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Kunst auf Knopfdruck

Ein Artikel über den Kunstautomaten des jüdischen Museums Berlin.

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2 KULTUR<br />

SOMMER 2016 Die Friedrichstadt<br />

Foto: Stephan Klonk/ Jüdisches Museum Berlin<br />

Hinter jedem der 24 Fächer verbirgt sich ein handsigniertes Unikat<br />

KUNST AUF<br />

KNOPFDRUCK<br />

Im Foyer des Jüdischen Museums steht seit drei Jahren ein besonderer<br />

Automat. Für sechs Euro kann man sich hier ein <strong>Kunst</strong>werk ziehen<br />

TEXT Zsa Zsa Gersina<br />

Die Luft hat etwas steriles,<br />

klares und unnatürlich kühles.<br />

Geht man quer durch<br />

die große Eingangshalle,<br />

vorbei an den Sicherheitskontrollen<br />

und der Empfangsdame, dann<br />

fällt der Blick <strong>auf</strong> einen Automaten. Man<br />

muss nur den geringen Betrag von sechs<br />

Euro einwerfen, dann steht es dem Käufer<br />

offen, welches der 24 Fächer <strong>auf</strong>geklappt<br />

wird und schon ist er im Besitz eines Exemplars<br />

einer limitierten Kleinstserie eines<br />

Künstlers. Der Selbstbedienungsautomat<br />

enthält <strong>Kunst</strong>werke oder <strong>Kunst</strong>botschaften<br />

jüdischer Künstlerinnen und Künstler.<br />

Die Päckchen sind bestückt mit den verschiedensten<br />

Kostbarkeiten der unterschiedlichsten<br />

Genres. Die Käufer können<br />

kleine Grafiken, Bilder, Plastiken, Skulpturen,<br />

Texte in Lyrik oder Prosa, Hörbücher,<br />

Videofiles, Dokumentationen oder Musik<br />

erwerben. Auch Experimentelles findet<br />

sich darunter, wie zum Beispiel die Glasmalerei<br />

des gebürtigen Amerikaners Daniel<br />

Wiesenfeld. Grundsätzlich ist alles<br />

möglich, Hauptsache das Werk passt in<br />

den Automaten.<br />

So unterschiedlich wie die Werke in<br />

dem Automaten sind auch die Künstler<br />

dahinter. Auf einem Beipackzettel können<br />

sie Auskunft über sich und ihren künstlerischen<br />

Werdegang geben. Die Teilnehmerbedingungen<br />

sind sehr offen gehalten,<br />

generell können alle jüdischen<br />

<strong>Kunst</strong>schaffenden, die in Berlin leben mitmachen<br />

– auch ohne Abschluss eines<br />

<strong>Kunst</strong>studiums. Der Erlös kommt den<br />

Künstlern unmittelbar zugute, darüber hinaus<br />

kommt das Jüdische Museum Berlin<br />

für die Materialkosten <strong>auf</strong>.<br />

Unter den Werken befinden sich in<br />

diesem Jahr hochwertig produzierte Fotografien<br />

von Noga Shtainer, Birgit Naomi<br />

Glatzel und Daniela Orvin, Ölgemälde<br />

von David Benforado, <strong>Kunst</strong>postkarten


Die Friedrichstadt WWW.AMD.NET KULTUR 3<br />

von Shira Wachsmann, ein <strong>Kunst</strong>film von<br />

Birgit Naomi Glatzel sowie Keramiken von<br />

Rachel Kohn. Form und Material wählten<br />

die Künstler selbst.<br />

Der <strong>Kunst</strong>automat steht seit dem<br />

Sommer 2013 im Jüdischen Museum. Bislang<br />

wurden in den ersten drei Runden<br />

5.400 <strong>Kunst</strong>werke verk<strong>auf</strong>t, seit April läuft<br />

