9783981667462_Leseprobe
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NOVELLE<br />
Martina Altschäfer<br />
Matthias Beckmann<br />
Phyllis Kiehl<br />
Klaus Mellenthin<br />
Sebastian Rogler<br />
Uwe Schäfer<br />
Caro Suerkemper<br />
Majla Zeneli
INHALT<br />
Matthias Beckmann<br />
Verschiedene Notizen statt<br />
einer Einleitung 7<br />
Sebastian Rogler<br />
Der Maat Abdul Nasim Baqi 13<br />
Majla Zeneli<br />
Observations 19<br />
Martina Altschäfer<br />
Der fliegende Hund 25<br />
Caro Suerkemper<br />
Hinter dem Spiegel<br />
31<br />
Uwe Schäfer<br />
Nobody loves you when<br />
you‘re down and out 37<br />
Klaus Mellenthin<br />
Wieder zurück 43<br />
Phyllis Kiehl<br />
Vom Gewebe der Wirklichkeit 49<br />
Abbildungsverzeichnis 55<br />
Aus dem Leben der<br />
Künstlerinnen und Künstler 57<br />
Impressum 59
Matthias Beckmann<br />
VERSCHIEDENE NOTIZEN<br />
STATT EINER EINLEITUNG<br />
Eine sorgfältig geschnürte Mappe mit Texten und Bildern<br />
fand sich in einem Sekretär, den ich bei einem<br />
Antiquitätenhändler erworben hatte. Obenauf lagen<br />
mehrere Notizzettel eines unbekannten Autors. Die<br />
Gedankensplitter sollten vielleicht die Grundlage für<br />
das Vorwort zu einer illustrierten Novellensammlung<br />
bilden, die jedoch nie erschienen ist. Ohne jeglichen<br />
Eingriff sind die Notizen hier abgedruckt.<br />
Die Notizzettel<br />
Beim Spielen im Wald hinter unserem Haus war mir<br />
klar, dass die dunkle Erde, auf die ich stieß, darauf<br />
hindeutete, dass man bei weiterem Graben der Hölle<br />
immer näher käme. Eine Tatsache, die mich nicht im<br />
Geringsten beunruhigte.<br />
Ich besuchte das Atelier eines Berliner Malers, der<br />
Alltagsgegenstände nach der Natur malte. Fast mehr<br />
noch als seine Kunstfertigkeit mit dem Pinsel bewunderte<br />
ich seine Fähigkeit, gleichzeitig zu malen und<br />
das Gespräch mit mir fortzusetzen.<br />
Dass Bilder etwas erzählen, stand für mich immer außer<br />
Frage. Als Kind betrachtete ich die Zeichnungen<br />
zum Räuber Hotzenplotz, Hans Baluscheks Illustrationen<br />
zu Peterchens Mondfahrt, Dürers Ritter, Tod und Teufel.<br />
7
Dass es auch Kunst geben sollte, die nichts erzählt, kam<br />
mir nicht in den Sinn.<br />
In der Malerei wurden seit Jahrhunderten immer wieder<br />
die gleichen Geschichten erzählt. Die Besonderheit<br />
der Maler zeigte sich in dem, was sie aus den bekannten<br />
Themen machten. Rembrandt fand besonderen Gefallen<br />
daran, auf der Radierung mit dem barmherzigen<br />
Samariter im Vordergrund einen Hund darzustellen,<br />
der sein Geschäft verrichtet. Den Hund sucht man im<br />
Gleichnis des Neuen Testaments vergeblich.<br />
Mein Vater las mir die Märchen der Brüder Grimm<br />
nicht vor. Er erzählte sie frei. Alles ereignete sich in<br />
der vertrauten Umgebung. Das tapfere Schneiderlein<br />
bestand seine Proben im nahe gelegenen Wald. Ganz<br />
genau ließ sich sagen, hinter welcher Tanne was geschehen<br />
war.<br />
