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Leseprobe zu "Grenzgänger" von Eckhard Neuhoff

Mit meinem Erstling "Grenzgänger. Autobiografische Fragmente und der Versuch ihrer Zuordnung" habe ich versucht, Teile meiner Biografie mit den Ursachen und Auswirkungen meiner psychischen Erkrankung in Verbindung zu bringen, und für mich schlüssig zu erklären.

Mit meinem Erstling "Grenzgänger. Autobiografische Fragmente und der Versuch ihrer Zuordnung" habe ich versucht, Teile meiner Biografie mit den Ursachen und Auswirkungen meiner psychischen Erkrankung in Verbindung zu bringen, und für mich schlüssig zu erklären.

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<strong>Leseprobe</strong><br />

(…) Als ich meiner Sprachmächtigkeit beraubt wurde, war ich etwa elf Jahre alt. Es begann mit<br />

einer linksseitigen Gesichtsmuskel- und Nervenlähmung, deren Ursachen nicht bekannt waren, und<br />

die nach einigen Wochen anscheinend spurlos wieder verschwand. Zurück blieb eine merkwürdige<br />

Sprachstörung, die sich sämtlichen Therapieversuchen widersetzte, und die einmal mehr und einmal<br />

weniger intensiv <strong>zu</strong>tage trat. Es war kein Stottern im eigentlichen Sinn, sondern ein eher<br />

buchstäbliches Ringen um einzelne Worte und Sätze - verbunden mit einer stoß-weisen,<br />

krampfartigen Hemmung der Atmung.<br />

Meine Mutter betrachtete diese Störung als Affront gegen ihr Bemühen, mir ein gepflegtes und<br />

makelloses Deutsch <strong>zu</strong> vermitteln, und damit als ein Zeichen mangelnden Willens und mangelnder<br />

Konzentration – also als Ausdruck meines labilen und unwilligen Charakters. Sie stieß sich daran,<br />

dass dieses Phänomen nur bei freier Rede, nicht aber beim Aufsagen <strong>von</strong> Gedichten und Texten<br />

auftrat. Und ich erinnere mich an einzelne Szenen, in denen ich freudig und gelöst mit<br />

Sprachdialekten spielte, sie mich dabei ertappte, und mich spöttisch darauf hinwies, ich solle doch<br />

erst einmal „richtig“ Sprechen lernen. Dabei war und ist Sprache etwas, das mir immer sehr viel<br />

bedeutet hat, und dem ich <strong>von</strong> Früh an sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt habe. Umso<br />

schmerzlicher war ihr teilweiser Verlust für mich, denn schließlich teilen wir uns hauptsächlich<br />

durch Sprache mit und verleihen mit ihrer Hilfe unseren Gefühlen und Gedanken Ausdruck.<br />

Künstlern hingegen stehen noch andere Wege offen, sich <strong>zu</strong> äußern und dar<strong>zu</strong>stellen, denn auch mit<br />

Farben, oder Musik lassen sich Empfindung und Emotion auf einzigartige Weise transportieren, und<br />

gelangen so ungefiltert und pur <strong>zu</strong> den anderen Menschen. Ich hingegen war nie ein begabter Maler,<br />

Musiker oder Komponist und hatte so immer nur die Sprache, um mich mit<strong>zu</strong>teilen und sichtbar<br />

machen <strong>zu</strong> können. Durch meine Sprachstörung wurde ich für sehr lange Zeit dieses Mittels beraubt<br />

und <strong>zu</strong>sätzlich durch das oft höhnische und verletzende Verhalten meiner Mitschüler, sowie durch<br />

die lähmende und mich mit immer größerer Angst erfüllende Dominanz meiner Mutter darin<br />

behindert, mich ungehemmt und frei <strong>zu</strong> äußern und <strong>zu</strong> zeigen. In einer meiner zahlreichen<br />

Therapien wurde mir einmal gesagt, meine frühen und traumatischen Erfahrungen mit anderen<br />

Menschen, hätten mich im übertragenen Sinn sprachlos gemacht. Man könnte auch sagen, ich sei<br />

angesichts der scheinbaren Übermacht der anderen einfach verstummt. (…)<br />

Aus: „Grenzgänger. Autobiografische Fragmente und der Versuch ihrer Zuordnung“ <strong>von</strong> <strong>Eckhard</strong><br />

<strong>Neuhoff</strong><br />

Erschienen und © copyright 2016 bei: BoD, books on Demand, Norderstedt<br />

ISBN: 9783839167373

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