die vierte Runde und die Künstler für die<br />

nächste Saison stehen bereits fest. Der<br />

Automat bringt natürliche Vorteile für Verkäufer<br />

und Käufer sich. Die Künstler macht<br />

er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.<br />

Für den Kunden wiederum bietet diese<br />

Wundertüte die Möglichkeit, rund um die<br />

Uhr ein signiertes <strong>Kunst</strong>unikat als Mitbringsel<br />

erwerben.<br />

Malen heißt<br />

entschlossen<br />

„ Handeln<br />

Einer der Künstler, der den Automaten<br />

momentan bestückt, ist der gebürtige<br />

Grieche David Benforado. Der 39-Jährige<br />

studierte Malerei , Skulptur und Installation<br />

in Amerika und setzte sein Studium in<br />

Ungarn fort. Benforado hat an zahlreichen<br />

Ausstellungen und Projekten in ganz Europa<br />

und in den USA teilgenommen. Eine<br />

seiner Inspirationsquellen ist die Musik.<br />

Durch seine langjährige Beschäftigung<br />

mit der Ney Flöte, einer orientalischen<br />

Längsflöte aus Holz, sowie mit modaler<br />

Musik, insbesondere aus dem östlichen<br />

Mittelmeerraum, hat sich seine Malweise<br />

weiter entwickelt.<br />

Beforados Bilder entstehen intermedial<br />

aus Melodie, Farbe und Pinselstrichen.<br />

Dabei entspricht die orientalische Musikrichtung<br />

Makam mit ihren Tongattungen<br />

und ihrem Melodieverl<strong>auf</strong> geradezu ideal<br />

der abstrakten <strong>Kunst</strong>. Beide basieren <strong>auf</strong><br />

einer Anordnung von einzelnen Tönen beziehungsweise<br />

Farben, die zu harmonischen<br />

Einheiten zusammengefügt werde<br />

und durch Improvisation ihren unverwechselbaren<br />

Charakter erhalten. Diese Tatsache<br />

macht sich der Künstler zunutze. In<br />

seiner aktuellen <strong>Kunst</strong>automaten–Serie<br />

„Makams Malen“ ist das Resultat die abstrakte<br />

Darstellung einer Musikvorführung.<br />

Durch seine malerische Interpretation<br />

des Musikstücks überträgt jedes Bild<br />

eine Identifizierung mit der Musik. Malen<br />

ist für Benforado eine entschlossene<br />

Handlung: „Das, was ich tue, geht ganz<br />

<strong>auf</strong> die Farbwahrnehmung zurück, egal ob<br />

ich ein gegenständliches Bild oder eine<br />

abstrakte Komposition anfertige.“ <strong>Kunst</strong><br />

für diese neue Plattform des <strong>Kunst</strong>handels<br />

anzufertigen, sagt der Künstler, habe ihn<br />

zur Entwicklung eigener Farben aus Pigmenten<br />

inspiriert, welche die Oberfläche<br />

der Bilder aktiver und dynamischer machen.<br />

<strong>Kunst</strong> zu besitzen beziehungsweise<br />

sie zu erwerben ist ein altes Geschäft, dass<br />

sie einer breiten Masse <strong>auf</strong> diese Art im<br />

Museum zugänglich gemacht wird, ist<br />

neu. <strong>Kunst</strong> kann verwirren, erhellen, <strong>auf</strong>regen<br />