Mal will sich eine schöne Orientalin in 1001 Nacht<br />
durch Erzählungen vor der Hinrichtung retten, mal<br />
vertreiben sich vor der Pest aufs Land Geflohene mit<br />
100 Novellen die Zeit, mal treffen sich am Kaminfeuer<br />
alte Freunde, die sich durch immer merkwürdigere<br />
Geschichten zu überbieten versuchen. Beliebt ist auch<br />
die Behauptung, man sei nur der Herausgeber der<br />
Schriften, die man gefunden und in lesbare Form gebracht<br />
habe. Eines steht fest: Eine Novellensammlung<br />
braucht eine Geschichte hinter der Geschichte.<br />
Ein befreundeter Schriftsteller erzählt gerne, dass<br />
ein Schriftsteller ein Mensch sei, dem das Schreiben<br />
8
Sebastian Rogler<br />
DER MAAT ABDUL NASIM BAQI<br />
Mein Großvater Waldemar, der Haudegen von den<br />
Panzerkreuzern, erzählte meinem leider schon verstorbenen<br />
hanseatischen Lieblingsoheim gerne und oft<br />
die Geschichte des kolonial-afghanischen Maates Abdul<br />
Nasim Baqi vom Schlachtschiff Bismarck, welcher<br />
seinerseits vielmals und eindrücklich berichtet hatte,<br />
dass er in seiner Jugend am Hindukusch bei einem<br />
Onkel mütterlicherseits aufgewachsen sei, da sein Onkel<br />
väterlicherseits, ein stattlich-bärtiger Kommandeur<br />
der Taliban, seinen Vater, den örtlichen und mit den<br />
Besatzern kooperierenden Polizeichef, der ebenfalls<br />
nicht zimperlich gewesen war, wenn es um das Ableben<br />
der Aufständischen ging, durch eine Kugel in den<br />
Rücken allein deshalb vom Leben zum Tod befördert<br />
hatte, um Abdul Nasim Baqis Mutter zu verehelichen.<br />
Ein Brudermord also.<br />
Die Kinder aus erster Ehe waren fortan verstoßen,<br />
und es wurde ihnen sämtlich zur Rettung der Ehre<br />
der Familie nahegelegt, suizidal erweiterte Selbstmorde<br />
innerhalb größtmöglicher Ansammlungen von Menschen<br />
zu begehen. Abdul Nasim Baqi war klug genug,<br />
dieser Aufforderung nicht zu folgen, er floh und<br />
heuerte im Flecken Karatschi auf einem japanischen<br />
Seelenverkäufer an, welcher ihn aufgrund Havarie<br />
vor Cuxhaven in die offenen Arme der Kriegsmarine<br />
trieb. „Liebste Gertrud, der Maat Abdul Nasim Baqi<br />
13
erzählte heute, dass nun auch seine Schwester, bekannt<br />
als die ,Kajakfahrerin von Kandahar‘, erdolcht<br />
aufgefunden wurde. Und keiner unter Gottes Firmament<br />
weiß, warum. Warum sie Kajak fuhr, und warum<br />
sie erdolcht wurde.“<br />
[Hier hapert die Geschichte etwas aufgrund des Kajaks,<br />
auch wenn sie wahr ist. Mut ist ja ein Gemisch<br />
aus Vertrauen, Neugier, Überzeugung und Schnaps.]<br />
Dies jedenfalls besagen die Zeilen meines Großvaters<br />
aus einem Feldpostbrief vom April 1941, abgeworfen<br />
während der Luftreise nach Berlin aus einer das feindliche<br />
Radar unterfliegenden Fieseler Storch über den<br />
Niederlanden unter Beschuss flämischer Partisanen.<br />
Und weiter heißt es darin sinngemäß, dass das Leben<br />
eines toten Hühnerkükens bereits damals in den<br />
wasserlosen Bergen Zentralasiens weit mehr gegolten<br />
