheographie dokumentiert<br />
(13). Bei der elektrischen Stellatum-Blockade<br />
(14) hatte Jenkner auch klinisch ein gering ausgeprägtes<br />
Horner-Syndrom beobachtet. Mitarbeiter der Orthopädischen<br />
Universitätsklinik Aachen haben versucht,<br />
die Effekte mit diadynamischen Strömen, Interferenz-<br />
und Impulsströmen zu wiederholen, konnte<br />
jedoch weder ein Horner-Syndrom auslösen noch <strong>eine</strong><br />
Erwärmung an der homolateralen Hand oder <strong>eine</strong> Veränderung<br />
der Schweizproduktion objektivieren (15).<br />
Mayr hat die Temperaturveränderungen während der<br />
Stellatum-Durchströmung mit dem diadaynamischen<br />
Strom diphase fixe (DF) im Vergleich zu <strong>eine</strong>r Pseudobehandlung<br />
mittels Infrarotthermographie dokumentiert.<br />
Die postulierte Erwärmung der homolateralen<br />
Hand konnte nicht gefunden werden. Überraschenderweise<br />
kam es jedoch an der kontralateralen Hand zu<br />
<strong>eine</strong>r kurzdauernden Erwärmung um 0,5°K, an beiden<br />
Unterarmen war jedoch über den Beobachtungszeitraum<br />
von 35 Minuten <strong>eine</strong> geringe Abkühlung um 0,4°<br />
K zu beobachten. Damit steht die Reproduzierbarkeit<br />
der von Jenkner berichteten Blockade des sympathischen<br />
Ganglion stellatum nach wie vor aus.<br />
Einfluss der Pulsfrequenz<br />
Casale und Mitarbeiter haben an gesunden Probanden<br />
den Effekt <strong>eine</strong>r Behandlung des N.medianus mit bipolaren<br />
Rechteckimpulsen <strong>eine</strong>r Frequenz von 120Hz<br />
mittels Strain -Gauge Plethysmographie und computergestützter<br />
Infrarotthermographie untersucht (17).<br />
Sie fanden nach der Therapie <strong>eine</strong> Verminderung des<br />
der Amplitude des Pulsvolumens am Zeigefinger der<br />
behandelten Seite sowie <strong>eine</strong> durchschnittliche Temperaturminderung<br />
der Hand um 1 Grad. Die Autoren<br />
schlossen aus ihren Ergebnissen auf <strong>eine</strong> durch die<br />
Elektrostimulation bedingte Aktivierung des Sympathikus.<br />
In <strong>eine</strong>r früheren Studie wurde der Einfluss <strong>eine</strong>r einmaligen<br />
Behandlung mit unterschiedlichen nieder-und<br />
mittelfrequenten Strömen auf die motorische und<br />
sensible <strong>Nerve</strong>nleitgeschwindigkeit des N.medianus<br />
untersucht (18). Die Hauttemperatur am Zeigefinger<br />
wurde mittels <strong>eine</strong>s Infrarotradiometers bestimmt. An<br />
8 gesunden Probanden wurden jeweils einmalig mit<br />
Impulsgalvanisation 30/50, Impulsgalvanisation 50/70,<br />
sowie mit den stereodynamischen Ströme Sedat 200<br />
endogen, Sedat 200 exogen und Vegetat 1 endogen in<br />
12<br />
randomisierter Reihenfolge im cross over Design behandelt.<br />
Nach Therapie kam es nach allen Stromformen mit<br />
Ausnahme von Impulsgalvanisation 50/70 zu <strong>eine</strong>r<br />
Absenkung der Hauttemperatur an der behandelten<br />
und an der nicht behandelten Hand. Eine signifikante<br />
Änderung der motorischen <strong>Nerve</strong>nleitgeschwindigkeit<br />
der therapierten Seite war nach Impulsgalvansation<br />
50/70 ,und <strong>eine</strong> signifikante Abnahme der sensiblen<br />
<strong>Nerve</strong>nleitgeschwindigkeit an der nicht behandelten<br />
Seite nach Impulsgalvanisation 30/50 zu beobachten.<br />
Die distale Latenz nahm im signifikanten Ausmaß<br />
nach Impulsgalvanisation 30/50, Sedat 200 endogen<br />
und Sedat 200 exogen zu. Schließlich war nach Sedat<br />