und sogar süchtig machen. Es geht<br />

letztlich darum, was sie in uns auslöst. Das<br />

kann bei jedem etwas anderes sein, aber<br />

sie lässt keinen kalt. Der Automat ermöglicht<br />

einen preiswerten Zugang zur Vielfältigkeit<br />

der jüdischen <strong>Kunst</strong>- und Literaturszene<br />

in <strong>Kunst</strong> und Literatur, die in<br />

Berlin entsteht. Und sie nicht nur zu erleben,<br />

sondern sogar zu besitzen.<br />

Der eine k<strong>auf</strong>t sich für knapp 180 Millionen<br />

Dollar ein Gemälde von Pablo Picasso,<br />

der andere für ein paar Euro ein<br />

Überraschungskunstwerk eines Berliner<br />

Künstlers. Niemand kann sich das Recht<br />

herausnehmen, zu urteilen, wer glücklicher<br />

ist über den neuen Besitz in der eigenen<br />

<strong>Kunst</strong>sammlung. Die Preise für <strong>Kunst</strong><br />

basieren <strong>auf</strong> Angebot und Nachfrage. Der<br />

Wert eines Künstlers steigt in die Höhe,<br />

wenn das Angebot begrenzt ist. Ein Pablo<br />

Picasso wird nicht von den Toten <strong>auf</strong>erstehen.<br />

Ein relativ unbekannter Künstler hingegen<br />

wird eine eher geringe Nachfrage<br />

genießen und so einen geringeren Wert<br />

<strong>auf</strong> dem <strong>Kunst</strong>markt haben. Doch auch<br />

die Preise für Zeitgenössische <strong>Kunst</strong> sind<br />

in den vergangenen Jahren rasant in die<br />

Höhe gestiegen sind. Die US-amerikanische<br />

<strong>Kunst</strong>preisdatenbank Artpice verzeichnet<br />

allein in den vergangen drei Jahren<br />

einen Preisanstieg von 43 Prozent für<br />

Gegenwartskunst. Die Nachfrage ist auch<br />

deshalb gestieben, weil der Käuferkreis<br />

für teure Gemälde wächst. Waren früher<br />

noch Amerikaner und Europäer größtenteils<br />

unter sich, sind nun auch die Superreichen<br />

aus Asien, dem Mittleren Osten<br />

und Russland da.<br />

Limitierte Stückzahlen<br />

Der <strong>Kunst</strong>automat macht sich dieses Prinzip<br />

in der Nische zunutze. Im Museum<br />

wird die <strong>Kunst</strong> einer größeren Masse bekannt,<br />

das steigert die Nachfrage. Das<br />

Angebot ist durch die limitierte Stückzahl<br />

der <strong>Kunst</strong>werke begrenzt. Durch den Automaten<br />

entsteht eine neue Plattform, wie<br />

sichAngebot und Nachfrage entwickeln<br />

werden ist noch nicht vorhersehbar. So<br />

unergründlich wie die nächste Periode,<br />

das nächste Werk oder auch nur der<br />

nächste Pinselstrich eines Künstler ist, so<br />

unberechenbar ist auch der Weg seines<br />

Erfolgs.<br />

Eine weitere Besonderheit ist die Anonymität,<br />

die der <strong>Kunst</strong>automat mit sich<br />

bringt. Unbekannte Leute k<strong>auf</strong>en unbekannte<br />

<strong>Kunst</strong> von ihnen meist unbekannten<br />

Künstlern und bringen sie an einen<br />

unbekannten Ort. Durch das Konzept des<br />

öffentlich zugänglichen, maschinellen<br />

<strong>Kunst</strong>handels l<strong>auf</strong>en wir also dennoch<br />

nicht Gefahr, dass dem Ganzen das Besondere<br />

genommen wird. Der Automat<br />

bringt so auch ein Überraschungsmoment<br />

zurück, das in Zeiten der Digitalisierung<br />

von <strong>Kunst</strong> Mangelware ist.<br />

Jeder weiß, wie Leonardo da Vincis<br />

Mona Lisa aussieht. Fraglich ist, woher.<br />

Wer stand wirklich vor dem schönsten Lächeln<br />

der Welt im Pariser Louvre – und wer<br />

hat es nur Zuhause <strong>auf</strong> dem Bildschirm<br />

vom Sofa aus gesehen? Macht es für die<br />

breite Masse überhaupt noch einen Unterschied,<br />

ob sie das Ölgemälde sieht, ob sie<br />

den Pinselstrich und die Maserung <strong>auf</strong> der<br />

Leinwand erkennen kann – oder reicht es<br />

den meisten aus, das flackernde, abgefilmte<br />

oder abfotografierte Bild zu sehen?<br />

Der <strong>Kunst</strong>automat sorgt dafür, dass wir<br />

<strong>Kunst</strong> wieder direkt anschauen, ja sogar<br />

anfassen. Er macht die Originalität und<br />

das Handwerk hinter dem Werk sichtbar.<br />

Aus der Serie „Makams Malen“<br />

von David Benforado, 2014<br />

Die oberflächliche Parallele zur Mode veranschaulicht<br />

es. Die Nähmaschine hat<br />

dem Kleidungsstück seine Besonderheit<br />

genommen, die Großindustrie überholte<br />

die Handwerkskunst, der Onlinehandel<br />

gefährdet die Geschäfte – die Schnelllebigkeit<br />

nimmt dem Ganzen den Zauber.<br />

Ähnlich wie mit der Fast Fashion verhält es<br />

sich auch mit dem schnellen Konsum von<br />

<strong>Kunst</strong>. So wie es oft befriedigender ist, ein<br />

Einzelstück eines jungen Designers zu erwerben<br />

anstelle eines Stapels neuer Kleider,<br />

so kann es auch erfüllender sein, ein<br />

Unikat aus dem <strong>Kunst</strong>automaten mit nach<br />

Hause zunehmen.<br />

Foto: Jens Ziehe/ Jüdisches Museum Berlin

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