habe als das eines lebendigen Menschen. Alle Flüsse<br />
dort versiegen, noch bevor sie überhaupt irgendwo<br />
münden können.<br />
Kaum vier Wochen später sank das Schlachtschiff<br />
Bismarck durch einen britischen Volltreffer ohne meinen<br />
Großvater, er war nicht an Bord gewesen wegen<br />
lange geplanter Ferien im Vorharz. Der Maat Abdul<br />
Nasim Baqi hingegen ertrank und liegt bis heute auf<br />
dem Grund des Nordatlantik unter Bruttoregistertonnen<br />
rostenden Wehrmachtmetalls.<br />
Daher, also urlaubsbedingt, konnte mein Großvater<br />
die Geschichte vom afghanischen Maat überhaupt<br />
14
ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />
Frontispiz<br />
Martina Altschäfer<br />
Sturz, 2016<br />
Pinselzeichnung auf Transparentpapier<br />
9 x 9 cm<br />
Seite 11<br />
Matthias Beckmann<br />
Umbras Kuriositätenkabinett, 2016<br />
Bleistift auf Papier<br />
29,7 x 21 cm<br />
Seite 17<br />
Sebastian Rogler<br />
Schuh und Kelle, 2015<br />
Photographie<br />
22 x 22 cm<br />
Seite 23<br />
Majla Zeneli<br />
Ohne Titel, 2013<br />
Mezzotinto und Collage<br />
21 x 12,3 cm<br />
Seite 29<br />
Martina Altschäfer<br />
Geisterreiter, 2016<br />
Holzschnitt, Probedruck<br />
(Detail)<br />
25 x 36 cm<br />
55
Seite 35<br />
Caro Suerkemper<br />
o. T., 2016<br />
negatives Relief in Rokokotischchen<br />
Acrystal<br />
(Detail)<br />
74 x 69 x 40 cm<br />
Seite 41<br />
Uwe Schäfer<br />
The Beatles, 2015<br />
Fineliner auf Papier<br />
ca. 10 x 20 cm<br />
Seite 47<br />
Klaus Mellenthin<br />
Wend na seki laafi, 2015<br />
Giclée Baryta Print<br />
45 x 30 cm<br />
Seite 53<br />
Phyllis Kiehl<br />
Mehr als 10 neue Erlaubnisse, Nr. 8, 2014<br />
Edding auf Papier<br />
21 x 29,7 cm<br />
Umschlagbild<br />
Sebastian Rogler<br />
Teppich, 2015<br />
Photographie<br />
(Detail)<br />
22 x 22 cm<br />
56
AUS DEM LEBEN DER KÜNSTLERINNEN<br />
UND KÜNSTLER<br />
Martina Altschäfer, geb. 1960, bezeichnet mit farbigen<br />
Strichen große Papiere. Aus Linien und Schraffuren entstehen<br />
seltsame Orte und rätselhafte Szenerien, die sie<br />
mit Vorliebe im Hochgebirge ansiedelt. Daher hat sie oft<br />
das Gefühl, nicht in Rüsselsheim zu sein, wo sie eigentlich<br />
lebt und arbeitet.<br />
www.altschaefer.de<br />
Matthias Beckmann wurde 1965 in Arnsberg/Westfalen<br />
geboren und lebt in Berlin. Ohne fotografische Hilfsmittel<br />
zeichnet er seine Bildfolgen vor dem Motiv. Daneben<br />
entstehen Zeichentrickfilme. Seit 20 Jahren ist er Mitglied<br />
der Künstlergruppe „Die Weissenhofer“.<br />
www.matthiasbeckmann.com<br />
Phyllis Kiehl, Künstlerin und Autorin, 1966 in Bensheim<br />
geboren, lebt und arbeitet in Frankfurt und Paris. Ihre<br />
Medien sind Text, Zeichnung, Fotografie & Collage.<br />
Neben öffentlichen Lesungen betreibt sie seit 2006 ein<br />
literarisches Weblog, das auch ihre bildnerische Arbeit<br />
begleitet:<br />
taintedtalents.twoday.net<br />
Klaus Mellenthin, geboren 1969 in Stuttgart, ist Fotograf.<br />