endogen auch <strong>eine</strong> signifikante Zunahme der Summenpotentialamplitude<br />
zu beobachten.<br />
Veränderungen der motorischen <strong>Nerve</strong>nleitgeschwindigkeit<br />
bei gesunden Probanden wurden auch nach<br />
Behandlung mit konstanter Galvanisation (19 ) berichtet.<br />
Die Ursache der verlangsamten <strong>Nerve</strong>nleitgeschwindigkeit<br />
nach <strong>eine</strong>r Quergalvanisation des Beins über<br />
die gesamte Beinlänge und hoher Stromdichte, ist unklar<br />
(Polarisierungseffekt). Nach <strong>eine</strong>r einmaligen Behandlung<br />
mit Hochvoltimpulsen <strong>eine</strong>r Frequenz von<br />
12Hz wurde <strong>eine</strong> Verlangsamung der sensiblen <strong>Nerve</strong>nleitgeschwindigkeit<br />
gefunden (20), während die Therapie<br />
mit 1, 20 und 60 Impulsen/sec die Seitendifferenz<br />
der sensiblen <strong>Nerve</strong>nleitgeschwindigkeit nicht<br />
signifikant beeinflussen konnte.<br />
Im Tierexperiment haben Ignelzi und Nyquist (21)<br />
mit Einzelfaserableitung aus A-beta und A-gamma Fasern<br />
<strong>eine</strong>s freigelegten Hautnerven gezeigt, dass nach<br />
<strong>eine</strong>r Behandlung mit TENS-Strömen <strong>eine</strong>r Frequenz<br />
zwischen 180 und 200 70% der untersuchten <strong>Nerve</strong>nfaser<br />
veränderte Erregbarkeitsparameter boten. Diese<br />
veränderte Erregbarkeit der <strong>Nerve</strong>n konnte bis zu 30<br />
Minuten nachweisbar bleiben, bevor sich die Stimulierungsfähigkeit<br />
wie vor der Behandlung wieder hergestellt<br />
hatte.<br />
Klinische Ergebnisse der <strong>Nerve</strong>nblockade<br />
nach Jenkner<br />
Beim Vergleich der Wirksamkeit <strong>eine</strong>r lokalen Behandlung<br />
mit Dreieckströmen (IG30) und der elektrischen<br />
Blockade des 6 Halsnerven bzw. des N. Suprascapularis<br />
bei Patienten mit schmerzhafter Schulterperiarthropathie<br />
konnte kein signifikanter Unterschied zwischen<br />
diesen drei Therapievarianten gefunden werden<br />
(22).<br />
Auch Elektrotherapie akuter Herpes zoster Erkrankungen<br />
(23,24) geht konzeptionell auf Jenkners Anre-
gungen zur Elektrodenlage und Polung monopolarer<br />
Ströme zurück. Die retrospektiven Ergebnisse aus eigenen<br />
großen Fallserien hat Jenkner wiederholt berichtet<br />
(7, 11, 13).<br />
Elektroporation<br />
Dr. Schwartz argumentiert in s<strong>eine</strong>r Übersicht, dass<br />
beim der richtigen Auswahl der Stimulationsparameter<br />
<strong>eine</strong> elektrische Sympathikusblockade möglich ist: Die<br />
erste dafür notwendige Wirkkomponente ist <strong>eine</strong><br />
Elektroporation. Unter diesem Begriff versteht man<br />
das Phänomen, dass in Zellen unter bestimmten elektromagnetischen<br />
Feldbedingungen <strong>eine</strong> Porenbildung<br />
in der Zellmembran auftreten kann. Diese Methode<br />
wurde ursprunglich für den Austausch von Makromolekülen<br />
durch Membranen isolierter Zellen und Zellkulturen<br />
entwickelt (25). Inzwischen wird sie auch für<br />
die Medikamenteneinbringung am Lebenden eingesetzt<br />
und ein Therapiegerät für die Elektro-Chemotherapie<br />
ist in Erprobung (26). Die kombinierte Anwendung<br />
von Iontophorese und Electropration wurde<br />
berichtet (27). Der Elektroporation wurde auch <strong>eine</strong><br />
Rolle im Zusammenbruch des kapazitiven Widerstands<br />
bei Applikation von intensiven Spannungsimpulsen<br />
zugeschrieben (28).<br />
Welche Bedeutung nun diese durch moderate bis starke<br />
Spannungsimpulse bedinget vorübergehende Porenbildung<br />
in Geweben für die Blockade sympathischer<br />
<strong>Nerve</strong>nfasern besitz bleibt unklar. Zumindest<br />
kann die Hornschicht der Haut,. welche den primären<br />
und deutlichsten elektrischen Widerstand darstellt, etwas<br />
besser überwunden werden. Damit ist möglicherweise<br />
ein suffizientere Reizung von <strong>Nerve</strong>n möglich.<br />
Spannungsabhängige Membrankanäle<br />
Die Bedeutung von Ionen-Kanälen in der Membran<br />
erregbaren Zellen für die Auslösung und Modifikation<br />
des Aktionspotentials ist groß (29). Die Natriumkanäle<br />
liegen in unterschiedlichen Zuständen vor und werden<br />
vor allem während der Depolarisation in ihrer<br />
Funktion bestimmt. Unterschiedliche Kaliumkanäle<br />
sind vor allem für die Repolarisationsgeschwindigkeit<br />
und die Ausbildung von Nachpotentialen verantwortlich.<br />
Schließlich haben auch Kalzium-Kanäle <strong>eine</strong> Rolle<br />
in der Erregungsbildung.<br />
Der Na- Kanal ist ein Glycoprotein mit <strong>eine</strong>m Molekulargewicht<br />
von etwa 300000. Die elektrischen Größen,<br />
die an diesen Kanälen beobachtet werden, sind<br />
bekannt. Ebenso weiß man, dass bestimmte Medikamente<br />
und Toxine diese Natriumkanäle hemmen können<br />
(30). An bekanntesten sind wohl die Lokalan-<br />
Editorial<br />
ästhetika, die neben den Natriumkanäle auch Kalium<br />
und Kalziumkanäle modifizieren.<br />
Eine direkte Beeinflussung der spannungsabhängigen<br />
Membrankanäle durch elektromagnetische Felder bleibt<br />
vorerst spekulativ. Vor allem die erhöhte Syntheseleistung<br />
von Knorpel- und Knochenzellen, die <strong>eine</strong>m<br />
pulsierenden elektromagmnetischen Feld ausgesetzt<br />
waren, wurden mit <strong>eine</strong>r Modifikation von Kalzium-<br />
Kanälen erklärt (31). Auch <strong>eine</strong> Modellbildung, welche<br />
die elektrischen Verhältnisse an Zellmembranen von<br />
lebenden elektrisch erregbaren Organsystemen darstellt,<br />
ist faktisch wegen der Vielzahl der beteiligten<br />
Zellen und Strukturen unmöglich.<br />
Direkter Effekt an der erregbaren Membran<br />
oder Interaktion von neuronalen Systemen<br />
Schließlich scheint das Konzept <strong>eine</strong>r elektrischen<br />
<strong>Nerve</strong>nblockade all zu sehr auf die Genese der Blockade<br />
auf Grund molekularer Veränderungen fokusiert<br />
zu sein. Die Tatsache, <strong>eine</strong>r Schmerzdämpfung<br />
durch externe Elektrotherapie ist unbestritten. Die<br />
mögliche Aktivierung des komplizierten endogenen<br />
Schmerzhemmsystems durch Elektrostimulation ist<br />
akzeptiert (32) und Vorstellungen, welche Strukturen<br />
etwa bei der Rückenmarksstimulation aktiviert werden,<br />
sind gut entwickelt (33). Schließlich ist auch das<br />
autonome <strong>Nerve</strong>nsystem nicht obligat an der Entwicklung<br />
chronischer Schmerzen beteiligt, sodass auch<br />
Kriterien zu fordern sind, zu welchem Zeitpunkt <strong>eine</strong><br />
elektrische Sympathikusblockade indiziert ist. Mit Sicherheit<br />
trifft das auf die von Dr. Schwartz gegebene<br />
Indikationsliste nicht zu.<br />
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Korrespondenzadresse des Autors<br />
OA Prof Dr Kurt Ammer PhD<br />
Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation<br />
Hanuschkrankenhaus, Heinrich Collinstr 30, 1140Wien<br />
Email: KAmmer1950@aol.com