Nach Aufenthalten in Barcelona, Paris und London lebt<br />
er seit 2013 in Berlin. Mit seinen Arbeiten bewegt er sich<br />
zwischen angewandter und freier Fotografie. Ihn treibt die<br />
Idee, dass seine Fotografien den Entstehungskontext hinter<br />
sich lassen und zu eigenen Werken werden können.<br />
www.klausmellenthin.com<br />
57
Sebastian Rogler wurde 1961 in Tübingen geboren. Er studierte<br />
Graphik und Malerei an der Staatlichen Akademie<br />
der Bildenden Künste Stuttgart und lebt heute in Berlin<br />
und Hagelloch.<br />
www.sebastian-rogler.de<br />
Uwe Schäfer wurde 1965 in Bamberg geboren und lebt in<br />
Stuttgart. Er ist Maler und Zeichner. In der Ausstellung<br />
„Novelle“ zeigt er unter anderem Zeichnungen, die beim<br />
Plattenhören entstanden sind. Gib Ton und Strich für die<br />
Novelle. Als Bob Weissenhofer reitet er schon seit einiger<br />
Zeit mit der Künstlergruppe „Die Weissenhofer“.<br />
www.uweschaefer-kunst.de<br />
Caro Suerkemper, 1964 in Stuttgart geboren, hat schon die<br />
Hälfte ihrer Jahre in Berlin verbracht. Nach einem Studium<br />
der Malerei entdeckte sie 2008 das Modellieren für<br />
sich. Seither widmet sie sich dieser Tätigkeit mit einem<br />
malerischen Auge und einem zwinkernden Auge.<br />
www.caro-suerkemper.de<br />
Majla Zeneli wurde 1980 in der albanischen Hauptstadt<br />
Tirana geboren und studierte an der Eugeniusz Geppert<br />
Akademie der Künste in Wroclaw, Polen. Sie arbeitet in<br />
der traditionsreichen Technik der Mezzotintoradierung an<br />
Bildnissen, die sie mit präzisen Schnitten (de)konstruiert.<br />
www.jarmuschek.de/en/artist/majla_zeneli/works/<br />
58
IMPRESSUM<br />
Das Buch „Novelle“ erscheint in einer Auflage von 500<br />
Exemplaren zur gleichnamigen Ausstellung, die vom<br />
19. August bis zum 24. September 2016 in der Galerie<br />
Nord /Kunstverein Tiergarten in Berlin zu sehen ist.<br />
Es ist eine Sonderedition des Buches erhältlich mit einem<br />
kleinen originalen Kunstwerk. Zur Wahl stehen Arbeiten,<br />
die die beteiligten Künstlerinnen und Künstler in einer<br />
Auflage von 7 Exemplaren eigens hierfür geschaffen haben.<br />
Herausgeber: Kunstverein Tiergarten, Berlin<br />
© für die Texte: Martina Altschäfer, Matthias Beckmann,<br />
Phyllis Kiehl, Klaus Mellenthin, Sebastian Rogler, Uwe<br />
Schäfer, Caro Suerkemper, Majla Zeneli<br />
© für die Abbildungen: die Künstler<br />
© VG Bild-Kunst 2016 für Matthias Beckmann,<br />
Sebastian Rogler, Uwe Schäfer, Caro Suerkemper<br />
Redaktion: Matthias Beckmann und Barbara Miklaw<br />
Bildbearbeitung: Massoud Graf-Hachempour<br />
Druck und Bindung: OOK-Press Kft. Veszprém, Hungary<br />
Herzlichen Dank an Barbara Miklaw, Hannelore Alt, Claudia<br />
Beelitz, Ralf Hartmann und Massoud Graf-Hachempour.<br />
MirabilisVerlag 2016<br />
www.mirabilis-verlag.de<br />
ISBN 978-3-9816674-6-2<br />
Alle Rechte bleiben vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung darf<br />
kein Teil des Werkes wiedergegeben, vervielfältigt und verbreitet werden.